FES-Info 2011, Nr. 3 - Bibliothek der Friedrich-Ebert-Stiftung
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vertretern sei die Jugend <strong>der</strong> wichtigste Träger<br />
<strong>der</strong> Revolution. Vor allem 150.000 diplomierte<br />
Studenten, die vielfach arbeitslos wurden, hätten<br />
den Arabischen Frühling in seiner Heimat ge-<br />
tragen. Die Ereignisse seien beispielhaft für eine<br />
demokratische Revolution, ohne Ideologie o<strong>der</strong><br />
Führerkult. Welche zentrale Rolle dabei soziale<br />
Gerechtigkeit gespielt habe, zeige einer <strong>der</strong> wich-<br />
tigsten tunesischen Slogans, <strong>der</strong> in <strong>der</strong> gesamten<br />
arabischen Welt übernommen wurde: „Arbeit ist<br />
eine Notwendigkeit, ihr Diebe“.<br />
Soziale Ungleichgewichte, Proteste gegen die<br />
autoritäre Regierung, eine schwere wirtschaft-<br />
liche Krise – das „Regime war am Ende“, so Guisa<br />
weiter. Tunesien komme nun seine große Verfas-<br />
sungs- und Demokratietradition zugute.<br />
Nun sei Tunesien jedoch bedroht durch einen<br />
politischen wie einen religiösen Autoritarismus.<br />
Insofern sei für die Mo<strong>der</strong>nisten <strong>der</strong> Wahlsieg<br />
<strong>der</strong> Ennahda enttäuschend. Man müsse jedoch<br />
Ennahda eine Chance geben und abwarten, ob<br />
die islamische Partei das demokratisch-mo<strong>der</strong>ni-<br />
stische Projekt des Arabischen Frühlings mit sei-<br />
nen Säulen Säkularismus, Rechte <strong>der</strong> Frauen und<br />
Soziale Gerechtigkeit akzeptiert. Falls dies nicht<br />
geschehe, werde die tunesische Revolutionsbe-<br />
wegung diese „zivilisatorischen“ Errungenschaf-<br />
ten mit allen Mitteln verteidigen.<br />
Der Frage, inwiefern Tunesien nach dem Wahl-<br />
erfolg <strong>der</strong> Ennahda um die Früchte seiner revo-<br />
lutionären Arbeit gebracht wird, thematisierte<br />
auch Rolf Mützenich. Der SPD-Außenpolitiker<br />
gehört nicht zu denjenigen, die ein undifferen-<br />
ziertes Bild eines islamistischen Schreckgespens-<br />
tes zeichnen. Die Nichtanerkennung des Ha-<br />
mas-Wahlsiegs in Palästina 2006 habe Europa<br />
geschadet, die EU habe erheblich an Überzeu-<br />
gungskraft verloren. Man müsse den Dialog auch<br />
zu denjenigen Kräften offen halten, mit denen<br />
man viele Werte nicht teile. Viele Bundestagsab-<br />
geordnete hätten Hochachtung vor den Errun-<br />
genschaften <strong>der</strong> arabischen Freiheitsbewegung.<br />
Es gelte zugleich, Demut aufgrund früherer Ko-<br />
operation mit den autoritären Regimen zu üben.<br />
Durch die Ereignisse <strong>der</strong> letzten Monate, als unter<br />
an<strong>der</strong>em kopftuchtragende Frauen, etwa auf dem<br />
Tahrir-Platz, für persönliche und kollektive Frei-<br />
heiten auf die Straßen gingen, habe zudem die<br />
europäische Bevölkerung ein differenziertes Bild<br />
vom Islam bekommen.<br />
REVOLUTION – UND DANN?<br />
TRANSFORMATION IN ÄGYPTEN, MAROKKO UND TUNESIEN<br />
Nach dem revolutionären Aufbruch im Frühjahr<br />
<strong>2011</strong> sind die konkreten Wege in die demokra-<br />
tische Zukunft in allen nordafrikanischen Staa-<br />
ten politisch hoch umstritten. Wann soll gewählt<br />
werden? Welches Wahlsystem soll angewendet<br />
werden? Was soll gewählt werden – Parlament,<br />
Präsident o<strong>der</strong> verfassungsgebende Versamm-<br />
lung? Muss die Verfassung zuerst verän<strong>der</strong>t und<br />
dann ein Parlament gewählt werden, o<strong>der</strong> um-<br />
gekehrt? Und grundsätzlicher: Sind die autokra-<br />
tischen Rechtssysteme reformierbar o<strong>der</strong> müssen<br />
Verfassung und Recht ganz neu gedacht werden?<br />
Wer bringt sich mit welchen Vorschlägen in die<br />
Debatte ein und wer findet Gehör?<br />
Marokko, Ägypten und Tunesien gehen hier<br />
jeweils unterschiedliche Wege. Sie unterschei-<br />
den sich in ihrer Rechtskultur, ihrer politischen<br />
Struktur und insbeson<strong>der</strong>e auch im Grad <strong>der</strong> ge-<br />
sellschaftlichen Umbrüche. Was sie verbindet,<br />
sind die kontroversen, gesellschaftlichen Debat-<br />
ten um die nächsten Schritte auf dem langen<br />
und unsicheren Weg zu einer demokratischen<br />
Transformation. Bestehende Gemeinsamkeiten<br />
und Unterschiede herauszuarbeiten und mit<br />
einem Fachpublikum zu diskutieren, war keine<br />
leichte Aufgabe für die drei Verfassungsrechtler/<br />
innen, die an den <strong>der</strong>zeitigen Transformations-<br />
prozessen in ihren Län<strong>der</strong>n aktiv beteiligt sind.<br />
Prof. Dr. Amina El Messaoudi (Marokko), Prof.<br />
Dr. Nour Farahat (Ägypten) und Prof. Dr. Farhat<br />
Horchani (Tunesien) gelang es unter Mo<strong>der</strong>ati-<br />
on <strong>der</strong> Bundesministerin <strong>der</strong> Justiz a.D., Prof. Dr.<br />
Herta Däubler-Gmelin, gemeinsam mit fast 200<br />
Teilnehmer/innen einen kritischen Blick auf die<br />
aktuellen Entwicklungen zu werfen.<br />
Vorbereitet wurde die Podiumsdiskussion ge-<br />
meinsam mit <strong>der</strong> Arbeitsstelle Politik des Vorde-<br />
ren Orients <strong>der</strong> Freien Universität Berlin, <strong>der</strong> Gra-<br />
duate School Muslim Cultures and Societies, dem<br />
Zentrum Mo<strong>der</strong>ner Orient sowie <strong>der</strong> Deutschen<br />
Arbeitsgemeinschaft Vor<strong>der</strong>er Orient.<br />
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SCHWERPUNKT<br />
5<br />
Podiumsdiskussion<br />
I N F O <strong>FES</strong>