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Wir sind kein Rosengarten - Ensuite

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ensuite<br />

Nr. 53 Mai 2007 | 5. Jahrgang<br />

k u l t u r m a g a z i n<br />

<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> <strong>kein</strong><br />

<strong>Rosengarten</strong> Seite 4<br />

Theaterfestival AUAWIRLEBEN!<br />

David Lynchs<br />

Alptraumbilder Seite 23<br />

Wovon «Inland Empire» handle,<br />

wisse er selber auch nicht genau...<br />

Von Spider-Man 3<br />

zu Top Gun Seite 1 - 88<br />

Viel Action in Bern


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Le Parkour II<br />

Für Kinder und Erwachsene<br />

Ein amüsanter abenteuerlicher Rundgang um die<br />

Landschaftsskulptur und das Zentrum Paul Klee.<br />

Samstag 12. Mai, 9. und 23. Juni<br />

jeweils 14 Uhr<br />

Zentrum Paul Klee, Bern<br />

www.creaviva.zpk.org<br />

<strong>Wir</strong> machen<br />

aus Gedanken<br />

Druck(kult)sachen.<br />

Kunstmuseum Bern<br />

www.kunstmuseumbern.ch<br />

telefon 031 720 51 11<br />

www.fischerprint.ch<br />

Expressionismus<br />

aus den Bergen<br />

Kirchner, Bauknecht, Wiegers und die Gruppe Rot-Blau<br />

27. April – 19. August 2007<br />

Unterstützt durch:


Impressum<br />

Herausgeber: Verein WE ARE, Bern Redaktion: Lukas Vogelsang<br />

(vl); Stephan Fuchs (sf); Anna Vershinova (av) // Claudia Badertscher<br />

(cb), Andrea Baumann (ab), Peter J. Betts (pjb), Jean-Luc<br />

Froidevaux (jlf), Till Hillbrecht (th), Michael Imoberdorf (mi), Sonja<br />

Koller (sk), Andy Limacher (al), Belinda Meier (bm), Monique<br />

Meyer (mm), Eva Mollet (ev), Magdalena Nadolska (man), Marta<br />

Nawrocka (mn), Eva Pfi rter (ep), Nicolas Richard (nr), Caroline<br />

Ritz (cr), Benedikt Sartorius (bs), Monika Schäfer (ms), Anne-<br />

Sophie Scholl (ass), Karl Schüpbach (ks), Sarah Stähli (ss), Tabea<br />

Steiner (ts), Kathrina von Wartburg (kvw), Simone Wahli (sw),<br />

Sonja Wenger (sjw) Cartoon: Bruno Fauser, Bern; Telefon 031 312<br />

64 76 Kulturagenda: kulturagenda.ch; ensuite - kulturmagazin,<br />

Bewegungsmelder AG, allevents, Biel; Abteilung für Kulturelles<br />

Biel, Abteilung für Kulturelles Thun, interwerk gmbh. Korrektorat:<br />

Monique Meyer (mm)<br />

Abonnemente: 58 Franken für ein Jahr / 11 Ausgaben. Abodienst:<br />

031 318 60 50<br />

ensuite – kulturmagazin erscheint monatlich. Aufl age: 10‘000<br />

Anzeigenverkauf: anzeigen@ensuite.ch Layout: interwerk gmbh:<br />

Lukas Vogelsang Produktion & Druckvorstufe: interwerk gmbh,<br />

Bern Druck: Fischer AG für Data und Print Vertrieb: Gratisaufl age<br />

an 350 Orten im Kanton Bern; passive attack, Telefon 031 398<br />

38 66 Web: interwerk gmbh<br />

Hinweise für redaktionelle Themen (nicht Agendaeinträge!)<br />

erwünscht bis zum 11. des Vormonates. Über die Publikation<br />

entscheidet die Redaktion. Bildmaterial digital oder im Original<br />

beilegen.<br />

Agendahinweise bis spätestens am 18. des Vormonates. Redaktionsschluss<br />

der Ausgabe ist jeweils am 18. des Vormonates.<br />

(siehe auch www.ensuite.ch - menü: veranstalter)<br />

Die Redaktion ensuite - kulturmagazin ist politisch, wirtschaftlich<br />

und ethisch unabhängig und selbständig. Die Texte repräsentieren<br />

die Meinungen der Autoren/innen, nicht jene der Redaktion.<br />

Copyrights für alle Informationen und Bilder liegen beim Verein<br />

WE ARE in Bern und der edition ■ ensuite.<br />

Redaktionsadresse:<br />

ensuite – kulturmagazin<br />

Sandrainstrasse 3<br />

3007 Bern<br />

Telefon 031 318 6050<br />

mail: redaktion@ensuite.ch<br />

www.ensuite.ch<br />

Bild Titelseite und links:<br />

Spider-Man 3 - Im Kino... (oder in diesem Heft: Seite 25)<br />

Fotos: zVg.<br />

ensuite im Mai<br />

■ Ich darf zur Berner Kulturszene nichts mehr<br />

sagen. Schliesslich erzählen böse Zungen herum,<br />

dass ich die Kultur «nicht liebe» und gegen die<br />

VeranstalterInnen – oder eben «nicht auf ihrer Seite»<br />

- bin. Überhaupt «hasse» ich die Kultur. Als ob<br />

ich mich fünf Jahre erfolgreich mit ensuite – kulturmagazin<br />

abmühe, sozusagen aus Langeweile.<br />

Was für ein Blödsinn.<br />

Kultur ist immer Politik, hat immer mit Macht<br />

zu tun, weil wir aus unserer kulturellen Ansicht und<br />

Existenz heraus Entscheide fällen. Kultur fi ndet<br />

dort statt, wo Menschen ihre Existenz defi nieren<br />

und Kultur verliert genau da ihren <strong>Wir</strong>kungskreis,<br />

wo die Käufl ichkeit einsetzt, also wo durch Geldversprechen<br />

eine Gemeinschaft eingekauft wird.<br />

Kultur MUSS und KANN nur sozialisierend und<br />

menschenvereinend sein – wenn dies nicht mehr<br />

zutrifft, gibt es an diesem Ort <strong>kein</strong>e gesunde Gesellschaftsstruktur<br />

mehr. Ob diese Gemeinschaften<br />

durch klassische Musik, die Fasnacht oder Parties<br />

erreicht werden, ist soweit unwesentlich. Logisch,<br />

dass jeder Eingriff der öffentlichen Hand – auch<br />

durch die sponsorfi nanzstarken <strong>Wir</strong>tschaftsmächte<br />

- heute dieses Leben mitdefi nieren. Vor zehn<br />

Jahren war «künstlerische Freiheit» noch ein Begriff,<br />

heute ist das kaum noch verständlich. Heute<br />

wollen Kulturschaffende Lohn und die Veranstalter<br />

ein volles Haus. Die Tagesmedien drucken polarisierende<br />

Politiker, welche über Songtexte und<br />

Karikaturen bestimmen, oder sie drucken «Z», ein<br />

Lifestylemagazin der «NZZ», welches uns suggeriert,<br />

dass Kultur nur noch luxuriöser Style ist.<br />

Kommerzkultur und Spasskultur, Geld über alles,<br />

statt Kultur. Oder ist dies wirklich der Spiegel der<br />

Gesellschaft? Die Kulturszene hält schweigend die<br />

hohle Hand hin. Die Zeit wird wieder kommen, in<br />

welcher wir «Freiheit» in die Strassen rufen und<br />

die Menschen ohnmächtig umfallen. Die Zeit wird<br />

kommen, wo wir versuchen werden, unseren Kindern<br />

zu erklären, wer und was wir <strong>sind</strong>.<br />

Meine Emotionalität bezüglich Kultur zeigt,<br />

dass ich mich persönlich betroffen fühle und darin<br />

eben lebendig bin. Es lässt mich nicht kalt. Mein<br />

Unmut über gewisse Veränderungen braucht Bewegungsfreiheit<br />

und Diskussion. Die Gesellschaft<br />

ist mir nicht egal und das hat nichts mit Idealisierung<br />

zu tun, wir mir oft vorgeworfen wird. Das ist<br />

meine Kultur.<br />

Lukas Vogelsang<br />

Chefredaktor<br />

INHALT<br />

KULTUR & GESELLSCHAFT<br />

wir <strong>sind</strong> <strong>kein</strong> rosengarten 4 | im trend <strong>sind</strong> 29<br />

LITERATUR<br />

buchpräsentation karl buchholz 10 | marina lewycka,<br />

ian mc ewan, jacques le goff / nicolas<br />

truong 13 | filosofenecke 14 | der gotthelfhandel<br />

- ein plädoyer für eine literatur, die etwas zu sagen<br />

hat 14<br />

BÜHNE<br />

fragmente einer früheren frauenbeziehung 6 |<br />

...oder war‘s ein traum? 7 | top gun 9<br />

KINO / FILM<br />

formvollendetes fürchten mit david lynch 23 |<br />

sunshine 24 | goodbye bafana 24 | spider-man<br />

3 25 | das andere kino 26<br />

MUSIK<br />

vipern - eine mörderische begierde in vier akten<br />

8 | projektorchester «my_age_night» 10 | musikfestival<br />

bern - veress 07: das dicke ende 11 | im<br />

alltagsgeräusch liegt die würze 16 | die musikalische<br />

kilbiwiese 18 | cd-tipps 19 | ECM listening<br />

post 19 | konzert-tipp 20 | eine band, so charmant<br />

wie der sommer 20<br />

LIFESTYLE<br />

insomnia 21 | fair made - fair trade - fair price 32<br />

| stadt und land: ...und im pass steht «gärtner»<br />

33 | reiseziel hotel: schokoladenhotel «cailler»<br />

im greyerzerland 35<br />

DIVERSES<br />

stadtläufer 17 | klimawandel in bern 21 | tratschundlaber<br />

25 | berner kulturmenschen: die<br />

wahrscheinlichkeit des glücks 30 | von menschen<br />

und medien / fauser cartoon 31 | jetzt aber<br />

mal langsam 34<br />

KULTUR-PUBLIREPORTAGE<br />

surreales und seelenheilende musik von ars vitalis<br />

und kud meya 57 | cîrqu‘enflex & körpertexte<br />

63 | neues vom ensemble paul klee 69<br />

STADT THUN<br />

was tun gegen gewalt an schulen? ist sterbehilfe<br />

legitim? 86<br />

KULTURAGENDA<br />

kulturagenda bern 53 | biel 81 | thun 85<br />

Kunstbeilage:<br />

artensuite ab Seite 37<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 3


fokus<br />

BÜHNE<br />

wir <strong>sind</strong> <strong>kein</strong> rosengarten<br />

Von Michael Imoberdorf - Ein Gespräch mit Beatrix Bühler von AUAWIRLEBEN (Bild: zVg.)<br />

■ Noch bis zum 6. Mai 2007 fi ndet die 25. Ausgabe<br />

des zeitgenössischen Theatertreffens AUAWIR-<br />

LEBEN statt. Seit einem Vierteljahrhundert bringt<br />

das Festival jährlich herausragende und aktuelle<br />

Theaterproduktionen nach Bern. So auch im Jubiläumsjahr<br />

(siehe Kasten am Ende des Interviews).<br />

ensuite - kulturmagazin traf sich mit Beatrix Bühler<br />

von AUAWIRLEBEN.<br />

Dieses Jahr fi ndet die 25. Aufl age des Berner<br />

Theatertreffens AUAWIRLEBEN statt. Kommen<br />

da Sentimentalitäten und nostalgische Gefühle<br />

auf?<br />

Nein, überhaupt nicht. Jubiläum ist für uns...<br />

also ... wir <strong>sind</strong> natürlich schon stolz und sagen uns<br />

«hei, das 25. Mal und das Projekt hat sich immer<br />

noch nicht abgelebt - sondern ist noch ziemlich lebendig.»<br />

Oder sogar sehr lebendig – vielleicht sogar<br />

lebendiger als früher. Aber das hat überhaupt<br />

nichts mit Geburtstagskuchen oder Champagner<br />

zu tun. <strong>Wir</strong> blicken eigentlich nicht zurück, weil wir<br />

leben hier und jetzt. Im Augenblick.<br />

«Nomen est Omen.» «Der Name ist Maxime<br />

unseres Programms.» Dies <strong>sind</strong> zwei Zitate, die<br />

auf der offi ziellen Homepage des Festivals zu lesen<br />

<strong>sind</strong>. Was assoziierst Du persönlich mit dem<br />

Begriff AUAWIRLEBEN?<br />

AUAWIRLEBEN ist für mich ein typisch ambivalenter<br />

Begriff. Er ist zerrissen - balanciert irgendwo<br />

zwischen Schmerz und Lebenslust. Die<br />

4<br />

drei Buchstaben «AUA» stehen für Schmerz und<br />

Provokation. Täglich lese ich Nachrichten, die mich<br />

denken lassen: «Mensch, dass ist ja unglaublich.»<br />

Nimm doch nur mal die Arbeiter aus Haiti in den<br />

Zuckerrohrplantagen der Dominikanischen Republik,<br />

die heute noch wie Sklaven gehalten werden.<br />

So etwas darf doch in unserer Welt nicht wahr sein!<br />

Aber auch hier in Bern - in unserem eigenen Alltag<br />

- erleben wir immer wieder Sachen, die man kaum<br />

glauben kann. Die drei Buchstaben AUA stehen für<br />

solch alltägliche Ängste, Schmerzen und Unsicherheiten;<br />

WIRLEBEN setzt diesen unsere Lebenslust<br />

und unseren Lebenswillen entgegen: Lust gegen<br />

Frust! Der Name passt zum Festival, weil wir mit<br />

unserem Programm versuchen, die Realität nicht<br />

nur aus einem Blickwinkel zu betrachten, sondern<br />

wir richten den Fokus innerhalb einer bestimmten<br />

Thematik auf den lebendigen Widerspruch, auf die<br />

verschiedensten Facetten zwischen AUA und WIR-<br />

LEBEN.<br />

Hat sich die Theaterpraxis in den letzten 25<br />

Jahren stark verändert?<br />

Oh ja, und wie! Das hat sicher einerseits mit der<br />

Entwicklung im künstlerischen Bereich selbst zu<br />

tun. Theater bleibt in der Zeit nicht stehen, sondern<br />

seine Formsprache und Ästhetik entwickeln<br />

und verändern sich mit der Wahrnehmung von Realität.<br />

Heute haben wir beispielsweise ein ganz anderes<br />

Zeitgefühl als noch vor zwanzig Jahren. Die<br />

weltweite Vernetzung bringt einen neuen Lebensrhythmus<br />

mit sich und dieser färbt auch auf die<br />

Theatersprache ab. Und es gibt eine zweite grosse<br />

Veränderung: Früher waren Theater, Tanz, Musik,<br />

Bildende Kunst usw. spartenweise eher scharf<br />

getrennt - heute verschiebt und mischt sich das,<br />

auch personell, immer mehr in Richtung performativ<br />

Experimentelles. Dies ist ein hochspannender<br />

Prozess ohne Berührungsängste.<br />

Aus welchen Altersklassen setzt sich das<br />

Publikum von AUAWIRLEBEN zusammen und<br />

hat sich die Zusammensetzung im Verlauf der<br />

Geschichte des Festivals verändert?<br />

Unser Publikum ist ziemlich bunt, die Zusammensetzung<br />

verändert sich, sogar von Aufführung<br />

zu Aufführung. Andererseits gibt es Zuschauer,<br />

die uns bereits seit den Anfängen von AUAWIR-<br />

LEBEN begleiten. Beispielsweise kenne ich eine<br />

junge Frau, die übrigens jetzt gerade in Zürich die<br />

Theaterschule abschliesst, die mit dem Festival, im<br />

Schlepptau ihrer Eltern, grossgeworden ist. Noch<br />

heute kann sie sich an Stücke und besonders eindrückliche<br />

Theatermomente erinnern. Dann gibt<br />

es auch Zuschauer, die eine bestimmte Aufführung<br />

besuchen, weil sie ein spezifi sches Thema oder<br />

eine bestimmte Produktion besonders interessiert.<br />

Erfreulich ist, dass auch extrem viele junge Leute<br />

kommen. Ich würde sogar behaupten, die Altersgrenze<br />

senkt sich – es gab in der Geschichte von<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


AUAWIRLEBEN noch nie so viele junge Zuschauer<br />

wie in den letzten Jahren.<br />

Dieses Jahr steht das Festival unter dem<br />

Motto «NEUROPA». Was ist eigentlich zuerst:<br />

Spielplan oder Motto?<br />

Spielplan und Thema des Festivals entwickeln<br />

sich in einem bewegten Prozess, dialektisch – wie<br />

man so schön sagt. Einerseits lebt man ja selbst<br />

in dieser Welt und erfährt permanent, was sich<br />

wie und wo bewegt, ob politisch oder sozial, ob<br />

gesellschaftlich oder auf das Individuum bezogen,<br />

ob massiv oder banal. Und man entdeckt, was die<br />

Gesellschaft über die Tagespolitik hinaus beschäftigt.<br />

Andererseits scheint aber «das Theater» zu<br />

spüren, was neuralgische Punkte <strong>sind</strong>: Oft setzen<br />

sich verschiedenste Theatergruppen und Spielpläne<br />

mit ähnlichen thematischen Tendenzen auseinander.<br />

Allmählich macht es dann «klick» und das<br />

Aua-Thema, der «Code» für die Fahrtrichtung ist<br />

geboren.<br />

Auf der Homepage wird das Ziel von AUA-<br />

WIRLEBEN mit dem Satz «<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> auf der Suche<br />

nach einem Theater, das auf der Höhe der<br />

Zeit und ihr voraus ist und das sich ins gesellschaftliche<br />

Leben einmischt» umrissen. Inwieweit<br />

glaubst Du, kann Theater den Alltag beeinfl<br />

ussen?<br />

Ganz einfach, indem Theater den Alltag unterbricht.<br />

Und festgefahrene Wahrnehmungsmuster<br />

ins Schleudern bringt. Man muss sich das mal vorstellen,<br />

da kommen 50 bis 200 Leute zusammen,<br />

die sich vielleicht noch nicht mal kennen, schalten<br />

ihr Handy ab und erleben zusammen ein Stück<br />

künstlerisch aufbereitete Lebenswelt. Lassen sich<br />

irritieren, überraschen, provozieren, anregen, aufregen,<br />

erheitern, berühren. Das ist einzigartig,<br />

zumal Theater <strong>kein</strong>e Grenzen kennt. Es hat, im Gegensatz<br />

zu den realen und oft trockenen Alltagsgeschäften<br />

oder einer unkreativen Realpolitik, alle<br />

Freiheiten im künstlerischen Zugriff auf unsere Lebenswelt.<br />

Theater kann alle Perspektiven in Szene<br />

setzen, die einzige Bedingung: es muss uns betreffen,<br />

lustvoll treffen. Sonst ist Langeweile angesagt<br />

oder so eine nett unverbindliche Abendunterhaltung.<br />

<strong>Wir</strong> treffen uns dieses Jahr bei AUAWIRLE-<br />

BEN mit Europa, dem ‹neuen› Europa oder Neuropa.<br />

Riesenthema, und für die Schweiz mit ihrer<br />

EU-Abstinenz speziell brisant. Aber für was steht<br />

dieser Begriff ‹Europa› denn? Migration, Fremdsein,<br />

Entwicklung der Arbeit usw. <strong>sind</strong> nicht neu,<br />

sie durchziehen die Weltgeschichte und waren bei<br />

AUA immer präsent. Aber sie erhalten eine andere<br />

Brisanz. Grenzen werden neu verlegt, ich meine<br />

jetzt nicht unbedingt die politisch-geografi sche Europagrenze,<br />

sondern Grenzen, die mitten durch die<br />

Gesellschaft gehen. Unser Programm versucht mit<br />

elf Produktionen die unterschiedlichsten Zugriffe.<br />

Sowohl ästhetisch wie thematisch. Das reicht von<br />

der rasanten Politgroteske bis zum fragilen Short-<br />

Cut, vom gerockten europäischen Urmythos Ödipus<br />

bis zur provokativen Präsentation eines neuen<br />

Lebensgefühls.<br />

Nach welchen Kriterien wird eigentlich der<br />

Spielplan von AUAWIRLEBEN zusammengestellt?<br />

Was wir wirklich nicht machen ist, einfach Produktionen<br />

von der Festivalschiene downzuladen.<br />

<strong>Wir</strong> <strong>sind</strong> auf ganz verschiedenen Ebenen zugange,<br />

da gibt es erst mal massenweise Spielpläne und<br />

laufende Ankündigungen zu durchforsten, Kritiken,<br />

Dossiers, Websites. Was machen feste Häuser, was<br />

macht die freie Szene? Und dann, das Wichtigste,<br />

wir schauen uns sehr, sehr, sehr viel Produktionen<br />

an, das heisst wir <strong>sind</strong> immer unterwegs. Und<br />

man muss, um ein Festival wie AUAWIRLEBEN zu<br />

organisieren, ein ungeheuer grosses Kontaktnetz<br />

in der «Theaterwelt» aufbauen, in dem man «surfen»<br />

kann. Das funktioniert wie ein Buschtelefon:<br />

«Das musst du dir unbedingt ansehen, das könnte<br />

etwas für euch sein!» Trotzdem behalten wir unseren<br />

eigenen Kopf, manchmal auch Dickkopf. Und<br />

zu guter Letzt ist auch täglich unser Postfach und<br />

die Mailbox voll mit Anfragen: «<strong>Wir</strong> wollen dieses<br />

und jenes Projekt, habt ihr Interesse?» oder «<strong>Wir</strong><br />

haben dies und das gemacht, kommt doch mal<br />

schauen.»<br />

AUAWIRLEBEN zeigt experimentelles Theater.<br />

Das Naturell des Experiments schliesst die<br />

Möglichkeit des Scheiterns mit ein. Gab es in<br />

der Geschichte von AUAWIRLEBEN Produktionen,<br />

die scheiterten?<br />

Durchaus. Unser Programm ist eine Mixtur aus<br />

bestehenden Produktionen, die wir je nach Visionierung<br />

einladen, und aus Co-Produktionen, an denen<br />

wir uns selbst beteiligen. Das heisst, im ersten<br />

Fall kennen wir also die Inszenierung, und man hat<br />

bereits am eigenen Leib die Faszination einer Aufführung<br />

erlebt. Trotzdem kann es dann bei AUA<br />

plötzlich schiefgehen. Das liegt ganz einfach daran,<br />

dass sich Theater nun mal nicht konservieren<br />

lässt: das kann manchmal nur eine schlechte Tagesform<br />

sein, oder die Produktion wurde früh von<br />

uns gesichtet und mittlerweile kaum gespielt und<br />

der «Spirit» ist wie weggeblasen. Aber auch das<br />

Gegenteil ist möglich, dass eine Gruppe am Festival<br />

noch mal zulegt und richtig aufblüht. Nimm<br />

zum Beispiel, letztes Jahr bei uns im Programm,<br />

«Das Eis» von Alvis Hermanis: Ich habe die Gruppe<br />

in Frankfurt nicht so phänomenal spielen sehen<br />

wie dann bei Aua! Das war eine Sternstunde! Oder<br />

richtiger, dreieinhalb Sternstunden, so lange dauerte<br />

das Stück.<br />

Bei Co-Produktionen liegt die Sache anders.<br />

Künstler stellen uns konkrete Projekte vor, und<br />

wenn uns die Gruppe und ihr Konzept überzeugt,<br />

steigen wir ein. Die Produktion kommt dann entweder<br />

direkt bei uns am Festival heraus oder zu<br />

einem Zeitpunkt, wo das Festivalprogramm schon<br />

steht. Wenn wir uns also an einem Projekt beteiligen,<br />

teilen wir auch das Risiko. Klar, das Projekt<br />

kann vielleicht scheitern. Scheitern gehört zum<br />

Theater, Theater kann am wenigsten das Gelingen<br />

vorprogammieren. Und ausserdem gibt es total<br />

verschiedene Arten des Scheiterns. Eine Produktion<br />

kann grandios scheitern, man schaut gebannt<br />

der Aufführung zu - was da auf der Bühne abgeht,<br />

ist ungeheuer mutig und eigenwillig, aber kriegt<br />

einfach nicht die Kurve. Oder das langweilige<br />

Scheitern, man empfi ndet den Abend als steril,<br />

verstaubt, als Wiederholung des immer Gleichen.<br />

Gibt es eine bestimmte Produktion im diesjährigen<br />

Spielplan, die Dir besonders am Herzen<br />

liegt?<br />

Ich glaube, man hat am meisten vom Festival,<br />

wenn man möglichst viele Produktionen sieht.<br />

Wie bei einem Kaleidoskop öffnet jede Aufführung<br />

einen anderen Blick auf die <strong>Wir</strong>klichkeit. Es ist<br />

hochspannend zu sehen, wie sich die verschiedenen<br />

Perspektiven der elf Produktionen zu einem<br />

jeweils neuen Bild der Realität zusammensetzen.<br />

Wie das eine mit dem anderen zusammenhängt.<br />

Mit dem Festivalpass bieten wir zudem ein extrem<br />

günstiges Angebot, alle Produktionen zu sehen.<br />

AUAWIRLEBEN ist eine tolle Chance, um mit geringem<br />

fi nanziellen Aufwand viel gutes Theater zu<br />

erleben.<br />

Auf der offi ziellen Homepage wird das Festival<br />

allegorisch als «hartnäckiges Unkraut, das<br />

jeweils zehn Tage im Jahr dem bestehenden<br />

Blumenmeer entgegenwirkt» charakterisiert.<br />

Das hat ein Kollege von mir geschrieben. Ich<br />

glaube schon, dass AUAWIRLEBEN etwas Wildwuchs-<br />

und Unkrauthaftes hat. Obwohl AUAWIR-<br />

LEBEN heute ein etabliertes Festival ist, ist es nicht<br />

etwa ein <strong>Rosengarten</strong>; bei uns gibt es <strong>kein</strong>e abgezirkelteten<br />

Blumenbeete und wir brauchen <strong>kein</strong>e<br />

Gartenzäune.<br />

Beatrix Bühler, besten Dank für das Interview.<br />

Spielplan von AUAWIRLEBEN, Mai<br />

Liebes Ferkel, ... Briefe an eine Hure: Di., 1.5.;<br />

Ostmark: Di., 1.5. und Mi., 2.5.; Schweiz küsst<br />

Türkei: Di, 1.5. und Mi., 2.5.; Orpheus, illegal: Mi.<br />

2.5. und Do., 3.5.; Nafta!: Fr., 4.5. und Sa. 5.5.;<br />

Montana: Sa., 5.5. und So., 6.5.; Head over heels<br />

/ cu capu’n nori: Sa., 5.5. und So., 6.5.<br />

Rahmenprogramm (in der Turnhalle im Progr)<br />

Bis zum 4. Mai 07 präsentieren eingeladene<br />

MusikerInnen, Autoren/Autorinnen und PerformerInnen<br />

allabendlich (ausser sonntags)<br />

zwischen 22:00 und 22:15 h ihr favorisiertes<br />

Europa(traum)land (Eintritt frei!). Am Freitag,<br />

den 4. Mai, steigt ab 22:00 h die grosse AUA WIR<br />

FEIERN – Europaparty. Die Turnhalle ist übrigens<br />

auch der Ort, an dem sich SchauspielerInnen,<br />

Regisseure usw. während des Festivals bevorzugt<br />

aufhalten und ist somit der ideale Treffpunkt für<br />

KünstlerInnen und Publikum<br />

Weitere Informationen zu Stücken, Spielorten,<br />

Vorverkauf usw. fi nden sich auf der offi ziellen<br />

Homepage von AUAWIRLEBEN:<br />

www.auawirleben.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 5


veranstaltungen<br />

BÜHNE<br />

fragmente einer früheren<br />

frauenbeziehung<br />

Von Jean-Luc Froidevaux (Bild zVg.)<br />

■ Catriona steht im neonbeleuchteten Keller. Sie<br />

führt eine mit Landschaftsmotiven bemalte Porzellantasse<br />

an ihre Lippe, deutet das Nippen an,<br />

indem sie kaum sichtbar ihr Handgelenk dreht:<br />

«..das kann jedem mal passieren, dass er Geschirr<br />

zerschlägt, aber man sagt es!» Sie setzt die Tasse<br />

so sanft auf den Unterteller ab, als baue sie an einem<br />

fragilen Kartenhaus, während sie sich Brigitta<br />

zuwendet, die etwas abseits auf einem schweren<br />

Holzstuhl sitzt. Im hinteren Teil der improvisierten<br />

Bühne türmen sich Blumenkisten zu einer durchbrochenen<br />

Mauer, in deren Ritzen, die sonderbarsten<br />

Gegenstände stecken. Requisiten. Griffe von<br />

Silbermesser schlagen mit metalligem Geräusch<br />

aneinander, als Brigitta sie trockenreibt: «Das Fräulein<br />

hat immer darum gebeten, Sorge zu tragen....»<br />

Brigitta wägt die Vorteile als Magd zu arbeiten gegen<br />

dessen Nachteile ab. «Die im Büro <strong>sind</strong> halt<br />

besser angesehen und in der Drogerie nennen sie<br />

ein Fräulein..» schwärmerisch: «...Fräulein Schnyder.»<br />

«Ich werde ein Pferd kaufen!» Catriona tut<br />

einen energischen Schritt auf Brigitta zu, stockt,<br />

wendet sich nach vorne «Nein, nein. Ich fi nde das<br />

kommt jetzt zu stark aus dem ‹fuuuiiiiii›», bläst<br />

Luft durch ihre Backen und malt mit den Armen<br />

Kreise in die Höhe. Vorne im Raum sitzen Elsabe,<br />

Jeannette und Chasper und beobachten jede Regung<br />

der beiden Frauen. Elsabe fi xiert ihren Körper<br />

am äussersten Rand des Stuhls, angespannt<br />

wie eine Saite über einem Instrument. Der Tisch ist<br />

mit Papieren übersät; Biographien, Interviewzitate,<br />

fi ktive Dialoge, die Stefanie geschrieben hat. Verstehen<br />

die Zuschauer, dass das Fräulein das Pferd<br />

erwähnt, weil sie befürchtet, Marie, die Magd, wolle<br />

sie verlassen? «Ich gebe eine Version», Catriona<br />

setzt nochmals ein: «Marie...Marie. Ich werde ein<br />

Pferd kaufen!» Sie wechselt die Intonation, die Gewichtung,<br />

den Rhythmus. Wie viele Bedeutungen<br />

6<br />

so ein simpler Satz haben kann! Elsabe notiert in<br />

ihren Text: «Die Frage ist: wann musst Du sie ansprechen?<br />

Du denkst, sie will gehen.» Schwierig<br />

abzustimmen, da Brigitta hinter Catriona sitzt, sie<br />

sie nicht sieht. «Sollte ich für diese Arbeit nicht<br />

noch einen Kübel haben, Chasper?» Gemeinsam<br />

entscheidet man sich gegen weitere Requisiten.<br />

Die beiden Darstellerinnen setzen sich zu den anderen<br />

und schreiben in ihre Textblätter. «Wie hart<br />

ist der Mundart-Ausdruck ‹Schimpfen› eigentlich?»<br />

Und das ‹Fräulein Schnyder› kennt man ja bloss als<br />

‹Marie›. «Kommt die Stelle, wo sie vom Weggehen<br />

spricht nicht sowieso vor dieser?» Catriona setzt<br />

ihre silbern gefasste, fi ligrane Lesebrille auf und<br />

durchsucht den Berg Papiere während im Hintergrund<br />

Chasper zwei Blumenbeete neu auftürmt.<br />

Ein Bleistift rollt über den Holzbelag, rattert durch<br />

die Stille der Gedanken. Gedanken darüber, wie<br />

aus lauter Fragmenten ein, nein zwei Leben, eine<br />

Beziehung erzählt werden kann? Welche Fragmente<br />

im fertigen Stück vorkommen werden? Wie sie<br />

miteinander in Beziehung gebracht werden?<br />

«Licht für das nächste Bild!» Brigitta schüttet<br />

Erde in ein Blumenbeet, lockert und verteilt<br />

sie mit den Händen, Catriona sitzt auf dem Stuhl<br />

und kritzelt auf einen Block. «Ist das jetzt noch<br />

Catriona oder schon das Fräulein?» «Ich dachte,<br />

das Fräulein sollte auch einmal etwas tun....könnte<br />

ja sein, dass ich Aufgaben notiere...oder etwas inventarisiere»,<br />

sie steht auf und läuft herum «Nein,<br />

das sieht aus, als würdest Du Gedichte schreiben.»<br />

Catriona übertreibt das Spiel, indem sie stehenbleibt,<br />

in einem fi ktiven Himmel nach Formulierungen<br />

sucht. Lachen. Sie diskutieren darüber, dass<br />

Marie immer an der Arbeit gezeigt wird. Jeannette<br />

meint, man könne dies durch eine Skulptur mit angehäuften<br />

Ausstössen davon ad absurdum führen,<br />

etwa ein Haufen gerüsteter Rübli. Eine Idee gibt die<br />

andere. Lachen, Husten, das Knistern eines Schokoladepapiers.<br />

Und schliesslich wieder Ruhe. «Auf<br />

Position!» Brigitta muss jetzt im Vordergrund auf<br />

den Knien an ihren Blumenbeeten weiterarbeiten,<br />

während Catriona aus dem imaginierten Liegestuhl<br />

mit ihr den Dialog spricht. «Könnte man die<br />

Blumenbeete nicht als Grab lesen, so missverstehen,<br />

als ob Marie am Tod des Fräuleins arbeitet?»<br />

«Das ist jetzt aber weit her geholt.» «Und wenn<br />

über die Aufführungen hinweg aus der Blumenkiste<br />

etwas wachsen würde?» Brigitta sichtbar unwohl<br />

auf ihren Knien: «Ich lasse jetzt den Anfang<br />

mit der Rosi mal weg, sonst stimmt der Anschluss<br />

nicht, das ist ja eine andere Ebene. Wie markieren<br />

wir den Wechsel von der Erzählung zur Spielszene?»<br />

«Wie wäre es mit einem harten Schnitt?»<br />

Catriona dreht den Stuhl um und sitzt verkehrt herum<br />

drauf. «....sollte diese Passage nicht vom Band<br />

eingespielt werden?» Irgendwo gab es doch noch<br />

den Satz mit dem Soldaten, in den sie sich verliebt<br />

hat, der würde hierhin passen. Erneut werden Seiten<br />

geblättert, gedreht und wieder gemischt, als<br />

gälte es, die Lebensgeschichten der beiden Frauen<br />

ineinanderzufalten. Elsabe wird ihre Karteikarten<br />

mit den Textfragmenten mitbringen zur nächsten<br />

Probe.<br />

Fragmentarische Aufzeichnungen der Proben<br />

zum Theaterstück «Die Magd und ihr Fräulein» mit<br />

Catriona Guggenbühler und Brigitta Weber. Nach<br />

einer wahren Begebenheit Mitte des letzten Jahrhunderts<br />

in der Schweiz. Regie: Elsabe Stange,<br />

Text: Stefanie Grob, Bühne: Chasper Bertschinger,<br />

Kostüme; Jeannette Seiler, Licht: Martin Brun.<br />

15. - 19. Mai, 20:30 h, im Theater Tojo in der Reitschule.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


BÜHNE<br />

...oder war‘s ein traum?<br />

Ein Gespräch zwischen Matthias Kuhn und Michael Fankhauser (Bild: Till Hillbrecht)<br />

■ Das Stück «Der Traum» wurde 1767 von Michael<br />

Haydn (Musik) und Florian Reichsiegel (Szenario)<br />

kreiert. Nun wird es als Projekt des Institutes<br />

für Transdisziplinarität Y der HKB in der Café-Bar<br />

Turnhalle im PROGR zur Aufführung gebracht. Der<br />

musikalische Leiter, Matthias Kuhn, und der Mitinhaber<br />

der Turnhalle, Michael Fankhauser, sprechen<br />

über Träume, wie die Konfrontation dieser mit der<br />

Realität funktioniert und wie sie sich in der Turnhalle<br />

oder in der Musik umsetzen lassen.<br />

Matthias Kuhn: Träumst Du im Schlaf von der<br />

Turnhalle?<br />

Michael Fankhauser: Nicht nur im Schlaf, aber<br />

auch. Anfangs, als ich noch viel hinter dem Tresen<br />

stand, hab ich geträumt, ich sei in der Turnhalle<br />

irgendwo am Liegen und Träumen, doch hörte ich<br />

die Leute schwatzen und wusste, die warten auf<br />

meine Bedienung. Jetzt <strong>sind</strong> es eher Tagträume,<br />

morgens nach dem ersten Aufwachen, was man<br />

alles noch machen könnte in der Turnhalle...<br />

Und in welche Richtung denkst Du da, mehr<br />

Musik und Theater oder mehr Gastronomie oder<br />

am Ende eine echte Verbindung von beidem? Die<br />

Schwierigkeit, dass eigentlich so vieles möglich<br />

wäre, habe ich nicht zuletzt bei unserer Haydn-<br />

Traum-Produktion so hautnah erlebt: Man muss<br />

sich einfach irgendwann entscheiden, was man<br />

weglässt.<br />

Ja, dies ist eines der Haupthemen in einem<br />

Raum wie der Turnhalle, es kommen einem viele<br />

Ideen und dann kommen Leute mit noch viel mehr<br />

Ideen. Diese <strong>sind</strong> so verschieden, wie die Menschen,<br />

die in die Turnhalle kommen. Auch meine<br />

persönlichen Träume lassen sich schwer einer<br />

Gattung zuschreiben. Meistens <strong>sind</strong> es wohl gestalterische<br />

Ideen.<br />

Alles lässt sich nicht unter ein Dach bringen,<br />

zeitlich, räumlich und fi nanziell werden uns immer<br />

wieder Grenzen gesetzt und dann ist da noch die<br />

Schwerkraft!<br />

Aber die Träume, die bis jetzt schon realisiert<br />

wurden, zeigen immer wieder, dass es noch unzählige<br />

Möglichkeiten gibt, es immer wieder geben<br />

wird. Das kennst Du ja auch.<br />

Ja, das kenn ich gut. Doch zum Glück gibt’s<br />

eben auch Dinge wie die Schwerkraft, sie ist<br />

einfach, ohne Wenn und Aber. Nur in den kühnsten<br />

Träumen kann man sie weglassen. Aber sie<br />

macht zum Beispiel den Unterschied zwischen<br />

einem Auftakt und einem Abtakt. Ein wenig<br />

Klarheit in all den Übergängen. Noch nicht klar,<br />

ob man noch im Traum ist, oder schon erwacht:<br />

das <strong>sind</strong> Momente des Übergangs. Kennst Du<br />

das auch in Deiner Arbeit in der Turnhalle?<br />

Das ist genau, was ich oben schon beschrieben<br />

habe. Da geht es dann auch manchmal ganz schön<br />

ins Detail, wie man zum Beispiel die Abwasch<br />

maschine anheben könnte, damit der Abfl uss hoch<br />

genug liegt. Auch hat mir unsere neue Installation,<br />

der Pegasus, etwas Kopfzerbrechen gemacht, wie<br />

wir ihn so aufhängen könnten, dass man ihn nach<br />

Bedarf auch schnell wieder runternehmen kann.<br />

Solche Tüfteleien drehen sich in meinem Kopf,<br />

wenn ich morgens noch etwas länger im Bett liegen<br />

kann und zwischendurch auch wieder einnicke<br />

- und plötzlich taucht eine Möglichkeit aus den<br />

Untiefen meines Schlafes auf. Woher ist die jetzt<br />

gekommen...?<br />

Wie in Proben mit einem Orchester: Man arbeitet<br />

an einer gewissen Stelle, wird genauer und<br />

genauer, hat «es» aber noch nicht gepackt. Dann<br />

dreht die Musik in meinem Kopf, macht lustige<br />

Spiralen und erfi ndet sich so selber neu. Und am<br />

nächsten Tag in der Probe ist doch mehr verändert,<br />

als man tags zuvor den Eindruck hatte.<br />

Dieser Zustand des Tagträumens hat eine unverwechselbare<br />

Qualität!<br />

Das Schöne bei Dir und bei mir ist ja auch,<br />

dass wir immer mit anderen zusammenarbeiten.<br />

Da bringt jeder wieder seine eigenen Träume mit<br />

hinein. Das hab ich meistens als sehr fruchtbar<br />

empfunden. Und auch wenn man sich am Anfang<br />

noch nicht sehr einig ist, oder sich etwas ganz anderes<br />

vorgestellt hat, am Schluss ist es gut, was<br />

man gemeinsam auf die Beine gestellt hat. Wie in<br />

einem Traum, in dem uns manchmal die Kapriolen<br />

des Unterbewusstseins überraschen, verblüffen<br />

uns die Mitdenker und -helfer auch wieder. Sich auf<br />

das einzulassen ist, dem Unterbewusstsein Raum<br />

und Zeit zu geben.<br />

Oh ja, neugieriges Annehmen von allem, was<br />

auf einen zukommt, ist wohl Grundsatz eines<br />

jeden Träumers. In meinem Traum vom «Traum»<br />

veranstaltungen<br />

gab es den entscheidenden Moment, als ich das<br />

erste Mal die Turnhalle im PROGR betreten habe.<br />

Ich wusste «schlafwandlerisch»: Hier muss dieses<br />

Stück stattfi nden. Kannst Du mir beschreiben,<br />

weshalb wohl dieser Raum so viele Leute<br />

zum Träumen anzieht und wovon Du geträumt<br />

hast, als Du die Café-Bar eingerichtet hast?<br />

Es liegt ein grosses Potenzial in diesem nicht<br />

klar defi nierten Raum. Vieles ist in Ansätzen<br />

vorhanden, anderes wurde wieder entfernt. Etwas<br />

fängt an, ist noch unvollkommen oder geht wieder<br />

zu Ende. Diese Offenheit ermöglicht es, zu träumen.<br />

Offenheit ist das eine, das andere ist aber die<br />

Person, die Schlummerndes weckt, dort auch Potenzial<br />

sieht und nicht nur ein eingeschlafenes<br />

Wesen.<br />

Mit Musik ist das ja genau gleich; Du bist ja auch<br />

immer am Erwecken von schlummernden Noten.<br />

Und einige mögen eher ein sanftes Streicheln<br />

über den Notenkopf und andere muss man mit<br />

Trommeln und Hörnern aus den Armen Morpheus<br />

reissen.<br />

«Der Traum» wird Anfang Mai Realität. Gibt<br />

es einen speziellen «Dream-Drink», um sanft<br />

aufzuwachen oder den Traum zu verlängern<br />

nach den Vorstellungen?<br />

Darüber hab ich noch nicht nachgedacht. Kann<br />

mir aber vorstellen, dass es ganz verschiedene<br />

Wege gibt, um in die Gegenwart zurückzufi nden.<br />

Ich muss zugeben: Da bin ich relativ simpel<br />

gestrickt: Ein Bier nach einem Konzert oder einer<br />

Vorstellung ist einfach was Herrliches. Und<br />

das gibt’s ja dann sozusagen auf der Bühne.<br />

Oper: «Der Traum - Ein phantastisches Treiben»<br />

Musik: Michael Haydn (1737-1806)<br />

Szenario: Floriab Reichsiegel (1735-1793)<br />

Musikalische Leitung: Matthias Kuhn<br />

Inszenierung: Kurt Dreyer<br />

Video: Samuel Stoll, Simon Baumann<br />

Technik: Christof Arnold, Nathalie Oesch<br />

Ensemble Y der HKB<br />

10.-12. Mai, jeweils 19:30 h / Turnhalle, PROGR<br />

Vorverkauf: 031 634 93 61 oder rita.weber@hkb.<br />

bfh.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 7


veranstaltungen<br />

OPER<br />

vipern – eine mörderische<br />

begierde in vier akten<br />

Von Belinda Meier (Bild: zVg.)<br />

■ «Vipern», das Libretto von Tim Coleman und<br />

Christian Jost, welches im Januar 2005 in Düsseldorf<br />

uraufgeführt wurde und vergangenen Monat<br />

seine Schweizer Erstaufführung hier im Berner<br />

Stadttheater verbuchen durfte, basiert auf dem<br />

englischen Theaterstück «The Changeling» (Der<br />

Wechselbalg, 1622) von Thomas Middleton und<br />

William Rowley.<br />

«The Changeling», das zur Tradition des elisabethanischen<br />

Theaters gehört, besteht hauptsächlich<br />

aus zwei Handlungssträngen – einer tragischen<br />

und einer komischen. Diese gehen weniger eine<br />

Symbiose ein, als dass sie vielmehr kontrastierend<br />

in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen.<br />

Der Hauptplot spielt im Schloss des reichen<br />

Edelmannes Vermandero, dessen Tochter Beatrice<br />

die Ergebenheit ihres Dieners De Flores nutzt, um<br />

ihre Pläne durchzusetzen. Sie, die entsprechend<br />

dem Wunsch ihres Vaters mit Alonzo de Piracquo<br />

verheiratet werden soll, liebt einen anderen: Alsemero,<br />

der ebenfalls in Liebe zu ihr entbrannt ist.<br />

Um diesem Liebesglück den Weg zu öffnen, setzt<br />

Beatrice alle Hebel in Bewegung, wirft die Moral<br />

über Bord und wird zur Verbrecherin. Indem sie einen<br />

Pakt mit De Flores eingeht, gerät sie aber in einen<br />

Teufelskreis. De Flores, Beatrices Komplize und<br />

«Mordwerkzeug», lässt sich nach Ausführung des<br />

mörderischen Plans nicht so schnell abschütteln,<br />

wie sich das Beatrice womöglich vorgestellt hat.<br />

Er, selbst von Beatrice hingerissen, will sie nach<br />

der Beseitigung Alonzos nicht einfach Alsemero<br />

überlassen. Durch den Pakt und den vollbrachten<br />

8<br />

Mord ist es ihm gelungen, das Verhältnis zu wenden:<br />

Nicht mehr er ist ihr untergeben, sondern sie<br />

seine «Untergebene», womit das teufl ische Spiel<br />

seinen Lauf genommen hat.<br />

Die Nebenhandlung spielt im Tollhaus, welches<br />

sich in den Gemäuern unterhalb des Schlosses befi<br />

ndet. Hier wird mittels der irren Insassen eine Art<br />

Gegenwelt zur oberen «normalen» Welt präsentiert.<br />

Die Komik, die hier unten durch bestimmte<br />

Handlungen generiert wird oder bereits durch spezifi<br />

sche Charakteren gegeben ist, kontrastiert die<br />

Figuren und deren Handlungen der Schlossbewohner,<br />

wodurch der Eindruck einer verkehrten Welt<br />

entsteht. Das Tollhaus zeigt durch Sittenlosigkeit,<br />

Triebhaftigkeit und wertefreies Denken eine Gegenwelt<br />

zur gesitteten, scheinbar geordneten Welt<br />

in Vermanderos Schloss auf. Auffallend ist aber,<br />

dass sich die scheusslichen Verbrechen nicht im<br />

Tollhaus, sondern in der «normalen» Welt ereignen.<br />

Die Welt ist verkehrt: Das Unberechenbare,<br />

Angstauslösende und Beklemmende, das unterbewusst<br />

dem Tollhaus angelastet wird, ist nun Teil<br />

der «normalen» Welt, wohingegen die Welt der Irren<br />

zum Ort der Unschuld wird.<br />

Die verkehrte Welt ebenso wie das Zusammenspiel<br />

dieser beiden Handlungsstränge, das durch<br />

den Kontrast von Komik und Tragik zur Entfaltung<br />

seiner <strong>Wir</strong>kung gelangt, gehört zum Bestandteil<br />

elisabethanischen Theaters. Merkmale dieses<br />

Theaters <strong>sind</strong> zudem eine sparsam dekorierte<br />

Bühne, grosse Symbolhaftigkeit des Dargestellten<br />

sowie eine atmosphärische Gestaltung durch Ge-<br />

räusche – alles Elemente, die in die Oper «Vipern»<br />

aufgenommen wurden. Das Bühnenbild, bestehend<br />

aus drei verschiebbaren, verzerrten Spiegelwänden<br />

und einer grossen Drehscheibe am Boden,<br />

reicht aus, um das Dargestellte auf bestmögliche<br />

Art wirksam zu machen. Die Spiegelwand ermöglicht<br />

es, durch die Farbauswahl des einstrahlenden<br />

Lichts je nach Stimmung die richtige Atmosphäre<br />

zu schaffen, während die Verzerrung des Spiegelbildes<br />

das Böse und Unberechenbare der Figuren<br />

untermauert. Die Drehscheibe ist in vielerlei Hinsicht<br />

von grosser Symbolhaftigkeit. Sie bewegt<br />

sich im Uhrzeigersinn, «reisst» dabei die Figuren<br />

mit sich, wodurch die Veränderung beziehungsweise<br />

der Wechsel verdeutlicht wird, der eine<br />

bestimmte Tat auszulösen vermag – gleich einem<br />

Stein, der einmal ins Rollen gebracht, nicht mehr<br />

gestoppt werden kann. Dieselbe Scheibe symbolisiert<br />

auch den Teufelskreis, in den Beatrice (Eilana<br />

Lappalainen) durch den Pakt mit De Flores (Claudio<br />

Otelli) unweigerlich hineingerät. Sie, die sich zu<br />

ihm hingezogen fühlt, sich gleichzeitig aber auch<br />

vor ihm ekelt, erliegt schliesslich dem Bösen und<br />

gerät in den Sog des Teufelkreises. Die Ambivalenz<br />

ihres Wesens wird durch Stimme, Wort und Geste<br />

raffi niert erkenntlich gemacht und lange Zeit im<br />

Gleichgewicht gehalten, was die Spannung steigert<br />

und den endgültigen Fall ins Böse umso dramatischer<br />

erscheinen lässt.<br />

Symbolkraft weisen auch die Kostümfarben auf,<br />

die in Vermanderos Schloss vorwiegend schwarz<br />

und im Tollhaus gänzlich weiss ausfallen.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


De Flores, den Beatrice mit «Viper» und «Schlange»<br />

betitelt, präsentiert ein weiteres gutes Beispiel<br />

für den symbolischen Charakter seines Namens.<br />

So kann die «Viper» einerseits mit der Schlange<br />

des Sündenfalls verglichen werden und andererseits<br />

symbolisch für das Triebhafte und Körperliche<br />

stehen – beides Charaktereigenschaften, die<br />

in die Figur De Flores’ eingefl ossen <strong>sind</strong> und die<br />

derselbe gesanglich wie schauspielerisch treffend<br />

umsetzt.<br />

Die Oper «Vipern» hält sich im Hauptplot sehr<br />

genau an die Vorlage, wohingegen der Subplot<br />

freier interpretiert und schliesslich zugunsten des<br />

Genres Oper dramatisch enger mit dem Hauptplot<br />

verknüpft wurde. Des Weiteren werden neue Figuren<br />

eingeführt, wie beispielsweise die drei verrückten<br />

Dichterinnen, welche das Tollhaus als Gegenwelt<br />

deutlicher machen.<br />

Die passende Musik realisiert Christian Jost<br />

mittels spezieller Klänge, die gänzlich ohne<br />

Schlagwerk, Harfe, Klavier oder sonstige Tasteninstrumente<br />

auskommen. Zu dieser Auswahl und der<br />

daraus erzielten <strong>Wir</strong>kung sagt Jost: «Ich verwende<br />

ausschliesslich Bläser und Streicher. Die Sänger<br />

erwachsen aus dem Orchesterklang, welcher sich<br />

wiederum aus den Gesangsstimmen heraus entwickelt.»<br />

Diese harmonische Verbindung von Stimme<br />

und Klang wird auch dort deutlich, wo Figurengeräusche<br />

klanglich umgesetzt werden, wie etwa<br />

das Zischen und Schnauben der Schlange. Josts<br />

musikalische Komposition, die unzählige Stimmungen<br />

in ihren Feinheiten zu erzeugen vermag, bietet<br />

ein wahres Hörerlebnis und setzt darüber hinaus<br />

den Zuschauer in Faszination über das grossartige<br />

Können des Dirigenten Hans Drewanz .<br />

«Vipern» ist die erste grosse Oper von Christian<br />

Jost, der zurzeit zu den meistbeschäftigten zeitgenössischen<br />

Komponisten Deutschlands gehört.<br />

Die Oper ist noch bis Ende Mai im Stadttheater zu<br />

sehen.<br />

«Vipern – Eine mörderische<br />

Begierde in vier Akten»<br />

Musik: Christian Jost<br />

Libretto: Tim Coleman und Christian Jost<br />

Musikalische Leitung: Hans Drewanz<br />

Inszenierung: Eike Gramss<br />

Bühnenbild und Kostüme: Gottfried Pilz<br />

Informationen:<br />

Stadttheater Bern, www.stadttheaterbern.ch<br />

Aufführungen: 28./30.April, 2./8./19. & 25.Mai<br />

Reservationen:<br />

www.bernbillett.ch oder 031 329 52 52<br />

BÜHNE<br />

top gun<br />

Von Magdalena Nadolska – Eine Jagdfl ugschule, dann Tom Cruise, jetzt ein<br />

Theaterstück im Tojo. (Bild: zVg.)<br />

■ Wer kennt den Film nicht? Der junge Tom<br />

Cruise in Kampffl iegeruniform wird von Kelly Mc-<br />

Gillis umarmt. Dazu die Schnulze «Take my breath<br />

away». Schade, dass man hier <strong>kein</strong>e Toneffekte<br />

einbauen kann, denn an dieser Stelle kämen die<br />

langsamen tadada, tadada, tadada des Synthesizers,<br />

bevor erneut ein «Take my breath away»<br />

folgt. Ach! Doch zurück zum Film. 1986 erschienen,<br />

spielte «Top Gun» als weltweiter Erfolg 350<br />

Millionen Dollar ein. Der Klassiker ist das Resultat<br />

einer Kooperation zwischen Hollywood und dem<br />

Pentagon: Nachdem die Produzenten ihr Projekt<br />

den Navy-Admiralen vorgestellt haben, zeigte sich<br />

das Militär begeistert über einen imagefördernden<br />

und actiongeladenen Kinofi lm. Bereitwillig wurden<br />

Piloten, Techniker, Berater, Flugzeugträger und<br />

Fliegerstaffeln zur Verfügung gestellt. Dementsprechend<br />

wurde dem Pentagon ein Mitspracherecht<br />

beim Drehbuch eingeräumt.<br />

Wie erwartet stiegen die Rekrutierungszahlen<br />

bei der Navy nach der Ausstrahlung des Films erheblich<br />

an. Kein Wunder, im Film wird der Krieg als<br />

sauber, cool und funky dargestellt und bringt Verluste<br />

vor allem auf der Seite des Feindes. Schauplatz<br />

des Films ist die United States Navy Fighter<br />

Weapons School, besser bekannt als Top Gun. Es<br />

ist die Elite-Jagdfl ugschule der United States Navy<br />

und wurde gegründet, um Piloten bessere Lufttaktik<br />

beizubringen. Damit sollten die relativ schlechten<br />

Leistungen der Jagdfl ieger im Vietnamkrieg<br />

vergessen werden. Die Top-Gun-Helden im Film<br />

<strong>sind</strong> sexy und Werten wie Individualismus, Ehre<br />

und Teamplay verpfl ichtet. Die Kampffl iegerei wird<br />

als Extremsport dargestellt. Nicht zuletzt hat der<br />

Krieg in der Darstellung Hollywoods auch eine integrative<br />

Kraft. Seite an Seite kämpfen Weisse und<br />

Schwarze aus sämtlichen Bevölkerungsschichten<br />

veranstaltungen<br />

– eine soziale Leistung des Militärs.<br />

Die Theatergruppe «Konsortium & Konsorten»<br />

mit Regisseur Wolfgang Klüppel, will den «Top<br />

Gun»-Film nachspielen und untersucht damit die<br />

Hintergründe, die Attraktivität und das Funktionieren<br />

des «War-Entertainments» aus Hollywood.<br />

Der Theaterabend mit der Textfassung von Leis<br />

Bagdach soll viel Show, videoclipartige Szenen<br />

und Sound-Berieselung bieten. Es geht nicht um<br />

Naturalismus, sondern um formale Überhöhungen<br />

hinsichtlich der Figuren und Szenen. «MTV-Ästhetik<br />

goes Theater.» Räume und Situationen werden<br />

durch Sound (Musik: Pascal Nater) und gelesene<br />

Regiebuch-Anweisungen entstehen. Man will jedoch<br />

nicht mit den Bilderwelten des Films konkurrieren<br />

- das Publikum kennt die Bildmaschinerie<br />

Hollywoods sowieso aus dem Eigengebrauch.<br />

Die drei Schauspieler André Benndorff, Thomas<br />

Müller und Tom Ott und die Schauspielerin Ariadna<br />

Montfort spielen im Fokus einer Videokamera die<br />

Rollen und Situationen des Films. Sie versuchen<br />

authentisch in diesen Rollen zu sein und zerbrechen<br />

dabei immer wieder am Klischee und Pathos<br />

der Filmsprache. Gleichzeitig haben sie auch die<br />

Möglichkeit sich gegenseitig für die Kamera zu inszenieren.<br />

Es wird hin- und heroszilliert zwischen<br />

den Spiegelwelten unserer heutigen Medienkultur<br />

und der realen Nacktheit eines leeren Theaterraumes.<br />

«Konsortium & Konsorten» wurde im Mai 2006<br />

gegründet und bezeichnet sich als «eine Gelegenheitsgesellschaft<br />

von Schicksalsgenossen zur<br />

Erfüllung eines zeitlich und sachlich begrenzten<br />

Zwecks!» Ein spontan-dynamisches Reagieren auf<br />

Zeitgeist und modernste Trendforschung stehen<br />

im Mittelpunkt ihrer Arbeit. Die Projekte folgen<br />

«weder einem ideologischen Manifest noch einem<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 9


veranstaltungen<br />

ästhetischen Dogma bzw. weder einem ideologischen<br />

Dogma noch einem ästhetischem Manifest!»<br />

Die bisherigen Produktionen von «Konsortium &<br />

Konsorten» waren 2005 «Lost in Romance» und<br />

«Lost in Future» in der Mansarde des Stadttheaters<br />

Bern, 2006 «Dolce far niente?» im Schlachthaus<br />

Theater Bern. Bei jedem Projekt standen das<br />

Experimentieren mit fi lmischen Erzählweisen und<br />

Montagetechniken, eine generelle Beschleunigung<br />

der Theaterdramaturgie und fi lmschnittartige Collagen<br />

mit schnell wechselnden Orten und Atmosphären<br />

im Vordergrund. Dabei spielte eine explizit<br />

fi lmische Musik eine entscheidende Rolle. Sie wurde<br />

eigens für die Stücke komponiert und teilweise<br />

live eingespielt. Mal sehen, ob am Top-Gun-Abend<br />

«Take my breath away» in den Ohren des Tojo-<br />

Publikums klingen wird.<br />

Vorstellungen:<br />

«Sie fürchten weder Tod noch Teufel und manchmal<br />

schiessen sie ein Reh!» (Frei nach dem Kultfi<br />

lm «Top Gun»)<br />

23. bis 26. Mai, 20:30 h im Tojo Theater<br />

Infos:<br />

www.tojo.ch<br />

www.konsortium-konsorten.org<br />

Sie wissen<br />

nicht wohin?<br />

abo@ensuite.ch<br />

BUCHPRÄSENTATION<br />

KARL BUCHHOLZ<br />

■ Die Buchhandlung Libromania, el círculo de amigos<br />

de Espagña, Portugal e lberoamérica, die Gemeinde<br />

Ittigen und die Kolumbianische Botschaft<br />

laden am Mittwoch 9. Mai 2007, 19:30 h, in der<br />

Buchhandlung Libromania, Länggasse 12, Bern, zur<br />

Buchpräsentation ein.<br />

Im Berlin der zwanziger Jahre gründete der junge<br />

Karl Buchholz seine erste Buchhandlung. 1934<br />

verwirklichte er seinen Traum: In der Leipziger<br />

Strasse, im Herzen Berlins, eröffnete er seine grosse<br />

internationale Buch- und Kunsthandlung. Sie<br />

wurde ein berühmtes Zentrum geistigen Lebens.<br />

In der Galerie zeigte er Werke von Max Beckmann,<br />

Karl Hofer, Karl Schmidt-Rottluff, Käthe Kollwitz,<br />

Georg Kolbe, Gerhard Marcks, Renée Sintenis, Kubin,<br />

Hermann Hesse und andere, die bald zu den<br />

im «Dritten Reich» verfemten Künstlern gehörten.<br />

Seine kulturellen Zentren erweiterten sich nach<br />

Bukarest, Lissabon, Madrid und Bogotá, New York.<br />

Die Buchpräsentation wird von Godula Buchholz in<br />

Deutsch und Spanisch vorgetragen. (lv)<br />

10<br />

KLASSISCHE MUSIK<br />

projektorchester<br />

«my_age_night»<br />

Von Sonja Koller<br />

■ Das Orchester spielt, der DJ legt auf, es wird getanzt<br />

– und das alles auf ein und derselben Bühne!<br />

Variaton Projektorchester wagt eine Vereinigung<br />

von sinfonischer Musik mit den elektronischen<br />

Klängen eines Elektro Duos. Es ist der Tanz, der<br />

die beiden musikalischen Welten verbindet, auch<br />

nach dem Konzert: Die Afterparty bietet Orchester<br />

und Publikum Gelegenheit, gemeinsam durch<br />

die Nacht zu feiern.<br />

Das Zusammenspiel von Sinfonieorchester,<br />

zwei Tänzern und einem Elektro Duo soll zu einer<br />

echten Begegnung werden: Ziel des Anlasses ist<br />

es, Gemeinsamkeiten zwischen musikalischen Welten<br />

aufzuzeigen, die auf den ersten Blick gegensätzlich<br />

erscheinen. Variaton ist es ein Anliegen,<br />

einem möglichst breiten Publikum und namentlich<br />

auch jüngeren Personen den Zugang zur sinfonischen<br />

Musik zu ebnen. Nicht nur auf der Bühne<br />

wird deshalb Ungleiches aufeinandertreffen. Auch<br />

im Publikum sollen verschiedene Alters- und Interessensgruppen<br />

zusammenfi nden.<br />

Der Abend ist als Annäherung konzipiert: Zu<br />

Beginn des Konzertes dominieren die Gegensätze,<br />

die einzelnen Gruppen stellen sich dem Publikum<br />

individuell und eigenständig vor. So beginnt das<br />

Orchester ruhig und introvertiert mit dem verträumten<br />

Adagio von Samuel Barber, Tänzerin und<br />

Tänzer bewegen sich in der Stille, dann präsentieren<br />

sich DJ und Audio Design. Dieses Bild ändert<br />

sich jedoch bald. In einer speziell für den Anlass<br />

entworfenen Choreographie beginnen Tänzerin<br />

und Tänzer, auf die Musik beider Pole zu reagieren.<br />

Nach und nach entwickelt sich die Kommunikation<br />

zwischen Orchester auf der einen, DJ und<br />

Audio Designer auf der anderen Seite. Höhepunkt<br />

und Finale des Konzerts bildet die Uraufführung<br />

von «My_Age_Symphony (love to shake)» – einem<br />

Projektorchester<br />

«MY_AGE_NIGHT»<br />

Programm<br />

Samuel Barber – Adagio for Strings<br />

Maurice Ravel – 3 Sätze aus «Ma mère l’oye»<br />

Igor Stravinsky – Suite Nr. 2 pour petit orchestre<br />

Darius Milhaud – Le boeuf sur le toit<br />

Droujelub Yanakiew – My_Age_Symphony (love to<br />

shake) – Uraufführung!<br />

Konzerte<br />

Freitag, 11. Mai & Samstag, 12. Mai 2007<br />

Kornhausforum Bern<br />

19:30 h Türöffnung und Bar<br />

20:30 h Konzertbeginn; ab 23:00 h Afterparty<br />

Werk für sinfonisches Orchester, Elektro Duo und<br />

Tanz, komponiert von unserem Dirigenten Droujelub<br />

Yanakiew. Diese Uraufführung verspricht ein<br />

einmaliges Erlebnis zu werden und leitet über zum<br />

zweiten Teil des Anlasses, der Afterparty, welche<br />

das Berner Party-Label «cuco» organisiert. Hier<br />

haben Publikum und Mitwirkende Gelegenheit,<br />

das Konzert bei einem gemeinsamen Trunk nachklingen<br />

lassen, oder aber sich zusammen auf die<br />

Tanzfl äche zu begeben.<br />

Variaton bietet rund 50 Musikbegeisterten zwischen<br />

22 und 35 Jahren eine anspruchsvolle Mitspielgelegenheit<br />

in einem Orchester mit sinfonischer<br />

Besetzung. Pro Jahr wird jeweils ein Projekt<br />

erarbeitet, welches in einer jugendlich-frischen<br />

Art abenteuerliche Ideen inszeniert und freche<br />

oder frische Brücken zu anderen Musikstilen und<br />

Künsten schlägt.<br />

Im ersten Projekt (2005) bewegte sich Variaton<br />

im Spannungsfeld von klassischer Musik und<br />

Jazz und lotete dabei verschiedene Schattierungen<br />

des sinfonischen Jazz aus. Im Vordergrund<br />

dieses Programms stand das Zusammenwirken<br />

zwischen improvisierenden Jazz-Solisten und Sinfonieorchester.<br />

Für die zweite Konzertreihe (2006) kehrte Variaton<br />

zur Musik der jungen Romantik zurück. Unter<br />

dem Titel «Schumann & Schumann» sollte das<br />

Publikum nicht nur die Musik jener Zeit erleben,<br />

sondern auch Einblick erhalten in das <strong>Wir</strong>ken des<br />

wohl bekanntesten Künstlerehepaars der Epoche<br />

– Clara und Robert Schumann. Zwischen den Orchester-<br />

und Kammermusikwerken, die hierzu auf<br />

dem Programm standen, trug ein Sprecher Auszüge<br />

aus Tagebüchern und Briefen des Ehepaars<br />

Schumann vor.<br />

Mitwirkende<br />

Variaton Projektorchester<br />

Leitung: Droujelub Yanakiew<br />

Elektro-Duo: Stefan Baumann (Audio Design) &<br />

DJ Ramax<br />

Tanz und Choreographie: Nina Stadler & Moritz<br />

Stäubli<br />

Partyveranstalter: cuco<br />

Vorverkauf im Musikhaus Krompholz<br />

Spitalgasse 28 – 3001 Bern<br />

Tel. 031 328 52 00<br />

www.variaton.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


musik<br />

KLASSISCHE MUSIK<br />

musikfestival bern – veress 07: das dicke ende<br />

Von Hanspeter Renggli - Veress im Zentrum Paul Klee (Bild: zVg.)<br />

■ Das Musikfestival Bern – Veress 07, das neue<br />

grosse Musikereignis der Berner Ensembles und<br />

Veranstalter, geht in seine dritte und letzte «Runde».<br />

Im Mittelpunkt stehen das Zentrum Paul<br />

Klee, in dem vom 3. bis 6. Mai nicht weniger als<br />

vier Konzerte und eine Matinee mit der ungarischschweizerischen<br />

Schriftstellerin und Übersetzerin<br />

Christina Viragh stattfi nden werden, sowie das Orchester<br />

der Hochschule der Künste Bern (HKB).<br />

Dass das Musikfestival Bern – Veress 07 in<br />

den Räumen des Zentrums Paul Klee seinen Abschluss<br />

bildet, liegt eigentlich auf der Hand: Die<br />

neue konstruktivistische Malerei von Paul Klee,<br />

dessen gestalterischen Fundamente so elementar<br />

auf musikalischen Strukturen basieren, stellte für<br />

den Komponisten Veress nach seiner Emigration<br />

in den Westen um 1950 die vielleicht wichtigste<br />

Neuorientierung und Anregung dar. Veress hat<br />

dies in unmissverständlicher Art zum Ausdruck<br />

gebracht:<br />

«<strong>Wir</strong> haben in diesen Phantasien von Klee eine<br />

vollkommen neue Welt entdeckt, die in der Sprache<br />

der reinsten Kunst auf uns gekommen ist. Und<br />

wie das immer mit wahrer und grosser Kunst ist,<br />

die Begegnung mit diesem Meister brachte uns<br />

Harmonie, Ruhe und Glück ...» Die Begegnung von<br />

Sándor Veress mit der Malerei von Paul Klee im<br />

Hause der Familie Müller-Widmann und in deren<br />

Freundeskreis auf dem Bruderholz in Basel wurde<br />

für den Komponisten 1950 zu einem Schlüsselerlebnis.<br />

Veress lernte hier erstmals eine der<br />

wichtigsten Privatsammlungen konkreter und<br />

konstruktivistischer Kunst kennen, deren Schwerpunkt<br />

Werke von Hans Arp, Mondrian und Vantongerloo<br />

bildeten. Insbesondere die Konfrontation<br />

mit der kleinen Kollektion von Stücken Paul Klees<br />

und darin vor allem mit dem Aquarell «Steinsammlung»,<br />

schliesslich aber eine Gedenkausstellung<br />

im Kunstmuseum Basel im Sommer 1950, lösten<br />

bei Veress die entscheidende Anregung zur Komposition<br />

«Hommage à Paul Klee» aus, sieben Fantasien<br />

für zwei Klaviere und Streichorchester. Die<br />

Erfahrung Klee veranlasste den eben Emigrierten<br />

zu einem eigentlichen Perspektivenwechsel, nämlich<br />

vom volksmusikalischen «Heimatboden» Ungarns<br />

zu neuen und freieren konstruktiven Ideen<br />

im Westen. Er sei zwar nur langsam in die neue<br />

künstlerische Umgebung der Nachkriegszeit hineingewachsen.<br />

«Und sicher hätte ich die entsprechende<br />

innere Entwicklung (auch in meiner Musik)<br />

nicht durchgemacht, wenn ich in Budapest geblieben<br />

wäre. Auch Klee sah ich das erste Mal hier [sc.<br />

in der Schweiz], im Sommer 1950 und das Erlebnis<br />

war wuchtig. Mondrian und Vantongerloo kamen<br />

erst später. (Mondrian parallel durch die tiefere<br />

Auseinandersetzung mit Webern!) Mein Prisma<br />

hat sich also mit einem Grad gedreht, eine andere<br />

Denk-, Betrachtungs- und Hörweise als noch bei<br />

Bartók.» Inwiefern wohl hatte gerade Klees Malerei<br />

in Veress’ Komponieren eine Drehung des Prismas<br />

initialisiert? Es war zunächst die Strenge der<br />

Komposition, der Kontrapunkt der Farbelemente<br />

und der Bildmotive. Es war vielmehr aber noch die<br />

Kombination dieser Strenge mit der bildnerischen<br />

Fantasie, mit dem Spiel der Elemente, mit der<br />

Fantasie des Kreativen. Strenge in der Struktur,<br />

verbunden mit kreativer Spiellust können sowohl<br />

für Klee wie für Veress als die eigentlichen künstlerischen<br />

Prinzipien bezeichnet werden. Es ist<br />

darum nicht verwunderlich, dass Veress in Bezug<br />

auf Klee einerseits von einer Kunst sprach, die wie<br />

<strong>kein</strong>e andere «das Leben selbst» sei, andererseits<br />

in Klees Bildern ein «wunderbares Märchenland»<br />

entdeckte. Noch 35 Jahre nach der Komposition<br />

der «Hommage à Paul Klee» meinte Veress: «The<br />

Klee cycle was a turning point for me as composer.<br />

It was there that I was fi rst able to actually do<br />

something with an inner freedom that I myself had<br />

achieved.» (Der ungarische Musikforscher Ferenc<br />

Bónis in «Three Days with Sándor Veress the Composer»)<br />

Der ungehörige Schüler: Das Ensemble Paul<br />

Klee mit György Kurtág Es ist sinnigerweise das<br />

Ensemble Paul Klee, das am Donnerstag, 3. Mai,<br />

das dritte Festivalwochende eröffnet. In einem<br />

feinsinnig gedachten Programm konfrontieren die<br />

Musikerinnen und Musiker des Ensembles Kammermusik<br />

und Lieder von Veress mit ausgewählten<br />

Signs, Games and Messages (Zeichen, Spiele<br />

und Botschaften) von György Kurtág.<br />

Auch Kurtág begann seine kompositorische<br />

Karriere – wie viele seiner ungarischen Zeitgenossen<br />

– im Banne von Bartók und dessen Schüler<br />

Veress. Bei Veress studierte Kurtág von 1946<br />

bis zu dessen Emigration 1949 Komposition. Das<br />

Bratschenkonzert von 1953/54 dokumentiert Kurtágs<br />

Orientierung an seinem Lehrer. Eletút (Lebenslauf)<br />

entstand 1992 als Hommage zum 85.<br />

Geburtstag von Sándor Veress. Die Komposition<br />

klingt für Kurtág erstaunlich satt, gleichsam irdisch,<br />

indem sich zwei Welten, die sich so ähnlich<br />

<strong>sind</strong>, auf engstem Raume reiben. Kurtág hat das<br />

Werk mit einer Reihe von Assoziationen belegt,<br />

deren Deutung wohl nur der Komponist geben<br />

kann, vermutlich hatte sie auch der Widmungsträger<br />

verstanden. Das Motto «Alles prüfe der<br />

Mensch ...» ist der Beginn der letzten Strophe aus<br />

Hölderlins Gedicht «Lebenslauf», dessen Schluss<br />

deutlich genug die unterschiedlichen Wege von<br />

Lehrer und Schüler zur Sprache bringt: «Und verstehe<br />

die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will.»<br />

Die Signs, Games and Messages von György Kurtág<br />

bezeugen dagegen den Gipfel einer Kunst, mit<br />

minimalen Mitteln das Äusserste an Ausdruck zu<br />

erzielen, aus «fast nichts Musik zu machen». Nach<br />

Kurtágs Pariser Aufenthalt von 1957/58 kristallisierte<br />

sich jenes musikalische Denken heraus, in<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 11


musik<br />

dem einzelne Intervallbeziehungen und die Knappheit<br />

und Intensität des Ausdrucks vorherrschen.<br />

Der weite Brückenschlag: Das ARIA Quartett<br />

Das Programm des ARIA Quartetts am Freitag,<br />

4. Mai, gruppiert um das zweite Streichquartett<br />

von Sándor Veress je eines seiner «Lehrer»:<br />

zunächst das zweite Quartett seines realen Kompositionslehrers,<br />

Zoltán Kodály, ein Stück Musik<br />

voller Emotionen und folkloristischer Anklänge;<br />

am Ende eines der Razumowsky-Quartette von<br />

Beethoven, der gewissermassen als ideeller Lehrer<br />

zu betrachten ist. Denn in Veress’ zweitem Quartett<br />

steckt ebenso viel ungarische Volksmusik,<br />

bloss hintergründiger, versteckter als bei Kodály,<br />

wie stupendes und brillantes Kunsthandwerk der<br />

«alten Schule» Beethovens: Die Wucht des ersten,<br />

die Melancholie des zweiten und die rasende Fuge<br />

des dritten Satzes <strong>sind</strong> genug der Beweise!<br />

Luftserenaden: Berner und Budapester<br />

Schüler 1968, im selben Jahr, in welchem Veress<br />

sein Bläserquintett Diptych komponierte, beschäftigten<br />

sich auch seine beiden einstigen Schüler<br />

Heinz Holliger und György Ligeti mit der traditionsreichen<br />

Serenaden-Besetzung des Bläserquintetts.<br />

Anfang der sechziger Jahre fand bei Holliger<br />

aufgrund des Studiums bei Pierre Boulez ein Umorientierungsprozess<br />

statt. Aber bereits im Trio für<br />

Oboe, Bratsche und Harfe zeichnen sich zahlensymbolisch<br />

motivierte Strukturen ab, die wiederum<br />

auf die Studienzeit bei Veress zurückführen.<br />

Ursprünglich als fünfsätziges Werk geplant, in<br />

dem sich je ein Instrument solistisch exponieren<br />

sollte, änderte Ligeti während der Arbeit an den<br />

Stücken für Bläserquintett die ursprüngliche Idee<br />

von fünf Miniaturkonzerten in einen Zyklus von<br />

Ensemblesätzen: «Was hier gespielt wird, ist Komödie<br />

mit schillernden Ingredienzien: lyrisches<br />

Theater, schwarze Farce und skurrile Burleske,<br />

Sketch, Melodram und Konversationsstück.»<br />

Ganz konkret auf Veress beziehen sich Roland<br />

Mosers 11 Variationen für Bläserquintett: Kleine<br />

Differenzen über einen Grund. Das Stück wurde<br />

2005 im Auftrag des Zürcher Bläserquintetts<br />

geschrieben und im Mai letzten Jahres in Zürich<br />

uraufgeführt. Grundlage und Mitte der elf Variationen<br />

bildet ein Duo für Altfl öte und Bassklarinette,<br />

das Moser zum 80. Geburtstag von Veress komponiert<br />

hatte.<br />

Während die Werke von Holliger und Ligeti radikal<br />

vom traditionellen Serenadenton der Bläserensembles<br />

abrücken, ist diese Idee in Jürg Wyttenbachs<br />

Serenade in Luftschlössern im vieldeutigen<br />

12<br />

Titel eingeschrieben. Ebenfalls im Auftrag des Zürcher<br />

Bläserquintetts entstanden, wurden die Luftschlösser<br />

2003 im Rahmen des Lucerne Festivals<br />

uraufgeführt. In der «Serenade» bezirzen vier Bläser<br />

eine Flötistin – ein veritables Drama. Die Hoffnungen<br />

der Männer erweisen sich am Ende aber<br />

als Luftschlösser ...<br />

Heimkehr: Die Hochschule von Cluj zu Gast<br />

in Bern Als Veress 1907 im heute rumänischen<br />

Cluj-Napoca geboren wurde, gehörte die von den<br />

siebenbürgischen Karpaten umschlossene Stadt<br />

noch zu Ungarn und hiess Kolozvar (Klausenburg).<br />

Nach Cluj, ein vielschichtiges kulturelles Konglomerat<br />

von über 300‘000 Einwohnern, wo man<br />

nicht zuletzt aufgrund der jüngeren politischen Geschichte<br />

Veress und seine Bedeutung für die Musikgeschichte<br />

des 20. Jahrhunderts kaum kennt,<br />

kehrt diese Musik zurück: Im Rahmen des dritten<br />

Festival-Wochenendes, konkret am Samstag, 5.<br />

Mai, werden die Studierenden der Musikhochschule<br />

Cluj und der Hochschule der Künste Bern je hälftig<br />

ein grosses Sinfonieorchester bilden. Gemeinsam<br />

werden sie in Bern und – eine Woche später<br />

– in Rumänien Konzerte geben. Die Werke werden<br />

neue Verbindungen zwischen den Musikern und<br />

Musikerinnen schaffen. Veress verabscheute simple<br />

Verhältnisse. Deshalb wagte er sich auch an die<br />

seltene Gattung des Streichquartettkonzerts, bei<br />

dem ein Kammermusikensemble als Solist auftritt.<br />

Dass neben diesem brillanten und kompositorisch<br />

raffi nierten Werk auch Veress’ abgeklärte letzte<br />

vollendete Komposition, die Tromboniade für zwei<br />

Posaunen und Orchester gespielt wird, verleiht<br />

dem Programm eine besondere Abrundung. Das<br />

Orchester der beiden Hochschulen steht unter der<br />

Leitung des ungarischen Dirigenten Zsolt Nagy,<br />

der nota bene im September auch die Uraufführung<br />

des gemeinsamen szenischen Projekts von<br />

Stadttheater und HKB – «Zeugen» von Georges<br />

Aperghis – in den Vidmarhallen dirigieren wird!<br />

Christina Viragh: Ungarns Literaturstimme<br />

in der Schweiz Christina Viragh, geboren 1953 in<br />

Budapest, emigrierte 1960 in die Schweiz, nach Luzern,<br />

wo sie ihre Jugend verbrachte. Sie ist Autorin,<br />

Publizistin und Übersetzerin u. a. von Péter Nádas,<br />

Sándor Márai, Antal Szerb und Imre Kertész. Seit<br />

1992 wurde sie bereits mit mehreren Preisen und<br />

Werkjahren ausgezeichnet. In den Verlagen Klett-<br />

Cotta und Ammann <strong>sind</strong> die Romane «Unstete<br />

Leute», «Rufe von jenseits des Hügels», «Mutters<br />

Buch» und «Pilatus» erschienen. 2006 erschien,<br />

ebenfalls beim Ammann Verlag, der Roman «Im<br />

April», zu dem Kurt Drawert schrieb: «Christina Viraghs<br />

Prosa gehört zu den bedeutendsten Leistungen<br />

deutschsprachiger Literatur der Gegenwart.»<br />

Mit Christina Viragh wird sich in der Sonntagsmatinee<br />

der Literaturrezensent, Präsident der<br />

literarischen Kommission der Stadt Bern, der Programmkommission<br />

der Solothurner Literaturtage,<br />

Mitbegründer und Redaktor der Jahreszeitschrift<br />

«Feuxcroisés», Koordinator des Projekts «ch Reihe<br />

an den Schulen» und Dozent am Literaturinstitut<br />

der HKB, Daniel Rothenbühler, unterhalten.<br />

Krönender Abschluss: Camerata Bern und<br />

Heinz Holliger Den Abschluss des dritten Zyklus<br />

und zugleich des gesamten Musikfestivals Bern<br />

– Veress 07 bildet das Konzert der Camerata Bern<br />

am späten Nachmittag vom Sonntag, 6. Mai. Die<br />

Camerata Bern pfl egt das Werk von Veress seit<br />

Jahrzehnten und hat insbesondere die drei Werke<br />

des Konzerts, die Musica concertante, die Passacaglia<br />

concertante sowie die Transsylvanischen<br />

Tänze mehrfach eingespielt sowie weltweit einem<br />

breiten Publikum zugänglich gemacht. Die Passacaglia<br />

concertante für Oboe und Streicher, die<br />

Veress 1961 für und im Auftrag seines Kompositionsschülers<br />

Heinz Holliger komponierte (der Komponist<br />

sprach gegenüber Dritten über Holliger vom<br />

«Paganini des Oboenspiels»), spielten die Camerata<br />

und Holliger u. a. 1974 und 1975 anlässlich einer<br />

Japan-Tournee sowie – für Veress von besonderer<br />

Tragweite und Symbolkraft – in Budapest «wo es<br />

eine grosse Aufregung pro und contra gab, jedenfalls<br />

musste man aber einen Satz wiederholen»<br />

(Veress).<br />

Dass das Festival für Jung- und Altgierige, das<br />

so viele Sinne geöffnet hat und eröffnen wird,<br />

noch manche Anregungen bereit haben wird und<br />

künftig nicht allein einzelne Sätze zu wiederholen<br />

sein dürften, bahnt sich bereits heute an: Philippe<br />

Bach, der Dirigent des BKO im Eröffnungskonzert<br />

des Festivals vom 1. Februar, wird im Mai das Orquesta<br />

Sinfónica de Madrid dirigieren und plant,<br />

neu das Klarinettenkonzert von Veress ins Programm<br />

aufzunehmen...<br />

www.veress07.ch<br />

www.musikfestivalbern.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


Ukrainer in England, dieses Mal auf dem Erbeerfeld<br />

Marina Lewycka: Two Caravans. Roman.<br />

■ Im ländlichen Kent kommt es auf einem<br />

Erdbeerfeld zu einem ersten Zusammentreffen<br />

zwischen dem Ukrainer Andriy und dessen<br />

Landsmännin Irina. Er hat seinen Vater im Kohlebergwerk<br />

verloren, sie ist eine Professorentochter<br />

aus Kiev, deren bourgeoiser Dünkel ihren Blick auf<br />

die Umgebung zuweilen etwas trübt. Beide wurden<br />

sie als Erdbeerpfl ücker angeheuert, wobei ihnen<br />

als Wohnraum lediglich ein beengender Wohnwagen<br />

zur Verfügung steht. Zwei Wohnwagen, um<br />

genau zu sein, säuberlich nach Geschlechtern getrennt.<br />

Im Frauenwagen schlafen neben Irina auch<br />

die Polin Yola und deren Nichte Martha und zwei<br />

junge Chinesinnen. Im Männerwagen sorgt Tomasz<br />

mit seinem Fussgeruch bei Emanuel und Vitaly für<br />

schlechte Laune. Um das Idyll perfekt zu machen,<br />

gesellt sich auch noch ein liebenswerter Hund zu<br />

ihnen.<br />

Die Pittoreske wird durch den Umstand, dass<br />

ihr Arbeitgeber, der Bauer Leapish, von seiner<br />

Frau in fl agranti mit Yola ertappt wird, erheblich<br />

gestört. Andriy gelingt mit den Übrigen in einem<br />

der Wohnwagen die Flucht, wobei Irina verloren<br />

geht.<br />

Alsbald eröffnen sich für die einzelnen Mitglieder<br />

der Pfl ücktruppe neue Erwerbsmöglichkeiten,<br />

die sie dem «englischen» Traum näherbringen sollen<br />

und trotz der widrigen Umstände bleiben sie<br />

von einem ansteckenden Optimismus.<br />

Nach ihrem vielbejubelten Debüt letzten Jahres,<br />

«Die Geschichte des Traktors auf Ukrainisch», beweist<br />

Marina Lewycka, dass sie <strong>kein</strong>eswegs eine<br />

Eintagesfl iege ist, wenn sie sich auch in ihrem<br />

neuen Roman nicht wirklich zu steigern vermag.<br />

Fehlt es dem Buch teilweise an Tiefe, vermag<br />

ihre komödiantische Schreibe jedoch umso stärker<br />

zu überzeugen. Insbesondere die verschiedenen<br />

Erzählstimmen, die sich vor allem durch die unterschiedliche<br />

Sprachkompetenz im Englischen<br />

voneinander differenzieren lassen, sorgen immer<br />

wieder für Lacher. Seien wir auf die deutsche<br />

Übersetzung gespannt. (sw)<br />

Lewycka, Marina: Two Caravans. Roman. Englisch.<br />

Penguin Books. London 2007. ISBN: 978-0-670-<br />

91637-5.<br />

Wo die Liebe hinfällt<br />

Ian McEwan: On Chesil Beach. Roman.<br />

■ Die Neuvermählten Florence und Edward, sie,<br />

eine aufstrebende Violinistin, er, ein junger Historiker,<br />

stehen kurz vor ihrer Hochzeitsnacht in<br />

Chesil Beach. <strong>Wir</strong> schreiben das Jahr 1962, noch<br />

scheint <strong>kein</strong>e Sprache gefunden worden zu sein,<br />

um über Sexualität zu sprechen. Sie sitzen in der<br />

Hochzeitssuite beim Abendessen, seine Gedanken<br />

kreisen darum, wie er so schnell als möglich<br />

ins Schlafzimmer kommen könnte, die ihren, wie<br />

lange sie diesen Augenblick herauszögern kann.<br />

Und doch ist sie es, welche den ersten Impuls gibt,<br />

hinüber zum schmalen, hochpolstrigen Bett zu<br />

wechseln.<br />

Florence stammt aus sogenannt guter Familie,<br />

ihr Vater ist ein erfolgreicher Geschäftsmann, ihre<br />

Mutter hat eine Professur für Philosophie inne. Edwards<br />

Familie hingegen bewohnt ein kleines Cottage<br />

und der Vater, Direktor einer Primarschule,<br />

muss nebst seinen berufl ichen auch die Haushaltspfl<br />

ichten übernehmen, da die Mutter, welche<br />

unter einem Gehirnschaden leidet, dazu nicht imstande<br />

ist.<br />

Die Heirat bedeutet für Edward jedoch<br />

wesentlich mehr als ein sozialer Aufstieg, auch<br />

wenn er nach der Hochzeit einen Posten in<br />

Schwiegervaters Firma antreten soll. Für beide ist<br />

es Liebe, die erste grosse. Dass sich Florence seit<br />

bald einem Jahr seinen physischen Annäherungsversuchen<br />

entzieht, beunruhigt Edward zwar, wie<br />

sie ihm aber das Heiratsversprechen gibt, glaubt<br />

er, dass sich das geben werde, mit der Zeit. Als es<br />

in der Hochzeitsnacht zum Eklat kommt, trennen<br />

sich ihre Wege für immer.<br />

McEwan, dessen Erfolgsroman «Atonement»<br />

dieses Jahr mit Keira Knightley und Vanessa Redgrave<br />

in den Hauprollen ins Kino kommt, ist mit<br />

«On Chesil Beach» zu seinen Anfängen zurückgekehrt.<br />

Er beleuchtet eine Zeit, die kaum mehr als<br />

vierzig Jahre zurückliegt, und doch um so vieles<br />

ferner scheint. Sein phantastisches Sprachgefühl<br />

machen dieses Kammerstück der Literatur zu einem<br />

einzigen Hochgenuss. (sw)<br />

McEwan, Ian: On Chesil Beach. Roman. Englisch.<br />

Jonathan Cape. London 2007. ISBN<br />

9780224081184. Das Erscheinungsdatum in<br />

Deutsch steht noch aus.<br />

literatur<br />

Karnevaleskes Fasten Jacques Le Goff, Nicolas<br />

Truong: Die Geschichte des Körpers im Mittelalter.<br />

■ Bereits in den den späten 30er Jahren des<br />

letzten Jahrhunderts beklagte der Historiker Marcel<br />

Bloch das Fehlen einer Körpergeschichte des<br />

Abendlandes. Sein geistiger Urenkel in der Tradition<br />

der «Annales», Jacques Le Goff, liefert diese<br />

nun in einem, wenn auch dünnen, so doch in seinem<br />

Vorhaben umfangreichen Band.<br />

In vier Grosskapiteln – Fastenzeit und Karneval,<br />

Leben und Sterben im Mittelalter, Körper und<br />

Manieren sowie der Körper als Metapher – nähert<br />

er sich der Thematik unter verschiedenen Gesichtspunkten.<br />

Haupthese des Werks ist der deutliche Wechsel<br />

in Bezug auf die Körperwahrnehmung von der<br />

Antike hin zum Mittelalter. Galt in der Antike der<br />

gestählte männliche Körper als Schönheitsideal<br />

schlechthin, ist es im Mittelalter der malträtierte<br />

ausgezehrte Leib Jesu, der als Vorbild dient. Diese<br />

Vorlage ist nur durch beständige Selbstkasteiung<br />

mittels Fasten erreichbar, wobei die körperliche<br />

Leibesertüchtigung eine Nebenrolle spielt. Dafür<br />

spricht auch der Umstand, dass beispielsweise<br />

für die Turnierwettkämpfe im Mittelalter <strong>kein</strong>e eigenen<br />

Stadien geschaffen worden <strong>sind</strong>. Dennoch<br />

ist eine ständige Selbstkasteiung offenbar nicht<br />

aufrechtzuerhalten, weshalb die Phasen des Fastens<br />

auch immer wieder durch Zeiten der Völlerei<br />

abgelöst werden.<br />

Das tägliche Leben wird von unzähligen Regeln<br />

bestimmt, die durch ihr strenges Korsett Übertritte<br />

unvermeidbar werden lassen. Vor diesem<br />

Hintergrund werden körperliche Gebrechen und<br />

Krankheiten weitgehend als Strafe für eine den<br />

christlichen Geboten zuwiderlaufende Lebensführung<br />

gelesen.<br />

Auch wenn das Werk in seinem essayistischen<br />

Grundton gut zu lesen ist, vermittelt es oft weniger<br />

Antworten, als dass es zu neuerlichen Fragen anregt.<br />

Ganz im Sinne von je mehr man weiss, desto<br />

weniger weiss man. (sw)<br />

Le Goff, Jacques; Truong, Nicolas: Die Geschichte<br />

des Körpers im Mittelalter. Aus dem Französischen<br />

von Renate Wartmann. Klett-Cotta. Stuttgart 2007.<br />

ISBN 978-3-608-94080-0.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 13


literatur<br />

FILOSOFENECKE<br />

Von Alther&Zingg<br />

«SO BLÖDSINNIG SIND<br />

INDES NUR WENIGE,<br />

DASS MAN IHNEN NICHT<br />

IDEEN BEIBRINGEN<br />

KÖNNTE.» Max Stirner 1845<br />

■ Ein richtiger Filosof scheitert. An den Dingen.<br />

An sich selbst. An seinen Ideen. Ein richtiger Filosof<br />

scheitert an der Unverständlichkeit seiner<br />

Schriften. Erst Jahre später vielleicht... Postum<br />

die Anerkennung, versteht sich. Ein richtiger<br />

Filosof scheitert am Alkohol. An der bedingten<br />

Erklärbarkeit von allem und jedem. An der Wahrheit<br />

ohnehin. Andere werden publiziert, gelesen,<br />

diskutiert, medial verteufelt glorifi ziert – und<br />

also zu Lebzeiten berühmt. Eine besonders zynische<br />

Art des Scheiterns. Das <strong>sind</strong> die wenigen.<br />

Die Allermeisten bleiben unerkannt. Filosofi nnen<br />

sowieso (der Thesaurus macht auf nie gehört).<br />

Ist ihnen das Schicksal günstig gesinnt, erkennen<br />

sie ihr Glück: Wie gut, dass niemand weiss...<br />

Filosof sein ist eine Idee. Mehr nicht. Das gilt<br />

auch für die konsequenten Materialisten unter<br />

ihnen. Sie alle <strong>sind</strong> auf die Idee von der besseren<br />

Welt gekommen. Diesseits – Jenseits? Eine<br />

Nuance bloss. ‹Mir geht nichts über Mich› – so<br />

heisst die bessere Welt bei Stirner. Das radikale<br />

Individuum kommt nicht auf Ideen. Die Ideen<br />

kommen auch nicht zu ihm. Das radikale Individuum<br />

ist die Idee selbst. Die Realität also. Ich bin<br />

mir die Realität. Von der Gesellschaft schlimmstenfalls<br />

auf Ideen gebracht: ‹Pfaffen, Wissenschafter,<br />

Musiker, Filosofen, Kommunisten› – sie<br />

alle stehen auf Stirners Liste der Ideenbringer.<br />

Auch ‹Schulmeister und Bärenführer›. Nichts<br />

haben sie verstanden. Nichts vom Individuum.<br />

‹Die Dressur wird allgemeiner und umfassender›<br />

– dies Stirners Prognose. So weit so ‹blödsinnig›,<br />

so weit so sinnvoll. Nur: Aufklärer, Nachdenker,<br />

Individualisten, Anarchisten – sie verfallen samt<br />

und sonders dem gleichen Irrtum: Sie gehen vom<br />

mündigen Menschen aus. Dem selbst verantwortlichen<br />

Individuum. Eingebettet im – immerhin kritisier-<br />

und wandelbaren – Axiom der Vernunft als<br />

letzter Religion, was bei Stirner notwendig zur<br />

gesamt-gesellschaftliche Vernünftigkeit führt.<br />

Der Gesetzlose ist ihm höchste Ausprägung des<br />

verantwortungsvollen Menschen. Weit davon<br />

entfernt, andere auf Ideen bringen zu wollen.<br />

Bringen Sie am 30. Mai um 19 Uhr doch ein<br />

paar Ideen, Ihre Stimme oder sonst ein Instrument<br />

ins Tonus Musiklabor an der Kramgasse 10<br />

mit.<br />

14<br />

LITERATUR<br />

der gotthelfhandel - ein plädo<br />

literatur, die etwas zu sagen h<br />

Interview von Anne-Sophie Scholl<br />

■ Eine der unbestechlichsten und mutigsten<br />

Stimmen in der Schweiz der ersten Hälfte des 20.<br />

Jahrhunderts war der Berner C. A. Loosli. Lange<br />

zu Unrecht verkannt, lässt ihn die im Rotpunktverlag<br />

entstehende 7-bändige Werkausgabe in der<br />

ganzen Breite seines publizistischen Engagements<br />

zu Wort kommen. Zwei Bände liegen vor. An den<br />

Solothurner Literaturtagen wird die Vernissage<br />

des neusten Bandes gefeiert: Das Buch «Gotthelfhandel»<br />

zeigt C. A. Loosli als Schriftsteller, der sich<br />

kompromisslos für seinen Beruf stark macht. Ein<br />

Gespräch mit Fredi Lerch, dem Mitherausgeber der<br />

entstehenden C. A. Loosli-Werkausgabe.<br />

Der letzte Band der Werkausgabe wird 2009<br />

zum fünfzigsten Todestag von C. A. Loosli erscheinen.<br />

Wieso soll man C. A. Loosli heute noch<br />

lesen?<br />

Das Werk von C. A. Loosli gibt einen unglaublich<br />

breiten und kompetenten Einblick, wie die Schweiz<br />

zwischen 1900 und 1950 funktioniert hat. Es ist ein<br />

Einblick, der viel umfassender ist als die meisten<br />

anderen schriftstellerischen Einblicke, weil Looslis<br />

Texte viel mehr von den effektiven politischen,<br />

juristischen und gesellschaftlichen Strukturen in<br />

dem Land vermitteln. Dieses Land hatte Aspekte,<br />

wie etwa das Verdingkinderwesen oder die Administrativjustiz,<br />

die äusserst schlimm gewesen<br />

<strong>sind</strong>. Seine Kritik führt Loosli scharf und teilweise<br />

kann man sie heute ebenso scharf immer noch<br />

führen – etwa, wenn Loosli über den «lächerlich<br />

gekrümmten internationalen Trinkgeldbuckel» seiner<br />

Miteidgenossen von Leder zieht. Das Land hat<br />

aber auch Qualitäten, die auch Loosli verteidigt,<br />

etwa die demokratische Struktur und die kulturellkreative<br />

Kleinräumigkeit. Um zu wissen, warum die<br />

Schweiz heute funktioniert, wie sie funktioniert,<br />

muss man vielleicht wirklich einmal Loosli lesen.<br />

Zwei erste Bände der entstehenden Werkausgabe<br />

<strong>sind</strong> letzten Herbst erschienen, jetzt wird<br />

ein weiterer Band greifbar. Wie ist dieser dritte<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


yer für eine<br />

at (Bild: zVg.)<br />

Band in die Werkausgabe einzuordnen?<br />

<strong>Wir</strong> machen sieben Bände und jeder Band soll<br />

einen Aspekt von C. A. Loosli zeigen, weil wir der<br />

Meinung <strong>sind</strong>, Loosli wird heute, wenn überhaupt,<br />

viel zu eng wahrgenommen. Man kennt ihn nur noch<br />

als Dialektautor und allenfalls als Verfasser des<br />

Kriminalromans «Die Schattmattbauern». Loosli<br />

hat sehr viele Facetten. Unter dem Titel «Gotthelfhandel»<br />

zeigen wir den Schriftsteller Loosli. Loosli<br />

hat versucht, als professioneller Schriftsteller zu<br />

leben, also sich mit dem Einkommen seiner Arbeit<br />

zu fi nanzieren und eine Familie mit fünf Kindern<br />

durchzubringen.<br />

Das Buch zeigt diesbezüglich verschiedene<br />

Aspekte. Titelgebend ist einer der Schwerpunkte<br />

des Bandes, der sogenannte Gotthelfhandel.<br />

Was ist darunter zu verstehen?<br />

Bei der Titelgebung der einzelnen Bände war<br />

uns ein Anliegen, möglichst mit Begriffen zu arbeiten,<br />

die Loosli selbst gebraucht hat. Der Gotthelf-<br />

handel ist so ein Loosli-Wort. Dabei geht es darum,<br />

dass Loosli 1913 in einem satirischen Text öffentlich<br />

behauptet hat, Jeremias Gotthelf, der ja unter bürgerlichem<br />

Namen Albert Bitzius hiess und Pfarrer<br />

in Lützelfl üh war, habe seine Bücher nicht selber<br />

verfasst, sondern sei der Redaktor von Texten, die<br />

ein Bauer in Lützelfl üh, Johann Ulrich Geissbühler,<br />

geschrieben habe. Loosli hat mit dieser Behauptung<br />

einen riesigen Medienwirbel ausgelöst, der in<br />

unserem Buch ausführlich dokumentiert wird.<br />

Welches Ziel verfolgte Loosli mit diesem Literaturstreit?<br />

Loosli wollte provozieren. Er hat seit Jahren<br />

die Position vertreten, dass die Philologie, also die<br />

Literaturwissenschaft, auf dem Holzweg sei. Auf<br />

der ganzen Breite der Literaturbetrachtung hatte<br />

damals aus Looslis Sicht das Bestreben, die Texte<br />

von den Biografi en der Verfasser her zu erklären,<br />

stark überhandgenommen. Loosli hingegen<br />

meinte, man solle die Texte selbst anschauen. Aus<br />

diesem Grund hat er versucht zu zeigen, dass man<br />

die herrschende Philologie mit einer absolut hirnrissigen<br />

Behauptung auf das Glatteis führen kann.<br />

Dieser Gotthelfhandel mit Repliken und Dupliken<br />

ist witzig zu lesen, weil es Loosli gelungen ist, öffentlich<br />

genau die Reaktion auszulösen, die er vorausgesagt<br />

hatte.<br />

Der Gotthelfhandel hat ein Echo in der ganzen<br />

Schweiz ausgelöst, ist aber nicht überall<br />

gleich eingeordnet worden?<br />

In der Deutschschweiz ist der Gotthelfstreit<br />

schnell eine bierernste Sache geworden: Als die<br />

Philologen gemerkt haben, dass sie lächerlich<br />

gemacht werden, gerade auch in der Art, wie sie<br />

reagieren, haben sie angefangen, Loosli publizistisch<br />

zu bekämpfen. Nach dem Gotthelfstreit<br />

wurde Loosli dann tatsächlich von den grossen<br />

Zeitungsfeuilletons in der Deutschschweiz, aber<br />

auch weitgehend von den Buchverlagen und vom<br />

Buchhandel geächtet. In der Romandie hingegen<br />

hat man Looslis Vorgehen sofort als spezielle satirisch-aufklärerische<br />

Aktion erkannt, auch weil es in<br />

der französischsprachigen Literatur eine Tradition<br />

von «Mystifi kationen», also satirischen Irreführungen<br />

des Publikums, gibt. Insofern war die Rezeption<br />

im Welschland und bis nach Paris ganz anders<br />

als im deutschsprachigen Raum.<br />

War dieser Literaturstreit mit einem so weitreichenden<br />

Nachhall eine Ausnahmeerscheinung?<br />

Feuilletondebatten waren damals sicher noch<br />

viel üblicher als heutzutage. Das Ausmass dieses<br />

Sturms im Blätterwald ist, was die Deutschschweizer<br />

Presse betrifft, wohl schon singulär.<br />

Loosli hat sich die Medien zunutze gemacht,<br />

um seine Anliegen in der Öffentlichkeit zu diskutieren.<br />

Er hat sich aber auch mit ästhetischen<br />

Fragen auseinandergesetzt.<br />

Loosli war von seiner Biografi e her Autodidakt.<br />

Er war Verdingbub gewesen, ist in Anstalten aufgewachsen<br />

und hatte nicht die Chance gehabt, eine<br />

akademische Bildung zu absolvieren. Er hat sich<br />

– nicht nur im Bereich der Literatur – das meiste<br />

literatur<br />

selber angeeignet, und später zum Beispiel im Bereich<br />

der Lyrik die klassischen Formen gepfl egt. In<br />

unserem Kapitel «Aus Looslis Werkstatt» gibt es<br />

verschiedene Texte, die Einblick geben, wie Loosli<br />

seine Arbeit als Schriftsteller refl ektiert hat.<br />

Ein weiterer Schwerpunkt in dem Buch zeigt<br />

Loosli Engagement für die Mundart.<br />

Mit dem Dialekt hat Loosli zwischen 1905 und<br />

1913 im Umfeld der damals aufkommenden Heimatschutzbewegung<br />

Sprachpolitik mit anderen Mitteln<br />

betrieben. Unter dem Druck von einem imperialistischen<br />

Deutschtum und wegen der Modernisierung<br />

und der damit verbundenen erhöhten Mobilität<br />

der Bevölkerung befürchteten damals viele, dass<br />

die Dialekte sehr schnell verwässern und kaputt<br />

gehen würden. Loosli sagt an einer Stelle explizit,<br />

er sei sich bewusst, dass er Dialekt schreibe unter<br />

dem Aspekt, ein Sprachmuseum anzulegen.<br />

Looslis sprachpolitische und ästhetische Überlegungen<br />

<strong>sind</strong> lesenswert gerade für jene, die den<br />

Dialektautor Loosli schätzen. Nur mit diesen Aufsätzen<br />

versteht man überhaupt, warum er Mundart<br />

geschrieben hat. Dass er später damit aufgehört<br />

hat, hängt in erster Linie mit der Heimatschutzbewegung<br />

zusammen, die sich sehr schnell in eine<br />

konservative Richtung entwickelt hat.<br />

In der Folge gab es zwei weitere Berndeutschbewegungen.<br />

Greifen diese Looslis Engagement<br />

auf?<br />

Unter dem Aspekt einer emanzipativen Auseinandersetzung<br />

mit der eigenen Sprache gibt es<br />

sicher eine Verbindungslinie von Looslis Engagement<br />

über die Nonkonformisten-Bewegung nach<br />

1960 mit Kurt Marti, Ernst Eggimann, mit Modern<br />

Mundart und den Liedermachern bis zur Gruppe<br />

Bern ist überall – aber auch Texte von Polo Hofer,<br />

Büne Huber, Kuno Lauener und natürlich jene von<br />

Endo Anaconda gehören hierher. Es ist wichtig,<br />

dass es immer wieder sprachpolitisch fortschrittlich<br />

denkende Leute gibt, die sich mit der eigenen<br />

Sprache auseinandersetzten und das einem Publikum<br />

vermitteln.<br />

Loosli hat sich auch intensiv mit den Bedingungen<br />

für ein Leben als Schriftsteller befasst,<br />

diese Aspekte werden in einem weiteren Kapitel<br />

aufgegriffen.<br />

C. A. Loosli ist Initiant, Mitbegründer und der<br />

erste Präsident des Schweizerischen Schriftstellervereins.<br />

Heute heisst die Organisation AdS, Autoren<br />

und Autorinnen der Schweiz, aber am Anfang der<br />

Bewegung, die knapp hundert Jahre alt ist, steht<br />

C. A. Loosli mit der Initiative: <strong>Wir</strong> brauchen einen<br />

Berufsverband. Als erster Präsident hat er sich sofort<br />

im Bereich der Urheberrechte engagiert, die<br />

fi nanzielle Besserstellung der Arbeit der Autorinnen<br />

und Autoren war ihm ein zentrales Anliegen.<br />

Gegründet wurde der SSV im Herbst 1912, wenige<br />

Monate vor dem Gotthelfhandel, und dieser hat<br />

unter anderem auch dazu geführt, dass Loosli als<br />

Präsident des SSV sofort untragbar geworden ist.<br />

Wobei man sehen muss, dass der Gotthelfhandel<br />

zum Vorwand wurde, um diesen Präsidenten abzuschiessen:<br />

Den dezidiert gewerkschaftlichen Kurs<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 15


literatur<br />

des Präsidenten Loosli hat die bürgerliche Presse<br />

nicht goutiert, und auch die grosse Mehrheit der<br />

Autorinnen und Autoren dieser Zeit war antigewerkschaftlich<br />

eingestellt.<br />

Rechtliche Fragen waren Loosli auch ein Anliegen,<br />

wenn es um das Werk des Schriftstellers<br />

ging. Der letzte Teil des Buches greift den Streit<br />

um den Nachlass von Carl Spitteler auf.<br />

Dieser Streit ist für die deutschschweizerische<br />

Literaturgeschichte wichtig: Nach dem klar deklarierten<br />

Willen von Carl Spittler sollte sein Freund,<br />

der Literaturwissenschaftler Jonas Fränkel, nach<br />

seinem Tod seine Biografi e schreiben und das Gesamtwerk<br />

herausgeben. Nur, Spitteler hat nie ein<br />

formal korrektes Testament verfasst. Unter dem<br />

Einfl uss der herrschenden Philologie haben die<br />

Nachkommen Spittelers den Nachlass der Eidgenossenschaft<br />

geschenkt mit der Aufl age, dass<br />

Fränkel <strong>kein</strong>en Zugriff habe. Fränkel hat vergeblich<br />

bis vor Bundesgericht gegen dieses Unrecht<br />

gekämpft. In der Folge hat Bundesrat Philipp Etter<br />

einige Zürcher Philologen – erbitterte Feinde von<br />

Fränkel – damit beauftragt, eine Werkausgabe zu<br />

machen.<br />

Man muss dazu wissen: Jonas Fränkel war als in<br />

Polen geborener Jude, als Schwerhöriger und als<br />

bester Kopf seiner Zunft ein mehrfacher Aussenseiter.<br />

Fränkel war Looslis bester Freund, und Loosli<br />

war einer der wenigen, die ihm in dem jahrzehntelangen<br />

Streit die Stange gehalten haben. Als Loosli<br />

schon alt war, hat er für alle Fälle bei einem Notar<br />

eine juristisch saubere Zeugenaussage hinterlegt,<br />

ist aber als Kronzeuge bis heute nicht gehört worden.<br />

Darum dokumentieren wir die Affäre in dem<br />

Buch relativ prominent: Jonas Fränkel wurde entschieden<br />

Unrecht getan. Der Handel gegen Fränkel<br />

wird erst dann als abgeschlossen betrachtet werden<br />

können, wenn sich die Eidgenossenschaft bei<br />

den beiden hochbetagten Nachkommen, Tochter<br />

und Sohn von Jonas Fränkel, offi ziell entschuldigt.<br />

Denn was da passiert ist, muss als akademisch verbrämter<br />

und staatlich gedeckter Antisemitismus<br />

angesprochen werden.<br />

Die verschiedenen Kapitel in dem Band zeigen<br />

wichtige literatur- und kulturpolitische<br />

Engagements. Dieses Engagement stimmt ja<br />

nicht überein mit dem Bild, das viele von einem<br />

Schriftsteller haben.<br />

Ein grosser Teil der Literatur in der Deutschschweiz<br />

des 20. Jahrhunderts krankt daran, dass<br />

sich ihre Verfasser und Verfasserinnen strikt<br />

als Belletristen verstanden haben, als Leute, die<br />

schöngeistige Sprache in schöne Formen giessen.<br />

Loosli gehörte zu den wenigen, die ganz dezidiert<br />

ein anderes Selbstverständnis gepfl egt haben:<br />

Viel eher als ein Schriftsteller im deutschschweizerischen<br />

Sinn war er ein Intellektueller, der politisch-publizistisch<br />

wirken wollte. Wenn man im<br />

angelsächsischen Sprachraum schaut, wird die<br />

Grenze dort viel weniger eng gezogen: Es ist dort<br />

16<br />

viel selbstverständlicher, dass jemand, der schriftstellerisch<br />

arbeitet, auf verschiedenen Ebenen etwas<br />

zu sagen hat. Es ist eine heillose Verkleinerung<br />

und Verdummung von den Leuten, die in diesem<br />

Land schreiben, dass sie sich in das kleine Gatter<br />

zwingen lassen.<br />

Der neue Band wird an den Solothurner Literaturtagen<br />

mit einer szenischen Lesung des<br />

«Gotthelfhandels» vorgestellt. Im Anschluss<br />

führst Du ein Gespräch mit Charles Linsmayer,<br />

der sich ja auch für C. A. Loosli eingesetzt und<br />

Texte von ihm publiziert hat.<br />

Charles Linsmayer ist Literaturwissenschaftler<br />

und der wichtigste Vermittler von Literatur der<br />

Schweiz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.<br />

Linsmayer hat grosse Verdienste, hat unterdessen<br />

mehr als hundert Bücher herausgegeben und in<br />

seiner grossen Reihe «Frühling der Gegenwart»<br />

1981 auch Looslis Kriminalroman «Die Schattmattbauern»<br />

publiziert. Er hat sicher das grössere Flair<br />

für die belletristische Seite der Literatur als ich. Ich<br />

gehe deshalb davon aus, dass wir, wenn wir über<br />

den gesellschaftlichen Ort des Schriftstellers miteinander<br />

diskutieren und allenfalls darüber reden,<br />

was noch Literatur ist und was nicht mehr Literatur<br />

ist, nicht in jedem Punkt gleicher Meinung sein<br />

werden. Aber es gibt bestimmt ein interessantes<br />

Gespräch. Ich freue mich darauf!<br />

Solothurner Literaturtage:<br />

Hommage an Carl Albert Loosli<br />

Werkausgabe in 7 Bänden<br />

Vernissage Band 4<br />

Gotthelfhandel<br />

Literatur und Literaturpolitik<br />

Szenische Lesung des «Gotthelfhandels» mit<br />

Frank Demenga und Heiner Hitz. Podium mit<br />

Charles Linsmayer und Fredi Lerch. Moderation<br />

Konrad Tobler: «Wo ist der Ort des Schriftstellers?<br />

Literatur zwischen reiner Kunst und gesellschaftlichem<br />

Engagement.»<br />

Samstag, 19. Mai 2007, 18:15 h<br />

Landhaus, Solothurn<br />

Eintritt Fr. 12.–/Karten Solothurner Literaturtage.<br />

Kassenöffnung 30 Min. vor Veranstaltungsbeginn.<br />

Über C. A. Loosli wurde bereits im ensuite - kulturmagazin<br />

11/2006 ausführlich berichtet. Die 7-bändige<br />

Werkausgabe erscheint im Rotpunktverlag.<br />

Herausgeber Fredi Lerch und Erwin Marti. Bisher<br />

erschienen: Band 1: Anstaltsleben. Verdingkinder<br />

und Jugendrecht. Band 3: Die Schattmattbauern.<br />

Kriminalliteratur. Weitere Informationen:<br />

www.rotpunktverlag.ch<br />

POP-/ROCKMUSIK<br />

im alltagsgeräu<br />

Von Caroline Ritz (Bild: zVg.)<br />

■ Ausgangspunkt <strong>sind</strong> gewöhnliche Alltagssituationen,<br />

unspektakulär und kaum erwähnenswert.<br />

Die Mutter, die geduldig den Kuchenteig mit der<br />

Gabel einsticht, um ihn anschliessend sorgfältig<br />

mit Äpfeln zu bedecken. Die Tochter, die am Küchentisch<br />

nachlässig die Dur-Tonleiter auf der<br />

Blockfl öte übt. Vater und Sohn machen sich unterdessen<br />

vor dem Haus am Fahrrad zu schaffen.<br />

Beim Vorübergehen grüsst die Nachbarin den beiden<br />

zu und schleppt einen übervollen Abfallsack<br />

mit Altglas hinter sich her. Sie ist genervt: Muss<br />

der emigrierte Pole immer auf dieser grässlich<br />

tönenden manuellen Schreibmaschine rumhämmern?<br />

Das Geräusch entfl ieht aus dem Fenster im<br />

1. Stock und erfüllt den ganzen Innenhof. Den verkannten<br />

Schriftsteller kümmert dies wenig, unentwegt<br />

hämmert er rhythmisch auf die Tasten seiner<br />

Remington ein. Das Beben der vorbeibrauschenden<br />

Strassenbahn schlägt eine Antikvase brüsk<br />

vom Fenstersims. Nun stehen auch verführerisch<br />

duftender Kaffee und goldbrauner Kuchen auf<br />

dem Tisch. Für diesen einen Moment scheint sich<br />

die Welt wieder im Gleichgewicht zu befi nden. Die<br />

Mystik eines unbedeutenden Moments. Kaum mehr<br />

bewusst wahrgenommene Handlungen durchziehen<br />

diese Augenblicke. Alttagsgeräusche und<br />

Alltagsituationen <strong>sind</strong> Inspirationsquelle der 27-<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


sch liegt die würze<br />

jährigen Sängerin Hanne Hukkelberg. Gebrauchsgegenstände<br />

werden eins zu eins in ihre Musik<br />

eingewoben. Ob Gabel, Gläser, Schreibmaschine,<br />

Fahrradspeichen oder Spieldosen – der Bezug der<br />

Geräuschkulisse bleibt nachvollziehbar. Hinter diesen<br />

wohlbekannten Klängen versteckt sich jedoch<br />

ein weitaus komplexerer Aufbau. Die Struktur der<br />

Songs ist abgestimmt und haarklein ausgeklügelt.<br />

Teils süsser Pop, teils abstrakte Kunstmusik<br />

– und das Gelingen, Instrumentales ins Elektronische<br />

einfl iessen zu lassen. Geboren ist Hukkelberg<br />

1979 in Kongsberg/Norwegen. Erste musikalische<br />

Erfahrungen machte sie gemäss Biografi e bereits<br />

im Alter von drei Jahren. Unterdessen hat sie eine<br />

Ausbildung an der Norwegian Academy of Music,<br />

Oslo, absolviert und ihren musikalischen Horizont<br />

in den Genres Metal, Pop und Jazz erweitert. Anfänglich<br />

wurde ihr Debutalbum «Little Things»<br />

2004 nur in Norwegen veröffentlicht. Das Interesse<br />

für die junge Multiinstrumentalistin – Stimme,<br />

Schlagzeug, Piano und Gitarre – nahm aber stetig<br />

zu. 2005 wurde dann die internationale Version<br />

von «Little Things» produziert. Mit ihrem aktuellen<br />

Album «Rykerstrasse 68» gewann sie 2006<br />

den norwegischen Grammy «Spellemannsprisen».<br />

Mit ihrer Band ist sie nun von April bis Juni 2007<br />

auf grosser Europatournee.<br />

Ein Album gespenstisch und gläsern – Rykerstrasse<br />

68 Ein halbes Jahr wohnte Hanne an der<br />

Rykerstrasse 68 in Berlin, wo auch die Ideen und<br />

Kontakte zum neuen Album entstanden <strong>sind</strong>. Eingespielt<br />

und produziert wurde es dennoch wieder<br />

daheim in Oslo. Auf Stücken wie «Obelix» wird man<br />

Zeuge von Entsorgungstonnen-Geräuschen – Gläsern<br />

und Büchsen, die aufeinander fallen, zerbersten<br />

und zerstampft in der Abfallmenge verschwinden.<br />

Zwischen klassischer Endspurt-Etüde im Song<br />

«Ticking Bomb» und Schreibmaschinen-Geratter<br />

in «The Pirate» fi ndet man sozusagen alle Variationen<br />

experimentellen Musikschaffens. Leichter und<br />

fl ockiger kommt wiederum «A Cheater’s Armoury»<br />

daher. Der Song wurde als Single ausgekoppelt<br />

und von <strong>kein</strong>em Geringeren als dem bekannten<br />

MTV-Animator und Regisseur Andreas Paleologos<br />

verfi lmt. Heiteres Fingerschnipsen, poppig-jazzig<br />

gesungene Strophen und Glockenspiel lassen<br />

diesen Song zum Mitsummer werden. Begeisterte<br />

Konzertbesucher berichten von entfesselter Energie<br />

und stimmlich überragender Leistung, was<br />

die junge Frau auf der Bühne zu bieten hat. Das<br />

Berner Publikum fällt das Glück mal wieder in den<br />

Schoss: Hanne Hukkelberg wird ihr erstes und einziges<br />

Schweizer Konzert in der Turnhalle im PRO-<br />

GR geben, und zwar am 6. Mai um 21:00 h.<br />

STADTLÄUFER<br />

Von Andy Limacher<br />

musik<br />

■ nr. 31 // brennpunkt. Unter der Monbijoubrücke,<br />

auf dem Parkplatz neben der Dampfzentrale,<br />

stehen fünf Jungs lässig an der Leitplanke. Aus<br />

dem etwas in die Jahre gekommenen Ford Escort<br />

dröhnt aus nagelneuen Boxen der aktuelle Sound<br />

von Justin Timberlake.<br />

Ein paar hundert Meter weiter, am Sulgenrain,<br />

lässt sich an der Anzahl Satellitenschüsseln ablesen,<br />

wie hoch der Ausländeranteil an dieser Ecke<br />

von Bern ist. Die Sonnerie an der Eingangstüre<br />

des Hauses 22 macht deutlich, dass hier kaum<br />

Schweizer Familien wohnen.<br />

Gleich nebenan wurden jetzt 64 neue Mietwohnungen<br />

erstellt. Früher duckte man sich hier<br />

unter den wuchernden Tannen, als man am besetzten<br />

Haus vorbei zur Eigerstrasse hinaufging.<br />

Heute ist der Scheuerrain ein von Beton geprägter<br />

Durchgang, und während die Bauequipen die<br />

letzten Plätze teeren, laden die ersten Möbelwagen<br />

ihre Fracht aus.<br />

<strong>Wir</strong> hören ja ständig davon, dass sich in gewissen<br />

Quartieren immer mehr Ausländer ansiedeln,<br />

und die Schweizer dann jeweils das Weite<br />

suchen. Im schlimmsten Fall spricht man dann<br />

von sogenannten sozialen Brennpunkten. Nicht<br />

so im Dreieck zwischen Sulgeneck-, Monbijou-<br />

und Eigerstrasse: Dort lebt die Stadt, vielleicht<br />

weil Dampfzentrale, Gaskessel und Marzili so<br />

nahe <strong>sind</strong>, vielleicht aber auch, weil dort nicht<br />

nur die ruhigen Schweizer wohnen.<br />

Eine 4.5-Zimmer-Wohnung in einem der neuen,<br />

gelben Blocks (Scheuerrain 1-6) kostet ab<br />

2300 Franken monatlich. Deshalb gehe ich davon<br />

aus, dass dort vor allem ruhige und vermögende<br />

Schweizer einziehen werden. Und ich wundere<br />

mich jetzt schon, ob der Sulgenbach dadurch<br />

zum sozialen Brennpunkt werden könnte.<br />

www.ensuite.ch<br />

Wissen was im nächsten Monat läuft.<br />

Ein Abo macht Sinn.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 17


musik<br />

POP-/ ROCKMUSIK<br />

die musikalische kilbiwiese<br />

Von Benedikt Sartorius (Bild: zVg.)<br />

■ Minustemperaturen, dazu ein exzentrisches<br />

Programm mit absurder Musik vom grossartigen<br />

Animal Collective oder dem kranken Elektro von<br />

Venetian Snares: Die fast schon legendäre, letztjährige<br />

Bad-Bonn-Kilbi-Ausgabe schaffte, wovon<br />

die Hinz-und-Kunz-Festivals dieser Welt träumen,<br />

nämlich ein künstlerisch aufregendes, so erlebnis-<br />

wie kontrastreiches Programm auf die Beine<br />

zu stellen und damit gar fi nanziell erfolgreich zu<br />

sein.<br />

Die Neugier nach neuer Musik, sie steht auch<br />

dieses Jahr wieder im Zentrum, wenn der Weg<br />

zur Eröffnung der immer länger werdenden Festivalsaison<br />

in die freiburgische Pampa führen wird.<br />

Das unaufgeräumte Kinderzimmer als unendliche<br />

Pop-Spielwiese, wo Genrebeschränkungen nichts<br />

zählen, kann als durchgehaltene Metapher für die<br />

dreitägige Kilbi bestimmt werden.<br />

Psycho-Blumenkinder Die Rückkehr der Romantik<br />

wurde heraufbeschworen, Labels wie «New<br />

Weird America» oder «Neo-Folk» erfunden, es nützt<br />

alles nichts: Die beiden Psycho-Blumenschwestern<br />

Casady von CocoRosie werken weiter an einer Musik,<br />

die ohne jeden Authentizitätsanspruch auskommt,<br />

mit Sätzen wie «Jesus loves me / But not<br />

my wife / Not my nigger friends / Or their nigger<br />

lives» verwirrt und auf ihrem dritten Album «The<br />

Adventures Of Ghosthorse & Stillborn» (Touch&Go<br />

18<br />

/ Irascible) künstlicher denn je erscheint. Die Beats<br />

<strong>sind</strong> erheblich stabiler und markanter als auf den<br />

windschiefen und rudimentären Vorgängern ausgefallen,<br />

die ausgebildete Opernsängerin Sierra<br />

singt betörende Arien und Refrains, während Bianca<br />

den Wohlklang mit quengelnden Raps sabotiert.<br />

Auf den Hippie-Wunsch «Everybody just hold<br />

hands» folgt «Everybody wants to go to Iraq» und<br />

das scheinbar so schwerelose, wunderbare «Werewolf»<br />

entpuppt sich als Albtraum. Die bei CocoRosie<br />

traditionell eingesetzten Spielzeug-Kühe und<br />

Veloklingeln sowie Gameboy-Klänge verstärken<br />

den zunächst kindlich-naiven Charakter ihrer Musik,<br />

weisen bei näherem Anhören aber direkt in<br />

den Abgrund des Unterbewussten.<br />

Subversiv Bunt und schnell fällt die hyperaktive<br />

und rockende Stumm- und Trickfi lm-Elektronik<br />

von Candie Hank aus, hinter dem sich der Kölner<br />

Produzent Patrick Catani verbirgt. Sein raffi niertsubversives<br />

Album «Groucho Running» (Sonig)<br />

geizt nicht mit Amiga-Reminiszenzen an die Anfänge<br />

der Technokultur, zitiert billige Inspector-<br />

Gadget-Melodien und Plastikpop, der ungemein<br />

nervt und noch viel besser unterhält.<br />

Ungemein nerven auch die unentwegten Kanadier<br />

NoMeansNo, die seit 28 Jahren für punktgenaue<br />

Pogo-Verrenkungsfeste sorgen und wahnwitzigen<br />

Humor mit politischen Statements aufl aden.<br />

Punk im Sinne der Brüder Wright: <strong>kein</strong>e leere Hülse,<br />

rhythmisch vertrackt, frisch, stur und starrsinnig.<br />

Global-Jodel Weiter im Programm: Die Young<br />

Gods führen den Reigen an Schweizer Bands an,<br />

Kilbi-Stammgast Mike Patton tritt mit dem österreichischen<br />

Elektromelancholiker Fennesz auf,<br />

Blonde Redhead beschliessen das Festival mit sinistrem<br />

Traumpop, der auf ihrem neuen, schwerelosen<br />

Album «23» (4AD/ MV) in weltfremde<br />

Sphären weist und die verzettelte Folk-Fraktion<br />

präsentiert strassenmusikalische Absurditäten<br />

(Lapin Machin), Besinnlich-hippieskes (Samara Lubelski)<br />

oder Elektronisch-verzwicktes (Flying).<br />

Wie kryptisch diese Bands nun auch anmuten: Der<br />

Genreclash fi ndet wohl an <strong>kein</strong>em Festival lustvoller<br />

und friedlicher statt als an der Bad-Bonn-Kilbi.<br />

Und was die Organisatoren von selbstgerechtem<br />

Name-Dropping und kruden Stilbezeichnungen<br />

halten, kommt ironisierend in den diesjährigen<br />

Mottos zum Vorschein. Die Neugier auf neue Musik,<br />

nur sie zählt an der Kilbi.<br />

Die 17. Bad Bonn Kilbi, Düdingen, fi ndet vom 7.–9.<br />

Juni statt. Das komplette Programm und weitere<br />

Infos gibt’s unter www.badbonn.ch.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


FILEWILE<br />

nassau massage<br />

■ Man kommt als nicht Partygänger nicht einfach<br />

so auf die Idee, in das neue und erste «ausgewachsene»<br />

Album des DJ-Duos Filewile (Mouthwatering)<br />

reinzuhören. Gerade was den Klang anbelangt, hört<br />

man in den ersten Minuten digitale Samples, die<br />

einem Puristen die Zähne verdrehen: alles digital.<br />

Doch der Blick in den Pressetext macht verständlich,<br />

dass dies <strong>kein</strong> normales Album ist, sondern<br />

schon fast ein intergalaktisches Kunstwerk – oder<br />

in den Worten von Filewile: Es ist zeitlose Kaminfeuerklubmusik.<br />

Und mit «Dance» hat diese Musik<br />

dann wirklich nicht so viel zu tun – zumindest macht<br />

das Tanzen dazu nicht wirklich «hip». Wozu auch.<br />

Filewile arbeiten über das Internet, im WWW-Space.<br />

Soundfi les werden über virtuelle Welten vernetzt, in<br />

der realen Welt eingespielt oder besungen, irgendwo<br />

verändert und in der Berner Matte bekommt das<br />

Ganze den letzten Schliff. Und damit verstehen wir<br />

auch den explixit digitalen Klang. Diese Idee ist seit<br />

den 70er Jahren immer wieder versucht worden.<br />

Wegen der hohen Datenmengen und der damals<br />

schlechten Übertragungstechnik, litt die Qualität<br />

aber erbärmlich darunter. Mit myspace.com und<br />

anderen WEB 2.0 Ideen vernetzt sich aber die Welt<br />

schneller, als für viele nachvollziehbar ist. Trotzdem<br />

die Idee also nicht ganz neu ist, so ist Filewile mit<br />

«nassau massage» ein breites und spannendes<br />

musikalisches Album gelungen, welches nicht nur<br />

Freaks interessieren wird. Vor allem aber faszinieren<br />

der Global-Faktor und die Idee, welche sich an<br />

der Aare zusammenfügen. Musikalisch ist nicht alles<br />

Gold, doch spannend und durchaus bewegend.<br />

(vl)<br />

Release: 26.5.2007<br />

www.fi lewile.com<br />

Verlosung 1<br />

■ Diesen Talon raustrennen, leserlich ausfüllen<br />

und bis zum 15. Mai 2007 einsenden an:<br />

ensuite - kulturmagazin<br />

CD-Verlosung FILEWILE<br />

Sandrainstrasse 3<br />

3007 Bern<br />

Vorname / Name<br />

Adresse<br />

PLZ / Ort<br />

Die GewinnerInnen werden schriftlich benachrichtigt.<br />

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

MANUFACTUR!<br />

manufactur - fl ambitres<br />

■ In letzter Minute vor Redaktionsschluss brachte<br />

der Werner Hasler die vierte und neuste Albumproduktion<br />

von manufactur in unserer Redaktion<br />

vorbei. Seither bemühe ich mich vergebens, meine<br />

Nackenhaare wieder zu legen. Gleich vorweg:<br />

«fl ambitres» ist das reifste und beste Album seit<br />

langem, was die Berner Jazzszene hervorgebracht<br />

hat! Kompromisslosen Electronic-Jazz, frech, mit<br />

einer gewaltigen Kraft und zum Teil unsanften Provokationen,<br />

haben die vier Musiker fabelhaft konserviert.<br />

Mit erstaunlicher Leichtigkeit erreichen<br />

Werner Hasler (trumpets), Oli Kuster (wurlitzer,<br />

synth), Urban Lienert (bass) und Dominik Burkhalter<br />

(drums) ein hypnotisches Zusammenspiel und<br />

heben schon nach den ersten Takten von jedem<br />

der zwölf Tracks voll ab. Die Mischung von analoger<br />

Elektronik und digitalem Sound <strong>sind</strong> dicht<br />

ineinander verwoben und perfekt verarbeitet. Das<br />

Album hat viel Druck, bleibt manufactur-verspielt<br />

und ist mehr als gekonntes Handwerk. Speziell das<br />

alte Wurlitzer-Elektropiano hat auf diesem Album<br />

eine Vergoldung zu erfahren. Vielleicht ist es abgehoben,<br />

doch nach Miles Davis und Nils Petter Molvaer<br />

geben manufactur den Ton an. Dieses Album<br />

hat bereits Geschichte geschrieben. (vl)<br />

Konzert:<br />

Sonntag, 13.5. / 21:00 h<br />

bee-fl at, im PROGR / Turnhalle<br />

www.manufactur.ch<br />

Verlosung 2<br />

■ Diesen Talon raustrennen, leserlich ausfüllen<br />

und bis zum 15. Mai 2007 einsenden an:<br />

ensuite - kulturmagazin<br />

CD-Verlosung MANUFACTUR<br />

Sandrainstrasse 3<br />

3007 Bern<br />

Vorname / Name<br />

Adresse<br />

PLZ / Ort<br />

Die GewinnerInnen werden schriftlich benachrichtigt.<br />

Der Rechtsweg ist ausgeschlossen.<br />

musik<br />

ECM listening post<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

Tord Gustavsen Trio – Being There<br />

■ Tord Gustavsen hat bereits mit seinem Debut-<br />

Album «Changin Places» aufhorchen lassen. Das<br />

war 2002. Zwei Jahre später folgte «The Ground»<br />

und bereits jetzt bringt er uns den dritten Teil:<br />

«Being there». Die drei Alben haben eine spürbar<br />

fortschreitende Kontinuität. Doch sein Pragmatismus,<br />

«äusserst gegenwärtig und aufmerksam<br />

auf die Fülle des Moments fokussiert» zu sein,<br />

wirkt eher konstruiert. Ganz glaubhaft ist das in<br />

den Aufnahmen nicht eingefangen, dazu scheint<br />

die Komposition zu viel Platz einzunehmen. Der<br />

Titel des Albums aber gibt trotzdem etwas davon<br />

wieder.<br />

Zwischen dem intellektuellen Konzept und<br />

dem, was nun in der Musik geschieht, wirken unterschiedliche<br />

Kräfte. Das Intellektuelle führt die<br />

Dynamik an, führt in der Rhythmik und will eine<br />

Geschichte erzählen. Tord Gustavsens Musik wird<br />

aber genau durch die Ungenauigkeit erst lebendig.<br />

Genau dort, wo sich die Musiker gemeinsam<br />

zu suchen beginnen, einen gemeinsamen emotionalen<br />

Nenner fi nden oder sich aus dem Konzept<br />

lösen müssen, entsteht das kraftvolle musikalische<br />

Element.<br />

Wahrscheinlich ist es sogar genau das, was<br />

Gustavsen mit seiner Aussage eigentlich ausdrücken<br />

möchte. «Being there» hat musikalisch<br />

sehr viel Ähnlichkeit mit der Arbeitsweise von<br />

Keith Jarrett, zum Teil erinnern Fragmente sogar<br />

an einzelne Aufnahmen. Doch Jarrett hat noch<br />

weniger Konzept. Das ist jetzt für das Trio aber<br />

nicht etwa schlecht zu werten – im Gegenteil.<br />

Wer sich auf diesen musikalischen Weg einlässt,<br />

profi tiert sehr davon. So auch das Tord Gustavsen<br />

Trio. «Being there» ist ein schönes, romantisches,<br />

aber auch kräftiges Album geworden,<br />

mit sehr gelungenen Highlights. Es bleibt nur die<br />

Frage offen: «Being there» – wo genau?<br />

Tord Gustavsen Trio<br />

Being There<br />

ECM 2017<br />

www.ecmrecords.com<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 19


musik<br />

KONZERT-TIPP<br />

DJ Vadim‘s Soundcatcher feat. DJ Vadim, Yarah<br />

Bravo (Vocals), Deuce Eclipse (West Coast<br />

MC), Emo (Soul Vocalist) & Keyboards<br />

25. Mai, 22:00 h / Dachstock<br />

■ Nachdem sein Vertrag mit Ninja Tune ausgelaufen<br />

ist, hat DJ Vadim zu BBE Records gewechselt,<br />

letztes Jahr zog er mit seiner Frau Yarah<br />

Bravo nach Brooklyn, N.Y., und mit «Soundcatcher»<br />

legt er ein Werk vor, welches sich sachte<br />

vom Hip Hop entfernt, dessen Zustand ihn mehr<br />

und mehr desillusioniert, wie er in einem Interview<br />

mit Jazzthetik bekennt.<br />

Auf seinem neuen Album «Soundcatcher»<br />

hört man Klänge aus Indien, Japan, Kuba und<br />

Einfl üsse aus Jazz, Funk und Blues. Er bewegt<br />

sich jedoch vermehrt in Richtung Reggae und<br />

Soul, ohne aber seine Handschrift, das Unvereinbare<br />

zusammenzubringen, aufzugeben. (cr)<br />

Plan_JA!: St. Helvetia - Schwiizerörgeli-Stubete<br />

mit Cyrill Schläpfer.<br />

31. Mai, 21:00 h / Dampfzentrale<br />

■ Ein Herz für die Schweizer Volksmusik: Dass<br />

der Rapper Kutti MC mit dem Musikproduzenten<br />

Cyrill Schläpfer zur archaischen Stubete ruft,<br />

macht Sinn. Beide strehlen, pardon striegeln,<br />

die Volksmusik gegen die Bürste ihrer Verwalter.<br />

Schläpfer veröffentlicht Schwyzerörgeli- und<br />

Punk-Legenden, macht Filme über Schiff-Sirenen<br />

auf dem Vierwaldstättersee und hat den legendären<br />

Taxi-Song «Campari Soda» aus dem Keller<br />

in die Hitparade 2007 bugsiert. Zum Abschluss<br />

des Plan_JA! (Kutti MC präsentiert) spielen am<br />

Schwyzerörgeli Koni Inderbitzin, Beni Amrhein<br />

und Cyrill Schläpfer und am Bass René Widmer.<br />

Kutti MC wird ein Ständchen singen. Hopp der<br />

Bäse! (cr)<br />

Boys on Pills (Baze & Elwont)<br />

19. Mai, 22:00 h / Sous-Soul<br />

■ Da müssen Baze und Elwont wohl synthetische<br />

Tabletten zu sich genommen haben: Unter<br />

dem Namen «Boys on Pills» lassen die beiden<br />

Berner ihre Alter Egos «Dr. Broccoli» und «Jonny<br />

Bunko» ungewohnte Wege gehen. Flowtechnisch<br />

provokant, beatmässig frech und unkonventionell<br />

bringen Baze und der aus Ungarn stammende<br />

Produzent Elwont schweizerischen Acid-Rap<br />

vom Feinsten. Ein Muss für jeden, der die aktuelle<br />

Musikentwicklung kritisch und differenziert beobachtet<br />

- und für alle Freaks! (cr)<br />

Sie wissen<br />

nicht wohin?<br />

abo@ensuite.ch<br />

20<br />

POP-/ROCKMUSIK<br />

«eine band, so charmant wie d<br />

Von Andy Limacher - The Feet Peals spielen am 1. Juni in der Mühle Hunziken (Bild: zV<br />

■ Das erste, was man auf dem Album von den<br />

Feet Peals hört, ist der Sprung in den Pool. «Bonnieux<br />

passt voll und ganz zu dem, was wir wollen<br />

und was wir <strong>sind</strong>», erzählt mir Patrik Zeller alias<br />

Pad_ee, Sänger und Akkordeonist des Sextetts.<br />

«Für das letzte Album haben wir unsere Gagen zusammengelegt<br />

und uns in der Provence ein Häuschen<br />

gemietet. Im Wohnzimmer haben wir dann<br />

die Lieder aufgenommen.» Und mit der Musik den<br />

Sommer eingefangen, könnte man anfügen.<br />

Die gemeinsamen Nenner der Band <strong>sind</strong> Folk<br />

und Chanson. Wenn Saxophon, Kontrabass, Gitarre,<br />

Schlagzeug, Violine und Akkordeon bei den Feet<br />

Peals aufeinandertreffen, enstehen ihre typisch lebensfrohen<br />

Lieder, die das Tanzbein anregen – so<br />

viel zum Folk. Der Chanson fi ndet vor allem durch<br />

das Akkordeon und Pad_ees Gesang seinen Weg in<br />

die Musik. «Die französischen Texte waren meine<br />

Idee, denn ich war damals als Billingue nicht zufrieden<br />

mit meinem Französisch. Ich wollte das als<br />

Chance nutzen und liess mich für die Songtexte<br />

von meinem Vater beraten.»<br />

1993 hat alles angefangen, in der Villa Kunterbunt<br />

in einem modrigen Keller mit einer Stereoanlage<br />

als Verstärker. Heute, fast 15 Jahre danach,<br />

verbingt Pad_ees Vater immer weniger Zeit mit<br />

der Korrektur von Texten, auch die Musik hat sich<br />

stark entwickelt, aber ansonsten fühlt sich die<br />

Band immer noch wie damals – wie eine grosse<br />

Familie. «Nur etwas jünger und schöner waren wir<br />

damals noch», sagt Pad_ee und lacht in die Frühlingssonne.<br />

Ich bitte ihn um eine kurze Einschätzung der<br />

einzelnen Bandmitglieder. «Ludi spielt hinreissende<br />

Soli auf dem Sax», antwortet er nach einer<br />

Weile, «und unser Bassist Mani ist ein herzlicher<br />

und begabter Songwriter. Pit ist im positiven Sinne<br />

ein Kind geblieben, und ich kenne niemanden, der<br />

mehr Schlagzeuge auf eBay ersteigert hat – bei jedem<br />

Gig hat er irgendwas neues dabei. Und Senni,<br />

unser Gitarrist, hat einen sehr guten Draht zum<br />

gemütlichen Zusammensein.»<br />

Gemütlichkeit ist überhaupt ein wichtiger Bestandteil<br />

der Feet Peals. Kein Ziel, von der Musik zu<br />

leben, <strong>kein</strong>e geplanten Tourneen, <strong>kein</strong>e verzweifelte<br />

Suche nach einem Label. Viel lieber spielen sie<br />

Konzerte ihn Lokalen, wo auch die Atmosphäre<br />

stimmt, zum Beispiel im Bären Buchsi oder in der<br />

Mühle Hunziken, wo die sechs am 1. Juni auftreten<br />

werden. Selbst das ist aber nicht ganz so einfach<br />

– gerade Konzertlokale mir regionaler und nationaler<br />

Ausstrahlung, so Pad_ee, setzen heute eher<br />

auf Bands, die zumindest in der ganzen Schweiz<br />

bekannt <strong>sind</strong>. «Aber man fi ndet Nischen. Es ist<br />

schön, dass man als Band Auftritte bekommt, auch<br />

wenn man <strong>kein</strong>en Businessplan und dicke Freund-<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


g.)<br />

er sommer»<br />

schaften zu den Wichtigen der Musikszene hat.»<br />

Grundsätzlich müsse einfach das Ambiente stimmen,<br />

und der Kontakt zum Publikum. Es kam schon<br />

vor, dass die Feet Peals auf die Bühne verzichtet<br />

haben, um mit den Gästen auf Augenhöhe zu sein.<br />

Vermutlich liegt es an zwei Faktoren, dass sich<br />

die Lieder der Feet Peals immer auch ein wenig wie<br />

Zigeunermusik anhören: Die Band ist gerne unterwegs<br />

– im Oktober zieht es die sechs wieder in die<br />

Provence, um ein neues Album aufzunehmen – und<br />

darüber hinaus bringt die Violinistin Rhea immer<br />

ein wenig Melancholie und Sehnsucht in die Musik.<br />

Pädu dazu: «Rhea? Sie ist einfach unser Sonnenschein.»<br />

Das kann jeder bestätigen, der die Feet<br />

Peals schon einmal live erlebt hat.<br />

Michu Pauli, der in Murten die kleine Beiz Bar<br />

& Blumen betreibt, bezeichnete die Feet Peals einmal<br />

passenderweise als «eine Band, so charmant<br />

wie der Sommer». Wer den Sommer also nicht verpassen<br />

will , besucht am 1. Juni die Mühle Hunziken<br />

in Rubigen.<br />

Feet Peals & Puts Marie<br />

Freitag, 1.Juni, Mühle Hunziken, Rubigen<br />

Reservationen unter 031 721 0 721 oder<br />

www.muehlehunziken.ch<br />

www.thefeetpeals.ch<br />

www.myspace.com/thefeetpeals.ch<br />

KLIMAWANDEL IN BERN<br />

■ Nicht nur reden, sondern auch erkennen – etwa<br />

unter diesem Motto könnte am 11. und 12. Mai in<br />

drei Stadtteilen von Bern der Berner Umwelttag<br />

über die Bühne gehen. Und das nicht kleinlich<br />

und im gewohnten alternativen Ökopartystil. Drei<br />

Stadtteile haben sich in das Projekt (Projektleitung<br />

Verkehrsteiner, Bern) eingehängt: Länggasse-Felsenau,<br />

Mattenhof-Weissenbühl, Bümpliz-Bethlehem-Bottigen-Riedbach.<br />

Dass Klimawandel nicht<br />

ein Thema für morgen ist, spürten wir im April<br />

schon ein wenig. Zeit also, sich zu informieren<br />

und sich einigen Fragen zu stellen. An den beiden<br />

Tagen gibt’s Aktivitäten und Projekte rund um die<br />

Abfalltrennung, Energiesparen, CO 2 -Reduktion,<br />

Naherholung, Konsum und Mobilität. Fachpersonen<br />

werden Impulse mit ihren Referaten liefern – für<br />

Diskussionsstoff ist sicher gesorgt, denn Lösungen<br />

und Ideen <strong>sind</strong> noch immer wage. Und das ist auch<br />

den Veranstaltern bewusst. Sie haben mit dem<br />

kulturellen und unterhaltenden Rahmenprogramm<br />

für die ganze Familie vorgesorgt: Kino, Konzerte,<br />

Kinderspiel und Fingerfood. Was braucht’s mehr?<br />

ensuite - kulturmagazin empfi ehlt, frühzeitig mit<br />

dem Studium des Programmes zu beginnen, denn<br />

es bedingt einen Hochschulabschluss... Ein besonderer<br />

Tipp ist sicher der Stand vom Drahtesel und<br />

TOJ: «Pimp dis Velo!». (vl)<br />

Konzerthinweise Freitag, 11. Mai:<br />

18:00 Duo Infernale mit Winzerpunk<br />

21:30 Tinu Heiniger (Bild) – Musik und Lieder aus<br />

dem Zwergenland<br />

Beide Konzerte spielen im Haus der Religionen<br />

(provisorisch Schwarztorstrasse 102,<br />

Bern)<br />

INSOMNIA<br />

VACANZE ROMANE<br />

Von Eva Pfi rter<br />

musik<br />

■ Es war Sonntagnachmittag in Rom. Der<br />

schönste Sonntagnachmittag, an den ich mich<br />

jemals erinnern werde. Punkt halb zwei hielt er<br />

auf seinem roten Ferrari-motorino vor meiner<br />

Tür, liess kurz mein Handy klingeln und ich, sobald<br />

ich es sah, hüpfte voll freudiger Erwartung<br />

hinaus ins Römer Leben, um mich auf gepolsterten<br />

Sattel zu schwingen. Wie wunderbar!<br />

Wann eigentlich hat man in der Schweiz damit<br />

aufgehört, uns Mädchen abzuholen? Mein weiss<br />

gepunktetes rotes Band fl atterte im Aprilwind<br />

und nach jedem überfl ogenen römischen Strassenloch<br />

fühlte ich mich beschwingter; links überholten<br />

wir auf doppelt ausgezogenen Mittellinien<br />

vollgestopfte, schwer dahinschwankende Busse,<br />

liessen schlecht angezogene Touristinnen, die<br />

schon mit halbem Bein auf dem Zebrastreifen<br />

standen, verblüfft zurück. Elegant kurvte mein<br />

galanter römischer Begleiter am Monument für<br />

Emmanuel II vorbei – es schien mir grösser und<br />

protziger denn je zuvor. Am Lungotevere streiften<br />

die herunterhängenden Äste der altehrwürdigen<br />

Platanen beinahe unsere Helme und als<br />

wir nach Trastevere einbogen, stand die Sonne<br />

hoch am blauen Nachmittagshimmel. Ich konnte<br />

nicht aufhören, zu lächeln.<br />

Im ‹Fabrizio› bestellte Sebastian für uns als<br />

Antipasto carciofi auf jüdische Art und liess es<br />

sich nicht nehmen, die Rechnung allein zu begleichen.<br />

Nach dem kleinen schwarzen Kaffee<br />

fuhren wir dem Grün ausserhalb Roms entgegen,<br />

fl ogen an blühenden Wiesen vorüber, bis Sebastian<br />

vor einer Kurve fragte: Sei pronta? Bevor ich<br />

nicken konnte, tauchte vor mir die wohl schönste<br />

Kuppel auf, die die Welt je gesehen hat: San<br />

Pietro. Ich fühlte mich wie eine Prinzessin: Rom<br />

lag mir zu Füssen und ich lag Rom zu Füssen.<br />

Und als mir in der Gelateria ‹La Palma› Audrey<br />

Hepburn von den Wänden entgegenlächelte, war<br />

mein Sonntagnachmittag komplett, perfekt, einmalig.<br />

Ein letztes Mal trug uns an diesem Tage<br />

das schöne motorino über Pfl astersteine durch<br />

Roms enge Gässchen, schnitt bei orange über<br />

eine Kreuzung und sauste steil der hellen halbrunden<br />

Treppe Santa Maria Maggiores entgegen,<br />

bis es im Schatten der Bäume meiner Strasse<br />

hielt und mein wunderbarster Sonntagnachmittag<br />

zu Ende ging. Ich schlenderte lächelnd<br />

meinem kleinen Reich entgegen und blickte<br />

noch lange vom Balkon hinauf auf die Strasse,<br />

wo alle halbe Minute ein motorino daherbrauste,<br />

und träumte von Rom, dem einzigen und wahren<br />

Rom.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 21


Donnerstag, 3. Mai<br />

Hommage à Veress<br />

19.30 h | Zentrum Paul Klee, Auditorium<br />

Ensemble Paul Klee<br />

Cvartetul transilvan<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch<br />

Freitag, 4. Mai<br />

Quartettkonzert<br />

19.30 h | Zentrum Paul Klee, Auditorium<br />

Aria Quartett<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch<br />

Samstag, 5. Mai<br />

Luftserenaden<br />

16.00 h | Zentrum Paul Klee, Auditorium<br />

Zürcher Bläserquintett<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch<br />

Symphoniekonzert IV<br />

19.30 h | Hochschule der Künste Bern HKB,<br />

Papiermühlestrasse 13c<br />

Grosse Halle<br />

Zsolt Nagy<br />

Basler Streichquartett<br />

Stefanov Krasimir<br />

Pishtyalov Dimo<br />

Orchester der Hochschule Cluj<br />

Orchester der HKB<br />

Vorverkauf: www.bernbillett.ch<br />

Sonntag, 6. Mai<br />

Matinee<br />

11.00 h | Zentrum Paul Klee, Forum<br />

Christina Viragh<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch<br />

Camerata Bern<br />

Sándor Veress zum 100. Geburtstag<br />

17.00 h | Zentrum Paul Klee, Auditorium<br />

Erich Höbarth<br />

Heinz Holliger<br />

Camerata Bern<br />

(5. Abo-Konzert)<br />

Vorverkauf: www.kulturticket.ch<br />

22<br />

Musikfestival<br />

zum 100. Geburtstag von<br />

Sándor Veress<br />

1.– 4. Februar 2007<br />

1.– 4. März 2007<br />

3.– 6. Mai 2007<br />

25 Konzerte, Einführungen, Gespräche, Film und Lesung<br />

musikfestivalbern.ch<br />

veress07.ch<br />

Erstmals in einem gemeinsamen Festival:<br />

� Aria Quartett<br />

� Berner Kammerorchester<br />

� Berner Symphonie-Orchester<br />

� Bieler Symphonieorchester<br />

� Camerata Bern<br />

� Hochschule der Künste Bern<br />

� Internationale Gesellschaft<br />

für Neue Musik Bern<br />

� Musikschule Konservatorium Bern<br />

� Institut für Musikwissenschaft<br />

der Universität Bern<br />

� Zentrum Paul Klee<br />

Hauptsponsor:<br />

Amt für Kultur<br />

des Kantons Bern<br />

3<br />

Medienpartner:<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07<br />

Gestaltung: Neidhart Grafik, Bern


cinéma<br />

FILM<br />

formvollendetes fürchten mit david lynch<br />

Von Sarah Stähli (Bild: zVg.)<br />

■ Es ist ein grandios kunstvolles Spiel mit der<br />

Angst, zu dem uns das Enfant terrible des amerikanischen<br />

Kinos mit «Inland Empire» einlädt.<br />

Das Aufregende an David Lynchs Filmen ist, dass<br />

sie sich in <strong>kein</strong> Genre pressen lassen, er macht<br />

weder reine Horrorfi lme noch Kriminalfi lme. Er<br />

zielt auf unser Unterbewusstes. Es <strong>sind</strong> Kindheitsängste,<br />

Alptraumbilder, von denen er erzählt:<br />

Dunkle Räume und Treppenhäuser, verschlossene<br />

Türen, vertraute Gesichter, die sich in grässliche<br />

Fratzen verwandeln und aufdringliche Doppelgänger.<br />

Fünf Jahre liegen zwischen seinem letzten<br />

Werk «Mulholland Drive» und «Inland Empire».<br />

Obwohl vieles in seinem neuen Film so etwas wie<br />

Lynch-Klischees oder Selbstzitate <strong>sind</strong>, wird die<br />

eigene Marke nicht zur Masche. Eine derart experimentelle<br />

Filmsprache und so wenig Handlung:<br />

das überrascht sogar bei David Lynch. Nichtlineare<br />

Narration, diverse Handlungsstränge und Erzählperspektiven<br />

vermengt er zu einem elektrifi zierenden<br />

assoziativen Gesamtkunstwerk.<br />

Durch ein Brandloch in die Vergangenheit<br />

«Inland Empire» ist auch das gewaltige Comeback<br />

der Lynch-Muse Laura Dern. Wer sich in «Blue Velvet»<br />

ab ihrer biederen Naivität genervt hat, wird<br />

sie in «Inland Empire» vielleicht lieben lernen. Sie<br />

spielt in einer Tour de force mindestens drei Rollen,<br />

in denen sie zwischen White Trash und High Society<br />

changiert. Einer Alice im Angstland gleich öffnet<br />

sie ein Türchen nach dem anderen und betritt<br />

immer unheimlichere Welten; durch ein Brandloch<br />

in einem Seidentuch blickt sie zurück in eine rätselhafte<br />

polnische Vergangenheit.<br />

Nikki Grace ist Schauspielerin und wird für<br />

einen vielversprechenden Film engagiert. Bald<br />

stellt sich heraus, dass es sich dabei um ein Remake<br />

handelt – der Ursprungsfi lm wurde aus mysteriösen<br />

Gründen nie zu Ende gedreht. Anfangs<br />

wähnt man sich beinahe in einer Komödie. Lynch<br />

stellt die Dreharbeiten so dar, als sei das Ganze ein<br />

ziemlich lächerlicher Zirkus. Zum Beispiel wenn der<br />

Produzent – Harry Dean Stanton in einem grandiosen<br />

Kurzauftritt – von den Regieassistenten Geld<br />

borgt. Lynch, der am Filmemachen nichts mehr<br />

hasst als das Warten, verarbeitet diesen Frust in<br />

ein paar sehr amüsante Sequenzen. Man wünschte<br />

sich von Lynch einmal einen Film, der ganz Farce<br />

aufs Filmemachen ist. Bald schon verliert sich<br />

aber auch diese Episode in einem Labyrinth der<br />

Verwirrungen. Film im Film im Film ist die Grundlage<br />

dazu. Wann befi nden wir uns auf dem Filmset,<br />

wann in einem realen Gebäude? Kaum denkt<br />

man, das muss jetzt «Realität» sein und <strong>kein</strong> Filmdreh,<br />

erscheint ein sich langsam entfernender Kamerakran<br />

im Bild und aus dem Off ertönt ein<br />

«cut!».<br />

Verschwommene Scheiben Wer nach dem<br />

Drei-Stunden-Marathon im Saal sitzen bleibt in der<br />

Hoffnung, wenigstens in der abwegigen Endtitel-<br />

Sequenz eine Aufl ösung zu erhalten, wird nicht<br />

erlöst, sondern nur noch mehr verwirrt.<br />

Lynch ist Anhänger der transzendentalen Meditation<br />

und hat in letzter Zeit an seinen öffentlichen<br />

Auftritten zur Enttäuschung aller anwesenden<br />

Filmstudenten vor allem über seinen Guru gesprochen.<br />

Wovon «Inland Empire» handle, wisse er selber<br />

auch nicht genau, dass müsse jeder Zuschauer<br />

für sich selbst herausfi nden, meinte er in einem<br />

Interview und beschreibt seinen Film als «einen<br />

Blick durch verschwommene Scheiben des menschlichen<br />

Ichs auf dunkle Abgründe».<br />

Der Regisseur hat «Inland Empire» zum grössten<br />

Teil selber mit einer Digital-Videokamera gedreht.<br />

Er arbeitet mit Unschärfen, Überblendungen,<br />

verwirrenden Schnitten und unpassender Musik.<br />

Seine Freude an der ballastfreien Technik ist mit<br />

jeder Einstellung sichtbar, trotzdem verkommt der<br />

Film nie zu einer egomanischen Spielerei, die den<br />

Zuschauer links liegen lässt. Wie die junge Frau, die<br />

sich mit vor Angst geweiteten Augen eine seltsame<br />

Fernsehserie mit Hasen-Menschen anschaut – einer<br />

der wenigen roten Fäden in «Inland Empire» – können<br />

auch wir uns der surrealen Welt Lynchs nicht<br />

entziehen, möge sie noch so verstörend sein.<br />

Für Dern ist der Film eine Hommage Lynchs ans<br />

alte Hollywood und handle «vom Tod dessen, wofür<br />

Hollywood für ihn steht». Bestens veranschaulicht<br />

in der Sequenz, in der Nikki Blut auf die Sterne des<br />

Walk of Fame kotzt, um schliesslich neben einer<br />

Gruppe Obdachloser zusammenzubrechen. Der<br />

Film wurde in den USA im Eigenverleih lanciert. Als<br />

eigenwilliger Regisseur, der sich nicht reinreden<br />

lässt, hat es auch eine internationale Kultfi gur wie<br />

Lynch nicht leicht.<br />

«Geschichten <strong>sind</strong> Geschichten. Hollywood ist<br />

voll davon», heisst es einmal in «Inland Empire».<br />

Nach den ersten Minuten wird klar, dass dieser Film<br />

sehr viel mehr ist als nur eine weitere Geschichte<br />

aus Hollywood.<br />

«Inland Empire» läuft seit dem 26. April im Kino.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 23


cinéma<br />

SUNSHINE<br />

■ Die Geschichte von Regisseur Danny Boyles<br />

Science-Fiction-Film «Sunshine» ist etwas absurd:<br />

In fünfzig Jahren scheint die Sonne nicht<br />

mehr wie sie soll und die Welt erleidet einen fatalen<br />

arktischen Winter. Um die Quelle alles lebensspendenden<br />

Lichtes wieder in Gang zu bringen,<br />

ist die Mission Icarus II mit einer Riesenbombe<br />

Richtung Sonne unterwegs. Kurz vor dem Erreichen<br />

ihres Ziels empfängt sie ein Notrufsignal<br />

von Icarus I, der Jahre zuvor gescheiterten gleichen<br />

Mission. Und da nomen est omen, gibt es<br />

auch in «Sunshine» das unvermeidliche Element<br />

der menschlichen Schwäche. Wie in der griechischen<br />

Sage, in der sich Ikarus die Flügel an der<br />

Sonne verbrennt, muss die Crew von Icarus II<br />

schwerwiegende Entscheide treffen und dann<br />

mit deren Konsequenzen leben – oder sterben.<br />

Regisseur Boyle benutzt so ziemlich die gleichen<br />

Erzähltricks und Bildersprache wie in seinem<br />

Horrormeisterwerk «28 Days later» und<br />

dem Junkieklassiker «Trainspotting». Allerdings<br />

will in «Sunshine» kaum die gleiche Spannung<br />

oder das Sehvergnügen aufkommen. Vielleicht,<br />

weil die Ausgangslage der Geschichte unendlich<br />

weit von der aktuellen Wahrnehmung der Menschen<br />

entfernt ist, oder einfach weil den Hintergründen<br />

zu wenig Raum gegeben wird. Trotzdem<br />

wird «Sunshine» - ähnlich wie der unterschätzte<br />

Film «Event Horizon» von 1997, dessen Geschichte<br />

einem bei Boyles Film verteufelt vertraut vorkommt<br />

- aber über die Zeit hinweg sehenswert<br />

bleiben.<br />

Grund dafür ist eine feine Liga Schauspieler,<br />

die den Film tragen und die Spezialeffekte oder<br />

den Inhalt der Geschichte nebensächlich werden<br />

lassen. Allen voran Cillian Murphy, der sich bereits<br />

in «28 Days later» erstaunlich zäh gegen<br />

von Wut zerfressene Gegner zur Wehr gesetzt<br />

hat. Murphy («Breakfast on Pluto», «Red Eye»),<br />

der das Durchgeknallte genauso gut hinkriegt<br />

wie das Verletzliche oder Verzweifelte, spielt den<br />

Astrophysiker, der die Bombe zünden soll und<br />

der deswegen wohl als Einziger ein tiefgründigeres<br />

Charakterprofi l erhält. Doch auch Cliff Curtis<br />

(«Whale Rider») und Michelle Yeoh («Crouching<br />

Tiger, Hidden Dragon») tun das ihre, um den<br />

Film trotz einer hahnebüchenen erzählerischen<br />

Wende im letzten Drittel noch sehenswert zu machen.<br />

Der Film dauert 107 Minuten und ist seit dem<br />

19. April in den Kinos. (sjw)<br />

24<br />

FILM<br />

goodbye bafana<br />

Von Sonja Wenger (Bild: zVg.)<br />

■ Des einen Freiheitskämpfer ist des anderen Terrorist.<br />

Dieser Spruch gilt heute genauso wie 1964,<br />

als das südafrikanische Apartheidregime Nelson<br />

Mandela als einen der Anführer des African National<br />

Congress zu lebenslanger Haft verurteilte und<br />

im Gefängnis von Robben Island wegsperrte. Nur<br />

die Angst der Regierung, Mandela durch ein Todesurteil<br />

zum Märtyrer zu machen, bewahrte ihn<br />

damals vor dem Strick und am liebsten hätte das<br />

Regime den Schlüssel weggeworfen. Erst 1990 wurde<br />

Mandela medienwirksam freigelassen und wurde<br />

1994 zum ersten schwarzen, demokratisch gewählten<br />

Präsidenten Südafrikas.<br />

Während über zwanzig Jahre seiner Haft wurde<br />

Mandela von dem Gefängniswärter James Gregory<br />

bewacht. Als dieser 1968 nach Robben Island versetzt<br />

wird, überträgt man ihm den Gefangenen und<br />

die Zensur dessen Korrespondenz, da Gregory fl iessend<br />

Xhosa, Mandelas Muttersprache, spricht und<br />

ihn so ausspionieren soll. Doch der Kontakt mit dem<br />

charismatischen Mandela verändert das Weltbild<br />

des bis anhin regimetreuen Gregory, der aus einfachen<br />

Verhältnissen stammt und nur seine Familie<br />

vor den Schwarzen schützen will, die er allesamt für<br />

gefährliche Terroristen hält.<br />

Basierend auf den Memoiren von Gregory hat<br />

Regisseur Bille August mit «Goodbye Bafana» ein<br />

eindringliches Zeitbild der Apartheid geschaffen.<br />

Während der Rassentrennung in Südafrika von<br />

1948 bis 1990 hatte die schwarze Mehrheit des<br />

Landes <strong>kein</strong> Recht zu wählen, sich zu bilden, weder<br />

Haus- oder Landbesitz zu haben noch sich frei zu<br />

bewegen. Obwohl die Geschichte vornehmlich aus<br />

der Perspektive der Weissen erzählt wird, ist der Respekt<br />

für die Errungenschaften und den Einfl uss von<br />

Mandela in jeder Szene spürbar. Mit beklemmender<br />

Realität wird gezeigt, wie die weisse Minderheit des<br />

Landes die Schwarzen unterdrückte und mit wie<br />

viel Rassismus die Gefangenen konfrontiert waren.<br />

Durch die beeindruckende Leistung der drei<br />

Hauptdarsteller Joseph Fiennes als Gregory, Dennis<br />

Haysbert als Mandela und Diane Kruger als Gregorys<br />

Frau Gloria ist «Goodbye Bafana» aber auch ein<br />

intimes Porträt der Beziehung zwischen den beiden<br />

Männern und jener des Ehepaares Gregory. «Bafana»<br />

bedeutet Freund auf Xhosa und mit Ausnahme<br />

einer Rückblende in Gregorys Kindheit erzählt<br />

Regisseur August die Geschichte chronologisch<br />

und dicht gepackt mit historischen Begebenheiten.<br />

Elegant werden sie in das Heute des Films eingefl<br />

ochten und bewahren dadurch jene Beiläufi gkeit,<br />

die sich erst im Rückblick in etwas Spezielles verwandelt.<br />

Durch seine wachsende Sympathie mit Mandela<br />

und dessen Kampf für Gleichberechtigung wird Gregory<br />

zunehmend von seiner Umgebung angefeindet.<br />

Hin- und hergerissen zwischen seinen erschütterten<br />

Wertvorstellungen und dem Bedürfnis, für<br />

seine Familie zu sorgen, willigt er trotz wachsender<br />

Zweifel an der moralischen Überlegenheit seiner<br />

Arbeit immer wieder ein, seine Rolle weiterzuspielen.<br />

Dass er dadurch Teil der politischen Geschichte<br />

seines Landes wird, ist ihm schon früh bewusst und<br />

wesentlich für seine Motivation. Immer mehr wandelt<br />

sich Gregory von einem hasserfüllten Rassisten<br />

in einen Anhänger Mandelas.<br />

So fasst ein Zitat aus Nelson Mandelas Buch «Der<br />

lange Weg zur Freiheit» eindrücklich die Botschaft<br />

von «Goodbye Bafana» zusammen: «Niemand wird<br />

geboren und hasst andere Menschen wegen ihrer<br />

Hautfarbe, ihrer Herkunft oder ihrer Religion. Hass<br />

muss man lernen, und wenn man Menschen das<br />

Hassen beibringen kann, dann kann man sie auch<br />

lehren zu lieben, denn Liebe kommt einfacher in die<br />

Herzen der Menschen als sein Gegenteil».<br />

Der Film dauert 117 Minuten und kommt am 3.<br />

Mai in die Kinos.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


FILM<br />

spider-man 3<br />

Von Sonja Wenger (Bild: zVg.)<br />

■ Endlich, endlich, endlich ist Spider-Man wieder<br />

da! Im dritten Teil der Saga hat sich Spider-Man<br />

wie auch sein Alter Ego Peter Parker mit den düsteren<br />

Seiten seines Charakters und seiner Vergangenheit<br />

herumzuschlagen und sieht sich von einer<br />

Reihe neuer, mächtiger Feinde herausgefordert,<br />

die seine eigenen Kräfte überfordern.<br />

Dabei beginnt eigentlich alles ganz glücklich.<br />

Peter ist endlich mit Mary Jane zusammen, er geniesst<br />

die Bewunderung der Stadt für ihren Helden<br />

und auch das Studium läuft bestens. Doch gerade<br />

weil ihm all das zu Kopf steigt, bemerkt er nicht,<br />

dass Mary Janes Karriere als Schauspielerin gefährdet<br />

ist und sie sich immer mehr von ihm entfremdet.<br />

Zu all dem krallt sich ein schwarzes Wesen<br />

an Spider-Man und verwandelt den blau-roten Helfer<br />

der Menschen in ein düsteres, von Rachsucht,<br />

Stolz und Grössenwahn getragenes Wesen, dessen<br />

Charakter auch auf Parker buchstäblich abfärbt.<br />

Bis auf die ergänzenden Charaktere der neuen<br />

Bösewichter Sandman (Thomas Hayden Church)<br />

und Venom (Topher Grace) sowie James Cromwell<br />

als Polizeichef und Bryce Dallas Howard als<br />

seine Tochter Gwen sieht man vor allem vertraute<br />

Gesichter. Wie bereits in den Teilen eins und zwei<br />

besticht auch hier die Besetzung durch ihre Qualität<br />

und ergänzt die technischen Raffi nessen glänzend.<br />

Ein besonderer Genuss ist Toby Maguire, der<br />

genauso als rücksichtsloser, arroganter Schönling<br />

überzeugt und seine zusätzlichen Kräfte sichtlich<br />

geniesst, wie auch als der schüchterne und<br />

liebenswerte Peter Parker. Öfter als zuvor sehen<br />

wir Spider-Man auch ohne Gesichtsmaske, was Maguire<br />

noch mehr Spielraum für sein Schauspiel und<br />

beide Figuren stärker zusammenwachsen lässt.<br />

Gekonnt spielt der Film mit der Faszination und<br />

Anziehungskraft, die das Böse und Mächtige auszuüben<br />

vermögen, aber auch mit der Fragen nach<br />

moralischer Verantwortung und dem Kern des<br />

Guten im Menschen, der am Ende meistens siegt.<br />

«Man hat immer eine Wahl», wird zu Peters Leitspruch<br />

und Rettung, denn erst als er sich selbst<br />

von dem schwarzen Gift befreit, kann er auch andere<br />

davon überzeugen, es ihm gleich zu tun. Doch<br />

trotz der fi nsteren Momente, in denen die Grenze<br />

zwischen Freund und Feind verwischt, kommt in<br />

«Spider-Man 3» auch der Humor nicht zu kurz.<br />

Vor allem in der Gestalt von J. K. Simmons als Peters<br />

köstlich cholerischer Chefredaktor beim Daily<br />

Bugle, der diesmal an seinem Aggressionsverhalten<br />

arbeiten muss.<br />

Mit immer neuen Wendungen widmet sich der<br />

dritte Teil dem Erwachsenwerden von Peter und<br />

seiner Liebe zu Mary Jane Watson. Man erfährt<br />

noch mehr über die Umstände des Todes seines<br />

Onkels, der Peter so stark geprägt hat, erlebt den<br />

Wandel und die Läuterung seines von Trauer und<br />

Hass zerfressenen Freundes Harry Osborn und leidet<br />

mit, wenn Peters eigene Schuldgefühle oder<br />

Überheblichkeit ihn zu unverständlichen Handlungen<br />

treibt.<br />

Ganz in der Tradition von Fortsetzungen ist<br />

auch «Spider-Man 3» grösser, schneller, länger und<br />

– dank der erfahrenen Regiehand von Sam Raimi<br />

– so gut wie seine Vorgänger, wenn nicht gar besser.<br />

Ohne die ersten beiden Teile zu kennen, dürften<br />

allerdings einige Aspekte der Geschichte eher<br />

kryptisch bleiben. Als möglicher Abschluss eines<br />

Gesamtwerkes aber ist «Spider-Man 3» in erster<br />

Linie eine stimmige Weiterführung der Vorfi lme,<br />

grandiose Unterhaltung mit nicht zu viel und nicht<br />

zu wenig Tiefgang, sowie weit davon entfernt, mit<br />

einem banalen Happy End zu langweilen.<br />

Der Film dauert 139 Minuten und kommt bereits<br />

am Dienstag, 1. Mai, in die Kinos.<br />

cinéma<br />

TRATSCHUNDLABER<br />

Von Sonja Wenger<br />

■ Jesses, da fragte die deutsche «Gala» vor<br />

kurzem allen Ernstes, ob die «verlorenen Kinder<br />

von Hollywood» noch zu retten <strong>sind</strong>, deren Leben<br />

von Drogen, Alkohol und Magersucht bestimmt<br />

wird. Ja aber was soll man denn sonst tun ausser<br />

saufen in einer Welt, in welcher der Papst wie der<br />

Chancellor aus «Star Wars» aussieht? In einer<br />

Welt, in der auf web.de Jude Law wegen seiner<br />

«hinterhältigen Affäre mit dem Kindermädchen»<br />

als die «grösste Liebesratte» bezeichnet wird,<br />

und der britische Sender BBC die Geschichte eines<br />

Kameramannes im Irak nicht ausstrahlt, weil<br />

es für den Titel «Weddings and beheadings» jetzt<br />

gerade ein etwas unpassender Zeitpunkt sei.<br />

<strong>Wir</strong> leben auch in einer Welt, in der man<br />

Christina Ricci nicht mehr wiedererkennt, weil<br />

sie ihr süsses Mondgesicht genauso der Dürrezeit<br />

geopfert hat wie Courtney Love, die, nein,<br />

nein, «<strong>kein</strong>e Magenoperation hatte», jetzt wie<br />

der Klon von Dolly Parton aussieht und ihre 23<br />

Kilo weniger einer «gesunden, kalorienarmen Ernährung<br />

und Diätshakes» verdanke. Klar. Immerhin<br />

gibt es einen Hoffnungsschimmer am Ende<br />

des Bunten-Blätter-Dschungels: Kate Middleton<br />

ist wieder Single. Offenbar <strong>sind</strong> noch nicht alle<br />

klugen Frauen verhungert, denn niemand mit<br />

auch nur einem Funken Verstand bleibt in dieser<br />

Familie – und sei es nur um dem Horrorszenario<br />

zu entfl iehen, jedes Jahr einen doofen Hut nach<br />

Ascot tragen zu müssen.<br />

Noch mehr Hoffnung macht, dass nun endlich<br />

auch in der «Schweizer Illustrierten» Platz für<br />

ernsthafte politische Analysen geschaffen wurde.<br />

Nur so ist zu erklären, dass Andreas Thiel über<br />

SVP-Präsident Ueli Maurer schreiben durfte: Er<br />

«glaubt an Gott, stammt aber intellektuell vom<br />

Urknall ab». Auch die deutsche «taz» schrieb<br />

kürzlich Kuddiknuddelknut und «duzziduzziduzzi»,<br />

und hat damit eigentlich alles auf den Bär<br />

gebracht - sogar die Norweger wollen ihn jetzt<br />

offenbar adoptieren, denn bei ihnen sei es viel<br />

kälter. Der wahre Grund aber ist wie immer Geld.<br />

Wenn das nächste Mal irgendwo ein Tierbaby<br />

ansteht, dann kaufen Sie Aktien - diejenigen des<br />

Berliner Zoos zumindest haben seit der Ära Knut<br />

ihren Wert verdoppelt.<br />

Und noch jemand wird seinen Wert vervielfachen:<br />

Das neue Exemplar des Mister Schweiz<br />

ist da und heisst Tim Wielandt. Aber lassen wir<br />

ihn erst mal in Ruhe – denn die Schlagzeilen der<br />

letzten Tage sprechen für sich: «Mr. Schweiz - Die<br />

Beichte: Ich habe gekifft. Ich war untreu. Ich habe<br />

randaliert». Er sei nicht glatt rasiert – aber bestimmt<br />

eine ehrliche Haut, oder im «Blick»-Jargon:<br />

«Mister Arglos».<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 25


das andere kino<br />

26<br />

www.cinematte.ch / Telefon 031 312 4546 www.kellerkino.ch / Telefon 031 311 38 05 www.kinokunstmuseum.ch / Telefon 031 328 09 99<br />

■ TOUR D’AMOUR - MÉNAGE À TROIS Dreiecksbeziehung<br />

- das Wort lässt sich ableiten vom<br />

Italienischen «Triangolo equilaterato», dem, wie<br />

Lichtenberg 1799 schreibt, «häuslichen Glückseligkeitssystem<br />

aus Mann, Frau und Amant.» Nun,<br />

das «Glückseligkeitssystem» ist manchmal nicht<br />

so harmonisch, wie es klingt. Jules et Jim wird<br />

eine Hymne auf das Leben und auf den Tod, die<br />

in heiteren und traurigen Episoden zeigen will,<br />

dass eine Liebesbeziehung ausserhalb des Paares<br />

auf die Dauer <strong>kein</strong>e Chance hat», schrieb Francois<br />

Truffaut über seinen Film, der das Thema der Ménage<br />

à trois federleicht und melancholisch zugleich<br />

verhandelt. Im Zyklus Ménage à trois zeigen<br />

wir Dreiecksverhältnisse unterschiedlichster Art<br />

– meist erzählen die Filmemacher vom Scheitern<br />

der Liebe, von Verlassenen und Enttäuschten, von<br />

Eifersucht und Betrug. Und manchmal ist das Dreieck<br />

auch ein Viereck, wie jenes zwischen Chow, Su<br />

Li-zhen und ihren Ehepartnern in Wong Kar Wai’s<br />

poetischem Film In the mood for Love. Liebesverwirrungen<br />

gibt’s aber auch in Komödienform: Die<br />

französische Regisseurin Agnes Jaoui führt in Le<br />

goût des autres vor, wie sich ein verliebter Unternehmer<br />

im Künstlermilieu zum Idioten macht.<br />

Zudem im Zyklus: Despabílate Amor, Como<br />

Agua para Chocolate, Bin Jip, Y tu Mamá También.<br />

Spieldaten und Filmbeschriebe wie immer<br />

unter www.cinemattte.ch<br />

Das Erbe der Bergler Vom 3. bis 7. Mai und<br />

vom 17. bis 21. Mai zeigen wir Erich Langjahrs Film<br />

über die letzten Wildheuer im Muotatal.<br />

Kurzfi lmnacht: Freitag, 18. Mai, ab 18:00 h<br />

Mit «Kurz in Berlin» zeigen wir legendäre Kurzfi<br />

lme mit und ohne Mauer, nominierte und preisgekrönte<br />

Filme <strong>sind</strong> in «Schweizer Filmpreis» zu<br />

sehen und nach den «Shocking Shorts» wird der<br />

Heimweg alleine eher gefürchig... VVK: Münstergass-Buchhandlung,<br />

Münstergass 33.<br />

Song & Dance Men: Hardcore Chambermusic<br />

Mittwoch, 30. Mai, 20:00 h Peter Liechtis Film<br />

ist die Verdichtung von dreissig Tagen Musik, in<br />

denen das Trio Koch-Schütz-Studer jeden Abend<br />

2 Sets à 40 Minuten improvisierten. Musikalische<br />

Einführung von Hans Koch und Martin Schütz.<br />

■ WWW – WHAT A WONDERFUL WORLD (Von<br />

Faouzi Bensaidi, Marokko 2005, 99‘, Arabisch/d/f,<br />

Spielfi lm) Casablanca ist nicht nur ein legendärer<br />

Film aus Hollywood, es ist auch eine real existierende<br />

Stadt voller Kontraste, modern und archaisch in<br />

einem. Hier lebt Kamel als Auftragskiller in einer<br />

Art Einzimmer-Penthouse. Die Aufträge erhält er<br />

übers Internet. Cool führt er sie aus. Nach jedem<br />

ausgeführten Auftrag ruft er Souad an, eine Gelegenheitsprostituierte,<br />

mit der er anschliessend ins<br />

Bett steigt. <strong>Wir</strong>klich den Kopf verdreht ihm aber<br />

Kenza, die an einer der am stärksten frequentierten<br />

Kreuzungen in Casablanca den Verkehr regelt<br />

oder besser: dirigiert, so, als würde sie ein Symphonieorchester<br />

leiten. Zunächst kennt Kamel nur<br />

Kenzas Stimme, aber er wird nicht locker lassen,<br />

bis er den Körper dazu gefunden hat. Der professionelle<br />

Hacker Hicham mischt sich übers Internet<br />

in die Kontakte von Kamel ein - und das schafft<br />

diesem Probleme. WWW - WHAT A WONDERFUL<br />

WORLD ist ein durch und durch moderner Film,<br />

burlesk im Spiel, schräg in der Bildkomposition,<br />

witzig und kühn. Mit Nezha Rahil und Faouzi Bensaidi,<br />

einem grossartigen Liebespaar.<br />

UMOREGI - LA FÔRET OUBLIÉE (Von Kohei<br />

Oguri, Japan 2005, 93’, Japanisch/d/f, Spielfi lm)<br />

In einer kleinen Stadt nahe den Bergen besucht<br />

Machi die Mittelschule. Sie steckt in einem Alter, in<br />

dem das Leben noch eine klarere Richtung erfahren<br />

wird. Zusammen mit ihren Freundinnen sitzt<br />

sie zusammen, um spielerisch in Geschichten einzutauchen,<br />

die sie sich erzählen. <strong>Wir</strong>klichkeit und<br />

Geschichten beginnen sich zu durchdringen, die<br />

Grenzen lösen sich auf, und Kohei Oguri lädt uns<br />

ein, in seine eigenwillige Bilderwelt einzusteigen.<br />

CRASH TEST DUMMIES (Von Jörg Kalt, Ö<br />

2005, 97‘, E/d/f, Spielfi lm) Ein rumänisches Pärchen<br />

strandet ohne Geld in Wien. Ihre Wege trennen<br />

sich, kreuzen sich mit Einheimischen und führen<br />

sie schliesslich wieder unter neuen Vorzeichen<br />

zusammen. Ein Film über Zufälle, kontrollierte Unfälle<br />

und das Herz der Tragik...<br />

Die Spieldaten entnehmen Sie bitte unserer Homepage<br />

www.kellerkino.ch.<br />

■ TOUR D’AMOUR: FILMREIFE HOCHZEITEN<br />

Die Cinématte, das Kellerkino, das Kino in der Reitschule,<br />

das Lichtspiel und das Kino Kunstmuseum<br />

präsentieren unter dem Label Das andere Kino<br />

(www.dasanderekino.ch) den gemeinsamen Zyklus<br />

Tour d’amour.<br />

Im Kino Kunstmuseum wird während des Wonnemonats<br />

Mai siebenmal geheiratet oder beinahe<br />

geheiratet. Siebenmal eskaliert dabei der schönste<br />

Tag im Leben, und es kommt zu unschönen Überraschungen.<br />

Die sieben Filme: The Graduate, Russische<br />

Hochzeit, Chat noir, chat blanc, Mon frère<br />

se marie, Gegen die Wand, The Syrian Bride und<br />

The Wedding Banquet. 5. bis 29. Mai.<br />

FILMEMACHERINNEN HEUTE: JEANNE<br />

BERTHOUD Die Reihe fi ndet ihren Saisonabschluss<br />

mit der Präsentation der Berner Filmemacherin<br />

Jeanne Berthoud. Sie ist am Montag, 21.<br />

Mai, zu Gast im Kino Kunstmuseum. Mit Darf ich<br />

mal schreien ist ihr ein äusserst ironisches Werk<br />

gelungen: Die Marketingverantwortlichen des Einkaufszentrums<br />

Shoppyland suchten 1998 im Rahmen<br />

einer grossen Werbekampage ein Traumpaar,<br />

um es mit einer Hochzeit im Einkaufszentrum und<br />

einer Aussteuer im Wert von 70‘000 Franken zu<br />

beglücken. Ein grosses Medienecho und eine Intervention<br />

der Evangelisch- Reformierten Kirchen<br />

Bern-Jura waren den originellen Managern gewiss.<br />

KUNST UND FILM: ERNST LUDWIG KIRCH-<br />

NER In Ergänzung zur Ausstellung «Expressionismus<br />

aus den Bergen – Kirchner, Bauknecht, Wiegers<br />

und die Gruppe Rot-Blau», die vom 27. April<br />

bis zum 19. August 2007 im Kunstmuseum Bern<br />

zu sehen ist, zeigt das Kino Kunstmuseum Michael<br />

Trabitzschs vielgerühmten Film Ernst Ludwig<br />

Kirchner - Zeichnen bis zur Raserei über den<br />

deutschen Expressionisten. 6. bis 27. Mai.<br />

VORSCHAU Takeshi Kitano: Schauspieler,<br />

Regisseur, TV-Star – Die gewaltsame Zärtlichkeit<br />

des Moments. 2. bis 25. Juni.<br />

Kino Openair im PROGR-Innenhof. Ab 5.<br />

Juli.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


KI O<br />

i n d e r R e i t s c h u l e<br />

N<br />

Für das Tagesprogramm die Tageszeitung oder das Internet www.bernerkino.ch<br />

LICHTSPIEL<br />

www.reitschule.ch / Telefon 031 306 69 69 www.lichtspiel.ch / Telefon 031 381 15 05 www.pasquart.ch / Telefon 032 322 71 01<br />

■ TOUR D‘AMOUR – LOVE IMPOSSIBLE Unter<br />

dem Motto: «Sie konnten zueinander nicht kommen,<br />

das Wasser war viel zu tief» stehen die Liebesfi<br />

lme im Kino in der Reitschule, die im Rahmen<br />

der TOUR D’AMOUR zu sehen <strong>sind</strong>. Nicht glückliche<br />

Heiratsfeste werden da gefeiert, <strong>kein</strong>e leidenschaftlichen<br />

amours fous durchlebt, die erste Liebe<br />

längst verfolgen - nein im Kino in der Reitschule<br />

ist die Liebe eine unmögliche: Da liebt der Affe<br />

King Kong ein weibliches Wesen voller Inbrunst, da<br />

lieben Menschen ihre Hunde, Katzen Hasen mehr<br />

als diesen Tieren lieb ist, da gibt es nekrophile und<br />

inzestuöse Neigungen und ein moderner Orpheus<br />

wagt es, seine Liebe in der Unterwelt zurück zu<br />

fordern - erfolglos.<br />

Orfeu Negro Der Filmklassiker von Marcel Camus<br />

verlegt den Mythos von Orpheus und Eurydike<br />

nach Brasilien. Kissed, ist ein einfühlsames wie<br />

eigensinniges Drama, das sich dem Tabuthema<br />

Nekrophilie ohne jegliche Exploitation-Spekulation<br />

nähert. Höhenfeuer: In Fredi M. Murers radikalem<br />

Film Höhenfeuer lieben sich eine Schwester und<br />

ein Bruder: In ihrer Vereinigung sprengen sie alle<br />

Fesseln und begeben sich in eine Welt jenseits akzeptierter<br />

Normen. Ulrich Seidls Tierische Liebe<br />

erzählt von Menschen in der Großstadt. Tiere dienen<br />

ihnen als Ansprechpartner, Lebensgefährten,<br />

Streichelobjekte und Bettgenossen. Ulrich Seidl<br />

hat sich mit seinem bislang radikalsten Film tief in<br />

die Grauzonen von Liebe und Einsamkeit gewagt.<br />

King Kong die tragische Romanze des Affen Kong<br />

mit dem schönen Menschenskind Ann ist ein Leckerbissen<br />

für Cineasten und Freunde des alten<br />

Hollywoodfi lms.<br />

Auch Uncut dreht sich mit im Reigen der Tour<br />

d’Amour: Love and Death on Long Island, von<br />

Richard Kwietniowski handelt von einem bekannten<br />

Schriftstellers,der sich beim Besuch eines amerikanischen<br />

Teenie-Films leidenschaftlich in einen<br />

Kinostar verliebt. Der Film erinnert an Viscontis<br />

Tod in Venedig und Loving Annablle, von Katherine<br />

Brooks ist inspiriert vom Klassiker Mädchen<br />

in Uniform. Die Regisseurin erzählt eine moderne<br />

Liebesgeschichte, voll bespickt mit lesbischer Erotik.<br />

■ TOUR D‘AMOUR – ERSTE LIEBE Die noch unbekannte,<br />

spannende und zugleich verwirrende Gefühlswelt<br />

der ersten Liebe auf der Leinwand sichtbar<br />

zu machen, ist eine Herausforderung für jeden<br />

Filmemacher. Das Lichtspiel zeigt Blickwinkel aus<br />

verschiedenen Zeiten, Kulturen und Gesellschaftsformen.<br />

Lubitsch nähert sich dem Thema mit viel Humor:<br />

In Die Puppe (D, 1919) wird ein Junggeselle<br />

von Mönchen überredet, eine Puppe zu heiraten,<br />

um eine saftige Mitgift zu kassieren. Livebegleitung<br />

Ch. Henking (Mi 2.5., 20:00 h)<br />

In Indien entstand Renoirs Film The River (USA,<br />

1951), der von drei Mädchen in einer britischen Gemeinde<br />

am Ganges erzählt, die jede auf ihre Art und<br />

Weise die erste Liebe zu einem kriegsverletzten Offi<br />

zier erleben. (Mi 9.5., 20.00 h) In Julien Duviviers<br />

Marianne (F/BRD 1954) verliebt sich ein Student in<br />

ein engelhaftes Wesen, das in einem einsamen Herrensitz<br />

gefangen gehalten wird. (Mi, 16.5., 20:00 h)<br />

Susumu Hani geht in Hatsukoi Jigokuhen (Jap.,<br />

1968) der schwierigen Liebesgeschichte zwischen<br />

Nanami, einer unbeschwerten Prostituierten, und<br />

dem stillen Shun, der als Junge von seinem Pfl egevater<br />

missbraucht wurde, nach. (Mi, 30.5., 20:00 h)<br />

MACH DOCH, WAS DU WILLST ist ein buntes<br />

Kurzfi lmprogramm mit originellen Visionen von<br />

der Zukunft der Arbeitswelt. Darunter Bus, die Geschichte<br />

einer Arbeits-Guerilla, die sich die Arbeit<br />

einfach nimmt. Outsourcing untersucht, was wäre,<br />

wenn man die Familie nur unter wirtschaftlichen<br />

Aspekten betrachtete und plötzlich Mitglieder entliesse.<br />

(Do 3.5., 20:00 h)<br />

CinemAnalyse Fellinis Prova d‘orchestra (I,<br />

1979), Metapher für eine in Eigeninteressen zerrissene<br />

Gesellschaft, erzählt von einer chaotischen<br />

Orchesterprobe von Musikern, allesamt Individualisten<br />

voller Überheblichkeit, Neid, Spott und Hass.<br />

SORTIE DU LABO Hans Richter weilte in den<br />

30er-Jahren in der Schweiz. In seinen Auftragsfi lmen<br />

aus dieser Zeit prangert er die sozialen Missstände<br />

und die miserablen Lebensbedingungen in<br />

den Grossstädten an und vergleicht das Wohnverhalten<br />

verschiedener Schichten. Livebegleitung: W.<br />

Pipczynski (Mo, 21.5., 20:00 h)<br />

■ L’autobus au cinéma Eine spezielle Zusammenarbeit<br />

pfl egt das Filmpodium für sein neues<br />

Programm: Im Mai/Juni <strong>sind</strong> die Verkehrsbetriebe<br />

Biel unser Partner. Und der Autobus ist meistens<br />

die Hauptperson in unserem Filmprogramm. Das<br />

öffentliche Verkehrsmittel geniesst einen hohen<br />

Stellenwert in der Welt des Films. Im Bus fi nden<br />

die unterschiedlichsten Menschen zusammen,<br />

dort spiegelt sich die Welt im Kleinen. Die kubanischen<br />

ProtagonistInnen in Lista de espera warten<br />

vergeblich auf einen Bus. Die widrigen Umstände<br />

zwingen sie, gemeinsam einen alten Bus zu reparieren,<br />

in der Hoffnung, dadurch endlich an ihr<br />

Reiseziel gelangen zu können (11.-14.5.). In Speed,<br />

dem amerikanischen Busbeitrag vereinigen sich<br />

die Fahrgäste gegen das Böse schlechthin! Jan de<br />

Bont erzählt diesen Höllentrip mit einer gehörigen<br />

Portion Spannung und Action und mit einer tollen<br />

Starbesetzung: Keanu Reeves, Sandra Bullock<br />

und Dennis Hopper (1.-4.6) Im Bus des Films von<br />

Aparna Sen Mr. And Mrs. Iyer vermischen sich<br />

die verschiedensten Kasten Indiens miteinander:<br />

Reich und Arm, betrunkene Spieler, ein frisch vermähltes<br />

Paar. Die Reibereien und kleinen Machtkämpfe<br />

innerhalb dieser Schicksalsgemeinschaft<br />

verweisen auf die grossen Konfl ikte, die das Land<br />

auszutragen hat. (8./9.6.). Und natürlich <strong>sind</strong> auch<br />

die beiden Bus-Filme par excellence wieder einmal<br />

zu sehen: Die Reise durch den afrikanischen Kontinent<br />

mit dem TGV (18.-20.5.) und Atom Egoyans<br />

The Sweet Hereafter (25./26.5.).<br />

Das Jahr 2007 ist den Täufern gewidmet. Gegenwärtig<br />

fi nden im Emmental und anderswo viele<br />

Veranstaltungen statt, welche die Geschichte und<br />

die Verfolgung dieser im 16. Jahrhundert kurz<br />

nach der Reformation entstandenen Bewegung<br />

aufarbeiten. Zu diesem Anlass zeigt das Filmpodium<br />

am 21. Mai den Film Im Leben und über das<br />

Leben hinaus von Peter von Gunten.<br />

Eine weitere Horrorfi lmpodiumsnacht ist am<br />

2. Juni angesagt. Das Kabinett des Dr. Caligari<br />

(1919) von Robert Wiene und The Fly (1958) von<br />

Kurt Neumann werden wiederum für die nötigen<br />

Angstschauer sorgen.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 27


28<br />

Alther&Zingg<br />

Ein filosofisches Gespräch:<br />

«So blödsinnig <strong>sind</strong><br />

indes nur Wenige,<br />

dass man ihnen nicht<br />

Ideen beibringen<br />

könnte.»<br />

Max Stirner 1845<br />

Mittwoch, 30. Mai 2007 // 19:00 Uhr<br />

tonus-labor, Kramgasse 10<br />

Mitbringen: Ideen, Stimme, Instrumente oder so...<br />

Verlängert<br />

Das Nostalgie-Karussell ist bis am<br />

3. Juni 2007 auf dem Gurten.<br />

Infos: www.interwerk.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


KULTUR & GESELLSCHAFT<br />

im trend <strong>sind</strong><br />

Von Peter J. Betts<br />

■ Im Trend <strong>sind</strong> grosse Worte: «Mark’ting,<br />

Mark’ting über alles...» Ob Haydn (Hoffmann von<br />

Fallersleben würde sich eh darin nicht wiedererkennen)<br />

Freude gehabt hätte, diese beiden Wörter<br />

seinen Klängen, die, zusammen mit eindrücklichen<br />

Begleitaktivitäten, die Welt erobert hatten, einverleibt<br />

zu hören? Eine Art Blasphemie? Wahrscheinlich<br />

nicht. Nicht in einer Zeit, in der die Hülle nur<br />

allzu oft alles zu sein scheint: alles IST. Eher «bag<br />

of hot air» als Goethes «Nichts ist innen, nichts<br />

ist aussen, / Denn, was innen ist, ist aussen». Wen<br />

wundert es, dass beispielsweise auch Ärzte (pars<br />

pro toto) betriebsam Marketing betreiben? Da<br />

steht etwa in einem halbseitigen Inserat (Solothurner<br />

Zeitung Gesamtausgabe, Seite 24, vom 10.<br />

März 2007): «Dass Kosmetik reine Frauensache ist,<br />

davon geht heute niemand mehr aus. Die Werbung<br />

macht’s vor - haarfrei muss Mann sein.» oder «Ein<br />

haarloser Oberkörper gehört im Fitnesszentrum<br />

seit einigen Jahren einfach zum guten Ton.» oder<br />

«Auch sportliche Männer, die ihr Training für einige<br />

Zeit ausfallen lassen, bilden schnell Fettpolster<br />

auf den Hüften. Wenn Training und Diät nicht mehr<br />

helfen, heisst das Zauberwort «Liposuction». oder<br />

«Für mildere Gesichtszüge empfehlen die beiden<br />

Ärzte von ... Botox- Injektionen». All das, um «das<br />

innere Bild mit dem äusseren in Einklang zu bringen».<br />

Und die Kosmetikerin, eine «langjährige<br />

Mitarbeiterin» eines der beiden glättenden Ärzte<br />

«kommt ins Schwärmen», weil sie in Zusammenarbeit<br />

mit den Ärzten so hoch konzentrierte Stoffe<br />

verwenden kann, wie sie sonst in Kosmetikstudios<br />

Tabu wären. Ein Blick in den Spiegel: Falten trotz<br />

Frühlingserwachen. Der ultimative Schrecken unseres<br />

Hier und Jetzt: Zeichen des Alterns, Spuren<br />

des Lebens, Zeichen der <strong>Wir</strong>klichkeit. Ja nicht<br />

hinschauen! Hier: ja <strong>kein</strong> Profi l! Auf «Anti-Ageing»<br />

programmieren, auch wenn «Decaying» oder<br />

wenigstens «Declining» angesagt wäre! Glätten =<br />

mildern - mit Botox! Mag sein, dass dieses Nervengift<br />

entspannt. Ich denke auch, die beiden Ärzte<br />

<strong>sind</strong> durchaus in der Lage, so zu injizieren, dass<br />

beispielsweise nicht der Patient plötzlich ein paar<br />

Wochen lang die Augenlider nicht mehr heben<br />

kann, weil die entsprechenden Muskeln lahmgelegt<br />

worden <strong>sind</strong>. Und auch das wäre ja <strong>kein</strong> dauernder<br />

(eingedenk des vorhin skizzierten erschütternden<br />

Spiegelerlebnisses: gar ein erwünschter?) Effekt,<br />

ebenso wenig wie die beabsichtigte «Glättung»,<br />

die zu «milderen (nichtssagenderen?) Gesichtszügen»<br />

führen soll. Fragt sich jemand, was der Sinn<br />

der Sprache eines Gesichtes sein könnte? Man<br />

kann Freude im Gesicht des Gegenübers lesen.<br />

Sorge. Fröhlichkeit. Angst. Zorn. Entschlossenheit.<br />

Trotz. Heiterkeit. Trauer. Lust. Und so weiter. All<br />

das - auch ohne Worte. Man kann sich dabei etwa<br />

fragen: «Warum mache ich sie/ihn wütend, traurig,<br />

lustig, heiter, ängstlich, trotzig?» Und bei Menschen,<br />

die in ihrem kürzeren oder längeren Leben<br />

viele Sorgen erlebt haben, oft und immer wieder<br />

zornig waren, ist das auch, wie Lachfalten, in ihren<br />

Gesichtern im Ruhezustand lesbar. Und bei dieser<br />

Lektüre könnte man sich zum Beispiel nach Gründen<br />

fragen; man könnte sich sogar fragen, beispielsweise,<br />

ob man etwas dazu beitragen könnte,<br />

DIE SORGEN zu lindern, oder das Gegenüber zum<br />

Lächeln oder Schmunzeln zu bringen. So oder so:<br />

Bei diesem optischen Dialog – in der Annahme, man<br />

werde selber ebenfalls wahrgenommen - käme man<br />

(gegenseitig) dem Inneren des Gegenübers näher.<br />

Anhand der sicht- und lesbar gewordenen Lebensgeschichte.<br />

Weil das innere Bild mit dem äusseren<br />

im Einklang IST. Das allerdings macht die Werbung<br />

in der Tat nicht vor. Gesucht ist Glätte. Ausdruckslosigkeit.<br />

Inhaltsleere. Kontaktlosigkeit. Autismus,<br />

auch optisch. Ich bin übrigens durchaus ebenfalls<br />

der Meinung, ein Blick in den Spiegel – Frühlingserwachen<br />

hin oder her - könne grosse Unzufriedenheit<br />

auslösen. Es soll Menschen geben, die imstande<br />

<strong>sind</strong>, ihr Gesicht oder sich selber zu lesen.<br />

Aber ich hielte es, milde ausgedrückt, für blanken<br />

Irrsinn oder härter: wenig sinnvoll, den Spiegel zu<br />

zertrümmern, sich die Augen auszustechen u.s.w.<br />

Ein möglicher Weg – den die Werbung schon gar<br />

nicht vormacht, wäre die Frage nach den Ursachen<br />

und nach Möglichkeiten, DIESE zu verändern.<br />

Nein, nein, ich meine nicht, die beiden marketingorientierten<br />

Schönheitsdoktoren entsprächen nicht<br />

den «Zeichen unserer Zeit». Im Gegenteil. Sie<br />

SIND Exponenten der Kultur unserer Zeit und haben<br />

sich als solche «positioniert». Ich habe sie zu<br />

Exponaten gemacht: weil sie auf verschiedensten<br />

Ebenen wunderschön gängige Mechanismen unserer<br />

Kultur veranschaulichen. Natürlich gibt es auch<br />

andere Beispiele. Vorhin habe ich in einer Berner<br />

Zeitung gelesen, wie auf der Frontseite im kursiven<br />

Kommentar ein Herr Kunz, der der «selbst ernannten<br />

Sportstadt Bern» bezüglich Eishockey-WM,<br />

2009 aufl istet, was die Voraussetzungen dafür<br />

denn wirklich wären: «Will sich Bern längerfristig<br />

als Event- und Sportstadt positionieren, braucht es<br />

weitere Grossanlässe.» Positionieren. Eine «Sportstadt»<br />

braucht also nicht Sportlichkeit im Sinne<br />

von Fairness, dem Schwächeren eine Chance geben,<br />

den Unterlegenen aufrichten, nach hartem<br />

Einsatz freudig sowie mit Achtung vor der Gegnerin<br />

siegen – UND auf gleiche Weise verlieren. Nicht<br />

einmal körperliche Ertüchtigung, Kameradschaft<br />

magazin<br />

oder Teamgeist <strong>sind</strong> gefragt. Wo denken Sie hin!<br />

Sie braucht Grossevents. Und im gleichen Geist(?)<br />

spricht man von Leuchttürmen der Kultur: Nein,<br />

<strong>kein</strong>e Warnung vor Näherung zu gefährlichen Küstenstellen<br />

hin, etwa weil die Schiffe ungenügend<br />

überversichert oder die Rettungsdienste unzuverlässig<br />

wären, im Gegenteil. Die Werbung macht’s<br />

vor: Von einer Kulturstadt spricht man also. Ich bitte<br />

Sie: Kann mir jemand eine Naturstadt nennen?<br />

Irgendwo auf der Erde? Genf nennt sich «Stadt<br />

der Kultur». Von der Begriffl ichkeit her macht das<br />

Sinn – UND als Zielsetzung. Von einem Kulturkonzept<br />

redet man – um Zeit zu gewinnen, also um<br />

zu optimieren? Nein, nicht von einem Konzept =<br />

gleich Korsett, für die Kulturpolitik, sondern von<br />

einem Korsett für die Kultur und denkt dabei nicht<br />

in erster Linie an Halt geben. Unter Profi l einer<br />

«Kulturinstitution» versteht man eine gehäufte<br />

Menge von Veranstaltungen, die einander jagen,<br />

und von vielen eingefl ogenen grossen Namen<br />

– mit oder ohne Gesicht, und wenn mit, bitte mit<br />

geglättetem (denken Sie an Botox). Es geht um<br />

Betriebsamkeit. Besuchszahlen. Messbarkeit. Urs<br />

Frauchiger schrieb einmal dem Sinne nach: «Mich<br />

interessiert nicht so sehr, wie viele Hinterteile in<br />

einem Konzert sitzen, sondern, wie viele Herzen<br />

bewegt werden.» Lange Probezeiten? Eingehen<br />

auf Risiken? Zum Misserfolg stehen wollen? Langfristig<br />

etwas aufbauen? Wo denken Sie hin! Ein<br />

Stararchitekt verpackt Schokolade in monströse,<br />

Zynismus ausstrahlende Kunststoffbauvolumen:<br />

Offenbar geht es nicht um Frigor, sondern um<br />

Nouvel. Gesucht <strong>sind</strong> Glätte, schöne Oberfl ächen,<br />

Verpackungen und beileibe nicht Inhalte. Die glättende<br />

Schönheitspraxis in ärztlicher Hand als Heil<br />

für alle, als Endlösung oder nur als Anstatt? Ich<br />

will nicht verschweigen, aber das macht das Ganze<br />

<strong>kein</strong>eswegs besser, dass fast am Anfang des Inserates<br />

das marketingbewusste Ärzteteam scheinbare<br />

Weltoffenheit zum Klingen bringt, indem<br />

dermatologische Kosmetik wirkungsbezogen mit<br />

einer «jahrtausendealten Entspannungstechnik<br />

wie Yoga» gleichgesetzt wird. Leider demaskiert<br />

auch das - das Exponat ist tauglich: Yoga, ‹im Westen›<br />

auf eine nützliche, gebrauchsfertige Entspannungstechnik<br />

als Regenerationsquelle unserer auf<br />

Aktivismus und Konsum fi xierten hedonistischen<br />

Lebensweise reduziert, steht zunehmend für uns<br />

Werbegeleitete, für unser aller hoffnungsloses<br />

Nichtverstehenwollen und schamloses Ausbeuten<br />

aller Werte, ob natürlich gewachsener oder über<br />

lange Zeit erdachter: in der Tat ein eigenartiges<br />

Kulturverständnis.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 29


magazin<br />

BERNER KULTURMENSCHEN<br />

die wahrscheinlichkeit des glücks<br />

Von Eva Mollet (Bild: Eva Mollet)<br />

■ Die freischaffende Schauspielerin Dorothée<br />

Müggler lacht und sagt den folgenden Satz etwas<br />

zögerlich: «Ich glaube, glaube ich, ans Glück. Man<br />

darf das Glück hinterfragen - oder sich dem Glück<br />

auch hingeben.» Doro hat sich von einer Suchenden<br />

zu einer Fragenden entwickelt, sie will kritisch<br />

bleiben.<br />

Asiatische Silberkettchen schmücken das rechte<br />

Handgelenk. Die Augenbrauen bewegen sich<br />

lebhaft im Mienenspiel ihres Gesichts. Eine schmale<br />

Narbe zieht sich durch die rechte Braue.<br />

Doro hat einen vierjährigen Sohn und lebt zusammen<br />

mit ihrem Freund und dessen Tochter.<br />

Momentan probt Doro an einem Stück von<br />

Gaël Roth «Die Besetzung des Hinterlandes» im<br />

Vorstadttheater Basel. Der Film «Bersten» kommt<br />

noch dieses Jahr in die Kinos. Doro spielt darin<br />

eine der drei Hauptfi guren.<br />

Die Zeit der Suche Die Arbeit des Vaters an<br />

verschiedenen Schweizer Konsulaten bedingt für<br />

die Familie mehrere Auslandaufenthalte. Doro<br />

fühlt sich nirgends richtig zu Hause. Sie ist die<br />

Aussenseiterin. Dafür spricht sie fl iessend Englisch,<br />

Französisch, «Deutschland-Deutsch» und<br />

Italienisch. Mit fünfzehn beschliesst sie, in der<br />

Schweiz zu bleiben, während die Eltern weiterziehen.<br />

Sie lebt in einer Pfl egefamilie. Nach der Matura<br />

studiert sie zwei Jahre Jura, «aber es war nicht<br />

das Richtige.» Danach absolviert sie die Lehre zur<br />

Buchhändlerin. Der geheime Wunsch, Schauspielern<br />

zu werden, drängt an die Oberfl äche. Mit der<br />

Hilfe von Stefan Suske bereitet sie sich auf die<br />

30<br />

Prüfung an der Schauspielschule vor. Das Studium<br />

absolviert Doro an der Hochschule für Musik und<br />

Theater in Zürich. «Mein Beruf ist eine permanente<br />

Auseinandersetzung mit anderen Figuren. Darin<br />

lassen sich eigene Charakterzüge fi nden. Ich mag<br />

es, wenn ich mich wiedererkenne.»<br />

Theater und Filme/TV Die Qualität ihrer Arbeit<br />

ist Doro sehr wichtig. «Vor der Kamera stehen,<br />

hat viel mit Intuition zu tun. Spielen bedeutet, im<br />

Moment zu sein, zu leben. In der Vorbereitung ist<br />

die Kognition wichtig.<br />

Nach der Schauspielschule spielt Doro ihre<br />

erste Hauptrolle im Film «Lücken im Gesetz» von<br />

Christoph Schertenleib.<br />

Im Kinofi lm «Bersten» von Michael Finger spielt<br />

sie eine Frau, die nach einem Schicksalsschlag<br />

nicht zurechtkommt. Ihre Wut und ihren Schmerz<br />

richtet sie gegen das Kind. Sie muss es weggeben,<br />

um wieder zu sich selbst zu fi nden. Möglicherweise<br />

wird der Film in Locarno uraufgeführt. Der Dreh<br />

des Films liegt bereits ein Jahr zurück.<br />

Doro möchte gerne in Deutschen Filmen mitspielen.<br />

Es braucht Geduld, als Schweizerin eine<br />

gute Rolle zu bekommen, obwohl sie perfektes<br />

Deutsch spricht.<br />

Für die Lenzburger Theatertage bereiten sich<br />

fünfundzwanzig Schauspieler und Schauspielerinnen<br />

vor, je eine kurze Szene zum Thema «Glück»<br />

vorzuspielen. Doro schreibt momentan an ihrem<br />

Text. Die Szenen dienen als Grundlage für die Autoren,<br />

die dann über Nacht ein Stück schreiben.<br />

Der nächste Tag wird mit Proben genutzt und am<br />

gleichen Abend fi nden die Uraufführungen der<br />

Stücke statt. Die Gruppen der Beteiligten (Regie,<br />

Schreibende, Schauspielende) werden per Los zusammengestellt.<br />

Die freischaffende Schauspielerin Glücksmomente<br />

während der Arbeit entschädigen Doro<br />

immer wieder für die fi nanziellen Ungewissheiten,<br />

die sie manchmal als freischaffende Schauspielerin<br />

hat. «Akute Ängste akzeptiere ich und lasse sie<br />

zu, danach versuche ich zu vertrauen, dass alles<br />

gut kommt.» Die Freiheit selbst zu bestimmen, in<br />

welchen Projekten sie mitarbeiten will, verlangt<br />

auch Kompromisse. Heute <strong>sind</strong> ihr inhaltliche Tiefe<br />

und gute Zusammenarbeit wichtiger. Sie will<br />

auch eigene Stücke schreiben. Nach dem Erfolg<br />

von «Mary Poppins» schreibt Doro zusammen<br />

mit anderen an einem Stück über die Mumins. Die<br />

Uraufführung fi ndet 2008 im Schlachthaus Bern.<br />

«Ich versuche aus etwas Kleinem etwas Grosses zu<br />

machen oder umgekehrt. Fast alle wichtigen Themen<br />

<strong>sind</strong> im Alltag beobachtbar. Ich interessiere<br />

mich für unterschiedliche Lebensentwürfe. Auch<br />

Paradoxe fi nde ich spannend, sie werfen Fragen<br />

auf. Jeder Mensch ist einzigartig und doch ein Teil<br />

der Gesellschaft. Das lässt sich übertragen: Filme<br />

und Theater <strong>sind</strong> interessant, wenn sie irgendwie<br />

einzigartig und gleichzeitig allgemeingültig <strong>sind</strong>.»<br />

Nach diesen Aussagen überlegt Doro laut: «Stimmt<br />

das so? Ja, ich denke schon.»<br />

www.agenturlux.de<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


CARTOON<br />

www.fauser.ch<br />

VON MENSCHEN UND MEDIEN<br />

das jüngste gericht<br />

Von Lukas Vogelsang<br />

■ Die Schweiz ist ein lustiges Land, das haben wir<br />

hier schon ein paar Mal erwähnt. Im Frühsommer<br />

des Aprils, mit unseren Sennenkäppli und Alphörnern,<br />

spielen wir unsere Sandkastenspielchen.<br />

Feinstaub und Katzenkot sehen wir natürlich nicht.<br />

Zwischendurch zerstören wir des Nachbars Sandburg<br />

und dann lachen wieder alle. Nur jener vor<br />

dem getrümmerten Sandhaufen rumpelt fünf Minuten<br />

vor sich hin, spielt dann aber wieder munter<br />

weiter. Der Sandkasten hat einen Namen: «Demokratie».<br />

Und jeder und jede, die darin spielen wollen,<br />

erhalten genügend Becherchen, Schäufelchen<br />

und Kesseli – eben ganz sozialistisch, kommunistisch,<br />

kapitalistisch, nationalistisch, violett, dunkelblau<br />

und pink... Es ist alles demokratisch und hat<br />

bestens Platz im Sandkasten.<br />

Die Schweizer spielen also in der «Demokratie»,<br />

das Spiel heisst «Neutralität». Und wir müssen uns<br />

um nichts sorgen, denn alle wissen: Wenn in der<br />

Demokratie mal etwas nicht klar ist, dann gibt’s ein<br />

Gericht. Also, nicht ein demokratisches Gericht,<br />

sondern eines, das alles weiss, eines, welches über<br />

allem steht: das Militärgericht. Und da ein Militärgericht<br />

nicht demokratisch ist, muss es sich nicht<br />

um Sozialisten, Kommunisten, Kapitalisten und<br />

Nationalisten kümmern. Nur um die Journalisten.<br />

Dieses Lumpenpack hat nämlich die Eigenschaft,<br />

den Schweizern in der «Demokratie» die Spielre-<br />

geln zu erklären, aber allem Anschein nach die falsche<br />

Version. Doch das ist ein alter Sandkastenhut<br />

(www.schlapphut.ch).<br />

Nun, im ganzen Drama ging’s ja eigentlich um<br />

die Frage der Existenz von CIA-Gefängnissen in<br />

Europa. Das ominöse Fax, mit den veralteten Infos,<br />

das ein paar dreiste Journalisten veröffentlichten,<br />

war nur deswegen brisant, weil es zeigte, dass<br />

die Schweiz befreundete Regierungsbotschaften<br />

überwacht oder abhöhrt. Es ging nicht um unerlaubte<br />

CIA-Gefängnisse. Die Journalisten mussten<br />

deswegen vor ein Sondergericht, eben dem Militärgericht,<br />

weil sie Informationen veröffentlicht<br />

hatten. Das macht alles total Sinn. Man fragt sich<br />

allmählich, wer hier in der Schweiz das Sagen hat:<br />

das Militär oder das Militär?<br />

In diesem Zusammenhang ist etwas Lustiges<br />

mit dem explodierten Tornado in Lauterbrunnen<br />

passiert. Eigentlich ist da ein Flugzeug verunglückt,<br />

nur war es ein deutsches Kriegsfl ugzeug<br />

auf einem angeblichen Trainingsfl ug. Nun stellt<br />

sich heraus, dass auch andere Kriegsfl ugzeuge in<br />

der Schweiz trainieren – für vielleicht Afghanistan<br />

oder so. Also, nicht nur die Flieger, sondern auch<br />

am Boden spielen ein paar Soldaten aus anderen<br />

Ländern. Das Militär hat damit wieder über den<br />

Sandkasten hinweg entschieden. Natürlich <strong>sind</strong><br />

damit für den Schweizer und die Schweizerin nur<br />

magazin<br />

ein paar Sandburgen kaputtgegangen – wenn<br />

überhaupt. Die Tornadoaffäre klingt wie eine misslungene<br />

Geheimoperation, die dummerweise in<br />

der Öffentlichkeit explodierte. Dumm gelaufen, ein<br />

fremder Tornado sollte nicht alleine in der Schweiz<br />

rumkurven können – schon gar nicht, wenn er seine<br />

Flugerlaubnis erst in Emmen in Empfang nimmt.<br />

Es war immer nur von einem Flieger die Rede. Gespannt<br />

warteten wir also auf die Auswertung des<br />

Flugschreibers – mit der Gewissheit, dass uns das<br />

Militär sicher nicht erklären wird, was wirklich geschehen<br />

ist. Und es ist schwer anzunehmen, dass<br />

die Journalisten <strong>kein</strong>e Fragen stellen werden – wenigstens<br />

<strong>kein</strong>e elementaren und unangenehmen.<br />

Zum Beispiel wäre da die Erkenntnis, dass der<br />

Flugschreiber überhaupt nichts mit der Flugerlaubnis<br />

zu tun hatte. Und so warteten alle auf die<br />

«Public-Related-Messages», eine durchgeknetete<br />

Schönwetternachricht, aufbereitet für die Medien<br />

mit dem Inhalt: Alles unter Kontrolle.<br />

Zum Glück haben die SchweizerInnen in den<br />

Aprilferien eh nichts mitbekommen und nachträglich<br />

Fragen zu stellen, schickt sich nicht, der Alltag<br />

stellt uns vor ganz andere Probleme. Und da «20<br />

Minuten» die meistgelesene Zeitung ist, müssen<br />

wir uns nicht um unsere demokratische Sandburg<br />

bangen. Unser jüngstes Gericht, das Militärgericht,<br />

wird’s richten.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 31


magazin<br />

LIFESTYLE<br />

fair made – fair trade – fair price<br />

Von Andrea Baumann - Mit gutem Gewissen Seide tragen (Bild: zVg.)<br />

■ Und wieder ist ein Winter um. Im vergangenen<br />

November, Dezember war Franziska Lack abermals<br />

in Vietnam und Laos unterwegs, wo sie die neue<br />

Kleiderkollektion ihres Labels Ideale – Kleider aus<br />

fairem Handel - in Auftrag gegeben hat. Wenige<br />

Monate später packt sie die gelieferten Kartons in<br />

ihrem Kellergeschäft an der Kramgasse 9 aus. Für<br />

die Ouvertüre am 26. April 2007 müssen die Kleidungsstücke<br />

überprüft, gebügelt sowie ausgelegt<br />

werden.<br />

Ratsch – und ein weiterer Karton ist offen; Franziska<br />

greift nach den Hemden aus Rohseide, lässt<br />

das Material durch ihre Hände gleiten und ist mehr<br />

als zufrieden mit der Farb- und Stoffqualität. «Genauso<br />

habe ich mir dies gewünscht – es ist nämlich<br />

nicht ganz einfach, lichtbeständige Farben möglichst<br />

ökologisch herzustellen», weiss Franziska<br />

Lack aus langjähriger Erfahrung zu berichten. Mit<br />

Fred Strasser zusammen unterstützte sie den Bau<br />

einer Färberei in Vietnam, die ausschliesslich mit<br />

ökologischen Farben arbeitet. Jacken, Hosen, Anzüge,<br />

Jupes, ja sogar Taschen in leuchtendem Rot,<br />

Grün, Königsblau, Gelb oder Orange verwandeln<br />

das Kellergeschäft zunehmend in ein farbenreiches<br />

Seidenparadies. Die ganze Stoffverarbeitungspalette<br />

von Roh-, Knitter-, Taft-, Jacquard- bis hin zur<br />

Satinseide ist vertreten.<br />

«Ich musste fürs Modebusiness überredet werden»,<br />

erinnert sich Franziska. Als Austauschstudentin<br />

lernte sie Asien kennen und lieben. Zahlreiche<br />

Reisen durch Laos, Vietnam sowie Thailand folgten<br />

und intensivierten den Wunsch, ein eigenes Fair-<br />

Trade-Projekt zu lancieren. Durch die gesammelten<br />

Reiseerfahrungen und Kontakte stiegen Franziska<br />

Lack und Fred Strasser zuerst im Tourismus ein. Ein<br />

Projekt, das heute unabhängig sowie fest in vietnamesischen<br />

Händen fl oriert. «So muss eine faire<br />

Zusammenarbeit für mich funktionieren», unterstreicht<br />

Franziska, «die Starthilfe kommt von ausländischen<br />

Investoren mit dem Ziel, den Einheimischen<br />

32<br />

das Unternehmen, sobald es läuft, zu übergeben».<br />

Auf einer ihrer Reisen durch Laos lernte die Jungunternehmerin<br />

Efi , ein amerikanischer Modedesigner,<br />

kennen, der die Nase gestrichen voll hatte vom<br />

westlichen Modebusiness und in der Abgeschiedenheit<br />

Laos die Ursprünglichkeit von Farben, Form und<br />

Material suchte. Am selben Tag lernte sie eine wohlhabende<br />

Thailänderin kennen, die ausgepowert von<br />

der Grossstadthektik Bangkoks, sich im asiatischen<br />

Bergland der buddhistischen Harmonie zuwandte<br />

und die Webkunst für sich entdeckte. Das Weben<br />

packte sie, so dass die Thailänderin entschloss, ein<br />

Frauenprojekt auf die Beine zu stellen. Ein bisschen<br />

viel Zufall, dachte Franziska, und interpretierte diese<br />

Begegnungen als Zeichen. Mit einem Schneider<br />

arbeitete die junge Schweizerin in Vietnam bereits<br />

zusammen. Franziska und Efi reisten deshalb zwei<br />

Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit zwanzig<br />

Kilo Stoffmuster, was zwanzig Jahren Designarbeit<br />

entspricht, nach Hanoi, wo sie die ganze Kollektion<br />

Schneider Dung in Auftrag gaben. Die langjährige<br />

Zusammenarbeit mit Dung stärkte das Vertrauen<br />

von Efi und Franziska und garantierte den Kopienschutz.<br />

Das Risiko wäre für Efi zu gross gewesen,<br />

sein zwanzigjähriges Lebenswerk an Stoffmustern<br />

irgendeiner Produktionsstätte zu überlassen.<br />

«Vietnam hat eine lange Seidentradition», erwähnt<br />

Franziska und ergänzt: «Im 19. Jahrhundert fertigten<br />

vietnamesische Familienbetriebe auch Broderiearbeiten<br />

für die französische Landeskirche an.»<br />

Durch den Vietnamkrieg verloren die Schneiderfamilien<br />

ihre Existenz. «Das Wissen um die traditionelle<br />

Verarbeitung konnte über lange Zeit bewahrt<br />

werden, nun droht es durch die Globalisierung und<br />

das aggresive Marktverhalten der Chinesen zu verschwinden»,<br />

beklagt Franziska, deshalb ist es ihr<br />

so wichtig, dieses Kunsthandwerk zu unterstützen.<br />

Der Markt in Vietnam wurde liberalisiert, so dass<br />

Schneideraufträge direkt an Privatbetriebe vergeben<br />

werden können. Die Coconfarmen und die<br />

Seidenraupenzucht werden hingegen nach wie vor<br />

staatlich kontrolliert.<br />

Denkt Franziska an ihr Projekt, beruht ihr Credo<br />

auf drei Punkten: In erster Linie will sie mit ihrem<br />

Engagement gerechte Arbeitsplätze für Einheimische<br />

schaffen, damit Familien ein Auskommen<br />

haben. In Vietnam ist der Familienbetrieb sehr<br />

verbreitet und intakt. Überdies sollte die Manufaktur<br />

möglichst nach ökologischen Gesichtspunkten<br />

geführt werden. Und drittens möchte Franziska mit<br />

ihrer Geschäftsidee, Kultur bewahren und fördern.<br />

Heute ist Franziska Lack lucky, dass sie sich<br />

vom Modefi eber anstecken liess. Gehindert haben<br />

sie anfänglich, das aufgesetzte Modediktat und die<br />

unfairen Arbeitsbedingungen ausserhalb Europas.<br />

Sie hat bewiesen, dass Kleider unter Fair-Trade-<br />

Bedinungen nichts mit Jute oder Hanf zu tun haben<br />

müssen. Im Gegenteil hip als auch zeitlos <strong>sind</strong><br />

ihre Seidenkleider. «Mode ist kopieren», sagt Franziska,<br />

«die ganze Fashionwelt funktioniert nach<br />

diesem Prinzip». «Kreativ werde ich, wenn ich die<br />

Ideen interpretiere.» So passt die Seidenexpertin<br />

asiatische Grundmuster dem schweizerischen Geschmack<br />

an und präsentiert jede Saison Neuheiten.<br />

Einmal <strong>sind</strong> es kontrastreiche Farbkombinationen,<br />

dann wieder neuentdeckte Materialmixe, die<br />

ihre Kollektion bereichern. Dieses Jahr exklusiv:<br />

ein klassischer Sarong (langer Wickeljupe), der<br />

reversibel gefertigt ist. Frau kann entweder den<br />

feierlich, purpurnen Samt nach aussen tragen oder<br />

die dezente, jadegrüne Seide.<br />

Wichtig ist Franziska Lack, dass Qualität und<br />

Preisleistung stimmen. Deshalb auch «fair made<br />

– fair trade – fair price». Franziskas Konzept «Ideale»<br />

– Kleider aus fairem Handel - funktioniert. Bestätigt<br />

wird dies nicht nur durch die Unterstützung und<br />

Anerkennung einer nationalen Kundschaft – sogar<br />

aus benachbarten Ländern reisen die Seidenliebhaberinnen<br />

an, wenn jeweils im Frühling die Kellertore<br />

geöffnet werden.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


STADT UND LAND<br />

...und im pass steht «gärtner»<br />

Von Lukas Vogelsang - Glauser auf dem Oeschberg. Ein szenischer Rundgang. (Bild: zVg.)<br />

■ Pressetext: «Er ist der älteste in der Klasse, ein<br />

Sonderling, der immerzu schreibt, mit niemandem<br />

spricht und sich ab und zu auch mal vor der Arbeit<br />

drückt. Er ist fi nanziell ausgebrannt, das sieht man<br />

an seiner Kleidung. Auch ist er Morphinist (nahm<br />

die Ersatzdroge Morphium unter ärztlicher Aufsicht<br />

regelmässig ein) und steht unter Vormundschaft,<br />

doch das weiss niemand.<br />

Nach und nach beginnt Glauser zu erzählen,<br />

von der Fremdenlegion, von Paris, von den Dadaisten<br />

in Zürich. Auch sonst verändert sich der<br />

Alltag auf dem Oeschberg. Der Direktor erhält<br />

öfter Besuch von einem Arzt aus Münsingen, einem<br />

Mann von Welt. Und die Frau Direktor beginnt<br />

wieder Klavier zu spielen. Von Glausers Freundin<br />

Trix <strong>sind</strong> alle hingerissen, aber sie ist unnahbar wie<br />

ein ‹Wolkenreh›. Glauser träumt davon, in Paris als<br />

freier Schriftsteller zu leben. Aber dazu muss er<br />

erst Gärtner werden.»<br />

Es klingt wie ein gutes Drehbuch für einen Kinofi<br />

lm – vielleicht sollte daraus auch etwas werden.<br />

Die einleitende Geschichte des Diplomprojekts<br />

Theaterpädagogik unter der Leitung von Murielle<br />

Katharina Jenni und der Hochschule Musik und<br />

Theater Zürich (HMTZ) in Zusammenarbeit mit<br />

der Gartenbauschule Oeschberg bietet viel Stoff<br />

dafür. Und tatsächlich, der am 4. Februar 1896<br />

in Wien geborene (mit Heimatort Muri bei Bern),<br />

schrieb 1928 seinem Psychiater Max Müller: «Ich<br />

möchte am liebsten, wenn ich von irgendwoher<br />

das Geld zusammenkriegen kann, auf ein Jahr in<br />

eine Gartenbaumschule, um dann auf diese Art<br />

mein tägliches Brot verdienen zu können. Und Blumen<br />

interessieren mich.» So traf er 1930 auf dem<br />

Oeschberg ein.<br />

Unter verschiedenen Zielsetzungen wurde die<br />

Theater-Inszenierung aufgebaut. Man wollte Friedrich<br />

Glausers Leben sichtbar, spürbar und hörbar<br />

machen, Glausers Unruhe auf dem Oeschberg in<br />

einen Kontext bringen, den Oeschberg dem Publikum<br />

wieder in Erinnerung bringen, eine Geschichte<br />

wieder an ihren Ursprungsort zurückbringen<br />

und die Gruppe des generationenübergreifenden<br />

Ensembles zu einem Ganzen zusammenfügen. Das<br />

klingt spannend und nach viel Detailbewusstsein.<br />

Glauser auf dem Oeschberg<br />

Ein szenischer Rundgang<br />

magazin<br />

Text und Regie: Murielle Katharina Jenni<br />

Spiel: Ruth Graf, Miriam Hallauer, Heinz Knecht,<br />

Adrian Möri, Luc Müller, Eva Rolli, Fritz Ryf, Adrienne<br />

Schnyder, Heinz von Wartburg, Lehrlinge<br />

und Lehrer der Gartenbauschule Oeschberg, Bewohner<br />

des Dienstbotenheimes Oeschberg<br />

Aufführungsdaten:<br />

Do, 3.5. / Fr, 4.5. / Do, 10.5. / Fr, 11.5. / Sa, 12.5.<br />

jeweils um 20:15 h<br />

Do, 24.5. / Do, 31.5. / Fr, 1.6. / Sa, 2.6. jeweils um<br />

20:45 h<br />

Infos und Reservation: 034 413 77 77<br />

www.glauser-auf-dem-oeschberg.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 33


magazin<br />

TANZ<br />

jetzt aber mal langsam<br />

Von Till Hillbrecht - Keine Eile im Freiraumschaffen. Ein Workshop als entschleunigendes Tempolimit (Bild: Till Hillbrecht)<br />

■ Zeitlupe: Eine angewandte Methode, um Bewegungsabläufe<br />

verlangsamt darzustellen. Die Zeitlupe<br />

wird benutzt, um schnelle oder komplizierte<br />

Vorgänge verständlich zu visualisieren.<br />

Soviel zu Zeit. Nun zur Lupe: Sie dringt in die<br />

Struktur ein und zeigt uns die Dinge zwischen den<br />

Dingen. Die Lupe kann Sonnenlicht bündeln und<br />

ein Feuer entfachen.<br />

Eine solche Kraft sucht und fi ndet Susanne Daeppen<br />

in der Kunst der Langsamkeit. Die Tänzerin<br />

und Tanzpädagogin ist die Schöpferin der Workshops<br />

«Wahrnehmung in Zeitlupenbewegung vor<br />

der Kunst von Paul Klee». Wer sich langsam bewegt,<br />

nimmt anders wahr und wer langsam geht,<br />

eröffnet dem Denken neue Räume.<br />

Ein entschleunigter Moment, ein Spaziergang<br />

auf der entgegengesetzten Seite des Zeitraffers.<br />

Was fi ndet man im Langsamen?<br />

Auf Langsamkeit setzt die Choreografi n, um zur<br />

Ekstase zu gelangen. Eine kontroverse Aussage in<br />

einer Zeit der 2-in-1-Duschgels, der All-in-One-Vitaminpräparaten<br />

und 5-Minuten-Gratins, weil das<br />

Date schon vor der Türe steht. Gerade die Kontroverse<br />

aber ist nötig, um den Kontrast vor Augen<br />

zu führen. Es dreht sich im Workshop darum, über<br />

Tanz und Langsamkeit die eigene Erdung wieder<br />

anzuschliessen, Leere zu schaffen und sich selbst<br />

zu spüren. Und dabei einen ungewohnten Zugang<br />

zur Kunst von Paul Klee zu entdecken.<br />

Ein wenig weiter entfernt von der Kunst Klees<br />

und näher bei ihrem wöchentlichen Kursangebot<br />

liegt der Ursprung von Susanne Daeppens Workshop-Idee.<br />

Während ihres Aufenthaltes in New<br />

York, der Tanz-Hauptstadt der 80er/90er Jahre,<br />

stösst die Bernerin auf den Butoh-Tanz - eine japanische,<br />

revolutionäre Tanzart, die vom schamanistischen<br />

Tänzer Tatsumi Hijikata Mitte der 60er<br />

Jahre ins Leben gerufen wurde. Butoh ist der ewig<br />

ungeborene Tanz. Bewegung ohne Formzwang, ein<br />

34<br />

Tanz mit sich selbst, der Tänzer ist sein eigenes<br />

Thema. Butoh lässt Susanne Daeppen nicht mehr<br />

los.<br />

Ein Unterschied zu zeitgenössischem Ballet<br />

liegt im ersten Moment nicht offensichtlich auf der<br />

Hand. Er wiegt aber schwer im Wesentlichen: Wer<br />

Butoh tanzt, ist sein eigener Ursprung. Die Form<br />

des Balletts hingegen liegt ausserhalb von ihm,<br />

sie liegt im Vorgegebenen der Ballettschule. Butoh<br />

also ist <strong>kein</strong> Tanz mit langer Tradition, wie der<br />

Name oder der Ursprung vermuten liessen. Den<br />

Butohtänzerinnen und -tänzern ging es nach dem<br />

Zweiten Weltkrieg darum, sich nach der Verwestlichung<br />

und der Amerikanisierung den eigenen<br />

Werten und Wurzeln bewusst zu werden. Sich gegen<br />

Form und Inhalt zu verweigern, um Neues und<br />

Authentisches entstehen zu lassen. Der Workshop<br />

indes ist – genauso wie Daeppens wöchentliche<br />

Kurse in Bern – durch eine weniger radikale Brille<br />

geprägt als jene Sicht der früheren Butoh-Tänzer.<br />

Daeppen bezeichnet ihr Angebot auch nicht als eigentlichen<br />

Butohtanz. Es ist daran angelehnt und<br />

übernimmt beispielsweise seine wertefreie Ansicht.<br />

Als «philosophischen Tanz mit sich selbst»<br />

beschreibt Daeppen ihren Workshop.<br />

Inspiration fi ndet Daeppen auch im Yoga und<br />

dem Zen-Buddhismus. Lernen, analytisches und<br />

intellektuelles Denken abzuschalten. Die vor allem<br />

im Westen aufgebaute Körperfeindlichkeit<br />

abzutragen und seinem eigenem Wesen Wichtigkeit<br />

schenken, dem Körper die richtige Nahrung<br />

zu geben. Diese Herangehensweise öffnet neue<br />

Blickwinkel, sie stellt die normierte Sicht der Gesellschaft<br />

beiseite und lässt dem individuellen<br />

Blickwinkel den Vorrang. In Bezug auf Paul Klee<br />

heisst das zum Beispiel: Während zwanzig Minuten<br />

auf ein Bild hinzuzulaufen und Details entdecken,<br />

die man nie zuvor gesehen hat. Langweilig? Nun,<br />

wer weiss, ob dies nicht spannender ist als eine<br />

Zeitungslektüre derselben Anzahl Minuten...<br />

As slowly as possible. So lautet die Tempovorschrift<br />

des Künstlers John Cage für seine Orgelkomposition<br />

«Organ2» in Halberstadt, deren erster<br />

Klang im Februar 2003 ertönte und ihr Schluss<br />

voraussichtlich im Jahr 2639 erklingen wird.<br />

Nächster Klangwechsel in der Partitur: Juli 2008.<br />

As slow as possible eben. Um ein «Bewusstsein zu<br />

schaffen», darum geht es Cage. Ein Bewusstsein<br />

für Musik, für Verhaltensweisen und für unser Vermögen<br />

zu denken. Um Bewusstsein geht es auch<br />

im Butoh.<br />

Butho ist <strong>kein</strong> Tanz der Ästhetik. Oder ist er<br />

es, weil er eben auch Hässlichkeit zulässt? Der<br />

Workshop hat Reduktion zum Ziel, der gemeinsame<br />

Nenner weicht dem individuellen Thema. Dem<br />

Fluss, dem Licht. Der Erde, dem Atem. Freiräume<br />

schaffen.<br />

Soviel Freiraum und so wenig Tradition lässt<br />

auch eine Transposition ins Zeitgenössische zu.<br />

Susanne Daeppen beweist dies durch ihre künstlerische<br />

Zusammenarbeit mit Musikern wie Don<br />

Li oder Philipp Läng. Wichtig ist Musik, die <strong>kein</strong>en<br />

Halt bietet, <strong>kein</strong>en Griff an gängigem Raster zulässt.<br />

Damit und mit dem Funken der Tänzer, mit<br />

deren Intensität wird die Art von Leere erzeugt,<br />

welche bei unserem täglichen Auslöffeln der Gesellschaftssuppe<br />

<strong>kein</strong>en Platz mehr fi ndet.<br />

Eine junge Teilnehmerin des letzten Workshops<br />

bedankte sich bei Susanne, weil sie noch nie so geträumt<br />

habe wie in der Nacht nach dem Tanzen.<br />

Schön.<br />

Die Kunst der Langsamkeit – Tanz-Workshop<br />

zur Wahrnehmung in Zeitlupenbewegung vor<br />

der Kunst von Paul Klee<br />

Zentrum Paul Klee, Sonntag, 20.5., 14:00-17:00 h<br />

www.dakini-dance.ch<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


magazin<br />

REISEZIEL HOTEL<br />

schokoladenhotel «cailler» im greyerzerland<br />

Von Andrea Baumann (Bild: Andrea Baumann)<br />

■ Im Vordergrund soll für einmal nicht das Hotel<br />

stehen, sondern die Umgebung – nämlich das<br />

Fribourger Voralpengebiet. <strong>Wir</strong>ft man einen Blick<br />

auf die vorbeifahrenden Autokennschilder, <strong>sind</strong> die<br />

Berner im Fribourgischen stark in der Minderzahl,<br />

obwohl die Gegend nur einen Katzsprung von der<br />

Bundeshauptstadt entfernt ist.<br />

Zwischen Schwarzsee und Charmey, zwei Orte<br />

mit touristischem Flair, verläuft der viel zitierte<br />

«Röstigraben». Die Sprachgrenze ist hier <strong>kein</strong>e<br />

scharfe Linie, sondern eine mehr oder weniger<br />

breite Zone, wo Flurnamen aus beiden Einzugsgebieten<br />

buntgemischt vorkommen. So <strong>sind</strong> Bezeichnungen<br />

wie «Unter Recardets» oder «L’Auta Chia»<br />

im Sprachgebrauch anzutreffen. Dazwischen gibt<br />

es nichts als Wälder, Weiden und Felsen. In dieser<br />

Stille, unweit von Charmey, steht das Kloster La<br />

Valsainte mit den strengsten Schweigeregeln der<br />

ganzen Schweiz.<br />

In der Abgeschiedenheit hinter der Bergkette<br />

der La Berra haben im Jahr 1295 Mönche des<br />

strengen, katholischen und kontemplativen Kartäuserordens<br />

eine Heimat gefunden. Heute leben<br />

gegen zwölf Patres (Priestermönche) und fünfzehn<br />

Laienbrüder in diesem einzigen noch betriebenen<br />

Kartäuserkloster der Schweiz. Schweigsamkeit und<br />

ein Leben in Gebet und Arbeit prägen den Alltag.<br />

Jeder Mönch in La Valsainte besitzt seine eigene<br />

kleine Klause mit Garten. Die Kirche ist dem Publikum<br />

zugänglich, nicht aber das Kloster. In einem<br />

speziell eingerichteten Raum für Auskünfte geben<br />

Modelle einen Einblick wie die Räumlichkeiten und<br />

die Klausen der Mönche ausgestattet <strong>sind</strong>. Im Umland<br />

der Kartause herrscht ansonsten Stille. Umso<br />

befremdender wirken die zahlreichen Touristen,<br />

die mit Autos anreisen, parkieren, kurz ums Kloster<br />

gehen und einen Blick ins Infobüro werfen.<br />

Das Greyerzerland birgt aber noch andere<br />

Schätze. Weltberühmt ist etwa der Greyerzerkäse.<br />

Diente die Milchwirtschaft und Käseproduktion<br />

anfänglich der Selbstversorgung, konnten die<br />

Greyerzer ab 1850 dank der besseren Verkehrsverbindung<br />

mit der Eisenbahn die Käselaibe in die<br />

ganze Welt exportieren. Unverkennbar fribourgerisch<br />

<strong>sind</strong> die weiss-schwarz gefl eckten Kühe, die<br />

auf den saftigen Alpweiden grasen. Die Milch dient<br />

nicht nur der Käseherstellung, auch die Milchschokoladeproduktion<br />

profi tiert davon. François Cailler<br />

ist der Urvater der Schweizer «Milchschoggi». 1819<br />

eröffnete er in Corsier-sur-Vevey die erste Schoko-<br />

ladenfabrik der Schweiz und produzierte als erster<br />

Schokolade in der noch heute gängigen Tafelform.<br />

Das Hotel «Cailler» in Charmey bietet, seinem Namen<br />

getreu, Besichtungen in die Schokoladenfabrik<br />

Nestlé-Cailler an. Als übergrosses, dreiteiliges<br />

Chalet konzipiert, ist sich das Hotel des Blickfangs<br />

sicher. Für die einen mag dieses Vier-Sterne-Hotel<br />

zu protzig sein, für andere wiederum wird von der<br />

modernen Wellnessanlage über Seminarräume<br />

und einer exquisiten Küche alles geboten, was ein<br />

urbaner Gast wünscht. Freuen darf man sich über<br />

die kulinarischen, regionalen Spezialitäten, die im<br />

Speiserestaurant des Hotels serviert werden. Die<br />

Fribourger haben in dieser Hinsicht einiges zu bieten.<br />

Der Wintersport wurde nicht nur in Schwarzsee<br />

forciert, auch in Charmey gehören leider grosse<br />

Parkplätze und eine Ansammlung von neuen Chalets<br />

um den alten Dorfkern zum Ortsbild. Was den<br />

beiden Touristenorten einen spröden Charme verleiht<br />

und die effektive Schönheit des Gebiets erst<br />

auf den zweiten Blick erkennen lässt, dieser ist jedoch<br />

umso eindrucksvoller.<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07 35


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36<br />

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05/07<br />

ensuite - kulturmagazin Nr. 53 | Mai 07


ar artensuite nsuite<br />

nr. 05 / 2007<br />

Titelseite: Klaus Liebig<br />

Tatou, 1977, Öl auf Leinwand, 150 x 150 cm /<br />

weiter Seite 46<br />

Gekommen, um zu bleiben - in Bern eröffnet eine neue Galerie 38 | Von Spiegeln und Menschen 39 | «An unpleasant<br />

talk» 40 | Kunst im Buch 41 | Galerienseiten 42/43 | Zauberhafte Seelenmalerei 45 | Vexierbilder in der Peripherie<br />

46 | Berner Galerien 47 | Augenspiel 50 | Impressum 50 | Berner Museen Bern / Biel / Thun 51


38<br />

artensuite<br />

Chiara Dynys,<br />

Whole Hole /<br />

Brigitte Lustenberger,<br />

Caught<br />

Galerie<br />

Madonna#Fust,<br />

Rathausgasse 14.<br />

Geöffnet Mittwoch<br />

bis Freitag<br />

12:30-18:00 h,<br />

Donnerstag<br />

12:30-20:00 h,<br />

Samstag 10:00-<br />

16:00.<br />

Bis 9. Juni.<br />

Gekommen, um zu bleiben – in Bern<br />

eröffnet eine neue Galerie<br />

■ Gerade wurde in der Diskussionsrunde<br />

«Tacheles» im PROGR über die<br />

leicht übertrieben «Kunstmeile» genannte<br />

Ansammlung von Kunstorten<br />

an der Speichergasse resümiert und<br />

ihre Vorzüge gepriesen, unter die<br />

auch, so zwei der auf dem Podium<br />

sitzenden Teilnehmer, ihre urbane<br />

Sylvia Rüttimann<br />

Lage in der Nähe des Bahnhofs falle,<br />

schon eröffnet eine neue Galerie<br />

in der ach so gar nicht urbanen Unterstadt<br />

von Bern. Rathausgasse 14<br />

lautet die Adresse dieses neuen Ortes<br />

für Kunst, der Name «Madonna/Fust»,<br />

entsprechend den Namen der beiden<br />

Betreiber Massimiliano Madonna<br />

und Gabriela Fust. Eröffnet wird am<br />

5. Mai. So beschaulich der Standort<br />

anmuten mag, scheint die Galerie<br />

jedoch nicht zu werden, nennt man<br />

doch auf der Homepage u. a. «aufrütteln»<br />

und «provozieren» als Ziel. Berns<br />

Kunstszene darf also hoffen, belebende<br />

und befruchtende Konkurrenz zu<br />

erhalten, nachdem mit Francesca Pia<br />

schon wieder eine Galerie Bern in<br />

Richtung Zürich verlassen hat.<br />

Für die erste Ausstellung auf jeden<br />

Fall hat man eine Künstlerin gewählt,<br />

die durchaus eine ernstzunehmende<br />

Konkurrenz darstellt: Chiara Dynys,<br />

1958 in Mantua geboren, heute in<br />

Mailand lebend, ist <strong>kein</strong>e unbekannte<br />

Newcomerin, sondern bewegt sich<br />

seit einigen Jahren auf dem internationalen<br />

Kunstparkett – 2004 konnte<br />

man sie zum Beispiel im Kunstmuseum<br />

Bonn und 2005 im ZKM in Karlsruhe<br />

sehen. Zusammen mit Gastkurator<br />

Alessio Fransoni wird sie mit der<br />

Ausstellung «Whole hole» die verschiedenen,<br />

sich auf mehreren Stockwerken<br />

befindenden Räume der Galerie<br />

bespielen. Der lautspielerische, doppeldeutige<br />

Titel gibt einen Hinweis<br />

darauf, was einen erwartet: Dynys<br />

arbeitet mit den Begriffen des Gegensatzes<br />

und der Ergänzung, aber insbesondere<br />

auch der Verwirrung. Und<br />

das macht sie auf lustvolle und spielerische<br />

Art und Weise. «Whole hole»<br />

ist der Titel eines Objektes, das dies<br />

aufs schönste visualisiert. Es besteht<br />

aus einem langen Marmortisch, die<br />

Oberfläche ein Schachbrett schwarzweisser<br />

Quadrate, in der Mitte wird<br />

er durch einen Spiegel in zwei Teile<br />

getrennt. Steht man nun vor dem<br />

einen Ende des Tisches, denkt man,<br />

den ganzen Tisch zu sehen, obwohl<br />

die eine Hälfte eigentlich nur virtuell,<br />

d. h. gespiegelt vorhanden ist.<br />

Von der Seite hingegen erschliesst<br />

sich uns der «Trick», die Illusion wird<br />

durchschaut. Je nach Standort des<br />

Betrachters ist die Wahrnehmung des<br />

Sichtbaren also eine ganz andere.<br />

Die Frage der Wahrnehmung spielt<br />

auch in Brigitte Lustenbergers Arbeiten<br />

eine Rolle, die im hinteren und<br />

untersten Teil der Galerie zu sehen<br />

<strong>sind</strong>. Man befindet sich im sogenannten<br />

«Projektraum». Tatsächlich ist es<br />

ausdrückliche Absicht der Galerie,<br />

nicht nur arrivierte Kunstschaffende<br />

zu zeigen, sondern auch ganz junge,<br />

vielleicht noch unbekannte, aber<br />

sicher aufstrebende, experimentelle,<br />

frische Positionen vorzustellen.<br />

Brigitte Lustenberger, 37, Fotografin,<br />

Ausbildung in Zürich, Bern und den<br />

USA, Ausstellungen in der Galerie<br />

Scalo Zürich und der Berner Kunsthalle,<br />

inszeniert in ihren Fotografien<br />

Rätsel um Wahrnehmung und<br />

Standpunkt. Tatsächlich erscheinen<br />

ihre Bilder erst einmal ganz harmlos<br />

und leicht entschlüsselbar. <strong>Wir</strong> sehen<br />

Frauen, die einfach an einem Tisch<br />

sitzen, die herumstehen, den Betrachter<br />

anschauen – und doch <strong>sind</strong><br />

es Verwirrspiele. Es geht Lustenberger<br />

jedoch nicht um die Frage der Illusion<br />

wie bei Chiara Dynys, sondern<br />

um die des Blickes. Um die Fragen:<br />

Wer schaut wen an und vor allem<br />

wie? Was bedeutet es, wenn die Kamera<br />

nicht auf Augenhöhe des Motivs<br />

angebracht wird, sondern die Frauen<br />

von einem höheren oder niedrigeren<br />

Standpunkt aufgenommen werden?<br />

Madonna und Fust entstammen<br />

beide weder der Künstler-, Kunsthistoriker-<br />

noch Juristenszene, wie das<br />

häufig bei Galeristen der Fall ist, sondern<br />

der Kommunikations- und Werbebranche.<br />

Während Gabriela Fust<br />

als Geschäftsführerin eines Werbebüros<br />

dieser Welt treu bleiben und sich<br />

nur im Hintergrund an den Aktivitäten<br />

der Galerie beteiligen wird, tritt<br />

Gatte Massimiliano Madonna als Galerist<br />

auf und macht dies jetzt schon<br />

mit grosser Überzeugung. Für ihn<br />

entspricht die Eröffnung seiner Galerie<br />

tatsächlich der Erfüllung eines<br />

langgehegten Traumes, und dementsprechend<br />

motiviert und enthusiastisch<br />

wirkt er, wenn er von der Galerie<br />

und zukünftigen sowie schon sich<br />

in Umsetzung befindenden Projekten<br />

in Zusammenarbeit mit anderen<br />

Kunstorten spricht. Man hofft, dass<br />

er sich seinen Enthusiasmus lange erhalten<br />

kann und er nicht von Berner<br />

Umständen gebrochen wird. Denn<br />

ob urbane Umgebung oder typisch<br />

Bernischer Altstadt-Altbau, ob regionales,<br />

nationales oder internationales<br />

Kunstschaffen, das da gezeigt wird<br />

– die Kunst lebt halt doch auch vom<br />

Enthusiasmus ihrer Betreiber. Oder<br />

etwa nicht?<br />

artensuite Mai 05 | 07


Von Spiegeln und Menschen…<br />

■ Im Berner Hauptsitz der Mobiliar<br />

<strong>sind</strong> zurzeit überall im Haus Spiegel<br />

aufgestellt, in die die zentralen Werte<br />

des neuen Leitbilds der Versicherungsgesellschaft<br />

eingraviert <strong>sind</strong>: «Verlässlich,<br />

kompetent, erfolgreich, vorausschauend,<br />

kommunikativ» überlagern<br />

das Bild des sich spiegelnden Betrachters<br />

und führen ihm auf findige,<br />

aber nicht gerade subtile Weise vor<br />

Augen, welche Charaktereigenschaften<br />

der ideale Mobiliar-Mitarbeiter mit<br />

sich bringen sollte. Ganz frei von arbeitsmoralischen<br />

Fingerzeigen ist die<br />

aktuelle Ausstellung «Spiegel, Räume,<br />

Projektionen», bei deren Konzeption<br />

sich Liselotte <strong>Wir</strong>th Schnöller und Sylvia<br />

Mutti von der Idee des Spiegels<br />

als Träger des Leitbildes haben inspirieren<br />

lassen. Zu sehen <strong>sind</strong> Werke<br />

von vierzehn Künstlerinnen und<br />

Künstlern, die dem Besucher auf unterschiedliche<br />

Weise eine aktive Auseinandersetzung<br />

mit dem Exponat einerseits<br />

und sich selbst als Betrachter<br />

andererseits abverlangen. So bezieht<br />

Christian Megert durch den Gebrauch<br />

von Spiegeln den Ausstellungsraum<br />

und die Betrachter in seine Werke<br />

mit ein. Jedem, der in die «Spiegelquadrate»<br />

hineinblickt, offenbart sich<br />

ein ganz anderes, individuelles Bild<br />

– indem wir durch unser Spiegelbild<br />

selbst Bestandteil des Kunstwerks<br />

werden, verschwimmt die Grenze<br />

zwischen Bild und Betrachter. Ursula<br />

Mumenthaler gelingt es in ihren zwei<br />

Fotografien «Garage», unser Auge auf<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

ungewohnte Weise zu täuschen, indem<br />

sie das Prinzip des traditionellen<br />

Trompe-l’œils in sein Gegenteil verkehrt:<br />

Mit Malerei wird nicht Räumlichkeit,<br />

sondern zweidimensionale<br />

Fläche vorgegaukelt. Mumenthaler<br />

bemalt einen leeren Raum partiell,<br />

so dass sich im Blick durch die präzis<br />

platzierte Kamera geometrische<br />

Formen ergeben. <strong>Wir</strong> stehen vor den<br />

Fotografien und machen sofort den<br />

Raum der Garage aus, unsere Augen<br />

aber übersetzen die Raumbemalung<br />

in eine zweidimensionale Fläche, die<br />

sich über die eben noch konstatierte<br />

Räumlichkeit schiebt. <strong>Wir</strong> müssen unser<br />

Sehorgan geradezu zwingen, das<br />

zu sehen, was wirklich ist, nämlich<br />

einen mit Dispersion bemalten Raum.<br />

Mumenthalers Augentäuschungen<br />

<strong>sind</strong> in den Fotos angelegt, aber sie<br />

passieren in unseren Köpfen. Ein anderes<br />

Spiel mit dem Betrachter treibt<br />

Markus Rätz, indem er die Worte<br />

Todo und Nada in einer Skulptur so<br />

vereint, dass sie nie gleichzeitig gelesen<br />

werden können. Je nach Standpunkt<br />

können wir in dem Messingguss<br />

Alles (Todo) oder Nichts (Nada)<br />

sehen – der allmähliche Perspektivenwechsel<br />

verkehrt eine scheinbar<br />

fixe Position in ihr komplettes Gegenteil.<br />

Auch Philippe Hinderling bringt<br />

den Ausstellungsbesucher dazu, sich<br />

zu bewegen: «Benutzen Sie die Teller,<br />

um die MMS zu fangen», wird man<br />

beim Eintreten in einen mit Projektoren<br />

ausgestatteten Flur aufgefordert.<br />

Und tatsächlich: Folgen wir mit den<br />

weissen Papptellern den Lichtstrahlen<br />

der Projektoren, werden plötzlich<br />

Zeichnungen sichtbar – wir werden<br />

selbst zum Bildträger und damit wesentlicher<br />

Teil des Kunstwerks. Die<br />

kunstphilosophische Frage danach,<br />

ob ein Bild ohne Betrachter überhaupt<br />

existieren kann, wird in Hinderlings<br />

«Ballade MMS» in spielerischer Weise<br />

auf die Spitze getrieben. Ohne unsere<br />

aktive Bemühung, die Bilder einzufangen,<br />

bleiben diese in den Projektoren<br />

verborgen. Nicht lange suchen<br />

muss man nach Véronique Zussaus<br />

Werk «Les yeux aux ciel». Stolz und<br />

flügelschlagend scheint der Schwan<br />

die Betrachter verscheuchen zu wollen.<br />

Doch bei näherem Hinschauen<br />

erkennen wir in dem so lebendig wirkenden<br />

Geschöpf die blosse Projektion<br />

der Fotografie des ausgestopften<br />

Tieres. In diesem mehrstufigen Prozess<br />

der Übertragung von einem Medium<br />

ins nächste rückt der Schwan<br />

immer weiter vom lebendigen Tier<br />

weg, so weit, dass ausgelöst durch einen<br />

Bewegungsmelder die Projektion<br />

plötzlich verschwindet und nur noch<br />

der auf die Wand gemalte Schattenriss<br />

des Vogels übrig bleibt. Die Ausstellungsmacherinnen<br />

haben in «Spiegel,<br />

Räume, Projektionen» eine gute<br />

Auswahl von Werken getroffen und<br />

gewähren uns einen abwechslungsreichen<br />

Einblick in die umfangreiche<br />

Kunstsammlung der Mobiliar. (ms)<br />

Balthasar Burkhard, Rio<br />

Negro, 2002, Fotografi e auf<br />

Barytpapier auf Alu,<br />

125 x 250 cm.<br />

«Spiegel, Räume,Projektionen»<br />

Eingangshalle der<br />

Mobiliar, Bundesgasse<br />

35, Bern.<br />

Geöffnet Montag<br />

bis Freitag 08:00-<br />

18:00 h.<br />

Bis 11. Mai.<br />

39<br />

artensuite


40<br />

artensuite<br />

Christina Hemauer &<br />

Roman Keller, From the<br />

project A Moral Equivalent<br />

of War, 2006, Farbdia.<br />

Exposition 2.<br />

Stella Capes.<br />

Christina<br />

Hemauer & Roman<br />

Keller<br />

Fri-Art Fribourg,<br />

22 Petites Rames.<br />

Geöffnet Dienstag<br />

bis Freitag<br />

14:00-18:00 h,<br />

Samstag und<br />

Sonntag 14:00-<br />

17:00 h.<br />

«An unpleasant talk»<br />

■ Ein unangenehmes Thema brachte<br />

Jimmy Carter im April 1977 auf die<br />

Tagesordnung als er in einer TV-Ansprache<br />

an die amerikanische Bevölkerung<br />

vor der drohenden Erschöpfung<br />

fossiler Brennstoffe warnte und<br />

damit eine ausserordentliche Weitsicht<br />

bewies. Im Angesicht zweier<br />

gravierender Ölkrisen lancierte der<br />

amerikanische Präsident unter dem<br />

Nicola Schröder<br />

Bis 3. Juni. Motto «Solar America» ein Forschungsprogramm<br />

für erneuerbare Energien<br />

und liess ein Konzept erarbeiten, das<br />

eine entsprechende Umstellung der<br />

gesamten Energieversorgung der USA<br />

bis 2050 empfahl. Als symbolischen<br />

Akt veranlasste er im Sommer 1979<br />

die Installation einer Solaranlage auf<br />

dem Dach des Weissen Hauses. Im<br />

Jahr darauf wurde Carter abgewählt.<br />

Unter Reagan wurden die Kollektoren<br />

wenig später wieder demontiert und<br />

das Förderprogramm für erneuerbare<br />

Energien im Laufe seiner Amtszeit nahezu<br />

eingestampft.<br />

Wer sich an dieser Stelle fragt,<br />

was ein Diskurs in die Historie amerikanischer<br />

Energiepolitik im Kunstteil<br />

eines Kulturmagazins verloren<br />

hat, bekommt eine Ahnung von der<br />

Ratlosigkeit, die den unvorbereiteten<br />

Besucher des Fri-Art in Fribourg<br />

derzeit beschleicht, wenn er die dortigen<br />

Räumlichkeiten anlässlich der<br />

Ausstellung von Christina Hemauer<br />

und Roman Keller betritt. Sieht er<br />

sich zunächst mit einem Raum konfrontiert,<br />

der wie der unaufgeräumte<br />

Ort einer kurz zuvor stattgefundenen<br />

Pressekonferenz erscheint, bemerkt<br />

er im nächsten Augenblick zwei an<br />

die Wand geworfene blasse Dias, in<br />

denen Personen in Anzügen und eine<br />

Ansammlung von Presseleuten zu sehen<br />

<strong>sind</strong>. Untermalt wird die gesamte<br />

Installation von einer englischsprachigen<br />

Rednerstimme, die aus einem<br />

nahe stehenden Fernseher dringt.<br />

Spätestens jetzt beginnt man das Informationsblatt<br />

zu lesen, das den Besuchern<br />

am Empfang ausgehändigt<br />

wird. Mit dem Wissen ausgestattet,<br />

dass sich in dieser Installation alles<br />

um die zuvor erwähnte Solaranlage<br />

Jimmy Carters dreht, erkennt man<br />

nun auch Details wie das Wappen des<br />

amerikanischen Präsidenten auf dem<br />

zur Installation gehörigen Rednerpult<br />

und dessen Person im erwähnten<br />

Fernseher. Der Raum – mit seiner rot<br />

gepflasterten Plattform und dem Vortragsambiente<br />

– stellt eine Rekonstruktion<br />

der historischen Situation auf<br />

dem Dach des Weissen Hauses zum<br />

Zeitpunkt der Einweihung besagter<br />

Solaranlage im Sommer 1979 mit der<br />

eingespielten Rede des Präsidenten<br />

dar. Ergänzt wird die Installation im<br />

zweiten Raum der Ausstellung, wo<br />

sich mittels zweier parallel laufender<br />

Filme die Dokumentation einer Reise<br />

abspielt, die Hemauer und Keller an<br />

die Originalschauplätze der Ereignisse<br />

in die USA führte. Die Kollektoren<br />

Carters waren von Studenten der University<br />

of Maine an ihrem Lagerplatz<br />

ausfindig gemacht und auf der Cafeteria<br />

ihrer Hochschule wieder angebracht<br />

worden. Hemauer und Keller<br />

haben diesen Weg rekonstruiert und<br />

mit Augen- und Zeitzeugen darüber<br />

gesprochen. Diese Aktion wie auch<br />

die aktuelle Ausstellung gehören in<br />

den Rahmen einer im vergangenen<br />

Jahr in Zürich als «Postpetrolismus»<br />

ausgerufenen Intention, Umweltagitation<br />

und Kultur unter einen Hut zu<br />

bringen. Es handelt sich demzufolge<br />

um eine Ausstellung, die aufgrund<br />

ihrer starken Inhaltsseite nur schwer<br />

ohne Vorwissen gemeistert werden<br />

kann, zumal auch das Erläuterungsschreiben<br />

notwendige Details für<br />

ein Gesamtverständnis vorenthält.<br />

Lässt man sich auf eine eigene Recherche<br />

ein, was sicherlich im Sinne<br />

der Künstler ist, stösst man auf die<br />

oben genannten Zusammenhänge,<br />

die diesen Ausstellungsbesuch und<br />

den überschriebenen Satz «Sie scheinen<br />

Werke gegen die Demenz einer<br />

Welt zu inszenieren, in der sich die<br />

Menschheit verliert, sich vergisst und<br />

hohnvoll zugrunde geht» im Nachhinein<br />

dann doch verständlich machen.<br />

Im ersten Stock der Kunsthalle<br />

<strong>sind</strong> Arbeiten der englischen Künstlerin<br />

Stella Capes zu sehen, zu deren<br />

Werk neben plastischen Arbeiten und<br />

Fotos auch Videoproduktionen und<br />

Performances gehören. Die hier anzutreffenden<br />

Ausstellungsstücke <strong>sind</strong><br />

fassbar unter dem Oberbegriff der<br />

Absurdität des menschlichen Daseins.<br />

Mit Humor und teils beklemmenden<br />

Szenerien aus Bildern und Geräuschen<br />

wird der Betrachter auf ein<br />

Feld zwischen eigenen Erfahrungen<br />

und unangenehmen Empfindungen<br />

geführt. Es ist eine Frage der subjektiven<br />

Wahrnehmung, inwieweit man<br />

sich von den Werken gefangen nehmen<br />

oder abstossen lässt. Humorvoll<br />

vermittelt ein Ballon, der jedoch nur<br />

die äussere Form eines Ballons hat<br />

und in Wahrheit als massives Gewicht<br />

dem Boden verhaftet bleibt,<br />

angebunden an eine dünne, zu einem<br />

grossen Haufen aufgeworfene Schnur<br />

ein Gleichnis menschlicher Freiheitsbestrebungen.<br />

artensuite Mai 05 | 07


Kunst im Buch<br />

Enzyklopädie<br />

■ Mit Wurstbildern machten Peter<br />

Fischli (1952) und David Weiss (1946)<br />

erstmals 1979 auf sich aufmerksam.<br />

Dann zogen sie als Ratte und Bär<br />

durch die Kunst- und Bergwelt, sie<br />

zeigten uns die sichtbare Welt und<br />

den Lauf der Dinge, sie formten die<br />

wichtigsten und unwichtigsten Ereignisse<br />

und Dinge der Welt- und sonstiger<br />

Geschichte und stellten schliesslich<br />

alle Fragen, die uns schon lange<br />

auf der Zunge brannten oder uns nie<br />

einfallen würden. Mit Fotografien,<br />

Dias, Videos, Skulpturen und Installation<br />

beobachten sie seit fast dreissig<br />

Jahren das Alltägliche, Unscheinbare<br />

und Banale: Flughäfen, Pilze, Blumen,<br />

Agglomerationen, Abwasserkanäle,<br />

die Schweizer Arbeitswelt. Sie waren<br />

und <strong>sind</strong> stets auf der Suche nach der<br />

vollständigen Enzyklopädie – werden<br />

sie aber hoffentlich nie zuwege<br />

bringen. Nun erhalten wir endlich die<br />

Gelegenheit, eine Übersicht über das<br />

Schaffen des Schweizer Künstlerduos<br />

zu erhalten: Am 6. Juni eröffnet die<br />

Retrospektive «Blumen & Fragen» im<br />

Kunsthaus Zürich (bis 9. September).<br />

Anlass genug, drei jüngere Publikationen<br />

zum Gesamtschaffen von Peter<br />

Fischli/David Weiss vorzustellen.<br />

Zur Ausstellung erschien eine Publikation<br />

beim JRP|Ringier Kunstverlag.<br />

Nach einem Konzept der Künstler<br />

werden deren Werkgruppen in 31<br />

Kapiteln von Kunstkritikern, Philosophen,<br />

Künstlern, Regisseuren und<br />

Schriftstellern vorgestellt: darunter<br />

Boris Groys und Patrick Frey, aber<br />

auch der Regisseur und Fotograf John<br />

Waters. Die Texte reichen von kunstwissenschaftlicher<br />

Vertiefung bis zu<br />

persönlichem Zugang, witzig-prosaisch<br />

oder trocken-theoretisch. Und<br />

sie <strong>sind</strong> spielerisch-humorvoll und<br />

genauso unterhaltsam wie das vielfältige<br />

Schaffen des Künstlerduos. (di)<br />

Fragen & Blumen. Eine Retrospektive,<br />

Katalog zur Ausstellung im Kunsthaus<br />

Zürich, 2007 und in den Deichtorhallen<br />

Hamburg, 2007/2008, hrsg. v. Peter<br />

Fischli, David Weiss und Bice Curiger,<br />

JRP|Ringier Kunstverlag, 2006,<br />

325 Seiten, Fr. 42.00.<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

Rhizom<br />

■ Nicht nur enzyklopädisch, sondern<br />

auch rhizomatisch ist das Schaffen<br />

von Peter Fischli/David Weiss angelegt.<br />

Nicht nur soll alles aufgenommen<br />

sein, Wichtiges und Exotisches ebenso<br />

wie Unwichtiges und Alltägliches,<br />

sondern das ganze Schaffen durchzieht<br />

ein System von Verbindungen,<br />

die nicht hierarchisch geordnet <strong>sind</strong>,<br />

sondern einer Struktur der wiederkehrenden<br />

Themen, Techniken und<br />

Vorgehensweisen. Renate Goldmann<br />

versucht mit ihrem «offenen Index»<br />

diese postmoderne rhizomatische<br />

Struktur (nach Gilles Deleuze/Félix<br />

Guattari) offenzulegen. Kunstgeschichtliche<br />

Themenkomplexe treten<br />

bei Peter Fischli/David Weiss in verschiedensten<br />

Formen und Bearbeitungen<br />

immer wieder auf, sie werden<br />

neu verhandelt und weiterverarbeitet.<br />

Anhand von fünf Themen (Paradoxie,<br />

Trivialisierung, Suggestion,<br />

Beobachtung und Metafiktion) stellt<br />

Goldmann die Werkgruppen vor und<br />

verweist dabei vor und zurück, um<br />

das Rhizomatische deutlich zu machen.<br />

Goldmann rückt die Erzählweisen<br />

des Duos in den Mittelpunkt und<br />

versucht, die verschiedenen Aspekte<br />

des Schaffens von Peter Fischli/David<br />

Weiss in den Kontext der Kunstgeschichte<br />

der letzten dreissig Jahre zu<br />

setzen und Vorläufer und Zeitgenossen<br />

zu nennen.<br />

Spannend ist die umfangreiche<br />

Einbettung der Arbeiten des Duos<br />

in die Kunstpraxis der achtziger und<br />

neunziger Jahre. Leider ist das Bildmaterial<br />

in Schwarzweiss und die Texte<br />

unvorsichtig lektoriert. Ansonsten<br />

bietet die Publikation einen vertieften<br />

wissenschaftlichen Einblick (mit umfassendem<br />

Anhang) ins Schaffen von<br />

Peter Fischli/David Weiss, bei dem<br />

den für die Künstler typischen Strukturen<br />

Rechnung getragen wird. (di)<br />

Renate Goldmann, Peter Fischli. David<br />

Weiss. Ausflüge, Arbeiten, Ausstellungen.<br />

Ein offener Index, Kunstwissenschaftliche<br />

Bibliothek, Band<br />

25, Verlag der Buchhandlung König,<br />

2006, 643 Seiten, Fr. 85.00.<br />

Spaziergang<br />

■ «Höchst liebevoll und aufmerksam<br />

muss der, der spaziert, jedes kleinste<br />

lebendige Ding, sei es ein Kind, ein<br />

Hund, eine Mücke, ein Schmetterling,<br />

ein Spatz, ein Wurm, eine Blume, ein<br />

Mann, ein Haus, ein Baum, eine Hecke,<br />

eine Schnecke, eine Maus, eine<br />

Wolke, ein Berg, ein Blatt oder auch<br />

nur ein armes weggeworfenes Fetzchen<br />

Schreibpapier, auf das vielleicht<br />

ein liebes gutes Schulkind seine ersten<br />

ungefügen Buchstaben geschrieben<br />

hat, studieren und betrachten.» Eine<br />

einzige Lobrede oder besser Apologie<br />

des Spazierens ist Robert Walsers<br />

«Der Spaziergang» (1917). Der Spaziergang<br />

war für Walser weit mehr als der<br />

Gang in die Natur, er war Reflexion<br />

und Selbstreflexion, er war gleichzeitig<br />

poetologische Metapher und Zeichen<br />

einer provisorischen Existenz<br />

– man sehe sich nur Simon Tanners<br />

(aus den «Geschwister Tanner») wanderndes<br />

Dasein an. Peter Fischli/David<br />

Weiss wählten zwei Passagen aus<br />

Walsers «Spaziergang» als Teil der bei<br />

Phaidon 2005 erschienen Monografie<br />

aus. Natürlich <strong>kein</strong> Zufall, denn wo<br />

Walser der wandernde Literat war,<br />

da <strong>sind</strong> Peter Fischli/David Weissdie<br />

wandernden Künstler, die alles<br />

sammeln und festhalten – gerade das<br />

Unbedeutende. 1983 nannten sie ihren<br />

nach «Der geringste Widerstand»<br />

zweiten Film «Der Spaziergang», später<br />

wurde daraus «Der rechte Weg».<br />

Mit 160 Seiten ist es die schmalste<br />

Publikation, der drei hier vorgestellten.<br />

Sie umfasst neben erwähntem<br />

Walser-Text eine Einführung ins<br />

Schaffen des Duos von Robert Fleck,<br />

einen Text zum «Lauf der Dinge» von<br />

Arthur C. Danto und einem Interview<br />

von Beate Söntgen mit den beiden<br />

Künstlern sowie Texten der Künstler<br />

selbst. Die Publikation besticht durch<br />

die zahlreichen farbigen Abbildungen,<br />

teils in Grossformat. (di)<br />

Peter Fischli David Weiss, mit Texten<br />

von Robert Fleck, Beate Söntgen<br />

und Arthur C. Danto. Phaidon, 2005,<br />

160 Seiten, in englischer Sprache, Fr.<br />

70.00.<br />

41<br />

artensuite


42<br />

artensuite<br />

artensuite Mai 05 | 07


Hoola Hoop im Loop<br />

■ Kunstvoll lässt das Showgirl in Rot<br />

den Reifen mit erhobenen Armen auf<br />

Brusthöhe kreisen, während sie sich<br />

mit kleinen Seitwärtsschritten um ihre<br />

eigene Achse dreht. Aus runden Löchern<br />

werden sie und ihre geklonten<br />

Zwillingsschwestern aus dem hellen<br />

Grund emporgehievt und wieder heruntergesogen.<br />

Als ob der surrealen<br />

Szenerie noch ein bisschen Natur beigegeben<br />

werden sollte, tauchen hin<br />

und wieder Tännchen und getrimmte<br />

Bäumchen aus eben diesen Löchern<br />

auf. Sie stecken in Blumentöpfen und<br />

wirken genauso kulissenhaft wie die<br />

ganze Umgebung.<br />

Peter Aerschmann präsentiert in der<br />

Galerie Annex14 vier aktuelle Videoar-<br />

«Art is, where you find it…»<br />

■ ...sagt Norbert Classen und erläutert<br />

in diesem Statement eines der zentralen<br />

Charakteristika seiner Arbeitsweise:<br />

Kunst will gefunden werden, ist<br />

demnach praktisch überall greifbar,<br />

doch vor allen Dingen persönliche Ansichtssache.<br />

Das Performative in den<br />

Arbeiten des deutschen Performers,<br />

Schauspielers und Regisseurs äussert<br />

sich immer wieder in der Interaktion<br />

mit dem Betrachter, in der Nähe zu<br />

anderen Kunstsparten wie dem Theater<br />

oder der Musik und auch darin,<br />

dass Classen den Zufall und dessen<br />

Auswirkungen nicht nur als Teil seiner<br />

Kunst akzeptiert, sondern geradezu<br />

als Bereicherung herbeiwünscht.<br />

Direkt neben seinem Atelier im<br />

Alles neu macht der Mai<br />

■ Die Ausstellungsreihe «Au Joli Mois<br />

de Mai» in der Alten Krone Biel hat<br />

sich zu einer Erfolgsgeschichte entwickelt.<br />

Robert Schüll, Präsident der<br />

visarte.biel, berichtet:<br />

Die «Alte Krone» in der Altstadt von<br />

Biel ist im Besitz der Stadt und stellt<br />

ihre Räumlichkeiten Kunstschaffenden<br />

der Region zur Verfügung. 2001<br />

entstand im damaligen Vorstand der<br />

visarte.biel die Idee des «Joli Mois de<br />

Mai», wie sie heute noch mit Erfolg<br />

praktiziert wird: jeden Tag eine Ausstellung,<br />

noch wichtiger, jeden Tag<br />

eine Vernissage. Mit dabei das Restaurant,<br />

wo sich die KünstlerInnen und<br />

Kunstliebhaber treffen, diskutieren,<br />

essen, trinken. Eine tägliche Vernissa-<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

beiten, die während und nach seinem<br />

New York-Aufenthalt 2005/06 entstanden<br />

<strong>sind</strong>. In allen vier Werken bedient<br />

er sich seines charakteristischen Stilmittels,<br />

die einzelnen Protagonisten<br />

sowie alle sichtbaren Elemente der Arbeiten<br />

in einem eigenen Loop laufen<br />

zu lassen. Fotografien, aus dem Internet<br />

heruntergeladene Bilder und kurze<br />

Filmsequenzen werden als Standbilder<br />

oder sich immer wiederholende Ausschnitte<br />

sichtbar gemacht und minutiös<br />

zu einem gemeinsam fortlaufenden<br />

Strang ineinanderkomponiert, der als<br />

Ganzes wiederum im eigenen Loop<br />

vorwärts läuft. Mittels seiner Arbeitsweise<br />

demonstriert Aerschmann, wie<br />

es sich mit der <strong>Wir</strong>klichkeit tatsäch-<br />

ersten Stock des PROGR hat Beate<br />

Engel eine lohnende Ausstellung mit<br />

humorvollen Fallstricken und hintergründigen<br />

Anspielungen kuratiert. Zu<br />

sehen ist viel Kunst über Kunst sowie<br />

Werke zu <strong>Wir</strong>kung und Wahrnehmung,<br />

die Ansichten des Betrachters<br />

aufnehmen und auf diesen zurückwerfen.<br />

So bezieht eine weisse, unbemalte<br />

Leinwand den Betrachter über<br />

spiegelndes Glas in das Werk mit ein<br />

oder «13 nie gemalte Bilder», die als gestapelte<br />

Leinwände auf einem Hocker<br />

minimal-skulptural im Raum stehen,<br />

lassen darüber nachsinnen, was wohl<br />

aus ihnen hätte werden können. Nicht<br />

wenige der Exponate <strong>sind</strong> autobiographisch<br />

mit Classen verbunden, visua-<br />

ge während fünf Wochen (Mittwoch<br />

bis Sonntag) bedeutet auch, dass Die<br />

KünstlerInnen ihr eigenes Publikum<br />

mitbringen. Hinzu kommen die Liebhaber<br />

dieser Idee, die sich möglichst<br />

viele oder alle Ausstellungen ansehen<br />

wollen. Das bürgt eigentlich jeden<br />

Tag für ein volles Haus.<br />

Die 85 Mitglieder der visarte.biel<br />

können sich für die 25 Ausstellungen,<br />

die der «Joli Mois de Mai» anbietet,<br />

anmelden. Der Eingang der Anmeldungen<br />

bestimmt die Teilnahme. Der<br />

Vorstand hält sich einen bis zwei Ausstellungstage<br />

offen, dieses Jahr für einen<br />

Literaturabend mit Erica Pedretti.<br />

Das «Lokal.int», eine Alternativ-Galerie,<br />

wird sich auch vorstellen kön-<br />

lich verhält: Sie setzt sich aus einzelnen<br />

Fragmenten zusammen, generiert<br />

sich aus Bildern, die einem tagtäglich<br />

begegnen, die stark und detailreich<br />

ins Blickfeld rücken, während andere<br />

Gegebenheiten ausgeblendet werden<br />

oder in Vergessenheit geraten. Tonlos,<br />

mit herabgesetzter Geschwindigkeit<br />

fliessen Welten voller leuchtender Farben<br />

und charakteristischen Merkmalen<br />

an einem vorbei. Sie erlauben es,<br />

das Gesehene einzuordnen und bleiben<br />

doch merkwürdig abstrakt und<br />

scheinbar an <strong>kein</strong>en spezifischen Ort<br />

festgebunden: Konglomerate aus wiederverwerteten<br />

Erinnerungen, eigene<br />

Universen an der Schnittstelle zwischen<br />

Fiktion und Realität. (sm)<br />

lisieren ein Stück Geschichte und ziehen<br />

eine feine Lebensspur nach sich.<br />

Die Dinge dazwischen, das scheinbare<br />

Nichts und die Leere <strong>sind</strong> für<br />

Classen von Interesse und werden in<br />

der Präsentation immer wieder mit<br />

Bedeutung aufgefüllt, so auch in drei<br />

Bildern, die je nach Standpunkt am<br />

Beginn oder am Ende der Ausstellung<br />

zu hängen kommen: «Ende, Fin, The<br />

End», schimmert es zartsilbern aus<br />

dem Weiss heraus. Während die Fiktion<br />

zu Ende geht, fängt der Film des<br />

Lebens, die Realität spätestens vor den<br />

Toren des PROGR wieder an. Doch<br />

Vorsicht: Kunst ist allgegenwärtig, vor<br />

allem dort, wo nichts zu sein scheint.<br />

(sm)<br />

nen. Die Konkurrenz unter so vielen<br />

KünstlerInnen ist gross. Jede und jeder<br />

bringt seine besten, seine neusten<br />

Arbeiten. Es gibt auch immer wieder<br />

Experimente, die beeindrucken.<br />

Philippe Hinderling ist dieses Jahr<br />

bereits zum dritten mal dabei. Am<br />

12. Mai präsentiert er eine besondere<br />

Arbeit: Cette année, je suis confronté<br />

à une situation particulière, en effet<br />

j’expose le jour de l’assemblée des<br />

délégués de visarte suisse chez nous<br />

à Bienne, et un apéritif sera servi au<br />

«Joli mois de mai». Et donc j’en tiens<br />

compte dans mon travail, en gros<br />

une installation autour d’un engin<br />

d’entrainement spécialement modifié<br />

pour les artistes ambitieux… (sm)<br />

Peter Aerschmann,<br />

New York<br />

Souvenirs<br />

Galerie Annex14,<br />

Junkerngasse 14.<br />

Geöffnet Mittwoch<br />

bis Freitag<br />

14:00-18:00 h,<br />

Samstag 11:00-<br />

16:00 h.<br />

Bis 26. Juni.<br />

Norbert Classen,<br />

Come and<br />

Go<br />

Aussstellungszone<br />

PROGR, 1. Stock<br />

Waisenhausplatz<br />

30. Geöffnet<br />

Dienstag 14:00-<br />

20:00 h, Mittwoch<br />

bis Samstag<br />

14:00-17:00 h.<br />

Bis 19. Juni.<br />

Ausstellungsprogramm<br />

unter<br />

www.jolimai.ch.<br />

Restaurant Zur<br />

Alten Krone,<br />

Obergasse 1,<br />

Biel. Geöffnet<br />

jeweils Mittwoch<br />

bis Sonntag, Vernissagen<br />

18:00-<br />

20:00 h.<br />

Bis 27. Mai.<br />

43<br />

artensuite


Zauberhafte Seelenmalerei<br />

■ Eine sternenklare Nacht, eine<br />

schneebedeckte Wiese, dunkle, weit<br />

in die Höhe ragende Bäume, amorphe<br />

Steingestalten – Motive, die uns klirrende<br />

Kälte, gespenstische Einsamkeit<br />

sowie eine schwermütige Stimmung<br />

vermitteln. Das in kühlen Blau- und<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

Monique Meyer<br />

Grautönen gehaltene Gemälde mit<br />

dem Titel «Sternennacht» (1901) von<br />

Edvard Munch (1863-1944) stilisiert<br />

mit grossen Linien und homogenen<br />

Farbflächen eine stille, stimmungsgeladene<br />

Landschaft.<br />

Dieses Gemälde gehört in eine<br />

der wichtigen Schaffensphasen des<br />

Künstlers, dessen Werk nun anhand<br />

von 130 Gemälden sowie 80 Zeichnungen<br />

und Druckgrafiken in der<br />

Fondation Beyeler in Riehen präsentiert<br />

wird. Die Schau, seit Munchs Tod<br />

die umfassendste in der Schweiz und<br />

vielleicht überhaupt ausserhalb Norwegens,<br />

versammelt Leihgaben aus<br />

amerikanischen und europäischen<br />

Museen sowie wenig bekannte Werke<br />

aus bisher nicht zugänglichem Privatbesitz.<br />

Die Retrospektive mit dem Titel<br />

«Zeichen der Moderne» ist in sieben<br />

Kapitel gegliedert, um die verschiedenen<br />

Schaffensperioden seines Œuvre<br />

zu kennzeichnen. Wie der Titel suggeriert,<br />

geht es hauptsächlich darum,<br />

das Wegweisende dieses Künstlers auf<br />

die Kunst und Künstler der Moderne<br />

aufzuzeigen. Denn er gilt als einer der<br />

bedeutendsten Künstler der Moderne,<br />

vor allem weil er mit Paul Gauguin und<br />

Vincent van Gogh zu den Begründern<br />

und Vorläufern des Expressionismus<br />

zählt. Sein Umgang mit der Kunst, das<br />

innovative Experimentieren mit Mate-<br />

rial, Farbe und Motiv <strong>sind</strong> Zeugnis für<br />

seine Modernität.<br />

Aber <strong>kein</strong>eswegs wurde Munch<br />

schon immer begeistert aufgenommen,<br />

seine künstlerischen Anfänge<br />

waren von heftiger Kritik begleitet.<br />

Vorab mit dem entscheidenden Werk<br />

«Das kranke Kind» (1886) entfernte<br />

er sich – auch unter dem Einfluss der<br />

Boheme in Kristiania (dem heutigen<br />

Oslo) – durch die unkonventionelle<br />

Farb- und Oberflächenbehandlung<br />

radikal vom Naturalismus. Während<br />

seines Aufenthaltes in Nizza beeinflussten<br />

ihn die Landschaft und das<br />

südliche Licht so, dass er sich der<br />

impressionistischen und postimpressionistischen<br />

Malweise zu- und der<br />

naturalistischen endgültig abwandte.<br />

Ende der achtziger Jahre begann<br />

Munch, Stimmungen wie Einsamkeit<br />

und Melancholie in zahlreichen<br />

Gemälden zu verarbeiten. Die Auseinandersetzung<br />

mit diesen Motiven<br />

beschäftigte ihn immer wieder, besonders<br />

nach dem Tod seines Vaters.<br />

In dieser Zeit entstand das eindrückliche<br />

Gemälde «Nacht in Saint-Cloud»<br />

(1890).<br />

Die unter dem Titel «Abend» im<br />

Herbstsalon von 1891 ausgestellte<br />

erste Fassung von «Melancholie» wird<br />

dann als das erste symbolistische<br />

Werk der norwegischen Malerei apostrophiert.<br />

Es folgen weitere symbolistische<br />

Landschaften, deren Monumentalität<br />

sich im dekorativen Umgang mit<br />

Farbe, Linie und Fläche manifestiert.<br />

Die vereinfacht und schemenhaft<br />

dargestellten Motive der Natur sowie<br />

die intensive Farb- und Lichtgebung<br />

widerspiegeln die starken Eindrücke<br />

der Seele, die Natur wird, wie Munch<br />

einmal konstatierte, von der Gemüts-<br />

stimmung geformt. Die Intensität des<br />

im Bild enthaltenen Ausdrucks des<br />

Seelischen wird begleitet von einer<br />

zauberhaften und mystischen Atmosphäre.<br />

Diese um die Jahrhundertwende<br />

entstandenen Landschaften des<br />

Künstlers werden als Höhepunkt des<br />

nordischen Symbolismus betrachtet.<br />

Themen wie Liebe, Schmerz und<br />

Tod werden auch in seinen Berliner<br />

Jahren aufgenommen, Hauptwerke<br />

wie «Melancholie», «Der Sturm», «Vampir»,<br />

«Pubertät» und «Der Schrei» entstehen<br />

und sollen im «Lebensfries», den<br />

er bereits in literarischen Notizen und<br />

Skizzen entwickelte, zusammengefasst<br />

werden. Motive und Bildthemen<br />

werden immer von Neuem variiert<br />

und erweitert, ebenso experimentiert<br />

er dabei mit Material und Form. Entstandene<br />

Bildmotive nimmt er auch<br />

in seinen druckgrafischen Arbeiten<br />

immer wieder (seriell) auf. Hier wird<br />

deutlich, dass das Motiv bei Munch<br />

nicht an ein Werk gebunden ist, sondern<br />

auf sehr moderne Weise immer<br />

erneut ausgeführt und somit mehrfach<br />

transportierbar wird. Die mehrfachen<br />

Ausführungen ermöglichen die Vervielfachung<br />

seiner Meisterwerke und<br />

lassen sie auf diese Weise bis heute<br />

populär bleiben.<br />

Die grosse Ausstellung führt in ein<br />

faszinierendes Reich von Farben, Symbolen,<br />

eindringlichen Motiven und<br />

fesselnden Stimmungen. Lohnenswert<br />

auch schon deshalb, weil die wunderbare<br />

Energie der fantastisch gelegenen<br />

Fondation Beyeler den Gang durch<br />

die Ausstellung begleitet und einen in<br />

eine bedeutungsvolle Kunstwelt der<br />

Moderne mit Haut und Haaren eintauchen<br />

lässt.<br />

Sternennacht, 1901, Öl auf<br />

Leinwand, 59 x 73 cm,<br />

Museum Folkwang, Essen<br />

© The Munch Museum/The<br />

Munch-Ellingsen<br />

Group/2007, ProLitteris,<br />

Zürich.<br />

Melancholie, 1894/95, Öl<br />

auf Leinwand, 81 x 100,5<br />

cm, Bergen Kunstmuseum,<br />

Rasmus Meyers Samlinger<br />

© The Munch Museum/The<br />

Munch-Ellingsen<br />

Group/2007, ProLitteris,<br />

Zürich.<br />

Edvard Munch<br />

- Zeichen der<br />

Moderne.<br />

Fondation Beyeler,Baselstrasse<br />

77, Riehen.<br />

Geöffnet täglich<br />

10:00-18:00 h,<br />

Mittwoch 10:00-<br />

20:00 h.<br />

Bis 15. Juli.<br />

45<br />

artensuite


46<br />

artensuite<br />

Klaus Liebig<br />

peripherie-arts,<br />

im Stufenbau,<br />

Pulverstrasse 8,<br />

Ittigen. Geöffnet<br />

Dienstag und<br />

Mittwoch<br />

18:00-20:00 h.<br />

Vernissage<br />

8. Mai, 18:00-<br />

22:00 h.<br />

Bis 30. September<br />

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Vexierbilder in der Peripherie<br />

■ Die dämmrige Landschaft im Hintergrund<br />

ist verdoppelt, beirrend spiegelt<br />

sich der Wolkenhimmel im Wasser;<br />

japanisch gekleidete Frauen tanzen lasziv<br />

mit lebendig werdenden Tätowierungen<br />

dekoriert über das Bildfeld.<br />

Begleitet werden sie von Schmetterlingen<br />

und Drachen, von Botero-Figuren<br />

und Unterwäschemodels. «Tatou» heisst<br />

diese vom deutschen Künstler Klaus<br />

Liebig 1977 gemalte Traumwelt: eigenständig,<br />

erotisch, teils beängstigend<br />

und vor allem irritierend.<br />

Klaus Liebig (1936-1997) beschäftigte<br />

sich anfänglich ausschliesslich mit<br />

der Landschaft. Aber nie waren es romantisch-idyllische<br />

oder impressionistische<br />

Landschaften, sondern eigenwillige,<br />

an synthetischen Kubismus oder<br />

Futurismus erinnernde dynamische<br />

Farbfeldpuzzles. Die enzyklopädische<br />

Kleinteiligkeit und die ornamentalen<br />

Formen mahnen an Paul Klee oder<br />

Roger Bissière. Liebig geht von diesen<br />

Kompositionen nicht in die nahe liegende<br />

Abstraktion, sondern reichert<br />

seine – oftmals überladenen – Puzzles<br />

mit Figürlichem an. Vexierbilder ent-<br />

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stehen, traumartig, märchenhaft und<br />

surreal.<br />

Ende der sechziger Jahre verschwinden<br />

die Landschaften aus Liebigs<br />

Schaffen. Es ist eine Zeit, in der<br />

Kunstbewegungen wie abstrakter Expressionismus<br />

oder Pop Art sich auch<br />

in Europa verbreiten. Letztere findet<br />

Eingang in Liebigs Schaffen. Erst einmal<br />

<strong>sind</strong> es comicartige Elemente wie<br />

das Anordnen von mehreren Bildfeldern<br />

auf der Mal- und Zeichenfläche,<br />

einem Comicstrip gleich. Pop Art zeigt<br />

sich auch in Liebigs Collagen, in seinem<br />

flächig-reduzierten Mal- und Zeichenstil,<br />

auf jegliche Binnenzeichnung<br />

verzichtend, nüchtern, trocken und die<br />

Silhouette betonend. Einen Verzicht auf<br />

Symbolik und Transzendentes, wie ihn<br />

die Pop Art pflegte, gibt es bei Liebig<br />

nicht, er bezieht sich nur oberflächlich<br />

auf die Pop Art, Konsum- und Medienkritik<br />

bleiben aussen vor, auch wenn<br />

in späteren Jahren Werke «McDonald‘s»<br />

und ähnlich heissen. In den nächsten<br />

Jahren reduziert Liebig die Kleinteiligkeit<br />

seiner Arbeiten, sie werden klarer<br />

lesbar, schematischer, bleiben aber<br />

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flächig. Sie verbinden collageartig Topografisches<br />

mit Erinnerungen, mit<br />

Bezügen zur Literatur (Borges, Carroll,<br />

Joyce) oder Mythologie. Einzelne Bilder<br />

und Gedanken <strong>sind</strong> einzig durch<br />

eine zusammenhängende Farbpalette<br />

(meist in Grau- und Blautönen) gebunden.<br />

Gleichzeitig enthalten sie in ihrer<br />

Bildsprache kindlich-naive Elemente<br />

– Bildergeschichten ähnlich und an<br />

Botero oder den isländischen Künstler<br />

Erró erinnernd. Mitte der siebziger<br />

Jahre treten die Figuren nicht mehr in<br />

einer reduzierten Malweise auf: als wären<br />

Liebigs Werke Filmstills von Monty<br />

Pythons Trickfilmsequenzen. Groteske<br />

Fantasiewelten entstehen, immer<br />

noch in der Verbindung unterschiedlichster<br />

Figuren und Objekte collageartig<br />

gestaltet, oftmals erotisch aufgeladen.<br />

In den achtziger Jahren folgen<br />

möglichst realistisch gemalte Porträts,<br />

die aber wiederum mit der Symbolik<br />

einer Traumwelt angereichert <strong>sind</strong>. In<br />

seinem Spätwerk beginnt Liebig noch<br />

einmal zu reduzieren und begibt sich<br />

wieder in eine bunte comic- und collageartige<br />

Welt. (di)<br />

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artensuite Mai 05 | 07


BERNER<br />

GALERIEN<br />

Galerieneintrag:<br />

Auf den Seiten «Galerien in Bern» werden nur<br />

noch Galerien publiziert, welche unsere jährliche<br />

Publikationsgebühr bezahlt haben. Wer<br />

sich hier eintragen lassen möchte, melde sich<br />

bei der Redaktion: Telefon 031 318 6050 oder<br />

redaktion@ensuite.ch.<br />

Altes Schlachthaus<br />

Metzgergasse 15, Burgdorf<br />

T 034 422 97 86<br />

Sa & So jeweils 11:00-17:00 h<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

René Kanzler bis 19.5.<br />

Galerie Beatrice Brunner, Bern<br />

annex14 - Galerie für<br />

zeitgenössische Kunst<br />

Junkerngasse 14, 3011 Bern<br />

T 031 311 97 04 / www.annex14.ch<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder<br />

nach Vereinbarung<br />

Peter Aerschmann<br />

21.4. - 26.5.<br />

Art-House<br />

Mittlere Strasse 3A, 3600 Thun<br />

T 033 222 93 74 7 www.art-house.ch<br />

Mi&Fr 14:00-17:30 h / Do 16:00-19:30 h / Sa<br />

11:00-16:00 h und nach Vereinbarung<br />

Claudia Dettmar - Fotografie<br />

14.4. - 12.5.<br />

Max Hari - Malerei, Zeichnungen, Objekte<br />

19.5 - 23.6.<br />

Magma Bro & Paffy Zehnder - Musik trifft<br />

Malerei<br />

29./30.6. & 1.7.<br />

Art + Vision<br />

Junkerngasse 34, 3011 Bern<br />

T 031 311 31 91<br />

Di-Fr 14:00-19:00 h / Do 14:00-21:00 h /<br />

Sa & So 11:00-16:00 h<br />

Heinz Keller<br />

Holzschnitte, die der <strong>Wir</strong>klichkeit Gesichter<br />

schneiden<br />

bis 26.5.<br />

Bärtschihus Gümligen<br />

Dorfstrasse 14, 3073 Gümligen<br />

Mary Poppins!<br />

superkalifragilistigexpialigetisch<br />

Fri-Art<br />

22 Petites Rames, 1700 Fribourg<br />

T 026 323 23 51 / www.fri-art.ch<br />

Di-Fr 14-18:00 h / Sa&So 14:00-17:00 h<br />

Stella Capes, Christina Hemauer & Roman<br />

Keller<br />

A Curiosity, A Museum Piece And An Example<br />

Of A Road Not Taken<br />

bis 3.6.<br />

bk Galerie Bernhard Bischoff & Partner<br />

Speichergasse 8, 3011 Bern<br />

T 031 312 06 66<br />

www.bernhardbischoff.ch<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h oder<br />

nach Absprache<br />

Arno Nollen, Natasha Jaliuc<br />

‹Schwarzweiss in Farbe›<br />

bis 2.6.<br />

Galerie 25 Regina Larsson<br />

2577 Siselen / T 032 396 20 71<br />

www.galerie25.ch<br />

Fr-So 14:00-19:00 h oder nach tel. Vereinbarung<br />

Verena Lafargue Rimann<br />

Neuere Arbeiten<br />

Finissage: So, 13.5., ab 14:00 h<br />

bis 13.5.<br />

Ruedy Schwyn<br />

bis 17.6.<br />

Galerie 67<br />

Belpstrasse 67, 3007 Bern / T 031 371 95 71<br />

www.galerie67.ch<br />

Mo 14:00-18:30 h / Di-Fr 9:00-12:00 h &<br />

14:00-18:00 h / Sa 10:00-12:00 h<br />

Erica Fankhauser<br />

Acryl / Mischtechnik<br />

bis Juni 2007<br />

Galerie Artdirekt<br />

Herrengasse 4, 3011 Bern / T 031 312 05 67<br />

www.artdirekt.ch<br />

Dieter Zeindler<br />

Malerei<br />

Vernissage: 5.5., 16:00 h<br />

5.5. - 2.6.<br />

Galerie Artraktion<br />

Hodlerstrasse 16, 3011 Bern<br />

T 031 311 63 30 / www.artraktion.ch<br />

Do&Fr 15:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h<br />

oder nach Vereinbarung<br />

INTEAMITÄT<br />

Kathrin Mayor - Stills, Bilder und mehr<br />

Vernissage: Do, 3.5., 17:30-22:00 h<br />

Konzert: Gilbert Paeffgen Trio ab 19:30 h<br />

Finissage: Sa, 12.5., 16:00-20:00 h<br />

Galerie bis Heute<br />

Amtshausgasse 22, 3011 Bern<br />

T 031-311 78 77 / www.galerie-bisheute.ch<br />

Do-Fr 14:00-18:30 h / Sa 11:00-16:00 h &<br />

nach Vereinbarung<br />

Virgini Morillo<br />

Supercalifragilisticexpialidocious!<br />

bis 12.5.<br />

Galerie Beatrice Brunner<br />

Nydeggstalden 26, 3011 Bern<br />

T 031 312 40 12 / www.beatricebrunner.ch<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h<br />

René Kanzler<br />

Image mapping<br />

bis 19.5.<br />

Galerie Bärtschi<br />

Nydeggstalden 32, 3011 Bern<br />

T 031 311 61 15<br />

www.art-baertschi.ch<br />

Do-Fr 14:00-18:30 h & Sa 10:00-16:00 h<br />

Patricia Wuillemin-Nafe<br />

47<br />

artensuite


48<br />

artensuite<br />

Galerie Artraktion - Kathrin Mayor, Inteamität vom 03.05-12.05<br />

«leaves»<br />

Photorealistische Ölmalerei auf Leinwand<br />

Vernissage: 12.4., 18:00-20:30 h<br />

bis am 5.5.<br />

Finissage : Samstag, 5.5., 10:00-16:00 h<br />

Galerie Christine Brügger<br />

Kramgasse 31, 3011 Bern<br />

T 031 311 90 21<br />

Mi-Fr 14:00 - 18:30 h; Sa 11:00-16:00<br />

Urban Saxer<br />

bis 18.5.<br />

Edualrd Dill, Malerei<br />

Rudolf Tschudin, Skulpturen<br />

24.5. - 16.6.<br />

Galerie Duflon & Racz<br />

Gerechtigkeitsgasse 40, 3011 Bern<br />

T 031 311 42 62<br />

Do 14:00-19:00 h, fr 16:00-19:00 Sa 12:00-<br />

17:00 h oder nach tel. Vereinbarung.<br />

Pierre Bonard<br />

Gouachen<br />

Vernissage: 12.5., ab 16:00 h open end<br />

12.5 - 4.8.<br />

Galerie Henze & Ketterer<br />

Kirchstrasse 26, 3114 Wichtrach<br />

T 031 781 06 01 / www.henze-ketterer.ch<br />

Di-Fr 10:00-13:00 h & 14:00-18:00 h / Sa<br />

10:00-16:00 h<br />

Erich Heckel - Aquarelle von 1917 - 1962<br />

Ruhe nach dem Sturm<br />

verhaltene Form - zarte Farbe - inneres<br />

Leuchten<br />

bis 21.7.<br />

Kunstdepot: art_clips.ch.at.de<br />

Verlängert bis 30.6.<br />

jeweils Samstags 10:00-15:30 h<br />

Führung von Gerhard Johann Lischka:<br />

Sa, 26.5., 14:00-15:30 h<br />

ONO - Cornelia Koch, Beziehungskisten & Bettlakengeschichten<br />

vom 01.05-30.06 raum - Remo Lorenzini, C annaregio vom 04.05-01.06<br />

Galerie im Graben<br />

Waldeckstrasse 12, 3052 Zollikofen<br />

T 031 911 96 06<br />

Fr 17:00-19:00 h / Sa 16:00-19:00 h & So<br />

11:00-17:00 h<br />

Galerie Madonna#Fust<br />

Rathausgasse 14, 3011 Bern<br />

T/F 031 311 28 18 / www.madonnafust.ch<br />

Mi/Fr 12:30-18:00 h / Do 12:30-20:00 / Sa<br />

10:00-16:00 h und auf Anfrage<br />

Eröffnungsausstellungen<br />

Chiara Dynys (Galerie)<br />

Whole - hole<br />

5.5. - 9.6.<br />

Brigitte Lustenberger (Projektraum)<br />

Caught<br />

5.5. - 9.6.<br />

Galerie Margit Haldemann<br />

Brunngasse 14, Brunngasshalde 31<br />

T 031 311 56 56 / margithaldemann@bluewin.<br />

ch, www.artgalleries.ch/haldemann<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 11:00-16:00 h<br />

Saison 2006/07: 25 Jahr Jubiläum<br />

Ausstellung 5/5 - Peter Stein (Bilder, Zeichnungen)<br />

/ Jean Mauboulès (Skulpturen,<br />

Wandobjekte)<br />

Vernissage: Do, 3.5., 18:00-20:00 h<br />

Finissage mit Sommerapéro: So, 3.6., 11:00<br />

-15:00 h<br />

Galerie Martin Krebs<br />

Münstergasse 43, 3011 Bern<br />

T 031 311 73 70 / www.krebs.artgalleries.ch/<br />

Di-Fr 14:30-18:30 h / Sa 10:00-14:00 h<br />

Anton Bruhin, Bilder<br />

Vernissage: Die, 1.5., 18:00-20:00 h<br />

19:00 h: kleines Maultrommel-Konzert.<br />

bis 26.5.<br />

Galerie Kornfeld<br />

Laupenstrasse 41, 3001 Bern<br />

T 031 381 46 73 / www.kornfeld.ch<br />

Mo-Fr 14:00-17:00 h<br />

Galerie Ramseyer & Kaelin<br />

Junkerngasse 1, 3011 Bern<br />

T 031 311 41 72<br />

Mi-Fr 16:00-19:00h / Sa 13:00-16:00h<br />

Galerie Rigassi<br />

Münstergasse 62, 3011 Bern<br />

T 031 311 69 64 / www.swissart.net/rigassi<br />

Di-Fr 11:30-13:30 h & 15:30-19:00 h / Sa<br />

10:30-16:00 h oder nach tel. Vereinbarung<br />

Sandra Sasdi<br />

Ruth Schwob<br />

Malerei<br />

8. - 26.5.<br />

Galerie <strong>Rosengarten</strong> Thun<br />

Haus Immer, Bälliz 35, Thun<br />

T 033 223 12 42<br />

Mo-Fr 14:00-17:00 h & Sa 10:00-16:00 h<br />

Gegenwartskunst<br />

Galerie Silvia Steiner<br />

Seevorstadt 57, 2502 Biel / T 032 323 46 56 /<br />

www.silviasteinergalerie.ch<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa 14:00-17:00 h oder<br />

nach Vereinbarung<br />

Flavio Paolucci<br />

bis 12.5.<br />

Galerie Tom Blaess<br />

Uferweg 10b, 3013 Bern / T 079 222 46 61<br />

www.tomblaess.ch<br />

Kabinett Bern<br />

Gerechtigkeitsgasse 72-74, 3011 Bern<br />

T 031 312 35 01 / www.kabinett.ch<br />

Do & Fr 14:00-19:00 h & Sa 11:00-16:00 h<br />

artensuite Mai 05 | 07


Galerie Martin Krebs - Anton Bruhin, Bilderwelten, vom 26.4.-26.5.<br />

Alois Mosbacher<br />

bis 5.5.<br />

Klinik Bethesda Tschugg<br />

3233 Tschugg BE, Telefon 032 338 4 444<br />

www.klinik-bethesda.ch<br />

täglich 8:00-19:00 h<br />

Patente Gene<br />

Martina Lauinger<br />

Vernissage: Mi, 2.5., 17:30 h<br />

bis 28.9.<br />

Kornhausforum -<br />

Forum für Medien und Gestaltung<br />

Kornhausplatz 18, 3011 Bern<br />

T 031 312 91 10 / www.kornhausforum.ch<br />

Di-Fr 10:00-19:00 h / Do 10:00-20:00 h / Sa<br />

10:00-16:00 h<br />

20 Jahre zeitgenössischer Tanz<br />

Vernissage: 2.5., 20:00h<br />

3. - 26.5.<br />

Aarewasser<br />

29.5. - 16.6.<br />

Sexarbeit<br />

Vernissage: Do, 31.5., 20:00 h<br />

1.6. - 1.8.<br />

Kunstraum Oktogon<br />

Aarstrasse 96, 3005 Bern<br />

Fr 16:00-19:00 h; Sa 11:00-15:00 h<br />

Kunstreich<br />

Gerechtigkeitsgasse 76, 3011 Bern<br />

T 031 311 48 49 / www.kunstreich.ch<br />

Mo-Fr 9:00-18:30 h / Do 9:00-20:00 h / Sa<br />

9:00-16:00 h<br />

Hegetusch und Yeunhi Kim<br />

Vernissage: 5.5., 11:00-14:00 h<br />

bis 2.6.<br />

ONO Bühne Galerie Bar<br />

Kramgasse 6, 3011 Bern<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

Vorankündigung: Galerie Kornfeld - Auktion Moderne Kunst Juni<br />

2007 vom 14.-15.6. (Bild: Max Buri, Mutteridyll 1900/1901) Wartsaal 3 - Marco Frauchiger, Fotoaustellung Zeit von 24.05.-25.05.<br />

T 031 312 73 10 www.onobern.ch<br />

Nachtgalerie Fr&Sa 22:00-24:00 h oder nach<br />

telefonischer Vereinbarung / bei allen ONO-<br />

Veranstaltungen<br />

Vernissage der Ausstellung beziehungskisten<br />

& bettlakengeschichten: 1.5., 18:00 h<br />

Cornelia Koch zeigt ihre Arbeiten<br />

1.5. - 30.6.<br />

peripherie-arts<br />

Im Stufenbau, Pulverstrasse 8, 3063 Ittigen<br />

Tel 076 325 19 11 / www.peripherie-arts.ch<br />

Di&Mi 18:00-20:00 h (oder nach tel. Vereinbarung)<br />

Uettligen Corporation<br />

Verena Welten / Phillip Läng / Max Roth<br />

/ Cristina Wendt / Franz Roth / Ricardo<br />

Abella / Adela Picón / Katharina Roth<br />

bis 3.5.<br />

Klaus Liebig<br />

Vernissage: 8.5., 18:00-19:00 h<br />

PROGR Zentrum für Kulturproduktion<br />

Speichergasse 4, 3011 Bern / www.progr.ch<br />

Videokunst.ch:<br />

Urslé von Mathilde<br />

«run»<br />

Video, Farbe, Sound matu, 2’10 Loop<br />

bis Sa, 19.5.<br />

Di 14:00-10:00 h & Mi-Sa 14:00-17:00 h<br />

Norbert Klassen «Come and Go»<br />

bis Sa, 19.5.<br />

Di 14:00-10:00 h & Mi-Sa 14:00-17:00 h<br />

«No Place Like Home»<br />

les freres Chapuisat<br />

Loge, PROGR Hof<br />

5.5. - 2.6.<br />

R A U M<br />

Militärstrasse 60, 3014 Bern<br />

www.kulturraum.ch<br />

Mi-Fr 16:00-19:00 h / Sa 12:00-16:00 h<br />

Remo Lorenzini Cannaregio Collagen<br />

Malerei<br />

Vernissage: Fr, 4.5., 18:00-20:00 h: es spricht<br />

Sigi Amstutz<br />

Finissage: Fr, 1.6., 18:00-20:00 h<br />

Mi, 23.5., 19:00-20:00 h: Der Philosoph Hans<br />

Saner im Gespräch mit Remo Lorenzini über<br />

seine künstlerische Arbeit.<br />

SLM Kunstausstellung<br />

Dorfplatz 5, 3110 Münsingen<br />

T 031 724 11 11<br />

Mo-Do 8:00-12:00 h & 13:30-17:00h / Fr<br />

8:00-12:00 h & 13:30-18:00 h<br />

Stadtgalerie<br />

Speichergasse 4, 3001 Bern<br />

T 031 311 43 35 7 www.stadtgalerie.ch<br />

Di 14:00-20:00 h & Di-Fr 14:00-17:00 h<br />

VALIART KulturRaum<br />

Bundesgasse 26, 3001 Bern<br />

www.valiart.ch<br />

Täglich 9:00-18:30 h / Do bis 21:00 h / Sa<br />

bis 16:00 h<br />

Eva Borner / Martin Bircher<br />

Interaktives Dilemma der Einsamkeit<br />

Wort-Klang-Installation mit Geige<br />

bis 2.6.<br />

Wartsaal 3<br />

Helvetiaplatz 3, 3005 Bern<br />

T 031 351 33 21 / www.wartsaal3.ch<br />

täglich 11:00-19:00 h<br />

Kunstmönch<br />

schaut für sie kunst...<br />

7.5. - 21.5.<br />

Zeit - Gabriela Paiano, Marco Frauchiger<br />

& Elmar Brülhart<br />

Fotoausstellung<br />

Vernissage: 24.5., 18:00 h<br />

24.-25.5.<br />

49<br />

artensuite


50<br />

artensuite<br />

Augenspiel<br />

Von Dominik Imhof<br />

■ Bern ist eine einzige Baustelle. Der<br />

Bahnhofplatz – eine Bezeichnung die dieses<br />

Unding eigentlich noch nie verdient hat<br />

– ist sozusagen das Epizentrum der Verwüstung.<br />

Kaum weiss man wo aus noch<br />

ein, Loebaufstieg ist gesperrt, der Zehnerbus<br />

fährt sonst wo ab und nichts ist wie<br />

es immer war. Unsere bahnhöflichen Gewohnheiten<br />

werden arg beschnitten. Und<br />

unsere Flexibilität wird hart geprüft. Und<br />

sie sollen noch ein Weilchen dauern, diese<br />

Umbauten. Vielleicht werden wir ja mit<br />

einem Ungetüm von Baldachin belohnt,<br />

auf dass wir trockenen Hauptes von Tibits-Vegi-Schmaus<br />

zum Loeb-Konsumpalast<br />

schlendern können. Was vielleicht<br />

den Wenigsten im Umbautrubel und Baustellendurcheinander<br />

aufgefallen ist: Unsere<br />

geliebte und viel beachtete Kunst im<br />

öffentlichen Bahnhofsraum ist weg. Erstes<br />

Opfer war Bernhard Luginbühls «Christophorus»,<br />

der einigen Fahrrädern hinter der<br />

Heiliggeistkirche Schatten liefert, jetzt hat<br />

sich auch Lischettis seiltänzelnder Bär auf<br />

und davon gemacht, gähnende Himmelsleere<br />

und Kabelsalat bleiben. Luciano An-<br />

UELI BERGER<br />

ALLES IN ALLEM<br />

ARBEITEN AUF PAPIER 1967–2007<br />

9.5. – 5.8.2007<br />

Kunstmuseum Bern<br />

www.kunstmuseumbern.ch<br />

dreanis Beinflüssler ist spurlos weggerannt,<br />

obwohl er momentan das treffliche Symbol<br />

für all die kopflos in der Bahnhofgegend<br />

Umherirrenden wäre. Die Pilze von Iseli,<br />

eine stete Warnung (für manche vielleicht<br />

sogar Prophezeiung) an den öffentlichen<br />

Transportmittelbenutzer, was aus Bern<br />

werden könnte: von Natur überwuchertes<br />

Nächsterholungsgebiet oder langsam verwesende<br />

Provinzstadt! Ueli Bergers an das<br />

Milchgässchen mahnende Milchkannen hat<br />

nun doch ein Biobauer eingepackt. Und<br />

auch das Bollwerk ist bereits entkünstelt.<br />

Die Rückkehr der Kunstwerke ist sehr ungewiss,<br />

höchstwahrscheinlich verschwinden<br />

sie in der Versenke. Mit allen Künstlern<br />

wurde aber eine Abmachung getroffen, wie<br />

Peter Schranz dem «Bund» mitteilte. Kuhns<br />

Rettungsring war trotzdem nicht mehr zu<br />

retten und auch die Milchkannen seien zu<br />

stark lädiert! «Der alte Bahnhofplatz muss<br />

verreisen» so lautet das Motto für das am<br />

Sonntag, 13. Mai, stattfindende Fest. Danach<br />

beginnt die Intensivbauphase. Wo ich mich<br />

dann doch frage, ist die Phase jetzt noch<br />

nicht intensiv? Ohje! Veränderung, igit!<br />

Impressum<br />

artensuite erscheint monatlich als Beilage<br />

im ensuite - kulturmagazin.<br />

Herausgeber: edition ■ ensuite, Bern<br />

Redaktion: Dominik Imhof (di); Monique<br />

Meyer (mm), Sylvia Mutti (sm), Nicola<br />

Schröder (ns), Sylvia Rüttimann (sr), Monika<br />

Schäfer (ms)<br />

Die Redaktion artensuite ist politisch,<br />

wirtschaftlich und ethisch unabhängig<br />

und selbständig. Die Texte repräsentieren<br />

die Meinungen der Autoren/innen, nicht<br />

jene der Redaktion.<br />

Copyrights für alle Informationen und Bilder<br />

liegen beim Verein WE ARE in Bern<br />

und der edition ■ ensuite.<br />

Redaktionsadresse:<br />

artensuite<br />

Sandrainstrasse 3<br />

3007 Bern<br />

Telefon 031 318 6050<br />

Mail: art@ensuite.ch<br />

www.artensuite.ch<br />

DENN BERN<br />

IST ÜBERALL!<br />

www.ensuite.ch<br />

artensuite Mai 05 | 07


BERNER MUSEEN<br />

BERN / BIEL / THUN<br />

Abegg-Stiftung<br />

Werner Abegg-Strasse 67, 3132 Riggisberg<br />

täglich 14:00-17:30 h<br />

Sonderausstellung 2007<br />

Drachen aus Seide, Blumen aus Gold.<br />

Textile Schätze der chinesischen Liao-<br />

Dynastie (907-1125)<br />

bis 11.11.<br />

Antikensammlung Bern<br />

Hallerstrasse 12, 3012 Bern<br />

Mi 18:00-20:00 h<br />

Die Antikensammlung beherbergt nebst<br />

den Abgüssen (rund 230 Exponate antiker<br />

Skulpturen von den Anfängen der griechischen<br />

Archaik bis zur römischen Spätantike)<br />

auch eine kleine Sammlung mit originalen<br />

Fundstücken aus der griechisch-römischen<br />

Antike.<br />

Bernisches Historisches Museum<br />

Helvetiaplatz 5, 3005 Bern<br />

Di-So 10:00-17:00 h<br />

Sonntag, 1.4., 11:00h<br />

Berns Weg in die Moderne<br />

Warum ist die Gegenwart so geworden wie<br />

sie heute ist? Die Sonderausstellung lädt ein<br />

zu einem Gang durch die Schweizer Verfassungsgeschichte<br />

und die Geschichte Berns<br />

im 19. und 20. Jahrhundert.<br />

1.5. - 6.1.2008<br />

Centre Dürrenmatt<br />

Chemin du Pertuis-du-Sault 74, 2000<br />

Neuchâtel<br />

Mi-So 11:00-17:00 h<br />

Am Rande der Sprache<br />

Vernissage: Sa, 19.5., 17:00 h<br />

19.5. - 26.8.<br />

Einstein-Haus<br />

Kramgasse 49, 3011 Bern<br />

1.10.-16.12., Di-Fr 10:00-17:00 h / Sa 10:00-<br />

16:00 h<br />

Führungen jederzeit nach Absprache<br />

Heilsarmeemuseum<br />

Laupenstrasse 5, 3001 Bern<br />

Di-Do 9:00-12:00 h & 14:00-17:00 h<br />

Dokumente, Zeitschriften, Bilder, Fotos,<br />

Grammophonplatten, Kassetten, Musikinstrumente<br />

und andere Sammelobjekte.<br />

artensuite Mai 05 | 07<br />

Institut für Archäologie der<br />

Universität Bern<br />

Länggassstrasse 10, 3012 Bern<br />

T 031 631 89 92<br />

Mo-Fr, 8:00-17:00 h<br />

Kunsthaus Centre Pasqu’art<br />

Seevorstadt 71-75, 2502 Biel<br />

Mi-Fr 14:00-18:00 h / Sa&So 11:00-18:00 h<br />

Isabelle Krieg KRIEG MACHT LIEBE<br />

bis 20.5.<br />

Hervé Graumann<br />

bis 20.5.<br />

Photoforum Pasquart<br />

Peter Maurer<br />

FACELAND<br />

6.5. - 10.6.<br />

Kunsthalle Bern<br />

Helvetiaplatz 1, 3005 Bern<br />

Mi-So 10:00-17:00 h / Di 10:00-19:00 h<br />

Critical Mass - 20 Jahre Stiftung Kunsthalle<br />

Bern<br />

bis 20.5.<br />

NEUE HORIZONTE Konzeptuelle Musik<br />

1957 bis 2007<br />

12.5. - 13.5.<br />

KUNSTHALLE FEST<br />

Konzert mit Christian Marcley<br />

19.5.<br />

Kunstmuseum Bern<br />

Hodlerstrasse 8-12, 3007 Bern<br />

Di 10:00-21:00 h / Mi-So 10:00-17:00 h<br />

Serge Spitzer – Installation<br />

»Re/Search (Alchemy and/or Question<br />

Marks with Swiss Air)», 1996-2002<br />

bis Ende 2007<br />

Oscar Wiggli. Körper - Raum - Klang.<br />

Eine Werkübersicht<br />

bis 13.5.<br />

Manet zu Gast in der Sammlung: La maîtresse<br />

de Baudelaire couchée<br />

bis 6. Mai<br />

Im Kabinett: Maria Eichhorn - Die Anteilscheine<br />

der Kunsthalle Bern<br />

bis 20.5.<br />

Expressionismus aus den Bergen -<br />

Kirchner, Bauknecht, Wiegers und die<br />

Gruppe Rot-Blau<br />

bis 19.8.<br />

Ueli Berger: Alles in Allem - Arbeiten<br />

auf Papier 1967 - 2007<br />

9.5. - 5.8.<br />

Im Kabinett: Lascivie e santità - Druck-<br />

graphik der Carracci<br />

29.5. - 5.8.<br />

Kunsthaus Langenthal<br />

Marktgasse 13, 4900 Langenthal<br />

Mi & Do 14:00-17:00, Fr 14:00-19:00 h, Sa&<br />

So 10:00-17:00 h<br />

Aufbruch ins Material - Sammlung<br />

Liechti<br />

Vernissage: Mi, 9.5., 19:00 h<br />

10.5. - 1.7.<br />

Kunstmuseum Thun<br />

Hofstettenstrasse 14, 3602 Thun<br />

Di-So 10:00-17:00 h / Mi 10:00-21:00 h<br />

Aeschlimann Corti Stipendium<br />

bis 20.5.<br />

Werkgespräch mit den Preisträgern<br />

So, 6.5., 15:00 h<br />

museum franz gertsch<br />

Platanenstrasse 3, 3401 Burgdorf<br />

Di-Fr 10-18h / mi 10-19h Sa&So 10-17h<br />

Unter Sternen. Aus der Sammlung Willy<br />

Michel. Fotografie<br />

Franz Gertsch - Schottische Aquarelle<br />

bis 24.6.<br />

Max Roth - Monolothische Skulpturen<br />

bis 28.10.<br />

Museum für Kommunikation<br />

Helvetiastrasse 16, 3000 Bern<br />

Di und Do bis So 10-17h & Mi 10-19h<br />

Zum 100. Geburtstag: Tag der offenen<br />

Tür<br />

12./13. Mai<br />

As Time Goes Byte<br />

Neue Dauerausstellung zur Computergeschichte<br />

und digitalen Kultur<br />

ab 12.5.<br />

Bilder, die haften<br />

Neue Dauerausstellung zu den Briefmarken<br />

ab 12.5.<br />

Wechselausstellung «haarsträubend».<br />

Tier-Mensch-Kommunikation.<br />

Gemeinsam mit dem Naturhistorischen Museum<br />

Bern (beidseitig zugänglich)<br />

bis 1.7.<br />

Museum Neuhaus Biel<br />

Schüsselpromenade 26, 2501 Biel<br />

Di-So 11:00-17:00 h / Mi 11:00-19:00 h<br />

Bürgerlicher Lebensstil im 19. Jahrhundert:<br />

Wohnen und Haushalten<br />

Die Stiftung Sammlung Robert präsentiert<br />

51<br />

artensuite


52<br />

artensuite<br />

eine neu gestaltete permanente Ausstellung<br />

im Museum Neuhaus.<br />

Die Welt der Vögel<br />

Werke von Léo-Paul (1851-1923) und Paul-<br />

André Robert (1901-1977)<br />

bis 24.6.<br />

Museum Schwab / Museum<br />

für Archäologie<br />

Seevorstadt 50, 2502 Biel<br />

Di-Sa 14:00-18:00 h / So 11:00-18:00 h<br />

Permanente Ausstellung<br />

Das archäologische Fenster der Region<br />

Röstigraben - Unterschiede<br />

zum Auskosten<br />

Der Röstigraben – die Romands nennen ihn<br />

«Rideau de rösti», Röstivorhang - ist nicht nur<br />

eine Sprachgrenze. Dass sich dahinter mehr<br />

verbirgt seit der Zeit der ersten Bauern bis<br />

heute, zeigt diese Ausstellung.<br />

bis 20.5.<br />

Naturhistorisches Museum der<br />

Burgergemeinde Bern<br />

Bernastrasse 15, 3005 Bern<br />

Mo 14:00-17:00 h / Di/Do/Fr 9:00-17:00 h<br />

Mi 9:00-18:00 h, Sa&So 10:00-17:00 h<br />

«haarsträubend: Tier – Mensch – Kommunikation»<br />

bis 1.7.<br />

Anpasser und Alleskönner - Tiere in der<br />

Stadt<br />

Dauerausstellung<br />

Psychiatrie Museum Bern<br />

Bolligenstrasse 111, 3060 Bern<br />

Mi 14:00-16:00 h<br />

Neben historisch wichtigen Gegenständen<br />

und Dokumenten beherbergt das Museum<br />

auch eine Sammlung bildnerischer Patientenarbeiten,<br />

die mehrheitlich auf jener Morgenthalers<br />

beruht. Sie umfasst über 2500<br />

Bilder (Zeichnungen, Aquarelle, Ölbilder<br />

und Collagen), rund 1500 Textblätter sowie<br />

viele Stoffarbeiten, Objekte aus Holz, Ton,<br />

Keramik und anderen Materialien.<br />

Schloss Landshut<br />

Schweizer Museum für Wild & Jagd<br />

3427 Utzenstorf<br />

Di-Sa 14:00-17:00 h<br />

Das Schloss ist bis und mit 12.5. geschlossen<br />

«abnorm ? Vom Kopfschmuck bei Reh<br />

und Steinbock»<br />

13.5. - 21.10.<br />

Schloss Münsingen<br />

Schlossstrasse 13, 3110 Münsingen<br />

jeweils am Sonntag, 14:00-17:00 h oder nach<br />

Vereinbarung<br />

Schlossmuseum Thun<br />

Schlossberg 1, 3600 Thun<br />

10:00-16:00 h<br />

Das historische Museum mit einmaliger<br />

Aussicht auf Stadt, See und Alpen.<br />

Töpferwerkstadt<br />

Typische Heimberger Keramik Werkstatt<br />

des 19. Jahrhunderts<br />

Teil der Dauerausstellung<br />

Schweizerische Landesbibliothek<br />

Hallwylstrasse 15, 3003 Bern<br />

Mo-Fr 9:00-18:00 h, Mi bis 20:00 h / Sa<br />

9:00-16:00 h / So 12:00-17:00 h<br />

«Exzellenzen, Excellences» Botschafter<br />

und Diplomaten in der Schweiz. Fotografien<br />

von Thomas Adank und Florian Joye<br />

bis 5.5.<br />

Schweizerisches Alpines Museum<br />

Helvetiaplatz 4, 3005 Bern<br />

Mo 14:00-17:00 h / Di-So 10:00-17:30 h<br />

«Filmische Höhen – historische Bergfilme»<br />

bis 27.5.<br />

Filmische Höhen – historische Bergfilme<br />

bis 27. Mai<br />

Schweizerisches<br />

Schützenmuseum Bern<br />

Bernastrasse 5, 3005 Bern<br />

Di-Sa 14:00-17:00 h / So 10:00-12:00 h &<br />

14:00-17:00 h<br />

Das 13. Sternzeichen – Der Armbrustschütze<br />

Vernissage: Fr, 18.5., 10:30-14:00 h<br />

Indoor-Ehrenschiessen auf die Ehrenscheiben<br />

im 1. OG des Museums, bis 17:00 h.<br />

18.5. - 2.12.<br />

Universitätsbibliothek Bern<br />

Münstergasse 61-63, 3011 Bern<br />

Mo-Fr 8:00-19:00 h / Sa 8:00-12:00 h<br />

Reclam. Die Kunst der Verbreitung<br />

Sammlung Georg Ewald<br />

bis 16.6.<br />

Stiftung Historisches Erbe SBB<br />

Bollwerk 12, 3000 Bern 65<br />

Mo-Fr 9:00-12:00 h & 13:30-17:00 h<br />

Die Infothek der Schweizer Bahngeschichte<br />

zum Nachlesen und Ansehen.<br />

Unsere öffentlich zugängliche Infothek bietet<br />

Ihnen u. a. folgende Dienstleistungen<br />

an: regelmässige Publikation ausgewählter<br />

Neuerscheinungen. Beratung in Dokumentationsfragen<br />

und bei Recherchen. Leseplätze<br />

mit Internetarbeitsplatz, Lexika usw.<br />

Konsultationsmöglichkeit für aktuelle Zeitschriften,<br />

Wörterbücher, Nachschlagewerke<br />

und aktuelle Fahrpläne ausländischer Bahnunternehmungen.<br />

Zentrum Paul Klee<br />

Monument im Fruchtland 3, 3001 Bern<br />

Di-So 10:00-17:00 h / Do 10:00-21:00 h<br />

Kindermuseum Creaviva 10:00-17:00 h, Do<br />

bis 21:00 h<br />

Rémy Zaugg – Nachbar Tod und die<br />

Wahrnehmung<br />

bis 3.6.<br />

Oscar Wiggli: Körper – Raum – Klang<br />

bis 13.5.<br />

Paul Klee – Ad Parnassum<br />

12.6. - 14.10.<br />

Paul Klee – Überall Theater<br />

28.6. - 14.10.<br />

Führungen und Aktivitäten finden Sie in der<br />

ensuite - kulturmagazin-agenda und unter<br />

www.zpk.org<br />

artensuite Mai 05 | 07

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