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Engagement ermöglichen – Strukturen gestalten - BBE

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<strong>Engagement</strong> <strong>ermöglichen</strong> <strong>–</strong><br />

<strong>Strukturen</strong> <strong>gestalten</strong><br />

Nationales Forum für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

Band 3<br />

Nationales Forum<br />

für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation<br />

Handlungsempfehlungen für eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie


ISBN: 978-3-00-031931-0


3<br />

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Inhaltsverzeichnis<br />

Editorial<br />

Geleitwort, Staatssekretär Josef Hecken (BMFSFJ)<br />

Einleitung, Dr. Serge Embacher (<strong>BBE</strong>)<br />

Plenum am 25. März 2010<br />

Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung einer Nationalen<br />

<strong>Engagement</strong>strategie, Dieter Hackler (BMFSFJ)<br />

Begrüßung durch den Vorsitzenden des <strong>BBE</strong>-Sprecherrates Prof. Dr. Thomas Olk<br />

Podiumsdiskussion<br />

Dialogforen<br />

Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“<br />

Bericht: Regeln vereinfachen <strong>–</strong> Gestaltungsfreiheit schaffen<br />

Ergebnisse<br />

Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung und Entbürokratisierung<br />

des Zuwendungsrechts (Kurzfassung)<br />

Dialogforum „Weiterentwicklung der Freiwilligendienste“<br />

Bericht: Vielfalt unter einem Dach<br />

Ergebnisse<br />

Uwe Slüter: Kurzgutachten „Mögliche Rahmenbedingungen für ein Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG)“<br />

Dr. Nicole D. Schmidt: Thesen „Zur Zielgruppe Menschen mit Behinderungen und Beeinträchtigungen“<br />

Susanne Huth: Thesen „Zum freiwilligen <strong>Engagement</strong> von Menschen mit Migrationshintergrund.<br />

Zum Begriff ‚benachteiligte Jugendliche‘“<br />

Prof. Dr. Gisela Jakob: Thesen „Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz“<br />

Christiane Richter: Thesen „Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Seniorinnen und<br />

Senioren im Freiwilligendienst“<br />

Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“<br />

Bericht: <strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> Möglichkeiten <strong>–</strong> Bilden<br />

Ergebnisse<br />

Birger Hartnuß: Kurzgutachten „Schulöffnung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“<br />

Prof. Dr. Thomas Rauschenbach: Kurzgutachten „<strong>Engagement</strong> und Bildung“<br />

Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“<br />

Bericht: Erwerbsarbeit und <strong>Engagement</strong> aufeinander abstimmen; Chancen, Hindernisse, Gefahren<br />

Ergebnisse<br />

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.: Expertise „<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit.<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>, Erwerbsarbeit, Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen:<br />

Herausforderungen und Wechselwirkungen“<br />

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172<br />

Dialogforum „Infrastrukturförderung“<br />

Bericht: Vernetzen und Abstimmen <strong>–</strong> Wer macht was?<br />

Ergebnisse<br />

Dr. Thomas Röbke/Prof. Dr. Gisela Jakob: Gutachten „<strong>Engagement</strong>förderung als Infrastrukturförderung“<br />

Prof. Dr. Hans-Jürgen Dahme/Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt: Gutachten „<strong>Engagement</strong>politik als Infrastrukturförderung<br />

- zur engagementpolitischen Bedeutung und Entwicklung von Verbänden im Sozialsektor“<br />

Prof. Dr. Elisabeth Bubolz-Lutz: Thesen „Öffentliche Förderung der Infrastruktureinrichtungen der<br />

<strong>Engagement</strong>förderung“<br />

Dialogforum „Unternehmen in der Bürgergesellschaft <strong>–</strong> Corporate Citizenship“<br />

Bericht: Partnerschaften strategisch entwickeln<br />

Ergebnisse<br />

Peter Kromminga/Dr. Reinhard Lang: Gutachten „Gemeinnützige Mittler als<br />

Katalysatoren für Unternehmensengagement“<br />

Anhang<br />

Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess<br />

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren<br />

Weitere Publikationen des Nationalen Forums für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

Impressum<br />

Herausgeber: Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> (<strong>BBE</strong>)<br />

Michaelkirchstr. 17/18, 10179 Berlin<br />

V.i.S.d.P.: PD Dr. Ansgar Klein, Geschäftsführer des <strong>BBE</strong><br />

Redaktion: Dr. Serge Embacher, Ina Bömelburg, Tobias Quednau<br />

Layout und Satz: Regina Vierkant<br />

Fotos: Frank-Michael Arndt<br />

Druck: Druckhaus Köthen, Köthen<br />

Koordinierungsstelle Nationales Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

Dr. Serge Embacher (Projektleitung), Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin Reitz<br />

Telefon: 030 - 6 29 80 625, Telefax: 030 - 6 29 80 152<br />

E-Mail: forum@b-b-e.de, Internet: www.b-b-e.de/nationales-forum/<br />

Berlin Juli 2010<br />

ISBN: 978-3-00-031931-0<br />

Das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und<br />

Partizipation wird gefördert vom<br />

Träger der <strong>BBE</strong>-Geschäftsstelle ist der Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V.


Editorial<br />

Als sich im Frühjahr 2010 über 300 Expertinnen und<br />

Experten zu zwei Kongressen im Paul-Löbe-Haus<br />

des Deutschen Bundestages versammelten, um in<br />

zehn Dialogforen über Möglichkeiten einer nationalen<br />

<strong>Engagement</strong>strategie zu beraten, konnten wir nur<br />

hoffen, was sich im Nachhinein bestätigt hat: Das Nationale<br />

Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation ist<br />

durch seine fachpolitischen Beiträge zu einer wichtigen<br />

Beratungsinstanz für die <strong>Engagement</strong>politik des<br />

Bundes geworden.<br />

Durch die breite Einbindung der organisierten Bürgergesellschaft<br />

ist eine wichtige Bedingung für gelingende<br />

<strong>Engagement</strong>politik erfüllt worden. Die Stärkung<br />

der Rahmenbedingungen für die Entfaltung der<br />

Bürgergesellschaft und des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

kann nämlich nur unter Einbeziehung der<br />

Betroffenen glücken. Bürgerbeteiligung ist ein Kernelement<br />

von <strong>Engagement</strong>politik. Die systematische<br />

Einbindung von engagementfördernden Unternehmen<br />

und Wirtschaftsverbänden sowie die intensive<br />

Mitwirkung von Bund, Ländern und Kommunen im<br />

Forumsprozess machen deutlich, dass die Förderung<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s und die Entwicklung<br />

guter Rahmenbedingungen die enge Kooperation<br />

mit Politik und Wirtschaft erfordert.<br />

Vor diesem Hintergrund ist das Nationale Forum<br />

für <strong>Engagement</strong> und Partizipation ein spannendes<br />

Governance-Experiment mit offenem Ausgang. Hier<br />

wird versucht, die Entwicklung einer nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

als einen Aushandlungsprozess<br />

zwischen allen Beteiligten zu organisieren. Dabei ist<br />

jede Seite auf je eigene Weise beteiligt. Die föderalen<br />

Ebenen des Staates <strong>–</strong> also Bund, Länder und Kommunen<br />

<strong>–</strong> nutzen bei der Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen<br />

die Expertise der Engagierten vor<br />

Ort und stehen überdies in der Verantwortung, sich<br />

sachgerecht im Hinblick auf Arbeits- und Verantwortungsteilung<br />

abzustimmen. Die Wirtschaft hat <strong>–</strong> zu-<br />

mal in Zeiten der allfälligen Krise <strong>–</strong> die Chance, sich<br />

im Rahmen des engagementpolitischen Prozesses<br />

zu ihrer gesellschaftlichen Verantwortung zu bekennen.<br />

Die Bürgergesellschaft schließlich kann ihre Impulse<br />

und Ideen direkt in den politischen Prozess einbringen<br />

und ist dabei auch ‘genötigt’, ihre Ideen und<br />

Forderungen einem Realitätstest zu unterziehen.<br />

Man sieht also, dass es sich beim Nationalen Forum<br />

für <strong>Engagement</strong> und Partizipation um ein anspruchsvolles<br />

Format der Begleitung und Vorbereitung von<br />

engagementpolitischen Entscheidungen handelt. Das<br />

Offene und Experimentelle dieses Formats ist kein<br />

Makel, sondern ein Beitrag zur Vitalisierung des demokratischen<br />

Gemeinwesens, das vom ergebnisoffenen<br />

Diskurs lebt. Das Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> (<strong>BBE</strong>), in dem sich die Akteure aus Bürgergesellschaft,<br />

Wirtschaft, Staat und Kommunen zum<br />

Zwecke der <strong>Engagement</strong>förderung vernetzen, kann all<br />

seine Erfahrungen in der trisektoralen Netzwerkarbeit<br />

als Veranstalter des Forums nutzen und damit seine<br />

Veranstalterrolle für das Forum auch weiterhin optimal<br />

wahrnehmen. Die schon seit vielen Jahren im Netzwerk<br />

versammelte Expertise kommt Dank seiner Veranstalterrolle<br />

für das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation noch besser als bislang zur Geltung.<br />

Mit dem vorliegenden dritten Band unserer Publikationsreihe<br />

dokumentieren wir den Auftaktkongress des Nationalen<br />

Forums für <strong>Engagement</strong> und Partizipation für die<br />

laufende 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages<br />

am 25. März 2010 sowie die sechs Dialogforen vom<br />

April 2010 zu den Themenfeldern Reform des Zuwendungsrechts,<br />

Zukunft der Freiwilligendienste, Bildung<br />

und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>, Erwerbsarbeit<br />

und <strong>Engagement</strong>, Infrastrukturförderung und Corporate<br />

Citizenship (Unternehmen in der Bürgergesellschaft).<br />

Damit erhalten die Leserin und der Leser einen guten<br />

Einblick in den aktuellen Entwicklungsstand der Diskussion<br />

um die nationale <strong>Engagement</strong>strategie.<br />

3


Editorial<br />

Auch die Koordinierungsstelle des Nationalen Forums<br />

für <strong>Engagement</strong> und Partizipation betrachtet ihre Arbeit<br />

als einen kontinuierlichen Lernprozess. Daher sind wir<br />

dankbar für Kritik und Anregungen und würden es begrüßen,<br />

wenn Sie uns <strong>–</strong> wie nun schon seit über einem<br />

Jahr <strong>–</strong> auch weiterhin konstruktiv und kritisch begleiten.<br />

Darüber hinaus gilt unser Dank dem Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für<br />

die großzügige Förderung des Nationalen Forums für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation sowie allen engagierten<br />

Menschen, die sich bislang in den Prozess des Aufbaus<br />

der nationalen <strong>Engagement</strong>strategie eingebracht<br />

haben. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> ist ein zentrales<br />

Element des demokratischen Gemeinwesens.<br />

Auf bald im Nationalen Forum für <strong>Engagement</strong> und<br />

Partizipation! Eine erste Gelegenheit dazu bietet der<br />

zugangsoffene Diskurs zu den vorliegenden Zwischenergebnisses<br />

des Forums im Internet im Herbst<br />

diesen Jahres.<br />

Prof. Dr. Thomas Olk<br />

(Vorsitzender des Sprecherrats des <strong>BBE</strong>)<br />

PD Dr. Ansgar Klein<br />

(Geschäftsführer des <strong>BBE</strong>)<br />

Dr. Serge Embacher<br />

(Leiter der Koordinierungsstelle des Nationalen<br />

Forums für <strong>Engagement</strong> und Partizipation)<br />

4


Geleitwort<br />

Wir haben uns in der <strong>Engagement</strong>politik in dieser Legislaturperiode<br />

ein großes Ziel gesetzt: die Entwicklung<br />

und Umsetzung einer nationalen <strong>Engagement</strong>strategie.<br />

Die beeindruckende Vielfalt des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

vor Ort, das sich in Nachbarschaftsheimen,<br />

Freiwilligenagenturen, Mehrgenerationenhäusern, im<br />

Sportverein, in Bürgerinitiativen, in Sozialunternehmen,<br />

im Hospiz oder bei der Freiwilligen Feuerwehr zeigt,<br />

soll weiter gefördert und ausgebaut werden. Um dies<br />

wirksam voranzutreiben, will die Bundesregierung unter<br />

Federführung des Bundesministeriums für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend für die engagementpolitischen<br />

Aktivitäten in den verschiedenen Ressorts und in Partnerschaft<br />

mit Ländern und Kommunen eine gemeinsame<br />

Strategie entwickeln. Das heißt nicht, dass Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> vereinheitlicht oder „verregelt“<br />

werden soll. Vielmehr verfolgen wir die Absicht, der mit<br />

der Vielfalt des <strong>Engagement</strong>s zugleich anwachsenden<br />

Vielfalt engagementpolitischer Ansätze eine strategische<br />

Perspektive zu geben. Hier kann der Bund in seiner gesamtstaatlichen<br />

Verantwortung aktiv werden.<br />

Ein wichtiges Merkmal dieser Strategie wird darin bestehen,<br />

dass wir sie gemeinsam mit der Bürgergesellschaft<br />

entwickeln werden. Durch ihre Teilhabe leistet<br />

sie einen bedeutenden Beitrag zur Stärkung unserer<br />

Demokratie. Die zahlreichen Initiativen, Vereine und<br />

Verbände der organisierten Bürgergesellschaft und<br />

des dritten Sektors, aber auch die engagierten Unternehmen<br />

sowie die zahlreichen Stiftungen und Bürgerstiftungen<br />

sind wichtige und unabdingbare Akteure für<br />

eine erfolgreiche Umsetzung einer solchen Strategie.<br />

Die Bundesregierung ist sich bewusst, dass ein kooperatives<br />

und von einer neuen Verantwortungsteilung<br />

geprägtes Verhältnis zwischen Staat, Wirtschaft und<br />

Bürgergesellschaft hierbei von Bedeutung ist.<br />

In diesem Sinne ist der Beteiligungsprozess in den<br />

Dialogforen ein wichtiger Schritt in diese Richtung.<br />

Eine ständige Herausforderung besteht darin, die<br />

unterschiedlichen Akteure des <strong>Engagement</strong>s und der<br />

<strong>Engagement</strong>politik zu motivieren, sich auf eine echte<br />

Partnerschaft einzulassen.<br />

Die nationale Engamenstrategie als öffentlichen,<br />

transparenten und dialogischen Prozess zu etablieren<br />

und zu verstetigen, wird in der laufenden Legislaturperiode<br />

unser Ziel sein. Dabei gilt schon heute<br />

unser Dank den vielen engagierten Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern an den vom Nationalen Forum für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation (NFEP) ausgerichteten<br />

sechs Dialogforen im Frühling dieses Jahres.<br />

Die in den Foren versammelte Expertise, aber auch<br />

die spürbare Bereitschaft zur Verantwortungsübernahme<br />

haben wesentlich dazu beigetragen, dass das Nationale<br />

Forum dem BMFSFJ wichtige Empfehlungen für<br />

eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie aufzeigen konnte.<br />

Josef Hecken, Staatssekretär im Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

5


Einleitung<br />

<strong>Engagement</strong> <strong>ermöglichen</strong> <strong>–</strong> <strong>Strukturen</strong> <strong>gestalten</strong>:<br />

Chancen für die Bürgergesellschaft<br />

Das freiwillige <strong>Engagement</strong> von Bürgerinnen und<br />

Bürgern leistet einen unschätzbaren Beitrag zur<br />

Vitalisierung der Demokratie. Das demokratische<br />

Gemeinwesen lebt von Menschen, die sich aktiv<br />

für seine Ausgestaltung einsetzen und damit den<br />

rechtsstaatlich garantierten Freiheitsrechten, wie sie<br />

in Artikel 1-19 des Grundgesetzes beschrieben sind,<br />

reale Bedeutung geben. Was Freiheit sei, wird durch<br />

staatsbürgerliches Handeln erst richtig definiert und<br />

damit lebendig. Darin liegt der selten thematisierte<br />

eigentliche „Wert“ des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

<strong>–</strong> dass private Freiheitsrechte ihrer wahre Bedeutung<br />

erst erlangen, wenn sie von ihren Trägern<br />

zugleich als öffentliche Freiheitsrechte begriffen und<br />

im <strong>Engagement</strong> gelebt werden. Daraus ergibt sich<br />

auch der Umstand, dass <strong>Engagement</strong> und Teilhabe<br />

zwei Seiten derselben Medaille sind, da derjenige,<br />

der sich in der Bürgergesellschaft aus freien Stücken<br />

engagiert, daraus auch das Bedürfnis <strong>–</strong> nicht unbedingt<br />

den Anspruch <strong>–</strong> entwickelt, über die Dinge des<br />

Gemeinwesens mitbestimmen zu wollen. Alle Versuche,<br />

diese genuin politische Dimension des <strong>Engagement</strong>s<br />

negieren und das <strong>Engagement</strong> auf die Rolle<br />

des Ehrenamts reduzieren zu wollen, gehen an einer<br />

avancierten Idee von Bürgergesellschaft vorbei.<br />

Um diese Idee in den Blick zu bekommen, lohnt es<br />

sich, zunächst das spezifische Demokratieverständnis<br />

zu klären, das dafür am besten geeignet ist. Demokratie<br />

ist ja nicht bloß ein Verfahren, um legitime<br />

politische Entscheidungen herbeizuführen. Entscheidend<br />

ist vielmehr die Qualität des demokratischen<br />

Verfahrens und damit auch der von ihm produzierten<br />

Entscheidungen. Pflanzen sich in ihm Autorität und<br />

Willkür und damit die Macht der Interessen fort, getarnt<br />

unter dem Mantel des korrekten Verfahrens?<br />

Oder entwickelt es sich in einem prozesshaften und<br />

stets falliblen Werden in Richtung einer deliberativen<br />

(beratschlagenden), also von freier Rede und offener<br />

Meinungsbildung bestimmten Demokratie?<br />

6<br />

Ohne Mühe lässt sich in der damit angedeuteten<br />

Bandbreite der Möglichkeiten die deliberative Demokratie<br />

als die der Bürgergesellschaft angemessenste<br />

auszeichnen. In der deliberativen Demokratie wird<br />

der politische Prozess selbst zum Grundbaustein<br />

für die demokratische Ordnung. Demokratie wird als<br />

die untrennbare Einheit von öffentlicher Meinungsbildung<br />

und freier Entscheidungsfindung wahrgenommen.<br />

Erst wenn jene nach Kriterien der Offenheit,<br />

Transparenz, Fairness und Inklusion ausgerichtet ist,<br />

kann diese volle Legitimität für sich beanspruchen.<br />

Akzeptanz und Folgebereitschaft hängen bei demokratischen<br />

Entscheidungen wesentlich vom vorangegangenen<br />

Prozess der öffentlichen Deliberation, dem<br />

vorbehaltlosen Ringen um das bessere Argument,<br />

ab. Das Prinzip der Volkssouveränität, welches nicht<br />

auf regelmäßige freie Wahlen beschränkt bleiben<br />

darf, findet somit erst im aktiven demokratischen <strong>Engagement</strong><br />

von Bürgerinnen und Bürgern seinen adäquaten<br />

Ausdruck.<br />

Demokratische Politik im diesem deliberativen Sinne<br />

ist als Prozess einer kollektiven Aneignung des Gemeinwesens<br />

zu verstehen, bei dem sich aktive Bürgerinnen<br />

und Bürger darüber bewusst werden, dass die<br />

Gestaltung gesellschaftlicher Zustände ihre eigene<br />

Angelegenheit ist und es daher auf ihr persönliches<br />

<strong>Engagement</strong> ankommt. Private Freiheit wird in dieser<br />

Perspektive <strong>–</strong> wie bereits erwähnt <strong>–</strong> immer auch als<br />

öffentliche Freiheit gesehen, sich für das Gemeinwohl<br />

zu engagieren.<br />

Die Voraussetzungen für eine solch anspruchsvolle<br />

demokratische Beteiligungskultur sind heute durchaus<br />

gegeben. Die über 23 Millionen bürgerschaftlich<br />

Engagierten in Deutschland stehen für eine neue Beteiligungskultur,<br />

die auch (und vor allem) demokratiepolitisch<br />

relevant ist. Allerdings kommt es darauf an,<br />

geeignete Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> zu <strong>gestalten</strong>, um das bürgerschaftliche


<strong>Engagement</strong> als Element des demokratischen Prozesses<br />

zu <strong>ermöglichen</strong> und zu fördern.<br />

Vor diesem demokratiepolitischen Hintergrund stellt<br />

das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

(NFEP) den anspruchsvollen und keineswegs<br />

als Selbstläufer firmierenden Versuch dar, auf Bundesebene<br />

einen neuartigen Governance-Prozess in<br />

Gang zu bringen. Governance als Gegenbegriff zu<br />

Government (engl. für „Regierung“) steht dabei für ein<br />

neues Staatsverständnis <strong>–</strong> ein Verständnis, das von<br />

der Einsicht getragen ist, dass die Qualität politischer<br />

Prozesse umso besser ist, je stärker der Aspekt der<br />

deliberativen Beteiligung darin berücksichtigt ist. Dabei<br />

ist <strong>Engagement</strong>politik nur ein kleiner <strong>–</strong> aber eben<br />

bedeutsamer <strong>–</strong> Ausschnitt, in dem sich deliberative<br />

Demokratie initiieren und motivieren lässt. Die nationale<br />

<strong>Engagement</strong>strategie könnte zu einem Experimentierfeld<br />

für ein neues Politikverständnis werden,<br />

bei dem es ganz zentral um demokratische Teilhabe<br />

und freien Diskurs geht, bevor die durch Wahlen legitimierten<br />

Instanzen <strong>–</strong> Regierungen und Parlamente<br />

<strong>–</strong> entscheiden. Was immer sie entscheiden, ihre<br />

Entscheidungen werden umso besser sein, je stärker<br />

sie von einem deliberativ geprägten Demokratieverständnis<br />

angeleitet werden.<br />

Das NFEP hat nun die ganz spezifische und demokratiepolitisch<br />

relevante Aufgabe, die Entwicklung<br />

einer nationalen <strong>Engagement</strong>strategie <strong>–</strong> bei der es<br />

um Fragen des Zuwendungsrechts und Infrastruktur<br />

für <strong>Engagement</strong> ebenso geht wie um die Themen<br />

Bildung, Integration, Pflege, Arbeitsmarktpolitik und<br />

Unternehmensengagement <strong>–</strong> durch die Organisation<br />

eines Fachdiskurses mit Expertise aus der Bürgergesellschaft<br />

anzureichern. Dabei kommt es vor allem<br />

darauf an, die verschiedenen relevanten Bereiche,<br />

die föderalen Ebenen des Staates ebenso wie Wirtschaft<br />

und Bürgergesellschaft, gleichermaßen einzubinden.<br />

Damit eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie<br />

tatsächlich zur Strategie werden kann, ist im Idealfall<br />

ein Umdenken erforderlich, bei dem „alte Zöpfe“ abgeschnitten<br />

und neue <strong>Strukturen</strong> ersonnen werden<br />

müssen. Dazu gehört auch, dass Phasen der Entscheidung<br />

sich mit solchen der partizipativen Deliberation<br />

abwechseln, wozu vor allem moderne Beteiligungsformen<br />

via Internet wichtig sind. Mit der für den<br />

Herbst 2010 geplanten Online-Beteiligungsphase im<br />

WEB2.0-Format versucht das NFEP, auch diesem<br />

Erfordernis gerecht zu werden.<br />

Der vorliegende dritte Band der Dokumentationsreihe<br />

des NFEP, den die Koordinierungsstelle beim<br />

Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

(<strong>BBE</strong>) nunmehr vorlegt, hält nun den aktuellen Stand<br />

Einleitung<br />

der Dinge bei der Entwicklung der <strong>Engagement</strong>politik<br />

auf Bundesebene fest. Zur Erinnerung: Im Koalitionsvertrag<br />

der schwarz-gelben Bundesregierung<br />

vom Herbst 2009 ist die Weiterentwicklung und<br />

Umsetzung einer nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

ausdrücklich festgeschrieben. Die Koordinierungsstelle<br />

des NFEP hat daraufhin die Ergebnisse der<br />

Beratungen aus dem letzten Jahr (s. Bd. 1 u. 2 der<br />

Dokumentationsreihe) aufgegriffen, um die nächsten<br />

Schritte zu gehen:<br />

Am 25. März 2010 fand in der Humboldt Viadrina<br />

School of Governance in Berlin ein Auftaktkongress<br />

für die laufende Wahlperiode statt. In seiner Begrüßungsrede<br />

stellte dabei Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender<br />

des Sprecherrats des <strong>BBE</strong>, die Bedeutung<br />

des Prozesses und der Aushandlung bei der Weiterentwicklung<br />

der <strong>Engagement</strong>politik heraus. Dieter<br />

Hackler, im Bundesministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend (BMFSFJ) verantwortlicher Abteilungsleiter<br />

für <strong>Engagement</strong>politik, unterstrich in seiner<br />

Rede die Bedeutung der nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

aus Sicht der Bundesregierung und hob hervor,<br />

dass eine zeitgemäße <strong>Engagement</strong>politik nicht „top<br />

down“, sondern nur unter aktiver Mitwirkung der Bürgergesellschaft<br />

entstehen könne. Auf einem mit Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmern aus Staat, Wirtschaft<br />

und Bürgergesellschaft besetzten Podium wurde anschließend<br />

über Woher und Wohin der <strong>Engagement</strong>politik<br />

diskutiert und eine aktuelle Bestandsaufnahme<br />

präsentiert. Alle Beiträge sind im vorliegenden Band<br />

dokumentiert.<br />

Ebenfalls dokumentiert sind die sechs jeweils eintägigen<br />

Dialogforen, die im April 2010 an wechselnden<br />

Orten in Berlin stattfanden und sich mit folgenden<br />

Themen beschäftigten;<br />

• Zuwendungsrecht,<br />

• Freiwilligendienste,<br />

• Bildung,<br />

• Arbeitsmarktpolitik/Erwerbsarbeit,<br />

• Infrastruktur,<br />

• Unternehmen in der Bürgergesellschaft.<br />

Diese Foren, die jeweils mit Vertreterinnen und Vertretern<br />

aus Politik, Wirtschaft, Bürgergesellschaft<br />

und Wissenschaft besetzt waren, hatten die Aufgabe,<br />

die Ergebnisse der beiden Kongresse aus dem<br />

Jahr 2009 aufzugreifen und die aktuellen Probleme<br />

und Herausforderungen in der <strong>Engagement</strong>politik<br />

zu diskutieren, zu bündeln und mit Handlungsempfehlungen<br />

zu versehen, die in möglichst konzisen<br />

Ergebnispapieren zusammengefasst werden sollten.<br />

Die Dialogforen waren lebhafte Veranstaltungen, bei<br />

7


Einleitung<br />

denen sehr engagiert diskutiert und gestritten wurde.<br />

Allen Teilnehmenden gilt unser Dank und unser Respekt<br />

angesichts der Geduld, die solche „diskursiven<br />

Großveranstaltungen“ jedem einzelnen abverlangen.<br />

Am Ende jedes Dialogforums stand ein mehrseitiges<br />

Papier mit Handlungsempfehlungen für die konkrete<br />

Ausgestaltung der <strong>Engagement</strong>strategie. Im vorliegenden<br />

Band sind die Dialogforen so aufbereitet,<br />

dass neben dem Ergebnispapier auch ein kurzer<br />

Bericht über die wichtigsten Punkte, die von der Koordinierungsstelle<br />

vorher in Auftrag gegebenen und<br />

allen Teilnehmenden vorgelegten Gutachten sowie<br />

thematische Stellungnahmen angedruckt sind. Mit<br />

Hilfe dieser Dokumente ist es möglich, eine genaue<br />

Vorstellung vom Stand der Dinge zu erlangen.<br />

Die Ergebnispapiere aller Dialogforen <strong>–</strong> insgesamt<br />

über 30 Seiten engagementpolitische Problembeschreibungen<br />

und Handlungsempfehlungen <strong>–</strong> hat die<br />

Koordinierungsstelle des NFEP Anfang Mai 2010 dem<br />

BMFSFJ übergeben. Dort wurden sie gesichtet und<br />

als Grundlage für einen im Herbst 2010 geplanten<br />

Kabinettsbeschluss der Bundesregierung verwendet.<br />

Dieser Beschluss wird einen weiteren Meilenstein darstellen<br />

und seinerseits den Anstoß für die Weiterentwicklung<br />

der nationalen <strong>Engagement</strong>strategie geben.<br />

Denn das Wesen dieser Strategie besteht im Prozess<br />

selbst. Dauerhafte Fortschritte lassen sich in der <strong>Engagement</strong>politik<br />

nur erzielen und sichern, wenn sie<br />

auf einem Prozess der Beratschlagung und gleichberechtigten<br />

Teilhabe basiert. Dieser Prozess ist fallibel<br />

und gelegentlich auch störanfällig. Doch sollte das<br />

nicht dazu führen, ihn in Frage zu stellen. Zum Modell<br />

des deliberativen Austauschs gibt es in der von<br />

Vielfalt und Heterogenität geprägten demokratischen<br />

Gesellschaft heute keine sinnvolle Alternative. Die beteiligten<br />

Akteure müssen sich dauerhaft darauf einstellen,<br />

neue Kooperationsverhältnisse einzugehen und<br />

an einer neuen Aufgaben- und Verantwortungsteilung<br />

zu arbeiten. Das berührt vor allem das Verhältnis des<br />

Staates zu einer heute immer selbstbewusster gewordenen<br />

Bürgergesellschaft. Um die neuen Facetten und<br />

Aspekte in diesem Verhältnis zu beleuchten, hat der<br />

Europarat im vergangenen Jahr im Zusammenspiel<br />

mit europäischen Nicht-Regierungsorganisationen einen<br />

Verhaltenskodex für die Bürgerbeteiligung im Entscheidungsprozess<br />

(Code of Good Practice for Civil<br />

Participation in the Decision Making Process) verabschiedet.<br />

Dort werden die Kooperationsmöglichkeiten<br />

zwischen Staat und Bürgergesellschaft an spezifische<br />

Diskurs- und Verfahrensregeln geknüpft, die den politischen<br />

Prozess transparenter und inklusiver machen<br />

sollen. Die Dokumentation dieses Kodexes bildet den<br />

Abschluss des vorliegenden Bandes.<br />

8<br />

Zum Abschluss möchte ich der Hoffnung Ausdruck<br />

verleihen, dass der Prozess der Entwicklung einer<br />

nationalen <strong>Engagement</strong>strategie auch weiterhin von<br />

großer Dynamik, zupackenden Menschen und wegweisenden<br />

Beschlüssen gekennzeichnet sein möge.<br />

Es geht dabei auch um die Zukunft des demokratischen<br />

Gemeinwesens, und das sollte uns jede Anstrengung<br />

wert sein. Wie auch immer man die ganze<br />

Sache bewerten mag <strong>–</strong> am Ende geht es nicht ohne<br />

fleißige Helferinnen und Helfer, die sich der Sache<br />

verschreiben und dabei auch bereit sind, über die<br />

Grenzen des eigentlich Zumutbaren zu gehen. Mein<br />

Dank gilt Ina Bömelburg, Tobias Quednau, Benjamin<br />

Reitz und Christine Dehne, meinen Kolleginnen und<br />

Kollegen aus der Koordinierungsstelle, ohne die das<br />

alles nicht funktionieren würde. Schließlich sei auch<br />

Regina Vierkant für die umsichtige und gewissenhafte<br />

Gestaltung des vorliegenden Berichts gedankt.<br />

Serge Embacher, im sehr heißen Sommer 2010


Plenum<br />

am 25. März 2010


Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung<br />

Dieter Hackler, Abteilungsleiter im Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend<br />

Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung zur Entwicklung<br />

einer Nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

Sehr geehrter Herr Professor Olk, liebe Kolleginnen<br />

und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag, meine<br />

sehr geehrten Damen und Herren,<br />

„Kein Problem der Welt wird gelöst, wenn wir nur<br />

träge darauf warten, bis ein Zuständiger sich darum<br />

kümmert.“ Das hat der amerikanische Bürgerrechtler<br />

Martin Luther King einmal gesagt. Ich würde sogar<br />

noch weiter gehen: Ohne die Kreativität und ohne die<br />

Eigeninitiative des Einzelnen ist Fortschritt <strong>–</strong> in welchem<br />

Bereich auch immer <strong>–</strong> überhaupt nicht denkbar!<br />

Aber mit Kreativität und Eigeninitiative ist das natürlich<br />

so eine Sache: Das lässt sich nicht per Dekret verordnen<br />

oder gar steuern! Wir können nur den Nährboden<br />

schaffen, in dem Kreativität und Eigeninitiative gedeihen<br />

<strong>–</strong> ein Umfeld, in dem Menschen sich beteiligen<br />

wollen, sich verantwortlich fühlen und aus eigener<br />

Motivation heraus aktiv werden. Genau deshalb sind<br />

wir heute hier. „Wir“ <strong>–</strong> das sind Vertreterinnen und<br />

Vertreter der Zivilgesellschaft, der Wirtschaft und der<br />

Politik. „Wir“ <strong>–</strong> das sind ganz unterschiedliche Perspektiven<br />

auf bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>, von<br />

denen unser gemeinsames Ziel nur profitieren kann.<br />

Dieses Ziel ist eine Nationale <strong>Engagement</strong>strategie.<br />

Herzlichen Dank, dass Sie hier sind, und herzlich<br />

willkommen hier im Robert-Koch-Saal der Humboldt-<br />

Viadrina School of Governance!<br />

Die Wahl des Ortes sollten wir durchaus programmatisch<br />

verstehen: Gestern vor 118 Jahren, am 24. März<br />

1882, hat Robert Koch hier in einem benachbarten<br />

Saal eine Entdeckung bekannt gegeben, die die Welt<br />

veränderte: die Entdeckung des Tuberkulose-Bakteriums.<br />

Damals war die Tuberkulose in Europa weit<br />

verbreitet. In der Altersgruppe der 15- bis 40-jährigen<br />

ging damals jeder zweite Todesfall auf Tuberkulose<br />

zurück. Mit massiven volkswirtschaftlichen Folgen:<br />

Denn diese Menschen fehlten als Arbeitskräfte.<br />

Der Mediziner und spätere Nobelpreisträger Robert<br />

Koch hat eine Menge Zeit, Energie und Herzblut in<br />

10<br />

die Lösung dieses Problems investiert. Nicht weil er<br />

sich „zuständig“ fühlte <strong>–</strong> um noch einmal das Zitat<br />

von Martin Luther King aufzugreifen. Nein, er widmete<br />

sich deshalb so intensiv diesem Problem, weil er<br />

schlicht und einfach ein leidenschaftlicher Forscher<br />

und Mediziner war.<br />

Die meisten Menschen haben eine solche Leidenschaft<br />

<strong>–</strong> etwas, wofür sie sich vorbehaltlos begeistern<br />

und für das ihnen keine Mühe zu groß und kein Weg<br />

zu weit scheint. Mit diesen Kräften können wir eine<br />

Menge Gutes bewegen. Wie wir diese Kräfte aktivieren<br />

und bündeln, wie wir Menschen motivieren, ihre<br />

Fähigkeiten, Talente, Neigungen und Interessen einzubringen,<br />

wie wir Netzwerke schmieden zwischen<br />

Zivilgesellschaft, Unternehmen und Staat <strong>–</strong> all diese<br />

Fragen werden bei der Entwicklung einer Nationalen<br />

<strong>Engagement</strong>strategie für unser Land eine Rolle spielen.<br />

Und weil eine Strategie immer nur so gut ist wie<br />

ihre Umsetzung, darf gerade eine <strong>Engagement</strong>strategie<br />

nicht fernab der gesellschaftlichen Probleme am<br />

Reißbrett entstehen! Sie muss aus der lebendigen<br />

Vielfalt des <strong>Engagement</strong>s heraus entstehen.<br />

Wenn wir uns zur Umsetzung unserer <strong>Engagement</strong>strategie<br />

verantwortungsbewusste und eigeninitiativ<br />

handelnde Bürgerinnen und Bürger wünschen, dann<br />

müssen wir ihrer Eigeninitiative und ihrer Verantwortung<br />

schon bei der Strategieentwicklung durch Mitgestaltungsmöglichkeiten<br />

Raum geben. Das ist die Idee.<br />

Die breite Beteiligung der Zivilgesellschaft ist also gewissermaßen<br />

schon Teil der Strategie:<br />

• Dadurch fließen die Erfahrungen der Menschen<br />

ein, die sich engagieren.<br />

• Dadurch nutzen wir die schöpferische Kraft der<br />

Bürgerinnen und Bürger.<br />

• Dadurch gewinnen wir schon bei der Planung den<br />

nötigen Rückenwind für die Umsetzung.<br />

• Und dadurch stärken wir unsere Demokratie.


Meine Damen und Herren, eine Demokratie ist nur so<br />

stark wie ihre Zivilgesellschaft unabhängig ist. Deshalb<br />

erhoffe ich mir eine Strategie, die die Zielgruppen befähigt,<br />

selbst zum Akteur, zum aktiven Problemlöser zu<br />

werden; eine Strategie, die den Engagierten Rahmenbedingungen<br />

bietet, die ihnen erlauben, sich mit ihren ganz<br />

speziellen Fähigkeiten als aktive Problemlöser in die<br />

Gesellschaft einzubringen; eine Strategie, die verantwortungsbewusst<br />

mit der wertvollen Ressource Zeit unserer<br />

Engagierten umgeht und sicherstellt, dass diese Ressource<br />

so wertschöpfend wie möglich eingesetzt wird;<br />

Jeder Bürger unseres Landes soll sich dort einbringen<br />

können, wo genau seine Fähigkeiten und Talente<br />

gefragt sind. Das kann dort sein, wo es vor allem auf<br />

Herzenswärme und Hilfsbereitschaft ankommt. Was<br />

würden wir ohne die vielen Helferinnen und Helfer in<br />

Suppenküchen, Jugendzentren oder Seniorentreffs<br />

tun, um nur einige zu nennen! Andere wiederum stellen<br />

ihre herausragenden, beruflichen Qualifikationen<br />

in ihrer Freizeit in den Dienst einer guten Sache: die<br />

Rechtsanwältin, die ein kostenloses Gutachten für eine<br />

Flüchtlingsfamilie erstellt, der Musiklehrer, der sozial<br />

benachteiligten Kindern kostenlos Klavierunterricht<br />

anbietet oder die Schriftstellerin, die älteren Menschen<br />

bei der Aufzeichnung ihrer Erinnerungen hilft. Wo immer<br />

Menschen sich Zeit für Verantwortung nehmen,<br />

bleibt der Zusammenhalt unserer Gesellschaft intakt!<br />

Daran kann man manchmal den Glauben verlieren.<br />

Wenn man die Zeitung aufschlägt, dann hat man ja oft<br />

den Eindruck, dass der Ellenbogen zunehmend unser<br />

gesellschaftliches Zusammenleben bestimmt. Und<br />

dann liest man immer wieder von Menschen, die die<br />

Welt mit ihrem <strong>Engagement</strong> ein Stück besser machen.<br />

• Judy Korn halbiert mit ihrem Violence Prevention<br />

Network die Rückfallquote strafffälliger Jugendlicher<br />

und spart dem Staat damit etwa 20.000 Euro<br />

für jeden vermiedenen Rückfall;<br />

• Murat Vural sorgt mit seinem Interkulturellen Bildungs-<br />

und Förderverein dafür, dass Jugendliche<br />

mit Migrationshintergrund füreinander Verantwortung<br />

auf ihrem Bildungsweg übernehmen;<br />

• Andreas Heinicke bringt mit seiner Idee zum „Dialog<br />

im Dunkeln“ mittlerweile über 6000 blinde Menschen<br />

in über 30 Ländern in Arbeit, indem er sie<br />

befähigt, Sehende durch Ausstellungen im Dunkeln<br />

zu führen.<br />

Noch viele weitere Namen könnte man an dieser Stelle<br />

nennen! Denn solche Ideen gibt es überall in unserem<br />

Land. Ich möchte, dass wir sie aufspüren, fördern<br />

und ihnen erlauben, ihre Kraft zu entfalten. Ich<br />

möchte erprobte und wirksame Lösungsansätze als<br />

Modelllösungen vervielfältigen, um sie für die gesamte<br />

Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung<br />

Gesellschaft nutzbar zu machen. Dabei helfen uns<br />

auch Sozialunternehmerinnen und Sozialunternehmer,<br />

die mit viel Pioniergeist und Kreativität aus einem sozialen<br />

Projekt eine rentable Geschäftsidee entwickeln,<br />

so wie die Sozialunternehmerin Katja Urbatsch, die<br />

im Dezember 2009 für ihr Projekt „Arbeiterkind“ den<br />

Deutschen <strong>Engagement</strong>preis erhalten hat. Motiviert<br />

durch ihre eigene Biografie hat sie ein Mentorensystem<br />

entwickelt: Es zeigt Kindern aus nicht-akademischen<br />

Familien Bildungsperspektiven auf, ermutigt sie zum<br />

Bildungsaufstieg und unterstützt sie auf ihrem Weg zu<br />

einem erfolgreichen Studium. Mittlerweile helfen über<br />

1000 Mentorinnen und Mentoren in 70 Ortsgruppen<br />

jungen Menschen bei ihrem Ziel, als erste ihrer Familien<br />

einen Hochschulabschluss zu erlangen. Diejenigen,<br />

die dieses Ziel erreichen, ermutigen andere allein<br />

schon durch ihr Vorbild. Viele werden ihrerseits Menschen<br />

in ähnlicher Situation helfen. Das zeigt: Solche<br />

Ideen erzeugen Multiplikatoreffekte. Wie ein Stein, der<br />

ins Wasser fällt, versetzen sie ihr Umfeld in Bewegung!<br />

Meine Damen und Herren, unsere Nationale <strong>Engagement</strong>strategie<br />

soll die Rahmenbedingungen dafür<br />

schaffen, dass aus der Mitte unserer Gesellschaft heraus<br />

mehr solche dynamische und wirksame Lösungen<br />

sozialer Probleme entstehen! Gut 23 Millionen Menschen<br />

engagieren sich in Deutschland. Das sind sehr<br />

viele. Aber wir wissen aus Umfragen, dass die Zahl derer,<br />

die grundsätzlich bereit sind, ihre Fähigkeiten in den<br />

Dienst der Gesellschaft zu stellen, noch viel größer ist.<br />

Wie viel könnten wir gewinnen, wenn wir das enorme<br />

<strong>Engagement</strong>potenzial älterer Menschen noch besser<br />

nutzten? Die Generation, die heute in Rente geht, ist die<br />

aktivste und gesündeste Rentnergeneration aller Zeiten.<br />

Wie viel leichter gelänge die Integration von Menschen<br />

mit Migrationshintergrund, wenn noch mehr engagierte<br />

Migrantinnen und Migranten als Vorbilder, Mittler und<br />

Wegbereiter wirken würden? Mir liegt sehr viel daran,<br />

dass wir sowohl ältere Menschen als auch Menschen<br />

mit Migrationshintergrund viel stärker in die <strong>Engagement</strong>förderung<br />

einbeziehen. Wo passende Angebote<br />

fehlen oder wo es vielleicht auch nur bei der Kommunikation<br />

hakt, können wir die Rahmenbedingungen<br />

verbessern. Niemand soll an fehlenden Informationen,<br />

Möglichkeiten oder Angeboten scheitern, sich zu engagieren!<br />

Es lohnt sich, in Beteiligungsmöglichkeiten für<br />

möglichst viele Bürgerinnen und Bürger zu investieren.<br />

Denn die besten Ideen entstehen dort, wo Menschen<br />

mit Freude und Begeisterung dabei sind!<br />

Meine Damen und Herren, ich glaube, wir sind uns einig,<br />

dass wir eine starke Zivilgesellschaft aus aktiven<br />

Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern brauchen und<br />

dass dieses Gesellschafts- und Menschenbild einer<br />

Nationalen <strong>Engagement</strong>strategie zugrunde liegen soll.<br />

11


Hackler - Rede anlässlich der Auftaktveranstaltung<br />

Einig sind wir uns aber sicherlich auch, dass die Nationale<br />

<strong>Engagement</strong>strategie ebenso die Verantwortung<br />

des Staates gegenüber seinen Bürgern spiegeln soll.<br />

Vor diesem Hintergrund noch einige Worte zur Rolle<br />

der Bundesregierung bei der Entwicklung der Nationalen<br />

<strong>Engagement</strong>strategie. Was wir politisch brauchen,<br />

ist eine abgestimmte <strong>Engagement</strong>förderung <strong>–</strong><br />

und zwar abgestimmt sowohl zwischen Bund, Ländern<br />

und Gemeinden als auch zwischen den Ressorts auf<br />

Bundesebene. Denn ein Problem in unserer <strong>Engagement</strong>politik<br />

war bisher, dass die eine Hand nicht weiß,<br />

was die andere tut. Das ist ja ganz typisch bei Querschnittsaufgaben.<br />

Auf der Ebene des Bundes möchte<br />

ich deshalb zunächst einmal, dass sich alle Ressorts<br />

konkrete Vorhaben für die <strong>Engagement</strong>förderung stellen.<br />

Das ist ein wichtiger Schritt, um eine ressortübergreifende<br />

<strong>Engagement</strong>politik zu entwickeln. Eine Kabinettbefassung<br />

zur Nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

streben wir noch in diesem Jahr an. Was wir zu diesem<br />

Zeitpunkt präsentieren, ist nicht in Stein gemeißelt. Es<br />

bleibt offen für weitere Ideen.<br />

Was wird am Ende dieses Entwicklungsprozesses stehen?<br />

„Diese Frage ist zu gut, um sie mit einer Antwort<br />

zu verderben!“ hat Robert Koch einmal gesagt, nach<br />

dem dieser Saal benannt ist. Auf welche Frage er mit<br />

damit Bezug genommen hat, weiß ich nicht. Aber sie<br />

passt gut hierher! Denn auch der Entwicklungsprozess,<br />

der heute offiziell beginnt, ist zu gut, um ihn mit<br />

der Prognose eines Endergebnisses zu verderben!<br />

Ich vertraue darauf, dass Sie das Beste daraus machen<br />

werden <strong>–</strong> so wie Sie das auch dort tun, wo Sie sich sonst<br />

engagieren!HerzlichenDankfürIhrenBeitragzumZusammenhalt<br />

unserer Gesellschaft und für Ihre Bereitschaft, die<br />

Nationale <strong>Engagement</strong>strategie mitzu<strong>gestalten</strong>.<br />

Das ist für uns alle eine große Chance. Denn mit Ihrer<br />

Beteiligung können wir das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong><br />

als das stärken und fördern, was es ist: Das<br />

Herzstück unserer Demokratie!<br />

12


Prof. Dr. Thomas Olk, Vorsitzender des <strong>BBE</strong>-Sprecherrats<br />

Begrüßung<br />

Sehr geehrter Herr Hackler, sehr geehrte Abgeordnete,<br />

sehr geehrte Frau Helbig, sehr geehrte Damen<br />

und Herren,<br />

ich darf Sie im Namen des Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> (<strong>BBE</strong>) sehr herzlich zur<br />

heutigen Veranstaltung des Nationalen Forums für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation hier im Robert-Koch-<br />

Hörsaal begrüßen. Herr Hackler hat den Geist des<br />

Robert-Koch-Hörsaals bereits beschworen. Wir befinden<br />

uns aber auch in den Räumen der Humboldt-<br />

Viadrina School of Governance. Damit haben wir<br />

einen weiteren, hervorragenden Bezug zu dem, was<br />

das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

darstellt: ein Lehrstück und Praxisexperiment, in<br />

dem neue Formen der Governance erprobt werden.<br />

Herr Hackler hat bereits deutlich hervorgehoben,<br />

dass Regieren nicht top-down funktioniert. Es geht<br />

also darum, den Staat nicht als Vater Staat, sondern<br />

als Partnerstaat in einem Geflecht unterschiedlicher<br />

Akteure auf Augenhöhe zu platzieren. Durch eine<br />

enge Zusammenarbeit, gemeinsame Verabredungen,<br />

Selbstverpflichtungen der Akteure und damit auch<br />

durch eine Verantwortungsteilung soll etwas erreicht<br />

werden, das sonst nicht erreicht werden könnte. Wir<br />

haben damit ein sehr komplexes Manöver vor uns.<br />

Es erklärt sich nicht von selbst, ist schwierig, erfordert<br />

Reflexion und muss den Akteuren zum Teil auch<br />

erstmal nahe gebracht werden. Aber das Manöver ist<br />

unvermeidbar.<br />

Herr Hackler hat deutlich gemacht, dass die politische<br />

Förderung, die Verbesserung der Rahmenbedingungen,<br />

die Unterstützung des unentgeltlichen, freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>s nur als politische Querschnittsaufgabe<br />

zu bewältigen ist. Querschnittsaufgaben können<br />

nicht top-down durch Anweisungen und Verordnungen<br />

gelöst werden. Es braucht vieler Partner, nicht nur<br />

aus dem öffentlichen Bereich, also Bund, Ländern<br />

und Kommunen. Das ist eine wichtige Achse, aber es<br />

Olk - Begrüßung<br />

gibt noch die verschiedenen Ressorts. All die starken,<br />

selbstbewussten, von sich selbst überzeugten Ministerialbürokratien,<br />

die ihre eigene Handlungslogik haben<br />

und die morgens nicht dafür aufstehen, um mit dem<br />

nächsten Hause zu kooperieren. Wir haben sowohl in<br />

der Horizontalen zwischen den einzelnen Ressorts als<br />

auch in der Vertikalen zwischen Bund, Ländern und<br />

Kommunen im öffentlichen Bereich erheblichen Diskussions-<br />

und Reflexionsbedarf über Rollen, Verantwortlichkeiten<br />

und die Notwendigkeit von Kooperationen.<br />

Aber das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und<br />

Partizipation geht noch einen Schritt weiter. Staatliche<br />

Institutionen sollen nicht nur untereinander, sondern<br />

auch mit der Zivilgesellschaft kooperieren. Und wenn<br />

ich die Zivilgesellschaft sage, meine ich es selbstironisch.<br />

Denn es ist ja ein substantiierender Begriff für<br />

eine Vielfalt, manche sagen auch für den Pudding, den<br />

man versucht an die Wand zu nageln. Es gibt vielleicht<br />

nichts Schlimmeres für einen preußischen Beamten<br />

als diese Kooperation. Aber sie muss sein. Und dann<br />

kommt als Drittes auch noch die Wirtschaft an Bord.<br />

Auch bei der Wirtschaft ist es nicht so, dass alle das<br />

gleiche denken, wollen und fühlen. Es gibt die berühmten<br />

kleinen und mittleren Unternehmen, es gibt<br />

große Unternehmen, es gibt börsennotierte Unternehmen,<br />

es gibt Familienunternehmen, und alle ticken irgendwie<br />

anders.<br />

All diese unterschiedlichen Akteure sollen gemeinsam<br />

in ein Boot. Das muss ein ziemlich großes Boot<br />

sein, und es muss klar sein, wer an welcher Stelle rudert<br />

und wer steuert. Gerade vor dem Hintergrund der<br />

Finanzknappheit in den öffentlichen Haushalten und<br />

all der Schwierigkeiten, wenn staatliche Institutionen<br />

versuchen, die Rahmenbedingungen für Zivilgesellschaft<br />

zu <strong>gestalten</strong>, müssen wir deutlich machen, was<br />

wir nicht meinen. Es geht nicht um die Indienstnahme<br />

der Zivilgesellschaft für den Staat. Es geht nicht<br />

um die Instrumentalisierung zivilgesellschaftlicher<br />

Akteure für die Legitimation einer vielleicht nicht so<br />

13


Olk - Begrüßung<br />

gelungenen staatlichen Politik. Es geht aber andersherum<br />

auch nicht darum, einfach nur Forderungen<br />

an den Staat zu erheben. In diesen Rollen gefallen<br />

wir uns ja oft. Lobbyisten kennen ihr Geschäft: noch<br />

eine Forderung, noch ein Wahlprüfstein, stellen wir<br />

mal eine Forderung an andere. Das sind die eingeübten<br />

Rollen, die wir schon kennen, und die müssen<br />

wir überdenken.<br />

Worum geht es aber im positiven Sinne? Es geht um<br />

das Zusammenspiel der vielen unterschiedlichen<br />

Akteure, deshalb Governance. All die genannten Akteure<br />

handeln nach unterschiedlichen Spielregeln.<br />

Sie sollen in einem gemeinsamen Prozess zusammengebracht<br />

werden, um auszuhandeln, was gemeinsam<br />

geht und was nicht geht. Dabei muss auch<br />

über den Tellerrand der Tagespolitik hinausgeschaut<br />

werden. Die Tagespolitik ist wichtig und muss abgearbeitet<br />

werden. Aber es bedarf auch eines Leitbildes,<br />

an dem sich die Akteure orientieren können. Wo soll<br />

es hingehen? Was bedeutet zivilgesellschaftliche Politik?<br />

Was heißt Stärkung von Zivil- oder Bürgergesellschaft?<br />

Wenn wir darüber mal intensiv sprechen, wird<br />

auch mancher Unterschied zu Tage kommen.<br />

Die Bürgergesellschaft ist kein Kuchenbacken. Es<br />

ist das zivile Austragen von Konflikten und unterschiedlichen<br />

Meinungen und Positionen. Das muss<br />

möglich sein, aber nach den zivilgesellschaftlichen<br />

Regeln, nämlich gewaltfrei und mit Empathie für die<br />

Rolle des anderen. Zu diesen zivilgesellschaftlichen<br />

Regeln gehört auch <strong>–</strong> und das ist ein wichtiger Punkt<br />

- eine Konsensorientierung in dem Sinne, dass man<br />

schaut, welche produktiven gemeinsamen Ergebnisse<br />

bekommen wir denn hin, ohne dass einer seine<br />

Interessenlage verleugnen muss. Das gilt für alle<br />

drei Akteursgruppen: Zivilgesellschaft, Wirtschaft<br />

und Staat. Der vor uns liegende Prozess im Nationalen<br />

Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation bietet<br />

die große und neue Chance, sich intensiver mit der<br />

Perspektive des jeweils anderen auseinanderzusetzen.<br />

In Kenntnis dieser anderen Perspektive lassen<br />

sich bessere Lösungen für die Rahmenbedingungen<br />

der Zivilgesellschaft erarbeiten. Denn eine Politik zur<br />

Unterstützung der Rahmenbedingungen des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s muss Akteure darin stärken,<br />

etwas zu tun, das sie sowieso tun würden, wenn<br />

man sie ließe. Es gibt heute eine Reihe von Bedingungen,<br />

die das erschweren. Das kann sich beim Kuchenbacken<br />

für den Vereinsbasar schon zeigen.<br />

Bei einem solchen Prozess des Perspektivwechsels<br />

und der gemeinsamen Auseinandersetzung, zu<br />

dem ich sich alle herzlich einladen möchte, gibt es<br />

natürlich auch Risiken. Er zwingt uns, unsere eigene<br />

14<br />

Perspektive nicht zu verwischen. Es muss klar sein,<br />

wer was gesagt und wer was zu verantworten hat.<br />

Es bleibt dabei, jeder hat seine Rolle, jeder hat seine<br />

ureigenen Interessen und Sichtweisen. Nach dem<br />

Prozess muss man unterscheiden können, was einerseits<br />

von wem in den Prozess eingebracht wurde<br />

und was andererseits politisch umgesetzt wurde. Das<br />

betrifft einen besonders wichtigen Punkt: Das, was<br />

staatliche Politik ist, muss von den verfassungsrechtlich<br />

dafür vorgesehenen Organen auch verantwortet<br />

werden. Zivilgesellschaft maßt sich nicht an, eine Verantwortung<br />

zu übernehmen, die verfassungsgemäß<br />

dafür vorgesehene politische Organe zu tragen haben.<br />

Insofern bleibt es bei dem Recht der Politik auf<br />

die Durchsetzung bindender Entscheidungen. Aber<br />

sowohl Wirtschaft als auch Zivilgesellschaft sind an<br />

dem Prozess beteiligt, Themen, Anliegen und Sichtweisen<br />

in diesen Prozess einzubringen. Dadurch<br />

werden, so ist die Hoffnung, die politischen Entscheidungsträger<br />

schlauer und damit die politischen Resultate<br />

besser als sie ohne die Beteiligung wären.<br />

Dieser verbesserte politische Output stellt einen politischen<br />

Mehrwert für diesen schwierigen Prozess dar.<br />

Er ermöglicht eine größere Berücksichtigung von Anliegen<br />

und Themen aus der Gesellschaft. Damit wird<br />

Politik sach-, problem- und realitätsnäher. Und es gibt<br />

eine echte Beteiligung der eben genannten Akteure.<br />

Dadurch wird die Politik bei diesen auch besser legitimierbar<br />

und nachvollziehbarer. Nur solange der<br />

Prozess diesen Mehrwert bringt, ist er auch sinnvoll.<br />

Der Erfolg des Prozesses hängt aber davon ab, dass<br />

alle Beteiligten mitmachen, nicht blockieren, ihre Rolle<br />

angemessen ausfüllen und Verantwortung übernehmen.<br />

Um zu beurteilen, inwiefern das Nationale<br />

Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation diesen Ansprüchen<br />

gerecht wird, muss der Prozess, der ein<br />

Governance-Experiment darstellt, selbst der Evaluation<br />

unterliegen. Man muss kritisch schauen: Haben<br />

wir bessere Ergebnisse? Haben wir eine bessere<br />

Berücksichtigung? Haben wir Beteiligung? Haben wir<br />

mehr Akzeptanz von politischen Maßnahmen? Oder<br />

nicht? Das wären genau die Fragen, die es nach<br />

Ende des Prozesses zu beantworten gilt.<br />

Ich möchte noch kurz die Rolle des <strong>BBE</strong> in diesem<br />

Prozess als Veranstalter des Nationalen Forums für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation erläutern. Das <strong>BBE</strong><br />

ist ein trisektorales Netzwerk. Wir haben über 240<br />

Mitgliedsorganisationen aus allen drei Bereichen der<br />

Gesellschaft und müssen ein breites Spektrum von<br />

Akteuren vernetzen. Damit verfügen wir über ideale<br />

Voraussetzungen, die Rahmenbedingungen für<br />

den Prozess zu schaffen. Außerdem können wir uns<br />

Partikularismen nicht leisten. Denn es würde sofort


auffallen und Widerstand hervorrufen, wenn wir zu<br />

Gunsten bestimmter Bereiche und zu Lasten anderer<br />

agieren würden. Wir müssen alle Akteursgruppen<br />

und ihre berechtigten Anliegen im Auge haben. Und:<br />

Wir sind akzeptiert, das hat sich in drei Workshops<br />

mit allen drei Stakeholder-Gruppen im Vorfeld gezeigt.<br />

Darin sehen wir eine Verpflichtung, es gut zu<br />

machen. Wir haben diese Verpflichtung übernommen.<br />

Es hat sich im letzten Jahr gezeigt: Manches,<br />

was in kürzester Zeit machbar war, wäre ohne die<br />

<strong>Strukturen</strong> des <strong>BBE</strong> nicht machbar gewesen. All das<br />

zeigt, dass das <strong>BBE</strong> als Veranstalter eines solchen<br />

Prozesses sehr gut geeignet ist. Insofern ist es nicht<br />

ganz zufällig, dass das Bundesministerium das <strong>BBE</strong><br />

gebeten hat, das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation zu veranstalten.<br />

Wie geht es nun weiter? Was passiert in den nächsten<br />

Monaten und im Laufe des heutigen Tages? Das<br />

Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation ist<br />

ein echter Begleitungsprozess, der auch die Begleitung<br />

der Ressortabstimmung umfassen soll. Das ist<br />

ein Novum und in dieser Form noch nie geschehen.<br />

Es wird so sein, dass wir einen ersten Kabinettsbeschluss<br />

vorbereiten, der noch für dieses Jahr erwartet<br />

wird. Es wird aus der Fülle der möglichen Themen<br />

erstmal um sechs spezifische Themenbereiche gehen:<br />

Zuwendungsrecht, Freiwilligendienste, Bildung<br />

und <strong>Engagement</strong>, Erwerbsarbeit und <strong>Engagement</strong>,<br />

Infrastruktur sowie Unternehmen und <strong>Engagement</strong>.<br />

Dieses sind keineswegs die einzigen und vielleicht<br />

auch nicht in jeder Hinsicht die dringlichsten Themen.<br />

Aber die politische Tagesordnung legt es nah,<br />

sie jetzt zu bearbeiten. Neben diesen Themen gibt es<br />

weitere wichtige Themen. Denken sie z. B. an sozialräumliche<br />

Prozesse, etwa Programme wie Soziale<br />

Staat, überhaupt die Bedeutung bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s für die Kommune. Der Prozess müsste<br />

nach dieser Runde von Dialogforen weitergehen. Herr<br />

Hackler hat ja angedeutet, dass es auch so geplant<br />

ist. Wenn Sie also nicht mit ihrem Lieblingsthema dabei<br />

sind, gibt es einen Themenspeicher, in den wir es<br />

gerne aufnehmen. Wir sind gespannt auf Hinweise,<br />

welche Themen uns womöglich durch die Lappen<br />

gegangen sind. Wenn also alles so weiter läuft wie<br />

geplant, wird es weitere Dialogforen geben. Die sind<br />

aber noch der Schnee von Übermorgen.<br />

Jetzt geht es darum, in den Dialogforen ganz konkret<br />

an den Themenschwerpunkten für die ersten sechs<br />

Themenfelder zu arbeiten. Im letzten Jahr haben wir<br />

Netze ausgeworfen und erstmal alles eingesammelt,<br />

was uns zu bestimmten Themen einfällt und gesagt<br />

wird. Das ist einfach, da muss man sich noch nicht so<br />

sehr konzentrieren. Wir sind jetzt aber in einer Phase<br />

Olk - Begrüßung<br />

des Prozesses, in der es nicht mehr darum geht, alle<br />

Fragen aufzuwerfen und alles für wichtig zu halten.<br />

Jetzt geht es um Fokussierung und darum, Prioritäten<br />

zu setzen.<br />

Jetzt müssen wir sagen, was in den Bereichen, in<br />

denen wir politisch etwas bewegen wollen, die ganz<br />

wichtigen Dinge sind und was zu diesen Themen im<br />

Kabinettsbeschluss stehen sollte. Das steht heute und<br />

im April an. Im Anschluss an die gleich stattfindende<br />

Podiumsdiskussion werden sich Expertinnen und<br />

Experten in den trisektoral besetzten sechs Arbeitsgruppen<br />

an die Arbeit machen, Überschriften für diese<br />

Themen zu finden. Die Ergebnisse werden an das<br />

Ministerium weitergereicht und dann die Diskussionsgrundlage<br />

für den weiteren Prozess sein. Die Aufgabe<br />

ist nicht, möglichst viele Forderungen an die Regierung<br />

zu stellen. Das wäre nicht produktiv und würde<br />

den politischen Prozess mit Themen überladen, die<br />

man nicht abarbeiten kann. Wir müssen fokussieren,<br />

was ist besonders wichtig, was muss jetzt unbedingt<br />

und was kann später geregelt werden. Noch einmal:<br />

Alle Beteiligten bleiben in ihrem Verantwortungsbereich.<br />

Niemand muss Angst haben, dass er instrumentalisiert<br />

oder für Zwecke missbraucht wird. Es<br />

geht um einen konstruktiven Prozess des sich Aufeinandereinlassens<br />

in einem Aushandlungsprozess in<br />

einem spannenden Governance-Experiment, das, so<br />

hoffen wir, zu anderen, zu besseren Resultaten führt<br />

als durch die üblichen Formen der Politikrituale erwartbar<br />

gewesen wäre. Natürlich gibt es die üblichen<br />

Formen des Lobbying, der Einflussnahme weiterhin.<br />

Keiner kann oder will das einschränken. Klassische<br />

Verbändeanhörungen, Runden mit und ohne Kamin<br />

und ähnliche Formate werden weiter stattfinden. Es<br />

geht darum, diesen Prozess zu <strong>gestalten</strong>, und alles<br />

andere läuft weiter wie gehabt. In diesem Sinne bitte<br />

ich Sie heute, ihren Sachverstand und ihre Expertise<br />

einzubringen, konstruktiv mitzuarbeiten, und ich freue<br />

mich auf einen spannenden Prozess. Vielen Dank für<br />

ihre Aufmerksamkeit.<br />

15


Podiumsdiskussion<br />

Anke Schaefer (Moderatorin):<br />

In der kommenden Stunde geht es darum, wie eine nationale<br />

<strong>Engagement</strong>strategie sinnvoll und zielgerichtet<br />

entwickelt werden kann. Wie also, um mit den Worten<br />

von Prof. Olk zu sprechen, soll das große Boot aussehen,<br />

in dem jeder genau weiß wo er sitzt, wer rudert<br />

und wer steuert. Ich möchte Ihnen gerne die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer des Podiums vorstellen:<br />

Christoph Linzbach ist Unterabteilungsleiter im Bundesministerium<br />

für Familie Senioren, Frauen und Jugend<br />

Prof. Dr. Thomas Olk ist Vorsitzender des <strong>BBE</strong>-<br />

Sprecherrates.<br />

Markus Grübel ist Mitglied der CDU-Bundestagsfraktion<br />

und Vorsitzender des Unterausschusses Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> im Deutschen Bundestag.<br />

Sibylle Laurischk ist Mitglied der FDP-Bundestagsfraktion<br />

und Vorsitzende des Familienausschusses<br />

im Deutschen Bundestag<br />

Monika Helbig ist Staatsekrerärin im Berliner Senat<br />

und Beauftragte des Landes Berlin für Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>.<br />

Dr. Marita Hilgenstock betreut bei der RWE-AG das<br />

Thema Corporate Responsibility.<br />

Moderatorin:<br />

Es ist wichtig, die unterschiedlichen Perspektiven zusammenzuführen.<br />

Wie kann eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie<br />

aus Sicht des Ministeriums, aus Sicht<br />

des Parlamentes, aus Sicht des Landes Berlin und<br />

eben auch aus Sicht der Zivilgesellschaft entwickelt<br />

werden. Und nicht zuletzt: Was erwartet die Wirtschaft?<br />

Zunächst eine Frage an Herrn Linzbach. Wie<br />

skizzieren Sie die wichtigsten Aspekte einer nationalen<br />

<strong>Engagement</strong>strategie?<br />

Christoph Linzbach:<br />

Noch liegt die Strategie nicht vor. Sie wissen, dass<br />

wir im vergangenen Jahr einen Prozess hatten, der<br />

16<br />

auch in einer Kabinettsbefassung mündete und danach<br />

in Abstimmung mit der Zivilgesellschaft weitergeführt<br />

wurde. Ich will das mit dem vergleichen, was<br />

wir dieses Jahr vorhaben. Prof. Olk hat zurecht gesagt,<br />

dass wir nicht dasselbe erneut auflegen dürfen, was<br />

wir im vergangenen Jahr gemacht haben. Wichtig ist,<br />

dass ein Text für die Kabinettsbefassung Substanz<br />

hat. Er sollte wesentliche Vorhaben, zwei bis drei, so<br />

unsere Vorstellung, der anderen Bundesressorts aus<br />

ihren jeweiligen Zuständigkeitsfeldern beinhalten. Das<br />

wird die Grundlage für die Ressortabstimmung sein.<br />

Vorgeschaltet haben wir jetzt diese Veranstaltung mit<br />

den sechs Themenschwerpunkten. Die Koordinierungsstelle<br />

des Nationalen Forums für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation wird uns dann in den nächsten Tagen<br />

eine Zusammenfassung übermitteln. Wir werden uns<br />

dann in den nächsten Wochen zu den Ergebnissen der<br />

jeweiligen Dialogforen verhalten. Wir stellen uns vor,<br />

dass wir in den nächsten Wochen auf der Grundlage<br />

dessen, was heute und in den Dialogforen im April erarbeitet<br />

wird, eine Einschätzung darüber vornehmen<br />

werden, was aus unserer Sicht in eine Ressortabstimmung<br />

eingebracht werden könnte. Das heißt: Wir greifen<br />

ganz konkret die Themen auf, die heute hier bearbeitet<br />

werden, und bringen sie in den Prozess ein. Mir<br />

ist wichtig eines deutlich zu machen. Es handelt sich<br />

um einen integrierten Prozess. Hier sind auch Ressortvertreterinnen<br />

und Ressortvertreter anwesend und sie<br />

werden auch an den Foren im April teilnehmen. Es ist<br />

also ein kontinuierlicher Diskussionsprozess. Danach<br />

beginnt dann die eigentliche Ressortabstimmung. Bitte<br />

nageln Sie mich heute noch nicht fest, für wann wir<br />

eine Kabinettsbefassung vorsehen. Wir müssen erst<br />

einmal ein Gefühl dafür bekommen, wie viel Zeit auch<br />

die anderen Bundesressorts benötigen, die vielleicht<br />

nicht so nah am Thema <strong>Engagement</strong> sind wie wir, um<br />

ihre Beiträge zu liefern. Aber für dieses Jahr auf jeden<br />

Fall, lieber früher als später, damit wir dann auch in der<br />

Nachfolge eines Kabinettsbeschlusses noch ausreichend<br />

Zeit haben wichtige Vorhaben umzusetzen.


Moderatorin:<br />

Vielen Dank. Eine Frage an Herrn Grübel: Wie sehen<br />

Sie aus Sicht des Parlaments die nationale <strong>Engagement</strong>strategie?<br />

Markus Grübel:<br />

Als Parlament setzen wir die Regierung ein und kontrollieren<br />

sie. Wir begrüßen es, dass die neue Regierung<br />

fortsetzt, was die alte Regierung begonnen hat. Manchmal<br />

gibt es auch Brüche beim Regierungswechsel. Wir<br />

haben den Unterausschuss Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

wieder eingerichtet und, etwas pathetisch gesagt,<br />

es befindet sich im Einsetzungsbeschluss fast der<br />

Ritterschlag für das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation. Dort haben wir das Nationale Forum<br />

für <strong>Engagement</strong> und Partizipation ausdrücklich erwähnt.<br />

Ich zitiere unter den Aufgaben: „ ... im Dialog mit den zivilgesellschaftlichen<br />

Akteuren, wie z. B. dem Nationalen<br />

Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation, den Trägern im<br />

gemeinnützigen Sektor, den Wohlfahrtsverbänden, den<br />

kommunalen Spitzenverbänden, den Dachverbänden<br />

der unterschiedlichen Bereiche (Kultur, Sport, Soziales,<br />

Gesundheit, Bildung, Katastrophen- und Bevölkerungsschutz<br />

u. a.) an der Fortentwicklung der <strong>Engagement</strong>politik<br />

des Bundes mitzuwirken.“ Wir haben uns das ausdrücklich<br />

in den Aufgabenkatalog hinein geschrieben. Sie<br />

haben auf dem Banner stehen: „Das Nationale Forum für<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation begleitet die Bundesregierung.“<br />

Auch wir begleiten als Unterausschuss die Bundesregierung,<br />

und das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation begleitet, so empfinden wir das, unsere<br />

Arbeit im Unterausschuss. Wir haben im Unterausschuss<br />

in den nächsten Monaten Themen auf der Tagesordnung,<br />

die auch Ihre Themen sind. Auch Themen aus den<br />

Dialogforen, wie z. B. die Weiterentwicklung der Freiwilligendienste,<br />

wie die Reform des Zuwendungsrechtes, wie<br />

<strong>Engagement</strong>förderung als Infrastrukturförderung, etc. So<br />

sind wir verhältnismäßig eng verzahnt. Zum Auftakt haben<br />

wir die erste Arbeitssitzung mit einem Bericht aus<br />

dem <strong>BBE</strong> und aus dem Nationalen Forum für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation begonnen, weil wir im Grunde an<br />

der gleichen Sache arbeiten und den Prozess begleiten.<br />

Moderatorin:<br />

Abgeordnete sind aber sehr eingespannt in Sitzungen<br />

etc. Werden sich die Abgeordneten dezidiert in diesen<br />

Prozess einbringen?<br />

Markus Grübel:<br />

Selbstverständlich ja.<br />

Moderatorin:<br />

Frau Laurischk, wollen sie da noch etwas hinzufügen?<br />

Vielleicht auch die Rolle, die die Bundesfamilienministerin<br />

hier spielen kann?<br />

Podiumsdiskussion<br />

Sibylle Laurischk:<br />

Wir hatten gestern eine Sitzung des Unterausschusses,<br />

und die Ministerin war in dieser Sitzung<br />

auch dabei und hat ihre Vorstellungen in einer ersten<br />

Befassung darlegen können. Es ist ein wichtiges Signal,<br />

dass auch in einem Unterausschuss dargestellt<br />

wird, dass die Regierung sich der Aufgabe, die im<br />

Koalitionsvertrag steht, widmen wird. Dass wir als<br />

Parlamentarier Einfluss nehmen werden, da können<br />

sie sicher sein. Mir war aus der Erfahrung in der<br />

vergangenen Legislaturperiode, in der das Thema<br />

Integration im Bundestag immer wieder eine Rolle<br />

gespielt hat, sehr wichtig, in der Aufgabenstellung<br />

des Unterausschusses auch das Thema Integration<br />

aufzunehmen und auf die Beteiligung von Menschen<br />

mit Migrationshintergrund in der Zivilgesellschaft<br />

großen Wert zu legen. Ich gehe davon aus, dass im<br />

Nationalen Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

solche Fragen auch Niederschlag finden. Ebenso<br />

sollten sie in allen Ressorts der Bundesregierung<br />

Berücksichtigung finden, sodass das Thema Integration,<br />

das den Zusammenhalt der Gesellschaft fördern<br />

soll, auch insofern eine ganz breite Aufstellung findet.<br />

Denn sie gelingt nur, wenn wir in der Zivilgesellschaft<br />

die Gemeinsamkeiten herausstellen und wegkommen<br />

von Ghetto- und Ausgrenzungssituationen. Das<br />

ist ein sehr anspruchvolles Feld, das wir sicher nicht<br />

in kurzer Zeit bewältigen können. Aber gerade deswegen<br />

braucht es eine Strategie, eine lang angelegte<br />

Zielsetzung.<br />

Moderatorin:<br />

Frau Helbig, Sie sprechen für das Land Berlin. Wir<br />

haben gehört, dass wir die Strategie brauchen, dass<br />

wir sie wollen. Vielleicht gibt es aber auch den ein<br />

oder anderen Stolperstein aus ihrer Sicht?<br />

Monika Helbig:<br />

Die Tatsache, dass wir heute hier zusammen sitzen,<br />

ist eine Entwicklungslinie, angefangen mit der<br />

Bestandsaufnahme der Enquete-Kommission seinerzeit,<br />

der Runde von Dialogforen, die am Ende<br />

der letzten Legislaturperiode stattfand. Ich bin sehr<br />

dankbar, dass sowohl von Herrn Prof. Olk als auch<br />

von Herrn Hackler sehr klar herausgearbeitet wurde,<br />

dass alle Ebenen auch in ihrer Zuständigkeit beteiligt<br />

werden müssen. Das ist einer der Hauptkritikpunkte<br />

gewesen, den auch ich schon in der Vergangenheit<br />

mehrfach formuliert habe. Letztendlich kümmert sich<br />

der Bund um ein wichtiges Thema. Aber man muss<br />

sehr genau hinsehen, welche Akteure gibt es schon,<br />

die eine Menge Gutes tun. Ich habe es so verstanden,<br />

dass alle Akteure in diesem Prozess mitgenommen<br />

werden sollen. Ich fand den Satz von Herrn<br />

Hackler sehr schön: „Demokratie ist nur so stark wie<br />

17


Podiumsdiskussion<br />

Zivilgesellschaft unabhängig ist.“ Das ist einer der<br />

Schlüsselsätze für das, was hier passieren muss,<br />

wenn wir von einer nationalen <strong>Engagement</strong>strategie<br />

reden. Das Land Berlin macht eine Menge. Wir<br />

sind dabei, eine umfassende <strong>Engagement</strong>plattform<br />

zu entwickeln, wo man im Internet die Szene erkennen<br />

kann, also sehen, welches <strong>Engagement</strong> es gibt.<br />

Das ist ein Ansatz, der auch für den Bund interessant<br />

ist. Was aber immer wieder Kritik hervorgerufen hat,<br />

wenn man Eckpunkte miteinander verabredet, ist die<br />

Frage: Was erreicht man mit vom Bund finanzierten<br />

Modellprojekten? Es gibt eine Menge guter Ansätze,<br />

die finanziert wurden, dann endet die Finanzierung<br />

des Bundes und die Länder oder die Kommunen<br />

sind nicht in der Lage, diese Projekte, die gut<br />

entstandenen Ideen weiterzufinanzieren. Ich möchte<br />

wiederholt appellieren, dass man in künftigen Überlegungen<br />

dieses gleich berücksichtigt. Wie soll es am<br />

Ende der Kette weitergehen mit den guten Ideen, die<br />

entstanden sind. Wenn ich mir noch etwas wünschen<br />

darf, was am Ende in einer nationalen Strategie stehen<br />

soll und kann, dann bitte ich darum, einfach mal<br />

auf die Kompetenzverteilung innerhalb der Republik<br />

zu schauen und zu sehen, was bundesgesetzlich regelbar<br />

ist. Wir werden natürlich mit solch einer Strategie<br />

wieder in eine Situation kommen, dass sie irgendwann<br />

einmal im Bundesrat landet. Auch da habe<br />

ich als zuständige Staatssekretärin im Land Berlin<br />

mit dem Thema zu tun und sehe schon, dass dann<br />

alle wieder auf dem Baum sind und sagen, dass die<br />

Kompetenzverteilung innerhalb der Republik verletzt<br />

wurde. Deswegen kann ich nur an den Bund appellieren,<br />

zu prüfen, was bundesgesetzlich möglich ist. Da<br />

spielen Haftungsrecht, steuerrechtliche Änderungen,<br />

aber z. B. auch die Frage, wie <strong>Engagement</strong> als Brücke<br />

in die Erwerbsarbeit genutzt werden kann, eine<br />

wichtige Rolle. Wie gehe ich mit den erworbenen<br />

Kompetenzen im Rahmen von <strong>Engagement</strong> um? Wie<br />

kann ich vielleicht eine gesetzliche Verpflichtung für<br />

Unternehmen schaffen, dass sie das bei ihrer Personalauswahl<br />

berücksichtigen. Das wäre ein Beispiel,<br />

das mir konkret einfällt.<br />

Moderatorin:<br />

Bevor wir zu Frau Dr. Hilgenstock kommen, gleich<br />

die Anschlussfrage an Prof. Olk. Warum braucht man<br />

überhaupt eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie? Warum<br />

muss sie beim Staat verankert sein? Ist nicht die<br />

Zivilgesellschaft in sich stark genug, bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> zu fördern?<br />

Thomas Olk:<br />

Das ist eine wichtige Frage. Natürlich ist es so, dass<br />

auch Skepsis formuliert wird. Auch aus der Zivilgesellschaft<br />

heraus wird immer wieder die Frage<br />

18<br />

gestellt, ob das nicht zu staatslastig ist. Der Begriff<br />

Nationale <strong>Engagement</strong>strategie ist geradezu erfurchterheischend.<br />

Das kann ein Riesending werden<br />

und klingt nach viel Bürokratie und Gleichmacherei.<br />

Man kann das an konkreten Beispielen sehen, ob<br />

es das Freiwilligendienstestatusgesetz oder ähnliche<br />

Dienste sind. Es kann nicht darum gehen, ein<br />

Format durch den Bund zu formulieren und das flächendeckend<br />

in alle Bereiche herunterzudeklinieren.<br />

Das wäre der falsche Weg. Das würde vorhandene<br />

Ressentiments und Vorbehalte stärken. Sondern es<br />

geht darum, Rahmenbedingungen zu setzen, z. B.<br />

qualitative Mindestbedingungen in denen sich Vielfalt<br />

dann auf einem bestimmten qualitativen Niveau<br />

bewegen kann. Solche Dinge sind machbar. Wenn<br />

Akteure der Zivilgesellschaft sagen, sie machen das<br />

alles ganz ohne Staat, habe ich manchmal auch das<br />

Gefühl, dass sie etwas vergessen. Staatliche Institutionen<br />

regeln unseren Alltag jeden Tag, das geht<br />

von der Haftung und Versicherung über Hygienebestimmungen<br />

beim Kuchenbacken bis zu den großen<br />

Fragen. Ohne den Staat fehlen also auch die notwendigen<br />

Rahmenbedingungen für die Zivilgesellschaft.<br />

Es kommt aber darauf an, wie der Staat es macht.<br />

Das wird die entscheidende Frage sein. Nicht Gleichmacherei<br />

über ganz große, einheitliche Programme<br />

und Maßnahmen, wie wir sie schon mal in den 70er<br />

Jahren gehabt haben, wird das Ziel sein. Deswegen<br />

heißt es auch nicht nationaler <strong>Engagement</strong>plan. Es<br />

ist eine Strategie. Das signalisiert eine Pluralität von<br />

Akteuren, die kooperieren und Rahmenbedingungen<br />

setzen.<br />

Moderatorin:<br />

Eine Gruppe sind auch die Unternehmen. Frau Dr.<br />

Hilgenstock, welchen Beitrag können die Unternehmen<br />

dort leisten?<br />

Marita Hilgenstock:<br />

Ich spreche hier für eine Unternehmensgruppe, die<br />

sich gefunden hat, weil die Unternehmen zweierlei<br />

tun, wenn sie sich gesellschaftlich engagieren. Sie<br />

kooperieren mit Institutionen der Zivilgesellschaft und<br />

fördern insbesondere das zivilgesellschaftliche <strong>Engagement</strong><br />

ihrer Mitarbeiter. Wir haben uns zunächst<br />

gefunden, um voneinander zu lernen: Wo muss was<br />

passieren, wo können wir besser werden? Wir sind<br />

immer wieder auf die gleichen Fragen gekommen,<br />

die wir jetzt auch im Rahmen des Nationalen Forums<br />

für <strong>Engagement</strong> und Partizipation und der Strategie<br />

diskutieren. Wir als Unternehmen können durchaus<br />

auch ein aktiver Part sein. Einmal, wenn wir unsere<br />

Mitarbeiter motivieren, sich zu engagieren und ihnen<br />

Möglichkeiten geben, haben wir einen Zugang zu Engagierten,<br />

den wir bisher nicht hundertprozentig ge-


nutzt haben. Auf der anderen Seite haben wir natürlich<br />

auch unsere unternehmerische Kompetenz. Wir<br />

sehen durchaus im Kleinen, das es hilft, wenn wir mit<br />

diesem Know-How an geeigneter Stelle beratend mithelfen<br />

können. Unser Know-How könnte durchaus im<br />

Rahmen der Entwicklung dieser <strong>Engagement</strong>strategie<br />

nutzen, um den einen oder anderen Aspekt mehr<br />

wirtschaftlich, wettbewerbsmäßig zu sehen, ohne<br />

gleich Berührungsängste zu wecken.<br />

Moderatorin:<br />

Auf die Berührungsängste will ich gleich kommen.<br />

Wird Ihnen manchmal Kritik entgegen gehalten, dass<br />

die Unternehmen damit letztendlich doch Geld machen<br />

wollen?<br />

Marita Hilgenstock:<br />

Eher am Rande. Was wir eher sehen ist, dass schon<br />

eine genaue Vorstellung existiert, was Unternehmen<br />

tun sollten. Da fällt das Stichwort „Verpflichtende Bedingungen<br />

für Unternehmen“. Das kann es aus unserer<br />

Sicht nicht sein. Wir sind kreativ und wollen uns<br />

einbringen. Wir wollen da auch für uns selbst einen<br />

Nutzen haben, und wir sehen, dass uns unsere Mitarbeiter<br />

für die Möglichkeiten, die sie haben, danken.<br />

Wir sehen uns aber auch als aktiven Part in der Gesellschaft,<br />

denn auch Unternehmen sind auf den gesellschaftlichen<br />

Zusammenhalt angewiesen, auf Bildung<br />

oder auf eine Lösung der Migrationsprobleme.<br />

Gerade auf dem Pfad einer <strong>Engagement</strong>strategie,<br />

sollten wir uns gemeinsam überlegen, was da machbar<br />

ist. Wir würden uns in einer Rolle wohl fühlen, in<br />

der wir mitarbeiten können. Wir sind im Augenblick<br />

ein stückweit glücklich, aber auf der anderen Seite<br />

hadern wir: Wir haben jetzt ein eigenes Dialogforum<br />

für Unternehmensengagement. Das heißt wir haben<br />

eine gewisse Sonderrolle. Man arbeitet sich damit<br />

langsam an die Rolle von Unternehmen heran. Darüber<br />

muss gesprochen werden, insofern ist es als<br />

Thema wichtig und richtig. Wir halten es aber auch<br />

für wichtig, dass wir in den anderen Themen in den<br />

Dialogforen vertreten sind, und haben auch Kollegen<br />

gefunden, die sich dieser Themen annehmen.<br />

Moderatorin:<br />

Herr Prof. Olk, ich würde gerne fragen: Muss das<br />

noch so sein, dass die Unternehmen ein Dialogforum<br />

für sich haben?<br />

Thomas Olk:<br />

Nein, das muss nicht so sein. In einer solchen Gruppe<br />

lernen vielleicht auch eher andere etwas über Unternehmen<br />

und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>. Die<br />

Unternehmen haben das Problem, dass sie nicht zusammensitzen<br />

möchten, um sich selbst zum Thema<br />

Podiumsdiskussion<br />

zu machen. Das verstehe ich sehr gut. Auf der anderen<br />

Seite gibt es, und das muss man auch sehen, keine<br />

so große geschichtliche Tradition der Kooperation zwischen<br />

Unternehmen und der Zivilgesellschaft, wie z.<br />

B. in England oder den USA. Und es gibt erhebliche<br />

wechselseitige Schwierigkeiten der Anpassung, wenn<br />

Unternehmen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen<br />

etwas gemeinsam machen wollen. Das gilt für<br />

beide Seiten. Da gibt es keine Schuldzuweisungen.<br />

Ein solches Dialogforum macht nur dann Sinn, wenn<br />

dort nicht nur Unternehmensvertreter sitzen. Das wäre<br />

überflüssig. Da müssen die anderen Akteure auch drin<br />

sitzen, da geht es um Fragen der Kooperation und Vernetzung<br />

und die Probleme, die dabei bestehen. Meine<br />

Beobachtung ist, Frau Hilgenstock kann das vielleicht<br />

korrigieren, dass Unternehmen sich gerne untereinander<br />

vernetzen, aber die Vernetzung mit anderen<br />

Akteuren ist eine Aufgabe, die noch vor uns liegt. Das<br />

sehen wir als <strong>BBE</strong>, da wollen wir weiterkommen und dafür<br />

brauchen wir möglicherweise eine solche Gruppe.<br />

Moderatorin:<br />

Herr Linzbach, wie beurteilen sie die Zusammensetzung<br />

der heutigen Foren und speziell das Forum, in<br />

dem sich Unternehmen äußern werden?<br />

Christoph Linzbach:<br />

Ich finde das Thema <strong>Engagement</strong> und Unternehmen<br />

sehr spannend. Wir haben vorgesehen, dass wir in<br />

dieser Legislaturperiode den ersten <strong>Engagement</strong>bericht<br />

der Bundesregierung vorlegen werden. Der wird<br />

sich in einem allgemeinen Teil mit einem Überblick<br />

über die Situation des <strong>Engagement</strong>s in Deutschland<br />

beschäftigen. In einem zweiten Teil wird er das Thema<br />

Unternehmensengagement aufgreifen. Da hat<br />

sich in den vergangenen Jahren viel getan. Viele Unternehmen<br />

entwickeln ein neues Selbstverständnis.<br />

Sie sehen sich zunehmend auch als gesellschaftlich<br />

relevante Akteure vor Ort. Es gibt nach wie vor viele<br />

kleine lokale Unternehmen, die dann z. B. die Trikots<br />

von einem Verein finanzieren. Das ist und bleibt wichtig.<br />

Das Rollenverständnis im Themenfeld <strong>Engagement</strong><br />

von Unternehmen verändert sich. Das sollten<br />

wir verfolgen und begleiten und für das gesamte <strong>Engagement</strong>feld<br />

nutzen.<br />

Monika Helbig:<br />

In der Tat gibt es sehr unterschiedliche Ausprägungen<br />

von <strong>Engagement</strong> in Unternehmen. Herr Linzbach hat<br />

die kleinen lokalen Partnerschaften angesprochen.<br />

Es gibt aber auch große Unternehmen, die zum Teil<br />

schon eigene CSR-Abteilungen haben. Die sehen<br />

das mehr aus dem Personalentwicklungsaspekt. Die<br />

<strong>Engagement</strong>bewegten wünschen sich mehr Vernetzung<br />

in die Zivilgesellschaft.<br />

19


Podiumsdiskussion<br />

Ein ganz wichtiger Aspekt sind auch Unternehmen,<br />

die Patenschaften haben und zum Beispiel junge<br />

Leute in Ausbildungsverhältnissen beim Start ihres<br />

Berufslebens begleiten. Das kann und sollte man befördern,<br />

denn da kann man mehrere Fliegen mit einer<br />

Klappe schlagen. Auf der einen Seite kann man jungen<br />

Menschen, die keinen erstklassigen Bildungsabschluss<br />

haben, eine Chance bieten. Auf der anderen<br />

Seite können die Unternehmen auch ihren eigenen<br />

Nachwuchs rekrutieren. Das ist eine Idee, die man<br />

noch mehr transportieren und verstärken könnte, und<br />

man muss prüfen welche gesetzlichen Regelungen<br />

das flankieren können.<br />

Moderatorin:<br />

Das Thema ist wichtig. Noch eine Replik darauf von<br />

Frau Dr. Hilgenstock?<br />

Marita Hilgenstock:<br />

Ich kann dem nur zustimmen. Gerade bei der Frage,<br />

wie kommen Jugendliche oder Langzeitarbeitslose<br />

in Arbeit, können Unternehmen Ideen entwickeln,<br />

die auch dem Unternehmen selbst nutzen. Wir sprachen<br />

von Interessen der Zivilgesellschaft. Es gibt<br />

gemeinsame Interessen von Zivilgesellschaft und<br />

Unternehmen. Da haben wir eine gute Chance, gemeinsam<br />

etwas auf den Weg zu bringen. Wenn wir<br />

diese gemeinsamen Punkte gefunden haben, dann<br />

ist es auch für diejenigen, die gesellschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

in den Unternehmen verantworten und<br />

deren Auftrag es zunächst ist, Geld zu verdienen,<br />

leichter zu vermitteln. Wir müssen uns nicht um Fördermittel<br />

kümmern, aber wir müssen uns in dem<br />

Unternehmen schon rechtfertigen, wofür wir Geld<br />

ausgeben. Das sollte man anerkennen. Da können<br />

Zivilgesellschaft und Politik Hilfestellungen geben,<br />

dass wir gemeinsame Handlungsfelder finden. Dann<br />

wird es auch nachhaltig gemacht.<br />

Moderation:<br />

Lassen sie uns noch über den Prozess des Findens<br />

der Strategie sprechen. Frau Helbig, was erwarten<br />

Sie genau von diesem Prozess? Sollte man nicht ein<br />

klares Ziel haben, was am Ende dieses Findungsprozesses<br />

stehen sollte?<br />

Monika Helbig:<br />

Ich wünsche mir schon, dass es am Ende konkrete<br />

Ideen gibt, was letztendlich diese nationale <strong>Engagement</strong>strategie<br />

ausmacht. Da müsste auf der einen<br />

Seite die Definition des Feldes der Zivilgesellschaft<br />

stehen und auf der anderen Seite die Handlungsmöglichkeiten,<br />

die vorrangig seitens des Bundes<br />

auch ergriffen werden können. Ein wichtiger Punkt ist<br />

das Thema Transparenz. Berlin hat aktuell eine sehr<br />

20<br />

schwierige Debatte zu diesem Thema. Die Frage<br />

Transparenz im Dritten Sektor spielt sowohl für das<br />

<strong>Engagement</strong> als auch für den Zuwendungsgeber auf<br />

mehrfachen Ebenen eine Rolle. Ich würde mir wünschen,<br />

dass der Bund dieses Thema hier an dieser<br />

Stelle noch mal bearbeitet. Das könnte eines der Ergebnisse<br />

aus den Foren sein, dass man Eckpunkte<br />

definiert, was man unter Transparenz versteht. Was<br />

muss letztendlich für die, die sich engagieren oder<br />

Geld geben wollen, an Information öffentlich sein. Wir<br />

machen in Berlin eine umfassende Plattform „Engagiert<br />

in Berlin“, und da haben wir ein paar Transparenzgrundsätze<br />

definiert. Weil wir der Meinung sind,<br />

dass das zwingend erforderlich ist, wenn man das<br />

Thema <strong>Engagement</strong> befördern will.<br />

Moderatorin:<br />

Transparenz soll auch dadurch erreicht werden, dass<br />

man sich auch online an den Foren beteiligen kann,<br />

Herr Olk?<br />

Thomas Olk:<br />

Bürgerbeteiligung ist eine andere Art der Transparenz.<br />

Wir wollen das nicht durcheinander bringen.<br />

Bürgerbeteiligung über diese Online-Befragung ist<br />

wichtig und daher auch Teil des Prozesses. Es ist<br />

auch eine neue Form, über das Internet Beteiligung<br />

zu verbreitern. Aber hier geht es klar um eine Bringschuld<br />

des Dritten Sektors. Die Organisationen,<br />

die sich selbst zivilgesellschaftlich nennen - das<br />

ist ein Qualitätsbegriff -, müssen da auch gewisse<br />

Standards erfüllen. Dazu gehört auch Transparenz<br />

über bestimmte Parameter ihres Handelns. Dann<br />

kann man auch an andere entsprechende Forderungen<br />

stellen und ist für Dritte, die sich freiwillig<br />

engagieren wollen, durchsichtig. Das ist ein gutes<br />

Thema. Ein anderes wichtiges Thema ist natürlich<br />

die Infrastruktur. Wir haben immer noch ein großes<br />

Problem, das nicht kleiner wird, gerade wegen der<br />

Finanzschwierigkeiten auf kommunaler Ebene. Wir<br />

haben auf der kommunalen Ebene die vielen Infrastruktureinrichtungen,<br />

die ganz wichtig sind, wie<br />

der Freiwilligensurvey immer wieder herausarbeitet.<br />

Für die Vermittlung, für die Öffentlichkeitsarbeit,<br />

für die Entwicklung von Organisationen im Freiwilligenmanagement.<br />

Diese Organisationen brauchen<br />

professionelle Kerne vor Ort. Ehrenamt kann nicht<br />

alleine durch Ehrenamtliche angeregt, vermittelt und<br />

betreut werden. Ich sehe ein massives Problem der<br />

Glaubwürdigkeit, wenn wir auf der einen Seite auf<br />

der Bundesebene eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie<br />

entwickeln und dann miterleben müssen, wie auf<br />

kommunaler Ebene alles abgeholzt wird, was nach<br />

<strong>Engagement</strong>förderung aussieht. Das wäre eine Katastrophe<br />

und darf nicht passieren.


Moderatorin:<br />

Frau Laurischk, die Frage an sie. Wir haben schon<br />

gehört, dass all das, was heute in den Dialogforen<br />

diskutiert wird, nicht das letzte Wort ist. Aber gibt es<br />

Themen, die auch noch diskutiert werden müssen?<br />

Sibylle Laurischk:<br />

Gerade das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> hat als<br />

Thema eine Offenheit. Wir sollten uns hüten, die<br />

Themen vorzugeben oder abschließend zu betrachten.<br />

Der Prozess in einer freiheitlichen Gesellschaft<br />

muss offen bleiben. Da ist staatliches Handeln ein<br />

gewisses Risiko. Deswegen ist das Stichwort Transparenz<br />

sicherlich gut. Einflussnahme darf nicht dazu<br />

führen, dass bestimmte Felder im bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> en vogue sind und der Rest möglicherweise<br />

außen vor bleibt. Die Offenheit muss auch<br />

in der Dialogfähigkeit der Akteure gewahrt bleiben.<br />

Worum es uns geht, ist das <strong>Engagement</strong> der Bürgerschaft,<br />

der Wirtschaft und auch des staatlichen<br />

Sektors. Das es nicht nur etwas ist, was zufällig<br />

stattfindet und je nach Kassenlage auch geliebt ist,<br />

sondern das es eine Struktur ist, die jede lebendige<br />

Gesellschaft braucht. Nur wenn sich der einzelne<br />

Mensch in seinem Impuls, etwas tun zu wollen, in<br />

dem Recht etwas tun zu können, wiederfindet. Dann<br />

haben wir eine lebendige, eine freiheitliche Gesellschaft.<br />

Dieses Wechselspiel braucht jeder Staat als<br />

Grundlage. Deswegen muss man sich hüten, Themen<br />

zu sehr zu definieren. Es wird heute Aufgabe<br />

der Foren sein, Ansätze zu entwickeln. Die spannende<br />

Frage wird dann sein, wie die Bundesregierung<br />

diese Initiativen, diese Impulse umsetzt und<br />

wie sie das Thema am Laufen hält. Denn was jetzt<br />

in einer ersten Befassung umgesetzt wird, auch in<br />

diesem Jahr noch, wie wir gehört haben, wird nicht<br />

das Ende der Veranstaltung sein. Wir müssen es offen<br />

halten. Bemerkenswert war, was die Ministerin<br />

Schröder gestern im Unterausschuss sagte. Bürger<br />

und Bürgerinnen, die im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

stehen, sind selbstbewusst. Dieser selbstbewusste<br />

Mensch ist Grundlage jeglichen demokratischen<br />

Handelns. Deswegen keine engen Themen,<br />

offen, klar und transparent sein und Infrastruktur im<br />

Rahmen des Möglichen und Notwendigen vorhalten.<br />

Insofern fand ich das Stichwort professionelle Kerne<br />

zu schaffen, die das <strong>Engagement</strong> <strong>ermöglichen</strong> und<br />

leichter machen, interessant.<br />

Moderatorin:<br />

Herr Linzbach, es gibt am Horizont ein Statusgesetz<br />

für Freiwilligendienste zu sehen, aber noch ferner<br />

vielleicht ein Gesetz zur Förderung bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s. Wäre das etwas, was am Ende<br />

stehen könnte?<br />

Podiumsdiskussion<br />

Christoph Linzbach::<br />

Ich kann mir vorstellen, dass das Freiwilligendienstestatusgesetz<br />

auch Teil der Strategie sein<br />

wird. Hier sind wir im Moment in der Hausabstimmung.<br />

Es gibt auch im Verbändebereich Diskussionen.<br />

Es geht darum, die verschiedenen Formate<br />

der Freiwilligendienste unter ein Dach zu stellen.<br />

Die sind sehr unterschiedlich. Der Freiwilligendienst<br />

aller Generationen hat ein Acht-Stunden-<br />

Format, während die Jugendfreiwilligendienste ein<br />

Vollzeitformat sind. Wenn man das in ein Gesetz<br />

bringt und gewisse Standards sicherstellen will,<br />

muss man auf jeden Fall gewährleisten, dass alle<br />

Formate unbeschädigt bleiben und ihre Entwicklungsperspektive<br />

behalten. Außerdem ist im Koalitionsvertrag<br />

der Begriff Förderplan enthalten.<br />

Als Zusammenstellung all der strategischen Maßnahmen,<br />

die die Bundesregierung in diesem Feld<br />

unternimmt, könnte das etwas sein, das man sich<br />

bis zum Ende der Legislaturperiode vorstellen<br />

könnte. Ich stimme ausdrücklich zu, dass die Strategie<br />

mit dem Kabinettsbeschluss nicht am Ende<br />

ist, sondern die Umsetzung erst anfängt. Auch die<br />

Strategie muss weiter entwickelt werden. Das ist<br />

ein Stück Arbeit im Fortschritt, work in progress<br />

könnte man sagen. Der letzte Punkt, den Sie angesprochen<br />

haben, das Gesetz zur Förderung des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s steht sehr weit<br />

am fernen Horizont. Es ist viel gesagt worden über<br />

Zuständigkeiten der Länder, der Kommunen, die zu<br />

beachten sind. Da werden wir im Rahmen der <strong>Engagement</strong>strategie<br />

sehr darauf achten. Das ist ein<br />

Vorhaben, was zwar im Koalitionsvertrag steht, das<br />

ich persönlich in nächster Zeit, ganz offen gesagt,<br />

für nicht realisierbar halte.<br />

Moderatorin:<br />

Wir haben jetzt viel über <strong>Strukturen</strong>, Zuständigkeiten<br />

und Institutionen gesprochen. Zum Abschluss noch<br />

ganz kurz: Warum engagieren Sie sich eigentlich persönlich<br />

für das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong>, Herr<br />

Grübel?<br />

Markus Grübel:<br />

Weil es mir Freude macht, Verantwortung zu tragen.<br />

Da, wo ich als bürgerschaftlich Engagierter tätig bin,<br />

macht es mir Freude, und als Präsident vom Blasmusikverband<br />

sage ich meinen Leuten immer: Ehrenamt<br />

muss Freude machen. In dem Moment, in dem<br />

ich es als Belastung und Qual empfinde, läuft etwas<br />

falsch. Ich habe mit der kirchlichen Jugendarbeit angefangen<br />

und es hat mir immer Freude gemacht. Das<br />

zu vermitteln ist wichtig, nicht immer dieses sich opfern<br />

müssen, sondern es macht mir Freude mich einzubringen,<br />

anderen zu helfen.<br />

21


Podiumsdiskussion<br />

Moderatorin:<br />

Herr Olk, sind Sie, wenn Sie es tun, immer so durchsetzt<br />

von der gesellschaftlichen Relevanz, oder spüren<br />

Sie auch die pure Freude?<br />

Thomas Olk:<br />

Es ist interessant, welches Psychogramm sie gerade<br />

erstellen. Ich bin auch gleichzeitig Vorstandsvorsitzender<br />

einer kleinen Stiftung, die bundesweit versucht,<br />

Bürgergesellschaft zu <strong>gestalten</strong>. Das macht mir<br />

Gestaltungsspaß. Wir haben einen Integrationswettbewerb.<br />

Wir haben schon in einer Zeit, als das noch<br />

nicht so normal war, <strong>Engagement</strong> von Migrantinnen<br />

und Migranten ausgezeichnet. Gestern habe ich von<br />

einem Vertreter dieser Szene die Frage gehört: Ist das<br />

jetzt Migrationsvorder- oder -hintergrund? Der Punkt<br />

ist, dass sie durch das <strong>Engagement</strong> die Aufnahmegesellschaft<br />

mit<strong>gestalten</strong>, und da gab es erstaunlich<br />

kreative Projekte und Ideen. In denen wurde deutlich,<br />

dass Migrantinnen und Migranten keine Adressaten<br />

für Befürsorgung und keine Opfer, sondern Gestalter<br />

sind. Diese Erfahrung ist für mich die Bestätigung,<br />

dass wir auf dem richtigen Weg sind.<br />

Monika Helbig:<br />

<strong>Engagement</strong> ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammen<br />

hält, und deshalb ist es wichtig, dass man neben<br />

dem, was man an professioneller Arbeit leistet, auch<br />

noch etwas tut, das darüber hinausgeht. Da kommt<br />

auch etwas zurück. Man opfert sich nicht nur für jemanden<br />

oder eine Sache auf, sondern man erfährt<br />

auch eine positive Reaktion, wenn man etwas ehrenamtlich<br />

oder freiwillig für die Gesellschaft tut. Jeder,<br />

der diese Erfahrung machen kann oder gemacht hat,<br />

der wird auch nicht mehr loslassen. Deshalb ist es<br />

wichtig denen, die sich vielleicht noch engagieren<br />

wollen, eine Möglichkeit zum <strong>Engagement</strong> zu bieten,<br />

weil sie vielleicht mit einer Idee herumlaufen, aber<br />

noch nicht so richtig den Zugang gefunden haben.<br />

Das ist einer der Punkte, die wir erarbeiten müssen,<br />

diese Möglichkeit zu schaffen.<br />

Moderatorin:<br />

Frau Laurischk, was spüren Sie persönlich, wenn Sie<br />

ehrenamtlich tätig sind?<br />

Sibylle Laurischk:<br />

Durch das Ehrenamt bin ich in die Politik gekommen.<br />

Das ist für viele eine erste Erfahrung. Man will etwas<br />

erreichen, man will etwas verändern. Ganz konkret:<br />

Als ich als Mutter mit drei Kindern im Schlepptau und<br />

der Mütterinitiative Hangrutsche beim Finanzbürgermeister<br />

der Stadt Offenburg erschienen bin und gesagt<br />

habe, dass wir mehr Kindertagesbetreuungseinrichtungen<br />

brauchen und es dort hieß, brauchen wir<br />

22<br />

nicht, da ging das Thema Vereinbarkeit von Familie<br />

und Beruf los. Und spätestens als wir Mütter dann<br />

anfangen mussten, unsere Kinder im Bürgermeisterbüro<br />

zu wickeln, war er schon etwas mehr überzeugt.<br />

Solche Erfahrungen bringen dann auch kommunalpolitisches<br />

<strong>Engagement</strong> und in meinem Fall auch den<br />

Weg in die Politik. So finden Menschen immer wieder<br />

Themen, bei denen sie sagen, da ist was los, da soll<br />

was passieren, da will ich etwas bewegen. Das sind<br />

die Impulse, die wir in einer offenen, freiheitlichen<br />

Gesellschaft brauchen, die wir als Politikerinnen und<br />

Politiker aufnehmen müssen. Das ist mir ungemein<br />

wichtig und ich bin immer noch im Vorstand eines<br />

kleinen Vereins und erlebe dort ganz andere Probleme<br />

als hier in Berlin.<br />

Marita Hilgenstock:<br />

Ich musste gerade bei dem Wickeln schmunzeln. Daran<br />

kann ich gut anknüpfen. Es ist immer schön, in<br />

Projekten zu sehen, was in der Gesellschaft für eine<br />

gestalterische Kraft herrscht. Ich kann mich an das<br />

Dorf erinnern, in dem unsere Tochter zur Welt kam.<br />

Wir hatten keinen Spielplatz, den hat die Dorfjugend<br />

gebaut. Wir hatten keinen Kindergarten. Wir haben<br />

der Kirche den Raum abgeschwatzt. Wir hatten ein<br />

Provisorium, das zehn Jahre gehalten hat, und das<br />

motiviert einen.<br />

Christoph Linzbach:<br />

Ich bin zwar von morgens bis abends von der gesellschaftlichen<br />

Relevanz des bürgerschftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

durchdrungen, insofern kann ich das absolut<br />

bedienen, was sie eben gefordert haben. Ich habe<br />

früher relativ viel gemacht, hätte heute auch gerne<br />

mehr Zeit, mir Initiativen und Projekte vor Ort anzuschauen.<br />

Es gibt viel im Land, das man noch nicht<br />

kennt und gerne kennenlernen möchte und das auch<br />

Wertschätzung verdient. Bei mir konkret steht das<br />

Gespräch mit Frau Dr. Zimmermann an, die mir einen<br />

Platz in einem nachberuflichen Tätigkeitsfeld, wenn<br />

ich mal in Rente gehe, sichern soll. Damit kann man<br />

gar nicht früh genug beginnen.


Dialogforen


• Gerhard Bäumer, Bundesministerium der Finanzen<br />

• Werner Ballhausen, Bündnis für Gemeinnützigkeit<br />

• Dr. Martina Beckmann, Bundesministerium der<br />

Justiz<br />

• Rainer Bode, Landesarbeitsgemeinschaft<br />

Soziokultureller Zentren NRW<br />

• Dr. Christine Bruhn, Deutsche Kinder- und<br />

Jugendstiftung<br />

• Ulla Engler, Deutscher Paritätischer<br />

Wohlfahrtsverband, Gesamtverband<br />

• Dr. Michael Ernst-Pörksen, C.O.X.<br />

Steuerberatungs- und Treuhandgesellschaft<br />

• Wolfgang Gottschlich, Staatskanzlei des<br />

Landes Nordrhein-Westfalen<br />

• Stephan Jentgens, Deutscher Bundesjugendring<br />

• Dirk Kirchner, KPMG<br />

• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Vera Klier, Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

der Seniorenorganisationen<br />

• Volker Languth-Wasem,<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe<br />

Dialogforum „Reform des<br />

Zuwendungsrechts“<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des<br />

Dialogforums am 13. April 2010 und des<br />

vorbereitenden Workshops am 25. März 2010<br />

• Kerstin Piontkowski, Deutscher Verein für<br />

öffentliche und private Fürsorge<br />

• Carsten-Michael Pix, Deutscher Feuerwehrverband<br />

• Matthias Potocki, Unterausschuss Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> des Deutschen Bundestags<br />

• Bernd Roeder, Deutscher Olympischer Sportbund<br />

• Dietrich Schippel, aktiv in Berlin <strong>–</strong> Landesnetzwerk<br />

Bürgerengagement<br />

• Gabriele Schulz, Deutscher Kulturrat<br />

• Tina Seifert, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Dr. Klaus Spieler, Akademie für Ehrenamtlichkeit<br />

Deutschland<br />

• Verena Staats, Bundesverband Deutscher Stiftungen<br />

• Wolfgang Thiel, Deutsche Arbeitsgemeinschaft<br />

Selbsthilfegruppen<br />

• Gerhard Timm, Bundesarbeitsgemeinschaft der<br />

Freien Wohlfahrtspflege<br />

• Michael Triltsch, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend


Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

Regeln vereinfachen <strong>–</strong> Gestaltungsfreiheit schaffen<br />

Bericht über das Dialogforum „Reform des Zuwendungsrechts“<br />

am 13. April 2010 im Deutschen Bundestag<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> findet oft in Organisationen<br />

statt. Ein Großteil dieser Organisationen,<br />

dazu zählen große Verbände genauso wie kleine<br />

Vereine und Initiativen, wird durch öffentliche Gelder<br />

unterstützt und ist damit unmittelbar vom Zuwendungsrecht<br />

betroffen. Ein Zuwendungsrecht, das der<br />

Arbeit zivilgesellschaftlicher Organisationen gerecht<br />

wird und sowohl für Zuwendungsgeber als auch Zuwendungsnehmer<br />

unbürokratisch zu handhaben ist,<br />

ist daher zentral für die Förderung bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s. Es bildet damit wie das Gemeinnützigkeitsrecht,<br />

das Spendenrecht, das Vereinsrecht und<br />

versicherungsrechtliche Bestimmungen einen essentiellen<br />

Baustein der rechtlichen Rahmenbedingungen<br />

für bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>.<br />

Das Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

konnte bei der Erarbeitung seiner Handlungsempfehlungen<br />

am 13. April 2010 an die Diskussion anschließen,<br />

die insbesondere von großen Verbänden<br />

seit längerem geführt wird. Vor allem in den Punkten<br />

Jährlichkeitsprinzip, Festbetragsfinanzierung, Rücklagenbildung,<br />

Besserstellungsverbot, zuwendungsfähige<br />

Ausgaben, Anerkennung bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s als Eigenmittel und Umsatzsteuerrecht<br />

war mit den „Empfehlungen des Deutschen Vereins<br />

zur Entbürokratisierung und Modernisierung des Zuwendungsrechts“<br />

die Debatte schon sehr präzise vorstrukturiert.<br />

Im Rahmen des Dialogforums wurde der aktuelle<br />

Handlungsbedarf jedoch noch einmal genauer beschrieben.<br />

Dabei wurde deutlich, dass zwischen Zivilgesellschaft<br />

und Staat noch massiver Diskussionsund<br />

Klärungsbedarf besteht. Zum Teil treffen sehr<br />

unterschiedliche Wahrnehmungen und Handlungslogiken<br />

aufeinander. Während es den Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft um Flexibilität, mehr Handlungsfreiheit<br />

und Entbürokratisierung geht, dienen die<br />

Regelungen des Zuwendungsrechts aus der Sicht<br />

des Bundesministeriums der Finanzen, des Bundesverwaltungsamtes<br />

und des Bundesrechnungshofes<br />

vor allem dem Grundsatz der sparsamen und missbrauchsfreien<br />

Verwendung öffentlicher Gelder. Beide<br />

Anliegen sind berechtigt. Daher wird es auch künftig<br />

weitere Diskussionen geben. Dies gilt z. B. für das<br />

Jährlichkeitsprinzip. Auf zivilgesellschaftlicher Seite<br />

besteht der wohlbegründete Wunsch, das Prinzip<br />

der Jährlichkeit bei der Mittelzuweisung flexibler zu<br />

<strong>gestalten</strong>, da Projektverläufe im Gegensatz zu öffentlichen<br />

Haushalten nicht vor dem Jahreswechsel Halt<br />

machen. Dagegen weist die staatliche Seite darauf<br />

hin, dass öffentliche Haushalte nicht beliebig in der<br />

Verwaltung gestaltet werden können, sondern von<br />

Parlamenten beschlossen werden. Ein Abrücken<br />

vom Jährlichkeitsprinzip zieht daher die Schwierigkeit<br />

nach sich, mehrjährige Verpflichtungen und damit<br />

auch ungewisse Wechsel auf die Zukunft eingehen<br />

zu müssen. An diesem Beispiel kann man ganz konkret<br />

die Schwierigkeiten ablesen, die sich aus einer<br />

Modernisierung des Zuwendungsrechts ergeben.<br />

25


Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

Ergebnisse<br />

Mit dem vom Bundesministerium der Finanzen initiierten<br />

Gesetz zur weiteren Stärkung des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s ist ein wichtiger Reformschritt<br />

zur Vereinfachung und Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits-<br />

und Spendenrechts gelungen. Dennoch<br />

besteht weiterer Reformbedarf, vor allem im Bereich<br />

des Zuwendungsrechts.<br />

Durch den Abbau unnötiger Bürokratie könnte die Effektivität<br />

von öffentlichen Zuwendungen gesteigert werden.<br />

Zur besseren Förderung des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

sollten deshalb im Zuwendungsrecht und in<br />

der Zuwendungspraxis bürokratische Hemmnisse abgebaut<br />

werden mit dem Ziel, den Verwaltungsaufwand<br />

für beide Seiten zu verringern und zusätzlich mehr<br />

Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit zu schaffen.<br />

1. Allgemeine Nebenbestimmungen<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO (Bundeshaushaltsordnung)<br />

enthalten umfangreiche Nebenbestimmungen,<br />

die <strong>–</strong> versehen mit einer hohen Regelungsdichte<br />

<strong>–</strong> die Auflagen und Pflichten für den<br />

Zuwendungsempfänger beschreiben und in der Regel<br />

zu Bestandteilen des Zuwendungsbescheides erklärt<br />

werden. Durch eine Vereinfachung des Zuwendungsrechts<br />

könnte der Verwaltungsaufwand bei der Gestaltung<br />

zivilgesellschaftlicher Projekte verringert werden.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Die Allgemeinen Nebenbestimmungen der Bundeshaushaltsordnung<br />

sollten, soweit dies möglich ist,<br />

vereinfacht werden.<br />

Insbesondere sollte geprüft werden, wie die dort verankerten<br />

Mitteilungspflichten des Zuwendungsemp-<br />

26<br />

fängers stärker ins Verhältnis zur Höhe der Zuwendung<br />

gesetzt werden können.<br />

Auch eine Ausdehnung der zweimonatigen Mittelverwendungsfrist<br />

sowie praktikablere Regelungen für<br />

die Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen (z. B.<br />

durch längere Bewirtschaftungszeiträume und höhere<br />

Bagatellgrenzen) würden dazu beitragen, den<br />

Verwaltungsaufwand für Zuwendungsempfänger und<br />

Zuwendungsgeber zu reduzieren.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung wird gebeten, die Nebenbestimmungen<br />

der BHO zu überarbeiten. Unter Beteiligung<br />

der Zivilgesellschaft sollte für geringfügige<br />

Zuwendungen ein insgesamt vereinfachtes Zuwendungsverfahren<br />

angestrebt werden, das die positiven<br />

Erfahrungen aus den Bundesländern berücksichtigt.<br />

2. Jährlichkeitsprinzip<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Für Zuwendungsempfänger ist nicht das Kalenderjahr maßgeblich,<br />

innerhalb dessen öffentliche Mittel aufgrund des<br />

Jährlichkeitsprinzips ausgegeben werden müssen, sondern<br />

der Zeitraum des geförderten Vorhabens insgesamt.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Es sollte daher geprüft werden, inwieweit durch haushalterische<br />

Instrumente eine überjährige Mittelbereitstellung<br />

realisiert werden kann.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung sollte zusammen mit dem<br />

Haushaltsgesetzgeber die Frage klären, wie eine


überjährige Mittelbereitstellung, z. B. durch die Ausbringung<br />

von Verpflichtungsermächtigungen oder<br />

durch die vermehrte Bereitstellung von Selbstbewirtschaftungsmitteln,<br />

realisiert werden kann.<br />

3. Festbetragsfinanzierung<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die weit verbreitete Fehlbedarfsfinanzierung erschwert<br />

die Planbarkeit der Verwendung öffentlicher<br />

Mittel. Außerdem setzt sie keine Anreize für<br />

Organisationen, während des Förderzeitraumes<br />

zusätzliche Mittel einzuwerben. Bei der Festbetragsfinanzierung<br />

wird die Förderung dagegen<br />

beim Zuwendungsempfänger belassen, auch wenn<br />

weitere Mittel eingehen. Sie kann damit die Ausweitung<br />

von Projekten befördern und entlastet zugleich<br />

den Zuwendungsgeber bei der Prüfung des<br />

Verwendungsnachweises.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Es sollten Wege aufgezeigt werden, inwieweit der<br />

Einsatz der Festbetragsfinanzierung durch entsprechende<br />

Verwaltungsvorschriften und -richtlinien ausgeweitet<br />

werden kann.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung wird gebeten, im Rahmen der<br />

Bund-Länder-Koordinierung auf eine vermehrte Festbetragsfinanzierung<br />

hinzuwirken.<br />

4. Rücklagenbildung<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Institutionell geförderte Zuwendungsempfänger<br />

tragen die Risiken eines „normalen“ Geschäftsbetriebes.<br />

Ebenso kann der Eingang von Spenden<br />

das Bilden von Rücklagen erforderlich machen. Das<br />

Steuerrecht lässt daher im Rahmen der Gemeinnützigkeitsanerkennung<br />

die Bildung von Rücklagen <strong>–</strong><br />

in eingeschränktem Umfang <strong>–</strong> zu. Daran sollte sich<br />

auch das Zuwendungsrecht orientieren.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Bei institutionellen Förderungen sollte eine Harmonisierung<br />

des haushaltsrechtlichen Verbots, Rücklagen aus<br />

eigenen Mitteln zu bilden, mit den steuerrechtlichen Vorschriften<br />

der Abgabenordnung geprüft werden.<br />

Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung wird gebeten, das haushaltsrechtliche<br />

Verbot, Rücklagen aus eigenen Mitteln zu<br />

bilden, unter Berücksichtigung der positiven Erfahrungen<br />

aus den Bundesländern zu überdenken.<br />

5. Besserstellungsverbot<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die Beschäftigungsbedingungen bei Zuwendungsempfängern<br />

sind heute nicht mehr direkt mit dem<br />

Referenzbereich „Beschäftigte des Bundes“ vergleichbar.<br />

So sind z. B. befristete Beschäftigungsverhältnisse<br />

bei Zuwendungsempfängern im Rahmen<br />

der Projekttätigkeit weit verbreitet. Besserstellungen<br />

in Teilbereichen können daher Nachteile in sonstigen<br />

Bereichen gegenüberstehen.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Es sollte deshalb geprüft werden, ob durch eine Modernisierung<br />

und Anpassung des Besserstellungsverbots<br />

bürokratischer Aufwand vermindert werden kann.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung und der Haushaltsgesetzgeber<br />

werden gebeten zu prüfen, wie durch eine Neufassung<br />

des Besserstellungsverbots angemessene Vergütungen<br />

gewährleistet werden können.<br />

6. Anerkennung zuwendungsfähiger Ausgaben<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die unterschiedlichen Praktiken und Anerkennungen<br />

von zuwendungsfähigen Ausgaben durch Bund, Länder<br />

und Kommunen sind für die Empfänger zum Teil<br />

schwer nachzuvollziehen.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Es sollten daher Möglichkeiten für die Entwicklung<br />

einheitlicher und verständlicher Regelungen für die<br />

zuwendungsfähigen Ausgaben ausgelotet werden.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Bund und Länder werden gebeten, einheitliche und<br />

verständliche Regelungen für die zuwendungsfähigen<br />

Ausgaben zu erarbeiten.<br />

27


Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

7. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> als Eigenmittel<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Grundsätzlich ist es auf Bundesebene über fachspezifische<br />

Förderrichtlinien möglich, bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> als Eigenmittel zu berücksichtigen. Klarere<br />

Regelungen wären indes für diese Form der Anerkennung<br />

hilfreich.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Es sollte geprüft werden, inwieweit die Möglichkeit<br />

der Anerkennung von bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong><br />

als Eigenmittel in die Verwaltungsvorschriften<br />

zu § 44 BHO aufgenommen werden kann.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung wird gebeten, zusammen mit<br />

den übrigen Ressorts der Bundesregierung und den<br />

Bundesländern zu prüfen, inwieweit die Erfahrungen<br />

in einzelnen Bundesländern und der Europäischen<br />

Union eine stärkere Anerkennung des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s als Eigenmittel in den Verwaltungsvorschriften<br />

von Bund und Ländern zulassen.<br />

8. Umsatzsteuerrecht<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Da als Zuwendung gedachte Finanzierungen der öffentlichen<br />

Hand zunehmend in den Verdacht geraten,<br />

verdeckte Entgelte zu sein, werden sie mit Umsatzsteuer<br />

belegt.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Für den Zuwendungsgeber sollte deshalb klargestellt<br />

werden, wo die Grenzlinie zwischen Entgelt und Zuschuss<br />

verläuft, damit für den Zuwendungsempfänger<br />

wieder Rechtssicherheit hergestellt wird.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung wird gebeten, durch geeignete<br />

Maßnahmen Rechtssicherheit wiederherzustellen<br />

und insbesondere das Problem der nachträglichen<br />

Heranziehung zur Umsatzsteuer zu lösen.<br />

28


Kurzfassung<br />

Das staatliche Zuwendungsrecht entspricht nicht<br />

mehr den Anforderungen an ein modernes und zukunftsfähiges<br />

Recht. Es ist vielfach durch ein Übermaß<br />

an Bürokratie gekennzeichnet. Dadurch wird<br />

die Effektivität von Zuwendungen gemindert. Ebenso<br />

werden die Eigenständigkeit der Zuwendungsempfänger<br />

und das Prüfungs- und Mitspracherecht<br />

der öffentlichen Zuwendungsgeber erschwert.<br />

Durch eine Vereinfachung und Verbesserung des<br />

Zuwendungsrechts ließe sich der Verwaltungsaufwand<br />

für beide Seiten wesentlich verringern und<br />

zusätzlich ein Mehr an Rechtssicherheit und Gestaltungsfreiheit<br />

schaffen. Die Empfehlungen des<br />

Deutschen Vereins benennen die grundsätzlichen<br />

Schwierigkeiten. Sie machen zugleich konkrete<br />

Vorschläge für eine Reform des Zuwendungsrechts.<br />

Die Bundesregierung ist damit aufgefordert,<br />

das Zuwendungsrecht zu entbürokratisieren und zu<br />

modernisieren. Wesentliche Ziele dieses Reformprozesses<br />

sollten sein:<br />

Entbürokratisierung der Verwaltungsvorschriften<br />

zu § 44 BHO und der Allgemeinen<br />

Nebenbestimmungen (ANBest)<br />

Die Verwaltungsvorschriften zu § 44 BHO enthalten<br />

umfangreiche Nebenbestimmungen, die Auflagen<br />

und Pflichten für den Zuwendungsempfänger beschreiben.<br />

Sie sind einheitlich gegliedert und im Inhalt<br />

weitgehend ähnlich. Gleichwohl sind sie in aller<br />

Ausführlichkeit für institutionelle Zuwendungsempfänger<br />

(ANBest - I), für Projektförderung (ANBest -<br />

P), für Projektförderung an Gebietskörperschaften<br />

(ANBest - GK) und für Projektförderung auf Kostenbasis<br />

(ANBest - P - Kosten) gefasst. Die ANBest bilden<br />

damit kein rationales Regelwerk, sondern stehen<br />

als Beispiel für eine überzogene Regelungsdichte im<br />

Zuwendungsrecht. Der Deutsche Verein empfiehlt<br />

deshalb die ANBest zu vereinheitlichen und zu straf-<br />

Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

Empfehlungen des Deutschen Vereins zur Modernisierung<br />

und Entbürokratisierung des Zuwendungsrechts<br />

fen. Dabei sind insbesondere die Mitteilungspflichten<br />

des Zuwendungsempfängers stärker ins Verhältnis<br />

zur Höhe der Zuwendung zu setzen. Es sollte eine<br />

Neudefinition der „zeitnahen Verwendung“ der Mittel<br />

erfolgen, und mit Ausnahme von zeitlich festgebundenen<br />

Ausgabenpositionen (wie z. B. Personalkosten)<br />

auch eine Ausdehnung der zweimonatigen<br />

Verwendungsfrist geprüft werden. Ebenso ist für die<br />

Verzinsung von Rückzahlungsansprüchen eine praktikable<br />

Regelung zu finden.<br />

Flexiblere Handhabung des Jährlichkeitsprinzips<br />

Öffentliche Zuwendungsgeber und Zuwendungsempfänger<br />

sind an den Grundsatz der Jährlichkeit<br />

gebunden, sofern nicht eine Verpflichtungsermächtigung<br />

vorliegt. Grundsätzlich heißt das: Alle Ausgaben<br />

sind bis zum Ende des Jahres zu tätigen.<br />

Jahresübergreifende Projekte müssen deshalb<br />

haushaltstechnisch in zwei Projekte aufgeteilt werden,<br />

um dieser Bedingung Rechnung zu tragen.<br />

Diese Wirkung des Jährlichkeitsprinzips erscheint<br />

lebensfern. Für Zuwendungsempfänger ist nicht<br />

das Kalenderjahr maßgeblich, sondern der Zeitraum<br />

des geförderten Vorhabens insgesamt. Vom<br />

Deutschen Verein wird deshalb empfohlen, die Zuwendungen<br />

über den gesamten Projektzeitraum zu<br />

bewilligen. Bei mehrjährigen Bewilligungen sollte<br />

dann eine Übertragbarkeit der Mittel ermöglicht<br />

werden.<br />

Vermehrte Festbetragsfinanzierung<br />

Die momentan verbreitete Form der Fehlbedarfsfinanzierung<br />

sollte ersetzt werden, da mit ihr falsche<br />

ökonomische Anreize gesetzt werden. Bei dieser Finanzierungsart<br />

werden jene Projektträger „bestraft“,<br />

die mehr Einnahmen erzielen oder zusätzliche Dritt-<br />

29


Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

mittel akquirieren. Eigene erwirtschaftete Mittel führen<br />

hier sofort zu einer Kürzung des errechneten<br />

Fehlbedarfs und damit zur teilweisen Rückzahlung<br />

der Zuwendung. Leistung und Erfolg werden so<br />

diskreditiert. Grundgedanke der Festbetragsfinanzierung<br />

ist dagegen, das Vorhaben mit einem im<br />

Voraus festgesetzten Betrag zu fördern und für den<br />

Fall, dass das Vorhaben kostengünstiger zu realisieren<br />

ist, die Mittel beim Zuwendungsempfänger zu<br />

belassen.<br />

Damit werden Zuwendungsempfänger veranlasst,<br />

weitere Drittmittel einzuwerben. Diese Finanzierungsart<br />

sollte daher immer dann gewährt werden,<br />

wenn dadurch die Ausweitung des Projektes begünstigt<br />

oder die Akquisition weiterer Finanzierungsmittel<br />

unterstützt wird.<br />

Lockerung des sogenannten<br />

„Besserstellungsverbotes“<br />

Zuwendungen des Bundes zur institutionellen und<br />

projektbezogenen Förderung dürfen nur mit der<br />

Auflage bewilligt werden, dass der Zuwendungsempfänger<br />

seine Beschäftigten nicht besser stellt<br />

als vergleichbare Beschäftigte des Bundes (sog.<br />

Besserstellungsverbot). Das Besserstellungsverbot<br />

gilt für sämtliche mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende<br />

Regelungen und Leistungen. Damit<br />

besteht eine erhebliche Regelungsdichte, die<br />

in ihrer Wirkung zweifelhaft erscheint. So gilt das<br />

Besserstellungsverbot beispielsweise nicht bei Zuwendungen<br />

auf Kostenbasis. Hier wird davon ausgegangen,<br />

dass Personalkosten bei gewerblich orientierten<br />

Unternehmen immer dann zuwendungsfähig<br />

sind, wenn sie bei wirtschaftlicher Betriebsführung<br />

anfallen. Dieser allgemeine Wirtschaftlichkeitsgrundsatz<br />

sollte jedoch für alle Zuwendungsempfänger<br />

in gleichem Maß gelten. Zudem bietet eine<br />

völlige Übernahme der Vergütungsregeln des öffentlichen<br />

Dienstes nicht mehr die erforderliche Flexibilität.<br />

Zuwendungsempfängern gelingt es immer<br />

weniger, für zeitlich befristete Projekte qualifiziertes<br />

Personal zu den in der öffentlichen Verwaltung vorgegebenen<br />

Tarifen zu gewinnen. Eine Anpassung<br />

des Besserstellungsverbots ist dringend geboten.<br />

Bei der Bemessung der zuwendungsfähigen Ausgaben<br />

sollten nur die Vergütungen berücksichtigt<br />

werden, die für vergleichbare Beschäftigte des öffentlichen<br />

Dienstes gezahlt werden. Darüber hinausgehende<br />

Zahlungen können aus sonstigen Mitteln<br />

des Zuwendungsempfängers bestritten werden. Mit<br />

diesem Verfahren würde eine leistungsgerechtere<br />

Entlohnung ermöglicht.<br />

30<br />

Zeitgemäße Definition zuwendungsfähiger<br />

Ausgaben<br />

Gegenwärtig gibt es noch sehr unterschiedliche<br />

Praktiken und Anerkennungen von zuwendungsfähigen<br />

Ausgaben. Bund, Länder und Kommunen haben<br />

unterschiedliche Festlegungen, was sie für zuwendungsfähig<br />

halten. So bestehen beispielsweise<br />

erhebliche Unsicherheiten bei der Anrechnung von<br />

Versicherungen, Personal- und Betriebskosten (sog.<br />

Overheadkosten), Beratungskosten oder Reise- und<br />

Fahrtkosten. Nach Ansicht des Deutschen Vereins<br />

müssen daher einheitliche und verständliche Regelungen<br />

für die zuwendungsfähigen Ausgaben geschaffen<br />

werden.<br />

Dabei sind insbesondere für die genannten Probleme<br />

Lösungen zu finden. Eine konkrete Beschreibung<br />

sowie Erläuterungen von zuwendungsfähigen<br />

Ausgaben sollte ins Internet eingestellt werden, damit<br />

auch „kleine“ Zuwendungsempfänger die Möglichkeit<br />

haben, sich im Vorfeld einer Förderung zu<br />

informieren.<br />

Anerkennung bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

als Eigenmittel<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> beschränkt sich<br />

nicht nur auf die Bereitstellung finanzieller Ressourcen.<br />

Vielmehr sind viele Menschen auch<br />

bereit, gemeinnützigen Organisationen Zeitressourcen<br />

für die Erfüllung zivilgesellschaftlicher<br />

Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Dieses zeitliche<br />

<strong>Engagement</strong> (sog. Zeitspende) wird aber weder in<br />

den Verwaltungsvorschriften noch in den Allgemeinen<br />

Nebenbestimmungen im Zuwendungsverfahren<br />

des Bundes als Eigenleistung anerkannt. Das<br />

heißt: Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> wird in der<br />

Bundesförderung vielfach nicht honoriert. In einigen<br />

Bundesländern kann es hingegen als Eigenmittel<br />

in den Kosten- und Finanzierungsplan der<br />

beantragten Förderung eingestellt werden. Damit<br />

werden jene Organisationen gestärkt, die an Stelle<br />

von finanziellen Mitteln die <strong>Engagement</strong>zeit ihrer<br />

Mitglieder einbringen. Zudem wird mit diesem Verfahren<br />

deutlich gemacht, dass durch bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> relevante Werte produziert<br />

werden. Die Anerkennung von Bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> als Eigenmittel des Zuwendungsempfängers<br />

sollte deshalb in die Verwaltungsvorschriften<br />

zu § 44 BHO und in die entsprechenden<br />

Regelungen auf Landes- und Kommunalebene eingeführt<br />

werden, um die erforderliche Verbindlichkeit<br />

herbeizuführen.


Klarheit im Umsatzsteuerrecht schaffen<br />

Zunehmend geraten als Zuwendung gedachte Finanzierungen<br />

der öffentlichen Hand in den Verdacht,<br />

verdeckte Entgelte zu sein. Im Ergebnis droht die<br />

Belegung der Zuschüsse mit Umsatzsteuer. Inzwischen<br />

folgt auch der Bundesfinanzhof nicht mehr<br />

dem Wortlaut der Umsatzsteuerrichtlinie, wonach Zuwendungen<br />

aus öffentlichen Kassen, die ausschließlich<br />

auf Grundlage des Haushaltsrechts vergeben<br />

werden, grundsätzlich nichtsteuerbare „echte Zuschüsse“<br />

sind. Für die Beteiligten sind die Grenzlinien<br />

zwischen Auftrag und Zuschuss damit kaum noch erkennbar.<br />

Die Bundesregierung ist deshalb aufgefordert,<br />

diesen Konflikt zeitnah zu lösen und die gebotene<br />

Rechtssicherheit herzustellen. Dabei sollte die<br />

bestehende und bewährte Differenzierung zwischen<br />

einem nicht umsatzsteuerbaren Zuschuss und einem<br />

steuerbaren Leistungsaustausch beibehalten, jedoch<br />

klarer als bislang gefasst werden.<br />

Anmerkung<br />

Die Empfehlungen des Deutschen Vereins finden<br />

Sie in einer ausführlicheren Fassung unter: http://<br />

www.deutscher-verein.de/05-empfehlungen/2009/<br />

september/Empfehlungen_zur_Modernisierung_<br />

und_Entbuerokratisierung_des_Zuwendungsrechts.<br />

Dialogforum Reform des Zuwendungsrechts<br />

31


• Ulrich Beckers, Jugend für Europa<br />

• Michael Bergmann, Deutscher Caritasverband<br />

• Florian Bernschneider, MdB<br />

• Michael Bogatzki, AFS Interkulturelle Begegnungen<br />

• Hartmut Brombach, Bundesarbeitskreis Freiwilliges<br />

Soziales Jahr<br />

• Ulla Eberhard, Kölner Freiwilligenagentur<br />

• Dr. Jaana Eichhorn, Deutsche Sportjugend<br />

• Hartwig Euler, Arbeitskreis Lernen und Helfen in<br />

Übersee<br />

• Dr. Kornelia Folk, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Dr. Andreas Frank, Bayerisches Staatsministerium<br />

für Arbeit und Sozialordnung<br />

• Marco Franosch, Auswärtiges Amt<br />

• Kai Gehring, MdB<br />

• Hejo Held, Deutsches Rotes Kreuz<br />

• Dr. Astrid Hencke, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Susanne Huth, INBAS-Sozialforschung<br />

• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Ariane Krieg, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Irene Krug, Institut für Sozialarbeit und<br />

Sozialpädagogik<br />

• Dr. Hans-Joachim Lincke, Zentrum für<br />

Zivilgesellschaftliche Entwicklung (ZZE)<br />

Dialogforum<br />

„Weiterentwicklung der<br />

Freiwilligendienste“<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des<br />

Dialogforums am 14. April 2010 und des<br />

vorbereitenden Workshops am 25. März 2010<br />

• Frank Lonny, Ministerium für Generationen, Familie,<br />

Frauen und Integration des Landes Nordrhein-<br />

Westfalen<br />

• Dörte Lüdeking, Institut für Sozialarbeit und<br />

Sozialpädagogik<br />

• Ronald Münch, Auswärtiges Amt<br />

• Beate Oertel, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Dr. Christa Perabo, Landes-Ehrenamtsagentur<br />

Hessen<br />

• Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner<br />

in School<br />

• Sönke Rix, MdB<br />

• Nicole Schmidt, Freiwilligenzentren mittenmang<br />

Schleswig-Holstein<br />

• Veronika Schneider, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband<br />

• Martin Schulze, Bundesarbeitskreis Freiwilliges<br />

Soziales Jahr<br />

• Maja Schweitzer, Auswärtiges Amt<br />

• Uwe Slüter, Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales<br />

Jahr<br />

• Thomas Stein, FDP-Fraktion im Deutschen Bundestag<br />

• Prof. Dr. Heinz-Dietrich Steinmeyer, Westfälische<br />

Wilhelms-Universität Münster<br />

• Peter Tobiassen, Zentralstelle für Recht und Schutz<br />

der Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen<br />

• Anna Veigel, Deutsche UNESCO-Kommission<br />

• Hannes Wezel, Städtenetzwerk Baden-Württemberg


Vielfalt unter einem Dach<br />

Freiwilligendienste sollen als eine besondere Form<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s weiterentwickelt<br />

werden <strong>–</strong> darüber waren sich die 37 Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer des Dialogforums am 14. April 2010<br />

einig. Freiwilligendienste <strong>ermöglichen</strong> den Dienstleistenden,<br />

ihre sozialen und individuellen Kompetenzen<br />

zu erweitern, sich aktiv ins Gemeinwesen einzubringen<br />

und damit einen wichtigen Beitrag zum Gemeinwohl<br />

zu leisten. Deshalb soll künftig mehr Menschen<br />

das Ableisten eines Freiwilligendienstes ermöglicht<br />

werden. Dabei kommt es darauf an, die Qualität der<br />

Dienste zu verbessern und die Vorteile für den Einzelnen<br />

und das Gemeinwesen populärer zu machen. Die<br />

besondere Herausforderung liegt darin, der Vielfalt an<br />

Diensten im In- und Ausland, die vom Freiwilligen Sozialen<br />

Jahr (FSJ) und dem Freiwilligen Ökologischen<br />

Jahr (FÖJ) über die Förderprogramme „Weltwärts“<br />

und „Kulturweit“, den Europäischen Freiwilligendienst<br />

bis zu den Freiwilligendiensten aller Generationen<br />

(FdaG) reicht, gerecht zu werden. All diese Dienste<br />

unterscheiden sich unter anderem hinsichtlich ihrer<br />

rechtlichen Grundlage, ihrer finanziellen Ausstattung<br />

und der Rahmenbedingungen wie Dauer und Stundenumfang<br />

sowie der Form der pädagogischen Begleitung<br />

und Betreuung.<br />

Die Förderung von Freiwilligendiensten soll ein Baustein<br />

der nationalen <strong>Engagement</strong>strategie sein. In ihrer<br />

Koalitionsvereinbarung haben CDU/CSU und FDP<br />

am 26. Oktober 2010 die Absicht erklärt, Freiwilligendienste<br />

im Rahmen einer gemeinsamen, ressortübergreifenden<br />

Strategie zu fördern und die rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen zu verbessern. Aufgabe des<br />

Dialogforums war es, Empfehlungen für dieses Vorhaben<br />

zu entwickeln.<br />

Neben den zuständigen Ressorts der Bundesregierung<br />

kamen die verschiedenen Freiwilligendienstträger<br />

und Trägerverbünde sowie zentrale Akteure aus<br />

der Forschung und der AG „Freiwilligendienste“ des<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Bericht über das Dialogforum „Freiwilligendienste“ am 14. April 2010 im BMFSFJ, Berlin<br />

Bundesnetzwerks Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

zusammen. Auch einige Bundestagsabgeordnete haben<br />

im Dialogforum mitgewirkt.<br />

Mit seinen thematischen Schwerpunkten knüpfte<br />

das Dialogforum an die Fachdiskussionen der vergangenen<br />

Jahre und aktuelle fachwissenschaftliche<br />

Expertisen an. Zentral war die Frage, wie eine<br />

gleichberechtigte Teilhabe aller Bevölkerungsgruppen<br />

an Freiwilligendiensten ermöglicht werden kann.<br />

Bestimmten Gruppen fehlt aus ganz unterschiedlichen<br />

Gründen der Zugang zu Freiwilligendiensten.<br />

Mehrere Expertinnen und Experten haben daher<br />

die spezifischen Problemlagen und Bedürfnisse von<br />

Seniorinnen und Senioren, Menschen mit Einwanderungsgeschichte<br />

und sozial benachteiligten oder<br />

individuell beeinträchtigten Menschen dargelegt. In<br />

den Ergebnissen ist festgehalten, wie diese bei der<br />

Förderung von Freiwilligendiensten durch den Bund<br />

berücksichtigt werden könnten.<br />

Anknüpfend an die aktuelle Debatte um die Verkürzung<br />

des Wehrdienstes auf sechs Monate hat das Dialogforum<br />

sich mit den möglichen Auswirkungen der Veränderungen<br />

im Zivildienst auf den Bereich der Freiwilligendienste<br />

befasst. Darüber hinaus ging es um den<br />

Ausbau der Jugendfreiwilligendienste, die Problematik<br />

der Umsatzbesteuerung von Trägern und Einsatzstellen<br />

und die weitere Förderung der FdaG.<br />

In der Diskussion um die Gestaltung eines Freiwilligendienstestatusgesetz<br />

hat sich einmal mehr gezeigt,<br />

dass es äußerst schwierig sein dürfte, die Jugendfreiwilligendienste<br />

mit den FdaG in einem Gesetz<br />

zu integrieren. Die Unterschiede zwischen beiden<br />

Dienstformen wurden in der Debatte noch einmal herausgearbeitet.<br />

Während Jugendfreiwilligendienste<br />

in der Regel Vollzeitdienste mit hohem Fortbildungsanteil<br />

sind, bei denen die Jugendlichen und jungen<br />

Erwachsenen oft auch auf sozialversicherungsrecht-<br />

33


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

liche Absicherung angewiesen sind, lassen sich bei<br />

den FdaG keine allgemeinen Festlegungen bezüglich<br />

Umfang, Mindestanforderungen und sozialer Absicherung<br />

definieren: Welcher Dauer und welchen Umfang<br />

an Wochenstunden sollte ein Freiwilligendienst<br />

umfassen? Wieviele Tage an Fort- und Weiterbildung<br />

sollten gesetzlich festgeschrieben sein? Sollte es einen<br />

allgemein gültigen sozialversicherungsrechtlichen<br />

Status für alle Freiwilligendienstleistenden geben?<br />

Die Förderung des Programms Freiwilligendienste<br />

aller Generationen könnte auch unabhängig von einer<br />

gesetzlichen Regelung gestaltet werden. Die Diskussion<br />

im Dialogforum hat gezeigt, dass es anstelle<br />

einer Standardisierung darauf ankommt, die Freiwilligendienste<br />

aller Generationen so zu fördern, dass sie<br />

das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> vor Ort anregen<br />

und bereichern.<br />

34


Ergebnisse<br />

Freiwilligendienste sollen weiterentwickelt werden.<br />

Ihre gesellschaftliche Anerkennung soll verbessert<br />

werden. Insbesondere gilt es, neue Zielgruppen für<br />

einen Freiwilligendienst zu gewinnen und mehr Organisationen<br />

und Kommunen darin zu unterstützen,<br />

sich für Freiwilligendienste zu öffnen.<br />

1. Zielgruppen für Freiwilligendienste<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Freiwilligendienste sind eine besondere Form des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s und sollen zugleich<br />

den Erwerb sozialer und individueller Kompetenzen<br />

<strong>ermöglichen</strong>. Grundsätzlich sollen Freiwilligendienste<br />

allen Bevölkerungsgruppen offen stehen. Bei der Förderung<br />

von Freiwilligendiensten stellt sich daher die<br />

Frage, wie eine gleichberechtigte Teilhabe ermöglicht<br />

werden kann. Dabei ist zu berücksichtigen, welche<br />

Barrieren bestehen und welche Lösungen und Fördermaßnahmen<br />

vorgeschlagen werden können.<br />

Ein Problem beim Ausbau der Freiwilligendienste<br />

besteht in einer unzureichenden Forschungs- und<br />

Datenlage über Zielgruppen und deren besondere<br />

Bedürfnisse. Dazu gehört auch die Erforschung hemmender<br />

Faktoren und fehlender Zugänge für die unterschiedlichen<br />

Zielgruppen.<br />

Lösungsvorschläge<br />

Es kommt darauf an, wirksame Förderinstrumente<br />

(etwa pädagogische Konzepte, Finanzierung, Pauschalen)<br />

zu identifizieren und anzupassen bzw. Alternativen<br />

zu entwickeln.<br />

Bei der Weiterentwicklung von Freiwilligendiensten<br />

sollten <strong>–</strong> dem jeweiligen Format angemessen <strong>–</strong> neben<br />

der Zielgruppe der Jugendlichen und jungen Erwachse-<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

nen folgende Zielgruppen berücksichtigt werden: Seniorinnen<br />

und Senioren, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte,<br />

Erwerbslose, Erwerbstätige (die Mindestzahl<br />

der Wochenstunden kann für diese Personengruppe<br />

eine Barriere bilden und wurde im Dialogforum kontrovers<br />

diskutiert), sozial Benachteiligte und individuell Beeinträchtigte<br />

(z. B. Menschen mit Behinderung).<br />

Für unterschiedliche Zielgruppen sollten unterschiedliche<br />

Formen entwickelt werden, da sie jeweils besondere<br />

Rahmenbedingungen benötigen, z. B. einen<br />

höheren fachlichen Begleitungsbedarf oder spezielle<br />

pädagogische Konzepte. Damit Träger die Möglichkeit<br />

haben, einen Freiwilligendienst anzubieten, der<br />

den speziellen Bedürfnissen der jeweiligen Zielgruppe<br />

gerecht wird, sollten sie mit entsprechenden Mitteln<br />

ausgestattet werden.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Für die Förderung von Freiwilligendiensten sollte eine<br />

einheitliche Zuständigkeit innerhalb der Bundesregierung<br />

definiert werden.<br />

Um die Teilhabe von Menschen mit Behinderung<br />

oder Beeinträchtigung an Freiwilligendiensten zu<br />

erleichtern, sollte bei der Förderung dieser Dienste<br />

ein erhöhter Begleitungsbedarf berücksichtigt werden.<br />

Die Freiwilligendienstträger sollten in die Lage<br />

versetzt werden, unterschiedlich befähigten Freiwilligendienstleistenden<br />

eine angemessene Begleitung<br />

zu <strong>ermöglichen</strong>, und zwar unabhängig davon, ob sie<br />

bereits fallspezifische Leistungen (z. B. psycho-soziale<br />

Beratung für Freiwillige mit Behinderungen, die<br />

gemäß §§1, 4, 5, 9 SGB IX und §§ 53, 54 SGB XII<br />

möglich sind) erhalten oder nicht.<br />

Um Menschen mit Migrationshintergrund den Zugang zu<br />

Freiwilligendiensten zu erleichtern, sollten Migrantenorganisationen<br />

neben der eigenen Trägerschaft verstärkt<br />

35


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

in den Bereichen Zielgruppenakquise und pädagogische<br />

Begleitung und als Einsatzstellen eingebunden<br />

werden. Dazu benötigen Migrantenorganisationen Informationen<br />

über Freiwilligendienste, Kontakt- und Kooperationsbeziehungen<br />

zu Freiwilligendienstträgern sowie<br />

personelle, fachliche und finanzielle Unterstützung.<br />

Berufliche Orientierung durch einen Freiwilligendienst<br />

ist für bestimmte Zielgruppen besonders wichtig.<br />

Kompetenzbilanzen und besondere Vorbereitungsoder<br />

Anschlussprogramme (Qualifizierung) z. B. der<br />

Bundesagentur für Arbeit sollten so gestaltet werden,<br />

dass sie die im Freiwilligendienst erworbenen Kompetenzen<br />

sichtbar machen bzw. nutzen. Dadurch soll<br />

der Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert werden.<br />

Daneben ist zu prüfen, inwieweit die mit dem Bezug<br />

von Leistungen nach SGB II verbundenen Auflagen<br />

einem <strong>Engagement</strong> im Freiwilligendienst im Wege<br />

stehen (siehe Dialogforum Arbeitsmarktpolitik).<br />

Bestehende Regelförderangebote für die verschiedenen<br />

Zielgruppen sollten mit den speziellen Angeboten<br />

im Rahmen der Freiwilligendienste kombiniert<br />

werden. Die besondere Qualität des Freiwilligendienstes<br />

als Bildungs- und Orientierungsdienst sollte<br />

dabei erhalten bleiben.<br />

Der Europäische Freiwilligendienst formuliert hinsichtlich<br />

der Flexibilisierung von Dienstzeiten und<br />

der zusätzlichen Förderung bestimmter Zielgruppen<br />

Lösungsansätze, die auf nationale Freiwilligendienste<br />

übertragen werden können.<br />

2. Zivildienstverkürzung<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die Entwicklung der Freiwilligendienste sollte grundsätzlich<br />

unabhängig von der Verkürzung des Zivildienstes<br />

betrieben werden. Die Veränderungen im Zivildienst<br />

haben jedoch Auswirkungen auf den Bereich der<br />

Freiwilligendienste. Die Weiterentwicklung der Jugendfreiwilligendienste<br />

muss daher auch im Zusammenhang<br />

mit der Verkürzung des Zivildienstes gesehen werden.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Die Verkürzung des Zivildienstes sollte hinsichtlich der<br />

Auswirkungen auf die Entwicklung der Freiwilligendienste<br />

geprüft werden. Dazu gehört u. a. die Prüfung<br />

eines Mitteltransfers. Freiwerdende Zivildienstmittel<br />

sollen für den Ausbau der Jugendfreiwilligendienste<br />

genutzt werden. Jugendfreiwilligendienste können eine<br />

36<br />

attraktive Anschlussoption zum Zivildienst sein, wenn<br />

die Rahmenbedingungen entsprechend gestaltet sind.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die Freiwilligendienste<br />

so gestaltet werden können, dass sie an<br />

den Zivildienst anschließen. Insbesondere ist darauf<br />

zu achten, dass eine freiwillige Verlängerung des Zivildienstes<br />

und die Freiwilligendienste gleich ausgestattet<br />

werden. Die Dauer dieser freiwilligen Verlängerung<br />

sollte flexibel gehandhabt werden.<br />

3. Ausbau der Freiwilligendienste<br />

3.1 Jugendfreiwilligendienste<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Jugendfreiwilligendienste können junge Menschen<br />

dazu anleiten, soziale Verantwortung zu übernehmen<br />

und gemeinwohlorientiert zu handeln. Junge Menschen<br />

profitieren in ganz besonderer Weise von der<br />

Ausübung eines <strong>Engagement</strong>s für ihre persönliche<br />

und berufliche Entwicklung und leisten gleichzeitig<br />

einen wichtigen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher<br />

Aufgaben. Diese Potentiale sind noch nicht hinreichend<br />

entwickelt.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Jugendfreiwilligendienste sollten qualitativ und quantitativ<br />

ausgebaut werden. Bei der Gestaltung der verschiedenen<br />

Dienste sollten die verschiedenen Zielgruppen<br />

berücksichtigt werden. Es kommt darauf an,<br />

den Anteil von Freiwilligendienstleistenden pro Jahrgang<br />

zu erhöhen. Alle, die einen Freiwilligendienst machen<br />

möchten, sollten dazu die Möglichkeit erhalten.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung sollte prüfen, wie die unterschiedlichen<br />

Dienste aufeinander abgestimmt werden können.<br />

Alle Plätze in den Jugendfreiwilligendiensten (national<br />

und transnational) sollten finanziert und mit einer erhöhten<br />

Pauschale ausgestattet werden, so dass die<br />

Träger von Freiwilligendiensten besser in die Lage versetzt<br />

werden, die Bildungsmaßnahmen im Rahmen der<br />

Dienste auszubauen. Die Höhen der Förderpauschalen<br />

sollten je nach Zielgruppe differenziert werden.<br />

Zudem sollte die Anerkennung des <strong>Engagement</strong>s in<br />

Jugendfreiwilligendiensten verbessert werden (z.B.


durch Bildungsgutscheine, Kompetenznachweise und<br />

Kompetenzbilanzen, Vergünstigungen und gezielte<br />

Kampagnen). Der europäische Youth Pass kann als<br />

Vorbild für einen Kompetenznachweis auf nationaler<br />

Ebene genutzt werden.<br />

Es sollten weitere Träger dafür gewonnen werden,<br />

einen Freiwilligendienst anzubieten. Kooperationen<br />

zwischen Trägern der Freiwilligendienste und Migrantenorganisationen,<br />

die in den Bereichen Zielgruppenakquise,<br />

pädagogische Begleitung oder als<br />

Einsatzstellen tätig werden bzw. sich als Träger etablieren<br />

wollen, sollten gefördert werden. Der Bund<br />

sollte dazu gemeinsam mit den Bundesländern und<br />

den Trägern eine Strategie initiieren. Die Träger<br />

sollten dazu konkret benennen, welche Bedingungen<br />

gegeben sein müssen, um die Dienste auszubauen.<br />

3.2 Freiwilligendienste aller Generationen<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Freiwilligendienste können den Zugang zum bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> erleichtern, sollten aber<br />

klar davon unterschieden werden. Bei der Entwicklung<br />

spezieller Förderprogramme für Zielgruppen<br />

sollte dies berücksichtigt werden.<br />

Auf der Ebene der Bundesländer gibt es eine gute<br />

Kooperation der unterschiedlichen Träger. Diese Vernetzung<br />

schließt jedoch die nicht geförderten Träger<br />

noch nicht mit ein. Auf Bundesebene fehlt die Einbindung<br />

der Wohlfahrtsverbände bei den Freiwilligendiensten<br />

aller Generationen (FdaG).<br />

Der Bekanntheitsgrad der FdaG ist nicht ausreichend.<br />

Dies verhindert oft, dass auch neue Träger und Einsatzstellen<br />

die FdaG umsetzen.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Die FdaG sollten so gestaltet werden, dass sie Interessierten<br />

den Zugang zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

erleichtern.<br />

Neue Träger und Einsatzstellen können einfacher gewonnen<br />

werden, wenn Trägerverbünde, Länder und<br />

kommunale Spitzenverbände sowie Städte, Gemeinden<br />

und Landkreise kooperieren.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Da die Weiterfinanzierung der FdaG unklar ist, sollte<br />

die Bundesregierung in Absprache mit den Ländern<br />

und Kommunen die Fortführung nach 2011 sicher-<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

stellen. Daneben sollten die Entwicklung der FdaG<br />

und die Werbung weiter finanziert werden.<br />

4. Umsatzsteuerbefreiung<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Träger und Einsatzstellen sind durch die Umsatzsteuerpflicht<br />

bei Verträgen nach § 11 Absatz 1 Jugendfreiwilligendienstegesetz<br />

(JFDG) mit einem großen finanziellen<br />

sowie verwaltungstechnischen Aufwand konfrontiert.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Freiwilligendienste sollten als Lerndienste grundsätzlich<br />

von der Umsatzsteuer befreit werden. Ziel sollte<br />

eine eindeutige Klärung der Umsatzbesteuerung der<br />

Träger sein.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Der Gesetzgeber sollte im Umsatzsteuergesetz einen<br />

Befreiungstatbestand einführen.<br />

Es sollte geprüft werden, inwieweit die Europäische<br />

Mehrwertsteuersystemrichtlinie der Umsatzsteuerbefreiung<br />

von Trägern entgegensteht und inwieweit die<br />

Bundesregierung darauf hinwirken kann, dies zu ändern.<br />

Das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit<br />

sollte dazu genutzt werden.<br />

5. Freiwilligendienstestatusgesetz:<br />

Überblick zu den aktuellen Positionen<br />

Der folgende Überblick fasst die aktuellen Gemeinsamkeiten<br />

und Differenzen zur Thematik zusammen<br />

und sollte bei der Erarbeitung eines Freiwilligendienstestatusgesetzes<br />

durch die Bundesregierung<br />

berücksichtigt werden.<br />

A. Konsens<br />

Ziele eines Freiwilligendienstestatusgesetzes<br />

• Berücksichtigung möglichst aller Freiwilligendienstformate.<br />

Das umfasst die sog. geregelten<br />

Freiwilligendienste auf Grundlage gesetzlicher Regelungen<br />

oder staatlicher Förderrichtlinien (FSJ/<br />

FÖJ, „kulturweit“, Freiwilligendienste aller Generationen,<br />

„weltwärts“) sowie die sog. ungeregelten<br />

Freiwilligendienste (Kurzzeitfreiwilligendienste,<br />

längerfristige Freiwilligendienste).<br />

• Keine Schwächung einzelner Formate<br />

37


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

• Verbesserung der Übersichtlichkeit<br />

• Stärkung der Rechtssicherheit sowie des Status<br />

von Freiwilligendienstleistenden<br />

• Abgrenzung zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>,<br />

zur Erwerbsarbeit und zum Pflichtdienst<br />

• Freiwilligendienste als Bildungsdienste verorten<br />

• Berücksichtigung von Fragen der sozialen Sicherung<br />

Charakter und Struktur des Gesetzes<br />

• Unterteilung des Gesetzes in einen allgemeinen<br />

Teil und einen besonderen Teil<br />

• Allgemeiner Teil mit Definition und Mindestanforderungen<br />

für Freiwilligendienste<br />

• Besonderer Teil mit passgenauen Regelungen für<br />

die einzelnen Dienstformen<br />

Allgemeiner Teil: Definition<br />

• Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten<br />

(siehe unten). Für alle Definitionen<br />

gilt, dass Freiwilligendienste gleichzeitig der Gesellschaft<br />

und der persönlichen Bildung der Freiwilligen<br />

dienen und dafür nur solche Tätigkeiten in<br />

Frage kommen, die keine Erwerbsarbeitsplätze ersetzen.<br />

Zudem sind sie freiwillig und unentgeltlich.<br />

Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für<br />

Freiwilligendienste<br />

• Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen<br />

Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher<br />

Umfang der Tätigkeit festgelegt werden.<br />

• Freiwilligendienste haben Begleitkonzepte.<br />

• Freiwilligendienste fördern die soziale und fachliche<br />

Erfahrung.<br />

• Freiwillige leisten ergänzende und arbeitsmarktneutrale<br />

Tätigkeiten in Einsatzstellen bzw. Einrichtungen.<br />

• Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen<br />

oder öffentlichen Trägern angeboten.<br />

• Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich<br />

als Zeichen der Anerkennung, wie z. B.<br />

Anspruch auf Kindergeld oder auf Waisenrente.<br />

• Aufwandsentschädigungen können gewährt und<br />

anfallende Kosten erstattet werden.<br />

Fragen der sozialen Sicherung<br />

• Freiwillige sind gegen Krankheit, Unfall und Berufsunfähigkeit<br />

gemäß den bestehenden Standards abzusichern.<br />

Es sollten passgenaue Regelungen für die<br />

unterschiedlichen Zielgruppen entwickelt werden.<br />

• Falls kein eigener sozialversicherungsrechtlicher<br />

Status möglich ist, darf der Freiwilligendienst keine<br />

sozialversicherungsrechtliche Schlechterstellung<br />

38<br />

bedeuten Die entsprechenden Regelungen sollten<br />

an die Lebens-, Berufs- und Familiensituation angepasst<br />

werden.<br />

• Den Freiwilligen sollte im Rahmen von Vollzeitdiensten<br />

für die Zeit nach ihrem Dienst der soziale<br />

Status erhalten bleiben, den sie vor Beginn des<br />

Dienstes hatten (status quo ante).<br />

Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für<br />

die einzelnen Dienstformen<br />

Unterscheidung passgenauer Regelungen für:<br />

• Jugendfreiwilligendienste im Inland mit enger Orientierung<br />

am Jugendfreiwilligendienstegesetz<br />

(JFDG),<br />

• Internationale Jugendfreiwilligendienste.<br />

B. Dissens<br />

Allgemeiner Teil: Definition<br />

Beispiele für die unterschiedlichen Definitionen zu<br />

Freiwilligendiensten:<br />

• Die Enquetekommission definiert sie als ganztägige<br />

Dienste und als eine besondere, staatlich geförderte<br />

Form bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s,<br />

in der sich Jugendliche und junge Erwachsene für<br />

das Gemeinwohl engagieren.<br />

• NachRauschenbach/LiebigsindFreiwilligendienste<br />

hinsichtlich Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer<br />

Absicherung und Gratifikation vertraglich<br />

zwischen Freiwilligen und Organisation geregelt,<br />

im Falle bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich<br />

festgeschrieben. Sie sind vom Grundsatz her nicht<br />

vergütet und formal zeitlich begrenzt.<br />

• Im Bericht der Kommission ‚Impulse für die Zivilgesellschaft’<br />

werden die neuen Freiwilligendienste<br />

für alle Altersgruppen als zeitlich und inhaltlich<br />

flexibel für engagementbereite Menschen in unterschiedlichen<br />

Lebensphasen beschrieben. Zugleich<br />

berücksichtigen sie die Interessen der Organisationen<br />

und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit<br />

und Verbindlichkeit der Einsätze.<br />

• Internationale Freiwilligendienste stellen eine besondere<br />

Form des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

dar, bei dem Anfang und Ende, Dauer und<br />

Umfang, Inhalt, Aufgaben, Ziele und Art der freiwilligen<br />

Tätigkeit ebenso vereinbart sind wie der finanzielle<br />

und organisatorische Rahmen, die rechtliche<br />

und soziale Absicherung. Dies wird i. d. R.<br />

zwischen Freiwilliger/m, Einsatzstelle/Projektpartner<br />

im Ausland und Träger/Entsendeorganisation<br />

schriftlich vereinbart.


Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für<br />

Freiwilligendienste <strong>–</strong> Dauer<br />

Hier gibt es unterschiedliche Positionen:<br />

• Freiwilligendienste sind Blöcke aus mindestens<br />

drei zusammenhängenden Monaten; auf der<br />

Grundlage von mindestens 20 Wochenstunden für<br />

ältere Menschen bzw. 30 Wochenstunden für junge<br />

Menschen und einer maximalen Dauer von 24<br />

Monaten.<br />

• Freiwilligendienste haben einen Umfang von durchschnittlich<br />

mindestens acht Wochenstunden und<br />

eine Dauer von mindestens sechs Monaten.<br />

• Freiwilligendienste haben einen Umfang von mindestens<br />

15 Wochenstunden und sind befristet auf<br />

max. 24 Monate.<br />

Allgemeiner Teil: Mindestanforderungen für<br />

Freiwilligendienste <strong>–</strong> Begleitkonzepte<br />

Hinsichtlich des Umfangs der Bildungsangebote gibt<br />

es einen Dissens:<br />

• Bei Vollzeitfreiwilligendiensten für Jugendliche liegt<br />

der Umfang der pädagogischen Begleitung bei 25<br />

Tagen pro Jahr; für ältere Freiwilligendienstleistende<br />

(ab 28 Jahre) sollte mindestens ein Tag pro Monat<br />

angeboten werden.<br />

• Die Dauer der Bildungsmaßnahmen beträgt, bezogen<br />

auf einen zwölfmonatigen Dienst, mindestens<br />

20 Tage (ausgenommen fremdsprachige Schulung).<br />

• Die Träger der Freiwilligendienste aller Generationen<br />

(FDaG) müssen eine kontinuierliche Begleitung<br />

der Freiwilligen und deren Fort- und Weiterbildung<br />

im Umfang von mindestens durchschnittlich<br />

60 Wochenstunden pro Jahr sicherstellen.<br />

Besonderer Teil: passgenaue Regelungen für<br />

die einzelnen Dienstformen<br />

Hier besteht ein Dissens bezüglich der Berücksichtigung<br />

jüngerer Freiwilliger unter 28 Jahre:<br />

• Legaldefinition der FDaG in § 2 Absatz 1a SGB<br />

VII sieht keine Altersbegrenzung vor; FDAG sollen<br />

auch für Jugendliche möglich sein.<br />

• Der Bundesarbeitskreis Freiwilliges Soziales Jahr<br />

befürwortet die Einführung eines Freiwilligendienstes<br />

für Menschen ab 28 Jahren im In- oder Ausland.<br />

Soziale Sicherung<br />

Unterschiedliche Vorstellungen zur konkreten Ausgestaltung<br />

reichen von:<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

• einem allgemein gültigen sozialversichungsrechtlichen<br />

Status für alle Freiwilligendienste mit: einer<br />

beitragsfreien Anrechnungszeit in der Rentenversicherung,<br />

• einer Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung,<br />

• der Möglichkeit der Familienversicherung sowie<br />

der Absicherung des Status quo ante im Rahmen<br />

der Arbeitslosenversicherung<br />

bis hin zu einer<br />

• Beschränkung auf passgenaue Regelungen für die<br />

einzelnen Dienstformate, z. B. für die Internationalen<br />

Freiwilligendienste u.a. möglichst beitragsfreie<br />

Mitgliedschaft im gesetzlichen Sozialversicherungssystem<br />

während des Dienstes, wenn nötig<br />

Verlängerung des Status nach dem Dienst,<br />

• beitragsfreie Anrechnungszeit in der Rentenversicherung,<br />

• beitragsfreie Anrechnungszeit in der Arbeitslosenversicherung;<br />

Sicherung des Status quo ante,<br />

• Absicherung in der gesetzlichen Unfallversicherung,<br />

• Krankenversicherung u. a. Absicherung durch private<br />

Gruppenversicherung und gesetzliche Familienversicherung.<br />

Bei den Freiwilligendiensten aller Generationen geht<br />

es z. B. um<br />

• eine gesetzliche Unfallversicherung laut der Legaldefinition<br />

in § 2 Absatz 1a SGB VII<br />

• grundsätzliche Sozialversicherungsfreiheit: Geht<br />

der Tätigkeitsumfang über ein Drittel einer vergleichbaren<br />

Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die<br />

Tätigkeiten der Einkommenssteuerpflicht sowie<br />

unter Umständen auch der Sozialversicherungspflicht.<br />

• Von zentraler Bedeutung für Träger und Freiwillige<br />

ist die Frage, inwiefern die Zahlung einer<br />

pauschalierten Aufwandsentschädigung den<br />

Freiwilligeneinsatz als sozialversicherungsrechtliches<br />

Beschäftigungsverhältnis qualifiziert. Freiwilligendienste<br />

erfüllen nicht die Merkmale von<br />

Erwerbsarbeit, da sie keinen Erwerbszweck verfolgen.<br />

Der Dienst ist nicht auf Gewinnerzielung<br />

ausgerichtet, sondern verfolgt arbeitsmarktneutral<br />

gemeinnützige Ziele. Eine gesetzliche Klarstellung<br />

respektive Regelung dieser Frage erscheint daher<br />

dringend erforderlich. Möglich wäre eine Änderung<br />

von § 14 Abs. 1 S. 3 SGB IV in Verbindung mit<br />

einem erweiterten steuerrechtlichen Privilegierungstatbestand<br />

in § 3 EStG mit der Folge, dass<br />

die privilegierten Aufwandsentschädigungen nicht<br />

als Arbeitsentgelt gelten.<br />

39


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Uwe Slüter<br />

Kurzgutachten: Mögliche Rahmenbedingungen für ein<br />

Freiwilligendienstestatusgesetz (FWDStG)<br />

I. Vorbemerkungen<br />

1. Einführung<br />

Freiwilligendienste sind seit einigen Jahren verstärkt<br />

im Blick von Politik und Öffentlichkeit.<br />

Freiwilligendienste bieten den Teilnehmenden Erfahrungsräume.<br />

Sie öffnen die Augen für soziale Notlagen<br />

und bieten Einblicke in soziale Berufe. Gleichzeitig tragen<br />

sie zur Persönlichkeitsentwicklung bei, indem vor<br />

allem junge Freiwillige lernen, Verantwortung für sich<br />

selbst und andere zu übernehmen, eigenes Handeln,<br />

Verhalten und Einstellungen kritisch zu hinterfragen,<br />

eigenes Handeln bewusster zu erleben und eine realistischere<br />

Selbsteinschätzung zu gewinnen. Alle Freiwilligen<br />

lernen eigene Grenzen kennen und akzeptieren<br />

und werden dabei unterstützt, eine eigene persönliche<br />

und berufliche Perspektive zu entwickeln. Gleichzeitig<br />

können die Freiwilligen ihre Kommunikations-, Kooperations-,<br />

Entscheidungs-, Urteils-, Kritik- und Konfliktfähigkeit<br />

erweitern. Freiwilligendienste <strong>ermöglichen</strong><br />

Partizipation und Lernen von Mitbestimmung, fördern<br />

zudem die Entwicklung politischer Handlungsperspektiven<br />

und ermutigen zur Übernahme von gesellschaftlicher<br />

Verantwortung. Freiwillige, insbesondere Freiwillige,<br />

die einen Auslandsdienst geleistet haben, bringen<br />

ihre friedens- und entwicklungspolitischen Kompetenzen<br />

in unsere Gesellschaft ein.<br />

Die schwarz-gelbe Bundesregierung strebt in ihrer<br />

Koalitionsvereinbarung von Oktober 2009 eine gemeinsame<br />

ressortübergreifende Strategie an, um<br />

einheitliche und transparente Bedingungen für alle<br />

Freiwilligendienstleistenden zu schaffen. Weiter<br />

strebt sie einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende<br />

im Zuge eines Freiwilligendienststatusgesetzes<br />

an. Zudem soll der Kindergeldbezug in<br />

Zeiten geregelter und ungeregelter Jugendfreiwilligendienste<br />

vereinheitlicht werden. 1<br />

40<br />

In seinem Grundriss einer engagementpolitischen Agenda<br />

fordert das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und<br />

Partizipation vor allem eine ressortübergreifende und<br />

einheitliche Regelung. 2 Darüber hinaus müssen ausreichend<br />

Plätze zur Verfügung gestellt werden. Dazu ist die<br />

Bereitstellung der finanziellen und (steuer-) rechtlichen<br />

Rahmenbedingungen notwendig. In diesem Zusammenhang<br />

soll auch geprüft werden, ob ein einheitlicher Status<br />

für Freiwilligendienstleistende die Förderung, rechtliche<br />

Absicherung und Ausweitung der Freiwilligendienste<br />

nachhaltig sichern und fördern kann. 3<br />

Mit der Absicht, einen einheitlichen Status für Freiwilligendienstleistende<br />

zu schaffen, greift die Bundesregierung<br />

vor allem einen Beschluss des Deutschen<br />

Bundestages aus dem Jahr 2005 auf. Dort wird die<br />

Bundesregierung aufgefordert zu prüfen, inwieweit<br />

ein Bundesfreiwilligendienstgesetz die Freiwilligendienste<br />

nachhaltig sichern und fördern kann. 4<br />

Im Zuge der Vorbereitungen zur Fortsetzung des Nationalen<br />

Forums, das sich intensiv mit einem Freiwilligendienststatusgesetz<br />

beschäftigen will, wurde ich<br />

um ein Kurzgutachten zu möglichen Rahmenbedingungen<br />

für ein solches Gesetz gebeten.<br />

Die folgenden Ausführungen plädieren für die Schaffung<br />

eines einheitlichen Mindeststandards für Freiwilligendienste<br />

unter Berücksichtigung vorhandener Formate und<br />

besonderer Anforderungen unterschiedlicher Zielgruppen.<br />

Eine verbesserte Förderung der Freiwilligendienste <strong>–</strong> insbesondere<br />

der Jugendfreiwilligendienste <strong>–</strong> ist notwendig,<br />

aber nicht Gegenstand dieses Kurzgutachtens.<br />

Die Vorschläge sind ein erster Diskussionsbeitrag.<br />

2. Hintergrund<br />

Die Notwendigkeit eines FWDStG wird insbesondere<br />

vor dem Hintergrund einer Freiwilligendienstvielfalt


diskutiert, die sich in den letzten Jahren <strong>–</strong> auch politisch<br />

motiviert <strong>–</strong> entwickelt hat.<br />

3. Übersicht über in Deutschland angebotene<br />

Freiwilligendienstformen:<br />

Geregelte Freiwilligendienste (auf Grundlage gesetzlicher<br />

Regelungen oder staatlicher Förderrichtlinien):<br />

• Freiwilliges Soziales Jahr (FSJ)/Freiwilliges Ökologisches<br />

Jahr (FÖJ): Die weitaus größte Rolle<br />

bei den Freiwilligendiensten spielt das FSJ mit<br />

steigender Tendenz! Daneben können junge Menschen<br />

ein FÖJ leisten. Das FSJ und FÖJ können<br />

auch im Ausland geleistet werden. Rechtliche<br />

Grundlage ist das Jugendfreiwilligendienstegesetz<br />

(JFDG).<br />

• Kulturweit: „kulturweit“ ist seit 2009 ein Freiwilligendienstangebot<br />

des Auswärtigen Amts in Kooperation<br />

mit der Deutschen UNESCO-Kommission. „kulturweit“<br />

ermöglicht Menschen aus Deutschland im<br />

Alter zwischen 18 und 26 Jahren, sich für 6 oder 12<br />

Monate im Ausland im Bereich der Kultur- und Bildungspolitik<br />

zu engagieren. Rechtliche Grundlage<br />

ist das JFDG.<br />

• Freiwilligendienste aller Generationen (FDaG): Vor<br />

dem Hintergrund der demografischen Entwicklung<br />

wurden auf Grundlage der Empfehlungen der<br />

Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“ ab<br />

2005 Modellprojekte zum „generationsübergreifenden<br />

Freiwilligendienst“ vom BMFSFJ für junge und<br />

hauptsächlich ältere Menschen gefördert. Nachfolger<br />

ist das am 1. Januar 2009 gestartete Programm<br />

„Freiwilligendienste aller Generationen“.<br />

Wer sich im Umfang von mindestens 8 Wochenstunden<br />

für die Dauer von mindestens 6 Monaten<br />

engagiert, erhält u. a. einen Anspruch auf Qualifizierung<br />

und fachliche Begleitung und ist in der gesetzlichen<br />

Unfallversicherung abgesichert. Rechtliche<br />

Grundlage ist die Legaldefinition in § 2 Absatz<br />

1a SGB VII.<br />

• Auch der Europäische Freiwilligendienst (EFD) ist<br />

durch Beschluss des Europäischen Parlaments<br />

und des Rates ein geregelter Dienst. Junge Freiwillige<br />

aus Deutschland leisten einen Dienst im Ausland,<br />

oder ausländische junge Menschen leisten<br />

einen Freiwilligendienst in Deutschland. Rechtliche<br />

Grundlage ist der Beschluss Nr. 1719/2006/EG des<br />

Rates der Europäischen Union. Der EFD wird ausdrücklich<br />

auf EU-Ebene nicht als Beschäftigungsverhältnis<br />

gesehen.<br />

• Förderprogramm „weltwärts“: DasFörderprogramm<br />

„weltwärts“ soll das <strong>Engagement</strong> junger Menschen<br />

für die „Eine Welt“ nachhaltig fördern und versteht<br />

sich als Lerndienst, der jungen Menschen einen<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

interkulturellen Austausch in Entwicklungsländern<br />

ermöglicht. Die Rahmenbedingungen sind in der<br />

Richtlinie zur Umsetzung des entwicklungspolitischen<br />

Freiwilligendienstes des BMZ geregelt.<br />

Nicht geregelte Freiwilligendienste:<br />

• Kurzzeitfreiwilligendienste: Häufig wollen junge<br />

Menschen einen Dienst leisten, der eine kürzere<br />

Dauer als 6 Monate hat. Modelle für kurzzeitige<br />

Freiwilligendienste bieten Einsatzmöglichkeiten<br />

zwischen drei und 6 Monaten, die dem FSJ vergleichbar<br />

sind.<br />

• Ungeregelte längerfristige Freiwilligendienste: Das<br />

Ziel der Völkerverständigung prägt die längerfristigen<br />

Freiwilligendienste, die sich grundsätzlich<br />

an junge Frauen und Männer richten und mit Ausnahme<br />

des „Anderen Dienst“ im Ausland nach §<br />

14b Zivildienstgesetz (ZDG) nicht gesetzlich geregelt<br />

sind. Die Bedeutung hat sich seit dem Start<br />

des Förderprogramms „weltwärts“ durch das BMZ<br />

erheblich verringert.<br />

Wo es keine rechtlichen oder fördertechnischen Rahmenbedingungen<br />

gibt, die eingehalten werden müssen,<br />

gibt es auch viele Formen von Freiwilligendiensten. Die<br />

Aufzählung ist deshalb nicht abschließend.<br />

Freiwilligendienste haben sich in den letzten Jahren<br />

rasant entwickelt: 5<br />

FSJ Inland 40.000 6<br />

FÖJ Inland 2.200<br />

FSJ Ausland (und FÖJ) 700<br />

ungeregelte FWD Inland 650<br />

Förderprogramm „weltwärts“<br />

2.900<br />

sonstige FWD Ausland 2.000 7<br />

Europäischer Freiwilligendienst<br />

(800 Entsendungen;<br />

400 Freiwillige<br />

in Deutschland)<br />

1.200<br />

„kulturweit“ 8 190<br />

Zahlen zu den FDaG sind erst ab Februar oder März<br />

2010 im Rahmen der Veröffentlichung einer Befragung<br />

zu erwarten (Stand Januar 2010).<br />

41


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

II. Ziele des FWDStG<br />

Folgende Ziele sollten mit der Gesetzesinitiative<br />

verbunden sein:<br />

Erhöhung der Übersichtlichkeit und Rechtssicherheit<br />

ohne Schwächung erfolgreicher Freiwilligendienst-<br />

Modelle<br />

Neue gesetzgeberische Vorgaben müssen die vorhandenen<br />

Freiwilligendienst-Formen weiter stärken.<br />

Dies gilt insbesondere für das FSJ, aber auch für das<br />

Förderprogramm „weltwärts“.<br />

Verbesserung der gesellschaftlichen Anerkennung<br />

Ein Fördergesetz muss passgenaue Rahmenbedingungen<br />

für die einzelnen Freiwilligendienst-Formate<br />

schaffen, die einerseits Benachteiligungen verhindern,<br />

andererseits Anreize schaffen, einen Freiwilligendienstleisten<br />

zu wollen.<br />

Verbesserte Rahmenbedingungen für Freiwilligendienste<br />

schaffen<br />

Bereits 2005 hat der Deutsche Bundestag die Bundesregierung<br />

aufgefordert, verbesserte Rahmenbedingungen<br />

für Freiwilligendienste zu schaffen. Trotz der Novellierung<br />

des JFDG haben sich die Rahmenbedingungen für<br />

Jugendfreiwilligendienste nicht ausreichend verbessert.<br />

Einheitliche Zuständigkeiten für Freiwilligendienste<br />

schaffen<br />

Eine ressortübergreifende Gestaltung der Freiwilligendienste<br />

stellt die Zusammenarbeit mit Familien-,<br />

Bildungs-, Arbeitsmarkt-, Integrations- oder auch<br />

Gesundheitspolitik sicher. Die Steuerung sollte beim<br />

BMFSFJ liegen, auch wenn andere Ressorts Angebote<br />

vorhalten. Ein besonderes Augenmerk muss<br />

stets auf die besonderen Interessen und Belange<br />

junger Menschen gelegt werden.<br />

III. Rechtliche Rahmung<br />

Ein FWDStG könnte als Artikelgesetz gestaltet werden<br />

mit folgenden Artikeln:<br />

• Artikel 1: Allgemeiner Freiwilligendienststatus<br />

• Artikel 2: Freiwilligendienst für Menschen bis 27<br />

Jahren im Inland. Die Regelungen sollten sich eng<br />

am JFDG orientieren.<br />

• Artikel 3: Freiwilligendienst für Menschen bis 27<br />

Jahren im Ausland. Die Regelungen sollten sich<br />

42<br />

eng am Förderprogramm „weltwärts“ orientieren,<br />

diese gesetzgeberisch festschreiben und um den<br />

gesamten Zuständigkeitsbereich des Auswärtigen<br />

Amtes erweitert werden.<br />

• Artikel 4: Freiwilligendienst für Menschen ab 28<br />

Jahre im In- oder Ausland. Es muss geprüft werden,<br />

ob zwischen Regelungen für das In- und Ausland<br />

zusätzlich unterschieden werden muss. Sollte<br />

es schwierig sein, die unterschiedlichen Bedarfe<br />

der Zielgruppe in einem einheitlichen Status zu<br />

bündeln, kann es auch Sinn machen, das FWDStG<br />

auf Jugendfreiwilligendienste zu beschränken.<br />

IV. Inhalte<br />

1. Allgemeiner Freiwilligendienststatus<br />

1.1 Ziele<br />

Folgende allgemeine Ziele sollten mit der Regelung<br />

eines allgemeinen Freiwilligendienststatus verbunden<br />

sein.<br />

Abgrenzung der Freiwilligendienste vom Pflichtdienst<br />

Regelmäßig wird eine Debatte um die Einführung<br />

einer allgemeinen Dienstpflicht als „soziale Schule<br />

der Nation“ für junge Männer und Frauen alternativ<br />

zum Zivildienst geführt. Handlungsleitend in der<br />

Debatte sind befürchtete Lücken im Bereich der sozialen<br />

Dienste, und deshalb wird mehrheitlich für einen<br />

Pflichtdienst aus funktionalen Gründen plädiert.<br />

Eine allgemeine Dienstpflicht ist nicht nur aus ökonomischen<br />

und politischen Gründen, sondern vor allem<br />

aus ethischen und verfassungsrechtlichen Gründen<br />

der falsche Weg. Leitend in der Debatte bleibt, dass<br />

solche Forderungen deutschem und internationalem<br />

Recht widersprechen.<br />

Freiwilligendienste als besonderen Teil des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s beschreiben <strong>–</strong> Abgrenzung<br />

zum allgemeinen bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

Freiwilligendienste sind eine besondere, eigene Form<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s, und zwar<br />

jenseits des traditionellen Ehrenamts, jenseits von<br />

Pflicht, Erwerbsarbeit, Ausbildung und Zivildienst. 9<br />

Notwendig ist es, trotz aller Gemeinsamkeiten zwischen<br />

Freiwilligendiensten und bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> zu unterscheiden, um den Regelungsrahmen<br />

für ein künftiges Gesetz einzugrenzen und<br />

gleichzeitig von den Bestrebungen nach einem Bundesgesetz<br />

zur nachhaltigen Förderung des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s abzugrenzen.


Freiwilligendienste als Bildungsprojekt verorten<br />

Der Bildungsanspruch ist konstitutives Element der<br />

Freiwilligendienste und macht ihre besondere Attraktivität<br />

aus. Der Bildungscharakter und der Bildungsanspruch<br />

in und von Freiwilligendiensten sind zu erhalten.<br />

Freiwilligendienste sind arbeitsmarktneutral zu <strong>gestalten</strong><br />

Freiwilligendienste sind zuerst ein Bildungsprojekt mit<br />

einem expliziten Bildungsauftrag in Abgrenzung zum<br />

formalen Lernen. Eine Engführung auf berufsqualifizierende<br />

und/oder arbeitsmarktpolitische Instrumente<br />

birgt für die Freiwilligendienste die Gefahr, den Anspruch<br />

der Arbeitsmarktneutralität aufzugeben.<br />

Freiwilligendienste für junge Menschen sollen helfen,<br />

die Lebenslagen von Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

zu verbessern<br />

Die gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendienste<br />

zielen auf die Verbesserung der Lebenslagen von<br />

Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Soziale Bildung<br />

soll jungen Menschen die Möglichkeit geben,<br />

in der Praxis soziale Erfahrung zu sammeln und einen<br />

Beitrag zu ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu<br />

leisten. Damit bezieht sich das JFDG auf das Kinder-<br />

und Jugendhilfegesetz. Der Referenzrahmen<br />

des Kinder- und Jugendhilfegesetz, muss auch im<br />

FWDStG für die Zielgruppe junge Menschen verbindlich<br />

festgeschrieben werden. Freiwilligendienste<br />

für Menschen ab 28 Jahren sollen u. a. helfen, in<br />

den Arbeitsmarkt zu integrieren, biografische Übergänge<br />

zu <strong>gestalten</strong> und sinnvolle <strong>Engagement</strong>felder<br />

zu entdecken.<br />

1.2 Definition mit Mindestanforderungen für alle<br />

geregelten und ungeregelten Freiwilligendienste<br />

Es gibt unterschiedliche Definitionen von Freiwilligendiensten.<br />

Sie reichen von der auf die ganztägigen<br />

Dienste ausgerichteten Definition der<br />

Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s“ 10 bis hin zur weiteren Definition<br />

von Rauschenbach/Liebig. 11 Danach sind<br />

Freiwilligendienste „Dienstverhältnisse innerhalb<br />

gemeinnütziger Organisationen, die im Zwischenbereich<br />

von Ehrenamt und (formalen) Bildungsangeboten<br />

angeboten werden. Sie sind mit obligatorischen<br />

Bildungsangeboten verknüpft und werden<br />

in Form freiwilliger Selbstverpflichtung zumeist von<br />

jungen, aber auch von älteren Menschen in Anspruch<br />

genommen.“<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

1.2.1 Mindestanforderungen<br />

Freiwilligendienste enthalten Statuselemente verschiedener<br />

anderer Tätigkeitsformen und sind doch<br />

etwas Eigenes:<br />

• Freiwilligendienste sind nicht „herkömmliches Ehrenamt“,<br />

aber freiwilliges bzw. bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>.<br />

• Freiwilligendienste sind nicht Pflichtdienst, aber der<br />

Freiwillige verpflichtet sich. Freiwilligendienste sind<br />

keine Arbeitsverhältnisse, aber auch fremdnützige<br />

Hilfstätigkeit.<br />

• Freiwilligendienste sind nicht Ausbildungsverhältnis,<br />

aber Bildungsdienst.<br />

Sortiert man diesen Abgrenzungsmerkmalen positive<br />

Kriterien zu, ergeben sich folgende Mindestanforderungen:<br />

• Freiwilligendienste basieren auf einer vertraglichen<br />

Selbstverpflichtung, in der Dauer, Art und zeitlicher<br />

Umfang der Tätigkeit festgelegt werden.<br />

• Freiwilligendienste werden pädagogisch begleitet,<br />

dienen der sozialen und fachlichen Erfahrung.<br />

• Freiwillige leisten „überwiegend praktische Hilfstätigkeiten“,<br />

worin auch die gewünschte soziale Komponente<br />

und der Bildungscharakter zum Ausdruck<br />

kommen.<br />

• Freiwillige kommen in gemeinwohlorientierten Einsatzstellen<br />

bzw. Einrichtungen zum Einsatz.<br />

• Freiwilligendienste werden von gemeinnützigen Organisationen<br />

oder öffentlichen Trägern angeboten.<br />

• Freiwillige erhalten einen allgemein gültigen Nachteilsausgleich<br />

als Zeichen der Anerkennung, wie<br />

z. B. Anspruch auf Waisenrente und Kindergeld.<br />

1.2.2 Offene Fragen<br />

Bei der Diskussion eines Allgemeinen Status gibt es<br />

einige „Klippen“ und offene Fragen. Zwei Beispiele:<br />

Dauer<br />

Neben formalen Gemeinsamkeiten zwischen Freiwilligendiensten<br />

und bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong><br />

gibt es vor allem bei der Frage der Dauer unterschiedliche<br />

Auffassungen.<br />

• Die Kommission „Impulse für die Zivilgesellschaft“<br />

definiert: „Generationsübergreifende Freiwilligendienste<br />

sollten länger dauern können als ein Jahr, in<br />

Vollzeit ausgeübt werden oder mit wenigen Stunden<br />

Zeiteinsatz in der Woche, Beruf und Familie begleitend.<br />

In der Regel sollte eine Mindestdauer von 3<br />

43


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

zusammenhängenden Monaten mit mindestens 20<br />

Wochenstunden und einer Höchstdauer bis zu 24<br />

Monaten bei Diensten im In- und Ausland eingehalten<br />

werden. Bei berufsbegleitenden Formen sollte<br />

jedenfalls eine entsprechende zeitliche Mindestanforderung<br />

festgelegt werden.“ 12 Für die FDaG sind<br />

inzwischen gesetzlich im Rahmen der Legaldefintion<br />

nach § 2 Absatz 1a SGB VII mindestens 6 Monate<br />

und mindestens 8 Wochenstunden festgelegt.<br />

• Jugendfreiwilligendienste sind in der Regel vergleichbar<br />

einer Vollzeittätigkeit. FSJ und FÖJ dauern<br />

zwischen mindestens 6 und höchstens 18 Monaten<br />

(in Ausnahmefällen 24 Monate).<br />

• Kurzzeitfreiwilligendienste sind ebenfalls Jugendfreiwilligendienste<br />

und sind bereits ab 3 Monaten möglich.<br />

• Freiwilligendienste im Ausland sind ebenfalls in der<br />

Regel Vollzeitdienste und dauern in der Regel 12<br />

Monate, aber auch hier gibt es zeitliche Ausnahmen.<br />

Einige Träger bieten den Dienst bereits ab 6<br />

Monaten bis zu einer Dauer von 24 Monaten an.<br />

Außerhalb der FDaG gibt es in Deutschland im<br />

Grundsatz nur Vollzeitfreiwilligendienste, die überwiegend<br />

Jugendfreiwilligendienste sind. Die politisch<br />

geforderte zeitliche Flexibilisierung wurde bei<br />

der Novellierung des JFDG zwar in der möglichen<br />

Ableistung in Blöcken, der Ausgestaltung mit einem<br />

besonderen Konzept bis zu einer Dauer von 24 Monaten,<br />

der Möglichkeit der Ableistung mehrerer Freiwilligendienste<br />

nacheinander sowie der Option eines<br />

kombinierten In- und Auslandsdienstes umgesetzt.<br />

Eine Abkehr von der Vollzeittätigkeit bei Jugendfreiwilligendiensten<br />

war jedoch politisch nicht gewollt.<br />

Die Arbeitsgruppe „Freiwilligendienste“ des <strong>BBE</strong> definiert<br />

Freiwilligendienste in einem Arbeitspapier als<br />

Dienst mit mindestens 3 zusammenhängenden Monaten<br />

und maximal 24 Monaten mit je 15 Wochenstunden.<br />

13 Die im Fachforum Freiwilligendienste zusammengeschlossenen<br />

Träger, zu denen die Mitglieder<br />

des BAK-FSJ, BAK-FÖJ und des Gesprächskreises<br />

Internationale Freiwilligendienste gehören, definieren<br />

Freiwilligendienste als Blöcke aus mindestens drei<br />

zusammenhängenden Monaten; auf der Grundlage<br />

von mindestens 20 Wochenstunden und einer maximalen<br />

Dauer von 24 Monaten. Den Trägern geht es<br />

bei dieser Minimaldefinition um eine Abgrenzung zum<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>.<br />

Rechtliche und soziale Fragen <strong>–</strong> Status<br />

Es gibt vor allem bei der Frage der rechtlichen und<br />

sozialen Absicherung der Freiwilligen große Unterschiede.<br />

Ziel muss es sein, dass der Status eines<br />

Teilnehmers an Freiwilligendiensten als ein Rechts-<br />

44<br />

verhältnis der eigenen Art definiert wird. Menschen,<br />

die sich in Freiwilligendiensten sozial und ohne Gewinnerzielungsabsicht<br />

engagieren, dürfen in ihrer<br />

sozialen Sicherung jedoch nicht schlechter gestellt<br />

werden, als sie ohne ihr <strong>Engagement</strong> stünden. Besonders<br />

der Schutz vor Krankheit, Unfall, Invalidität<br />

und Haftpflichtschäden <strong>–</strong> dieser Schutz kann je nach<br />

Lebens-, Berufs- und Familiensituation unterschiedlich<br />

aussehen <strong>–</strong> muss verbindlich geregelt sein.<br />

Fraglich ist, ob ein eigener Status im Rahmen eines<br />

allgemeinen Freiwilligendienststatus konsensfähig ist<br />

und welche Merkmale er haben sollte.<br />

• Die Tätigkeit in den gesetzlich geregelten Jugendfreiwilligendiensten<br />

FSJ und FÖJ ist beschäftigungsähnlich<br />

und deshalb sozialversicherungspflichtig.<br />

14 Träger bzw. Einsatzstellen müssen<br />

vollständig für die Sozialversicherungsbeiträge<br />

aufkommen. 15<br />

• Für das Programm Kulturweit gilt wie im FSJ-Ausland<br />

die gesetzliche Sozialversicherungspflicht.<br />

• Ungeregelte Freiwilligendienste im Inland sind<br />

nach Auffassung des Bundesministeriums für Arbeit<br />

und Soziales Beschäftigungsverhältnisse und<br />

damit sozialversicherungspflichtig. 16<br />

• Die Freiwilligendienste aller Generationen sind<br />

grundsätzlich sozialversicherungsfrei. Die Freiwilligen<br />

sind lediglich in der gesetzlichen Unfallversicherung<br />

pflichtversichert. 17 Geht der Tätigkeitsumfang<br />

über ein Drittel einer vergleichbaren<br />

Vollzeitstelle hinaus, unterliegen die Tätigkeiten<br />

der Einkommenssteuerpflicht 18 und es kann auch<br />

dazu kommen, dass die Tätigkeit als sozialversicherungspflichtig<br />

eingestuft wird.<br />

• Im Förderprogramm „weltwärts“ besteht keine gesetzliche<br />

Sozialversicherungspflicht, weil von einer<br />

Entsendung der Freiwilligen ausgegangen wird.<br />

Der private Versicherungsschutz umfasst mindestens<br />

eine Auslandskrankenversicherung, Unfallversicherung<br />

inkl. Invalidität und Todesfall, eine<br />

Pflegeversicherung, eine Haftpflicht- und Rücktransportversicherung.<br />

• Der Europäische Freiwilligendienst hält für alle Teilnehmer/innen<br />

eine private Kranken-, Unfall-, Invaliditäts-<br />

und Haftpflichtversicherung vor.<br />

Ziel sollte ein allgemein gültiger sozialversicherungsrechtlicher<br />

Status sein, dieser könnte wie folgt aussehen:<br />

• Die Freiwilligen sollen von der Rentenversicherung<br />

als versicherungsfrei aufgenommen und die<br />

Dienstzeit als beitragsfreie Anrechnungszeit gewertet<br />

werden.


• In der Arbeitslosenversicherung sollten die Freiwilligen<br />

nach Beendigung ihres Dienstes denselben<br />

Status erhalten, den sie vor ihrem Freiwilligendienst<br />

innehatten.<br />

• Die Freiwilligen sollen in die gesetzliche Unfallversicherung<br />

einbezogen werden (Berufsgenossenschaft).<br />

• Junge Menschen sollen die Möglichkeit erhalten,<br />

über ihre Eltern in der Familienversicherung versichert<br />

zu bleiben.<br />

• Nicht alle Freiwilligen benötigen diesen sozialversicherungsrechtlichen<br />

Status umfassend. Im Einzelfall<br />

muss geprüft werden, ob insbesondere für<br />

Freiwillige, die älter als 27 Jahre sind, alle Regelungen<br />

notwendig ist.<br />

Es ist jedoch nicht davon auszugehen, dass sich ein<br />

derartiger Status einfach realisieren lässt, weil Freiwilligendienste<br />

im Inland als beschäftigungsähnlich definiert<br />

werden. Der in der Sozialversicherung gebräuchliche<br />

Begriff der Beschäftigung geht weit über den<br />

Arbeitsbegriff hinaus. Im Prinzip sind alle Tätigkeiten,<br />

auch die, bei denen der Lerneffekt im Vordergrund<br />

steht, Beschäftigung. Damit sind alle Beschäftigungsverhältnisse<br />

in Deutschland sozialversicherungspflichtig<br />

und alle Inlandsfreiwilligendienste damit<br />

wahrscheinlich ebenfalls sozialversicherungspflichtig.<br />

Weiter ist nicht davon auszugehen, dass die Bundesregierung<br />

ein Mandat für die Harmonisierung der sozialen<br />

Sicherung an die EU abgeben wird, 19 deshalb lassen<br />

sich europäische Richtlinien zur Schaffung eines<br />

Freiwilligendienststatus in Deutschland nicht nutzen.<br />

Sollte sich ein derartiger allgemeiner sozialversicherungsrechtlicher<br />

Status nicht realisieren lassen,<br />

sollten passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen<br />

Zielgruppen geschaffen werden.<br />

2. Passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen<br />

Zielgruppen und <strong>–</strong> Formate<br />

Neben einem allgemeinen Freiwilligendienststatus<br />

sind passgenaue Regelungen für die unterschiedlichen<br />

Zielgruppen und Formate (In- und Auslandsdienste<br />

für Jüngere und Ältere, siehe oben unter III.,<br />

Artikel 2-4) notwendig.<br />

2.1 Sozialversicherungsrechtliche Absicherung<br />

Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27 Jahren<br />

im Inland 20 sollten die Regelungen des JFDG gelten.<br />

Für einen Freiwilligendienst für Menschen bis 27<br />

Jahren im Ausland sollten die Regelungen des Förderprogramms<br />

„weltwärts“ gesetzgeberisch festgeschrieben<br />

werden.<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Freiwilligendienstleistende ab 28 Jahre benötigen<br />

sehr unterschiedliche rechtliche und sozialversicherungsrechtliche<br />

Rahmenbedingungen. Erhalten<br />

sie Taschengeld oder Verpflegung und/ oder Unterkunft<br />

in den Einrichtungen, ist davon auszugehen,<br />

dass im Inland Sozialversicherungsbeiträge anfallen.<br />

Dann kann auf die Lösung für Artikel 2 (Inland<br />

junge Menschen) oder bei einer Entsendung auf Artikel<br />

3 (Ausland junge Menschen) zurückgegriffen<br />

werden. 21<br />

2.2 Dauer<br />

Empfohlen wird ein Regelungsrahmen für eine überwiegende<br />

Tätigkeit, also wenigstens 20 Stunden/<br />

Woche für ältere Menschen, für junge Menschen<br />

sollten 30 Wochenstunden als Regel festgeschrieben<br />

werden. Ausnahmen sind denkbar. So lassen<br />

sich sinnvoll Bildungselemente und Begleitangebote<br />

integrieren. Berechtigte Interessen der Organisationen<br />

und Einrichtungen hinsichtlich der Planbarkeit<br />

und Verbindlichkeit können so ebenso berücksichtigt<br />

werden. Innerhalb dieses Zeitkorridors muss die<br />

Dauer des Freiwilligendienstes flexibel gestaltbar<br />

bleiben.<br />

2.3 Begleitung der Freiwilligen<br />

Unabhängig von der Dauer und Form eines Freiwilligendienstes<br />

ist eine Begleitung sicherzustellen, die es<br />

den Freiwilligen ermöglicht, ihre Erfahrungen in einer<br />

Gruppe von Freiwilligen zu reflektieren und in gesellschaftliche<br />

Zusammenhänge einzuordnen. Abhängig<br />

von der Zielgruppe und Lebensphase sind unterschiedliche<br />

Begleitkonzepte notwendig. Die begleitende Bildung<br />

kann sich auch nicht nur auf die Begleitung durch<br />

Mentorinnen und Mentoren beschränken.<br />

Die Notwendigkeit der pädagogischen Begleitung<br />

für junge Menschen ist durch Gesetzesevaluationen<br />

und diverse Befragungen der Freiwilligen belegt. Mit<br />

dem Umfang von 25 Seminartagen pro Freiwilligenjahr<br />

wurden in In- und Auslandsdiensten gute Erfahrungen<br />

gemacht. Die Seminartage sollten bei Dienstzeiten,<br />

die kürzer als ein Jahr sind, wenigstens 2 Tage<br />

pro Monat betragen.<br />

Die pädagogische Begleitung für Freiwillige ab 28<br />

Jahre sollte ebenfalls geregelt sein. Auch sie haben<br />

ein Recht auf Begleitangebote, die sich an den Bedarfen<br />

der Freiwilligen ausrichten müssen. Vorgeschlagen<br />

wird, „älteren“ Freiwilligen einen Rechtsanspruch<br />

auf Seminarteilnahme und Begleitangebote<br />

einzuräumen und sie gleichzeitig zur Teilnahme an<br />

einem Seminartag pro Monat zu verpflichten.<br />

45


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

2.4 Trägerprinzip<br />

Ein Freiwilligendienst braucht in allen Formaten Trägerstrukturen,<br />

die in der Lage sind, die Einhaltung<br />

der Rahmenbedingungen und Qualitätsstandards zu<br />

garantieren. Die Träger übernehmen die Gesamtverantwortung<br />

für die Ausgestaltung des Dienstes. Notwendig<br />

ist eine plurale Trägerlandschaft und <strong>–</strong> in der<br />

Regel <strong>–</strong> eine Trennung von Einsatzstelle und Träger.<br />

Ein wichtiges Ziel des FWDStG sollte die Stärkung<br />

vorhandener Dienstformen und Trägerstrukturen<br />

sein. Eine Beibehaltung des Prinzips der geborenen<br />

Träger, wie sie das FSJ-Gesetz kennt, ist für das Inland<br />

zu empfehlen. Das Prinzip der bundeszentralen<br />

Organisation der Jugendfreiwilligendienste sollte mit<br />

dem neuen Gesetz unterstützt und auch für andere<br />

Formate übernommen werden. Neben den bisherigen<br />

bewährten Trägern in den In- und Auslandsdiensten<br />

bedarf es aber auch der Anerkennung neuer Träger<br />

gemäß zu entwickelnder Standards.<br />

Die Rolle des Staates als Anbieter von Freiwilligendiensten<br />

ist klärungsbedürftig. Im letzten Jahr initiierte<br />

das Auswärtige Amt mit „kulturweit“ einen Jugendfreiwilligendienst<br />

für das Ausland ohne Beteiligung<br />

zivilgesellschaftlicher Akteure.<br />

2.5. Anerkennungskultur<br />

Gesellschaftliche Anerkennung für das <strong>Engagement</strong><br />

sollte sich auch in Form von Vergünstigungen ausdrücken.<br />

Ein Fördergesetz sollte unter dem Stichwort Anerkennungskultur<br />

passgenaue Rahmenbedingungen<br />

für die einzelnen Formate schaffen, die einerseits<br />

Benachteiligungen verhindern, andererseits Anreize<br />

schaffen, einen Freiwilligendienst leisten zu wollen.<br />

Beispiele, deren rechtliche Verankerung zielgruppenspezifisch<br />

geprüft werden sollte:<br />

• Ausgabe eines „Freiwilligendienst-Ausweises“, der<br />

Voraussetzung wäre für<br />

46<br />

• eine verbilligte BahnCard,<br />

• kostenlose Familienheimfahrten mit der Bahn,<br />

• die begünstigte Nutzung aller anderen öffentlichen<br />

Verkehrsmittel,<br />

• eine ermäßigteNutzungöffentlicherundprivater Angebote<br />

wie Theater, Museen, Bäder und Konzerte,<br />

• bevorzugten Zugang/einen Bonus für Universität<br />

und Berufsausbildung,<br />

• Anerkennung als Praktikum bei einschlägigen Ausbildungsgängen,<br />

• Verkürzung der Ausbildung bei entsprechenden<br />

Ausbildungsgängen und Tätigkeiten,<br />

• Befreiung von der Praxisgebühr/Medikamentenzuzahlung,<br />

• Befreiung von der Rundfunkgebühr,<br />

• Verlängerung des Kindergeldbezugs um Dauer des<br />

Freiwilligendienstes, da ansonsten eine schnelle Studienaufnahme<br />

im Vordergrund stehen könnte. Das<br />

gleiche gilt für die Familienversicherung bei der Krankenversicherung<br />

und die Waisen-/Halbwaisenrente.<br />

• Bildungsgutscheine, die vielfältig einsetzbar sind, z. B.<br />

für die Zahlung von Studiengebühren, vor allem aber,<br />

um Fortbildungen und Weiterbildungen zu bezahlen;<br />

• HonorierungderAbleistungeinesFreiwilligendienstes<br />

• bei Ausbildungsvergabe im öffentlichen Dienst,<br />

• bei Wartesemesterregelungen an den Universitäten,<br />

• Garantie für Arbeitsplatzerhalt bei Aussetzen (wie<br />

Sabbatjahrregelung),<br />

• Zeugnisse, Zertifikate, Kompetenzbilanzierung.<br />

• Die geringen Freibeträge für Freiwillige bei Bedarfsgemeinschaften<br />

beim ALG II machen ein <strong>Engagement</strong><br />

aus finanzieller Sicht für diese Zielgruppe wenig<br />

attraktiv. Hier braucht es höhere Freibeträge.<br />

V. Zusammenfassung<br />

Ein FWDStG bietet die Chance für mehr Rechtssicherheit<br />

und Übersichtlichkeit im vielfältigen Bereich<br />

der Freiwilligendienste. Der Bereich kann dadurch<br />

mehr Anerkennung erfahren, weiterentwickelt und<br />

zukunftsfähig gemacht werden.<br />

Dabei wird es darauf ankommen, eine Überregulierung<br />

zu vermeiden und einzelne Freiwilligendienstangebote<br />

nicht zu schwächen.<br />

Die Diskussion ist auf Grundlage des Koalitionsvertrages<br />

eröffnet. Das Nationale Forum für <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

bietet eine Plattform zum Austausch und zur<br />

Lösungssuche. Ziel sind sinnvolle, möglichst konkrete<br />

Handlungsvorschläge an den Gesetzgeber, die vom gesamten<br />

Feld getragen werden und in ein mögliches Gesetzgebungsverfahren<br />

eingespeist werden können.<br />

Anmerkungen<br />

1 Wachstum. Bildung. Zusammenhalt. Koalitionsvertrag<br />

zwischen CDU, CSU und FDP. Beschlossen<br />

und unterzeichnet am 26.10.2009, S. 80.<br />

2 Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

(2009) (Hg.): Nationales Forum für <strong>Engagement</strong>


und Partizipation. Erster Zwischenbericht. Berlin.<br />

Hintergrund ist die Forderung des Dialogforums<br />

„Rechtliche und finanzielle Rahmenbedingungen“,<br />

ein Bundesgesetz zur nachhaltigen Förderung des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s mit den Zielen<br />

einer systematischen Förderpolitik, Transparenzerweiterung<br />

und Beteiligung der Zivilgesellschaft<br />

zu entwickeln. In den Regelungskatalog sollen die<br />

Jugendfreiwilligendienste ebenfalls aufgenommen<br />

werden.<br />

3 Ebd., S. 15<br />

4 Bundestagsdrucksache 15/4395.<br />

5 Vom Autor telefonisch erfragt, aus öffentlich zugänglichen<br />

Quellen bezogen oder nach Befragung<br />

Verantwortlicher geschätzt. Basis ist entweder<br />

das Jahr 2009 oder 2008.<br />

6 Die Statistik des BAK FSJ weist für 2007/2008 ca.<br />

35.000 Zugänge ins FSJ aus. Zusätzlich, so wird<br />

geschätzt, gibt es nochmals ca. 5.000 Einsatzplätze<br />

bei nicht bundesweit organisierten Trägern.<br />

7 Stand 2008, ohne FSJ-14c (ca. 1.200), incl. 14b<br />

(ca. 550); Quelle: Arbeitsgemeinschaft Dienst für<br />

den Frieden (AGDF).<br />

8 Zum 1.9.09 entsandte Freiwillige.<br />

9 Dieses hat die Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft<br />

festgehalten und bezieht sich auch auf<br />

die gleichnamige Enquete-Kommission des Deutschen<br />

Bundestags.<br />

10 „Freiwilligendienste sind eine besondere, staatlich<br />

geförderte Form bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s,<br />

in der sich Jugendliche und junge Erwachsene<br />

im Rahmen eines FSJ/ FÖJ, EFD oder auch<br />

eines internationalen Freiwilligendienstes für das<br />

Gemeinwohl engagieren (Enquete-Kommission<br />

„Zukunft des BE“ 2002; S. 251).<br />

11 Weiter: „Freiwilligendienste sind hinsichtlich ihrer<br />

Dauer, Umfang, Einsatzorte sowie sozialer Absicherung<br />

und Gratifikation vertraglich zwischen<br />

Freiwilligen und Organisation geregelt, im Falle<br />

bestimmter Dienste zusätzlich gesetzlich festgeschrieben.<br />

Sie sind vom Grundsatz her nicht<br />

vergütet und formal zeitlich begrenzt.“ Vgl. Rauschenbach,<br />

Thomas; Liebig, Reinhard (2002):<br />

Freiwilligendienste <strong>–</strong> Wege in die Zukunft. Gutachten<br />

zur Lage und Zukunft der Freiwilligendienste<br />

für den Arbeitskreis Bürgergesellschaft<br />

und Aktivierender Staat der Friedrich Ebert-Stiftung.<br />

Bonn, S. 5.<br />

12 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (2004): Perspektiven für Freiwilligendienste<br />

und Zivildienst in Deutschland. Bericht der<br />

Kommission Impulse für die Zivilgesellschaft. Berlin,<br />

S. 10 und 11.<br />

13 Freiwilligendienste <strong>–</strong> was sie als eine besondere Form<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s auszeichnet;<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Entwurf eines Positionspapiers der AG 3 „Freiwilligendienste“<br />

des <strong>BBE</strong> vom 18.9.2009.<br />

14 Dies gilt auch für die ungeregelten Freiwilligendienste<br />

im Inland, deren Beschäftigungsumfang<br />

in der Regel mehr als ein Drittel einer Vollzeittätigkeit<br />

umfasst. Sie haben zwar keinen Arbeitnehmerstatus,<br />

sind jedoch beschäftigungsähnlich<br />

und deshalb in die gesetzlich geregelte Sozialversicherung<br />

vollständig einzubeziehen.<br />

15 Bei den Inlandsdiensten steht zwar nicht die für den<br />

Arbeitsvertrag typische Verpflichtung zur Leistung<br />

bestimmter Arbeit im Vordergrund, damit genügt<br />

die Tätigkeit in den Freiwilligendiensten keiner arbeitsrechtlichen<br />

Einordnung als Arbeitnehmer/-in.<br />

Allerdings geht der in der Sozialversicherung gebräuchliche<br />

Begriff der Beschäftigung weit über<br />

den Arbeitsbegriff hinaus.<br />

16 In Prüfungen einzelner Träger kommen die Prüfer<br />

zu unterschiedlichen Ergebnissen. Einmal werden<br />

generationsübergreifende FWD im Modellprojekt,<br />

die in Vollzeit angeboten wurden, als voll sozialversicherungspflichtig<br />

eingestuft. Eine andere<br />

Prüfung eines Kurzzeitdienstes in Vollzeit kam<br />

zu dem Schluss, dass die Mini-Job-Regelung zugrunde<br />

zu legen ist. Es besteht Handlungsbedarf.<br />

17 Gesetzliche Unfallversicherung, SGB VII, § 2<br />

Abs. 1a.<br />

18 Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (2008): Praxishandbuch zum Freiwilligendienst<br />

aller Generationen. Vgl.: www.freiwilligendienste-aller-Generationen.de.<br />

S. 34 ff.<br />

19 In der EU wird die Frage von Freiwilligendiensten<br />

unter dem Stichwort Mobilität diskutiert. Die<br />

Mobilitätsempfehlung der EU sieht vor, dass<br />

Freiwillige nicht als Arbeitnehmer zu betrachten<br />

sind und dass ihnen bei grenzüberschreitenden<br />

Aktivitäten keine Steine in den Weg gelegt werden<br />

dürfen. Es handelt sich aber nur um eine<br />

Empfehlung. In der gemeinsamen Zielsetzung<br />

des Rates ging es 2007 den Nationalstaaten<br />

darum, Freiwilligendienste unter rechtlichen<br />

Gesichtspunkten zu bewerten. Sie wurden als<br />

nicht-formale Bildungsveranstaltungen und die<br />

Dienstleistenden als Nicht-Arbeitnehmer qualifiziert.<br />

Von europäischer Seite gäbe es Ansatzpunkte,<br />

die es <strong>ermöglichen</strong> würden, konsequent<br />

eine eigene Richtlinie für Freiwilligendienste zu<br />

erlassen, die den transnationalen Austausch ermöglicht.<br />

Sozialrechtlich ist das verbunden mit<br />

der so genannten Wanderarbeiterrichtlinie aus<br />

dem Jahre 1971.<br />

20 Dies umfasst junge Menschen, die in Deutschland<br />

leben oder für einen Freiwilligendienst nach<br />

Deutschland einreisen.<br />

21 Siehe auch Fußnote 10.<br />

47


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Dr. Nicole D. Schmidt<br />

Thesen: Zur Zielgruppe Menschen mit<br />

Behinderungen und Beeinträchtigungen<br />

Kompetenz, Empowerment und gesellschaftliche<br />

Teilhabe durch Freiwilligendienste<br />

(Erfahrungen aus Bundesmodellprojekten des<br />

BMFSFJ bei mittenmang)<br />

Menschen mit Behinderungen sind Bürgerinnen<br />

und Bürger, die in unserer Gesellschaft faktisch<br />

noch nicht wirklich gleichgestellt sind, obwohl Gesetzesgrundlagen<br />

hierfür vorliegen. Zumeist werden<br />

sie als Hilfeempfänger gesehen, für die gesellschaftliche<br />

Anstrengungen unternommen werden<br />

müssen.<br />

Die Erfahrungen von mittenmang mit Bundesmodellprojekten<br />

zeigen: Das eigene freiwillige <strong>Engagement</strong><br />

von Menschen mit Behinderungen stärkt<br />

diese Personen in ihren Fähigkeiten, fördert oder<br />

aktiviert ihre Kompetenzen durch den Freiwilligendienst,<br />

ermöglicht Empowerment und Bewusstheit<br />

anstelle eines Rückzugs oder Verharren in<br />

Betroffenheit. Das <strong>Engagement</strong> führt zur gesellschaftlichen<br />

Teilhabe in Richtung einer inklusiven<br />

Gesellschaft.<br />

Die Sicherstellung der gesellschaftlichen Teilhabe<br />

von Ausgrenzung bedrohter Menschen (etwa Menschen<br />

mit Behinderungen oder auch Bürgerinnen<br />

und Bürger mit Migrationshintergrund mit Problemen<br />

wie Bildungsferne oder Altersarmut) und die<br />

Förderung des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

u. a. in Form von Freiwilligendiensten sind gesellschaftspolitische<br />

Querschnittsaufgaben. Die Erfahrungen<br />

von mittenmang zeigen, dass multiple Problemlagen<br />

synergetische Lösungen im freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong> finden können: persönliche Stärkung<br />

im Spektrum der Lebensbewältigung und Salutogenese,<br />

Teilhabe in der Gemeinschaft, Förderung der<br />

Beschäftigungsfähigkeit, positive Effekte in Bezug<br />

auf Bildungsferne, Armutsprobleme (Isolation) und<br />

Gemeinwesen-Effekte.<br />

48<br />

Die Gruppe der Menschen mit Behinderungen stellt<br />

eine zahlenmäßig wachsende Gruppe dar (Zunahme<br />

von Behinderung im Alter/demografische Effekte; Zunahme<br />

von psychischen Erkrankungen etc.). Diese<br />

Gruppe ist grundsätzlich geeignet, in bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> und Freiwilligendienste eingebunden<br />

zu werden, wenn die Bedingungen stimmen (z. B.<br />

spezifisches Freiwilligen-Management mit individueller,<br />

fachlicher Freiwilligenbegleitung). Zudem können<br />

die verschiedenen Altersgruppen <strong>–</strong> vom Jugendlichen<br />

mit z. B. Lernbehinderungen bis zum älteren<br />

Menschen <strong>–</strong> eingebunden werden.


Susanne Huth<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Thesen: Zum freiwilligen <strong>Engagement</strong> von Menschen mit<br />

Migrationshintergrund. Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“<br />

Auch wenn repräsentative Daten zum freiwilligen <strong>Engagement</strong><br />

von Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in Deutschland noch immer fehlen, so ist durch zahlreichen<br />

Studien und Praxisbeobachtungen bekannt,<br />

dass Menschen mit Migrationshintergrund im traditionellen<br />

Freiwilligensektor und damit auch in den Freiwilligendiensten<br />

deutlich unterrepräsentiert sind. Zugleich<br />

nehmen benachteiligte Jugendliche <strong>–</strong> unter denen solche<br />

mit Migrationshintergrund einen überproportionalen<br />

Anteil stellen <strong>–</strong> die Möglichkeit, einen Freiwilligendienst<br />

zu leisten, verhältnismäßig seltener wahr, als dies Jugendliche<br />

mit höheren Bildungsabschlüssen und aus<br />

sozial gesicherten Verhältnissen dies tun.<br />

Die folgenden Ausführungen geben einen knappen<br />

Überblick über<br />

• die Definition von „Migrationshintergrund“ sowie<br />

den Kenntnisstand über das freiwillige <strong>Engagement</strong><br />

von Menschen mit Migrationshintergrund;<br />

• den Benachteiligtenbegriff in der Kinder- und Jugendhilfe,<br />

der Arbeitsförderung sowie im Bundesprogramm<br />

„Freiwilligendienste machen kompetent“.<br />

Zum freiwilligen <strong>Engagement</strong> von Menschen<br />

mit Migrationshintergrund<br />

Menschen mit Migrationshintergrund<br />

Bei der Bevölkerung mit Migrationshintergrund handelt<br />

es sich um Personen, die nach 1949 auf das<br />

heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland<br />

zugezogen sind, sowie alle in Deutschland geborenen<br />

Ausländerinnen und Ausländer und alle in<br />

Deutschland Geborene mit zumindest einem zugezogenen<br />

oder als Ausländerin bzw. Ausländer in<br />

Deutschland geborenen Elternteil. Der Migrationsstatus<br />

einer Person wird hierbei aus seinen persönlichen<br />

Merkmalen zu Zuzug, Einbürgerung und<br />

Staatsangehörigkeit sowie aus den entsprechenden<br />

Merkmalen seiner Eltern bestimmt.<br />

Dies bedeutet, dass in Deutschland geborene Deutsche<br />

einen Migrationshintergrund haben können, sei<br />

es als Kinder von Spätaussiedler(inne)n, als Kinder<br />

ausländischer Elternpaare oder als Deutsche mit einseitigem<br />

Migrationshintergrund. Dieser Migrationshintergrund<br />

leitet sich dann ausschließlich aus den Eigenschaften<br />

der Eltern ab. Die Betroffenen können diesen<br />

Migrationshintergrund aber nicht an ihre Nachkommen<br />

vererben. Dies ist dagegen bei den Zugewanderten<br />

und den in Deutschland geborenen Ausländer(inne)n<br />

der Fall. Nach den heutigen ausländerrechtlichen Vorschriften<br />

umfasst diese Definition somit üblicherweise<br />

Angehörige der 1. bis 3. Migrantengeneration.<br />

Bei den Personen mit Migrationshintergrund wird unterschieden<br />

zwischen Personen mit Migrationshintergrund<br />

im engeren Sinne (Zugewanderte und in Deutschland<br />

geborene Ausländerinnen und Ausländer) und solchen<br />

mit Migrationshintergrund im weiteren Sinne. 1<br />

Kenntnisstand zum freiwilligen <strong>Engagement</strong><br />

von Menschen mit Migrationshintergrund<br />

Die Datenlage über das Ausmaß und die Kontexte<br />

des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s von Menschen mit Migrationshintergrund,<br />

ihre Motivlagen zur Übernahme<br />

von <strong>Engagement</strong>aktivitäten und Barrieren gegenüber<br />

einem <strong>Engagement</strong> ist noch immer unzureichend.<br />

Neuere Zahlen einer Repräsentativbefragung (Halm/<br />

Sauer 2007) zeigen, dass annähernd zwei Drittel<br />

(64%) der türkeistämmigen Menschen mit Migrationshintergrund<br />

in Vereinen, Verbänden, Gruppen oder<br />

Initiativen aktiv sind, wobei eine höhere Bildung und<br />

eine längere Aufenthaltsdauer in Deutschland die Beteiligungsquote<br />

begünstigen. Dieser Anteil entspricht<br />

in etwa dem Aktivitätsgrad der deutschen Gesamtbevölkerung<br />

(70%).<br />

49


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Türkeistämmige Menschen mit Migrationshintergrund<br />

sind am ehesten in türkischen Vereinen und Gruppen<br />

aktiv (40%), vor allem im kulturellen, religiösen und im<br />

Freizeitbereich. Die Beteiligung in interkulturellen und<br />

deutschen Vereinigungen ist dann höher, wenn hier<br />

gemeinsame Anliegen und Interessen berührt werden,<br />

beispielsweise in der politischen und beruflichen<br />

Interessenvertretung, im Sport oder bei Aktivitäten<br />

am Wohnort.<br />

Über diese Beteiligung hinaus sind 10% der türkeistämmigen<br />

Menschen mit Migrationshintergrund auch<br />

freiwillig engagiert; in der deutschen Gesamtbevölkerung<br />

liegt dieser Anteil bei mehr als einem Drittel. Hier<br />

ist der Zusammenhang mit dem Bildungsgrad und<br />

dem beruflichen und finanziellen Hintergrund noch<br />

deutlicher als bei der Beteiligungsquote. Derart besser<br />

integrierte Menschen mit Migrationshintergrund<br />

engagieren sich häufiger als solche, die weniger gut<br />

in die Gesellschaft eingebunden sind.<br />

Insgesamt engagieren sich Menschen mit Migrationshintergrund<br />

eher informell in Bereichen der gegenseitigen<br />

Hilfe und Selbsthilfe und in ihren ethnischen<br />

Gemeinschaften. Das „Migrantin- bzw. Migrant-Sein“<br />

bestimmt dabei die Formen und Inhalte des <strong>Engagement</strong>s,<br />

die Bewältigung der eigenen Situation bzw. der<br />

Situation der eigenen Gruppe in der Migration steht im<br />

Mittelpunkt und ist Anlass dafür, sich zu engagieren. 2<br />

Die Sonderauswertung der Migrantenstichprobe des<br />

zweiten Freiwilligensurvey ergibt, dass sich Menschen<br />

mit Migrationshintergrund zu 61% außerhalb von Familie<br />

und Beruf aktiv in Vereinen, Gruppen, Organisationen<br />

oder Einrichtungen beteiligen. 23% der befragten<br />

Menschen mit Migrationshintergrund des Freiwilligensurveys<br />

sind freiwillig engagiert. Dabei ist zu beachten,<br />

dass in der Migrantenstichprobe des Freiwilligensurveys<br />

deutschsprachige und somit eher gut sozial eingebundene<br />

Menschen mit Migrationshintergrund vertreten<br />

sind. Die Durchführung der Telefoninterviews in<br />

deutscher Sprache führte dazu, dass sich vergleichsweise<br />

viele formal höher gebildete Menschen mit Migrationshintergrund<br />

an der Umfrage beteiligten. 3<br />

Der Evaluation von FSJ und FÖJ ist zu entnehmen,<br />

dass Jugendliche aus dem Ausland oder in Deutschland<br />

lebende junge Menschen mit ausländischer<br />

Herkunft einen Freiwilligendienst mit Anteilen von<br />

rd. 6 % im FSJ und rd. 7 % im FÖJ leisten. Nicht alle<br />

Träger betreuen solche Jugendlichen, im FSJ sind<br />

es 60 % der Träger und im FÖJ ist es etwas über<br />

die Hälfte der Träger. Etwa zur Hälfte sind die in Frage<br />

kommenden jungen Menschen aus dem Ausland<br />

im Rahmen eines Austauschprogramms extra für<br />

50<br />

den Freiwilligendienst nach Deutschland eingereist<br />

(„Incoming“). Rechnet man diese Gruppe ab, dann<br />

reduziert sich der Anteil von tatsächlich in Deutschland<br />

lebenden Ausländerinnen und Ausländern bzw.<br />

von Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf rd.<br />

3 % bzw. 4 % in den beiden Freiwilligendiensten.<br />

Damit sind sie stark unterrepräsentiert angesichts<br />

eines Gesamtanteils von rd. 13 % in der altersgleichen<br />

Bevölkerung. 4<br />

Zum Begriff „benachteiligte Jugendliche“<br />

Der Begriff „benachteiligte Jugendliche“ wird in der<br />

Jugendhilfe, Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe<br />

genutzt. Der Begriff wird vor allem durch die für die<br />

Jugendsozialarbeit und Jugendberufshilfe relevanten<br />

Rechtsbereiche SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfegesetz)<br />

und SGB III (Arbeitsförderungsrecht) umschrieben<br />

<strong>–</strong> jedoch nicht exakt definiert.<br />

Der Benachteiligtenbegriff schließt neben einer individuellen<br />

Beeinträchtigung vor allem eine soziale Benachteiligung<br />

mit ein. Die Betroffenen gelten als sozial<br />

benachteiligt, wenn ihre Lebenschancen erheblich<br />

eingeschränkt werden, weil sie einer bestimmten<br />

Gruppe angehören. Sowohl das dritte als auch das<br />

achte SGB verbinden mit der sozialen Benachteiligung<br />

Rechtsansprüche.<br />

Kinder- und Jugendhilfe<br />

§ 13 SGB VIII bezeichnet als Zielgruppe der Jugendsozialarbeit<br />

individuell beeinträchtigte und sozial benachteiligte<br />

junge Menschen bis zum 27. Lebensjahr,<br />

die sozialpädagogische Hilfen angeboten bekommen<br />

sollen, die ihre schulische und berufliche Ausbildung,<br />

Eingliederung in die Arbeitswelt und ihre soziale Integration<br />

fördern. Eine nähere Zielgruppenbestimmung<br />

erfolgt im Gesetz selbst nicht.<br />

Von einer sozialen Benachteiligung ist in der Regel<br />

immer dann auszugehen, wenn die altersmäßige<br />

gesellschaftliche Integration nicht wenigstens durchschnittlich<br />

gelungen ist, insbesondere bei Haupt- und<br />

Sonderschülern ohne Schulabschluss, Absolventen<br />

eines Berufsvorbereitungsjahres, Abbrechern von<br />

Maßnahmen der Arbeitsverwaltung, schulischer und<br />

beruflicher Bildungsgänge, Langzeitarbeitslosen,<br />

jungen Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen,<br />

jungen Menschen mit Sozialisationsdefiziten,<br />

jungen Menschen, die in besonderen sozialen<br />

Schwierigkeiten sind, bei ausländischen jungen Menschen<br />

und Aussiedlern (mit Sprachproblemen) auch<br />

dann, wenn ihre schulischen Qualifikationen höher


als der Hauptschulabschluss liegen; schließlich bei<br />

jungen Menschen mit misslungener familiärer Sozialisation<br />

und durch gesetzliche Rahmenbedingungen<br />

benachteiligte Mädchen und junge Frauen (http://<br />

www.good-practice.de/3349.php).<br />

Als individuelle Beeinträchtigungen können alle physischen<br />

und psychischen oder sonstigen persönlichen<br />

Beeinträchtigungen individueller Art, wie z. B. Abhängigkeit,<br />

Verschuldung, Delinquenz, Behinderung<br />

oder auch wirtschaftliche Benachteiligung betrachtet<br />

werden. Aber auch individuelle Beeinträchtigungen,<br />

insbesondere psychische, physische oder sonstige<br />

persönliche Beeinträchtigungen individueller Art,<br />

insbesondere Lernbeeinträchtigung, Lernstörung,<br />

-schwächen, Leistungsbeeinträchtigung, -störungen,<br />

-schwächen, Entwicklungsstörungen sind als solche<br />

einzuordnen. 5<br />

Arbeitsförderung<br />

In SGB III werden lernbeeinträchtigte und sozial<br />

benachteiligte Jugendliche als Zielgruppen berufsvorbereitender<br />

Bildungsmaßnahmen und bei der<br />

Förderung der Berufsausbildung genannt. In der Geschäftsanweisung<br />

für ausbildungsfördernde Maßnahmen<br />

(HEGA 05/2007, lfd. Nr. 7) wird die Zielgruppe<br />

nach § 242 „Außerbetriebliche Berufsausbildung“ wie<br />

folgt definiert:<br />

Zur förderungsfähigen Zielgruppe gehören Jugendliche<br />

und junge Erwachsene ohne berufliche Erstausbildung,<br />

die die allgemeine Schulpflicht erfüllt haben.<br />

Förderungsfähig sind lernbeeinträchtige und sozial<br />

benachteiligte Auszubildende, die auch mit ausbildungsbegleitenden<br />

Hilfen eine betrieblichen Ausbildung<br />

nicht erfolgreich absolvieren können.<br />

Eine Altersbeschränkung sieht das Gesetz nicht vor.<br />

Als lernbeeinträchtigt gelten Auszubildende<br />

• ohne Hauptschul- oder vergleichbaren Abschluss<br />

bei Beendigung der allgemeinen Schulpflicht,<br />

• aus Förderschulen für Lernbehinderte unabhängig<br />

vom erreichten Schulabschluss,<br />

• mit Hauptschul- oder vergleichbarem Abschluss<br />

bei Beendigung der allgemeinbildenden Schulpflicht<br />

ausnahmsweise nur dann, wenn erhebliche<br />

Bildungsdefizite vorliegen, die erwarten lassen,<br />

dass ohne Berufsausbildung in außerbetrieblichen<br />

Einrichtungen ein Berufsabschluss nicht zu erreichen<br />

ist. In diesen Fällen ist der Psychologische<br />

Dienst der Agentur für Arbeit einzuschalten.<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Als sozial benachteiligt gelten insbesondere Auszubildende<br />

unabhängig von dem erreichten allgemeinbildenden<br />

Schulabschluss,<br />

• die nach Feststellung des Psychologischen<br />

Dienstes verhaltensgestört oder wegen gravierender<br />

sozialer, persönlicher und/oder psychischer<br />

Probleme den Anforderungen einer betrieblichen<br />

Berufsausbildung nicht gewachsen sind,<br />

• die Teilleistungsschwächen (z. B. Legasthenie,<br />

Dyskalkulie, ADS) aufweisen,<br />

• für die Hilfe zur Erziehung im Sinne des Kinder- und<br />

Jugendhilfegesetzes (SGB VII) geleistet worden ist<br />

oder wird, wenn sie voraussichtlich in der Lage<br />

sein werden, die Anforderungen der regulären<br />

Maßnahmen nach § 241 SGB III zu erfüllen. Wenn<br />

aufgrund gravierender Probleme im Bereich der<br />

Erziehung bereits eine hohe Wahrscheinlichkeit<br />

dafür besteht, dass der Abschluss einer nach dem<br />

SGB III geförderten außerbetrieblichen Ausbildung<br />

von dem Jugendlichen nicht erreicht werden kann,<br />

sondern eine Ausbildung in einer speziellen Erziehungseinrichtung<br />

angezeigt ist, kann eine Förderung<br />

nach dem SGB III nicht erfolgen.<br />

Allein die Tatsache der Unterbringung in einem Erziehungsheim<br />

oder in einer sonstigen Form des<br />

betreuten Wohnens bewirkt keine Förderungsverpflichtung<br />

der Jugendhilfe für die Kosten, die für die<br />

Teilnahme an der Ausbildungsmaßnahme entstehen.<br />

Die Verpflichtung des Jugendhilfeträgers, während<br />

der Maßnahme weiterhin die Aufwendungen für betreutes<br />

Wohnen (§§ 27, 34, 41 SGB VIII) zu übernehmen,<br />

wird dadurch nicht berührt.<br />

Die Einzelfallentscheidung erfolgt auf der Grundlage<br />

der engen Zusammenarbeit zwischen öffentlichen<br />

Trägern der Jugendhilfe und der Agentur für Arbeit (§<br />

9 Abs. 3 SGB III, §§ 13, 81 SGB VIII sowie der „Empfehlungen<br />

zur Zusammenarbeit der Agenturen für<br />

Arbeit mit den Kommunen bei der beruflichen und sozialen<br />

Integration junger Menschen“ (RdErl 14/2000<br />

<strong>–</strong> Ziffer 4.4).<br />

Davon betroffen sind:<br />

• ehemals drogenabhängige Jugendliche,<br />

• straffällig gewordene Jugendliche,<br />

• jugendlicheSpätaussiedlermitSprachschwierigkeiten,<br />

• ausländische Jugendliche, die aufgrund von<br />

Sprachdefiziten oder bestehender sozialer Eingewöhnungsschwierigkeiten<br />

in einem fremden soziokulturellen<br />

Umfeld der besonderen Unterstützung<br />

bedürfen,<br />

• allein erziehende junge Frauen/Männer. 6<br />

51


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen<br />

kompetent“<br />

Als Zielgruppe des Bundesprogramms werden ebenfalls<br />

„benachteiligte Jugendliche“ gefasst. Wie die<br />

Ergebnisse der Evaluation des FSJ und FÖJ zeigen,<br />

können vor allem Jugendliche aus bildungsfernen<br />

Schichten die im freiwilligen <strong>Engagement</strong> bestehenden<br />

Potenziale und Gelegenheiten für informelle Bildungsprozesse<br />

bisher kaum nutzen. Daher wurden<br />

im Bundesprogramm „Freiwilligendienste machen<br />

kompetent“ die Schulqualifikation bzw. der Bildungsstatus<br />

junger Menschen als entscheidender Faktor<br />

bzw. Indikator für Benachteiligung definiert. Das Programm<br />

richtet sich an junge Menschen aus bildungsarmen,<br />

sozial benachteiligten und partizipationsfernen<br />

Schichten mit einer niedrigen Schulqualifikation<br />

(kein Schulabschluss oder Hauptschulabschluss).<br />

Unter diesem Aspekt gehören zur Zielgruppe:<br />

• junge Menschen ohne oder mit niedrigen Schulabschlüssen,<br />

• junge Menschen, die nach der Schule keine Ausbildung<br />

begonnen oder ihre Ausbildung abgebrochen<br />

haben,<br />

• junge Menschen mit besonderen Problemlagen<br />

bzw. Förderbedarfen (z.B. Sprachvermögen, abweichendes<br />

Verhalten, Behinderungen) und<br />

• junge Menschen mit Migrationshintergrund. 7<br />

Anmerkungen<br />

1 Quelle: Statistisches Bundesamt: http://www.<br />

destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/<br />

Internet/DE/Content/Statistiken/Bevoelkerung/<br />

MigrationIntegration/Migrationshintergrund/<br />

Aktuell,templateId=renderPrint.psml.<br />

2 Quelle: Huth, Susanne (2009): Handlungsfeld<br />

Beteiligung, in: Mund, Petra; Theobald, Bernhard<br />

(Hg.): Kommunale Integration von Menschen mit<br />

Migrationshintergrund <strong>–</strong> ein Handbuch. Berlin. S.<br />

283-288.<br />

3 Quelle: Gensicke, Thomas; Picot, Sibylle; Geiss,<br />

Sabine (2006): Freiwilliges <strong>Engagement</strong> in<br />

Deutschland 1999 <strong>–</strong> 2004. Wiesbaden. S. 304f.<br />

4 Quelle: Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik<br />

e. V. (2006): Ergebnisse der Evaluation<br />

des FSJ und FÖJ - Systematische Evaluation<br />

der Erfahrungen mit den neuen Gesetzen zur<br />

„Förderung von einem freiwilligen sozialen Jahr<br />

bzw. einem freiwilligen ökologischen Jahr“ (FSJ-/<br />

FÖJ-Gesetze) im Auftrag des Bundesministeriums<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, S. 236f.<br />

52<br />

5 Quelle: Good Practice Center - Förderung von<br />

Benachteiligten in der Berufsbildung (www.goodpractice.de).<br />

6 Quelle: http://www.arbeitsagentur.de/zentraler-<br />

Content/A05-Berufl-Qualifizierung/A051-Jugendliche/Publikation/pdf/GA-BaE-07-2007.pdf.<br />

7 Quelle:http://www.fwd-kompetent.de/index.php?id=114.


Prof. Dr. Gisela Jakob<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Thesen: Überlegungen zu einem Freiwilligendienstestatusgesetz<br />

In der Fachdiskussion hat sich in den letzten Jahren<br />

ein Konsens herauskristallisiert, dass ein Freiwilligendienstestatusgesetz<br />

(im Folgenden FWDStG) für<br />

die Jugendfreiwilligendienste notwendig ist. Dies hätte<br />

den Vorteil einer Angleichung der verschiedenen<br />

Jugendfreiwilligendienste, wie sie derzeit unter der<br />

Federführung verschiedener Ministerien umgesetzt<br />

werden. Darüber hinaus könnte eine solche gesetzliche<br />

Regelung, die den Status von Jugendfreiwilligendiensten<br />

bestimmt, steuerrechtliche Klarheit<br />

schaffen. Nicht zuletzt ist eine solche Regelung wichtig,<br />

um den Status der Freiwilligendienste im Ausland<br />

klarzustellen.<br />

Problematisch erscheint mir eine solche vereinheitlichende<br />

Regelung allerdings für die neuen „Freiwilligendienste<br />

aller Generationen“ <strong>–</strong> und dies aus verschiedenen<br />

Gründen:<br />

Bislang gibt es in der Fachöffentlichkeit keinen Konsens<br />

über die Subsumtion der „Freiwilligendienste<br />

aller Generationen“ unter das Dach „Freiwilligendienste“.<br />

Dies macht sich derzeit an der Auseinandersetzung<br />

über die zu leistende Mindeststundenzahl<br />

fest. Die Debatte darüber, ob ein Freiwilligendienst<br />

nun mindestens 8 oder 15 Stunden umfassen muss,<br />

ist nur ein Symptom dafür, dass die Unterordnung der<br />

freiwilligen Tätigkeiten in dem generationsbezogenen<br />

Programm unter das Label Freiwilligendienste nicht<br />

überzeugt.<br />

Es fehlt bislang eine fachlich tragfähige Bestimmung,<br />

was die „Freiwilligendienste aller Generationen“<br />

als Freiwilligendienste kennzeichnet. Während<br />

dies für die Jugendfreiwilligendienste mit dem<br />

Fokus auf Bildungserfahrungen und bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> in einer lebensgeschichtlichen<br />

Übergangsphase geklärt ist, ist bis heute offen, was<br />

denn nun den inhaltlichen Kern der generationsof-<br />

fenen Freiwilligendienste ausmachen soll und <strong>–</strong> vor<br />

allem <strong>–</strong> was sie von regulären Formen freiwilligen<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s unterscheidet. Der<br />

Hinweis auf die Begleitung und auf Bildungserfahrungen<br />

der „neuen“ Freiwilligendienstler trägt nicht.<br />

In vielen Formen bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s,<br />

und dies reicht von den Hospizvereinen und AIDS-<br />

Initiativen bis zu den Sportvereinen und Freiwilligen<br />

Feuerwehren, sind Bildungsprozesse immanenter<br />

Bestandteil. Dabei wird fachliches Wissen ebenso<br />

erworben wie soziale, kommunikative und reflexive<br />

Kompetenzen. Bildung ist demnach kein exklusives<br />

Element für Freiwilligendienste aller Generationen.<br />

Hinzu kommt bei den generationsoffenen Freiwilligendiensten,<br />

dass unklar ist, was <strong>–</strong> neben der Vermittlung<br />

fachlicher Kenntnisse für das <strong>Engagement</strong><br />

<strong>–</strong> die Zielsetzung von Bildungsprozessen sein soll.<br />

Wozu soll eine ein- bis zwei Mal im Monat stattfindende<br />

eintägige Qualifizierung in einer max. sechsmonatigen<br />

freiwilligen Tätigkeit, die danach i. d. R.<br />

nicht fortgeführt wird, dienen?<br />

Die Kriterien der Verbindlichkeit und der zeitlichen<br />

Anforderungen tragen ebenfalls nicht als besondere<br />

Kennzeichnung von Freiwilligendiensten aller<br />

Generationen. Auch andere Formen freiwilligen<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s sind hoch verbindlich<br />

angelegt, und nicht selten sind engagierte<br />

Bürgerinnen und Bürger mit einem hohen Stundenkontingent<br />

aktiv.<br />

Bleibt als letztes Kriterium noch der Hinweis auf Menschen<br />

in Übergangsphasen, die sich in einem Freiwilligendienst<br />

aller Generationen engagieren. Aus<br />

meiner Sicht liegen dafür keine aussagekräftigen<br />

Erkenntnisse vor. Dies mag auf einen Teil der Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer zutreffen. Erwerbslose<br />

oder Rentnerinnen und Rentner befinden sich allerdings<br />

nicht per se in einer Statuspassage.<br />

53


Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Resümee: In vielen Projekten, die derzeit unter dem<br />

Dach der „Freiwilligendienste aller Generationen“<br />

laufen, wird <strong>–</strong> abhängig von den lokalen Akteuren<br />

<strong>–</strong> wertvolle Arbeit geleistet. Allerdings gibt es keine<br />

tragfähige fachliche Begründung für die Kennzeichnung<br />

dieser Aktivitäten als „Freiwilligendienste aller<br />

Generationen“. Die Tätigkeiten sind Varianten freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>s, die aufgrund der Vorgaben des<br />

Programms sehr stark verregelt sind. Damit sind wiederum<br />

zahlreiche Folgeprobleme (Nähe zu Erwerbsarbeit,<br />

pauschalierte Aufwandsentschädigungen, Sozialversicherungspflicht<br />

etc.) verbunden.<br />

Neben der mangelnden fachlichen Begründung gibt<br />

es weitere Argumente gegen eine noch stärkere<br />

rechtliche Kodifizierung dieser Freiwilligendienste<br />

aller Generationen: Damit würde eine besondere<br />

Variante freiwilligen <strong>Engagement</strong>s festgeschrieben<br />

und staatlich gefördert, die stark verregelt und mit<br />

einem hohen bürokratischen Aufwand verbunden<br />

ist. Statt eines solchen standardisierten Modells<br />

müsste es derzeit vielmehr darum gehen, ein Modell<br />

staatlicher Unterstützung lokaler <strong>Engagement</strong>förderung<br />

zu entwickeln, dass den Kommunen und<br />

den Akteurinnen und Akteuren vor Ort Spielräume<br />

lässt für eine Entwicklung, die den lokalen Gegebenheiten<br />

angemessen ist (vgl. dazu das Gutachten<br />

von Jakob/Röbke 2010 für das Dialogforum<br />

„Infrastrukturförderung“).<br />

Zum weiteren Vorgehen bezüglich eines Freiwilligendienstestatusgesetzes:<br />

Aus meiner Sicht macht es Sinn, beim weiteren gesetzgeberischen<br />

Vorgehen die Regelungen für die Jugendfreiwilligendienste<br />

von Regelungen zu anderen<br />

Freiwilligendiensten zu trennen. Da ein Freiwilligendienstestatusgesetz<br />

für die Jugendfreiwilligendienste<br />

weitgehend unstrittig ist und z. B. die Situation der<br />

Auslandsdienste verbessern würde, wäre eine zeitnahe<br />

gesetzliche „Lösung“ im Sinne eines solchen<br />

Gesetzes angemessen.<br />

Von (weiteren) gesetzlichen Regelungen zu den Freiwilligendiensten<br />

aller Generationen würde ich derzeit<br />

entschieden abraten, da es hier noch viele ungeklärte<br />

Fragen gibt:<br />

• So steht eine sorgfältige Evaluation der (neuen) generationsoffenen<br />

Freiwilligendienste, in der diese<br />

im Kontext des jeweiligen lokalen Umfeldes in den<br />

Blick genommen werden, noch aus.<br />

• Des weiteren sind die vorgesehenen Regelungen<br />

für diese Freiwilligendienste in der Fachöffentlichkeit<br />

und bei den verschiedenen Akteurinnen und<br />

54<br />

Akteuren, die mit <strong>Engagement</strong>förderung befasst<br />

sind, höchst umstritten.<br />

• Vieles spricht dafür, die Freiwilligendienste aller<br />

Generationen im Kontext der Debatte um eine<br />

Stärkung der lokalen <strong>Engagement</strong>förderung durch<br />

Bund und Länder zu diskutieren. Dabei könnten<br />

diese Freiwilligendienste eine Variante bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s (neben vielen anderen)<br />

sein. Bei einer staatlichen Unterstützung lokaler<br />

<strong>Engagement</strong>förderung ginge es dann allerdings<br />

nicht um strikte Vorgaben und Detailregelungen,<br />

sondern damit sollten die Kommunen (und die zivilgesellschaftlichen<br />

Akteure vor Ort) in die Lage<br />

versetzt werden, einen engagementförderlichen<br />

und -<strong>ermöglichen</strong>den Rahmen zu schaffen.


Christiane Richter<br />

Dialogforum Weiterentwicklung der Freiwilligendienste<br />

Thesen: Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für<br />

Seniorinnen und Senioren im Freiwilligendienst<br />

Die Zahlen der Bevölkerungsstatistik für die Bundesrepublik<br />

Deutschland weisen eindeutig den demografischen<br />

Wandel aus. Der demografische Wandel<br />

zwingt uns, gesellschaftliche Aufgaben völlig neu zu<br />

denken. Wir können es uns für die Zukunft nicht leisten,<br />

auf die Ressourcen der Generation in der dritten<br />

Lebensphase zu verzichten. Vielmehr sollten wir bei<br />

der Gestaltung des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

und insbesondere der Freiwilligendienste die Realitäten<br />

und Möglichkeiten dieser Menschen in unserer<br />

Gesellschaft berücksichtigen.<br />

Erfahrungen in diesem Bereich sind inzwischen<br />

durch den generationsübergreifenden Freiwilligendienst<br />

in den Jahren 2005 bis 2008 gesammelt<br />

worden und vom Zentrum für Zivilgesellschaftliche<br />

Entwicklung (ZZE) evaluiert worden. 1 Hier kann man<br />

ablesen, dass erhebliche Zuwachsraten im <strong>Engagement</strong><br />

zu erreichen sind, wenn die Rahmenbedingungen<br />

stimmen.<br />

Notwendigerweise sollten diese Zahlen gesteigert<br />

werden, da in der Generation der dritten Lebensphase<br />

noch erhebliche Reserven schlummern. Zwei Faktoren<br />

sind entscheidend, um dieses Ziel zu erreichen:<br />

1. Fragen der Motivation,<br />

2. stimmige Rahmenbedingungen.<br />

Bei der Frage der Motivation wird immer wieder betont,<br />

dass Seniorinnen und Senioren einer verbindlichen,<br />

verpflichtenden Aufgabe neben dem Aspekt<br />

des lebenslangen Lernens den Vorrang geben.<br />

Die Bereitschaft sich zu engagieren hängt auch maßgeblich<br />

davon ab, welcher zeitliche Aufwand je Woche<br />

gefordert wird. Eine Verpflichtung von wöchentlich<br />

zwischen 5 bis zu höchstens 8 Stunden wird<br />

erfahrungsgemäß als oberste Grenze im Rahmen<br />

einer Verpflichtungserklärung akzeptiert.<br />

Dagegen wird eine Begrenzung auf 24 Monate nicht<br />

akzeptiert, da die Seniorinnen und Senioren, wenn<br />

sie die ihnen angemessene Aufgabe für das letzte<br />

Drittel ihres Lebens gefunden haben, ungern ein<br />

so genanntes <strong>Engagement</strong>hopping wie die jüngeren<br />

Menschen anstreben.<br />

Bei der Konzeption eines Freiwilligenstatusgesetzes<br />

sind daher aus den oben genannten Gründen die<br />

Möglichkeiten und Bedürfnisse der älteren Generation<br />

im Sinne eines Gesetzes für alle Generationen<br />

angemessen zu berücksichtigen.<br />

Seniorpartner in School e.V. (SiS) hat seit 2001<br />

Erfahrungen in der Umsetzung eines Freiwilligendienstes<br />

sammeln können. Es ist gelungen, in diesem<br />

Zeitraum das Konzept von SiS in insgesamt<br />

9 Bundesländern einzuführen und inzwischen 800<br />

Seniorpartner als Mediatoren in den Schulen bundesweit<br />

einzusetzen.<br />

Anmerkung<br />

1 Zentrum für Zivilgesellschaftliche Entwicklung,<br />

Die wissenschaftliche Begleitung des Bundesmodellprogramms<br />

Generationenübergreifende<br />

Freiwilligendienste, durchgeführt im Auftrag des<br />

Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend. Abschlußbericht. September 2008. In:<br />

http://www.freiwilligendienste-aller-generationen.<br />

de/fileadmin/inhalt_dokumente/generationsuebergreifende-freiwilligendienste-080915.pdf.<br />

55


• Eva-Maria Antz, Stiftung Mitarbeit<br />

• Katarina Batarilo, Centrum für soziale Investitionen<br />

und Innovationen (CSI)<br />

• Dr. Jeannette Behringer, Landeszentrale für politische<br />

Bildung Baden-Württemberg<br />

• Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Mara Dehmer, Deutscher Verein für öffentliche und<br />

private Fürsorge<br />

• Dr. Karin Fehres, Deutscher Olympischer Sportbund<br />

• Jörg Freese, Deutscher Landkreistag<br />

• Dr. Thorsten Geißler, Bundesministerium für Bildung<br />

und Forschung<br />

• Eva Geithner, Deutsche Sportjugend<br />

• SilkeGerstenberger,StiftungderDeutschenWirtschaft<br />

• Daniel Grein, Deutscher Bundesjugendring<br />

• Ramona Hartmann, Freiwilligenagentur Cottbus<br />

• Birger Hartnuß, Staatskanzlei Rheinland-Pfalz<br />

• Sigrid Meinhold-Henschel, Bertelsmann Stiftung<br />

• Dagmar Hesse, Bundesministerium des Inneren<br />

• Rainer Hub, Diakonisches Werk der Evangelischen<br />

Kirche Deutschland<br />

• Reinhild Hugenroth, Deutsche Gesellschaft für Demokratiepädagogik<br />

• Thomas Kegel, Akademie für Ehrenamtlichkeit<br />

Deutschland<br />

• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong><br />

• Michael Kriegel, Arbeiterwohlfahrt Bundesverband<br />

• Sophia Lehmbrock, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Jens Maedler, Bundesvereinigung Kulturelle Kinder-<br />

und Jugendbildung<br />

• Nadine Mersch, Deutscher Bundesjugendring<br />

• Dr. Georg Mildenberger, Centrum für soziale Investitionen<br />

und Innovationen (CSI)<br />

Dialogforum „Bildung<br />

und bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>“<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des<br />

Dialogforums am 21. April 2010 und des<br />

vorbereitenden Workshops am 25. März 2010:<br />

• Jörg Miller, Universität Duisburg Essen, Zentrum<br />

für gesellschaftliches Lernen und soziale Verantwortung<br />

• Annette Mörchen, Katholische Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

für Erwachsenenbildung<br />

• Prof. Dr. Chantal Munsch, Universität Siegen, Fachbereich<br />

Erziehungswissenschaft und Psychologie<br />

• Prof. Dr. Siglinde Naumann, Fachhochschule Nordhausen<br />

• Prof. Dr. Thomas Olk, Martin-Luther-Universität<br />

Halle-Wittenberg<br />

• Bianka Pergande, Deutsche Kinder- und Jugendstiftung<br />

• Christiane Richter, Bundesverband Seniorpartner<br />

in School<br />

• Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie, Senioren,<br />

Frauen und Jugend<br />

• Carola Schaaf-Derichs, Landesfreiwilligenagentur<br />

Berlin<br />

• Prof. Dr. Ortfried Schäffter, Humboldt-Universität<br />

zu Berlin <strong>–</strong> Institut für Erziehungswissenschaften<br />

• Yvonne Schütz, Städtetag Baden-Württemberg<br />

• Dr. Hans Th. Sendler, EUSENDOR<br />

• Axel Stammberger, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Tina Stampfl, Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik<br />

• Dr. Annette Steinich, Bundesministerium für Bildung<br />

und Forschung<br />

• Bernhard Suda, Diözesan-Caritasverband für das<br />

Erzbistum Köln e.V<br />

• Gottfried Wolf, Ministerium für Arbeit und Sozialordnung,<br />

Familie und Senioren des Landes Baden-<br />

Württemberg<br />

• Brigitta Wortmann, BP Europa SE<br />

• Dr. Gertrud Zimmermann, Bundesministerium für<br />

Familie, Senioren, Frauen und Jugend


<strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> Möglichkeiten <strong>–</strong> Bilden<br />

Bereits die Enquete-Kommission des Deutschen<br />

Bundestages zur Zukunft des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s hat festgehalten, dass Menschen im<br />

<strong>Engagement</strong> wichtige soziale und personale Kompetenzen<br />

erwerben, die das Lernen in Schule und<br />

Hochschule ergänzen können. Doch kommt die Bereitschaft<br />

und Fähigkeit sich zu engagieren nicht von<br />

selbst. Sie müssen erworben und gefördert werden,<br />

brauchen Anregungen, Freiräume und Vorbilder.<br />

Mit diesen Fragen befassten sich am 21. April 2010<br />

die 32 Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Dialogforums<br />

„Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“.<br />

Ziel des Forums war es, bildungs- und engagementpolitische<br />

Fachdebatten zusammenzutragen<br />

und so zu verdichten, dass sie als Handlungsempfehlungen<br />

für eine nationale <strong>Engagement</strong>strategie dienen<br />

können.<br />

Um dem facettenreichen Thema Bildung und <strong>Engagement</strong><br />

gerecht zu werden, wurden drei Arbeitsgruppen<br />

gebildet, die sich mit dem Verhältnis von Bildungseinrichtungen<br />

und <strong>Engagement</strong>, mit Qualifizierung und<br />

Weiterbildung für Hauptamtliche und freiwillig Engagierte<br />

in zivilgesellschaftlichen Organisationen sowie<br />

mit der Frage der Anerkennung der im <strong>Engagement</strong><br />

erworbenen Kompetenzen befassten.<br />

Die Debatte um die Entwicklung von Bildungseinrichtungen<br />

hatte zu berücksichtigen, dass Bildungspolitik<br />

in Deutschland Ländersache ist. Daher richteten sich<br />

die Empfehlungen vor allem auf ein Bundesmodellprogramm<br />

zur Förderung von <strong>Engagement</strong> und Partizipation<br />

in Kindertagesstätten, Schulen, Hochschulen<br />

und Weiterbildungseinrichtungen sowie auf die Weiterentwicklung<br />

von Einzelprogrammen der Ressorts<br />

der Bundesregierung. Die Abstimmung zwischen<br />

Bund und Ländern ist vor allem dann entscheidend,<br />

wenn die Vernetzung von Bildungseinrichtungen mit<br />

bürgergesellschaftlichen Akteuren auf lokaler Ebene<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Bericht über das Dialogforum „Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“ am 21. April 2010 in<br />

der Humboldt-Viadrina-School of Governance, Berlin<br />

unterstützt werden soll <strong>–</strong> hier knüpfte das Dialogforum<br />

an die bildungspolitische Debatte um lokale Bildungsbündnisse<br />

an.<br />

Weiterbildung- und Qualifizierung sind essentiell für<br />

eine gute Zusammenarbeit zwischen freiwillig Engagierten<br />

und hauptamtlich Tätigen. Deshalb hat das<br />

Dialogforum empfohlen, die Förderung des Bundes in<br />

diesem Bereich stärker auf verschiedene Zielgruppen<br />

und berufsbiografische Verläufe auszurichten. Dies<br />

setzt eine strategische Förderung und Abstimmung<br />

zwischen den Ressorts der Bundesregierung, aber<br />

auch klarere Informationen über bestehende Angebote<br />

voraus.<br />

Schließlich ging es bei der Diskussion um die Anerkennung<br />

von Kompetenzen aus dem <strong>Engagement</strong><br />

darum, dass Kompetenznachweise ein nützliches<br />

Mittel zur Anerkennung solcher Fähigkeiten und Fertigkeiten<br />

sein können. Neben der Verwertbarkeit für<br />

die berufliche Laufbahn ging es jedoch vor allem darum,<br />

Standards für die Qualität von Kompetenznachweisen<br />

zu definieren.<br />

Am Ende wurde festgehalten, dass es auf vielen Feldern<br />

noch Forschungsbedarf gibt. Darüber, was bürgerschaftliche<br />

Kompetenzen sind und wie und wo sie<br />

erworben werden, weiß man beispielsweise noch zu<br />

wenig. Weiterführende Forschungsfragen zum Zusammenhang<br />

von Bildung und bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> ergänzen daher die Ergebnisse des<br />

Dialogforums.<br />

57


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Ergebnisse<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> trägt entscheidend zur<br />

Verbesserung des Bildungs- und Qualifikationsniveaus<br />

in Deutschland bei, benötigt dafür aber lern- und engagementförderliche<br />

Rahmenbedingungen. Der Zugang zum<br />

<strong>Engagement</strong> ist allerdings sozial ungleich verteilt. Ziel<br />

muss deshalb sein, alle Bevölkerungsgruppen unabhängig<br />

von Herkunft und Bildungsstand zum bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> zu ermutigen und zu befähigen.<br />

1. Öffnung von Bildungseinrichtungen für<br />

bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen<br />

und Hochschulen sowie Institutionen der Erwachsenenund<br />

Weiterbildung wie z. B. die Volkshochschulen und<br />

Einrichtungen der konfessionellen Weiterbildung, aber<br />

auch andere Akteure, die das informelle Lernen pflegen<br />

wie z. B. Verbände, Vereine, Initiativen und Angebote<br />

der Kinder- und Jugendhilfe, sind wichtige Partner<br />

für die Förderung bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s, da<br />

sie Menschen in allen Lebensphasen und Lebenslagen<br />

begleiten und fördern. Sie sollen dazu aufgefordert und<br />

darin unterstützt werden, <strong>Engagement</strong>, Partizipation und<br />

Demokratie in ihr Leitbild und ihre Praxis zu integrieren.<br />

Bildungseinrichtungen und Bildungsinstitutionen können<br />

bei der Erfüllung ihres Auftrags durch bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> bzw. zivilgesellschaftliche<br />

Akteure wirksam unterstützt werden. Die Einrichtungen<br />

sollten ermutigt und befähigt werden, Kooperationen<br />

mit bürgerschaftlichen Akteuren einzugehen.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Eine demokratische, kooperative und beteiligungsfördernde<br />

Organisationskultur ermöglicht es Lernenden,<br />

sich zu engagieren und ihr Lernumfeld mitzu<strong>gestalten</strong><br />

58<br />

(z. B. durch Service Learning). In Abstimmung zwischen<br />

Bund, Ländern und Kommunen sollten dafür<br />

geeignete Angebote entwickelt werden.<br />

Bildungseinrichtungen und Akteure aus allen gesellschaftlichen<br />

Bereichen sollen motiviert und befähigt<br />

werden, Bildungsbündnisse und Vernetzungen einzugehen,<br />

um Lernen in verschiedenen <strong>Engagement</strong>feldern<br />

zu <strong>ermöglichen</strong>.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Bundesregierung sollte ein Modellprogramm initiieren,<br />

das Möglichkeiten zur Stärkung von <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation in Kindertagesstätten, Schulen,<br />

Hochschulen und Weiterbildungseinrichtungen<br />

aufzeigt. Dabei kann an die Erfahrungen z. B. aus<br />

dem Programm der Bund-Länder-Kommission „Demokratie<br />

lernen & leben“ und anderer erfolgreicher<br />

Programme wie z. B. die Förderung von Netzwerken<br />

von Eltern mit Migrationshintergrund in verschiedenen<br />

Bundesländern angeknüpft werden.<br />

Es sollte u. a. auf Basis einer Bestandsanalyse geprüft<br />

werden, wie in Kooperation mit den Ländern<br />

kommunalpolitische und andere Akteure vor Ort bei<br />

der Vernetzung und Förderung der Zusammenarbeit<br />

von Bildungseinrichtungen und zivilgesellschaftlichen<br />

Akteuren unterstützt werden können.<br />

Durch die Ressorts der Bundesregierung sollte jeweils<br />

geprüft werden, inwieweit zielgruppen- und<br />

themenspezifische Programme entwickelt werden<br />

können (z. B. Qualifizierungsmaßnahmen und andere<br />

Formen der qualifizierenden Entwicklungsbegleitung<br />

für Bildungseinrichtungen).<br />

Das Thema <strong>Engagement</strong> und <strong>Engagement</strong>förderung<br />

sollte in den Bildungsbericht der Bundesregierung und<br />

das nationale Bildungspanel aufgenommen werden.


2. Qualifizierung und Weiterbildung für Hauptamtliche<br />

und freiwillig Engagierte<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Bedarfsorientierte professionelle Begleitung soll<br />

bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> unterstützen und<br />

fördern. Daher müssen Aus-, Fort- und Weiterbildung<br />

von Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten<br />

Bestandteil einer <strong>Engagement</strong>strategie des Bundes<br />

sein. Sie sollten sowohl dem Bedarf der Hauptamtlichen<br />

(Berufsbilder, organisationales Lernen, Freiwilligenmanagement)<br />

als auch der freiwillig Engagierten<br />

(optionales Lernen je nach Tätigkeitsbereich, Freiwilligenmanagement)<br />

gerecht werden.<br />

Es besteht bereits eine Vielfalt an Bildungs- und Qualifizierungsangeboten,<br />

die sich auf unterschiedliche<br />

Zielgruppen und Themenfelder beziehen. Dies führt<br />

zu einer Unübersichtlichkeit der Angebote.<br />

Oftmals fehlt ein gemeinsames Verständnis über<br />

den Eigensinn des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s und die<br />

darauf bezogenen Angebote „zivilgesellschaftlichen<br />

Lernens“ (z. B. politische Bildung, Demokratiebildung,<br />

lebenslanges Lernen).<br />

In zahlreichen Organisationen fehlt ein Verständnis<br />

für eine integrative Verantwortungskultur (Haupt- und<br />

Ehrenamt verzahnen) und für eine engagementfreundliche<br />

Lernkultur aller dort Tätigen.<br />

Übersichtlichkeit und ein gemeinsames Verständnis<br />

sind notwendig für die bedarfsgerechte Weiterentwicklung<br />

der Bildungs- und Qualifizierungsangebote<br />

und ihrer Standards.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Für Organisationen sollten Anreize geschaffen werden,<br />

die Zusammenarbeit mit freiwillig Engagierten in<br />

ihr Leitbild integrieren.<br />

Für eine systematische Weiterbildung, Qualifizierung<br />

und Begleitung von freiwillig Engagierten müssen<br />

verlässliche und transparente <strong>Strukturen</strong> verstetigt,<br />

neue geschaffen und bekannt gemacht werden.<br />

Bestimmte Bevölkerungsgruppen wie z. B. ältere<br />

Bürgerinnen und Bürger, bildungsbenachteiligte Menschen<br />

und Menschen mit Zuwanderungsgeschichte<br />

sollten einen besseren Zugang zu lebenslangem<br />

Lernen und Qualifizierungsmöglichkeiten im <strong>Engagement</strong><br />

erhalten. Dazu zählen neue Zugangswege und<br />

passgenaue Bildungsangebote.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Bildungs- und Qualifizierungsangebote sollten sich<br />

stärker an biographischen Schnittstellen (Übergänge<br />

zwischen Lebensphasen) orientieren. Um entsprechende<br />

Angebote zu schaffen, bedarf es weiterführender<br />

Forschungsvorhaben und Konzepte.<br />

Hauptamtlich Tätige in Verwaltung, Politik, Bildungseinrichtungen<br />

und zivilgesellschaftlichen Organisationen<br />

müssen für den Umgang mit freiwillig<br />

Engagierten qualifiziert werden. Dies sollte Teil des<br />

Berufsbildes und insoweit Bestandteil der Aus-, Fortund<br />

Weiterbildung sein.<br />

Es ist der Zusammenarbeit von Haupt- und Ehrenamt<br />

förderlich<br />

• gemeinsam Qualifizierungsmaßnahmen zu durchlaufen,<br />

• durch Freiwilligenmanagement die Rollen Hauptamtlicher<br />

und freiwillig Engagierter zu definieren<br />

und<br />

• bei der Organisationsentwicklung auf integrierte<br />

„Personalführung“ hinzuwirken.<br />

Hier gilt es, erfolgreiche Modelle weiter zu fördern, neue<br />

zu entwickeln und gute Erfahrungen zu übertragen.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

(Lösungswege)<br />

Die von den Ressorts der Bundesregierung vorangetriebenen<br />

Projekte zur engagementbezogenen<br />

Qualifizierung und Weiterbildung sollten in einer Bestandsaufnahme<br />

erfasst, evaluiert und weiterentwickelt<br />

werden. Dies sollte in eine ressortübergreifende<br />

Vernetzung münden.<br />

Bestehende Angebote der Aus-, Fort- und Weiterbildung<br />

sollten bundesweit und online-gestützt transparenter<br />

und besser erreichbar gemacht werden.<br />

Es sollte geprüft werden, inwieweit Organisationen<br />

durch ein <strong>Engagement</strong>-Audit zertifiziert werden können.<br />

3. Anerkennung der im <strong>Engagement</strong><br />

erworbenen Kompetenzen<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

<strong>Engagement</strong> braucht Anerkennung. Die Bildungswirkungen<br />

des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s sollten<br />

gezielt ins öffentliche Bewusstsein gehoben werden.<br />

Es sollte sichtbar werden, dass die vielfältigen<br />

Formen freiwilligen <strong>Engagement</strong>s zur Stärkung<br />

59


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

personaler, sozialer, kultureller, fachlicher und methodischer<br />

Kompetenzen beitragen. Diese sind für<br />

die freiwillig Engagierten und ihre gesellschaftliche<br />

Teilhabe, für den Zugang zu Bildungseinrichtungen<br />

sowie für den (Wieder-) Eintritt in das Erwerbsleben<br />

wichtig, werden aber noch nicht hinreichend<br />

berücksichtigt.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> erworbene<br />

Kompetenzen sollten eine stärkere Wertschätzung<br />

erfahren, indem sie im formalen Bildungssystem und<br />

in der Arbeitswelt berücksichtigt sowie in der öffentlichen<br />

Wahrnehmung anerkannt werden. Es sollten<br />

vergleichbare und aussagekräftige Nachweisstrukturen<br />

(z. B. Kompetenznachweise und Kompetenzbilanzen)<br />

geschaffen werden, die dies unterstützen.<br />

Dabei sollte auf bestehende <strong>Strukturen</strong> aufgebaut<br />

werden.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

In Abstimmung mit den Bundesländern, den zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen und der Wirtschaft<br />

sollte die Bundesregierung Mindeststandards für<br />

Kompetenznachweise entwickeln, die auf bestehenden<br />

Kompetenznachweisen aufbauen und für Unternehmen<br />

(Personalentscheidungen) und Bildungseinrichtungen<br />

aussagekräftig sind. Insbesondere sollte<br />

geprüft werden, wie die Kompetenznachweise für den<br />

Zugang zu Studien- und Ausbildungsplätzen berücksichtigt<br />

werden können. Die im <strong>Engagement</strong> erworbenen<br />

Kompetenzen könnten die formalen Bildungsabschlüsse<br />

ergänzen. Arbeitgeber (Unternehmen,<br />

Verwaltung und Organisationen) sollten dazu angeregt<br />

werden, die im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

erworbenen Kompetenzen in ihrer Personalverantwortung<br />

anzuerkennen.<br />

Die Mindeststandards sollten die verschiedenen <strong>Engagement</strong>formen<br />

(Dauer, Umfang und Art des <strong>Engagement</strong>s,<br />

Organisationsform) und die Bedürfnisse<br />

der freiwillig Engagierten in verschiedenen Lebensphasen<br />

(Schüler, Erwerbslose, Seniorinnen und Senioren)<br />

sowie Prozessqualitäten (z. B. Transparenz,<br />

Partizipation) berücksichtigen.<br />

Da es bereits eine Vielzahl von Kompetenznachweisen<br />

und Kompetenzerfassungsverfahren gibt, sollte<br />

ein Überblick über die bestehenden Ansätze geschaffen<br />

und ihre Bekanntheit gesteigert werden.<br />

Der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) dient<br />

als Referenzrahmen für die europaweite Vergleich-<br />

60<br />

barkeit von Qualifikationen. Die im <strong>Engagement</strong> erworbenen<br />

Kompetenzen sollten wie beim EQR auch<br />

bei der Entwicklung des Deutschen Qualifikationsrahmens<br />

(DQR) einbezogen werden.<br />

Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie<br />

Unternehmen dafür gewonnen werden können, Mitarbeitern<br />

Zeiträume für die engagementbezogene Qualifizierung<br />

zu schaffen. Darüber hinaus sollte geprüft<br />

werden, wie Bund und Länder die Qualifizierung für<br />

das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> fördern können,<br />

indem sie sie bei Sonderurlaub bzw. Freistellungsregelungen<br />

berücksichtigen.<br />

4. Forschungsbedarf, Datenerhebung und<br />

Berichterstattung<br />

Der Zusammenhang zwischen Bildung und bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> ist bislang nicht hinreichend<br />

erforscht. Zudem muss die Datenerhebung<br />

und Berichterstattung zu den Themen Bildung und<br />

bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> grundsätzlich besser<br />

miteinander verknüpft werden.<br />

Die Bundesregierung sollte in Kooperation mit der<br />

Wissenschaft eine Forschungsagenda zum Zusammenhang<br />

von Bildung und bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong><br />

entwickeln. Insbesondere sind dabei folgende<br />

Punkte zentral:<br />

a) Es besteht Forschungsbedarf zur Frage, welche<br />

Kompetenzen in den verschiedenen Formen<br />

und Ausprägungen des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

erworben werden. Hierzu zählt beispielsweise<br />

auch das <strong>Engagement</strong> mittels elektronischer<br />

Medien. Diese Frage ist wichtig, wenn<br />

beispielsweise gezielte Angebote an engagementferne<br />

Zielgruppen gerichtet werden sollen. Im Zusammenhang<br />

mit diesen Zielgruppen geht es nicht<br />

nur um den Erwerb von beruflichen Kompetenzen,<br />

die formale Bildungsangebote ergänzen, sondern<br />

auch um das „zivilgesellschaftliche Lernen“ demokratischer<br />

Denk- und Handlungsweisen.<br />

b) Wie müssen Bildungs- und Qualifizierungsangebote<br />

für engagementferne und/oder bildungsbenachteiligte<br />

Gruppen gestaltet werden? In diesem<br />

Zusammenhang ist auch die Entwicklung<br />

von spezifischen Weiterbildungs- und Beratungsangeboten<br />

für Multiplikatoren und Menschen in<br />

pädagogischen Berufen (Lehrer, Kursleiter von<br />

Weiterbildungseinrichtungen etc.) ein wichtiger<br />

Gegenstand der <strong>Engagement</strong>forschung.<br />

c) Der Zugang zum <strong>Engagement</strong> ist bislang oft abhängig<br />

von der sozialen Herkunft. Es sollte erforscht


werden, inwiefern Bildungseinrichtungen dazu<br />

beitragen können, dass auch engagementferne<br />

Gruppen Zugang zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

erhalten.<br />

d) Der Zusammenhang zwischen der sozialen Herkunft<br />

und der Bereitschaft, sich zu engagieren,<br />

sollte mittels einer Erhebung zum bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> auf europäischer Ebene vergleichbar<br />

werden.<br />

e) Wie können Menschen durch persönliche Ansprache<br />

und Begleitung zum <strong>Engagement</strong> motiviert<br />

werden, und welche Infrastruktur ist dafür nötig?<br />

f) In der amtlichen Statistik, z. B. im Mikrozensus,<br />

sollten die Daten zum <strong>Engagement</strong> mit solchen<br />

zum Bildungs- und sozialen Hintergrund verknüpft<br />

werden.<br />

g) Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> sollte als Bestandteil<br />

informeller Bildung in die regelmäßige<br />

Berichterstattung zur Bildung aufgenommen werden<br />

(dies gilt für Bund, Länder und Kommunen).<br />

Dies sollte auch beim Nationalen Bildungspanel<br />

geschehen.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

61


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Birger Hartnuß<br />

Kurzgutachten: Schulöffnung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Für die Bewältigung zentraler Herausforderungen und<br />

Probleme unserer Gesellschaft gewinnt bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> zunehmend an Bedeutung. Es ist<br />

daher auch nicht verwunderlich, dass die Frage danach,<br />

wie Bereitschaft und Motivation zum freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong> entstehen und welche Bedeutung die<br />

Zivilgesellschaft für unser Bildungssystem hat, zunehmend<br />

virulent wird. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

kommt nicht von selbst und automatisch zustande,<br />

sondern bedarf entsprechender normativer Orientierungen<br />

und Handlungsdispositionen, die erworben<br />

und erlernt werden müssen. Hierfür wird neben der<br />

Familie, den Peer-Groups und den zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen, insbesondere den Jugendverbänden,<br />

vor allem den öffentlichen Institutionen des<br />

Erziehungs- und Bildungssystems Verantwortung<br />

zugeschrieben. Im Rahmen des vorliegenden Kurzgutachtens<br />

steht daher die Schule als zentrale Instanz im<br />

Erziehungs- und Bildungssystem im Mittelpunkt. 1<br />

In den letzten Jahren hat sich für den Erwerb bürgerschaftlicher<br />

Kompetenzen in Anlehnung an Debatten<br />

im angelsächsischen Raum auch in Deutschland der<br />

Begriff „civic education“ durchgesetzt. Gemeint ist damit<br />

im Kern die Erziehung und Bildung zum „kompetenten,<br />

mündigen Bürger“. Im Begriff „civic education“<br />

bündeln sich Ansätze und Strategien der politischen<br />

Bildung, der Stärkung von Partizipation von Kindern<br />

und Jugendlichen, der demokratischen Gestaltung<br />

des Alltags in pädagogischen Einrichtungen sowie<br />

der Förderung von freiwilligem <strong>Engagement</strong> (vgl.<br />

Hartnuß 2007, S. 165). Ziel ist die Entwicklung bzw.<br />

Herausbildung von Bereitschaften und Fähigkeiten<br />

zur Mitbestimmung bei und Mitgestaltung von allgemeinen<br />

gesellschaftlichen und sozialen Belangen.<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> im Zusammenhang<br />

von Bildung, Schule und Lernen zu diskutieren, ist<br />

bislang alles andere als selbstverständlich. Die aktuellen<br />

Debatten um die Krise der Schule und um<br />

62<br />

Perspektiven moderner Bildung verweisen jedoch auf<br />

überraschende Anknüpfungspunkte und Bezüge zwischen<br />

Bildung, Schule und bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong>.<br />

Die öffentliche Debatte um die PISA-Studie<br />

hatte zunächst tiefe Verunsicherungen ausgelöst.<br />

Nachdem erste Reaktionen vor allem auf schulinterne<br />

Reorganisation und die Intensivierung kognitiver Wissensvermittlung<br />

gerichtet waren, gehen die Reformbestrebungen<br />

inzwischen erfreulicherweise auch in<br />

andere Richtungen, die neue Denk- und Handlungsoptionen<br />

sichtbar werden lassen.<br />

1. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> und Bildung<br />

Es ist sicherlich nicht völlig falsch, gegenwärtig von<br />

einer „neuen Bildungsdebatte“ zu sprechen, die sich<br />

deutlich von den Diskussionen um eine Bildungsreform<br />

der vergangenen Jahrzehnte unterscheidet. Es<br />

geht ganz offensichtlich nicht mehr nur um begrenzte<br />

Korrekturen und Justierungen, sondern um grundlegende<br />

Veränderungen, um eine konzeptionelle und<br />

institutionelle Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems<br />

(vgl. Olk 2007). Diese Bemühungen<br />

um eine Neubestimmung von Bildung und Erziehung<br />

sind keineswegs auf Deutschland beschränkt, sondern<br />

lassen sich auch in anderen europäischen Ländern<br />

beobachten. In Europa befindet sich die Schule<br />

als Institution und das schulische Lernen insgesamt<br />

in einer Krise (du Bois-Reymond 2007). Die Anforderungen<br />

einer globalisierten Wissensgesellschaft,<br />

die tiefgreifenden Umbrüche im System der Arbeit<br />

und der Arbeitsbiographien sowie nicht zuletzt soziale<br />

Ausgrenzungsprozesse haben dazu beigetragen,<br />

dass wir völlig neue Formen des Lernens und der Bildung<br />

benötigen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen<br />

meistern zu können (vgl. ebd.).<br />

Neue Konzepte von Bildung und Lernen gehen zunehmend<br />

davon aus, dass neben dem formellen


Lernen in der Schule auch das außerschulische und<br />

informelle Lernen anerkannt, gefördert und mit dem<br />

schulischen Lernen verknüpft werden muss. Gelernt<br />

wird an vielen Orten, auch im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>.<br />

Hier liegt die zentrale Herausforderung,<br />

um Schule und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> neu<br />

zu denken und damit sowohl für das bürgerschaftliche<br />

<strong>Engagement</strong> als auch für die Schule neue Perspektiven<br />

zu eröffnen.<br />

Die geforderte grundlegende konzeptionelle und institutionelle<br />

Neudefinition unseres Bildungs- und Erziehungssystems<br />

zielt auf ein umfassendes Lern- und<br />

Bildungskonzept, das die unterschiedlichen Bildungsinstitutionen,<br />

Bildungsorte, Bildungsaufgaben und<br />

Bildungsprozesse in ein neues Verhältnis bringt, das<br />

Kindern und Jugendlichen optimale Bildungs- und<br />

Teilhabechancen bietet, sie auf die Bewältigung von<br />

Anforderungen des Alltags und der Zukunft vorbereitet<br />

und für eine gelingende Lebensführung rüstet.<br />

Unter der Überschrift „Bildung ist mehr als Schule!“<br />

wurde 2002 in den Leipziger Thesen (vgl. Bundesjugendkuratorium<br />

u. a.) ein erweitertes Bildungsverständnis<br />

formuliert, das aus der Perspektive der<br />

Jugendhilfe verstärkt sozialpädagogische Akzente<br />

setzt. Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht (BM-<br />

FSFJ 2005) stellt dieses neue Bildungsverständnis in<br />

den Mittelpunkt seiner Analysen und Überlegungen.<br />

Bildung zielt demnach auf eine allgemeine Lebensführungs-<br />

und Bewältigungskompetenz. Ein entsprechend<br />

erweitertes Bildungskonzept verbindet gleichauf<br />

mit Aufgaben der kulturellen und materiellen<br />

Reproduktion auch Aspekte der sozialen Integration<br />

und des sozialen Lernens (vgl. Rauschenbach/Otto<br />

2004, S. 20ff.). Der zwölfte Kinder- und Jugendbericht<br />

unterscheidet in seinem Bildungskonzept daher zwischen<br />

einem kulturellen, einem materiell-dinglichen,<br />

einem sozialen und einem subjektiven Weltbezug (vgl.<br />

BMFSFJ 2005, S. 110f.). Mit Bezug auf die kulturelle<br />

Welt geht es um die Aneignung des kulturellen Erbes.<br />

In der materiell-dinglichen Welt müssen Wissen und<br />

Kompetenzen erworben werden, die erforderlich<br />

sind, um sich mit der gegenständlichen Welt auseinanderzusetzen,<br />

sich diese anzueignen und sie weiterzuentwickeln.<br />

Der soziale Weltbezug zielt auf das<br />

Verstehen der sozialen Ordnung der Gesellschaft, die<br />

Auseinandersetzung mit den Regeln des kommunikativen<br />

Umgangs und der politischen Gestaltung des<br />

Gemeinwesens, aber auch auf die Entwicklung von<br />

Kompetenzen zur Beteiligung an der Gestaltung der<br />

sozialen Umwelt. Der subjektive Weltbezug markiert<br />

die Prozesse der Personwerdung, Identitätsbildung<br />

und Persönlichkeitsentfaltung als wichtige Bildungsdimensionen.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Bildung und Lernen werden in diesem Konzept verstanden<br />

als ein selbstgesteuerter erfahrungsbezogener<br />

Kompetenzbildungsprozess, als ein „anhaltender<br />

und kumulativer Prozess des Erwerbs der<br />

Fähigkeit zur Selbstregulierung und als subjektive Aneignung<br />

von Welt in der aktiven Auseinandersetzung<br />

mit und in diesen Weltbezügen“ (ebd. 2005, S. 111).<br />

Voraussetzung für solche Bildungsprozesse sind Bedingungen<br />

und Gelegenheiten, konkrete Kontexte, in<br />

denen die Welt in diesen unterschiedlichen Dimensionen<br />

erschlossen werden kann. Hier geht es sowohl<br />

um Orte, an denen diese Zugänge möglich werden,<br />

als auch um Modalitäten, die es den Menschen <strong>ermöglichen</strong>,<br />

sich lernend mit der Welt auseinanderzusetzen.<br />

Im Kontext eines solchen Bildungsverständnisses<br />

kommt bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong> ein hoher<br />

Stellenwert zu. Seine Bedeutung für Bildungsprozesse<br />

wird im zwölften Kinder- und Jugendbericht<br />

ausdrücklich hervorgehoben. Bildung umfasst demnach<br />

nicht nur kognitives Wissen, sondern auch soziales<br />

Lernen <strong>–</strong> Kompetenzen wie Kommunikations-,<br />

Kooperations- und Teamfähigkeit, Empathie und<br />

soziales Verantwortungsbewusstsein <strong>–</strong> sowie demokratisches<br />

Rüstzeug und bürgerschaftliche Kompetenzen<br />

<strong>–</strong> also Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten<br />

als mündige Bürgerinnen und Bürger.<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> ist dabei sowohl<br />

Bildungsfaktor bzw. -ziel als auch Bildungsort. <strong>Engagement</strong><br />

und die dabei stattfindenden informellen<br />

Bildungsprozesse z. B. in Vereinen, Projekten und<br />

Initiativen eröffnen Möglichkeiten für ein informelles<br />

Lernen in lebensweltlichen Zusammenhängen, für ein<br />

gemeinsames Problemlösen zusammen mit anderen.<br />

Dabei steht der Erwerb von Wissen in engem Zusammenhang<br />

mit der Aneignung bürgerschaftlicher<br />

Kompetenzen. Wissen wird dadurch intensiver und<br />

nachhaltiger angeeignet; Teamfähigkeit und Verantwortlichkeit<br />

sind Teil des Lernvorgangs.<br />

Die Zusammenhänge zwischen freiwilligem <strong>Engagement</strong><br />

und informellem Lernen wurden im Freiwilligensurvey<br />

2004 auch empirisch erfasst. Demnach lässt<br />

sich freiwilliges <strong>Engagement</strong> als wichtiges informelles<br />

Lernfeld beschreiben. Im <strong>Engagement</strong> werden einerseits<br />

Fachwissen, andererseits soziale und organisatorische<br />

Kompetenzen erworben. Dies gilt besonders<br />

bei jungen Menschen. Sie erwerben durch ihr <strong>Engagement</strong><br />

vielfach Fähigkeiten, die für sie persönlich<br />

wichtig sind. 55 % der Engagierten im Alter zwischen<br />

14 und 30 geben an, dass das <strong>Engagement</strong> in sehr<br />

hohem bzw. hohem Maße Gelegenheiten zum Erlernen<br />

von Fähigkeiten bietet, die für sie persönlich<br />

63


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

wichtig sind (vgl. Gensicke u. a. 2006, S. 27 ff.). Dass<br />

in Settings des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s informelle<br />

Lernprozesse stattfinden und dabei Kompetenzen erworben<br />

werden, die für eine moderne Bildung hohe<br />

Bedeutung haben, belegen auch die Ergebnisse einer<br />

empirischen Studie der Technischen Universität<br />

Dortmund und des Deutschen Jugendinstituts zum<br />

informellen Lernen im Jugendalter (vgl. Düx u. a.<br />

2008). Demnach verfügen in ihrer Jugend engagierte<br />

Erwachsene über mehr Erfahrungen und auch Kompetenzen<br />

als Nicht-Engagierte. Dies gilt insbesondere<br />

für Organisations-, Gremien- und Leitungskompetenzen.<br />

Ein weiterer zentraler Befund der Studie<br />

betrifft die sozialisatorische Wirkung freiwilligen <strong>Engagement</strong>s:<br />

Wer als Jugendlicher gesellschaftliche<br />

Verantwortung übernimmt, engagiert sich mit großer<br />

Wahrscheinlichkeit auch als Erwachsener.<br />

2. Schule und Bürgergesellschaft<br />

Bislang ist weder ein breiter gesellschaftlicher Diskurs<br />

darüber im Gange, warum „bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>“ in der Schule betrieben werden sollte,<br />

noch hat das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> Eingang<br />

gefunden in die allgemeinen pädagogischen Zielbestimmungen<br />

der Schule (vgl. Edelstein 2007). Wenn<br />

jedoch <strong>–</strong> ausgehend von einem erweiterten Verständnis<br />

<strong>–</strong> Bildung nun also nicht nur kognitives Wissen,<br />

sondern auch soziales Lernen (Kompetenzen wie<br />

Kommunikations-, Kooperations- und Teamfähigkeit,<br />

Empathie und soziales Verantwortungsbewusstsein)<br />

sowie demokratisches Rüstzeug und bürgerschaftliche<br />

Kompetenzen (Partizipations- und Mitbestimmungsfähigkeiten<br />

als mündige Bürgerinnen und<br />

Bürger) umfasst, dann sind auch die pädagogischen<br />

Institutionen gefordert, Arrangements zur Verfügung<br />

zu stellen, die es <strong>ermöglichen</strong>, dass in der nachwachsenden<br />

Generation Bereitschaft und Fähigkeiten zur<br />

Übernahme von Verantwortung für das Gemeinwesen<br />

und zur aktiven Beteiligung an der Gestaltung<br />

des sozialen, kulturellen und politischen Lebens entwickelt<br />

werden.<br />

Der Schule als einzige Einrichtung, die (grundsätzlich)<br />

alle Kinder und Jugendlichen erreicht, kommt dabei<br />

besondere Aufmerksamkeit zu. Aber auch wenn<br />

die Bedeutung bürgerschaftlicher Kompetenzen für<br />

ein modernes Verständnis von Bildung anerkannt<br />

wird, stellt sich dennoch die grundsätzliche Frage,<br />

ob die Institution Schule als eine tragende Säule des<br />

Bildungssystems strukturell überhaupt dazu in der<br />

Lage ist, diese Komponenten von Bildung zu vermitteln,<br />

entsprechende Lern- und Erfahrungsräume zu<br />

eröffnen und dabei auch noch mit anderen gesell-<br />

64<br />

schaftlichen Institutionen und Akteuren zu kooperieren,<br />

oder ob diese Anforderungen an die Schule<br />

eher naiv sind, von vornherein eine Überforderung<br />

bedeuten und von daher zum Scheitern verurteilt<br />

sind. Rauschenbach (2005) macht in diesem Kontext<br />

auf einige Spannungsfelder zwischen Schule und<br />

bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong> aufmerksam, die<br />

vergegenwärtigen, dass beide Bereiche unterschiedlichen<br />

Funktionslogiken unterliegen und nicht ohne<br />

weiteres miteinander vereinbar sind. So ist die Schule<br />

eine Pflichtveranstaltung, der die Wahlfreiheit des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s gegenüber steht.<br />

Die Schule ist in erster Linie von professioneller, bezahlter<br />

Arbeit akademisch ausgebildeter Pädagogen<br />

geprägt. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> dagegen<br />

lebt vom <strong>Engagement</strong> aus freien Stücken, nicht von<br />

bezahlter Arbeit. Schule steht in dem strukturellen<br />

Zwang zur Leistungsbewertung und Differenzbildung.<br />

Sie ist damit ein Ort der Selektion. Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> lebt vom gemeinschaftlichen Tun, vom<br />

gemeinsamen Handeln für eine Idee oder ein Vorhaben<br />

ohne direkten Leistungsdruck und Bewertung.<br />

Schule ist eine eigenständige Lernwelt, die tendenziell<br />

vom persönlichen Lebensumfeld der Schülerinnen<br />

und Schüler abgekoppelt ist. Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> entfaltet sich dagegen in aller<br />

Regel in lebensweltlichen Bezügen sozialer Orte und<br />

Nahräume. Dort werden Schülerinnen und Schüler im<br />

ganzheitlichen Sinne als Menschen wahrgenommen,<br />

wohingegen sie in der Schule vor allem Träger der<br />

Schülerrolle sind. Inhalte und Themen schulischen<br />

Lernens sind durch Curricula und Lernpläne weitgehend<br />

vorgegeben, Wahl- und Entscheidungsspielräume<br />

sind eingeschränkt. Im freiwilligen <strong>Engagement</strong> ist<br />

es dagegen offen, für welche Projekte ich mich entscheide.<br />

Im konkreten <strong>Engagement</strong> gibt es wiederum<br />

deutlich mehr Mitbestimmungs- und Mitgestaltungsmöglichkeiten<br />

als in der Schule. Schulisches Lernen<br />

findet häufig ohne unmittelbaren Bezug auf konkrete<br />

Anlässe und direkte Verwertbarkeit statt, bleibt damit<br />

abstrakt. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> setzt in<br />

der Regel unmittelbar an realen Situationen an und<br />

versucht, Lösungen für konkrete Anforderungen zu<br />

entwickeln. Und schulisches Lernen ist in der Regel<br />

„Vorratslernen“ in einer „Als-ob-Situation“, es ergeben<br />

sich aus künstlichen Lernarrangements keine direkten<br />

und unmittelbaren Folgen. Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> dagegen ist stets Handeln in realen Situation<br />

mit realen Konsequenzen des eigenen Tuns.<br />

Aus dieser Gegenüberstellung lässt sich leicht schließen,<br />

dass sich Partizipation und Bürgerengagement<br />

als Bildungsziel nicht ohne weiteres, gewissermaßen<br />

als zusätzliche Bildungsaufgabe in traditioneller Form<br />

curricular in der Schule verankern lässt. Im Schulalltag


stoßen daher Demokratie- und <strong>Engagement</strong>-Lernen,<br />

insbesondere wenn sie den schulischen Kernbereich<br />

des Unterrichts berühren, immer wieder an Grenzen<br />

von Notendruck, begrenzten Zeitbudgets, engen<br />

Lehrplanvorgaben und frontalen Methoden (siehe die<br />

Beiträge in Böhme/Kramer 2001). Demokratie- und<br />

<strong>Engagement</strong>-Lernen kann daher nicht allein im Unterricht<br />

stattfinden. Partizipation und Bürgerengagement<br />

müssen vielmehr als Prinzipien im Schulalltag<br />

spür- und erfahrbar sein und sich als Elemente der<br />

Schulkultur entfalten.<br />

Eine solche Schul- und Lernkultur lässt sich jedoch<br />

nicht in einem künstlichen, hermetisch gegenüber<br />

der realen Lebenswelt abgeschotteten Lernort Schule<br />

entwickeln. Schule ist dabei auf die Kooperation<br />

mit außerschulischen Partnern und Akteuren angewiesen;<br />

sie muss sich hin zu ihrem Umfeld öffnen<br />

und selbst Teil und Ort des Gemeinwesens werden.<br />

Diese Forderung (einer gemeinwesenorientierten<br />

Schule) ist nicht neu, und in den vergangenen Jahren<br />

haben Impulse für eine äußere Öffnung im Schulsystem<br />

spürbare Verbreitung gefunden. Eine Untersuchung<br />

des Deutschen Jugendinstituts macht darauf<br />

aufmerksam, dass es kaum noch eine Schule gibt,<br />

die keine Beziehungen zu Einrichtungen, Diensten<br />

und Organisationen im Wohnumfeld aufgebaut hat<br />

(vgl. Behr-Heintze/Lipski 2005). Die Aufnahme von<br />

Kontakten und die Kooperation von Schule mit außerschulischen<br />

Partnern sind eine wichtige Bereicherung<br />

für schulisches Leben und Lernen und eröffnen<br />

darüber hinaus neue Chancen auch für <strong>Engagement</strong>und<br />

Demokratie-Lernen. Umgekehrt ist Kooperation<br />

allein jedoch noch kein Garant dafür, dass sich Schulen<br />

eine demokratische „Verfassung“ geben und sich<br />

Partizipation als Gestaltungsprinzip schulischen Alltags<br />

manifestiert. Dafür bedarf es beider Seiten, gepaart<br />

mit einer äußeren Öffnung der Schule für Kooperationen,<br />

Partnerschaften, Bündnisse mit Akteuren<br />

der Zivilgesellschaft, müssen sich Bürgengagement<br />

und Demokratie im Selbstverständnis der Schule<br />

niederschlagen, und zwar derart, dass sich demokratische<br />

Spielregeln in den normalen Mechanismen und<br />

Abläufen des schulischen Alltags widerspiegeln und<br />

von allen in und an Schule Beteiligten erlebt werden.<br />

Worum es bei der Etablierung bürgerschaftlicher Bildungsansprüche<br />

in der Schule geht, ist daher nicht<br />

weniger als ein Prozess schulischer Organisationsentwicklung,<br />

in der demokratische Prinzipien der Mitbestimmung<br />

und Mitgestaltung sowie die Öffnung der<br />

Schule hin zum Gemeinwesen Eingang finden in schulische<br />

Leitbilder und Selbstverständnisse, die sich im<br />

Schulalltag als Kultur der Teilhabe niederschlagen.<br />

Die Enquete-Kommission des Bundestages hat hier-<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

für ein Leitbild entworfen, mit dem sie die Schule als<br />

demokratischen Ort und partnerschaftlich orientiertes<br />

Lernzentrum im Gemeinwesen beschreibt. Dieses<br />

Leitbild zeichnet sich durch eine enge Verknüpfung<br />

und Kombination von Strategien der inneren und äußeren<br />

Öffnung von Schule aus. Wege der inneren<br />

Öffnung zielen darauf ab, durch neue Formen des<br />

Unterrichtens und Lernens Prinzipien wie Handlungsorientierung,<br />

eigentätiges und verständnisintensives<br />

Lernen zu stärken und dabei Erfahrungen der demokratischen<br />

Mitbestimmung und der Verantwortungsübernahme<br />

in realen Handlungs- und Entscheidungssituationen<br />

zu <strong>ermöglichen</strong>. Gleichzeitig geht es um<br />

die demokratische Gestaltung des Schulalltags insgesamt<br />

durch bspw. die Aufwertung der Rolle von<br />

Schüler- und Elternvertretungen, die Stärkung von<br />

Begegnungs- und Kooperationsformen und ein gemeinsames<br />

<strong>Engagement</strong> von Schülern, Lehrern und<br />

Eltern. Strategien der äußeren Öffnung zielen auf die<br />

Einbettung der Schulen in das umliegende Gemeinwesen,<br />

ihre Integration in die lokale Bürgergesellschaft.<br />

Durch die enge Zusammenarbeit mit öffentlichen<br />

Einrichtungen, zivilgesellschaftlichen Akteuren<br />

und auch Wirtschaftsunternehmen können schuluntypische<br />

Zugänge und Sichtweisen in Prozesse des<br />

schulischen Lernens und Lebens einbezogen werden.<br />

Dadurch erfährt Schule eine lebensweltliche Öffnung<br />

und Bereicherung. Sie kann dadurch gleichzeitig<br />

für Aktivitäten und gemeinschaftliches Leben der<br />

Gemeinde aufgeschlossen werden und sich zu einem<br />

Zentrum des Gemeinwesens entwickeln.<br />

In Deutschland wird gegenwärtig verstärkt auf den<br />

Ausbau von Ganztagsschulen gesetzt. Die Ausdehnung<br />

der täglichen Schulzeit und die dabei zum Tragen<br />

kommenden pädagogischen Konzepte innerhalb<br />

und außerhalb des Unterrichts bieten vielfältige Anlässe<br />

und Gelegenheiten für Zusammenleben und<br />

-arbeiten im Sinne einer demokratischen und bürgerschaftlichen<br />

Gemeinschaft. Umgekehrt eröffnen<br />

bürgerschaftliche Perspektiven der Schule <strong>–</strong> nicht<br />

nur der Ganztagsschule <strong>–</strong> sowohl neue Chancen für<br />

Unterricht und Wissensvermittlung als auch für einen<br />

umfassenden Bildungsanspruch, der soziale und<br />

bürgerschaftliche Kompetenzen gleichbedeutend mit<br />

einschließt. Formen der Kooperation der Schule mit<br />

der Jugendhilfe sowie anderen Akteuren des Gemeinwesens<br />

können wichtige Beiträge für die Verbesserung<br />

der Bedingungen für Bildung, Erziehung und<br />

Betreuung liefern.<br />

Dass diese Vorstellung nicht nur an Argumentationskraft<br />

sondern auch an praktischer Relevanz gewonnen<br />

hat, findet seit einigen Jahren seinen Ausdruck<br />

in der Diskussion um die Gestaltung kommunaler<br />

65


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

bzw. regionaler Landschaften der Bildung und des<br />

Lernens (vgl. Deutscher Verein 2007). Kern dieser<br />

Debatte ist die Sichtbarmachung und Akzeptanz der<br />

spezifischen Stärken und Potenziale unterschiedlicher<br />

Bildungsorte (sowohl formelle, nonformale wie<br />

informelle) mit dem Ziel, sie vermehrt aufeinander zu<br />

beziehen, in Kooperation zu bringen und auf diese<br />

Weise dem Anspruch eines umfassenden Bildungsangebots<br />

im lokalen Raum gerecht zu werden. Die<br />

konkrete Gestaltung so verstandener Bildungs- oder<br />

Lernlandschaften berührt vor Ort ganz verschiedene<br />

Handlungsdimensionen. Mit Blick auf die Adressatinnen<br />

und Adressaten von Bildungsangeboten geht<br />

es um die Gestaltung anregender Lern- und Lebensumgebungen<br />

mit Gelegenheitsstrukturen (auch)<br />

für informelles Lernen. Unter zivilgesellschaftlicher<br />

Perspektive geht es um die Konstituierung öffentlich<br />

verantworteter, partizipativ orientierter Bildungsnetzwerke.<br />

Aus professioneller Perspektive stellt<br />

sich die Aufgabe inter-institutionell koordinierter<br />

Fortbildungen von Fach- und Leitungskräften. Und<br />

nicht zuletzt geht es aus einer planerischen Perspektive<br />

um die Etablierung einer integrierten Bildungsplanung<br />

als Teil der Raum- und Stadtplanung<br />

(vgl. Stolz 2008).<br />

3. Schulöffnung, <strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung<br />

in Schulen <strong>–</strong> Erfahrungen, Ansätze<br />

und Methoden<br />

In vielen Schulen gib es bereits gute, zum Teil auf<br />

jahrelange Erfahrungen und Traditionen beruhende<br />

Ansätze der Förderung gesellschaftlicher Verantwortung<br />

und schulischer Öffnungsprozesse. Gleichwohl<br />

halten die Vorwürfe, die mit der Debatte um eine bürgerschaftliche<br />

Orientierung von Schule verbundenen<br />

Erwartungen seien nur „alter Wein in neuen Schläuchen“,<br />

all dies gäbe es doch längst, einem Realitätscheck<br />

nicht stand. Die entscheidende Frage bleibt<br />

letztlich, inwiefern all diese Projekte und Ansätze<br />

eine strategische Verankerung in den pädagogischen<br />

Konzepten der Schule erfahren, sie miteinander verknüpft<br />

und integraler Bestandteil schulischen Selbstverständnisses<br />

oder jenseits des Kernauftrages der<br />

Institution lediglich schmückendes Beiwerk sind,<br />

das zwar durchaus willkommen, im Ernstfall aber<br />

doch entbehrlich ist. Genau hieran aber mangelt es<br />

in der Praxis noch häufig. Gleichwohl: Auf dem Weg<br />

zu einem demokratischen, <strong>Engagement</strong> und Verantwortung<br />

fördernden, kooperativen Leitbild fangen die<br />

Schulen nicht „bei Null“ an. Es gibt ermutigende Ansätze<br />

und Entwicklungen, von denen die Wichtigsten<br />

im Folgenden (ohne Anspruch auf Vollständigkeit)<br />

skizziert werden.<br />

66<br />

Besonders sichtbarer Ausdruck bürgerschaftlicher<br />

Öffnung von Schulen sind Formen der Zusammenarbeit<br />

mit Vereinen, Verbänden und anderen Einrichtungen<br />

im schulischen Umfeld. Es gibt kaum<br />

eine Schule, die völlig hermetisch gegenüber ihrem<br />

Wohnumfeld existiert. Schulkooperationen mit Organisationen<br />

und Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit,<br />

des Sports, der Kultur, des Natur- und<br />

Umweltschutzes etc. gehören zur Normalität im deutschen<br />

Schulsystem. Die Öffnung der Schulen für<br />

Kooperationen und Partnerschaften mit öffentlichen<br />

Einrichtungen und gesellschaftlichen Organisationen<br />

im schulischen Umfeld ist inzwischen in den Schulgesetzen<br />

aller Länder verankert. Externe Akteure,<br />

Ressourcen und Potenziale bereichern schulisches<br />

Leben, tragen zur Öffnung gegenüber dem Gemeinwesen<br />

bei und unterstützen erfahrungsorientiertes<br />

Lernen. Dies allein ist jedoch noch kein Hinweis auf<br />

eine Verankerung demokratischer und bürgergesellschaftlicher<br />

Prinzipien im Schulalltag (vgl. Behr-<br />

Heintze/Lipski 2005). Gleichwohl ist das Spektrum<br />

bürgerschaftlicher Initiativen in und für Schulen außerordentlich<br />

bunt und vielfältig.<br />

Projektunterricht ist eine etablierte Unterrichtsform;<br />

dabei arbeiten Schulen regelmäßig mit Externen und<br />

Partnern im schulischen Umfeld zusammen. Projekttage<br />

und Projektwochen tragen häufig dazu bei, dass<br />

der räumliche Rahmen der Schule überschritten wird<br />

und Schülerinnen und Schüler Erfahrungen in Realität<br />

und Alltag von Unternehmen, Einrichtungen und<br />

Organisationen machen. Sie sind damit ein wichtiger<br />

Baustein der äußeren und inneren Öffnung.<br />

Auch Sozialpraktika und Seitenwechselprojekte sind<br />

inzwischen an vielen Schulen ein fester Bestandteil.<br />

Sie <strong>ermöglichen</strong> Schülerinnen und Schülern vielerorts<br />

Einblicke in fremde Lebenswelten und <strong>ermöglichen</strong><br />

das Erproben von Verantwortungsübernahme und<br />

<strong>Engagement</strong>. Dabei kooperieren Schulen mit sozialen<br />

Einrichtungen und Organisationen wie bspw. Pflegeheimen,<br />

Krankenhäusern oder sozialen Projekten für<br />

Wohnungslose. Nicht selten unterstützen bei diesen<br />

Aktivitäten auch Freiwilligenagenturen und ähnliche<br />

Einrichtungen die Schulen mit Beratung, Begleitung<br />

und Vermittlung entsprechender Einsatzstellen.<br />

Besondere Bedeutung für eine bürgergesellschaftliche<br />

Ausrichtung von Schulen hat die Beteiligung<br />

von Eltern sowie die Zusammenarbeit mit Elternfördervereinen,<br />

die sich vielerorts gegründet haben.<br />

Über die traditionelle Arbeit der Elternvertretungen<br />

hinaus spielt die Unterstützung von Elterninitiativen<br />

und schulischer Fördervereine eine zunehmend größere<br />

Rolle. Dabei akquirieren sie nicht nur finanzielle


Mittel für die Schule, sie bringen sich auch mit vielfältigen<br />

Aktivitäten in das Schulleben ein und fungieren<br />

bisweilen als Agenten für die Gewinnung und<br />

Vermittlung externer Kompetenzen (z. B. für Projektwochen).<br />

Nicht selten sind Fördervereine Träger für<br />

bestimmte Vorhaben und Projekte wie Schulfeste<br />

oder Schulkonzerte.<br />

An vielen Schulen haben sich Projekte und zum Teil<br />

auch längerfristige Kooperationen mit Wirtschaftsunternehmen<br />

etabliert. Unternehmen stärken Bezüge<br />

zur Arbeitswelt, unterstützen bei der Einmündung in<br />

Arbeit und Beruf, bringen finanzielle Ressourcen und<br />

fachliches Know How in die Schulen ein. Die Landschaft<br />

solcher Kooperationsvorhaben und gemeinsamer<br />

Projekte im Rahmen von Corporate-Citizenship-Programmen<br />

von Unternehmen ist inzwischen<br />

extrem vielfältig (vgl. hierzu ausführlich Hartnuß/Heuberger<br />

2010, S. 478ff.). Um Wirtschaft und Schulen<br />

stärker aufeinander zu beziehen, haben sich deutschlandweit<br />

rund 450 regionale Arbeitskreise „Schule <strong>–</strong><br />

Wirtschaft“ gegründet. Ziel ist vor allem die ökonomische<br />

Bildung der Schülerinnen und Schüler und die<br />

Vorbereitung auf das Berufsleben.<br />

An Bedeutung gewonnen haben in den vergangenen<br />

Jahren auch unterschiedliche Formen von Patenschafts-<br />

und Mentoring-Projekten. Dabei geht<br />

es sowohl um Hilfen bei den Hausaufgaben, um<br />

Schlichtung von Konflikten und Schwierigkeiten im<br />

Schulalltag wie zu Hause als auch um Unterstützung<br />

bei Bewerbungen und beim Einstieg in Ausbildung<br />

und Beruf. Das Spektrum dieser Aktivitäten ist inzwischen<br />

erheblich angewachsen. Insbesondere Seniorinnen<br />

und Senioren nutzen diese Möglichkeiten, um<br />

ihre Erfahrungen und Kompetenzen in der nachberuflichen<br />

Phase für das Gemeinwohl einzubringen. Sie<br />

bereichern damit den schulischen Alltag und bieten<br />

Kindern und Jugendlichen in der Schule Angebote,<br />

die von professionellen Pädagogen in dieser Form<br />

häufig nicht angeboten werden können.<br />

Eine zentrale Form der Einübung von Demokratie<br />

und Mitbestimmung in der Schule ist die Schülerpartizipation.<br />

Hierzu gehören die Übernahme formaler<br />

Funktionen wie Klassen- und Schülersprecher, die<br />

Mitgliedschaft in Schülerräten und Schulkonferenzen,<br />

aber auch die Mitarbeit bei Schülerzeitungen oder<br />

Projekten in der Schule. Inzwischen gibt es vielerorts<br />

Initiativen, die formalen Mitbestimmungsmöglichkeiten<br />

in der Schule auf eine breitere Basis zu stellen<br />

und damit das schulische Leben insgesamt zu demokratisieren.<br />

Der Aufbau von Klassenräten, Stufenund<br />

Schulparlamenten verfolgt einen basisdemokratischen<br />

Ansatz, der Partizipation und Mitbestimmung<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

jeder und jedes Einzelnen in der Schule von Anfang<br />

an ermöglicht (vgl. Edelstein 2007).<br />

Viele (außerschulische) gesellschaftliche Akteure<br />

und Organisationen bemühen sich seit einigen Jahren<br />

intensiv darum, Möglichkeiten für Mitbestimmung<br />

und Mitgestaltung von Kindern und Jugendlichen zu<br />

stärken und nehmen dabei zunehmend auch den<br />

Lern- und Lebensort Schule in den Blick. Partizipation<br />

ist zentrales Anliegen von Bundes- und Landesjugendringen.<br />

Stiftungen wie die Deutsche Kinder- und<br />

Jugendstiftung und die Stiftung Demokratische Jugend<br />

entwickeln neue Praxismodelle und beteiligen<br />

sich an ihrer Umsetzung. Servicestellen für Jugendbeteiligung<br />

sind Ansprechpartner und bieten vor Ort<br />

Unterstützung an. Im BLK-Programm „Demokratie<br />

lernen & leben“ wurden zahlreiche Praxisbausteine<br />

und Anregungen erarbeitet, die in Schulen erprobt<br />

und umgesetzt werden können. Leider gab es für das<br />

Programm nach seinem Ausklang infolge der Föderalismusreform<br />

keine (bundesweite) Anschluss- bzw.<br />

Transfermöglichkeit. Die Deutsche Gesellschaft für<br />

Demokratiepädagogik (DeGeDe) bemüht sich seither<br />

darum, die in dem Programm gesammelten Erfahrungen<br />

und Erkenntnisse in der schulischen Wirklichkeit<br />

zu verankern. Einige Länder haben ihrerseits<br />

Transferprogramme auf den Weg gebracht und führen<br />

damit ihre demokratiepädagogischen Bemühungen in<br />

Schulen fort. Insgesamt aber sind die Potenziale für<br />

Selbst- und Mitbestimmung von Schülerinnen und<br />

Schülern in der Schule längst nicht ausgeschöpft (vgl.<br />

Bertelsmann Stiftung 2007).<br />

Zwar gibt es im Bereich der Öffnung der Schule vielfältige<br />

Ansätze und Erfahrungen der Kooperation<br />

und Unterstützung, jedoch sind solche Projekte und<br />

Vorhaben, in denen es ausdrücklich um die Verknüpfung<br />

von schulischen und außerschulischen Lernprozessen<br />

und um den Erwerb bürgerschaftlicher Kompetenzen<br />

geht, mit Blick auf die Gesamtheit unserer<br />

Schulen bislang noch die Ausnahme. In diesem Zusammenhang<br />

hat in Deutschland seit einigen Jahren<br />

die Methode des Service Learning an Bedeutung<br />

gewonnen (vgl. hierzu ausführlich Sliwka 2004). Service<br />

Learning ist ein Lehr-Lernprinzip. Es beinhaltet<br />

das Lernen gesellschaftlicher Verantwortung in Verbindung<br />

mit der praxisorientierten Vermittlung konkreter<br />

Wissensinhalte und der Öffnung der Schule<br />

gegenüber dem Gemeinwesen. In Deutschland hat<br />

die Freudenberg-Stiftung viel zur Adaptation dieses<br />

noch recht jungen Ansatzes beigetragen. Inzwischen<br />

hat sich ein bundesweites Netzwerk „Service Learning“<br />

gegründet, das sich um die Weiterentwicklung<br />

und Verbreitung des Instruments bemüht. Baden-<br />

Württemberg ist bislang das einzige Land, das das<br />

67


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Lernen von gesellschaftlicher und sozialer Verantwortung<br />

in Form des TOP SE (Themenorientiertes<br />

Projekt Soziales <strong>Engagement</strong>) curricular im Rahmenlehrplan<br />

der Realschule verankert hat.<br />

4. Herausforderungen, Perspektiven,<br />

Handlungsempfehlungen<br />

Bislang ist es nicht gelungen, bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

in angemessener Form in den aktuellen<br />

Bildungsreformprozessen zu verankern (vgl. Hartnuß<br />

2008, Hartnuß/Heuberger 2010). Dies kann nur gelingen,<br />

wenn deutlich wird, dass es sich hierbei nicht<br />

um eine beliebige zusätzliche Aufgabe für Schule<br />

handelt, sondern es um den Kernauftrag der Schule<br />

selbst geht. Schule kann ihren Auftrag durch eine<br />

bessere Verzahnung unterschiedlicher Formen des<br />

Lernens und durch die Nutzung der Bildungspotenziale<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s besser erfüllen.<br />

Mehr noch: Sie ist bei der Erfüllung ihrer Aufgaben<br />

in zunehmendem Maße auf bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

angewiesen (vgl. Olk 2007). Die Bemühungen<br />

um die Ausbildung sozialer, demokratischer<br />

und bürgerschaftlicher Kompetenzen und die dafür<br />

notwendigen Kooperationen von Schule mit dem Gemeinwesen<br />

müssen daher auch Teil von Schulentwicklungsprozessen<br />

sein und im Begriff der Schulqualität<br />

ihren Niederschlag finden: Schulen, die sich<br />

um Möglichkeiten für Mitbestimmung und Mitgestaltung<br />

bemühen, die mit Organisationen und Akteuren<br />

im Gemeinwesen zusammenarbeiten, sind bessere<br />

Schulen.<br />

Besonders wichtig ist in diesem Zusammenhang die<br />

Erkenntnis, dass Schulentwicklung nicht als allein<br />

staatlich oder innerschulisch zu leistende Aufgabe zu<br />

begreifen ist. Schulentwicklung bedeutet aus einer<br />

Systemperspektive die Selbstorganisation der Einzelschule<br />

innerhalb staatlicher Vorgaben hin zur qualitätsorientierten<br />

Profilbildung (Rahm/Schröck 2005).<br />

Dabei ist die enge Zusammenarbeit von Professionellen,<br />

Schülerinnen und Schülern und ihren Eltern<br />

ein zentrales Element. Den Ansprüchen einer „guten<br />

Schule“ lässt sich nur durch ein enges Zusammenwirken<br />

aller am Bildungsprozess Beteiligten gerecht werden.<br />

„Kooperative Schulentwicklung ist ein Lernprozess,<br />

in dem organisationseigene Ressourcen über<br />

das Zusammenwirken aller schulischen Statusgruppen<br />

mit dem Ziel einer Qualitätsverbesserung des<br />

Bildungsangebotes mobilisiert werden.“ (Rahm 2008)<br />

Vor dem Hintergrund der notwendigen Verzahnung<br />

und Optimierung bestehender Bildungsangebote<br />

kommt dabei auch zivilgesellschaftlichen Akteuren<br />

und Organisationen und ihren Lern- und Bildungsan-<br />

68<br />

geboten in oder im Umfeld der Schule Bedeutung zu.<br />

Kooperative Schulentwicklung ist damit eine Herausforderung<br />

sowohl für die Einzelschule, die in ihren Bemühungen<br />

verstärkt bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

sowie die Zusammenarbeit mit außerschulischen Einrichtungen<br />

mitdenken muss, als auch für die zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen, die durch ihre aktive<br />

Mitwirkung Verantwortung für die Weiterentwicklung<br />

der Schule übernehmen.<br />

Sollen das frühzeitige Erlernen bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s und die Stärkung von Partizipation<br />

wirkungsvoll in Schulen und anderen Bildungsinstitutionen<br />

verankert werden, sind ein klares politisches<br />

Bekenntnis sowie entsprechende Initiative hierfür<br />

gefragt. Dies betrifft sowohl die Bundesregierung<br />

als auch die Ebene der Länder. So könnten etwa<br />

durch ein Bund-Länder-Programm neue Formen der<br />

Zusammenarbeit von Schulen und zivilgesellschaftlichen<br />

Einrichtungen, neue Formen des Lernens und<br />

Unterrichtens, in denen Verantwortungsübernahme<br />

und <strong>Engagement</strong> integriert sind (wie z. B. beim Service<br />

Learning), sowie die Entwicklung einer neuen<br />

Lernkultur initiiert und vorangetrieben werden. Mit<br />

einem solchen Programm könnte zudem sinnvoll an<br />

Erfahrungen aus dem BLK-Programm „Demokratie<br />

Lernen & Leben“ angeknüpft werden. 2<br />

Ein deutliches Bekenntnis zur Bedeutung bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s und zivilgesellschaftlicher<br />

Öffnung der Bildungsinstitutionen wäre es freilich,<br />

wenn diesem Anliegen bei den derzeitigen Bemühungen<br />

von Bund und Ländern, bis zum Jahr 2015<br />

den Anteil der gesamtstaatlichen Aufwendungen für<br />

Bildung und Forschung auf 10 % des Bruttoinlandsprodukts<br />

zu steigern, ein angemessener Platz eingeräumt<br />

würde. Die Bundeskanzlerin sowie die Regierungschefs<br />

der Länder haben sich im Oktober 2008<br />

auf dem Qualifizierungsgipfel in Dresden auf dieses<br />

Ziel verständigt. Seitdem wurden zusätzliche Mittel<br />

für Bildung und Forschung von Bund und Ländern<br />

bereitgestellt sowie neue bildungspolitische Schwerpunkte<br />

in den Bereichen frühkindliche Bildung, Schule,<br />

Berufsausbildung, Hochschule und Weiterbildung<br />

gesetzt. Nicht wenige dieser Maßnahmen bieten<br />

<strong>–</strong> wie etwa im Bereich Schule der weitere Ausbau<br />

von Ganztagsschulen oder der Schulsozialarbeit <strong>–</strong><br />

unmittelbare Bezugspunkte zur Förderung von <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation. Diese Bezüge sollten<br />

nicht nur hergestellt, sondern über das 10%-Ziel für<br />

Bildung und Forschung und auch mit entsprechenden<br />

Mitteln gefördert werden.<br />

Den Ländern kommt für die Gestaltung des Bildungssystems<br />

eine zentrale Rolle zu. Ihre Kompetenzen


sind mit der Föderalismusreform weiter gestärkt worden,<br />

wogegen die Handlungsspielräume des Bundes<br />

in Bildungsfragen erheblich eingeschränkt wurden.<br />

Bei den Ländern liegt daher auch eine besondere<br />

Verantwortung, Anliegen der <strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung<br />

durch eigene Initiative zu stärken.<br />

Eine Reihe von Ländern ist in diesem Sinne bereits<br />

aktiv. Um bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> im Schulsystem<br />

wirkungsvoll zu verankern, stehen den Ländern<br />

verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, die<br />

sie in Berücksichtigung ihrer je spezifischen Situation<br />

(Schulstruktur, aktuelle Reformprojekte, landespolitische<br />

Prioritäten etc.) nutzen sollten. Hierzu gehören<br />

insbesondere;<br />

• Verankerung von civic education in den Schulgesetzen:<br />

Über die allgemeinen Formulierungen von<br />

Bildungszielen, in denen die Bildung und Erziehung<br />

zur gesellschaftlichen Verantwortung meist<br />

bereits enthalten ist, und den bestehenden Regelungen<br />

zur Schulöffnung und Kooperation mit<br />

außerschulischen Partnern hinaus wäre es sinnvoll,<br />

civic education als Aufgabe von Schulen mit<br />

eigenem Paragraphen festzuschreiben. Auf diese<br />

Weise würde ein klarer, auch rechtlicher Bezugsrahmen<br />

für civic education geschaffen, der allein<br />

natürlich noch kein Garant für die Etablierung entsprechender<br />

Angebote im Schulalltag ist, jedoch<br />

den engagierten Akteuren in den Schulen mehr<br />

Handlungssicherheit geben würde. Zudem würde<br />

hiervon ein starker politischer Impuls ausgehen,<br />

sich vor Ort ernsthaft mit dem Thema auseinander<br />

zu setzen.<br />

• klare Verortung von civic education beim Ausbau<br />

von Ganztagsschulen: Gleiches gilt für die Gestaltung<br />

von Ganztagsschulen. Bisherige Regelungen<br />

eröffnen zwar durchaus Chancen, eindeutige Positionierungen<br />

zur <strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung<br />

als Teil der Ganztagsschulentwicklung<br />

können jedoch zu mehr Handlungssicherheit<br />

sowohl bei schulischen als auch außerschulischen<br />

Partnern beitragen. 3<br />

• Landesprogramme zur <strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung<br />

in Schulen: Mit eigenen Programmen<br />

(z. B. Transferprogramme zum BLK-Programm<br />

„Demokratie lernen & leben“, Landesprogramme<br />

wie „<strong>Engagement</strong> macht Schule“ oder zum Service<br />

Learning, u. a.), die von einigen Ländern bereits<br />

aufgelegt wurden, können Projekte und Methoden<br />

der <strong>Engagement</strong>förderung erprobt und etabliert<br />

werden. Durch solche Programm können Schulen<br />

<strong>–</strong> jenseits staatlicher Verpflichtungen durch gesetzliche<br />

Regelungen <strong>–</strong> wirkungsvoll in der praktischen<br />

Umsetzung von civic education unterstützt<br />

werden.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Beteiligung der Länder an Programmen der <strong>Engagement</strong>förderung<br />

von zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen: Impulse zur Stärkung von bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> und Partizipation in<br />

Schulen wurden in den vergangenen Jahren vor<br />

allem von zivilgesellschaftlichen Organisationen<br />

an die Schulen herangetragen (insbesondere<br />

durch den Bundesjugendring, Landesjugendringe,<br />

Freiwilligenagenturen und -zentren, die Bundesvereinigung<br />

kulturelle Jugendbildung, Sportverbände,<br />

Natur- und Umweltschutzorganisationen etc.). In<br />

diesem Bereich spielten und spielen auch Programme<br />

von Stiftungen eine besondere Rolle. 4 Die<br />

Länder sollten entsprechende Kooperationsangebote<br />

sorgfältig prüfen und die Chancen, die sich<br />

aus einer Zusammenarbeit für die Entwicklung von<br />

konkreten Projekten und Ansätzen bieten, nutzen.<br />

• Förderung von civic education durch Preise und<br />

Wettbewerbe: Wie auch für andere politische Anliegen<br />

ist es ein probates Mittel, auch <strong>Engagement</strong>-<br />

und Demokratieförderung durch Schule zum<br />

Gegenstand von Wettbewerben und Preisen zu<br />

machen und auf diese Weise öffentliche Aufmerksamkeit<br />

zu erzeugen und Schulen auf ihrem Weg<br />

zu ermutigen und zu unterstützen.<br />

• Erarbeitung von Empfehlungen und Handreichungen<br />

zur praktischen Umsetzung von civic<br />

education: Für die Erprobung von Ansätzen und<br />

Methoden der <strong>Engagement</strong>förderung ist es für<br />

Schulen hilfreich, praxisorientierte Empfehlungen<br />

und Handreichungen zur Verfügung zu stellen, in<br />

denen Erfahrungen gelungener Beispiele aufgearbeitet<br />

sind, Erfolgskriterien von Projekten beschrieben<br />

und konkrete Umsetzungsmöglichkeiten dargestellt<br />

sind. Die Länder können bei der Erstellung<br />

solcher Arbeitsmaterialien auf die Erfahrungen zivilgesellschaftlicher<br />

Organisationen zurückgreifen<br />

und gemeinsam mit ihnen entsprechende Publikationen<br />

erarbeiten.<br />

• Entwicklung von Modellregionen: <strong>Engagement</strong>förderung<br />

in und durch Schulen braucht Kooperation<br />

und Vernetzung mit gesellschaftlichen Organisationen.<br />

Besonders wirkungsvoll könnte dies durch<br />

die Entwicklung von Modellkommunen bzw. -regionen<br />

geschehen, in denen Schulen, Kindertagesstätten,<br />

Jugendorganisationen, kommunale Einrichtungen,<br />

die Verwaltung etc. eng miteinander<br />

zusammenarbeiten und die Beteiligung von Kindern<br />

und Jugendlichen sowie die Förderung ihres<br />

gesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s ein gemeinsames<br />

Anliegen ist, das im Alltag durch eine Vielzahl von<br />

Partizipationsangeboten in unterschiedlichen Lebensbereichen<br />

sichtbar wird. Hierfür braucht es<br />

finanzielle Ressourcen, Vernetzungsstrukturen,<br />

Qualitätskriterien, ggf. fachliche und wissenschaft-<br />

69


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

70<br />

liche Begleitung. Solche Modellregionen hätten<br />

jedoch durch ihren Beispielcharakter eine hohe<br />

Ausstrahlung. Der Aufbau von Modellregionen ist<br />

vielleicht das wirkungsvollste Instrument, das die<br />

Länder in ihrem Bemühen, Bürgerengagement und<br />

Partizipation nachhaltig im Bildungssystem zu verankern,<br />

ergreifen können.<br />

Die Öffnung der Schule für Kooperationen und Partnerschaften<br />

mit der Bürgergesellschaft, für die Verschränkung<br />

unterschiedlicher Formen des Lernens<br />

braucht Qualifizierung und Weiterbildung. Die pädagogischen<br />

Profis in Schule und Gemeinwesen müssen<br />

bereits in ihrer Ausbildung auf ein neues Selbstverständnis<br />

vorbereitet werden, das Zusammenarbeit<br />

und Partnerschaften als konstitutives Element einschließt.<br />

Das nötige Wissen und die Kompetenzen<br />

für eine partnerschaftliche Kooperation zwischen<br />

den Institutionen des öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystems<br />

mit der Zivilgesellschaft benötigen<br />

Verankerung in den Curricula der Ausbildungsgänge<br />

von Lehrerinnen und Lehrern, Sozialpädagoginnen<br />

und Sozialpädagogen und müssen einfließen in die<br />

Konzepte von Fort- und Weiterbildung. Entsprechende<br />

Impulse und Vorstöße gilt es gezielt an die Kultusministerkonferenz<br />

und die Hochschulrektorenkonferenz<br />

heranzutragen und ihre Umsetzung einzufordern.<br />

Inzwischen gibt es bundesweit einen reichhaltigen Fundus<br />

an Erfahrungen, Ideen und Modellen für das Lernen<br />

von Bürgerschaftlichkeit und die Kooperation von<br />

Bildungseinrichtungen mit dem Gemeinwesen. Die gesammelten<br />

Erfahrungen gilt es aufzubereiten, so dass<br />

Modelle transparent und übertragbar werden. Dabei<br />

sind Qualitätskriterien zu entwickeln und zu sichern. Erfahrungen<br />

aus dem BLK-Programm „Demokratie lernen<br />

& leben“ und aus dem Feld des Service Learning zeigen<br />

bereits, dass dies erfolgreich möglich ist.<br />

Auch Wirtschaftsunternehmen können und sollen<br />

sich stärker als bisher an der Erfüllung des gesellschaftlichen<br />

Auftrags zur Erbringung qualitativ hoher<br />

Bildung beteiligen. Dabei gilt es jedoch, einen umfassenden<br />

Anspruch von Bildung zu gewährleisten und<br />

diesen nicht ökonomistisch zu verengen. Als Teilnehmer<br />

und Partner sind Unternehmen in der aktuellen<br />

Bildungsreformdiskussion willkommen, nicht jedoch<br />

als dominierende Entscheider über die Ausrichtung<br />

schulischer Curricula und Bildungsinhalte. Aus diesem<br />

Grunde muss Bildung als öffentliches Gut auch<br />

weiterhin primär durch die Bereitstellung öffentlicher<br />

Mittel in seiner Qualität gewährleistet werden. Nur<br />

so ist der Gefahr vorzubeugen, dass sich Abhängigkeiten<br />

von privaten Zuwendungen nicht auf Bildungsinhalte<br />

übertragen (vgl. Hartnuß/Heuberger 2010).<br />

Bislang noch völlig unausgeschöpft sind die Chancen,<br />

die sich aus einer stärkeren Verknüpfung von civic education<br />

mit dem Nachhaltigkeitsdiskurs ergeben können.<br />

Inzwischen hat die deutsche Debatte über Nachhaltigkeit<br />

den alleinigen Fokus auf ökologische Themen verlassen<br />

und es werden in einer erweiterten Perspektive<br />

Fragen eines erfolgreichen Wirtschaftens mit Anforderungen<br />

an die ökologische und soziale Zukunftsfähigkeit<br />

der Gesellschaft verknüpft. Dabei ist „Verantwortung“<br />

der Schlüsselbegriff für nachhaltiges Handeln.<br />

Wichtigste Ressource für verantwortliches Handeln<br />

(ökonomisch, ökologisch und sozial) aber ist Bildung.<br />

Damit kommt Fragen bürgerschaftlicher Bildung auch<br />

für den Nachhaltigkeitsdiskurs ein hoher Stellenwert<br />

zu. Zwar nehmen die öffentliche Diskussion zum Thema<br />

Nachhaltigkeit wie auch die entsprechende Berichterstattung<br />

von Bund und Länder inzwischen durchaus<br />

Bezug zu Bürgerengagement und Bürgerbeteiligung als<br />

Bestandteil nachhaltiger Politik. Allerdings sind diesbezügliche<br />

Berichtspassagen eher deskriptiv und zeigen<br />

wenig konkrete Handlungsoptionen auf. Auch die UN-<br />

Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ konzentriert<br />

sich in ihren Aktivitäten nicht allein auf ökologische<br />

Anliegen. Dennoch ist die Anzahl von ausgezeichneten<br />

Projekten, die sich dem Thema <strong>Engagement</strong>förderung<br />

widmen, bislang sehr überschaubar. Wenn Nachhaltigkeit<br />

in einem weit gefassten Sinne tatsächlich Anspruch<br />

moderner Politik ist, dann ist die Frage, wie junge Menschen<br />

an Verantwortung herangeführt werden, sicher<br />

kein Nebenschauplatz, sondern eine zentrale Frage<br />

von Bildung. Dies in der öffentlichen Debatte deutlicher<br />

herauszustellen ist gleichermaßen Aufgabe von Politik<br />

und Zivilgesellschaft.<br />

Die Verknüpfung von Schule und Bürgergesellschaft<br />

braucht Druck und Initiative sowohl „von oben“ über<br />

Fachdiskurs und bildungspolitische Initiative als auch<br />

„von unten“ durch eine lebendige Praxis guter Projekte<br />

und Modelle. Die bestehenden Ansätze gilt es daher<br />

zu stärken und fortzuentwickeln. Dabei sind Möglichkeiten<br />

des gegenseitigen Lernens und des Transfers<br />

erprobter Modelle von zentraler Bedeutung. Vernetzung,<br />

Bündnisse und Partnerschaften sind auch hier<br />

der richtige Weg, um erfolgreichen Ideen zu ihrer<br />

Verbreitung zu verhelfen. Orte des Austauschs, des<br />

Lernens und gemeinsamer Strategieentwicklung sind<br />

auf nationaler, europäischer wie internationaler Ebene<br />

notwendig. In Deutschland hat sich unter anderem mit<br />

der Tagungsreihe „Schule und Bürgergesellschaft“ des<br />

<strong>BBE</strong> hierfür ein gutes Forum etabliert. Der Blick über<br />

die nationalen Grenzen hinaus macht aber deutlich,<br />

dass es gerade in diesem Feld sehr unterschiedliche<br />

Traditionen und Entwicklungen gibt, die gezielt aufgegriffen<br />

und für die Bildungsreformbemühungen in<br />

Deutschland aufgearbeitet werden sollten.


Das von der Europäischen Union ausgerufene Europäische<br />

Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung<br />

der aktiven Bürgerschaft 2011 bietet hierfür nicht<br />

nur einen aktuellen Anlass. In der Entscheidung des<br />

Rates vom 27.11.2009 werden die Mitgliedsstaaten<br />

auch ausdrücklich zu einem verstärkten Austausch<br />

zu Fragen der Bildung und Erziehung zur Bürgerschaftlichkeit<br />

aufgefordert.<br />

(4) Die Freiwilligentätigkeit stellt eine bereichernde<br />

Lernerfahrung dar, ermöglicht den Erwerb sozialer<br />

Fertigkeiten und Kompetenzen und trägt zur Solidarität<br />

bei. (...)<br />

(6) In den vom schnellen Wandel geprägten Gesellschaften<br />

werden wirksame Maßnahmen zur<br />

Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten benötigt,<br />

damit sich mehr Menschen ehrenamtlich engagieren.<br />

Deshalb müssen Peer-Learning und der Austausch<br />

und die Entwicklung bewährter Verfahren<br />

auf lokalen, regionalen, nationalen und Gemeinschaftsebenen<br />

gefördert werden.“ 5<br />

Veränderungen im öffentlichen Bildungs- und Erziehungssystem<br />

sind kompliziert und langwierig. Massive<br />

Bedenken und Widerstände begleiten die Reformprozesse.<br />

Bürgergesellschaftliche Reformperspektiven<br />

haben es dabei häufig schwer, sich Gehör zu verschaffen.<br />

Daher ist es geboten, nicht nur hartnäckiger<br />

zu argumentieren, sondern auch mit schlagkräftiger<br />

Unterstützung. Bürgerschaftliche Akteure brauchen<br />

mehr Vernetzung und Bündelung sowie die Unterstützung<br />

aus Wissenschaft, Politik, Wirtschaft und Medien.<br />

Bündnispartner aus diesen Bereichen, die sich mit<br />

Anliegen der <strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung<br />

identifizieren, können die Bemühungen wirkungsvoll<br />

unterstützen und so den öffentlich Druck auf das Bildungs-<br />

und Schulsystem erhöhen. Das Europäische<br />

Jahr der Freiwilligentätigkeit zur Förderung der aktiven<br />

Bürgerschaft 2011 bietet auch hierfür Chancen, die<br />

bei den Planungen für die Gestaltung des Jahres von<br />

Bund und Ländern, aber auch den zivilgesellschaftlichen<br />

Organisationen und Netzwerken aufgegriffen<br />

werden sollten. Kampagnen und öffentliche Veranstaltungen<br />

im Rahmen des Jahres können den Anliegen<br />

bürgerschaftlicher Bildungsreformen ein wirkungsvolles<br />

Sprachrohr geben.<br />

Der Dreh- und Angelpunkt ist und bleibt, ob es gelingt,<br />

die zentralen Planer und Entscheidungsträger<br />

aus Schulentwicklungs- und Bildungspolitik an den<br />

Tisch zu bekommen, sie von den Chancen und Notwendigkeiten<br />

einer bildungspolitischen und bildungspraktischen<br />

Verankerung bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

zu überzeugen und gemeinsam mit ihnen<br />

Strategien der Realisierung zu entwerfen.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Anmerkungen<br />

1 Die im Folgenden ausgeführten Überlegungen für<br />

die Schule lassen sich analog auch für den vorschulischen<br />

wie den nachschulischen Bereich anstellen<br />

und entsprechende Konsequenzen daraus ziehen.<br />

Analysen und Perspektiven einer zivilgesellschaftlichen<br />

Öffnung von Kindergärten und Hochschulen<br />

finden sich in dem Beitrag von Birger Hartnuß und<br />

Frank Heuberger „Ganzheitliche Bildung in Zeiten der<br />

Globalisierung. Bürgergesellschaftliche Perspektiven<br />

für die Bildungspolitik“ (Hartnuß/Heuberger 2010).<br />

2 Diese Forderung findet sich auch in den engagementpolitischen<br />

Empfehlungen des Bundesnetzwerkes<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> für die 17.<br />

Legislaturperiode, die in Auswertung der ersten Ergebnisse<br />

des Nationalen Forums für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation im Oktober 2009 vom Sprecherrat<br />

des <strong>BBE</strong> an die neue Bundesregierung adressiert<br />

wurden.<br />

3 Eine ausführliche Argumentation zu Chancen der<br />

<strong>Engagement</strong>- und Demokratieförderung in ganztägigen<br />

Lernarrangements findet sich in Hartnuß/<br />

Maykus 2005.<br />

4 So ist die Erprobung und Verbreitung der Methode<br />

des Service Learning maßgeblich von der<br />

Freudenberg-Stiftung gefördert worden. Aktuelles<br />

Beispiel für die Initiative von Stiftungen in diesem<br />

Bereich ist das von der Bertelsmann-Stiftung aufgelegte<br />

Programm „Jugend und <strong>Engagement</strong>“.<br />

5 Amtsblatt der Europäischen Union vom 22.01.2010,<br />

Entscheidung des Rates vom 27. November 2009<br />

über das Europäische Jahr der Freiwilligentätigkeit<br />

zur Förderung der aktiven Bürgerschaft (2011).<br />

Literatur<br />

• Behr-Heintze, Andrea/Lipski, Jens (2005): Schulkooperationen.<br />

Stand und Perspektiven der Zusammenarbeit<br />

zwischen Schulen und ihren Partnern.<br />

Ein Forschungsbericht des DJI. Schwalbach/Ts.<br />

• Bertelsmann Stiftung (2007): Vorbilder bilden. Gesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> als Bildungsziel. Carl<br />

Bertelsmann-Preis 2007. Gütersloh.<br />

• Böhme, Jeanette/Kramer, Rolf-Torsten (Hg.) (2001):<br />

Partizipation in der Schule. Theoretische Perspektiven<br />

und empirische Analysen. Opladen.<br />

• Bundesjugendkuratorium/Sachverständigenkommission<br />

für den Elften Kinder- und Jugendbericht/<br />

AGJ (2002): Bildung ist mehr als Schule <strong>–</strong> Leipziger<br />

Thesen. In: Forum Jugendhilfe, 26. Jg., Heft 3, S. 2.<br />

• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (Hg.) (2005): Zwölfter Kinder- und Jugendbericht.<br />

Bonn/Berlin.<br />

71


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• du Bois-Reymond, Manuela/Diepstraten, Isabelle<br />

(2007): Neue Lern- und Arbeitsbiographien.<br />

In: Kahlert, Heike/Mansel, Jürgen (Hg.): Bildung,<br />

Berufsorientierung und Identität im Jugendalter.<br />

Weinheim und München.<br />

• Deutscher Verein für öffentliche und private Fürsorge<br />

(Hg.) (2007): Diskussionspapier des Deutschen<br />

Vereins zum Aufbau kommunaler Bildungslandschaften.<br />

Berlin.<br />

• Düx, Wiebken/Prein, Gerald/Sass, Erich/Tully,<br />

Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>. Eine empirische Studie zum informellen<br />

Lernen im Jugendalter. Wiesbaden.<br />

• Edelstein, Wolfgang (2008): Überlegungen zum<br />

Klassenrat: Erziehung zu Demokratie und Verantwortung.<br />

In: Die Ganztagsschule, Heft 2.<br />

• Edelstein, Wolfgang (2007): Schule und bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>. Vortrag auf der Tagung<br />

„Bürgergesellschaft und Bildung <strong>–</strong> Gesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> als Bildungsziel“ der Bertelsmann<br />

Stiftung und des <strong>BBE</strong>. Berlin. 17.09.2007.<br />

• Enquete-Kommission „Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s“ (Hg.) (2002): Bericht. Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>: auf dem Weg in eine<br />

zukunftsfähige Bürgergesellschaft. Opladen.<br />

• Evers, Adalbert/Rauch, Ulrich/Stitz, Uta (2002):<br />

Von öffentlichen Einrichtungen zu sozialen Unternehmen.<br />

Hybride Organisationsformen im Bereich<br />

sozialer Dienstleistungen. Berlin.<br />

• Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine<br />

(2006): Freiwilliges <strong>Engagement</strong> in Deutschland<br />

1999 <strong>–</strong> 2004. Ergebnisse der repräsentativen<br />

Trenderhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit<br />

und bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong>, in Auftrag<br />

gegeben und herausgegeben vom Bundesministerium<br />

für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.<br />

Wiesbaden.<br />

• Hartnuß, Birger (2007): civic education. In: Fachlexikon<br />

der sozialen Arbeit. 6. Aufl., Baden-Baden.<br />

S. 165-166.<br />

• Hartnuß, Birger (2008): Bildungspolitik und Bürgergesellschaft.<br />

In: Bürsch, Michael (Hg.): Mut<br />

zur Verantwortung. Mut zur Einmischung. Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> in Deutschland. Bonn. S.<br />

80-101.<br />

• Hartnuß, Birger/Maykus, Stephan (2005): Mitbestimmen,<br />

mitmachen, mit<strong>gestalten</strong>. Entwurf einer<br />

bürgergesellschaftlichen und sozialpädagogischen<br />

Begründung von Chancen der Partizipations- und<br />

<strong>Engagement</strong>förderung in ganztägigen Lehrarrangements.<br />

Expertise im Auftrag des BLK-Programms<br />

„Demokratie lernen & leben“. Münster.<br />

• Hartnuß, Birger/Heuberger, Frank (2010): Ganzheitliche<br />

Bildung in Zeiten der Globalisierung. Bürgerschaftliche<br />

Perspektiven für die Bildungspolitik.<br />

72<br />

In: Olk, Thomas/Klein, Ansgar/Hartnuß, Birger<br />

(Hg): <strong>Engagement</strong>politik. Die Entwicklung der Zivilgesellschaft<br />

als politische Aufgabe. VS-Verlag.<br />

Wiesbaden. S. 459-490.<br />

• Olk, Thomas (2007): Engagierte Bildung <strong>–</strong> Bildung<br />

mit <strong>Engagement</strong>? Zur Bedeutung des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s für die Bildungsreform.<br />

Eröffnungsvortrag auf der Fachtagung „Engagierte<br />

Bildung <strong>–</strong> Bildung mit <strong>Engagement</strong>? Bildung <strong>–</strong><br />

Schule <strong>–</strong> Bürgerengagement in Ostdeutschland“,<br />

4. und 5. Mai 2007 Halle/S.<br />

• Rahm, Sibylle (2008): Der Beitrag von bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> zur Schulentwicklung<br />

<strong>–</strong> Erfahrungen in Bayern. In: Schule und Bürgerengagement.<br />

Bildung gemeinsam <strong>gestalten</strong>. Dokumentation<br />

der Fachtagung des <strong>BBE</strong> und des LNBE<br />

Bayern, 24. und 25. Oktober 2008 in der Akademie<br />

Dillingen. S. 15-24.<br />

• Rahm, Sibylle/Schröck, Nikolaus (2005): Schulentwicklung<br />

<strong>–</strong> von verwalteten Schulen zu lernenden<br />

Organisationen. In: Apel, Hans-Jürgen u. a. (Hg.):<br />

Studienbuch Schulpädagogik. Bad Heilbrunn. S.<br />

148-167.<br />

• Rauschenbach, Thomas/Otto, Hans-Uwe (Hg.)<br />

(2004): Die neue Bildungsdebatte. Chance oder<br />

Risiko für die Kinder- und Jugendhilfe? In: Otto,<br />

Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.): Die<br />

andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis von formellen<br />

und informellen Bildungsprozessen. Wiesbaden.<br />

S. 9-29.<br />

• Rauschenbach, Thomas (2005): Schule und bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> zwei getrennte<br />

Welten? Anmerkungen zu einer schwierigen Beziehung.<br />

In: „Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

als Bildungsziel (in) der Schule“ Fachtagung am<br />

29./30.10.2004 in Mainz. Tagungsdokumentation.<br />

Berlin.<br />

• Sliwka, Anne (2004): Service Learning: Verantwortung<br />

lernen in Schule und Gemeinde. In: Edelstein,<br />

Wolfgang/Fauser, Peter (Hg.): Beiträge zur Demokratiepädagogik.<br />

Eine Schriftenreihe des BLK-<br />

Programms „Demokratie lernen und leben“. Berlin.<br />

• Stolz, Heinz-Jürgen (2008): Welchen Beitrag<br />

können Schulen zur Gestaltung lokaler Bildungslandschaften<br />

leisten? In: Schule und Bürgerengagement.<br />

Bildung gemeinsam <strong>gestalten</strong>. Dokumentation<br />

der Fachtagung des <strong>BBE</strong> und des LNBE<br />

Bayern, 24. und 25. Oktober 2008 in der Akademie<br />

Dillingen. S. 40-45.


Prof. Dr. Thomas Rauschenbach<br />

Kurzgutachten: <strong>Engagement</strong> und Bildung<br />

1. Einleitung<br />

Seit einigen Jahren lässt sich die Annäherung von<br />

zwei Themenfeldern beobachten, die lange Zeit eigenständig<br />

existierten und wenig bis gar nichts miteinander<br />

zu tun hatten: dem Bildungs- und Kompetenzdiskurs<br />

auf der einen Seite und den Debatten über<br />

bürgerschaftliches, freiwilliges, zivilgesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> auf der anderen Seite.<br />

Wurde der Bildungsdiskurs vor allem mit Schule, mit<br />

formaler Bildung und mit späterem beruflichen Erfolg<br />

in Verbindung gebracht, vielleicht sogar nahezu<br />

gleichgesetzt <strong>–</strong> und hatte darin seine allgemeine,<br />

grundlegende Bedeutung für das Aufwachsen von<br />

Kindern und Jugendlichen <strong>–</strong>, so waren die Erörterungen<br />

um das Ehrenamt und das freiwillige <strong>Engagement</strong><br />

nicht nur vor allem auf den außerschulischen<br />

Bereich, auf die Freizeit gerichtet, sondern darin<br />

geradezu ein symbolhafter Ausdruck eines nichtfunktionalistischen<br />

<strong>Engagement</strong>s junger Menschen<br />

aus freien Stücken. Für viele wurde das freiwillige<br />

<strong>Engagement</strong> in einem Verein, einem Verband, in der<br />

Kirche, in einer Initiative oder einer politischen Gruppierung<br />

mit den ausgeprägten Elementen des Gleichaltrigenbezugs,<br />

des Spaßes, einem Stück Selbstverwirklichung<br />

sowie der weitaus stärker empfundenen<br />

Selbstwirksamkeit zu einer Alternativerfahrung und<br />

zu einem Gegenentwurf zu den vielfach mit Zwang<br />

und Pflicht behafteten schulischen Bildungssettings.<br />

Diese Ausgangslage hat sich im letzten Jahrzehnt<br />

aufgrund unterschiedlicher Entwicklungen merklich<br />

verändert. Einige Facetten sollen hier nur kursorisch<br />

genannt werden:<br />

• Im Anschluss an die ersten PISA-Studien (vgl.<br />

Deutsches PISA-Konsortium 2001), die vor allem<br />

Fragen der Literalität, der Mathematik und der Naturwissenschaft<br />

in den Mittelpunkt ihrer Kompe-<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

tenzmessungen gerückt hatten, ist eine generelle<br />

Diskussion um Kompetenzen, Kompetenzdimensionen<br />

und Kompetenzdiagnostik entstanden, die<br />

fast zwangsläufig auch die Frage nach anderen<br />

Inhalten und Dimensionen des Kompetenzerwerbs<br />

nach sich gezogen hat (vgl. etwa BMFSFJ 2005).<br />

• Begünstigt wurde diese Debatte durch eine wiederbelebte<br />

Auseinandersetzung um die Koordinaten<br />

eines zeitgemäßen Bildungsbegriffs: „Bildung ist<br />

mehr als Schule“ wurde dabei zu einem programmatischen<br />

Leitmotiv für ein erweitertes Bildungsverständnis<br />

(vgl. etwa Bundesjugendkuratorium<br />

2001; Bundesjugendkuratorium u. a. 2002; Münchmeier/Otto/Rabe-Kleberg<br />

2002). Damit wurden in<br />

der Folge dann aber auch verstärkt die „anderen<br />

Seiten der Bildung“ ins Blickfeld gerückt (vgl. Otto/<br />

Rauschenbach 2004).<br />

• Während sich die Diskussion um Kompetenzen<br />

und Bildung in Deutschland vor allem im Anschluss<br />

an die erste PISA-Studie ausgebreitet hat (vgl.<br />

Deutsches PISA-Konsortium 2001), waren die<br />

Studien über ehrenamtliches, freiwilliges oder zivilgesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> im Folgenden<br />

auch zusammengefasst unter dem Begriff des zivilgesellschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s <strong>–</strong> lange Zeit eher<br />

von Fragen der Prävalenz, also der Verbreitung, der<br />

Motivation und der mit diesem <strong>Engagement</strong> verbundenen<br />

Erwartungen geprägt (vgl. Beher/Liebig/<br />

Rauschenbach 2002).<br />

• Erst über die neueren Debatten um das informelle<br />

Lernen im Jugendalter (vgl. Rauschenbach/Düx/<br />

Sass 2006) kam verstärkt die Frage auf, ob, und falls<br />

ja, was denn junge Menschen im Rahmen ihres Freiwilligenengagements<br />

eigentlich lernen, wurde das<br />

zivilgesellschaftliche <strong>Engagement</strong> als eine mögliche<br />

Bildungsressource ins Blickfeld gerückt (vgl. etwa<br />

Konsortium Bildungsberichterstattung 2006).<br />

Mit anderen Worten: Die stärkere Ausrichtung der<br />

Bildungsthematik an der Kompetenzfrage, die gleich-<br />

73


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

zeitige Ausweitung der Referenzpunkte für einen<br />

erweiterten Bildungsbegriff, der konsequent über<br />

die schulische Bildung hinausweist, sowie die sich<br />

allmählich ausbreitende Sorge, dass ein fast ausschließlich<br />

kognitiv ausgerichtetes Bildungskonzept<br />

den zukünftigen Herausforderungen an eine individuelle<br />

Lebensführung der nachwachsenden Generation<br />

nicht gerecht werden kann, öffnete auf Seiten des<br />

Bildungsdiskurses den Blick auf jene Horizonte, die<br />

auch mit dem freiwilligen, zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

zu tun haben.<br />

Zeitgleich hat im Rahmen der <strong>Engagement</strong>forschung<br />

nach und nach eine stärkere empirische Ausrichtung<br />

Einzug gehalten, deren prägnantester Ausdruck 1999<br />

im Start des inzwischen drei Mal durchgeführten<br />

Freiwilligensurveys seinen Niederschlag fand (vgl.<br />

Rosenbladt 2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006). Zugleich<br />

hat eine deutlicher akzentuierte Debatte über<br />

die Beweggründe und Formen des <strong>Engagement</strong>s<br />

zu einer stärkeren Akzentuierung der individuellen<br />

Facetten und des individuellen Nutzens geführt (vgl.<br />

Rauschenbach/Müller/Otto 1992) und dabei auch den<br />

Blick frei gelegt auf die impliziten wie expliziten Bildungspotenziale<br />

des Freiwilligenengagements.<br />

Vor allem die Frage nach dem Kompetenzerwerb<br />

durch das zivilgesellschaftliche <strong>Engagement</strong> junger<br />

Menschen hat zu intensiveren Debatten und ersten<br />

Studien geführt. Damit stand der Kompetenzerwerb<br />

außerhalb der etablierten Modalitäten schulisch-formaler<br />

Bildung ebenso auf der Tagesordnung wie die<br />

anderen Dimensionen des individuellen Kompetenzerwerbs.<br />

Da die großen internationalen Vergleichsstudien<br />

ausschließlich auf die schulischen Kernfächer<br />

ausgerichtet waren, konnten sie diese anderen<br />

Dimensionen bislang auch nicht erfassen.<br />

Vor diesem Hintergrund soll nachfolgend zunächst die<br />

Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s im Jugendalter skizziert<br />

werden. Anschließend steht die wachsende Bedeutung<br />

eines kompetenzbasierten Bildungsbegriffs für<br />

das Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen im Mittelpunkt,<br />

bevor dann einige Facetten des Zusammenhangs<br />

von <strong>Engagement</strong> und Bildung zur Diskussion<br />

gestellt werden. Den Abschluss bilden einige Handlungsempfehlungen<br />

auf der Basis der neueren wissenschaftlichen<br />

Diskussion um Bildung und <strong>Engagement</strong>. 1<br />

2. Das <strong>Engagement</strong> im Jugendalter<br />

Allen Unkenrufen zum Trotz sind auch in der heutigen<br />

Zeit noch viele Jugendliche freiwillig engagiert<br />

und beteiligen sich aktiv an vielen Angelegenheiten in<br />

74<br />

ihrem persönlichen Umfeld oder des öffentlichen Lebens.<br />

Jugendstudien haben wiederholt belegt, dass<br />

der Einsatz für ein Anliegen, eine Idee oder für andere<br />

Menschen für viele Jugendliche in diesem Alter<br />

ganz selbstverständlich ist und zu ihrem persönlichen<br />

Lebensstil gehört (vgl. Jugendwerk der Deutschen<br />

Shell 2000, 2002, Shell Deutschland Holding 2006;<br />

Gille u. a. 2006).<br />

Bestätigt wurden derartige Befunde aber auch durch<br />

die bisherigen Freiwilligensurveys, die nachgewiesen<br />

haben, dass junge Menschen im Schulalter mit zu<br />

den engagiertesten Altersgruppen gehören (vgl. Picot<br />

2001; Gensicke/Picot/Geiss 2006).<br />

2.1 Zur Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s im<br />

Jugendalter<br />

Freiwilliges <strong>Engagement</strong> realisiert sich für Jugendliche<br />

im konkreten Tun, in realen Ernstsituationen <strong>–</strong><br />

ganz im Unterschied zu den vielfachen „Als-Ob-Situationen“<br />

in der Schule. In der konkreten Übernahme<br />

von sozialer Verantwortung in lebensweltlichen Zusammenhängen<br />

im Rahmen dieses <strong>Engagement</strong>s erfahren<br />

Heranwachsende oft zum ersten Mal in ihrem<br />

Leben, dass sie etwas können, dass man sie braucht,<br />

dass man ihnen außerhalb des Schonraums der Familie<br />

und außerhalb des pädagogisch-inszenierten<br />

Settings Schule etwas zutraut, kurz: dass sie dort Anerkennung<br />

und Bestätigung erfahren <strong>–</strong> mit allen Konsequenzen<br />

des Erfolgs, aber auch des Scheiterns an<br />

Realsituationen, in denen sich die Einzelnen bewähren<br />

müssen.<br />

Derartige Formen des <strong>Engagement</strong>s werden inzwischen<br />

verstärkt als eine Form von Bildungsarbeit<br />

wahrgenommen. Das war nicht immer so. Lange Zeit<br />

wurde ehrenamtliches <strong>Engagement</strong> vor allem als einseitiges<br />

Geben, als gute Tat, meist aus altruistischen<br />

Motiven verstanden. Jemand spendete Zeit, Können<br />

und Motivation für andere Menschen, für eine Idee<br />

oder gute Sache. Dies war nach Meinung vieler der<br />

soziale Kitt, der Gemeinschaften und Gesellschaften<br />

zusammenhielt <strong>–</strong> und den es zu bewahren galt. Seit<br />

den 90er-Jahren wird sehr viel stärker die Reziprozität,<br />

also das wechselseitige Geben und Nehmen<br />

des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s betont und ins Blickfeld<br />

gerückt (vgl. Rauschenbach/Müller/Otto 1992). Dies<br />

hat zugleich den Blick geöffnet für die Seiten des individuellen<br />

und gesellschaftlichen Nutzens der unterschiedlichen<br />

Formen des <strong>Engagement</strong>s.<br />

In Anbetracht derartiger Entwicklungen innerhalb der<br />

<strong>Engagement</strong>forschung, die auch als Ausdruck einer<br />

allgemein gewachsenen Bereitschaft verstanden


werden können, sich mit Fragen des <strong>Engagement</strong>s<br />

auseinanderzusetzen <strong>–</strong> und infolgedessen u. a. Bundestagskommissionen<br />

(vgl. Enquete-Kommission<br />

2002) und eigenständige Berichtsformate nach sich<br />

zogen (vgl. Alscher u. a. 2009) <strong>–</strong>, gerät das freiwillige<br />

<strong>Engagement</strong> von jungen Menschen zunehmend<br />

in den Blick von Öffentlichkeit und Politik. Dabei wird<br />

dem <strong>Engagement</strong> von Jugendlichen heute sowohl<br />

eine gesellschaftliche (a) als auch individuelle Bedeutung<br />

(b) zugeschrieben.<br />

(a) Gesellschaftliche Bedeutung des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

im Jugendalter: In Demokratien, die auf<br />

der aktiven Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger<br />

basieren und auf diese angewiesen sind, erscheint<br />

das soziale und politische <strong>Engagement</strong> junger Menschen<br />

als ein Gradmesser für deren spätere aktive<br />

Teilhabe an der Gestaltung einer demokratischen<br />

Gesellschaft. Um auch zukünftig zivilgesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> in gemeinnützigen Organisationen<br />

und damit die Grundlagen für die Zivilgesellschaft<br />

aufrechtzuerhalten, kommt der Einbindung<br />

junger Menschen eine wichtige Bedeutung zu. Das<br />

Nachwachsen Jugendlicher in Formen des freiwilligen,<br />

zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s und in der<br />

gesellschaftlichen Verantwortungsübernahme wird<br />

dementsprechend als eine der wesentlichen Voraussetzungen<br />

für die Weiterentwicklung von Demokratie<br />

und Zivilgesellschaft gesehen (vgl. Enquete-<br />

Kommission 2002).<br />

(b) Individuelle Bedeutung des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

im Jugendalter: Daneben wird dem freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong> in jüngerer Zeit verstärkt auch eine<br />

wichtige individuelle Bedeutung beigemessen, bietet<br />

es doch Jugendlichen Möglichkeiten für erste eigene<br />

Erfahrungen im Umgang mit gesellschaftlichen Organisationen<br />

und gemeinnützigen Einrichtungen, für<br />

eigene neue und andersartige Lern- und Bildungsprozesse,<br />

für den Erwerb vielfältiger Kompetenzen, für<br />

die Einübung demokratischer Spielregeln sowie für<br />

Teilhabe, Mitbestimmung, Selbstorganisation und die<br />

Vertretung ihrer eigenen Interessen. Die Übernahme<br />

von Verantwortung für andere Menschen, für Inhalte<br />

oder Sachen erscheint heute als ein wichtiger Aspekt<br />

der sozialen Integration Heranwachsender in einer<br />

tendenziell eher desintegrativen Gesellschaft (vgl.<br />

Düx u. a. 2008; Enquete-Kommission 2002).<br />

2.2 Zur Empirie freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

junger Menschen<br />

Empirisch zeigt sich, dass das freiwillige <strong>Engagement</strong><br />

jungen Menschen einen wichtigen Schritt aus<br />

dem privaten in den öffentlichen Raum und damit<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

eine Ausweitung ihres Erfahrungshorizonts ermöglicht<br />

(vgl. Buhl/Kuhn 2005). Neben Eltern und Freunden<br />

stellt soziales <strong>Engagement</strong> eine von drei Säulen<br />

dar, die zu einer erfolgreichen sozialen Entwicklung,<br />

zu gesellschaftlicher Partizipation und zu sozialer Integration<br />

Heranwachsender beitragen können (vgl.<br />

Reinders 2005).<br />

Mittlerweile kann auf eine ganze Reihe von Forschungsbefunden<br />

zum jugendlichen <strong>Engagement</strong><br />

zurückgeblickt werden (vgl. als Überblick Düx 1999;<br />

Düx/Sass 2006). Grundsätzlich ist damit auf eine<br />

in den letzten Jahren erheblich verbesserte Datengrundlage<br />

zu verweisen, auch wenn die Angaben<br />

zum Umfang des <strong>Engagement</strong>s sowie zur Verteilung<br />

auf Felder und Inhalte in den vorliegenden Studien,<br />

je nach verwendeten Begrifflichkeiten und Fragestellungen,<br />

nach wie vor schwanken. Dementsprechend<br />

ergeben sich in Abhängigkeit von der Fragestellung,<br />

von der Definition des <strong>Engagement</strong>s, von der Untersuchungsrichtung<br />

und den gewählten Alterseinteilungen<br />

in den verschiedenen Studien unterschiedliche<br />

Quoten ehrenamtlich engagierter Jugendlicher,<br />

die aber nicht unbedingt Ausdruck empirischer Beliebigkeit<br />

sind, sondern eher als Beleg für die nach wie<br />

vor unterschiedlichen empirischen Zugänge zu dieser<br />

Problematik zu werten sind (vgl. Beher/LiebigRauschenbach<br />

2002; Rauschenbach 1999).<br />

Beim Vergleich unterschiedlicher repräsentativer<br />

bundesdeutscher Bevölkerungsumfragen zu Mitgliedschaft<br />

und freiwilligem <strong>Engagement</strong> der Altersgruppe<br />

der 14- bis 20-Jährigen kommt v. Santen auf eine<br />

Bandbreite zwischen 12 und 40 Prozent engagierter<br />

junger Menschen (vgl. v. Santen 2005). In diesen Studien<br />

reicht die Fragestellung von freiwilligem <strong>–</strong> auch<br />

kurzzeitigem und projektgebundenem <strong>–</strong> <strong>Engagement</strong><br />

bis hin zur Ausübung eines Amtes. Diese unterschiedlichen<br />

Zahlen machen insoweit genau die<br />

Schwierigkeiten der empirischen Erfassung freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>s Jugendlicher deutlich (vgl. Düx<br />

2000; BMFSFJ 2005; Züchner 2006).<br />

Zieht man die verschiedenen Wellen der Freiwilligensurveys<br />

als bislang umfangreichsten Datensatz zum<br />

zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong> in Deutschland<br />

heran, so engagieren sich bundesweit zwischen 37<br />

(1999), 36 (2004) und 35 Prozent (2009) aller jungen<br />

Menschen zwischen 14 und 24 Jahren. Zu ähnlichen<br />

Befunden gelangt auch die letzte Shell-Jugendstudie<br />

(vgl. Shell Deutschland Holding 2006). Die ersten<br />

beiden Freiwilligensurveys von 1999 und 2004 ermittelten<br />

zudem den höchsten Anteil ehrenamtlich Engagierter<br />

bei den unter 20-Jährigen (vgl. Gensicke/<br />

Picot/Geiss 2006).<br />

75


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Allerdings finden sich innerhalb der Gruppe junger<br />

Menschen deutliche Unterschiede im <strong>Engagement</strong>.<br />

So belegen verschiedene Studien, dass sich überwiegend<br />

sozial gut integrierte deutsche Jugendliche mit<br />

höherer Schulbildung engagieren (vgl. Gaiser/de Rijke<br />

2006; Düx u. a. 2008; Reinders 2009). Zugleich korrespondieren<br />

der Zugang zum <strong>Engagement</strong> sowie die<br />

Art des <strong>Engagement</strong>s mit den sozialen Ressourcen<br />

und den kulturellen Interessen im Elternhaus. Nach<br />

wie vor engagieren sich mehr männliche als weibliche<br />

Jugendliche. Auch findet sich ein deutlich geringerer<br />

Anteil Engagierter bei den jungen Menschen mit Migrationshintergrund<br />

(vgl. Gensicke/Picot/Geiss 2006),<br />

was nicht zuletzt auch mit ihrer im Schnitt geringeren<br />

schulischen Qualifikation zusammenhängen dürfte<br />

(vgl. etwa Düx u. a. 2008). Weitere milieuspezifische<br />

Einflussfaktoren für ein <strong>Engagement</strong> Heranwachsender<br />

sind Merkmale wie ein großer Freundeskreis, biografisch<br />

stabile Wohnverhältnisse oder die Bindung<br />

an eine Religionsgemeinschaft (vgl. Gensicke/Picot/<br />

Geiss 2006; Rauschenbach 1999).<br />

Folgt man der letzten Shell-Studie, so sind 40 Prozent<br />

der befragten Jugendlichen in Vereinen aktiv, 23<br />

Prozent im Bereich Schule/Hochschule, 15 Prozent in<br />

einer Kirchengemeinde/-gruppe, 13 Prozent in einem<br />

selbst organisierten Projekt, 12 Prozent in Jugendorganisationen<br />

(vgl. Shell Deutschland Holding 2006).<br />

Und in der Untersuchung von Düx u. a. (2008) engagieren<br />

sich Jugendliche bis zum Alter von 22 Jahren<br />

überwiegend im kirchlichen Umfeld (22%), im Sport<br />

(21%), in den Rettungsdiensten (12%) und in Jugendverbänden<br />

(10%).<br />

In allen Bereichen geben mindestens 50 Prozent der<br />

Engagierten an, auch in der Jugendarbeit als dem typischen<br />

Einstiegsfeld für jugendliches <strong>Engagement</strong><br />

ehrenamtlich tätig gewesen zu sein. Dabei bezieht<br />

sich das <strong>Engagement</strong> junger Menschen bis zu 24<br />

Jahren überwiegend auf die Arbeit mit Kindern und<br />

Jugendlichen. In den Feldern der Schule und Jugendarbeit<br />

geben über 80 Prozent der jungen Engagierten<br />

als Zielgruppe ihres <strong>Engagement</strong>s Kinder und Jugendliche<br />

an, im Sport sind es mit Blick auf diese Altersgruppe<br />

70 Prozent, im kirchlich-religiösen Bereich<br />

zwei Drittel (vgl. Gensicke/ Picot/Geiss 2006). Das<br />

heißt, die freiwillige Tätigkeit junger Menschen richtet<br />

sich überwiegend an Gleichaltrige bzw. an nur wenig<br />

jüngere Personen, in der Regel als Gruppenarbeit<br />

im Rahmen der außerschulischen Jugendarbeit (vgl.<br />

Enquete-Kommission 2002; Rauschenbach 2009a).<br />

Insgesamt zeigt sich anhand der neueren Studien<br />

also zum einen, dass nach wie vor ein zivilgesellschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> junger Menschen in einem<br />

76<br />

nicht zu unterschätzenden Umfang anzutreffen ist,<br />

dass zum anderen auch die damit verbundenen gesellschaftlichen<br />

wie individuellen Dimensionen nicht<br />

zu unterschätzen sind, auch wenn sie vielfach zunächst<br />

außerhalb des eigentlichen Bildungsdiskurses<br />

zum Thema geworden sind.<br />

3. Kompetenzbasierte Bildung im Jugendalter<br />

Eine deutlich anders gelagerte Entwicklung hat die<br />

Diskussion um Fragen der Bildung und der Kompetenz<br />

genommen, welche hier nicht erschöpfend behandelt<br />

werden kann. Lediglich einige ausgewählte<br />

Dimensionen dieser beiden Begrifflichkeiten werden<br />

ins Blickfeld gerückt.<br />

Menschen lernen immer und überall. Die Frage, ob<br />

das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> ein wesentlicher,<br />

gar ein exklusiver Ort ist, an dem anders und Anderes<br />

gelernt wird als in der Schule und anderen Lernfeldern,<br />

ist empirisch schwierig zu klären. Ähnlich wie<br />

in der Familie finden sich auch hier alle Ebenen alltäglicher<br />

Erfahrungen und möglicher Lernprozesse.<br />

Gegenüber den hochgradig formalisierten Bildungssystemen,<br />

in denen primär kognitives Wissen in spezifischer,<br />

zumeist standardisierter Form eingeübt wird,<br />

findet sich in den Organisationen des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s eine große Bandbreite äußerst<br />

heterogener Lerninhalte, die zudem auf höchst unterschiedliche<br />

Weise angeeignet werden. Die Erhebung<br />

informeller Lernprozesse ist somit generell schwierig,<br />

da diese vielfach nicht nur ungeplant und außerhalb<br />

geregelter Lernumwelten stattfinden, sondern zudem<br />

die möglichen Einflussvariablen nur schwer getrennt<br />

voneinander betrachtet werden können (vgl. Reinders<br />

2009, S. 20ff).<br />

Diese Vielfalt und Nicht-Fassbarkeit der unterschiedlichen<br />

Lerninhalte und -formen erschwert es, Dimensionen<br />

des Lernens in diesen Settings zu beschreiben.<br />

Es gibt bisher keine geprüften Instrumente, mit<br />

denen man unterschiedlichste Formen des Kompetenzerwerbs<br />

messen und erfassen kann. Dies gilt<br />

noch mehr für informelle Lernprozesse, da diese von<br />

ihrem Charakter her ungeplant sind und damit kaum<br />

gezielt beobachtet, geschweige denn gemessen werden<br />

können.<br />

Mehr noch: Die Schwierigkeiten der Annäherung an<br />

den Kompetenzerwerb im Rahmen informellen Lernens<br />

hängen auch damit zusammen, dass hierbei die<br />

Frage nach den anderen Bildungsorten mit Fragen<br />

nach den anderen Bildungsinhalten und den anderen<br />

Bildungsmodalitäten, also den Formen der Aneignung


und des Lernens, vielfach bis zur Unkenntlichkeit ineinander<br />

vermengt werden (vgl. dazu ausführlich<br />

Rauschenbach 2009b). Das heißt: Es existiert keine<br />

einheitliche Vorstellung davon, was informelles Lernen<br />

eigentlich heißen könnte. Hinzu kommt, dass in<br />

der bisherigen gesamten Kompetenzforschung kaum<br />

ein Augenmerk auf die Frage gelegt worden ist, wo<br />

und wie Kompetenzen eigentlich erworben werden.<br />

Orte und Modalitäten des Kompetenzerwerbs spielen<br />

vorerst kaum eine Rolle. Dies aber macht es für die<br />

weitaus diffuseren, weniger standardisierten Formen<br />

des informellen Lernens noch schwieriger, Orte, Inhalte<br />

und Formen genauer zu benennen.<br />

Hinzu kommt ein weiteres Problem. Nicht zuletzt<br />

um dem Sachverhalt gerecht zu werden, dass Kompetenzen<br />

nicht auf die Enge der bisherigen untersuchten<br />

Kompetenzdimensionen der PISA-Forschung<br />

reduziert werden können, ist ein erweiterter,<br />

kompetenzbasierter Bildungsbegriff erforderlich, wie<br />

er beispielsweise im 12. Kinder- und Jugendbericht<br />

zugrunde gelegt worden ist (vgl. BMFSFJ 2005). Dieser<br />

beinhaltet vier Kompetenzdimensionen:<br />

1 . Unter kultureller Kompetenz wird die sprachlichsymbolische<br />

Fähigkeit verstanden, sich die von<br />

Menschen geschaffene kulturelle Welt mittels<br />

Zeichen und Sprache sinnhaft zu erschließen, sie<br />

zu deuten, zu verstehen, sich in einer Symbolwelt<br />

bewegen zu können. Das kommt vor allem dem<br />

traditionellen Verständnis von Bildung nahe, also<br />

dem, was Schule leisten soll.<br />

2 . Als instrumentelle Kompetenz umschreibt der 12.<br />

Kinder- und Jugendbericht jene Fähigkeiten, die<br />

sich auf die materiell-dingliche Welt beziehen,<br />

etwa sich praktisch, physisch im Leben bewegen<br />

und verhalten zu können, also nicht nur mental,<br />

semantisch oder virtuell, sondern sich ganz konkret<br />

in einer stofflichen Umgebung, in der Natur,<br />

in einer Welt von Produkten, in einer technischen<br />

Welt zurechtzufinden (eine Fähigkeit, die in modernen<br />

Informations- und Wissensgesellschaften<br />

immer stärker unterschätzt wird).<br />

3 . Der dritte Kompetenzbereich, die soziale Kompetenz,<br />

ist auf die soziale (Um-)Welt ausgerichtet<br />

und umfasst, vereinfacht ausgedrückt, all das, was<br />

sich auf andere Menschen, auf das menschliche<br />

Zusammenleben, auf das Gemeinwesen bezieht,<br />

also etwa kommunikative Kompetenz, soziale Verantwortung<br />

oder politische Bildung.<br />

4 . Und schließlich bedarf es einer vierten Kompetenzdimension,<br />

die sich auf die subjektive Welt<br />

bezieht. Angesprochen wird damit die personale<br />

Kompetenz, also etwa die Fähigkeiten, mit sich<br />

selbst, mit seinen eigenen Emotionen, Hoffnungen<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

und Ängsten, mit seiner eigenen Körperlichkeit<br />

umgehen zu können, sich selber wahrzunehmen,<br />

sich zu sich selbst verhalten zu können und so etwas<br />

wie eine personale Identität zu entwickeln.<br />

Informelles Lernen und damit auch der Kompetenzerwerb<br />

im zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong> bewegt<br />

sich dabei vor allem in den drei letztgenannten<br />

Bereichen. Zivilgesellschaftliches <strong>Engagement</strong> hat<br />

insoweit insbesondere für junge, aber auch für alle<br />

anderen Menschen, eine eigene Bildungsrelevanz<br />

(vgl. Rauschenbach u. a. 2007). Dies ist Thema des<br />

folgenden Abschnitts.<br />

4. Bildung im zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

In den letzten Jahren rückten die Bildungspotenziale<br />

jugendlichen <strong>Engagement</strong>s verstärkt in den Mittelpunkt.<br />

In Wissenschaft, Politik und den Organisationen<br />

des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s wird allgemein<br />

davon ausgegangen, dass das <strong>Engagement</strong> junger<br />

Menschen Lern- und Bildungsprozesse, insbesondere<br />

sozialer Art, sowie das Hineinwachsen in demokratische<br />

Spielregeln befördert (vgl. Thole/Hoppe 2003;<br />

Enquete-Kommission 2002; Otto/Rauschenbach<br />

2004; Corsa 1998, 2003). So sind die Themen Bildung,<br />

Demokratielernen und Kompetenzerwerb durch<br />

freiwilliges <strong>Engagement</strong> in den letzten Jahren zunehmend<br />

in den Blick der empirischen Forschung geraten.<br />

In der jüngeren Jugendverbandsforschung etwa<br />

werden verstärkt Fragen des Kompetenzerwerbs,<br />

des sozialen Lernens und der Nachhaltigkeit der im<br />

<strong>Engagement</strong> erworbenen Fähigkeiten ins Blickfeld<br />

gerückt (vgl. Lehmann 2005; Fauser/Fischer/Münchmeier<br />

2006; Schwab 2006; Reinders 2005; Richter/<br />

Jung/Riekmann 2006). Hofer/Buhl (2000) kommen<br />

bei der Sichtung empirischer Studien zum Einfluss<br />

freiwilligen <strong>Engagement</strong>s auf die Persönlichkeitsentwicklung<br />

junger Menschen zu dem Befund, dass trotz<br />

der Heterogenität der Forschungsergebnisse von positiven<br />

Einflüssen sozialen <strong>Engagement</strong>s auf die Persönlichkeitsentwicklung<br />

ausgegangen werden kann.<br />

Die Studie von Düx u. a (2008) 2 weist darauf hin,<br />

dass im <strong>Engagement</strong> Heranwachsender neben sozialen<br />

und persönlichkeitsbildenden Eigenschaften<br />

bzw. Fähigkeiten insbesondere Organisations-, Leitungs-,<br />

Team- und Gremienkompetenzen entwickelt<br />

und vertieft werden. Anders als in der Schule wird<br />

überwiegend durch Handeln in Realsituationen gelernt<br />

im Sinne von „learning by doing“. Die in § 11 des<br />

Achten Sozialgesetzbuches definierte Aufgabe der<br />

Jugendarbeit, junge Menschen zu Selbstbestimmung<br />

und gesellschaftlicher Mitverantwortung sowie zu so-<br />

77


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

zialem <strong>Engagement</strong> zu befähigen, scheinen die Jugendverbände<br />

zu erfüllen. Sie fungieren als Ermöglichungsräume,<br />

in denen Heranwachsende befähigt<br />

werden, in realen Situationen gesellschaftliche Verantwortung<br />

zu übernehmen und an der mikrosozialen<br />

Gestaltung der Gesellschaft teilzuhaben.<br />

In puncto Kompetenzerwerb wird deutlich, dass die in<br />

ihrer Jugend Engagierten, verglichen mit der Gruppe<br />

der Nicht-Engagierten, über ein breiteres Spektrum<br />

an Erfahrungen und Kompetenzen verfügen. Besonders<br />

groß sind die Differenzen zwischen den beiden<br />

Gruppen, wenn es um Organisations-, Gremien- und<br />

Leitungskompetenzen geht. Zudem zeigt sich ein<br />

Zusammenhang zwischen dem jugendlichen <strong>Engagement</strong><br />

und der gesellschaftlichen Beteiligung im Erwachsenenalter.<br />

Mit anderen Worten: Freiwilliges <strong>Engagement</strong><br />

junger Menschen hat auch Auswirkungen<br />

auf das gesellschaftliche <strong>Engagement</strong> im Erwachsenenalter.<br />

Wer als Jugendlicher gesellschaftliche Verantwortung<br />

im freiwilligen <strong>Engagement</strong> übernimmt,<br />

macht dies mit größerer Wahrscheinlichkeit auch im<br />

Erwachsenenalter.<br />

Im Anschluss an die neu entfachte Bildungsdebatte<br />

nach PISA wurde schließlich in den letzten Jahren<br />

das freiwillige <strong>Engagement</strong> zudem als eine wichtige<br />

gesellschaftliche Ressource und soziale Quelle entdeckt,<br />

nicht zuletzt auch als ein Bildungsort für Heranwachsende.<br />

Freiwilliges <strong>Engagement</strong> besitzt also<br />

spezifische Potenziale zum Kompetenzerwerb. Kurz:<br />

Es<br />

• ist ein eigenes, wichtiges Lernfeld,<br />

• ist ein Übungsfeld für politische Bildung und demokratische<br />

Kompetenz,<br />

• bietet unterschiedlichen Akteuren unterschiedliche<br />

Lerngewinne,<br />

• ist ein wichtiger Ort der sozialen Integration,<br />

• ist ein wichtiges Rekrutierungsfeld für Sozial-,<br />

Erziehungs- und Gesundheitsberufe und<br />

• bietet eher gut gebildeten Jugendlichen zusätzliche<br />

Lernchancen, wodurch aber auch wiederum<br />

schichtspezifische Unterschiede verstärkt werden.<br />

Mit Blick auf Settings des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

als Orte und Gelegenheiten des Lernens lässt sich<br />

demnach festhalten: Während junge Menschen in<br />

der Schule oder in der Arbeitswelt meist in der Rolle<br />

der Schülerin oder des Schülers bzw. des Arbeitnehmenden<br />

verhaftet bleiben, und daher dort so etwas<br />

wie institutionalisierte partikularisierte Rollenbeziehungen<br />

dominieren, müssen sie sich im freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong> in aller Regel als eigene Person einbrin-<br />

78<br />

gen, können sich jedoch zugleich aber auch selbst<br />

als Person erfahren. Im freiwilligen <strong>Engagement</strong><br />

kommt somit stärker die „ganze Person“ zum Tragen,<br />

so dass das hierauf bezogene Lernen auch eine erhöhte<br />

Chance eines verbundenen „Lernens mit Kopf,<br />

Herz und Hand“ eröffnet. Hierin liegt das bislang unterschätzte<br />

Potenzial alternativer, ergänzender Bildungsprozesse<br />

des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s <strong>–</strong> etwa<br />

in Jugendfreiwilligendiensten (vgl. Rauschenbach/<br />

Liebig 2002; Rauschenbach 2007a) <strong>–</strong> in den gegenwärtigen<br />

Bildungsbiografien junger Menschen.<br />

Dass junge Menschen nach eigener Einschätzung<br />

von diesem <strong>Engagement</strong> auch profitieren, legen die<br />

Befunde mehrerer empirischer Studien nahe, sei es<br />

der Freiwilligensurvey von 2004 (vgl. Gensicke/Picot/Geiss<br />

2006), die Evaluationsstudie zum Freiwilligen<br />

Sozialen bzw. Ökologischen Jahr sowie andere<br />

Studien zu diesem Themenbereich (Rauschenbach<br />

2007a), kleinere Studien zum Lernen im Freiwilligenengagement<br />

(vgl. Lehmann 2005) und nicht zuletzt<br />

die genannte, umfangreiche Studie zum Kompetenzerwerb<br />

im Freiwilligenengagement (vgl. Düx u. a.<br />

2008). 3<br />

Nach den Befunden der zuletzt genannten Studie und<br />

der dabei durchgeführten qualitativen Erhebungen<br />

kommen Lernprozesse in den Settings des freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>s <strong>–</strong> im Unterschied zur Schule <strong>–</strong> in<br />

der Regel den Interessen der Jugendlichen weitaus<br />

näher, sofern diese in selbstbestimmter Form und mit<br />

selbst gewählten Inhalten stattfinden. Die Mehrheit<br />

schreibt den Erwerb der Kompetenzen dabei sowohl<br />

den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten<br />

als auch den informellen Lernpotenzialen in<br />

den Formen des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s zu.<br />

Insgesamt gilt es, Jugendliche in diesen Formen des<br />

<strong>Engagement</strong>s und den darauf bezogenen Urteilen<br />

ernst zu nehmen und zu unterstützen. So können<br />

sie erfahren, dass das eigene Handeln auch Konsequenzen<br />

für sie selbst, für ihre Zukunft, aber auch für<br />

Dritte hat. Sobald sie sich nur als Anhängsel einer<br />

Erwachsenenkultur empfinden, wird die Chance ihrer<br />

aktiven, bildenden Beteiligung verschenkt. Kinder und<br />

Jugendliche müssen Übernahme von sozialer Verantwortung<br />

positiv, partizipativ erleben können und sehen,<br />

dass es etwas bringt, sich selbst einzubringen. 4<br />

5. Handlungsempfehlungen<br />

Abschließend werden vor dem Hintergrund der hier<br />

gemachten Ausführungen einige Handlungsempfehlungen<br />

für die weitere Gestaltung und den Ausbau der


Bildungspotenziale im freiwilligen, zivilgesellschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> formuliert:<br />

1 . Freiwilligenengagement junger Menschen als gesellschaftliche<br />

Ressource: Menschen, die sich in<br />

ihrer Jugend zivilgesellschaftlich engagiert haben,<br />

werden sich auch im Erwachsenenalter mit einer<br />

höheren Wahrscheinlichkeit engagieren. Dieser<br />

Zusammenhang muss aus zwei Gründen im Blick<br />

behalten werden: Zum einen ist das <strong>Engagement</strong><br />

im Jugendalter eine wichtige Voraussetzung für<br />

ein generelles zivilgesellschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

im späteren Lebensalter, aber auch für ein höheres<br />

Maß an sozialer Teilhabe und Mitgestaltung einer<br />

zivilgesellschaftlichen Demokratie. Zum anderen<br />

ist in den nächsten 25 Jahren im Lichte des demografischen<br />

Wandels ein eher steigender Bedarf<br />

an personenbezogenen sozialen Dienstleistungen<br />

(„Dienste am Menschen“) zu erwarten, wofür die<br />

Erfahrungen eines zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

im Jugendalter in vielen Fällen eine wichtige<br />

Vorerfahrung ist. Daher kommt der Frage des<br />

freiwilligen <strong>Engagement</strong>s im Jugendalter in Zukunft<br />

eine eher wachsende Bedeutung zu.<br />

2. Notwendige zivilgesellschaftliche Freiräume: Das<br />

zivilgesellschaftliche <strong>Engagement</strong> zu Beginn des<br />

21. Jahrhunderts stellt sich vielfältiger und dynamischer<br />

dar, als es von außen oft betrachtet wird.<br />

In diesem <strong>Engagement</strong> kommt auch ein Stück weit<br />

das Verhältnis zwischen Gesellschaft und Individuum<br />

zum Ausdruck, vermittelt über sogenannte<br />

„intermediäre Instanzen“, also über Vereine, Verbände,<br />

Kirchen und vieles mehr. Die Formen des<br />

<strong>Engagement</strong>s sind dabei nicht nur Ausdruck der<br />

individuellen Bereitschaft, etwas für sich, für andere<br />

oder für eine Sache aus freien Stücken, jenseits<br />

beruflicher und finanzieller Interessen zu tun. Sie<br />

sind zugleich immer auch eine Zustandsbeschreibung<br />

der sich verändernden gesellschaftlichen<br />

Kontexte. Genau in dieser Hinsicht wird es in Zukunft<br />

mehr denn je darauf ankommen, ob die gesellschaftlichen<br />

Rahmenbedingungen dem „Projekt<br />

Zivilgesellschaft“ genügend Raum lassen, um<br />

sich produktiv weiterzuentwickeln. Hierfür müssen<br />

künftig noch mehr als bisher alle Akteure, die am<br />

Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen beteiligt<br />

sind, ihren Beitrag leisten. Dies gilt für Kindertageseinrichtungen<br />

ebenso wie für die Schule, für<br />

die Kinder- und Jugendarbeit gleichermaßen wie<br />

für Vereine und Initiativen.<br />

3. Bedeutung anderer Bildungsorte: Bisherige Orte<br />

des zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s, etwa<br />

die Offene Jugendarbeit, die Jugendverbandsarbeit,<br />

das kommunale Vereinswesen oder die Angebote<br />

der politischen Bildung, müssen mit ihren<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Angeboten und Ressourcen stärker mit der Schule<br />

vernetzt werden, etwa im Rahmen der Ganztagsschulen<br />

als Bestandteil des nicht-unterrichtlichen<br />

Angebots oder im Rahmen der lokalen Bildungslandschaften.<br />

Insgesamt wird es entscheidend<br />

darauf ankommen, ob es gelingt, junge Menschen<br />

im Rahmen der schulbezogenen Teilhabe auch für<br />

Fragen des zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

zu gewinnen. Schule sollte ungleich mehr als in<br />

der Vergangenheit zu einem Ort der Einübung in<br />

sozialer Verantwortungsübernahme werden. Nur<br />

dadurch kann es gelingen, auch jene jungen Menschen<br />

zu erreichen, die bislang keine Zugänge zu<br />

den außerschulischen Angeboten gefunden haben,<br />

ohne dass sich die Frage neuer Pflichtdienste<br />

oder ähnlicher Wege der Beteiligung stellt.<br />

4. Kompetenzforschung und die Bedeutung freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>s: Nach wie vor ist eine systematische<br />

Unterschätzung der Bildungspotenziale<br />

des Freiwilligenengagements zu beobachten.<br />

Die durch Formen des zivilgesellschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s erworbenen Kompetenzen müssen<br />

in Zukunft besser sichtbar gemacht, stärker<br />

gesellschaftlich anerkannt und bildungspolitisch<br />

aufgewertet werden. Hierzu gehört auch eine<br />

verbesserte Erforschung im Rahmen der Kompetenzdiagnostik<br />

und einer außerschulischen Bildungsforschung.<br />

Als Thema der <strong>Engagement</strong>forschung<br />

muss es zu einem Standardthema werden.<br />

5. Jugendliche als Zivilakteure der Gegenwart und<br />

Zukunft: Es gilt, junge Menschen als Akteure und<br />

Ko-Produzenten in ihrem freiwilligen <strong>Engagement</strong><br />

und in ihrem Urteil ernst zu nehmen. Sie müssen<br />

in diesem <strong>Engagement</strong> erfahren können, dass<br />

das eigene Handeln auch Konsequenzen für sie<br />

selbst, für ihre Zukunft, aber auch für Dritte hat.<br />

Die Jugend braucht eigene, von der Erwachsenenwelt<br />

unabhängige, Verantwortungsräume,<br />

sonst wird die Chance ihrer aktiven Beteiligung<br />

verschenkt. Junge Menschen müssen Demokratie<br />

positiv, partizipativ erleben können und sehen,<br />

dass es Folgen hat, sich selbst einzubringen. Nur<br />

so kann ihre Demokratiefähigkeit wachsen. Aktive<br />

Einbindung stärkt die Akzeptanz von politischen<br />

Gestaltungsprozessen.<br />

6. Zivilgesellschaftliches <strong>Engagement</strong> als jugendlicher<br />

Lebensstil: Jugendliche engagieren sich aus<br />

eigenem Interesse und eigener Bereitschaft. Es ist<br />

damit eine (eigentlich dankbare) Aufgabe für Politik<br />

und Gesellschaft, den Jugendlichen Zugänge<br />

und Gelegenheiten zu freiwilligem <strong>Engagement</strong><br />

und zu aktiver Partizipation zu eröffnen <strong>–</strong> und das<br />

nicht nur auf den vermeintlichen „Spielwiesen“ der<br />

außerschulischen Jugendarbeit, sondern auch<br />

ganz gezielt inmitten der öffentlichen Bildungssy-<br />

79


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

steme, also etwa an den Schulen oder Universitäten.<br />

Hier bestehen noch erhebliche, ungenutzte<br />

Gestaltungspotenziale.<br />

7. Verbesserte Bedingungen der Erreichbarkeit junger<br />

Menschen: Um die Bildungspotenziale des<br />

zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s stärker zu<br />

nutzen, müssen die Rahmenbedingungen für das<br />

freiwillige <strong>Engagement</strong> in der außerschulischen<br />

Jugendbildung, aber auch im Rahmen der Freiwilligendienste<br />

sowie vor allem in der Zusammenarbeit<br />

mit der Schule verbessert und ausgebaut<br />

werden. Nur so können die Kompetenzdimensionen<br />

des zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

vom Grundsatz her alle Kinder und Jugendlichen<br />

erreichen.<br />

Anhang<br />

1. Ausgewählte zentrale Ergebnisse der Studie<br />

zum Kompetenzerwerb von Jugendlichen im<br />

freiwilligen <strong>Engagement</strong> (vgl. Düx u. a. 2008).<br />

Die Kernfrage der Studie lautete: Was lernen Jugendliche<br />

durch ein freiwilliges <strong>Engagement</strong> in ehrenamtlichen<br />

Settings? Um Antworten auf diese Frage zu erhalten,<br />

wurden zwei Erhebungen durchgeführt. Zum<br />

einen wurden im Rahmen einer qualitativen Erhebung<br />

74 engagierte Jugendliche im Alter zwischen 15 und<br />

22 Jahren sowie 13 ehemals engagierte Erwachsene<br />

zu ihren (Lern-)Erfahrungen in drei unterschiedlichen<br />

Settings des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s leitfadengestützt<br />

interviewt <strong>–</strong> in Jugendverbänden, in Initiativen<br />

und in der politischen Interessenvertretung bzw.<br />

Schülervertretung.<br />

Zum anderen wurden in einer standardisierten, telefonischen<br />

Erhebung über 2.000 Personen im Alter zwischen<br />

25 und 40 Jahren befragt, von denen 1.500 im<br />

Jugendalter mindestens ein Jahr ehrenamtlich aktiv<br />

waren, während dies bei den anderen 550 Befragten<br />

nicht der Fall war. Befragt wurden sie vor allem zu<br />

Umfang, Ausmaß und Qualität ihrer selbst eingeschätzten<br />

Kompetenzen sowie zum vermutlichen Einfluss<br />

der unterschiedlichen Bildungsorte auf diesen<br />

Kompetenzerwerb. Auf diese Weise sollten sich zumindest<br />

Hinweise identifizieren lassen, ob und wenn<br />

ja, in welchen Bereichen diese Settings engagierten<br />

jungen Menschen exklusive oder zumindest privilegierte<br />

Bildungsmöglichkeiten eröffnen.<br />

Beiden Erhebungen lässt sich zunächst einmal<br />

entnehmen, dass die untersuchten Segmente des<br />

freiwilliges <strong>Engagement</strong>s für junge Menschen aus<br />

deren Sicht wichtige gesellschaftliche Lernfelder<br />

80<br />

darstellen, in denen Kompetenzen vor allem in den<br />

Dimensionen personaler, sozialer und praktischer<br />

Bildung erworben werden. Die Befunde unterstützen<br />

dabei die These, dass hier anders und Anderes gelernt<br />

wird als in der Schule. Dies lässt sich in mehrfacher<br />

Hinsicht zeigen und anhand einiger Themenblöcke<br />

illustrieren (vgl. ausführlich Düx u. a. 2008,<br />

S. 261ff.).<br />

(1) <strong>Engagement</strong>spezifische Kompetenzen: Während<br />

Schule insbesondere kulturelle <strong>–</strong> und darin überwiegend<br />

kognitive <strong>–</strong> Kompetenzen vermittelt, weisen<br />

die Befunde der qualitativen Untersuchung vor allem<br />

auf die Entwicklung sozialer und personaler Kompetenzen<br />

durch ein entsprechendes ehrenamtliches<br />

<strong>Engagement</strong> hin. Die Ergebnisse der standardisierten<br />

Untersuchung <strong>ermöglichen</strong> darüber hinaus weitere<br />

Präzisierungen: Durch ein ehrenamtliches <strong>Engagement</strong><br />

werden ganz spezifische Bereiche der sozialen<br />

Bildung und der Persönlichkeitsbildung entwickelt<br />

und gefördert, nicht zuletzt so etwas wie Management-<br />

oder Leitungskompetenzen. Und die dort erworbenen<br />

Kompetenzen werden als „extrafunktionale<br />

Fertigkeiten“ überall genutzt, sind gewissermaßen<br />

multifunktional einsetzbar: in der Schule, in der Familie<br />

und im Freundeskreis ebenso, wie in der Arbeitswelt<br />

und im Beruf.<br />

(2) Zunahme des sozialen Kapitals durch das <strong>Engagement</strong>:<br />

Neben der Erweiterung des Wissens und<br />

Könnens im Bereich der sozialen und personalen<br />

Kompetenzen spielt der Erwerb sozialen Kapitals,<br />

d. h. der Aufbau (neuer) persönlicher Kontakte und<br />

Beziehungen, in allen Settings des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

eine große Rolle. Wie zahlreiche Aussagen<br />

in den Interviews nahe legen, lassen sich<br />

im Rahmen des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s Erfahrungen<br />

sozialer Zugehörigkeit machen, die weit<br />

über den sozialen Nahraum der Familie hinausgehen<br />

und den Handlungsspielraum sowie das Beziehungsnetz<br />

Heranwachsender zum Teil erheblich<br />

erweitern.<br />

(3) Engagierte und Nicht-Engagierte im Vergleich: Es<br />

zeigt sich, dass die in ihrer Jugend Engagierten durchgängig<br />

über ein breiteres Spektrum an Erfahrungen<br />

und damit offenbar auch über mehr Kompetenzen<br />

verfügen als Nicht-Engagierte. Besonders groß sind<br />

die Differenzen zwischen diesen beiden Gruppen mit<br />

Blick auf bestimmte Aspekte sozialer und kultureller<br />

Kompetenzen, vor allem bei organisatorischen Aufgaben,<br />

Gremienarbeit, rhetorischen Fähigkeiten, pädagogischen<br />

Aktivitäten (Gruppenleitung und Training)<br />

sowie Teamerfahrungen, der Publikation eigener<br />

Texte sowie den Leitungskompetenzen.


Besonders schwach sind Unterschiede hingegen zwischen<br />

den früher Engagierten und Nicht-Engagierten<br />

vor allem in Bereichen, die eher alltagspraktische,<br />

soziale oder instrumentelle Kompetenzen berühren,<br />

die überall vorkommen können, sei es die Betreuung<br />

kleiner Kinder, kranker oder alter Menschen, sei es<br />

die Beratung in Beziehungskonflikten oder sei es die<br />

Reparatur eines technischen Gerätes. Aber auch bei<br />

jenen kulturellen Kompetenzen, die man insbesondere<br />

in der Schule oder in der Berufsausbildung erwirbt,<br />

z. B. musikalische Fertigkeiten, des Erlernen einer<br />

Fremdsprache oder die Erstellung einer Finanzabrechnung,<br />

sind die Differenzen zwischen den einst<br />

Engagierten und Nicht-Engagierten relativ gering.<br />

(4) Freiwilliges <strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> ein wichtiger Lernort für<br />

demokratische Bildung: Die von Wissenschaft, Politik<br />

und Verbänden vertretene Annahme, dass das <strong>Engagement</strong><br />

Jugendlicher ein wichtiger gesellschaftlicher<br />

Lernort für den Erwerb und die Förderung sozialer Eigenschaften<br />

und Fähigkeiten ist, wird im quantitativen<br />

wie qualitativen Teil der Studie bestätigt. Allerdings lassen<br />

sich in der standardisierten Erhebung keine Hinweise<br />

dafür finden, dass das freiwillige <strong>Engagement</strong> in<br />

der Jugendarbeit hierfür ein exklusiver Lernort wäre.<br />

Beide Befragungen liefern jedoch hinreichend Indizien,<br />

die die allgemeine Annahme einer verbesserten<br />

Entwicklung und Einübung demokratischer<br />

Fähigkeiten, Kenntnisse und Einstellungen durch<br />

Verantwortungsübernahme im Rahmen eines ehrenamtlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s unterstreichen. Für die für<br />

Mitbestimmung und Mitgestaltung einer demokratischen<br />

Zivilgesellschaft wichtigen Kompetenzen wie<br />

Interessenvertretung und „Gremienkompetenz“, also<br />

die Kenntnis und Anwendung formal-demokratischer<br />

Verfahrensweisen und Spielregeln, scheint das freiwillige<br />

<strong>Engagement</strong> für Jugendliche allerdings vorerst<br />

ein nahezu exklusiver Lernort zu sein.<br />

(5) Reflexionsvermögen und Handlungswirksamkeit:<br />

In der <strong>Engagement</strong>-Studie bestätigen sich darüber<br />

hinaus Befunde amerikanischer Untersuchungen<br />

zum sozialen <strong>Engagement</strong> Heranwachsender, wonach<br />

Jugendliche dabei mit Inhalten, Normen und<br />

Werten konfrontiert werden, die ihre Reflexion über<br />

gesellschaftspolitische Bedingungen und ihre eigene<br />

Rolle innerhalb der Gesellschaft hin zu mehr sozialem<br />

und politischem Bewusstsein anregen können.<br />

Zugleich erhalten sie hier die Möglichkeit, durch ihr<br />

eigenes freiwilliges, aktives <strong>Engagement</strong> sich selbst<br />

als Handelnde zu erleben, die durch ihre Mitwirkung<br />

in gemeinnützigen Organisationen kleine oder größere<br />

Veränderungen herbeiführen können.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

(6) Erfahrung gesellschaftlicher Nützlichkeit: Durch<br />

die lange Schulphase werden Heranwachsende in<br />

Deutschland weitgehend von sozialer und gesellschaftlicher<br />

Verantwortungsübernahme ferngehalten.<br />

Die qualitativen Interviews liefern Hinweise dafür,<br />

dass das freiwillige <strong>Engagement</strong> jungen Menschen<br />

demgegenüber bereits im Jugendalter die Möglichkeit<br />

eröffnet, in einem geschützten Rahmen nach und<br />

nach soziale und gesellschaftliche Aufgaben sowie<br />

Verantwortung für andere zu übernehmen. Auf diese<br />

Weise können sie die für Heranwachsende wichtige<br />

Erfahrung konkreter Nützlichkeit sowie gesellschaftlicher<br />

Relevanz ihres eigenen Tuns machen.<br />

(7) <strong>Engagement</strong>spezifische Lernchancen und -formen:<br />

Die organisatorischen Formen des <strong>Engagement</strong>s<br />

unterscheiden sich von vielen anderen<br />

Lernorten vor allem dadurch, dass hier bereits im Kindes-<br />

und Jugendalter durch die aktive, partielle Übernahme<br />

von Verantwortung in der konkreten Praxis in<br />

Ernstsituationen gelernt wird. Gemäß den Befunden<br />

der qualitativen Erhebung scheinen die Lernprozesse<br />

in Settings des freiwilligen <strong>Engagement</strong>s <strong>–</strong> im<br />

Unterschied zur Schule <strong>–</strong> in der Regel den eigenen<br />

Interessen der Jugendlichen weitaus mehr zu entsprechen,<br />

zumal sie in einem Umfeld in häufig selbstbestimmter<br />

Form und mit selbst gewählten Inhalten<br />

stattfinden.<br />

Die Kombination von hoher Motivation durch frei<br />

gewählte Verantwortungsbereiche und einem gemeinsamen<br />

Handeln in der Gleichaltrigengruppe,<br />

verbunden mit den Herausforderungen durch die<br />

übernommene Verantwortung sowie der Unterstützung<br />

durch Erwachsene, bietet spezifische lern- und<br />

entwicklungsförderliche Bedingungen, die die Settings<br />

des ehrenamtlichen <strong>Engagement</strong>s zu besonderen<br />

Lernfeldern und „Ermöglichungsräumen“ für Heranwachsende<br />

machen. In der Freiwilligkeit, Vielfalt und<br />

Selbstbestimmtheit des Lernens liegen die Chancen<br />

und Stärken dieses außerschulischen Lernfeldes.<br />

(8) „Learning by doing“: Obwohl Fortbildungsveranstaltungen<br />

wichtig und auch in der Jugendarbeit für<br />

eine Reihe von Aufgaben nahezu unerlässlich sind<br />

<strong>–</strong> insbesondere in den Hilfs- und Rettungsorganisationen<br />

sowie für die eigene Arbeit mit Kindern und<br />

Jugendlichen <strong>–</strong>, zeigt sich doch zugleich, dass für<br />

die Aneignung vieler Kompetenzen das „learning<br />

by doing“, also das lernende Handeln unter Realbedingungen,<br />

das Sammeln von eigenen Erfahrungen<br />

ohne die handlungsentlastenden Als-Ob-Situationen<br />

typischer schulischer Lernsettings, in der Praxis des<br />

<strong>Engagement</strong>s eine erhebliche Bedeutung hat.<br />

81


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Insgesamt zeigen die Befunde der Studie, dass nur<br />

wenige der Engagierten, die angeben, ihre Kompetenzen<br />

überwiegend im ehrenamtlichen <strong>Engagement</strong><br />

erworben zu haben, hierfür ausschließlich Kurse und<br />

Schulungen der Organisationen nennen. Die Mehrheit<br />

schreibt den Erwerb der Kompetenzen sowohl<br />

den offenen Bildungsprozessen in non-formalen Kontexten<br />

als auch den informellen Lernpotenzialen in<br />

den Formen des praktischen <strong>Engagement</strong>s zu. Dieser<br />

Befund lässt sich anhand der qualitativen Befragung<br />

bestätigen, bei der an vielen Beispielen deutlich wird,<br />

dass im <strong>Engagement</strong> informelle und non-formale<br />

Lernmöglichkeiten und -angebote ineinander greifen<br />

und sich gegenseitig verstärken.<br />

Die Studie scheint somit im Kern den Befund zu belegen,<br />

dass in den aktivierenden Formen jugendlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s zumindest für die ehrenamtlich aktiven<br />

Personen erhebliche Bildungspotenziale enthalten<br />

sind und nach Einschätzung der Betroffenen diese bei<br />

ihnen auch wiederholt zum Tragen kamen. Dennoch<br />

muss in den nächsten Jahren die diesbezügliche Forschung<br />

weiter intensiviert werden, um das potenzielle<br />

Leistungsvermögen und die tatsächlich abgerufenen<br />

Leistungen der Kinder- und Jugendarbeit für die Kinder<br />

und Jugendlichen ebenso wie für die ehrenamtlich<br />

aktiven Personen differenzierter zu erfassen.<br />

2. Weitere Befunde aus empirischen Studien<br />

zur Verantwortungsübernahme und prosozialem<br />

Verhalten<br />

Die bereits erwähnten Studien wie die 13. und 14.<br />

Shell-Jugendstudie (vgl. Jugendwerk der Deutschen<br />

Shell 2000, 2002) weisen auf einen positiven Zusammenhang<br />

zwischen zivilgesellschaftlichem <strong>Engagement</strong><br />

und politischem Interesse, politischer Aktivität<br />

sowie Vertrauen in politische Institutionen hin. Die<br />

Studien von Reinders (2005, 2006) zeigen ganz ähnlich,<br />

dass zivilgesellschaftlich Engagierte sich stärker<br />

an politischen Wahlen beteiligen als Nichtengagierte.<br />

Die kausalen Zusammenhänge von Prosozialität<br />

und zivilgesellschaftlichem <strong>Engagement</strong> benötigen<br />

allerdings noch genauere Untersuchungen, wie eine<br />

aktueller Befund von Prein u.a . zeigt (vgl. Prein/Sass/<br />

Züchner 2009, S. 538f.).<br />

In Studien aus den USA, die entgegen den deutschen<br />

Studien zum Teil Längsschnittcharakter besitzen,<br />

zeigt sich bei sozial engagierten im Highschool-Alter,<br />

dass die Bereitschaft zu politischer Partizipation und<br />

die prosoziale Orientierung bei gemeinnützig Tätigen<br />

im Zeitverlauf zunimmt (vgl. Metz/McLellan/Youniss<br />

2003). Die Längsschnittstudien zeigen aber auch, dass<br />

die kausale Erklärung des politischen und sozialen In-<br />

82<br />

teresses nicht oder nur schwach über das soziale <strong>Engagement</strong><br />

im Community Service erfolgen kann, da<br />

das entsprechende Interesse bei diesen Jugendlichen<br />

bereits von Anfang an höher ist (vgl. Kerestes/Youniss/<br />

Metz 2004). Die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf<br />

Deutschland bleibt jedoch fraglich und bedarf vergleichender<br />

Studien (vgl. Reinders 2009, S. 21).<br />

Zu erwähnen ist an dieser Stelle auch das aus dem<br />

amerikanischen stammende „Service learning“ (vgl.<br />

Sliwka/Frank 2004; Sliwka u. a. 2004). Service kann<br />

mit „Dienst am Gemeinwohl“ übersetzt werden,<br />

welches neben verbesserten Lernleistungen, so die<br />

Hoffnung, verantwortliche Persönlichkeiten und einen<br />

vertieften Lernerfolg <strong>ermöglichen</strong>. Es stellt ein<br />

Konzept des Lehrens und Lernens dar, welches Wissens-<br />

und Kompetenzerwerb integriert. Kern des<br />

Konzeptes ist der Gedanke, dass die Lernenden <strong>–</strong> in<br />

der Regel Schüler/innen oder Studierende <strong>–</strong> ihr Wissen<br />

in gemeinnützige Tätigkeiten einbringen, erweitern<br />

und sich zusätzliche Kompetenzen aneignen.<br />

Erste Hinweise zur Wirkung des Konzepts finden sich<br />

lediglich im Hinblick auf ein gesteigertes subjektives<br />

Wissen (vgl. Reinders 2009, S. 31). Weitergehende<br />

Forschungen stehen für Deutschland noch aus.<br />

Interessant und weiterführend ist im Kontext der hier<br />

anstehenden Forschungsfragen schließlich auch ein<br />

allerdings noch nicht empirisch überprüftes Modell<br />

zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger<br />

Tätigkeit im Jugendalter von Reinders<br />

(vgl. Reinders 2009, S. 32). (s. Abb. 1)<br />

Kurze Erläuterung des Modells:<br />

• Zu beachten sind die Voraussetzungen für ehrenamtliches<br />

<strong>Engagement</strong>: ausgeprägte soziale Netzwerke,<br />

ein gehobener Bildungsstand, individuelle<br />

Motive (überschaubare Tätigkeit, kurz- bis mittelfristige<br />

Bindung, Spaß bei der Tätigkeit und Anknüpfungspunkte<br />

für eigene Interessen).<br />

• Tätigkeitsformen: Die Befunde von Youniss/Yates<br />

(1997) betonen die Bedeutung der direkten Interaktion<br />

für den Erwerb von sozialen und politischen<br />

Kompetenzen, Düx u. a. (2008) hingegen verweisen<br />

auf den persönlichen Einsatz in Organisationen<br />

und die Übernahme von Leitungstätigkeiten, die die<br />

Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass sich die personalen<br />

Kompetenzen erweitern (Düx u.a. 2008) im<br />

Sinne der Intensität als förderliche Variable.<br />

• Erfahrungen: Selbstwirksamkeit als möglicher Initiator<br />

für den Kompetenzerwerb.<br />

• Kompetenzen: Kernstück der Argumentation ist die<br />

Entfaltung sozialer Kompetenzen, die eine politisch<br />

mündige Akteursfähigkeit herstellen.


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Abb. 1: Theoretisches Modell zu Voraussetzungen, Gestalt und Auswirkungen gemeinnütziger Tätigkeit im Jugendalter<br />

Dieses Modell könnte dazu beitragen, die Forschungsperspektive<br />

zum Kompetenzerwerb innerhalb<br />

des zivilgesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s zu<br />

systematisieren.<br />

Anmerkungen<br />

1 Die nachfolgenden Teile basieren auf Passagen in<br />

anderen Texten und Veröffentlichungen (vgl. etwa<br />

Rauschenbach 2009c).<br />

2 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) ausführlicher<br />

zu finden.<br />

3 Die zentralen Ergebnisse sind im Anhang (1) zusammengefasst.<br />

4 Weitere empirische Studien, die eine hohe Bedeutung<br />

des <strong>Engagement</strong>s für Verantwortungsübernahme<br />

und prosoziales Verhalten zum Gegenstand<br />

haben, sind kurz im Anhang (2) zusammengefasst.<br />

Literatur<br />

Soziale<br />

Netzwerke<br />

Bildungsstand<br />

Motiv<br />

Region<br />

Voraussetzungen Tätigkeitsformen Erfahrungen Kompetenzerwerb<br />

Quelle: Reinders 2009, S. 32<br />

Tätigkeitsinhalte<br />

Gemeinnützige<br />

Tätigkeit<br />

Tätigkeitsintensität<br />

• Alscher, Mareike/Dathe, Dietmar/Priller, Eckhard/<br />

Speth, Rudolf (2009): Bericht zur Lage und zu<br />

den Perspektiven des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

in Deutschland. Herausgegeben vom<br />

Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung<br />

(WZB). Berlin.<br />

• Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach,<br />

Thomas (2002): Das Ehrenamt in empirischen<br />

Handlungswirksamkeit<br />

Veränderung<br />

Selbstbild<br />

Personale<br />

Kompetenzen<br />

Soziale<br />

Kompetenzen<br />

Politische<br />

Partizipation<br />

Studien. Ein sekundäranalytischer Vergleich. In:<br />

Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (Hg.), Schriftenreihe Band 163. 3. Aufl.<br />

Stuttgart.<br />

• Buhl, Monika/Kuhn, Hans-Peter (2005): Erweiterte<br />

Handlungsräume im Jugendalter: Identitätsentwicklung<br />

im Bereich gesellschaftlichen <strong>Engagement</strong>s.<br />

In: Schuster, Beate H./Kuhn, Hans-Peter/<br />

Uhlendorf, Harald (Hg.), Entwicklung in sozialen<br />

Beziehungen <strong>–</strong> Heranwachsende in ihrer Auseinandersetzung<br />

mit Familie, Freunden und Gesellschaft.<br />

Stuttgart. S. 217-237.<br />

• Bundesjugendkuratorium (BJK) (Hg.) (2001): Zukunftsfähigkeit<br />

sichern! Für ein neues Verhältnis<br />

von Bildung und Jugendhilfe. Eine Streitschrift des<br />

Bundesjugendkuratoriums. Berlin.<br />

• Bundesjugendkuratorium u. a. (Hg.) (2002): Bildung<br />

ist mehr als Schule. Leipziger Thesen zur aktuellen<br />

bildungspolitischen Debatte. (www.bundesjugendkuratorium.de/pdf/1999-2002/bjk_2002_bildung_<br />

ist_mehr_als_schule2002.pdf, Stand: 25.11.08).<br />

• Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen<br />

und Jugend (BMFSFJ) (Hg.) (2005): Zwölfter Kinder-<br />

und Jugendbericht. Bericht über die Lebenssituation<br />

junger Menschen und die Leistungen der<br />

Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Bundestagsdrucksache<br />

15/6014. Berlin.<br />

• Corsa, Mike (1998): Jugendliche, das Ehrenamt und<br />

die gesellschaftspolitische Dimension. In: Recht<br />

der Jugend und des Bildungswesens, 46.Jg., Heft<br />

3. S. 322-334.<br />

83


Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Corsa, Mike (2003): Jugendverbände und das Thema<br />

„Jugendarbeit und Schule“ <strong>–</strong> aufgezwungen,<br />

nebensächlich oder existenziell? In: deutsche jugend,<br />

51. Jg., Heft 9. S. 369-379.<br />

• Deutsches PISA-Konsortium (Hg.) (2001): PISA<br />

2000. Basiskompetenzen von Schülerinnen und<br />

Schülern im internationalen Vergleich. Opladen.<br />

• Düx, Wiebken (1999): Das Ehrenamt im Jugendverband.<br />

Ein Forschungsbericht. Frankfurt a. M.<br />

• Düx, Wiebken (2000): Das Ehrenamt in Jugendverbänden.<br />

In: Beher, Karin/Liebig, Reinhard/Rauschenbach,<br />

Thomas (Hg.), Strukturwandel des Ehrenamts.<br />

Weinheim/München. S. 99-142.<br />

• Düx, Wiebken/Prein, Gerald/Sass, Erich/Tully,<br />

Claus J. (2008): Kompetenzerwerb im freiwilligen<br />

<strong>Engagement</strong>. Wiesbaden.<br />

• Düx, Wiebken/Sass, Erich (2006): Lernen in informellen<br />

Settings. Ein Forschungsprojekt der Universität<br />

Dortmund und des DJI. In: Tully, Claus J.<br />

(Hg.): Lernen in flexibilisierten Welten. Wie sich<br />

das Lernen der Jugend verändert. Weinheim/München.<br />

S. 201-218.<br />

• Enquete-Kommission (2002): „Zukunft des Bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s“. Deutscher Bundestag.<br />

Bericht. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>:<br />

auf dem Weg in eine zukunftsfähige Bürgergesellschaft,<br />

Schriftenreihe. Band 4. Opladen.<br />

• Fauser, Katrin/Fischer, Arthur/Münchmeier,<br />

Richard (2006): Jugendliche als Akteure im Verband.<br />

Ergebnisse einer empirischen Untersuchung<br />

der Evangelischen Jugend. Band 1. Opladen/Farmington<br />

Hills.<br />

• Gaiser, Wolfgang/de Rijke, Johann (2006): Gesellschaftliche<br />

und politische Beteiligung. In: Gille,<br />

Martina/Sardei-Biermann, Sabine/Gaiser, Wolfgang/de<br />

Rijke, Johann (Hg.), Jugendliche und junge<br />

Erwachsene in Deutschland. DJI-Jugendsurvey.<br />

Band 3. Wiesbaden. S. 213-275.<br />

• Gensicke, Thomas/Picot, Sibylle/Geiss, Sabine<br />

(2006): Freiwilliges <strong>Engagement</strong> in Deutschland<br />

1999-2004. Ergebnisse der repräsentativen Trenderhebung<br />

zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und<br />

bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong>. Wiesbaden.<br />

• Gille, Martina/Sardei-Biermann, Sabine/Gaiser,<br />

Wolfgang/de Rijke, Johann (2006): Jugendliche<br />

und junge Erwachsene in Deutschland. Lebensverhältnisse,<br />

Werte und gesellschaftliche Beteiligung<br />

12- bis 29-Jähriger. DJI-Jugendsurvey. Band<br />

3. Wiesbaden.<br />

• Hofer, Manfred/Buhl, Monika (2000): Soziales<br />

<strong>Engagement</strong> Jugendlicher: Überlegungen zu einer<br />

technologischen Theorie der Programmgestaltung.<br />

In: Kuhn, Hans-Peter/Uhlendorf, Harald/<br />

Krappmann, Lothar (Hg.), Sozialisation zur Mitbürgerlichkeit.<br />

Opladen. S. 95-111.<br />

84<br />

• Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.) (2000): Jugend<br />

2000. 13. Shell Jugendstudie. Opladen.<br />

• Jugendwerk der Deutschen Shell (Hg.) (2002): Jugend<br />

2002. Zwischen pragmatischem Idealismus<br />

und robustem Materialismus. Frankfurt a. M.<br />

• Kerestes, Michael/Youniss, James/Metz, Edward<br />

(2004): Longitudinal patterns of religious perspective<br />

and civic integration. In: Applied Developmental<br />

Science. Nr. 8. S. 39-46.<br />

• Konsortium Bildungsberichterstattung (Hg.) (2006):<br />

Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter<br />

Bericht mit einer Analyse zu Bildung und Migration.<br />

Bielefeld.<br />

• Lehmann, Tobias (2005): Jugendverbände, Kompetenzentwicklung<br />

und biografische Nachhaltigkeit.<br />

Eine neue Perspektive auf Jugendverbandsarbeit.<br />

In: Jugendpolitik, 4. Jg., Heft 2. S. 16-19.<br />

• Metz, Edward/McLellan, Jeffrey A./Youniss, James<br />

(2003): Types of voluntary service and adolescents<br />

civic development. In: Journal of Adolescent Research.<br />

Nr. 18. S. 188-203.<br />

• Münchmeier, Richard, Otto, Hans-Uwe/Rabe-Kleberg,<br />

Ursula (Hg.) (2002): Bildung und Lebenskompetenz.<br />

Opladen.<br />

• Otto, Hans-Uwe/Rauschenbach, Thomas (Hg.)<br />

(2004): Die andere Seite der Bildung. Zum Verhältnis<br />

von formellen und informellen Bildungsprozessen.<br />

Wiesbaden.<br />

• Picot, Sibylle (Hg.) (2001): Freiwilliges <strong>Engagement</strong> in<br />

Deutschland: Frauen und Männer, Jugend, Senioren<br />

und Sport. Bd. 3, 2. korr. Aufl. Stuttgart/Berlin/ Köln.<br />

• Prein, Gerald/Sass, Erich/Züchner, Ivo (2009): Lernen<br />

im freiwilligen <strong>Engagement</strong> und gesellschaftliche<br />

Partizipation. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.<br />

Nr. 3. S. 529-547.<br />

• Rauschenbach, Thomas (1999): „Ehrenamt“ <strong>–</strong> eine<br />

Bekannte mit (zu) vielen Unbekannten. Randnotizen<br />

zu den Defiziten der Ehrenamtsforschung. In:<br />

Kistler, Ernst/Noll, Heinz-Herbert/Priller, Eckhard<br />

(Hg.): Perspektiven gesellschaftlichen Zusammenhalts.<br />

Empirische Befunde, Praxiserfahrungen,<br />

Messkonzepte. Berlin. S. 67-76.<br />

• Rauschenbach, Thomas (2007): Im Schatten der<br />

formalen Bildung <strong>–</strong> Alltagsbildung als Schlüsselfrage<br />

der Zukunft. In: Diskurs Kindheits- und Jugendforschung.<br />

2. Jahrgang. S. 439-453.<br />

• Rauschenbach, Thomas (2007a): Jugendfreiwilligendienste.<br />

Lernorte zwischen Schule und Beruf.<br />

In: Deutsche Jugend. Zeitschrift für die Jugendarbeit,<br />

55 (2007), Heft 9. S. 385-394.<br />

• Rauschenbach, Thomas (2009a): Engagiert in der<br />

Zivilgesellschaft, in: Evangelische Kirche Deutschland<br />

(Hrsg.): Ehrenamtliches <strong>Engagement</strong> in Kirche<br />

und Gesellschaft. Kirchenamt der EKD. Hannover,<br />

S. 6-23.


• Rauschenbach, Thomas (2009b): Informelles Lernen.<br />

Möglichkeiten und Grenzen der Indikatorisierung.<br />

In: Tippelt, Rudolph (Hg.), Steuerung durch<br />

Indikatoren. Methodologische und theoretische<br />

Reflektionen zur deutschen und internationalen<br />

Bildungsberichterstattung. Leverkusen. S. 35-53.<br />

• Rauschenbach, Thomas (2009c): Zukunftschance<br />

Bildung. Familie, Jugendhilfe und Schule in neuer<br />

Allianz. Weinheim/München.<br />

• Rauschenbach, Thomas/Düx, Wiebken/Sass,<br />

Erich (2006): Informelles Lernen im Jugendalter.<br />

Vernachlässigte Dimensionen der Bildungsdebatte,<br />

Weinheim und München.<br />

• Rauschenbach, Thomas/Liebig, Reinhard (2002):<br />

Freiwilligendienste <strong>–</strong> Wege in die Zukunft. Gutachten<br />

zur Lage und Zukunft der Freiwilligendienste. Herausgegeben<br />

von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Bonn.<br />

• Rauschenbach, Thomas/Müller, Siegfried/Otto,<br />

Ulrich (1992): Vom öffentlichen und privaten Nutzen<br />

des sozialen Ehrenamtes. In: Müller, Siegfried/<br />

Rauschenbach, Thomas (Hg.), Das soziale Ehrenamt.<br />

Nützliche Arbeit zum Nulltarif. 2. Aufl. Weinheim/München.<br />

S. 223-242.<br />

• Reinders, Heinz (2005): Jugend. Werte. Zukunft.<br />

Wertvorstellungen, Zukunftsperspektiven und soziales<br />

<strong>Engagement</strong> im Jugendalter. Herausgegeben<br />

von der Landesstiftung Baden-Württemberg.<br />

Schriftenreihe der Landesstiftung Baden-Württemberg.<br />

Stuttgart.<br />

• Reinders, Heinz (2006): Freiwilligenarbeit und politische<br />

<strong>Engagement</strong>bereitschaft in der Adoleszenz.<br />

Skizze und empirische Prüfung einer Theorie<br />

gemeinnütziger Tätigkeit. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft.<br />

Nr. 4, S. 599-616.<br />

• Reinders, Heinz (2009): Bildung und freiwilliges<br />

<strong>Engagement</strong> im Jugendalter. Expertise für die Bertelsmann<br />

Stiftung. Schriftenreihe Empirische Bildungsforschung.<br />

Band 10. Würzburg.<br />

• Richter, Helmut/Jung, Michael/Riekmann, Wibke<br />

(2006): Jugendverbandsarbeit in der Großstadt.<br />

Perspektiven für Mitgliedschaft und Ehrenamt am<br />

Beispiel der Jugendfeuerwehr Hamburg. Hamburg.<br />

• Rosenbladt, Bernhard v. (Hg.) (2001): Freiwilliges<br />

<strong>Engagement</strong> in Deutschland: Bd.1 der Repräsentativerhebung<br />

1999 zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit<br />

und bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong>. In:<br />

Schriftenreihe des Bundesministeriums für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend, Band 194.1. 2.<br />

Aufl. Stuttgart/Berlin/Köln.<br />

• Santen, Erik v. (2005): Ehrenamt und Mitgliedschaften<br />

bei Kindern und Jugendlichen. Eine<br />

Übersicht repräsentativer empirischer Studien. In:<br />

Rauschenbach, Thomas/Schilling, Matthias (Hg.),<br />

Kinder- und Jugendhilfereport II. Weinheim/München.<br />

S. 175-202.<br />

Dialogforum Bildung und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Schwab, Jürgen (2006): Bildungseffekte ehrenamtlicher<br />

Tätigkeit in der Jugendarbeit. In: deutsche<br />

jugend, 54. Jg., Heft 7/8. S. 320-328.<br />

• Shell Deutschland Holding (Hg.) (2006): Jugend<br />

2006. Eine pragmatische Generation unter Druck.<br />

Frankfurt a. M.<br />

• Sliwka, Anne/Frank, Susanne. (2004): Service<br />

Learning <strong>–</strong> Verantwortung Lernen in Schule und<br />

Gemeinde. Weinheim.<br />

• Sliwka, Anne/Petry, Christian/Kalb, Peter E. (Hg.)<br />

(2004): Durch Verantwortung lernen. Service learning:<br />

Etwas für andere tun. Weinheim/Basel.<br />

• Thole, Werner/Hoppe, Jörg (Hg.) (2003): Freiwilliges<br />

<strong>Engagement</strong> <strong>–</strong> ein Bildungsfaktor. Berichte<br />

und Reflexionen zur ehrenamtlichen Tätigkeit von<br />

Jugendlichen in Schule und Jugendarbeit. Frankfurt<br />

a. M.<br />

• Youniss, James/Yates, Miranda (1997): Community<br />

service and social responsibility in youth. Chicago.<br />

• Züchner, Ivo (2006): Mitwirkung und Bildungseffekte<br />

in Jugendverbänden <strong>–</strong> ein empirischer Blick.<br />

In: deutsche jugend. 54. Jg., Heft 5. S. 201-209.<br />

85


• Dr. Selma Aposkitis, Deutscher Bundestag, Büro<br />

Heinz Golombeck, MdB<br />

• Dr. Karl Birkhölzer, Technische Universität Berlin<br />

• Dr. Claire Bortfeldt, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Margot Bähnisch, Staatskanzlei des Landes<br />

Brandenburg<br />

• Dr. Eugen Baldas, Deutscher Caritasverband<br />

• Tobias Baur, Humanistische Union Deutschland<br />

• Henny Engels, Deutscher Frauenrat<br />

• Herbert Fuchs, Ministerium für Arbeit, Soziales,<br />

Frauen und Familie des Landes Brandenburg<br />

• Dr. Christian Groni, Büro des Beauftragten der<br />

Bundesregierung für Kultur und Medien<br />

• Christoph Hahn, Deutscher Gewerkschaftsbund<br />

• PD Dr. Ansgar Klein, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Dr. Eckhard Priller, Wissenschaftszentrum Berlin<br />

für Sozialforschung<br />

• Jonathan Przybylski, Phineo gGmbH<br />

• Dieter Rehwinkel, Centrum für Corporate Citizenship<br />

Deutschland<br />

• Gerold Reichenbach, MdB<br />

Dialogforum<br />

„Arbeitsmarktpolitik und<br />

bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong>“<br />

Teilnehmerinnen und Teilnehmer des<br />

Dialogforums am 22. April 2010 und des<br />

vorbereitenden Workshops am 25. März 2010<br />

• Susanne Rindt, Institut für Sozialarbeit und<br />

Sozialpädagogik<br />

• Sabine Rüger, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend<br />

• Dr. Marlene Schubert, Zentralverband des<br />

Deutschen Handwerks<br />

• Inga Schulenburg, Büro des Beauftragten der<br />

Bundesregierung für Kultur und Medien<br />

• Viola Seeger, Robert Bosch Stiftung<br />

• Manfred Spangenberg, Bundesnetzwerk<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

• Stefan Sträßer, Bundesvereinigung der Deutschen<br />

Arbeitgeberverbände<br />

• Matthias Thorns, Bundesvereinigung der<br />

Deutschen Arbeitgeberverbände<br />

• Dr. Johannes Warmbrunn, Ministerium für Arbeit<br />

und Sozialordnung, Familie und Senioren des<br />

Landes Baden-Württemberg<br />

• Hans-Peter Wilka, Arbeitsgemeinschaft der<br />

Beiräte für Migration und Integration in Rheinland-<br />

Pfalz<br />

• Alexander Zachrau, Bundesministerium für Familie,<br />

Senioren, Frauen und Jugend


Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Erwerbsarbeit und <strong>Engagement</strong> aufeinander abstimmen;<br />

Chancen, Hindernisse, Gefahren<br />

Bericht über das Dialogforum „Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“ am<br />

22. April 2010 in der Landesvertretung Niedersachsen, Berlin<br />

Im Dialogforum <strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit wurde,<br />

ähnlich wie im Dialogforum „Freiwilligendienste“,<br />

sehr kontrovers diskutiert. Dies ist sicherlich nicht zuletzt<br />

darauf zurückzuführen, dass hier verschiedene<br />

Grundsatzfragen aufgeworfen wurden, die bereits<br />

seit längerem die Debatte beherrschen. Inwieweit<br />

besteht die Gefahr, dass der vermehrte Einsatz von<br />

Engagierten reguläre Arbeitsplätze verdrängt? Sind<br />

Pauschalen der richtige Anreiz fürs <strong>Engagement</strong>? Inwieweit<br />

sollten die Instrumente der Arbeitsmarktpolitik<br />

auf Zwang basieren? Besteht nicht das Risiko, dass<br />

die Förderung des <strong>Engagement</strong>s im Zusammenhang<br />

mit Erwerbsarbeit auf seine arbeitsmarktqualifizierende<br />

Dimension reduziert wird? Schließlich wurde auch<br />

die brisante Frage nach der Lückenbüßerfunktion des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s für staatliches Handeln<br />

erneut aufgeworfen. Dieser Ausschnitt von Fragen<br />

weist bereits darauf hin, dass in diesem Bereich<br />

noch viel Diskussionsbedarf besteht.<br />

Einig waren sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer,<br />

zu denen sowohl Vertreter der Zivilgesellschaft<br />

als auch Vertreter der Arbeitgeberverbände und<br />

Gewerkschaften gehörten, darin, dass zwischen<br />

den Politikfeldern Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik<br />

einerseits und <strong>Engagement</strong>politik andererseits<br />

wichtige Zusammenhänge bestehen und<br />

sie daher besser aufeinander abgestimmt werden<br />

sollten. Vor allem wurde deutlich, dass es bei der<br />

Debatte nicht darum geht, die Integration in den<br />

Arbeitsmarkt dem bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

unterzuordnen. Vielmehr sollen <strong>–</strong> und hier besteht<br />

Nachholbedarf - die Potentiale des <strong>Engagement</strong>s<br />

für die Integration in den Arbeitsmarkt aufgezeigt<br />

werden. In diesem Zusammenhang spielen vor<br />

allem die Kompetenzen, die durch bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> vermittelt werden, eine wichtige<br />

Rolle. Diese Kompetenzen sollen, so die einhellige<br />

Meinung, künftig besser sichtbar gemacht<br />

werden. Neben der Bedeutung des <strong>Engagement</strong>s<br />

für die Integration in den Arbeitsmarkt wurden auch<br />

Gestaltungsmöglichkeiten der Arbeitsmarkt- und<br />

Beschäftigungspolitik für andere Übergangsphasen<br />

und Lebenssituationen diskutiert. Dabei geht<br />

es darum, wie das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong><br />

so in die individuelle Biographie integriert werden<br />

kann, dass damit Komplementäreffekte in Bezug<br />

auf andere Lebensphasen verbunden sind.<br />

Zudem stellten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

des Dialogforums die Chancen des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s in ökonomischen Zusammenhängen<br />

heraus. Hier wurde insbesondere die Bedeutung<br />

der Sozialwirtschaft und des Dritten Sektors<br />

hervorgehoben. Die in diesen Bereichen aktiven Organisationen<br />

und Unternehmen (Sozialunternehmen,<br />

Wohlfahrtsverbände, etc.) gehen oftmals aus bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> hervor und übernehmen<br />

zahlreiche wichtige gesellschaftliche Aufgaben, denen<br />

sich weder die staatliche Seite noch gewinnorientierte<br />

Unternehmen widmen. Vor diesem Hintergrund<br />

wurde diskutiert, wie diese Akteure der sozialen Ökonomie<br />

systematisch unterstützt werden können.<br />

Neben den Chancen, die im Bereich von <strong>Engagement</strong><br />

und Erwerbsarbeit bestehen, wurden auch die<br />

Risiken thematisiert, insbesondere die Tendenz zur<br />

Bezahlung in verschiedenen <strong>Engagement</strong>bereichen.<br />

Besonders kritisch wurde die Gewährung von Pauschalen<br />

beleuchtet. Zwar seien diese einerseits als<br />

Anreiz für bestimmte Tätigkeiten nötig, andererseits<br />

liege hier die Gefahr, wie z. B. die Entstehung eines<br />

nicht gewünschten Niedriglohnsektors sowie die Instrumentalisierung<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

für Erwerbszwecke.<br />

Abschließend wurde angesichts der Feststellung,<br />

dass in diesem Themenfeld wissenschaftliche Erkenntnisse<br />

weitestgehend fehlen, der Forschungsbedarf<br />

formuliert.<br />

87


Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Ergebnisse<br />

Viele Erwerbsbiographien (vor allem von Frauen,<br />

aber zunehmend auch von Männern) sind gekennzeichnet<br />

von Phasen wechselnder Beschäftigungsintensität<br />

(Vollzeit-, Teilzeit-, prekäre Beschäftigung,<br />

Arbeitslosigkeit, Elternzeit usw.). Im Zuge dieser<br />

Entwicklung entstehen <strong>–</strong> teils freiwillig, teils unfreiwillig<br />

<strong>–</strong> auch neue Tätigkeitsformen zwischen <strong>Engagement</strong><br />

und Erwerbsarbeit. Eine klare Trennung<br />

lässt sich dabei häufig nicht mehr ausmachen. Arbeitsmarkt-<br />

und <strong>Engagement</strong>politik müssen daher<br />

aufeinander abgestimmt werden. Dabei sollte der<br />

Eigensinn des <strong>Engagement</strong>s berücksichtigt werden.<br />

Die Integrationseffekte des <strong>Engagement</strong>s sollten<br />

gestärkt werden, ohne dass reguläre Erwerbsarbeit<br />

verdrängt wird.<br />

1. <strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit in Übergangsphasen<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

a. Im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> können Kompetenzen<br />

erworben, aufrecht erhalten und vertieft<br />

werden, die für das Arbeitsleben immer wichtiger<br />

werden. Dieser Kompetenzerwerb wird jedoch oft<br />

nicht anerkannt, weder bei Arbeitgebern noch bei<br />

Arbeitsagenturen.<br />

b. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> gewinnt für unterschiedliche<br />

Gruppen an Bedeutung. Älteren bietet<br />

es z. B. die Möglichkeit, den Ausstieg aus dem Erwerbsleben<br />

sinnstiftend zu <strong>gestalten</strong>. Jungen Menschen<br />

und Erwerbslosen kann es den Einstieg oder<br />

Wiedereinstieg in das Berufsleben erleichtern. Diese<br />

Übergangsphasen gilt es zu <strong>gestalten</strong>.<br />

c. Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit<br />

stehen nicht in Konkurrenz, sondern verhalten<br />

sich komplementär zueinander. <strong>Engagement</strong><br />

ist auch eine Art „Frühwarnsystem“, das gesellschaftliche<br />

Probleme aufzeigt und in dem sich in-<br />

88<br />

novative Lösungen erproben lassen. Daraus entstehen<br />

oft längerfristig auch neue Chancen für das<br />

Erwerbsleben.<br />

Lösungsvorschläge<br />

a. Die Arbeitsvermittlung sollte (z. B. beim Profiling) so<br />

ausgestaltet werden, dass sie die im bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> erworbenen Kompetenzen<br />

und Fähigkeiten angemessen berücksichtigt. Qualifizierungsmaßnahmen<br />

der Arbeitsagentur sollten<br />

stärker an die im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong><br />

erworbenen Kompetenzen anschließen.<br />

Zudem sollten Arbeitsmarktpolitik und Arbeitsverwaltung<br />

Kompetenzerwerb im bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> im Rahmen ihrer Qualifizierungsangebote<br />

fördern. Die Aufnahme einer Tätigkeit im<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> sollte als Eigenbeitrag<br />

zur Entwicklung einer Erwerbsarbeitsperspektive<br />

anerkannt und unterstützt werden.<br />

Der Wert des informellen Lernens im bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> sollte anerkannt und durch<br />

Kompetenznachweise sichtbar gemacht werden.<br />

Arbeitsmarkt- und engagementpolitische Akteure<br />

der verschiedenen Ebenen sollten dazu systematisch<br />

zusammenarbeiten.<br />

b. Um unterschiedliche Gruppen (z. B. ältere Menschen,<br />

Erwerbslose etc.) für bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> zu gewinnen, bedarf es gezielter<br />

Förderangebote, damit sich das soziale Integrationspotential<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

entfalten kann.<br />

c. Um den Zusammenhang zwischen Arbeitsmarktpolitik<br />

und <strong>Engagement</strong> besser zu <strong>gestalten</strong>,<br />

bedarf es einer Berichterstattung über die Entwicklungen<br />

im <strong>Engagement</strong> auf allen föderalen<br />

Ebenen.


Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

(Lösungswege)<br />

a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, auf<br />

welchem Wege es Erwerbslosen ermöglicht werden<br />

kann, ihr bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> mit<br />

Qualifizierungs- und Fördermaßnahmen zu verbinden.<br />

Dazu sollten durch Modellprojekte Kooperationsmöglichkeiten<br />

zwischen Arbeitsagenturen<br />

und Infrastruktureinrichtungen der <strong>Engagement</strong>förderung<br />

entwickelt werden. Es sollte außerdem<br />

geprüft werden, inwieweit und aus welchen Quellen<br />

Erwerbslosen Mittel für ihr <strong>Engagement</strong> gewährt<br />

werden können (z. B. laut SGB II).<br />

Die Ressorts der Bundesregierung werden gebeten,<br />

in Abstimmung mit Ländern, Wirtschaft<br />

und Wissenschaft Mindeststandards für Kompetenznachweise<br />

zu entwickeln, die für Arbeitgeber<br />

aussagekräftig sind. Dazu sollten die bestehenden<br />

Aktivitäten zwischen den Ressorts gebündelt und<br />

koordiniert werden.<br />

b. Die Bundesregierung sollte die Sozialpartner<br />

durch Modellprojekte dazu motivieren, gemeinsam<br />

mit zivilgesellschaftlichen Trägern <strong>Engagement</strong>formen<br />

für den Übergang in das Nacherwerbsleben<br />

bzw. für die Zeiten zwischen verschiedenen<br />

Erwerbsphasen zu entwickeln.<br />

c. Es bedarf zusätzlicher Programme, mit denen<br />

Mischformen zur Beschäftigung von engagierten<br />

Erwerbslosen gefördert werden. Öffentliche und<br />

neue gemeinwohlorientierte Dienstleistungen sollen<br />

auf diese Weise ermöglicht werden.<br />

2. <strong>Engagement</strong>verträglichkeit der Arbeitsmarktpolitik<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

a. Einige arbeitsmarktpolitische Regelungen erschweren<br />

das <strong>Engagement</strong> von Erwerbslosen.<br />

Insbesondere die ständige Verfügbarkeit für den<br />

Arbeitsmarkt ist dabei ein Hemmnis. Die entsprechende<br />

gesetzliche Regelung, die Erwerbslosen<br />

<strong>Engagement</strong> ermöglicht, ist der Arbeitsverwaltung<br />

vor Ort oftmals nicht hinreichend bekannt.<br />

b. Die Anrechnung von Aufwandspauschalen auf<br />

Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch II führt<br />

für Erwerbslose häufig zu Problemen, die die<br />

Bereitschaft zum <strong>Engagement</strong> hemmen können.<br />

Problematisch ist dabei insbesondere die Ungleichbehandlung<br />

von Aufwandspauschalen bei<br />

Erwerbstätigen gegenüber Erwerbslosen.<br />

Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

c. Für zahlreiche Formen des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s sind Qualifikationen erforderlich,<br />

die in der Freizeit oder durch Inanspruchnahme<br />

des tariflichen Urlaubs nicht erworben werden<br />

können.<br />

Lösungsvorschlag<br />

a. Um Arbeitsmarktpolitik engagementverträglich zu<br />

<strong>gestalten</strong>, sollte eine <strong>Engagement</strong>verträglichkeitsprüfung<br />

in Zusammenarbeit mit Organisationen<br />

der Zivilgesellschaft für arbeitsmarktpolitische<br />

Maßnahmen eingeführt werden.<br />

b. Die Rahmenbedingungen für Aufwandsentschädigungen<br />

aus dem <strong>Engagement</strong> sollten so gestaltet<br />

werden, dass das <strong>Engagement</strong> von Erwerbslosen<br />

nicht anders behandelt wird als das von Erwerbstätigen.<br />

Zudem sollten unterschiedliche Formen<br />

der Aufwandsentschädigung zu einer vergleichbaren<br />

Anrechnung auf die Sozialleistungen führen.<br />

c. Durch die Gestaltung arbeitsrechtlicher Regelungen<br />

sollte Engagierten die Möglichkeit eingeräumt<br />

werden, für Fortbildungen mit dem Ziel des<br />

Qualifikationserwerbs für die Ausübung des bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s eine Freistellung zu<br />

erhalten.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

a. Die Bundesregierung wird gebeten zu prüfen, wie<br />

am Beispiel der Kulturverträglichkeitsprüfung Kriterien<br />

für eine <strong>Engagement</strong>verträglichkeitsprüfung<br />

in Zusammenarbeit mit Organisationen der Zivilgesellschaft<br />

gewonnen werden können.<br />

b. Die Bundesregierung wird gebeten, Möglichkeiten<br />

einer Harmonisierung der Anrechnung der<br />

Aufwandspauschalen zu prüfen. Dabei sollte der<br />

anrechnungsfreie Freibetrag für Erwerbslose an<br />

die Höhe der Übungsleiterpauschale angeglichen<br />

werden, sodass Erwerbslose gegenüber Erwerbstätigen<br />

nicht schlechter gestellt werden.<br />

c. Bund und Länder werden gebeten, die arbeitsrechtliche<br />

Freistellung für den Zweck der Qualifizierung<br />

zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> in<br />

die Bildungsurlaubsgesetze des Bundes und der<br />

Länder bzw. in die jeweiligen Sonderurlaubsgesetze<br />

aufzunehmen.<br />

3. Zivilgesellschaftliche Organisationen stärken<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen erbringen wichtige<br />

Leistungen für die Gesellschaft. Dabei sind sie<br />

89


Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

häufig auf freiwillig Engagierte angewiesen. Daher<br />

bedarf es einer beständigen Fortentwicklung der Organisationen<br />

und einer produktiven Zusammenarbeit<br />

zwischen Hauptamtlichen und freiwillig Engagierten.<br />

Die Notwendigkeit, diese Kooperation zu entwickeln<br />

(ggfs. auch über Mittlerorganisationen), findet bei der<br />

Förderung aus öffentlichen Mitteln nicht ausreichend<br />

Beachtung.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen sollten darin unterstützt<br />

werden, professionell und kontinuierlich zu<br />

arbeiten. Insbesondere sollten Organisationsentwicklung<br />

und Etablierung eines Freiwilligenmanagements<br />

unter Berücksichtigung der Partizipationsbedürfnisse<br />

der Engagierten gefördert werden.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Die Ressorts der Bundesregierung sollten im Rahmen<br />

der Zuwendungspraxis darauf hinwirken, dass<br />

Kosten für Freiwilligenmanagement und Organisationsentwicklung<br />

als zuwendungsfähige Ausgaben<br />

anerkannt werden.<br />

4. Professionalisierung, Innovation und<br />

<strong>Engagement</strong><br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

a Aus dem <strong>Engagement</strong> heraus ergibt sich ein Potential<br />

für reguläre Arbeitsplätze (insbesondere für<br />

Frauen). Diese entstehen sowohl in bestehenden<br />

Einrichtungen als auch in neu gegründeten, innovativen<br />

Unternehmen. Dieses Potential sollte genutzt<br />

werden.<br />

b. Viele gesellschaftliche Aufgaben, insbesondere im<br />

Sozialbereich, werden durch Engagierte erledigt.<br />

Dabei kommt es darauf an, die Engagierten durch<br />

Fachkräfte anzuleiten, sodass sie die Aufgaben<br />

fachlich angemessen erfüllen können. Dabei dürfen<br />

reguläre Beschäftigungsverhältnisse jedoch<br />

nicht aus betriebswirtschaftlichen Erwägungen<br />

verdrängt werden.<br />

Lösungsvorschläge<br />

a. Erwerbslose Engagierte sollten darin unterstützt<br />

werden, ihr freiwilliges <strong>Engagement</strong> in eine reguläre<br />

Beschäftigung zu überführen.<br />

90<br />

Der Sektor der Sozialwirtschaft, welcher Gemeinwohlorientierung<br />

mit unternehmerischem Handeln<br />

verbindet, sollte systematisch unterstützt und gefördert<br />

werden.<br />

b. Engagierte sollten durch Fachkräfte angeleitet und<br />

kontinuierlich begleitet werden, damit sie die Aufgaben<br />

fachlich angemessen erfüllen können.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

a. Die Bundesregierung sollte prüfen, durch welche<br />

Instrumente die Entwicklung des Sozialwirtschaftssektors<br />

systematisch unterstützt und gefördert<br />

werden kann.<br />

b. Die mittelbaren Träger der Staatsverwaltung sollten<br />

in die fachliche Anleitung eingebunden werden.<br />

5. <strong>Engagement</strong> und Aufwandsentschädigungen<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Die Zahlung von Aufwandspauschalen über tatsächlich<br />

entstandene Kosten hinaus ist in vielen <strong>Engagement</strong>bereichen<br />

gängige Praxis. Diese Praxis ist<br />

jedoch gesetzlich nicht hinreichend geregelt und begrifflich<br />

nicht klar umschrieben. Dies führt einerseits<br />

dazu, dass in bestimmten <strong>Engagement</strong>bereichen<br />

die Rechtssicherheit fehlt, Aufwandspauschalen zu<br />

gewähren. Zum anderen resultiert daraus eine mangelhafte<br />

Differenzierung zwischen <strong>Engagement</strong> und<br />

Erwerbsarbeit. Letztere ist sozialversicherungs- und<br />

steuerpflichtig.<br />

Lösungsvorschläge<br />

Die gesetzliche Grundlage für die Gewährung von<br />

Aufwandspauschalen im <strong>Engagement</strong> sollte analog<br />

zur Übungsleiterpauschale bedarfsgerecht erweitert<br />

werden.<br />

Es sollte auf der Basis einer Legaldefinition zwischen<br />

bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong> und anderen gemeinwohlorientierten<br />

Tätigkeiten differenziert werden,<br />

um Aufwandspauschalen zahlen zu können, wo<br />

sie notwendig sind, zugleich aber zu verhindern, dass<br />

<strong>Engagement</strong> für Erwerbszwecke instrumentalisiert<br />

wird.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Es sollte geprüft werden, inwieweit erfolgreiche<br />

Länderregelungen (z. B. in Baden-Württemberg) zur<br />

Differenzierung zwischen bürgerschaftlichem <strong>Engagement</strong><br />

und anderen gemeinwohlorientierten Tätigkeiten<br />

auf die Bundesebene übertragen werden<br />

können.


6. Forschung<br />

Konkreter Handlungsbedarf (Problemstellung)<br />

Über die Zusammenhänge zwischen <strong>Engagement</strong><br />

und Erwerbsarbeit fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse,<br />

insbesondere zu den Übergängen, der Entgrenzung<br />

und den wechselseitigen Beeinflussungen.<br />

Lösungsvorschlag<br />

Die Kenntnisse über die Zusammenhänge zwischen<br />

<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit sollten systematisch<br />

durch Grundlagen- und anwendungsbezogene Forschung<br />

verbessert werden.<br />

Schritte zur Implementierung des Vorhabens<br />

Durch eine adäquate Forschungsagenda sind die Aktivitäten<br />

und Projekte unterschiedlicher wissenschaftlicher<br />

Einrichtungen und Institutionen zu bündeln und<br />

zu koordinieren. In diesem Rahmen sollte u. a. eine<br />

Bestandsaufnahme darüber gemacht werden, welche<br />

Instrumente staatliche Akteure sowie die Sozialpartner<br />

bereits geschaffen haben, um Übergänge<br />

zwischen <strong>Engagement</strong>, Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit<br />

zu <strong>gestalten</strong>.<br />

Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

91


Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik e.V.<br />

Expertise: „<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit“<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>, Erwerbsarbeit,Arbeitsmarktpolitik und neue Rahmenbedingungen:<br />

Herausforderungen und Wechselwirkungen<br />

1. Einführung<br />

Erwerbsarbeit und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

standen lange Zeit in einem komplementären Verhältnis<br />

zueinander. Dies ist nicht zuletzt auf die traditionell<br />

verstetigte Teilung von Erwerbsarbeit und Freizeitbereich<br />

zurückzuführen. Erst seit den 1970er und 1980er<br />

Jahren wird diese Trennlinie zunehmend durchbrochen.<br />

Das Arbeitszeitvolumen verkürzt sich bei gleichzeitiger<br />

Zunahme der Arbeitszeitproduktivität und bietet<br />

hiermit zusätzlichen Raum für Freizeitaktivitäten.<br />

Mehr und mehr wird die kulturelle und soziale Dominanz<br />

der Erwerbsarbeit in Frage gestellt. „Neue“ Formen<br />

von Arbeit, gekennzeichnet durch Teilzeit, kurzfristige<br />

Beschäftigungsverhältnisse oder den Wechsel<br />

zwischen Erwerbsarbeit und Phasen der Erwerbslosigkeit,<br />

prägen zunehmend das Bild. Gleichzeitig<br />

verändert sich das klassische Ehrenamt zusehends.<br />

Aufwandsentschädigungen und auf ein berufliches Vorankommen<br />

ausgerichtete <strong>Engagement</strong>motive lassen<br />

<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit ein Stück weit zusammenrücken.<br />

Ein weiterer Berührungspunkt ergibt sich<br />

aus einer systematischen Verschiebung sozialstaatlicher<br />

Aufgaben vom Staat hin zur Gesellschaft. Die<br />

Zusammenarbeit Hauptamtlicher und Ehrenamtlicher<br />

ist in diesem Zusammenhang unter sich verändernden<br />

Bedingungen zu betrachten. Dieser kurze Abriss sich<br />

wandelnder gesellschaftlicher Rahmenbedingungen<br />

macht deutlich, dass das Verhältnis von freiwilligem,<br />

gemeinwohlorientiertem <strong>Engagement</strong>, Existenzsicherung<br />

und marktrationalem Handeln eines der aktuell<br />

spannendsten Diskussionsfelder für Theorie, Praxis<br />

und Politik zum bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> ist.<br />

Das vorliegende Kurzgutachten soll die Wechselwirkungen<br />

und Spannungsverhältnisse zwischen<br />

den Feldern <strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit schlaglichtartig<br />

und aus unterschiedlichen Perspektiven<br />

beschreiben. Wesentliches Ziel ist es, die aktuelle<br />

wissenschaftliche Debatte zum Thema „Bürger-<br />

92<br />

schaftliches <strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit“ so aufzubereiten,<br />

dass eine fundierte Grundlage für die weitere<br />

Arbeit des Nationalen Forums für <strong>Engagement</strong><br />

und Partizipation geschaffen ist.<br />

Entsprechend dieser Zielstellung werden im ersten Teil<br />

des Papiers die Systeme „Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong>“<br />

und „Erwerbsarbeit“ genauer betrachtet. Aktuelle<br />

Herausforderungen und gesellschaftliche Veränderungen<br />

werden beleuchtet, die Wechselwirkungen<br />

beider Bereiche beschrieben. Im zweiten Kapitel „Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> als Brücke in die Erwerbstätigkeit“<br />

werden die Chancen und besonderen Vorzüge<br />

freiwilligen <strong>Engagement</strong>s für die Erwerbstätigkeit in den<br />

Blick genommen. Ausgehend von einem kurzen Abriss<br />

zu Kompetenzerwerb und Qualifizierung im bürgerschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong> wird die aktuelle Arbeits- und<br />

Beschäftigungspolitik in Bezug auf den Eigensinn und<br />

die Eigenlogik freiwilliger Tätigkeiten untersucht. Gleichzeitig<br />

wird diskutiert, inwieweit einzelne <strong>Engagement</strong>gruppen<br />

bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> als Brücke in<br />

die Erwerbsarbeit nutzen (können). Kapitel drei „Bürgerschaftliches<br />

<strong>Engagement</strong> und Dritter Sektor“ betrachtet<br />

den benannten Themenbereich hinsichtlich seiner Organisationsperspektive.<br />

Ausgehend von einer Analyse<br />

der Zusammenarbeit haupt- und ehrenamtlicher Mitarbeiter<br />

werden Mischformen in der Grauzone zwischen<br />

<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit genauer untersucht.<br />

2. Die Entwicklung des Verhältnisses von bürgerschaftlichem<br />

<strong>Engagement</strong> und Erwerbsarbeit<br />

2.1 Entwicklung und Strukturwandel der<br />

Erwerbsarbeit<br />

Erosion des Normalarbeitsverhältnisses<br />

<strong>Engagement</strong>politik steht insgesamt vor der Herausforderung,<br />

mit den bereits angedeuteten Umbrüchen


im Feld der Erwerbsarbeit umzugehen. Für die Industriearbeitsgesellschaft<br />

war das Normalarbeitsverhältnis<br />

(Vollzeit, tageszeitlich begrenzt, regelmäßig,<br />

kontinuierlich und existenzsichernd) kennzeichnend<br />

und mit dem Versprechen einer Vollbeschäftigung<br />

ideologisch abgesichert. Die Bedingungen dieses<br />

„alten Gesellschaftsvertrages“ sind in der Wissensund<br />

Dienstleistungsgesellschaft im Wandel. Das so<br />

genannte Normalarbeitsverhältnis hat in den vergangenen<br />

zwei Jahrzehnten viel von seiner allgemeinen<br />

Geltung und gesellschaftlichen Stabilisierungskraft<br />

eingebüßt. Längst hat sich eine parallele<br />

arbeitsgesellschaftliche Realität etabliert, die in der<br />

Medienöffentlichkeit auch unter dem Schlagwort<br />

„Prekarisierung“ diskutiert wird. Insbesondere an den<br />

Rändern der Erwerbsgesellschaft sind unsichere, als<br />

atypisch bezeichnete Beschäftigungsformen entstanden.<br />

Im Jahr 2008 befanden sich 60,1 Prozent aller<br />

Beschäftigten im Alter zwischen 25 und 64 Jahren<br />

in einem Normalarbeitsverhältnis. Seit 2001 ist diese<br />

Form der traditionellen Beschäftigung um 4,6 Prozentpunkte<br />

zurückgegangen. Im internationalen Vergleich<br />

hatten nur Polen und die Niederlande sowie Luxemburg<br />

und Malta noch größere Rückgänge zu verzeichnen<br />

(vgl. Eichhorst/Kuhn/Thode/Zenker 2009).<br />

Pluralisierung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit<br />

Ein „Ende der Arbeitsgesellschaft“, wie noch in den<br />

1980 und 1990er Jahren diskutiert (vgl. u. a. Offe<br />

1984, Rifkin 1995), ist jedoch eindeutig nicht zu erwarten.<br />

Arbeit ist weiterhin, wenn auch in immer unterschiedlicheren,<br />

immer ausdifferenzierteren Formen<br />

bestimmend für das Leben fast aller Menschen.<br />

Zwei eng miteinander verbundene Trends lassen<br />

sich identifizieren: Pluralisierung und Entgrenzung<br />

von Erwerbsarbeit. Selbstständige und freiberufliche<br />

Erwerbstätigkeit ist zunehmend von projektförmigen<br />

Arbeitsstrukturen, flexiblen Kooperationsnetzwerken,<br />

Mikro- und Einzelunternehmen gekennzeichnet.<br />

Diese Pluralisierung von Erwerbsformen ist mit Entgrenzungsprozessen<br />

der Erwerbsarbeit verbunden<br />

(vgl. Gottschall/Voß 2003; Kratzer 2003, Mutz 2002).<br />

Ein wichtiger Aspekt der Entgrenzung ist die seit den<br />

1980er Jahren beschleunigte Ausweitung der Erwerbsarbeitsförmigkeit<br />

auf Tätigkeiten v. a. der Erziehung,<br />

Pflege und Betreuung, die bislang überwiegend<br />

im privaten, häuslichen Bereich von Frauen geleistet<br />

wurden, zum anderen die Verberuflichung von vormaligen<br />

Tätigkeiten sozialen <strong>Engagement</strong>s. Der Ausbau<br />

öffentlicher und privater sozialer Dienste brachte<br />

einerseits eine Vielzahl neuer Erwerbsarbeitsplätze<br />

und einen großen Professionalisierungsschub mit<br />

sich, verdrängte aber andererseits freiwilliges, unentgeltliches<br />

<strong>Engagement</strong>. Umgekehrt wirken Prinzipien<br />

Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s auch in den Bereich<br />

der Erwerbsarbeit hinein, wie es die Leitwerte der<br />

Gemeinwohlorientierung und Partizipation bei den Organisationen<br />

des Dritten Sektors zeigen (vgl. Bericht<br />

der Enquete-Kommission 2002, Bd. 4).<br />

Debatten zur „Zukunft der Arbeit“ und zum „erweiterten<br />

Arbeitsbegriff“<br />

In den vergangenen etwa 30 Jahren haben eine ganze<br />

Reihe von Wissenschaftler/innen diese Tendenzen<br />

aus unterschiedlichen Blickwinkeln beschrieben und<br />

analysiert. In Deutschland und Frankreich wurde in den<br />

1980er Jahren die Debatte zur „Dualwirtschaft“ (vgl. u.<br />

a. Huber 1979, Gorz 1983) geführt, in den 1990er Jahren<br />

ging es v.a. um die „Erosion des Normalarbeitsverhältnisses“<br />

(vgl. stellvertretend Dombois 1999, Mayer-<br />

Ahuja 2003) und die Herausbildung einer „pluralen<br />

Tätigkeitsgesellschaft“ (vgl. Beck 2000, Mutz 2001,<br />

Schäfers 2001). Feministische und ökologisch orientierte<br />

Wirtschaftswissenschafter/innen (vgl. stellvertretend<br />

Biesecker 2000) befassten sich zuerst mit der<br />

Entwicklung eines „erweiterten Arbeitsbegriffes“ und<br />

einer darauf basierenden umfassenden Analyse gesellschaftlicher<br />

Arbeit unter Einschluss der informellen und<br />

häuslichen Wirtschaft. Der folgende, breiter geführte<br />

Diskurs um einen erweiterten Arbeitsbegriff, wie ihn Hildebrandt<br />

(2007) zusammenfasst, stellt nicht nur auf die<br />

Anerkennung von anderen, gegenüber der Erwerbsarbeit<br />

historisch-systematisch klar abgegrenzten Formen<br />

gesellschaftlicher Arbeit ab. Sowohl im Konzept der<br />

„Mischarbeit“, wie es in einem interdisziplinären Projekt<br />

der Hans-Böckler-Stiftung entwickelt wurde (vgl. Verbundprojekt<br />

Arbeit und Ökologie 2000), als auch im von<br />

der Katholischen Arbeitnehmerbewegung inspirierten<br />

Konzept der „Triade der Arbeit“ (vgl. Schäfers 2001)<br />

wurde versucht, die Veränderungen der Grenzen und<br />

die Vielzahl der Übergänge zwischen den verschiedenen<br />

Arbeitsformen zu erfassen und analysieren. Das<br />

Forschungsprojekt „Agora“ schließlich kombinierte aktuelle<br />

mit historischen Analysen der Entwicklung der<br />

gesellschaftlichen Organisation von Arbeit in ihren unterschiedlichsten<br />

Formen (vgl. Kocka/Offe 2000).<br />

Erwerbsarbeit im Dritten Sektor<br />

In der jüngsten Zeit verstärkten sich Debatten und<br />

Forschungsaktivitäten zum Dritten Sektor, da dieser<br />

sowohl die gemeinnützigen Organisationen der<br />

Sozialwirtschaft versammelt als auch den überwältigenden<br />

Teil des organisierten freiwilligen <strong>Engagement</strong>s<br />

umfasst. Der Dritte Sektor ist einerseits ein Teil<br />

der Problematik der Pluralisierung und Entgrenzung<br />

der Erwerbsarbeit, atypische Beschäftigungsverhältnisse<br />

sind hier fast doppelt so häufig anzutreffen wie<br />

93


Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

im gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt, die Entlohnung<br />

liegt darunter (siehe dazu v. a. Zimmer/Priller<br />

2007 und Dathe/Priller 2010). In Ostdeutschland sind<br />

16 Prozent der Erwerbstätigen im Dritten Sektor in<br />

Ein-Euro-Jobs beschäftigt. Insgesamt droht eine weitere<br />

Verschlechterung der Arbeitsverhältnisse und<br />

die Entwicklung zum Niedriglohnsektor (vgl. Dathe/<br />

Hohendanner/Priller 2009). Andererseits wird in der<br />

engagementpolitischen Debatte immer wieder vom<br />

Dritten Sektor bzw. den in ihm versammelten Organisationen<br />

erwartet, Erwerbsarbeit und <strong>Engagement</strong> in<br />

ein produktives Verhältnis zu setzen.<br />

DGB-Konzept „Gute Arbeit“<br />

Einen weiteren, für die gegenwärtige Diskussion um<br />

die Entwicklung der Arbeit bedeutenden Strang markiert<br />

das vom DGB entwickelte Index-Konzept „Gute<br />

Arbeit“ (www.dgb-index-gute-arbeit.de). Hier wurden<br />

Qualitätskriterien formuliert, die zunächst vornehmlich<br />

auf die Beurteilung von Erwerbsarbeitsplätzen<br />

durch die Arbeitnehmer/innen selbst ausgerichtet<br />

waren, sich jedoch ebenfalls auf unbezahlte Arbeit<br />

im <strong>Engagement</strong>bereich anwenden lassen, wie es in<br />

einem Forschungsprojekt der Hans-Böckler-Stiftung<br />

„Die subjektive Dimension guter Arbeit“ aktuell geschieht.<br />

Eine wichtige Dimension des Konzepts „Gute<br />

Arbeit“ ist die Work-Life-Balance, so dass hier auch<br />

die arbeits(zeit)politischen Fragen der Vereinbarkeit<br />

von Beruf, Familie und <strong>Engagement</strong> angesprochen<br />

sind. Das Interesse der Arbeitnehmer/innen und der<br />

Gewerkschaften trifft sich zumindest für Höherqualifizierte<br />

mit den Personalentwicklungspolitiken von<br />

Unternehmen vieler Branchen, die gut ausgebildete,<br />

motivierte, eigenständig und im Team arbeitende,<br />

kreative Beschäftigte benötigen, um wirtschaftlich auf<br />

den Märkten der Informations- und Wissensgesellschaft<br />

bestehen zu können.<br />

2.2 Entwicklung und Strukturwandel des<br />

bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s<br />

Eine Vielzahl aktueller gesellschaftspolitischer Veränderungen<br />

und Herausforderungen, insbesondere<br />

die im vorigen Kapitel erläuterten Entwicklungen im<br />

Bereich der Erwerbsarbeit, bleibt nicht ohne Folgen<br />

für die Rahmenbedingungen der Zivilgesellschaft.<br />

Nachfolgend sollen schlaglichtartig und in aller Kürze<br />

die wichtigsten Entwicklungen diskutiert werden.<br />

Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen<br />

Individualisierungs- und Flexibilisierungstendenzen<br />

aus dem System der Erwerbsarbeit mit unterschiedlichen<br />

Anforderungen an lebenslanges Lernen, fle-<br />

94<br />

xible Arbeitszeiten und <strong>–</strong>orte beeinflussen auch die<br />

Struktur bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s. Das traditionelle<br />

Ehrenamt, gekennzeichnet durch langjährige,<br />

kontinuierliche Aktivitäten und hierarchische <strong>Strukturen</strong>,<br />

wird immer mehr in den Hintergrund gedrängt<br />

(vgl. Kühnlein/Böhle 2002). Selbstorganisierte Zusammenschlüsse<br />

in Bürgerinitiativen oder Selbsthilfegruppen<br />

sind das Ergebnis eines Bedürfnisses der<br />

Engagierten nach Verwirklichung individueller Motive<br />

und Interessen. Gleichzeitig gibt es eine gestiegene<br />

Notwendigkeit des flexiblen Zeitmanagements,<br />

welches es ermöglicht, Erwerbsarbeit, Familienarbeit<br />

und Freizeit (bzw. freiwilliges <strong>Engagement</strong>) zu kombinieren.<br />

Häufigere Fluktuationen der Engagiertenzahlen<br />

durch Ein- und Austritte sind nicht ungewöhnlich<br />

(vgl. BMFSFJ 2009a). Es stellen sich verstärkt<br />

Herausforderungen an Organisationen des Dritten<br />

Sektors, solche Angebote bereitzuhalten, die eine<br />

kurzfristige oder auch kurzzeitige, zeitlich flexible<br />

Ausübung einer freiwilligen Tätigkeit <strong>ermöglichen</strong>. 1<br />

Professionalisierung<br />

Zivilgesellschaftliche Organisationen als zentrale<br />

Orte des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s 2 haben<br />

in den letzen Jahren umfassende Organisationsentwicklungsprozesse<br />

durchlaufen, sich zunehmend<br />

professionalisiert und ihre <strong>Strukturen</strong> und Arbeitsweise<br />

ökonomischen Faktoren unterworfen. Unterschiedliche<br />

Aufgaben des traditionellen Ehrenamtes<br />

sind im Zuge dieser Professionalisierungstendenzen<br />

vor allem im sozialen Bereich in die Entwicklung<br />

hauptamtlicher Stellen übergegangen (vgl. Kühnlein/<br />

Böhle 2002). Die zunehmende wirtschaftliche Orientierung<br />

und Übernahme ehemals staatlicher sozialpolitischer<br />

Aufgaben hat zu einem veränderten Verhältnis<br />

von Haupt- und Ehrenamtlichkeit geführt (vgl.<br />

BMFSFJ 2009a).<br />

Monetarisierung<br />

Bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong> ist per Definition unentgeltlich.<br />

Ausnahmen hiervon bilden überschaubare<br />

Kostenerstattungen und Aufwandsentschädigungen<br />

bis hin zu geldwerten Leistungen wie z.B. kostenfreie<br />

Weiterbildungen oder Qualifizierungen. Obwohl der<br />

2. Freiwilligensurvey gezeigt hat, dass der Großteil<br />

der Freiwilligen (86 Prozent) keine materiellen Gratifikationen<br />

für seine Tätigkeiten erhält 3 , gibt es immer<br />

mehr Stimmen, die vor einer schleichenden Monetarisierung<br />

des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s warnen<br />

(vgl. Liebig/ Rauschenbach 2010). Insbesondere mit<br />

dem Blick auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse,<br />

nicht-existenzsichernde Transferleistungen oder Rentenzahlungen<br />

und längere Zeiten der Erwerbslosig-


keit erscheint ein bezahltes Ehrenamt an Attraktivität<br />

zu gewinnen. 4 Ausgehend von der Definition der Enquete-Kommission<br />

des Deutschen Bundestages zur<br />

„Zukunft des bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>s“ (vgl.<br />

Bericht der Enquete-Kommission 2002; Bd. 4, S. 73-<br />

90) widerspricht eine solche Entwicklung jedoch den<br />

Basisprinzipien der Freiwilligkeit, Selbstbestimmtheit<br />

und der Unabhängigkeit von einem Streben nach materiellen<br />

Gewinn im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong>.<br />

Motiv- und Wertewandel<br />

Bereits seit einiger Zeit wird ein Motiv- und Wertewandel<br />

im bürgerschaftlichen <strong>Engagement</strong> diagnostiziert.<br />

Auf dem Prüfstand steht in diesem Zusammenhang die<br />

das bürgerschaftliche <strong>Engagement</strong> charakterisierende<br />

Gemeinwohlorientierung. Die Erhebungen der letzten<br />

Jahre haben deutlich gemacht, dass diese weiterhin<br />

signifikant bleibt, jedoch interessanterweise vor allem<br />

bei Engagierten aus den ostdeutschen Bundesländern<br />

(alte Länder: 33 Prozent / neue Länder 40 Prozent), bei<br />

jungen Menschen (Gruppe der 14-30jährigen: 1999:<br />

38 Prozent; 2004: 47 Prozent) und Erwerbslosen (+<br />

9 Prozent) eine zunehmende Bedeutung der Interessenorientierung<br />

zu verzeichnen ist (vgl. Gensicke et al.<br />

2006, S. 91ff). Diese Gruppen möchten mit ihrer Tätigkeit<br />

auch eigene Interessen vertreten, Probleme lösen<br />

und ihr <strong>Engagement</strong> nutzen, um beruflich voran zu<br />

kommen. Junge Menschen stehen unter einem immer<br />

größer werdenden Druck hinsichtlich Schule, Ausbildung<br />

und erster Berufstätigkeit. Umgekehrt überprüfen<br />

deshalb auch sie ihre Aktivitäten hinsichtlich ihres<br />

Mehrwertes. Dieser neue „Typ“ Engagierter handelt<br />

sehr wohl gemeinwohlorientiert, versucht hierbei allerdings<br />

auch unterschiedliche Erwartungen zu kombinieren,<br />

zweckrational zu handeln und eigene Interessen<br />

im Blick zu behalten (vgl. Gensicke 2006, S. 213 ff). 5<br />

Demografischer Wandel<br />

Weiterhin in den Fokus zu nehmen bleibt der zunehmende<br />

gesamtgesellschaftliche Alterungsprozess<br />

und dessen Auswirkungen auf die Zivilgesellschaft.<br />

Bei gleichzeitig sinkendem Erwerbsausstiegsalter<br />

und steigender Lebenserwartung 6 beherrschen Diskussionen<br />

zur Leistungsfähigkeit des Systems sozialer<br />

Sicherung und zur Generationengerechtigkeit<br />

die Öffentlichkeit. Kocka betont den Sinn zivilgesellschaftlichen<br />

<strong>Engagement</strong>s als Alternative zu marktbezogener<br />

Erwerbsarbeit nach der Verrentung/Pensionierung<br />

und untätigem Ruhestand im Alter (vgl.<br />

Kocka 2008, S. 228ff). Gemäß eines Gutachtens<br />

des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung wird<br />

im Zuge des demografischen Wandels die Rolle der<br />

älteren Menschen für die Zivilgesellschaft sogar im-<br />

Dialogforum Arbeitsmarktpolitik und bürgerschaftliches <strong>Engagement</strong><br />

mer wichtiger, da die Zivilgesellschaft langfristig von<br />

einem Rückgang der <strong>Engagement</strong>zahlen betroffen<br />

ist. 7 Die höchsten Verluste im <strong>Engagement</strong> und Ehrenamt<br />