Lesen - Golf Dornseif
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Lehrfarm Brakwater: Höhere Töchter im Hühnerstall<br />
Von <strong>Golf</strong> <strong>Dornseif</strong><br />
Frau von Falkenhausen, Witwe eines während des Südwester Herero Aufstands 1904<br />
von Schwarzen ermordeten Ansiedlers, konnte mit ihren beiden Kleinkindern in letzter<br />
Minute vor den Schlächtern fliehen.<br />
Helene von Falkenhausen trotzte ihrem schweren Schicksal und kehrte nach Deutschland<br />
zurück, um dort unermüdlich junge Mädchen und Frauen für fortschrittliche Farmberufe<br />
in DSWA zu begeistern durch zahlreiche Vortragsreisen. Außerdem übernahm sie<br />
die Leitung der Kolonialfrauenschule in Witzenhausen und gründete später eine „Lehrfarm<br />
für gebildete Töchter“ in Brakwater nahe Windhuk.<br />
Seit 1898 finanzierte die Deutsche Kolonialgesellschaft in bescheidenem Umfang die Kosten der<br />
Ausfahrt für „Bräute und nahe weibliche Angehörige unbemittelter Ansiedler nach Südwestafrika“,<br />
ebenso die Reisen „weiblicher Angestellter und Dienstmädchen auf Antrag der Herrschaft“. Diese<br />
Aktivität konzentrierte sich im wesentlichen „nur auf die unteren Gesellschaftsschichten“, während<br />
„Mädchen und Frauen auf dem Niveau gebildeter Kreise mit Examina von höheren Lehranstalten<br />
(Lehrerinnen usw.) oder gar Universitäten“ keine Chance erhielten erfolgreich auszuwandern und im<br />
Busch Karriere zu machen, etwa als Farmverwalterin oder Geschäftsführerin von Handelsunternehmen.<br />
Während ihrer Zeit in Witzenhausen (nahe Kassel) hatte sich Helene von Falkenhausen auf den<br />
Standpunkt gestellt, dass die theoretische Ausbildung an dieser Frauenfachschule allein nicht<br />
ausreicht, um später im Schutzgebiet Fuß fassen zu können, ohne zum Gesinde zu zählen. Der<br />
Gedanke an eine „Lehrfarm“ mit Theorie und Praxis rückte jetzt in den Vordergrund, an eine Schulung<br />
zwischen Hühnerstall und Betriebswirtschaft mit weitem Radius.<br />
Aus dem Inhalt<br />
Höhere Töchter auf Jobsuche<br />
Ziele der Lehrfarm Brakwater<br />
Wer wurde bevorzugt ausgesendet?<br />
Was hat man von Dienstmädchen verlangt?<br />
Export englischer Frauen und Kinder<br />
Zusammensetzung deutscher Mädchen<br />
Zwitterstellung Kolonialfrauenschulen<br />
Geschäftsfrauen in DSW 1899 – 1914<br />
Sie spekulierten erfolgreich mit Diamanten<br />
Frau von Falkenhausen erhielt überraschend eine Entschädigung des Reichs für ihre zerstörte Farm<br />
ausgezahlt, fand alsbald Sponsoren und konnte am 14. Juli 1909 mit drei Assistentinnen in die<br />
Kolonie aufbrechen, um dort den Plan einer Lehrfarm zu verwirklichen. Sie wählte das Objekt<br />
Brakwater, ehemalige Versuchsfarm des Gouvernements, eine knappe Stunde Bahnfahrt nördlich<br />
Windhuk gelegen (zunächst auf Pachtbasis). Dort floss reichlich Wasser, es gab gute Flächen zum<br />
Gartenbau sowie vortreffliche Weidegebiete. 1500 Hektar standen zur Verfügung.<br />
Frau von Falkenhausen erläuterte in einer Zuschrift an die Redaktion der Deutschen Kolonialzeitung<br />
in Berlin ihre Vorstellungen, die hier auszugsweise zitiert werden sollen:<br />
„Während meiner fünfjährigen Anwesenheit in Deutschland habe ich vor allem im Verlauf meiner<br />
Vortragsreisen festgestellt, dass unter den deutschen Frauen und Mädchen lebhaftes Interesse an<br />
unseren Kolonien existiert. Viele Töchter möchten dort ein reizvolles Arbeitsfeld erschließen, weil<br />
ihnen das in Deutschland wegen der Überfüllung aller Berufsrichtungen verwehrt wird…“
„Tatkräftige junge Mädchen haben mich immer wieder gebeten, geeignete Stellen in einem<br />
Schutzgebiet zu vermitteln, aber es ist mir nicht gelungen, trotz ausgezeichneter Beziehungen zu<br />
Farmerfamilien in Südwest, sinnvolle Beschäftigungen zu besorgen (außer Hilfsarbeit im Haushalt,<br />
Kinderbetreuung und Farmschufterei)…“<br />
„Manche Wagemutigen wollten auf gut Glück ausreisen und sich im Land umschauen, doch musste<br />
ich ihnen dringend von derartigen Abenteuern abraten, weil sie das ins Unglück gestürzt hätte aus<br />
unterschiedlichen Ursachen. Nur auf dem Umweg über die Ausbildung in einer Lehrfarm sah ich<br />
Chancen ohne Risiken…“<br />
„Großzügige deutsche Firmen und Fabrikanten haben inzwischen für meine Brakwater Lehrfarm die<br />
zum Wirtschaftbetrieb erforderlichen Geräte und Apparate gestiftet, ebenso Haushaltsartikel usw.<br />
Nach meiner Ankunft in Brakwater fand ich ein kleines Gebäude vor, das aus drei Räumen bestand.<br />
Bis zur Bahnstation Brakwater läuft man etwa 20 Minuten. Buschwerk, Bäume und Gewässer erfreuen<br />
den Menschen. Es gibt eine Forststation mit parkähnlichem Wald aus hohen Kasuarinen…“<br />
Helene von Falkenhausen<br />
lebte von 1873 bis 1945<br />
als Farmerin, Autorin<br />
und Hauswirtschaftslehrerin.<br />
!
„Schon vier Wochen nach meinem Eintreffen erwartete ich die ersten Mädchen aus Deutschland;<br />
sodass wir das Haus so schnell wie möglich vergrößern mussten, was jedoch weitere drei Monate<br />
beanspruchte. Bis dahin kampierten die Töchter in einem aus der alten Heimat mitgebrachten Zelt,<br />
was ihnen viel Spaß machte! Im November konnte der Ausbau abgeschlossen werden und sechs<br />
Elevinnen finden darin Unterkunft…“<br />
„In einem Nebengebäude der benachbarten Forststation sind Bäder und die Waschküche<br />
untergebracht. Zusätzliche Einrichtungen: Ställe zur Geflügelzucht, Schweinezucht, Tischlerwerkstatt,<br />
Schrotmühle, Knochenmühle, Zentrifuge usw. Zur Ausbildung zählt Gartenpflege genau so wie die<br />
Aufzucht von 20 Rindern, 70 Stück Kleinvieh, Eseln. Wir bereiten Butter und Käse in eigener Regie,<br />
unterstützt von Kaffern. Sehr wichtig ist der geschickte Umgang mit Eingeborenen, freundlich und<br />
bestimmt zugleich.<br />
Die Unterweisung von Farbigen auf Farmen und in Haushaltungen darf nicht vernachlässigt werden<br />
genau so wenig wie Schulung mit Einfühlungsvermögen wegen ihrer Mentalität und Empfindlichkeit.<br />
Eine gute Chefin muss energisch auftreten können, aber auch nachsichtig reagieren von Fall zu<br />
Fall…“<br />
„Meine drei Begleiterinnen während der Anreise nach Brakwater waren zwei Damen mit Afrika-<br />
Lebenserfahrung und eine ehemalige Schülerin aus Witzenhausen. Alle fanden interessante<br />
Stellenangebote, die ihrer Vorstellung gerecht wurden, und hatten damit großes Glück. Am 22.<br />
September tauchten die ersten Elevinnen auf voller Neugier. Die Lehrzeit sollte ursprünglich sechs<br />
Monate auf Brakwater umfassen, doch wurden die meisten Mädchen schon vorher abgeworben von<br />
interessierten Farmerfamilien…“<br />
Die Lehrfarm sollte und musste – davon abgesehen – jederzeit eine Möglichkeit bieten, nach<br />
„verunglückten Engagements“ dorthin zurück zu kehren und die Ausbildung fortzusetzen, gestützt auf<br />
neue (und nicht immer erfreuliche) Erfahrungen in Betrieben. Nachwuchs für Brakwater vermittelten in<br />
Deutschand die Betreuerinnen Fräulein von Kortzfleisch (Reifenstein im Eichsfeld). Fräulein Kotzebue<br />
(Eisenach) und Frau Hauptmann Breyer (Ludwigsburg)…“<br />
„Was ist aus den ersten Elevinnen geworden? Fräulein Busse ist jetzt Gesellschafterin bei Frau Major<br />
Maercker in Windhuk, Fräulein von Hausen übt sich als Farmverwalterin und betreut Halbwaisen,<br />
Fräulein Berthold lebt in einer Arztfamilie als Praxis-Assistentin in Karibib .Bei freier Station (Kost und<br />
Logis) zahlen die Arbeitgeber monatlich 65 bis 150 Mark Gehalt. Fräulein Behrens arbeitet als<br />
Sekretärin beim Gouvernement in Keetsmanshoop mit einer Vereinbarung von zehn Mark Tagesgeld,<br />
während ihr Gehalt bis 3.000 Mark jährlich zunimmt…“<br />
„Gouverneur von Schuckmann hat mich wissen lassen, dass junge Damen mit höherer Schulbildung<br />
und Bürofachkenntnissen beim Gouvernement willkommen sind, ebenso examinierte Junglehrerinnen.<br />
Eine Lehrerin erhält 4.000 Mark Jahresgehalt, eine kostenlose Dienstwohnung, einen schwarzen<br />
Diener und Pensionsberechtigung! ...“
„Es werden jedoch nur solche jungen Frauen genommen, die sich persönlich in Windhuk vorgestellt<br />
haben als Bewerberinnen. Wegen der erheblichen Reisekosten sind Bemühungen im Gang, die<br />
Kolonialgesellschaft um Finanzierung der Anreise „gebildeter Töchter mit Qualifikationen und<br />
Examina“ zu ersuchen bzw. sonstige Möglichkeiten zur Lösung der Reisekostenfrage zu erkunden.<br />
Ein „Startkapital“ von etwa 2500 Mark ist die Regel“<br />
„Die Woermann Reederei hingegen befördert künftig deutsche Hausgehilfinnen stets kostenlos nach<br />
Südwest durch den Frauenbund: warum nur diese und keine gebildeten Interessentinnen...?“<br />
Frau von Falkenhausen schloss ihr Schreiben an die Deutsche Kolonialzeitung mit der Feststellung:<br />
„Da – wie ich nun gesehen habe – sich für tüchtige junge Mädchen aus gebildeten Ständen hier<br />
zahlreiche Stellungen anbieten und sich diese Mädchen wesentlich besser bewähren, besonders in<br />
ihrem Umgang mit den Eingeborenen nicht solche Schwierigkeiten entstehen wie es bei den Dienstmädchen<br />
so oft der Fall ist, wäre es wünschenswert, wenn für diesen Zweck die Mittel wenigstens<br />
zum Teil in Deutschland aufgebracht würden“.<br />
„Seine Hoheit, Herzog Johann Albrecht zu Mecklenburg und Resident zu Braunschweig, hat eine<br />
Beihilfe in Höhe von 150 Mark zugesichert, die auf Antrag gewährt wird. Deshalb sei allen<br />
Kolonialfreunden die Bitte ans Herz gelegt, dafür zu wirken, dass den jungen Mädchen die<br />
Einwanderung in unsere Kolonien erleichtert wird!“ ---<br />
Nach und nach entwickelte sich in Brakwater noch eine andere Variante des Betriebs. Alleinstehende<br />
Damen und die Ehefrauen von Beamten, die vorübergehend Aufträge im Schutzgebiet zu bewältigen<br />
hatten, hielten sich längere oder kürzere Zeit in Brakwater als Pensionsgäste auf. Einige Elevinnen<br />
kehrten als willkommene Besucherinnen (ebenfalls zur Erholung) dorthin zurück.<br />
Ziele und Bedingungen der Lehrfarm Brakwater<br />
Die Lehrfarm bezweckt:<br />
1. Jungen Mädchen gegen eine möglichst niedrig bemessene Entschädigung Unterkunft und<br />
Lebensunterhalt bis zur Übernahme einer Tätigkeit oder eines selbständigen Gewerbes zu gewähren.<br />
2. Ihnen Gelegenheit zu bieten, sich an Ort und Stelle mit den afrikanischen Verhältnissen bekannt zu<br />
machen und Kenntnisse sowie Erfahrungen im Umgang mit den Eingeborenen zu sammeln.<br />
3. Die jungen Mädchen mit entsprechenden Anstellungen zu versorgen. Es würden vor allem folgende<br />
Berufsarten in Frage kommen: Stützen der Hausfrau, Haushälterinnen, Hausdamen, Farmgehilfinnen,<br />
Pflegerinnen, Kindergärtnerinnen, Lehrerinnen, Korrespondentinnen, Sekretärinnen, Kontoristinnen.<br />
Deutsche Dienstmädchen treffen in Keetmanshoop ein
Ferner würde die Farmleitung die Verrmittlung beim Ankauf eines Besitzes oder bei der Einrichtung<br />
eines Geschäfts (Wäscherei, Schneiderei, Konditorei usw.) durch Elevinnen übernehmen, die<br />
Selbständige werden möchten.<br />
4. Auf der Lehrfarm wird den jungen Mädchen Gelegenheit geboten, weibliche Eingeborene zu<br />
Arbeiten in der Hauswirtschaft und im Gartenbau heran zu ziehen und praktisch auszubilden, um<br />
dabei die notwendige Übung zu gewinnen, damit sie später eingeborene Dienstboten allein anleiten<br />
können.<br />
5. Die Lehrfarm soll sodann ein Heim und Stützpunkt für alle in DSWA tätigen Elevinnen sein und<br />
bleiben, damit sie in der Not einen Rückhalt haben, was fern von der Heimat von großer Wichtigkeit<br />
ist.<br />
Lernziel:<br />
Kochen unter<br />
freiem Himmel
Einrichtung der Lehrfarm – Damit die jungen Mädchen alle erforderlichen Kenntnisse sich aneignen<br />
können, ist mit der Lehrfarm ein vielseitiger Wirtschaftsbetrieb verbunden. Hier sollen die Elevinnen<br />
die afrikanische Haus- und Farmwirtschaft praktisch ausüben, um später selbständig eine Farm<br />
bewirtschaften zu können. Sie müssen in allen Zweigen der Hauswirtschaft (Kochen, Backen, Bügeln,<br />
Waschen, Schneidern, Reparieren) und in der Landwirtschaft (Viehzucht, Geflügelzucht, Molkerei,<br />
Gartenbau, Obstbau, Handwerk) sich betätigen lernen.<br />
Der Lehrfarm ist eine Ausbildungsstätte sowie eine Stelle zur Arbeitsplatzvermittlung angeschlossen,<br />
speziell für weibliche Eingeborene. Die Vermittlung von Stellen für Elevinnen ist kostenfrei. Der<br />
Lehrgang dauert sechs Monate. Im wöchentlichen Wechsel arbeiten die Elevinnen in sämtlichen Betrieben<br />
der Farm und müssen den Anordnungen der Leiterin folgen. Wünsche zur Arbeit in<br />
bestimmten Betriebszweigen werden nach Möglichkeit berücksichtigt.<br />
Die Elevinnen erhalten Zimmer mit Bettgestell, Matratze und Keilkissen, Kommode und Kleiderschrank,<br />
Tisch und Stuhl. Eine Gelegenheit zum Baden ist vorhanden mit Wanne. Die Verpflegung ist<br />
üblich wie auf den Farmen im Land. Am Sonntagnachmittag kann Sport stattfinden nach Belieben und<br />
die Abende dienen der Unterhaltung. Praktische Kleidung ist unbedingt erforderlich.<br />
Aufnahmebedingungen – Auf der Lehrfarm ist nur Platz für junge Mädchen mit betontem Fleiß und<br />
tadellosem Ruf. Bevorzugt werden junge Mädchen, die eine Kolonialschule, eine Frauenfachschule,<br />
eine Gartenbauschule oder ähnliche Einrichtung absolviert haben oder gute Zeugnisse von bisherigen<br />
Beschäftigungen vorweisen können. Lebenslauf in ausführlicher Form und ein Foto sind einzusenden<br />
bei Bewerbungen mit entsprechenden Referenzen.<br />
Der sechsmonatige Kursus kostet mit Unterkunft und Verpflegung komplett 450 Mark (das heißt im<br />
ersten Quartal 250 Mark und im letzten 200 Mark). Jede Elevin benötigt einen Reservefonds<br />
(Notgroschen) in Höhe von 600 Mark. Anreisekosten und Ausrüstung müssen von der Elevin getragen<br />
werden. Die Schiffspassage erfordert etwa 800 Mark Auslagen, die Ausrüstung (Kleidung, Schuhwerk<br />
usw.) etwa 200 Mark Aufwand.<br />
20 Minuten Fußmarsch bis zur Lehrfarm der Mädchen<br />
Bahnstation Brakwater bei Kilometer 363
Wer wurde bevorzugt ausgesendet?<br />
Die vom Reichs-Kolonialamt herausgegebenen Jahresberichte über die deutschen Schutzgebiete in<br />
Afrika und der Südsee 1909/1910 beziffern die weiße Zivilbevölkerung (ohne Schutztruppe) mit<br />
10.644 Personen gegenüber 9.410 im Jahr zuvor. Das bedeutet eine Zunahme von 1234 Bewohnern,<br />
darunter 347 erwachsene Frauen und 166 Mädchen unter 15 Jahren. Im allgemeinen ist die Zunahme<br />
bei Frauen und Kinder größer als bei Männern.<br />
Der Präsident der Deutschen Kolonialgesellschaft (DKG) bewilligte weiblichen Familienangehörigen<br />
(Ehefrauen, Schwestern, Schwägerinnen, Nichten usw.) sowie solchen männlichen Geschlechts bis<br />
zum vollendeten 16. Lebensjahr sowie Bräuten (Verlobten) freie Überfahrt dritter Klasse von Hamburg<br />
bis Swakopmund oder Lüderitzbucht bzw. wahlweise einen Zuschuss zu den Ausreisekosten zweite<br />
Klasse in Höhe von 150 Mark.<br />
Die gleiche Unterstützung wird weiblichen Personen bewilligt, die eine Stellung im Schutzgebiet<br />
DSWA als Lehrerin, Erzieherin, Stütze oder Dienstmädchen annehmen wollen. Während der gesamte<br />
Briefwechsel zu Fragen der Familienangehörigen ausschließlich durch das Büro der DKG besorgt<br />
wird, unterstützt der Frauenbund der DKG in eigener Verantwortung die Aussendung von weiblichen<br />
Bürokräften bzw. Dienstmädchen insofern, als der Frauenbund die Auswahl der Mädchen und Frauen<br />
allein trifft sowie alle sonstigen Maßnahmen (Behörden, Arbeitgeber, Reedereien usw.).<br />
Zwischen Januar und August 1910 hat die DKG Auswanderungen nach Südwestafrika organisiert und<br />
finanziert wie folgt: 139 Ehefrauen, Bräute, Schwestern von Ansiedlern usw. Hinzu kommen 136<br />
Kinder und Jugendliche sowie 135 Dienstmädchen. Insgesamt sind auf Kosten der DKG 1801 Personen<br />
nach DSWA befördert worden,
Anträge auf kostenlose Ausreise in der dritten Schiffsklasse bzw. auf einen Zuschuss von 150 Mark<br />
zur zweiten Klasse von Hamburg nach Swakopmund oder Lüderitzbucht für Familienangehörige und<br />
Bräute bearbeitet die Deutsche Kolonialgesellschaft, Berlin W-35, Am Karlsbad 10 (Afrikahaus). Die<br />
freie Überfahrt zugunsten von Dienstmädchen liegt in den Händen des Frauenbundes der DKG, Berlin<br />
W-9, Potsdamer Straße 134. Landungsgebühren sind aus der eigenen Tasche zu entrichten:<br />
Swakopmund 2.50 Mark und Lüderitzbucht zwei Mark. Einen Zuschuss für die Ausreise in der ersten<br />
Schiffsklasse gibt es nicht.<br />
Was wurde von Dienstmädchen verlangt?<br />
1. Ein ärztliches Zeugnis über ihren Gesundheitszustand.<br />
2. Ein polizeiliches Führungszeugnis oder eine Bescheinigung, ausgestellt von einem Geistlichen des<br />
eigenen Glaubens, über den sittlichen Lebenswandel der Antragstellerin.<br />
3. Eine Fotografie, auf deren Rückseite der vollständige Name angegeben sein muss.<br />
4. Eine amtlich beglaubigte Einwilligungserklärung der Eltern oder des Vormunds.<br />
5. Ein ausführliches Zeugnis der letzten Dienstherrschaft.<br />
6. Eine Bescheinigung über die Staatsangehörigkeit (Erste Seite des Dienstbuchs, Eintragung).<br />
7. Angabe des religiösen Bekenntnisses.<br />
Ankunft einer deutschen Oberschichtbraut in Togo
Wie regelte England die Auswanderung von Frauen und Kindern?<br />
Die Auswanderung von Frauen wurde um 1910 in Großbritannien von vielen Organisationen<br />
gefördert. Hier einige Beispiele:<br />
The British Women`s Emigration Association (London)<br />
The South African Colonisation Society (London)<br />
The Girls`Friendly Society<br />
The Travellers`Aid Society for Girls<br />
Colonial Training School<br />
The Colonial School for Ladies<br />
Agricultural and Gardening Training School for Women (Colonial Dept.)<br />
Die British Women´s Emigration Association wurde bereits 1884 ins Leben gerufen. Zweck der<br />
Gesellschaft im einzelnen:<br />
a) Frauen und Mädchen mit gutem Charakter und guten Fähigkeiten auszusenden,<br />
b) Personen und Familien auszuwählen, die den Anforderungen der britischen Kolonien entsprechen,<br />
c) Ihnen besonderen Schutz auf der Reise und angemessene Unterkunft nach dem Eintreffen am Ziel<br />
zu sichern,<br />
d) Wenn möglich, mit ihnen ein Jahr oder länger in Verbindung zu bleiben,
e) einen Unterstützungsfonds zu unterhalten, aus dem Reisedarlehen gewährt werden, deren Rückzahlung<br />
durch Lohnabzug zu sichern ist.<br />
Die Auswanderer wurden an ihren Reisezielen stets von Vertreterinnen der Gesellschaft empfangen.<br />
Den Betreuerinnen schickte man rechtzeitig Kopien aller wichtigen Unterlagen ihrer Schützlinge. In<br />
London sammelten sich die Ausreisenden jeweils in Gruppen im Wortley Hotel Paddington.<br />
In einer Dokumentation heißt es unter anderem: „Besonders erfreulich sind die Bemühungen der<br />
British Women´s Emigration Association, dem Kreis der gebildeten Frauen, die unter der Überfüllung<br />
aller Berufe in England leiden, eine angemessene Position in anderen Regionen des britischen<br />
Weltreichs zu verschaffen.“<br />
Die South African Colonisation Society ist eine Tochtergesellschaft der British Women`s Emigration<br />
Association seit etwa 1900. Die Präsidentschaft führt Prinzessin Christian von Schleswig Holstein<br />
unter dem Patronat von Königin Alexandra. Insgesamt konnten seit der Gründung 3.700 Frauen,<br />
Mädchen und Kinder nach Südafrika und Kanada vermittelt werden.<br />
Die Auswanderung von Kindern geht vor allem von den Barnados Homes in England aus (1910). Hier<br />
werden Waisen, bettelnde Straßenkinder und andere heimatlose Jungen und Mädchen<br />
aufgenommen. 1910 lebten in solchen Heimen 8.000 Jugendliche. Im Jahr 1908 schickte man 943<br />
Kinder nach Südafrika und insgesamt waren es bislang fast 21.000 mit einem durchschnittlichen Alter<br />
von 10 bis 12 Jahren. Sowohl Südafrika als auch Kanada nehmen die elternlosen Unglücklichen auf in<br />
Pflegefamilien.<br />
Hauswirtschaftslehre mit kolonialem Pioniergeist
Zusammensetzung deutscher Mädchen<br />
Der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft wurde 1907 mit dem Ziel ins Leben gerufen, die<br />
Ausreise bzw. Auswanderung deutscher Frauen und Mädchen nach Südwestafrika zu unterstützen.<br />
Es ging dabei um den erwünschten Nachwuchs kolonialer Ehefrauen und kolonialer Dienstmädchen<br />
(für das Grobe) zu rekrutieren, um rassische Mischheiraten bzw. Konkubinate langfristig zu verhindern<br />
oder doch zumindest zu erschweren.<br />
Freiherr von Gayl, der im Auftrag der Kolonialgesellschaft und des Frauenbundes als Ausschussmitglied<br />
Südwestafrika bereiste, um die Situation der ausgewanderten Frauen und Mädchen zu<br />
analysieren, lieferte einen aufschlussreichen Bericht in Berlin ab:<br />
„Vielleicht werden die jungen Mädchen im Heimathaus Keetmanshoop etwas verwöhnt oder besser<br />
gehalten als das später auf manchen Farmen möglich sein dürfte. Was die Frage anbelangt, ob es<br />
wünschenswert ist, mittellosen jungen gebildeten Mädchen besserer Stände anzuraten nach Südwest<br />
zu gehen, ohne vorher dort eine feste Anstellung vereinbart zu haben, so bin ich in Übereinstimmung<br />
mit mehreren schon lange in Windhuk lebenden Damen aus unterschiedlichen Gesellschaftskreisen<br />
zu der Überzeugung gekommen, diese Frage verneinen zu müssen“.<br />
Gertrud von Hatten, Generalsekretärin des Kolonialen Frauenbundes, kommentierte die sogenannte<br />
Frauenfrage in einem Aufsatz noch schärfer: „Kaufmännisch ausgebildete Frauen werden in unseren<br />
Kolonien selten benötigt. Die Geschäfte bevorzugen männliche Angestellte, weil sie Waren aus<br />
sämtlichen Branchen führen wie Lebensmittel, Konfektionskleidung, landwirtschaftliche Geräte, Metallwerkzeug,<br />
Sattler-, Glas- und Schuhartikel. Das bedeutet harte körperliche Männerarbeit!“<br />
„Beim Kaiserlichen Gouvernement und bei einigen großen Erwerbsgesellschaften sowie Rechtsanwälten<br />
gibt es wenige weibliche Büromädchen für Stenographie und Schreibmaschine oder<br />
Buchhaltung. Stenotypistinnen erhalten beim Gouvernement während der ersten drei Arbeitsmonate<br />
sieben bis acht Mark Tagegeld und während der folgenden drei Monate neun bis zehn Mark Tageslohn<br />
(ohne Anspruch auf freie Unterkunft) Nach einem Jahr erfolgreicher Probezeit kann ein<br />
Arbeitsvertrag zustande kommen mit Anspruch auf bezahlten Heimaturlaub sowie Übernahme der<br />
Schiffspassage hin und zurück. Die Vergütung umfasst dann 3.000 Mark jährlich mit freier Wohnung“.
„Unter den Selbständigen haben sogenannte Wander-Schneiderinnen sehr gute Einnahmen in Südwestafrika<br />
zu verzeichnen, die von Farm zu Farm pilgern und dort die ganze Familie mit passender<br />
Kleidung und Wäsche versorgen, Änderungsarbeiten inbegriffen. Spitzenverdienerinnen sind jedoch<br />
versierte Köchinnen in Gastwirtschaften und Hotelbetrieben sowie Offiziersmessen der Schutztruppe.“<br />
Freiherr von Gayl verwies in seinen Untersuchungen auf die Bedeutung deutscher Kindergärten mit<br />
qualifiziertem deutschem Personal hin und widersprach der vor Ort weit verbreiteten Auffassung, dass<br />
solche Kindergärten in Südwestafrika unnötig seien, weil die Mütter in der Kolonie genügend<br />
schwarze Dienstboten hätten und sich selber um ihre Buben und Mädchen kümmern könnten:<br />
„Dem möchte ich entgegenhalten, dass die Dienstboten auf den Farmen fast überall zur Kinderbetreuung<br />
herangezogen werden von früh bis spät, weil die weißen Mütter aus vielerlei Gründen keine<br />
Zeit finden, um sich ihrem Nachwuchs zuzuwenden. Viele Kleinkinder beherrschen die Stammessprachen<br />
der eingeborenen Kindermädchen eher als die deutsche Muttersprache und so etwas kann<br />
nicht einfach hingenommen werden!“<br />
Die Hauptversammlungen des Kolonialen Frauenbundes förderten lebhafte Diskussionen zur<br />
Frauenfrage mit bitteren Erkenntnissen, die in deutschen Zeitungen ihr Echo fanden: „Gebildete<br />
Mädchen melden sich oft in Berlin bei der Zentrale des Kolonialfrauenbundes, aber die Nachfrage ist<br />
minimal zu nennen. Die Farmer suchten gehorsame Dienstmädchen mit schlichtem Gemüt „als<br />
Arbeitstier und künftige Ehefrau ohne intellektuelle Ansprüche“ …<br />
Die Fachzeitschrift KOLONIE UND HEIMAT beklagte andererseits, dass laufend Anfragen in Berlin<br />
eingingen von Südwester Messen (Restaurants für Beamte), Offizierskasinos und Hotels, die<br />
händeringend qualifizierte Köchinnen (der sogenannten Feinen Küche) suchten und nicht fanden.<br />
Dies wiederum schmeckte den auswanderungslustigen Höheren Töchtern nur selten oder nie als<br />
Berufsziel …<br />
Zwitterstellung der Kolonialfrauenschulen<br />
Als Helene von Falkenhausen im April 1908 die neugeschaffene Frauenabteilung der Kolonialschule<br />
Witzenhausen bei Kassel übernahm, hatte sie kolonialbegeisterte und gut ausgebildete Absolventinnen<br />
höherer Schulen im Fadenkreuz ihrer Zielvorstellungen. Allerdings unterblieb der optimistisch<br />
erwartete Ansturm interessierter Töchter und Ernüchterung breitete sich aus. Abiturientinnen<br />
und Studentinnen spekulierten auf gut dotierte Führungspositionen in Südwestafrika, sei es in der<br />
Verwaltung oder im Schuldienst, in der Hotellerie oder in den Kontoren von Handelshäusern.<br />
Nach ungefähr einem Jahr Lehrtätigkeit in Witzenhausen hatte Frau von Falkenhausen die Nase voll<br />
und übergab ihre bisherige Aufgabe Anna Gräfin von Zech, vormals Leiterin einer Frauenfachschule in<br />
Weimar. Um 1910 hatte die Witzenhausener Kolonialfrauenschule (als Folge der geringen<br />
Schülerinnenzahl) ein Defizit von 10.000 Mark aufzuweisen und musste ab Oktober des gleichen<br />
Jahres die Ausbildung von Mädchen einstellen. Übrig blieb eine erfolgreiche „Männer-Kolonialschule“.
Im Oktober 1911 gab es neue Versuche in Bad Weilbach nahe Wiesbaden eine Kolonialfrauenschule<br />
einzurichten, finanziert von Adel und Bildungsbürgertum. Es kam zu einer Zusammenarbeit zwischen<br />
fünf Frauenfachschulen des „Reifensteiner Vereins für Wirtschaftliche Frauenschulen auf dem Land“<br />
mit dem Austausch von Fachlehrerinnen (Gartenbau, Viehzucht, usw.), die praktische Erfahrungen in<br />
Südwestafrika und Ostafrika zu Studienzwecken sammelten.<br />
Während alle Kolonialfrauenschulen früher oder später mangels Interesse junger Frauen ihre Arbeit<br />
einstellen mussten, brachte es der Nationalsozialismus fertig, nach der Machtergreifung eine „vorbildhafte“<br />
Kolonialfrauenschule in Rendsburg bis 1945 zu unterhalten und als „Prestige Objekt“ immer<br />
wieder ins rechte Licht zu rücken „mit festem Blick auf den Endsieg und die Rückgabe der ehemaligen<br />
deutschen Kolonien!“<br />
Ausbildung zum Grobschmied in Witzenhausen<br />
Zimmerleute und Stellmacher lernen ihr Handwerk
Rückblickend lässt sich registrieren, das der Frauenbund der Deutschen Kolonialgesellschaft bis zum<br />
Januar 1913 (nach eigenen Angaben) 1694 Personen – darunter 1468 Frauen und Mädchen – die<br />
Ausreise nach Südwestafrika und Ostafrika zur Arbeitsaufnahme und/oder Eheschließung ermöglichte,<br />
finanziert durch die Initiative des Herzogs Johann Albrecht von Mecklenburg. Die Statistik verrät<br />
obendrein im Verlauf der Jahre 1910 bis 1913 fast 500 „geförderte koloniale Eheschließungen“.<br />
In Deutsch-Ostafrika gab es - im Vergleich zu Südwestafrika – keinen Bedarf an weiblichen deutschen<br />
Hilfskräften (Dienstmädchen), weil qualifizierte schwarze Frauen zur Verfügung standen und<br />
(nicht zu vergessen) sich die in DOA lebenden Ansiedler keine Dienstmädchen hätten leisten können<br />
wegen des niedrigen Lebensstandards (verglichen mit DSWA).<br />
Krankenschwestern krönten den kolonialen Arbeitsmarkt<br />
Die in die Kolonien entsandten Krankenschwestern wurden sorgfältig vorbereitet, wobei Tropentauglichkeit<br />
wichtigste Voraussetzung vor Beginn der Ausbildung bedeutete. Das staatliche Examen<br />
für Krankenpflegerinnen diente als Sprungbrett. Die jungen Frauen hospitierten drei Monate im<br />
Eppendorfer Krankenhaus (Hamburg) und weitere drei Monate im Tropen-Krankenhaus Hamburg<br />
unter der Obhut des Frauenbundes, der alle Kosten trug. Künftige Hebammen belegten außerdem<br />
Lehrgänge an der Berliner Charité oder an Frauenkliniken deutscher Universitäten vor ihrer Ausreise.<br />
Die Ausstattung der Schwestern vor der Ausreise besorgte der Kolonialfrauenbund auf dessen<br />
Kosten. In der Heimat bestand die Tracht aus einem schwarzen Kleid, langem schwarzen Mantel,<br />
einer Schwesternhaube, Armbinde und Brosche mit Abzeichen des Frauenbundes. Für den<br />
Tropendienst erhielt die Schwester blau gestreifte Arbeitskleider und weiße Kleidung. Die Aussteuer<br />
umfasste 12 Kleider und 12 Schürzen, sechs weiße Hauben, eine schwarzseidene Überhaube, einen<br />
Sonnenschutzhut mit Breitband, einen großen Regenschirm, Armbinde und Brosche. Schuhe und<br />
Wäsche mussten auf eigene Rechnung angeschafft werden.<br />
Für die Hebammen-Schwestern, bestimmt für Deutsch-Ostafrika, gab es eine Bluse, einen geteilten<br />
Reitrock aus derbem Lodenstoff, einen Regenmantel, Tropenhelm, kräftigen Schirm sowie hohe<br />
Schaftstiefel (wegen Schlangenbissen). In Ausnahmefällen bewilligte der Frauenbund ein<br />
Damenfahrrad. Die Vertragszeit in DOA lief über zwei Jahre, in Kamerun und Togo anderthalb Jahre,<br />
in Samoa, Neuguinea und Südwestafrika jeweils drei Jahre, in Tsingtau sogar vier Jahre.<br />
Nach einwandfreier Vertragserfüllung stand der Schwester bei ihrer Heimkehr ein Urlaubsgehalt zu<br />
und zwar für drei Monate in Höhe der Hälfte ihres zuletzt bezogenen Gehalts. Erholungsbedürftige<br />
Samariterinnen hatten Anspruch auf eine mehrwöchige Kur im Georgshof bei Röserath am Rhein. Das<br />
Einkommen der Schwestern stieg von 780 Mark im ersten auf 840 Mark im zweiten, 1020 Mark im<br />
dritten, 1140 Mark im vierten sowie 1200 Mark im fünften Vertragsjahr (Endstufe).
Im August 1910 konnte man in der Zeitschrift KOLONIE UND HEIMAT unter anderem nachlesen:<br />
„Nicht im freien und burschikosen Wesen soll sich die Tatkraft der Absolventin einer unserer<br />
Kolonialfrauenschulen äußern, sondern in echter Weiblichkeit als Hohepriesterin in deutscher Zucht<br />
und Sitte sowie beseelt vom Christentum“. Immerhin lernten die Höheren Töchter das fachgerechte<br />
Schlachten von Geflügel und „Geburtsnothilfe“ auf abgelegenen Farmen, den Schusswaffengebrauch<br />
wegen wilder Tiere bzw. wegen „wild gewordener Eingeborener“ im Ernstfall!<br />
Im Jahr 1913 lagen dem Kolonialfrauenbund in Berlin 3.000 Bewerbungen junger Frauen vor, die<br />
sowohl mit als auch ohne Ausbildung in Südwestafrika Arbeit suchten, doch standen nur 200<br />
Stellenangebote zur Verfügung. Es ließ sich nicht länger verheimlichen: Die kolonialdeutschen<br />
Arbeitgeber suchten folgsame Geschöpfe zur Ausbeutung, also Abkömmlinge er Arbeiterklasse aus<br />
trostlosen Großstädten ohne die geringsten Aufstiegsmöglichkeiten in der Heimat. Gebildete<br />
Fachfrauen erregten Widerwillen und Ärgernis, denn sie forderten Gleichberechtigung, Emanzipation<br />
und Anerkennung!<br />
Der Arbeitsvertrag für Hauspersonal, vermittelt vom Kolonialfrauenbund, legte einen Mindestlohn von<br />
monatlich 50 Mark fest für DSWA neben freier Kost und Logis. Verglichen mit der Vergütung von<br />
Dienstmädchen in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg darf dieser Betrag als „überdurchschnittlich“<br />
bezeichnet werden. Der Vertrag sicherte die kostenlose Überfahrt in der Dritten Klasse sowie die<br />
Garantie kostenloser Rückführung bei schweren Erkrankungen (auch Unfällen) oder nach vollendeter<br />
Dienstzeit (mindestens zwei Jahre). Misshandlungen durch Arbeitgeber berechtigten zu sofortiger<br />
Kündigung des Vertrags.<br />
Ada Freifrau von Lilincron<br />
war die erste Vorsitzende des<br />
Deutschkolonialen Frauenbundes<br />
Ungeregelt blieben die Arbeitszeiten, denn die Mädchen sollten rund um die Uhr abrufbar sein je nach<br />
Anordnung der Herrschaft. Gemäß der „Gesinde-Ordnung“ im Kaiserreich, die von 1810 bis 1918<br />
rechtsgültig war, gab es für Dienstmädchen weder bezahlten noch unbezahlten Urlaub! Die Unterbringung<br />
in Abstellräumen ohne Licht und Lüftung bzw. in sogenannten Hängeböden wurde seinerzeit<br />
(im Kaiserreich) heftig von der bürgerlichen Frauenbewegung kritisiert, die sich zaghaft entfaltete.<br />
Sozialkritische Stimmen in Berlin bezeichneten die forcierte Auswanderung verarmter und alleinstehender<br />
Frauen und Mädchen als eine „Ideologie mit Warencharakter, die Formulierungen wie Probesendungen,<br />
Weihnachtskisten mit Frischfleisch und Mädchenhandel“ unterschwellig nutzte.
Die Einwanderungswellen Richtung Südwestafrika hatten im Verlauf der Jahre unterschiedliche<br />
Zusammensetzungen:<br />
Erste Phase 1884 bis 1893: vorwiegend Missionarsfrauen, Farmerfrauen, usw.<br />
Zweite Phase 1893 bis 1898: Ehefrauen von Beamten und Offizieren der Truppe (Dieser Anteil stieg<br />
zwischen 1894 und 1914 von vier auf 13 Prozent).<br />
Dritte Phase ab etwa 1900: Außenseiterinnen wie Diamanten-Spekulantinnen, Bardamen, Prostituierte,<br />
Frauen mit unehelichen Kindern, schuldlos verarmte Töchter und Ehefrauen.<br />
In der weißen Bevölkerung Südwestafrikas formierte sich allmählich eine dünne Oberschicht, eine<br />
breite Mittelschicht und eine kleine Unterschicht mit fließenden Übergängen. Zur Oberschicht zählten<br />
hohe Beamte und Offiziere, erfolgreiche und wohlhabende Farmer, Großkaufleute, Unternehmer. In<br />
der Mittelschicht bewegten sich mittlere Kolonialbeamte und mittlere Ränge der Schutztruppe (etwa<br />
bis zum Hauptmann) mit ihren Angehörigen, außerdem Geistliche, Missionare, Händler, Ladenbesitzer,<br />
Handwerker.<br />
Die meisten gebildeten Frauen gehörten zur Mittelschicht: Lehrerinnen, unabhängige und selbständige<br />
Farmerinnen, Krankenschwestern, Erzieherinnen (Hauslehrerinnen, Gouvernanten), In der Unterschicht<br />
existierten Gelegenheitsarbeiter, Hausierer (Wandergewerbe), Mannschaftsdienstgrade der<br />
Schutztruppe, Wäscherinnen und Dienstmädchen.<br />
Landfrauen und Stadtfrauen distanzierten sich allmählich voneinander, obwohl es nur drei Städte gab:<br />
Windhuk, Lüderitzbucht und Swakopmund: Beamtenfrauen und Offiziersfrauen bildeten ihre geschlossenen<br />
Zirkel voller Hochmut. Die Bürokratie begann zu wuchern, der Verwaltungsapparat blühte<br />
auf und bot attraktive Positionen (ohne große Anstrengung).<br />
Eine halbtags beim Gouvernement beschäftigte deutsche Stenotypistin erwähnte in einem Brief an<br />
ihre Verwandten in der alten Heimat: „Diese mit Wellblech überdachten Farmhäuser in Südwest sind<br />
nichts weiter als Geräteschuppen primitiver Machart, in denen tatsächlich Menschen hausen. Die<br />
deutschen Rinderzüchter vegetieren so ähnlich wie einst unsere germanischen Vorfahren in ihren<br />
Höhlen und Hütten“.<br />
Ohne Zweifel betrachtete sich die Briefschreiberin als eine erfolgreiche soziale „Aufsteigerin“ und sah<br />
auf viele ihrer Landsleute mit Verachtung und Hohn herab.<br />
Höhere Töchter zimmern einen Hühnerstall in Witzenhausen mit Kittelschürzen!
Verräterisch ist die Tatsache, dass Klatsch und Tratsch in der Kolonie groteske Konsequenzen mit<br />
sich zogen. Beleidigungsprozesse vor Gericht häuften sich, Anzeigen mit verworrenen „Ehrenerklärungen<br />
und Entschuldigungen“ schmückten die Zeitungen, weil sich Herr X. oder Frau Y.<br />
verleumdet fühlten. Im Jahr 1907 wurden in den Verwaltungsbezirken Windhuk, Swakopmund, Keetmanshoop<br />
und Lüderitzbucht insgesamt 22.752 Klagen wegen Verleumdung (!!!) verhandelt. 14<br />
Rechtsanwälte hatten alle Hände voll zu tun.<br />
Immer wieder druckte die Presse Anzeigen ab, in denen entweder eine männliche oder eine weibliche<br />
Person die „Auflösung einer Verlobung“ mitteilte oder es ablehnte für die Schulden des jeweiligen<br />
Ehepartners aufzukommen. Es passierte auch, dass Herr X öffentlich verkündete in einer Annonce,<br />
seine Ehefrau habe ihn verlassen. Eine Woche später konnte man in der gleichen Zeitung in einer<br />
anderen Annonce erfahren, dass diesmal Frau X. das Gegenteil demonstrierte: Der Ehemann habe<br />
sie verlassen, nicht umgekehrt:
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Erstveröffentlichung: Dezember 2012<br />
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