Deutsche Gesellschaft für Schmerztherapie e. V ...
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SCHMERZTHERAPIE<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong> e. V. – DGS<br />
23. Jahrgang 2007 Ehemals StK<br />
Inhalt<br />
Editorial<br />
Verunsicherung, Einschüchterung,<br />
Missbrauch .................................... 2<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Opioide – differenzierte Therapie ist<br />
Goldstandard ................................. 4<br />
Fragen zur Zertifizierung ............. 9<br />
Schmerzkonsil<br />
Teilbarkeit von oralen<br />
Stufe-III-Opioiden ........................ 11<br />
Originalie<br />
Erstes bundesweites Kopfschmerzbehandlungsnetz<br />
......................... 12<br />
DGS-Veranstaltungen/Interna .. 15<br />
Interdisziplinäre Fortbildung<br />
Schmerzkonferenzen –<br />
Palaver oder Chance? ................. 16<br />
Onkologie<br />
Moderne Chemotherapie nach<br />
Maß ............................................. 18<br />
Palliativmedizin<br />
Optimale Palliativversorgung –<br />
Wie ist das möglich? ................... 20<br />
Medizin und Recht<br />
Wie wird das Vertragsarztrechts-<br />
änderungsgesetz umgesetzt? ..... 22<br />
Schmerz im Krankenhaus<br />
Funktion des Akutschmerz-<br />
dienstes ....................................... 24<br />
Internationale Presse ................ 25<br />
Bücherecke ................................ 26<br />
Kasuistik<br />
Rückenschmerzen ....................... 27<br />
www.dgschmerztherapie.de<br />
ISSN 1613-9968<br />
3I2007<br />
Opioide – differenzierte Therapie<br />
nach der inneren Uhr
Editorial<br />
Gerhard Müller-Schwefe,<br />
Göppingen<br />
Verunsicherung<br />
Diejenigen von Ihnen, die eine nennenswerte<br />
Zahl oder gar überwiegend Schmerzpatienten<br />
betreuen, werden in den letzten Tagen und<br />
Wochen „Prüfungen der wirtschaftlichen Verordnungsweise<br />
von Arznei- und Verbandsmitteln<br />
aufgrund von Überschreitungen ihres individuellen<br />
Richtgrößenvolumens <strong>für</strong> das Jahr<br />
2005“ erhalten haben.<br />
Nach § 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 106<br />
Abs. 5 a SGB V sowie § 84 Abs. 6 SGB V ist<br />
bei einer Überschreitung des Richtgrößenvolumens<br />
von mehr als 15% eine Wirtschaftlichkeitsprüfung<br />
durchzuführen.<br />
Selbst wenn bei Ihnen <strong>Schmerztherapie</strong><br />
jahrelang als Praxisbesonderheit anerkannt<br />
war, geraten Sie jetzt aufgrund der Gesund-<br />
Verunsicherung – Einschüchterung –<br />
Missbrauch<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
Verunsicherung, Einschüchterung und Missbrauch – typische Machtinstrumente<br />
einer Diktatur – finden zunehmend Eingang in das bundesdeutsche Gesundheits-<br />
wesen. Gerade in der schon defizitären schmerztherapeutischen Versorgung<br />
hat dies fatale Konsequenzen.<br />
Immer mehr Verunsicherung durch Wirtschaftlichkeitsprüfungen.<br />
heitsreform in die Mühlen der Wirtschaftlichkeitsprüfung.<br />
Zwar werden im Vorfeld bereits<br />
– je nach KV – Substanzen wie stark wirksame<br />
Opioide (WHO-Stufe III) und Gabapentin<br />
als Besonderheit herausgerechnet.<br />
Zahlreiche andere Substanzen, die im Rahmen<br />
der <strong>Schmerztherapie</strong> essenziell sind wie<br />
beispielsweise Stufe-II-Opioide, Antikonvulsiva<br />
wie z.B. Pregabalin, Antidepressiva, Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer<br />
oder auch antichronifizierende Substanzen<br />
wie Flupirtin sowie Lokalanästhetika wie auch<br />
Triptane oder Rezepturen zur intrathekalen<br />
Opioidtherapie zur Pumpenbefüllung finden<br />
zunächst keine Berücksichtigung, obwohl sie<br />
seit Jahren unstrittig Bestandteil qualifizierter<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> sind.<br />
Natürlich können Sie jede einzelne dieser Verordnungen<br />
begründen und ihre Notwendigkeit<br />
in der Summe auch darstellen – dies allerdings<br />
auf Kosten Ihrer eigenen Lebens- und<br />
Arbeitszeit: Leicht ist hier einmal eine ganze<br />
Arbeitswoche mit 50 Arbeitsstunden mit Statistik<br />
und Begründungsorgien zugebracht,<br />
ohne dass ein einziger Patient besser versorgt<br />
wäre. Schlimmer noch wiegt, dass viele<br />
Kollegen verunsichert sind und nicht nur ihr<br />
Verordnungsverhalten ändern, sondern auch<br />
keine Neigung mehr verspüren, sich der Probleme<br />
chronisch schmerzkranker Patienten<br />
anzunehmen, bei denen auch die ärztliche<br />
Arbeit ohnedies dem Rasiermesser der Leistungsbegrenzung<br />
zum Opfer fällt.<br />
Einschüchterung<br />
Einschüchterung ist auch das Prinzip, wenn<br />
die Bundesregierung im Arzneimittelverordnungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz<br />
DDDs (Defined<br />
Daily Doses = angenommene tägliche<br />
Dosierung) als Steuerungsgröße zur Verordnung<br />
von Medikamenten und insbesondere<br />
auch von stark wirksamen Schmerzmitteln<br />
einsetzt. Auf seiner Homepage definiert das<br />
Bundesgesundheitsministerium in seinem<br />
„Glossar zur Gesundheitsreform“ (www.diegesundheitsreform.de/glossar/durchschnittskosten_tagesdosis.html):<br />
„Für den Preisvergleich<br />
bieten die Angaben zur ‚Defined Daily<br />
Dose’ (DDD, deutsch: durchschnittliche Tagesdosis)<br />
dem Arzt eine konkrete Orientierung.<br />
Die DDD ist eine Tablette mit normierter<br />
Wirkstärke oder Wirkstoffmenge. Sie<br />
entspricht der Dosis, die bei einer bestimmten<br />
Indikation im Durchschnitt und pro Tag erforderlich<br />
ist.“ Und weiter: „Die Regelung ist Teil<br />
des Arzneimittelversorgungs-Wirtschaftlichkeitsgesetz<br />
(AVWG). Es ist die Aufgabe der<br />
Selbstverwaltung von Ärzten und Krankenkassen,<br />
die Durchschnittskosten vertraglich<br />
festzulegen.“ Hier wird suggeriert, DDDs eigneten<br />
sich zum Vergleich verschiedener<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Substanzen und verschiedener Arzneigruppen<br />
und ermöglichten es, die günstigste wirksame<br />
Therapie auszusuchen.<br />
DDDs beschreiben Mangelversorgung<br />
und nicht Therapienotwendigkeit<br />
Um hier den Gesundheitsstrategen nicht erneut<br />
auf den Leim zu gehen, ist es wichtig,<br />
Definitionen und Inhalte exakt zu kennen.<br />
DDDs wurden explizit zum Vergleich des Verordnungsverhaltens<br />
in verschiedenen Ländern<br />
und Populationen definiert, um in Studien<br />
Versorgungsrealität vergleichbar abbilden<br />
zu können. In Anbetracht der bestehenden<br />
Mangelversorgung von Schmerzpatienten<br />
sowohl was die ärztliche Versorgung als auch<br />
was die pharmakotherapeutische Versorgung<br />
angeht, wird verständlich, dass DDDs die die<br />
aktuelle oder zurückliegende Verordnungsrealität<br />
widerspiegeln, immer eine Mangelversorgung<br />
beschreiben.<br />
DDDs: keine Verordnungsrichtlinie<br />
Die DDDs werden im Rahmen der anatomisch-therapeutisch-chemischenKlassifikation<br />
von Medikamenten (sog. ATC-Klassifikation,<br />
in der Wirkstoffe entsprechend dem Organ<br />
oder Organsystem, auf das sie einwirken,<br />
und nach ihren chemischen, pharmakologischen<br />
und therapeutischen Eigenschaften<br />
in verschiedene Gruppen eingeteilt werden)<br />
vom WHO-Zentrum <strong>für</strong> die Erarbeitung der<br />
Methodik der Arzneimittelstatistik (WHO Collaborative<br />
Centre for Drug Statistics Methodology)<br />
in Oslo jährlich neu beschrieben.<br />
Ausdrücklich weist diese Arbeitsgruppe<br />
darauf hin, dass DDDs (Defined Daily Doses)<br />
und PDD (Prescribed Daily Dose = verordnete<br />
tägliche Dosierung) weit voneinander<br />
abweichen können und mithin DDDs auf keinen<br />
Fall als Richtlinien <strong>für</strong> Verordnungsnotwendigkeiten<br />
herangezogen werden können.<br />
Insbesondere im Bereich der stark wirksamen<br />
Schmerzmittel vom Opioidtyp würde eine derartige<br />
Berechnung die bestehende Mangelversorgung<br />
festschreiben, was dem erklärten<br />
Ziel der WHO explizit entgegenlaufen würde.<br />
Darüber hinaus schreibt die <strong>für</strong> die Festlegung<br />
verantwortliche Arbeitsgruppe explizit<br />
vor, dass DDDs nach Möglichkeit nicht verändert<br />
werden sollten, selbst wenn das Verordnungsverhalten<br />
in einem betroffenen Land<br />
oder einer betroffenen Population sich massiv<br />
verändert hat, da diese Größe ausschließlich<br />
zur Anwendung in Vergleichsstudien kreiert<br />
wurde und deshalb bei einer Veränderung der<br />
Definition Langzeit- und Querschnittsuntersuchungen<br />
in Studien nicht mehr möglich sind.<br />
Deshalb werden DDDs auch nicht den tatsächlichen<br />
Verordnungsrealitäten angepasst,<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Tabelle 1: DDDs verändern sich im Lauf der Zeit, Beispiele aus den USA<br />
oder wenn, dann allenfalls in großen Zeitabständen.<br />
Im Bereich der stark wirksamen<br />
Opioide wurden zwischen 1982 und 2007 Veränderungen<br />
der DDDs bei folgenden Substanzen<br />
in den folgenden Größenordnungen<br />
vorgenommen, basierend auf Verbrauchsdaten<br />
aus den USA (Tab. 1).<br />
Diese wenigen Beispiele zeigen bereits,<br />
dass DDDs keine festgeschriebenen Größen<br />
sind.<br />
Missbrauch<br />
Darüber hinaus stellt die WHO-Arbeitsgruppe<br />
fest, dass auf ATC- und DDD-Zuordnung basierende<br />
Erstattungsregelungen, Preisvergleiche<br />
therapeutischer Gruppen oder Preisentscheidungen<br />
einen Missbrauch des Systems<br />
darstellen. Weiterhin stellt sie fest:<br />
„DDDs spiegeln nicht notwendigerweise therapeutisch<br />
gleichwertige Dosen verschiedener<br />
Medikamente wider, und deshalb kann<br />
nicht davon ausgegangen werden, dass sie<br />
Tagesdosen darstellen, die gleiche Behandlungsergebnisse<br />
<strong>für</strong> alle Produkte innerhalb<br />
einer ATC-Kategorie bringen … Es ist deshalb<br />
nicht zulässig, dieses Maß zum Vergleich verschiedener<br />
Medikamente oder Medikamentengruppen<br />
zu verwenden.“<br />
Opioide sind nicht beliebig<br />
austauschbar<br />
Die Aufforderung mancher Gesundheitspolitiker,<br />
Krankenkassen und Kassenärztlicher<br />
Vereinigungen, Patienten, die stark wirksame<br />
Schmerzmittel vom Opioidtyp benötigen,<br />
seien mit einer bestimmten Mindestquote auf<br />
das billigste generische Morphin umzustellen,<br />
entbehrt damit jeder Grundlage, der Hinweis<br />
im AVWG auf DDDs stellt eindeutig einen<br />
Missbrauch dar.<br />
Bereits in früheren Ausgaben von<br />
SCHMERZTHERAPIE wurde ausführlich auf<br />
die unterschiedliche Wirkweise wie auch Metabolisierung<br />
und Kinetik der verschiedenen<br />
Opioide hingewiesen.<br />
Das Märchen vom Arzt als<br />
Arzneimittelverschwender<br />
Wie der neu erschienene Arzneimittel-Atlas<br />
des IGES-Institutes (http://www.iges.de/) aufzeigt,<br />
geht der 2006 nominal um 2% gestiege-<br />
Editorial<br />
Hydromorphon 4 mg oral Y 0 mg oral ( 004)<br />
Morphin 0 mg oral Y 100 mg oral (1987)<br />
Oxycodon 0 mg oral Y 75 mg oral ( 004)<br />
ne Arzneiverbrauch auf die zusätzliche Neueinstellung<br />
von rund 2,5 Millionen mehr Patienten<br />
mit Antihypertensiva (+ 1,18 Mio. Patienten),<br />
Lipidsenkern (+ 0,88 Mio. Patienten),<br />
Säurehemmern (+ 0,4 Mio. Patienten) sowie<br />
Antidiabetika (+ 0,14 Mio. Patienten) zurück<br />
und nicht auf eine ausufernde Verordnung<br />
sinnloser Analgetika.<br />
Demotivation<br />
Demotivation ist <strong>für</strong> viele Kollegen die Konsequenz<br />
aus dieser anhaltenden Verunsicherung,<br />
Einschüchterung und missbräuchlichen<br />
Anwendung von Definitionen mit der Androhung<br />
wirtschaftlicher Konsequenzen in einem<br />
System, das ohnedies nur durch die permanente<br />
Selbstausbeutung von Ärzten vor dem<br />
Kollaps bewahrt wird. Von paritätischen Entscheidungen<br />
oder Sachverstand ist hier nur<br />
wenig zu spüren.<br />
„Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt …“<br />
war das Motto der 68iger-Generation.<br />
Liebe Kolleginnen und Kollegen,<br />
heute ist es wieder an der Zeit, sich zu wehren<br />
und nicht unhinterfragt jeden Unfug, egal<br />
ob er in Gesetzen oder Missinterpretationen<br />
festgelegt ist, über sich ergehen zu lassen.<br />
Kein Mensch kann vernünftigerweise erwarten,<br />
dass Ärzte die Verordnung der Medikamente<br />
ihrer Patienten aus der eigenen Tasche<br />
bezahlen, nachdem sie ohnedies schon ihre<br />
eigene Arbeit oft zu mehr als der Hälfte kostenlos<br />
zur Verfügung stellen. Die Definitionen<br />
und rechtlichen Grundlagen sind klar und eindeutig.<br />
Ich denke, es ist an der Zeit, dass wir<br />
uns wieder gemeinsam wehren und sinnlosen<br />
Begründungsorgien wie auch dem bewussten<br />
Missbrauch von Begriffen Einhalt gebieten.<br />
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass<br />
Sie in Ihrem Urlaub viel Erholung und Energie<br />
tanken, um sich gegen unsinnige Einschränkungen<br />
und Verdächtigungen effektiv wehren<br />
zu können und grüße Sie herzlich. ❏<br />
Ihr<br />
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Präsident<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong> e. V.
Nach Junker<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Opioide – differenzierte<br />
Therapie ist Goldstandard<br />
Aufgrund fehlender spezifischer organtoxischer Wirkungen spielen Opioide<br />
im Rahmen schmerztherapeutischer Konzepte heute sowohl bei tumor-<br />
als auch bei nicht tumorbedingten Schmerzen eine zentrale Rolle. Inzwischen<br />
steht eine große Palette moderner Retardopioide zur Verfügung. Die<br />
folgende Arbeit von Dr. med. Uwe Junker, DGS-Vizepräsident, und Hanna<br />
Ludwig, beide Sanaklinikum Remscheid, versucht, auf der Grundlage der<br />
bis heute vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisse Möglichkeiten und<br />
Grenzen der <strong>Schmerztherapie</strong> mit Opioiden im allgemeinen ebenso<br />
zusammenzufassen wie deren mögliche patientenbezogene Differenzialindikation<br />
bei chronischen Schmerzen.<br />
Indikationen <strong>für</strong> Opioide<br />
Nicht retardierte und retardierte Opioide werden<br />
bei sehr unterschiedlichen Schmerzsyndromen<br />
eingesetzt. Gut dokumentiert ist der<br />
Nutzen einer Opioidtherapie bei Tumorschmerzen,<br />
aber auch bei nicht tumorbedingten<br />
Schmerzen können Opioide wirksam<br />
sein. Opioidsensitive Schmerzen lassen sich<br />
mit Opioiden ausreichend lindern, ohne dass<br />
limitierende unerwünschte Wirkungen auftreten.<br />
Opioidpflichtige Schmerzen sind jene<br />
opioidsensitiven Schmerzen, bei denen Nichtopioide<br />
wegen ihren Nebenwirkungen unzumutbar<br />
sind, allein unzureichend wirken oder<br />
<strong>für</strong> die eine Kontraindikation besteht [1].<br />
Tumorschmerzen<br />
Wie häufig behandlungsbedürftige Schmerzen<br />
im Rahmen von Krebserkrankungen auftreten,<br />
hängt von der Lokalisation und Pathophysiologie<br />
des Tumors ab. Tumoren, die ins Skelett<br />
Abbildung 1: Wer ist opioidsensitiv?<br />
Schmerzintensität<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
Fall 1: Sensitiv,<br />
zweite Dosis zu spät<br />
0<br />
7 10 14 18 22<br />
Uhrzeit<br />
metastasieren, führen bei mehr als 85% der<br />
Patienten zu Schmerzen. Dagegen geben nur<br />
25–45% der Patienten mit Lymphomen und<br />
Leukämien Schmerzen an. Tumorschmerzen<br />
sind heutzutage zu 90% durch medikamentöse<br />
Konzepte mit Opioiden, Koanalgetika und<br />
Adjuvanzien beherrschbar [2].<br />
Nicht tumorbedingte Schmerzen<br />
Im Hinblick auf nicht tumorbedingte Schmerzen<br />
ist die Wirksamkeit von Opioiden nur <strong>für</strong><br />
einige chronische Schmerzsyndrome in placebokontrollierten<br />
Studien nachgewiesen<br />
worden, die sich außerdem nur auf wenige<br />
Wochen erstreckten und teilweise beträchtliche<br />
Abbruchquoten nach der Titrationsphase<br />
aufwiesen.<br />
Zwar kann eine klare Indikation zur Langzeittherapie<br />
aus den bisherigen klinischen<br />
Daten nicht abgeleitet werden, doch lassen<br />
klinische Anwendungsberichte vermuten,<br />
Fraglich sensitiv,<br />
evtl. Dosis erhöhen<br />
Nicht sensitiv<br />
7 10 14 18 22 7 10 14 18 22<br />
Retardopioid<br />
Hanna Ludwig und Uwe Junker, Remscheid<br />
dass Opioide auch langfristig chronische nicht<br />
tumorbedingte Schmerzen lindern können.<br />
Eine Befragung von 121 Patienten mit chronischen,<br />
nicht durch eine maligne Erkrankung<br />
verursachten Schmerzen und einer mindestens<br />
über drei Jahre andauernden Therapie<br />
zeigte eine gleichbleibend gute Wirksamkeit<br />
der Opioide bei initialen Therapierespondern<br />
ohne Hinweise auf Toleranzentwicklung und<br />
belegte darüber hinaus die Vorteile regelmäßiger<br />
Kontrolle in qualifizierten schmerztherapeutischen<br />
Einrichtungen [3, 4].<br />
Für die Wirksamkeit von Opioiden ist dabei<br />
der Pathomechanismus nicht primär entscheidend.<br />
Opioide können also sowohl bei Nozizeptorschmerzen<br />
als auch bei neuropathischen<br />
Schmerzen wirksam sein. Wirksamkeit muss<br />
individuell mittels Verlaufsdokumentation, z. B.<br />
in Form eines Schmerztagebuches, ermittelt<br />
werden (Abb. 1). Der früher propagierte „i.v.-<br />
Morphintest“ gilt heute als obsolet [1].<br />
Tabelle 1: Kriterien [5]<br />
DGS<br />
Körperliche Folge einer längeren Zufuhr<br />
Abhängigkeit einer Substanz<br />
Entzugssymptomatik nach<br />
Absetzen oder nach Applikation<br />
eines Antagonisten<br />
(sehr variabel)<br />
Substanz kann daher nicht<br />
abrupt abgesetzt werden<br />
Psychische Verlangen nach angenehmen<br />
Abhängigkeit oder Vermeidung unangenehmer<br />
psychotroper Wirkungen<br />
stehen <strong>für</strong> den Patienten<br />
im Vordergrund<br />
Tendenz zur Selbstschädigung/zum<br />
sozialen Rückzug<br />
in Einzelfällen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Keine Indikationen [1, 2]<br />
Nach dem derzeitigen Wissensstand ist von<br />
einer Langzeitanwendung von Opioiden bei<br />
folgenden Schmerzsyndromen und Störungen<br />
dringend abzuraten:<br />
■ primäre Kopfschmerzen,<br />
■ funktionelle kardiale, gastrointestinale,<br />
urologische oder gynäkologische Störungen,<br />
■ somatoforme und andere psychisch mitbedingte<br />
Schmerzformen,<br />
■ Schmerzattacken mit schmerzfreien Intervallen,<br />
z. B. bei Trigeminusneuralgie.<br />
Bei unklarer Indikation und/oder Hinweisen<br />
auf psychische Begleit- oder Grunderkrankungen<br />
oder auf eine ungünstige Krankheitsverarbeitung<br />
sollten die Patienten vor einem<br />
Therapieversuch mit Opioiden in einer interdisziplinären<br />
Schmerzkonferenz oder<br />
Schmerzklinik vorgestellt werden (siehe dazu<br />
Beitrag S. 16–17).<br />
Abhängigkeit [5, 6]<br />
Als Abhängigkeit ist ein Zustand definiert,<br />
der durch die Entwicklung einer psychischen<br />
(seelischen) und/oder physischen (körperlichen)<br />
Abhängigkeit und/oder durch die Entwicklung<br />
einer Toleranz gekennzeichnet ist<br />
(Tab. 1). Dabei besteht der Zwang, ein Arzneimittel<br />
immer wieder einzunehmen und die<br />
Dosis zu erhöhen. Das Abhängigkeitsrisiko<br />
wird von der Substanz, der Dosis, der Applikationsart,<br />
der Dauer der Anwendung und<br />
der Persönlichkeit des Anwenders mitbestimmt.<br />
Nach dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft<br />
ist bei korrekter Anwendung und<br />
Indikation die Gefahr einer psychischen Abhängigkeit<br />
durch moderne Retardopioide<br />
sehr gering [6]. Dennoch ist die prinzipielle<br />
Gefahr nicht von der Hand zu weisen. Nach<br />
einer aktuellen Übersichtsarbeit stellen Verhaltensauffälligkeiten<br />
im Sinne psychischer<br />
Abhängigkeit durch Opioideinnahme bei nicht<br />
tumorbedingten Rückenschmerzen mit einer<br />
Häufigkeit von 24% keine Seltenheit dar [7].<br />
Eine iatrogene Opioidabhängigkeit tritt am<br />
ehesten bei chronischen Schmerzen auf, die<br />
unzureichend auf ihre Opioidsensitivität geprüft<br />
wurden oder wenn Begleiterkrankungen<br />
in ihrer Bedeutung <strong>für</strong> die spätere Therapie<br />
unterschätzt wurden.<br />
Opioide nehmen unter den psychotropen<br />
Substanzen jedoch keine Sonderstellung<br />
ein. Die psychische Abhängigkeit ist beispielsweise<br />
bei Benzodiazepinen sehr viel<br />
häufiger.<br />
Die nachfolgend genannten wichtigsten<br />
Prinzipien einer rationalen Therapie mit Opioiden<br />
sind unbedingt zu beachten:<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Tabelle 2: Basisanalgetikum Opioid und sinnvolle Kombinationen<br />
■ Vor Beginn einer Opioidtherapie müssen<br />
eine exakte Schmerzanamnese durchgeführt,<br />
die Indikation möglichst interdisziplinär<br />
überprüft und die Therapie individuell<br />
geplant werden.<br />
■ Wichtig ist eine gewissenhafte Aufklärung<br />
des Patienten, die eine realistische Zielsetzung<br />
beinhaltet, d. h. vor allem keine<br />
Schmerzfreiheit verspricht.<br />
■ Bei der Langzeitanwendung von Opioiden<br />
sind von Anfang an Präparate mit retardierter<br />
Galenik oder langer Wirkungsdauer<br />
zu bevorzugen. Schnelle Anflutung<br />
fördert die Entwicklung von psychischer<br />
Abhängigkeit.<br />
■ Immer die niedrigstmögliche, wirksame<br />
Opioiddosis anstreben, keine Opioidmonotherapie<br />
durchführen, sondern orientiert<br />
am Schmerzmechanismus passende<br />
Nichtopioid- und/oder Koanalgetika kombinieren<br />
(Tab. 2)<br />
■ Dosisanpassung, Schmerzprophylaxe<br />
und regelmäßige Dosierung entsprechend<br />
der Wirkdauer des Opioids müssen<br />
individuell erfolgen. Arzt und Patient<br />
kontrollieren den Erfolg der Behandlung.<br />
■ Bei Unwirksamkeit eines Opioids oder<br />
Dosiseskalation muss die Indikation erneut<br />
geprüft und evtl. ein Opioidwechsel<br />
erwogen werden.<br />
■ Bei Erfolg der Therapie mit Opioid: Patientenaktivierung<br />
durch multimodale Therapiekonzepte.<br />
Was heißt „Erfolg”?<br />
Eine erfolgreiche Therapie muss keine<br />
Schmerzfreiheit erzielen wollen, sondern vor<br />
allem ein erträgliches Schmerzniveau (VAS<br />
3–5). Zudem soll der Nachtschlaf sichergestellt<br />
und ggf. die Zeit bis zum Beginn einer<br />
Kausaltherapie überbrückt werden.<br />
Für Patienten mit chronischen Schmerzen<br />
stehen oft die Wiederherstellung bzw. Erhaltung<br />
der Mobilität und weitere funktionelle<br />
Aspekte des alltäglichen Lebens im Vor-<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Schmerzform Mittel der 1. Wahl Alternativen<br />
Knochen- und Gelenkschmerz Cox-2-Hemmer, NSAR z.B. Bisphosphonate<br />
Muskelschmerz Flupirtin Metamizol<br />
Viszeraler Schmerz Metamizol Butylscopolamin<br />
Phantomschmerz Gabapentin, Pregabalin<br />
Trizyklische Antidepressiva<br />
Calcitonin<br />
Sonstige neuropathische Gabapentin, Pregabalin Carbamazepin<br />
Schmerzen Trizyklische Antidepressiva<br />
+ invasive/nicht invasive Therapieoptionen<br />
dergrund. Nicht zuletzt ist im Rahmen einer<br />
Langzeittherapie die nachhaltige Verträglichkeit<br />
ein wichtiger Faktor.<br />
Das WHO-Stufenschema und<br />
aktuelle Empfehlungen [8–10]<br />
1986 verabschiedete die WHO in Genf ein<br />
Stufenschema zur <strong>Schmerztherapie</strong> bei Tumorpatienten,<br />
um der seinerzeit dramatischen<br />
Unterversorgung dieser Patienten<br />
mit potenten Analgetika entgegenzuwirken.<br />
In den folgenden Jahrzehnten wurde dieses<br />
Konzept als didaktisches Leitgerüst auch <strong>für</strong><br />
die Therapie von Nicht-Tumorschmerzen<br />
mehr und mehr akzeptiert.<br />
Im Jahr 2005 hat die internationale <strong>Gesellschaft</strong><br />
zum Studium des Schmerzes<br />
(IASP) das Stufenschema hinsichtlich seiner<br />
Effizienz retrospektiv evaluiert und daraus<br />
Konsequenzen hinsichtlich zukünftiger<br />
Empfehlungen <strong>für</strong> die Behandlung von Tumorschmerzpatienten<br />
abgeleitet. Diese Erkenntnisse<br />
sind auch in die aktuellen Empfehlungen<br />
der Arzneimittelkommission der<br />
deutschen Ärzteschaft zur Behandlung von<br />
Tumorschmerzen eingeflossen. Diese be<strong>für</strong>worten,<br />
das traditionelle Stufenschema nicht<br />
dogmatisch-starr zu befolgen, sondern individuell<br />
<strong>für</strong> jeden Patienten zu interpretieren<br />
und am zu erwartenden Analgetikabedarf zu<br />
orientieren.<br />
So macht es beispielsweise auch beim<br />
opioidnaiven Tumorpatienten Sinn, bei zu<br />
erwartender Progredienz des Leidens gleich<br />
mit einem starken Opioid der WHO-Stufe III<br />
in niedriger Dosis zu beginnen, um dem Patienten<br />
unangenehme Situationen wie z. B.<br />
Schmerzdurchbrüche oder Überdosierung<br />
mit zentralen Nebenwirkungen im Rahmen<br />
eines Opioidwechsels zu ersparen. Abbildung<br />
2 zeigt, wie das WHO-Stufenschema<br />
der Zukunft aussehen könnte. Ebenso wie<br />
das ursprüngliche Stufenkonzept, gelten<br />
auch diese Empfehlungen primär <strong>für</strong> die Indikation<br />
„Tumorschmerz“.
Mod. n. Pain, Clinical Updates, Vol. XIII, , 200<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Abbildung 2: Stufenschema der Zukunft?<br />
Ausgewählte Opioidanalgetika und<br />
ihre möglichen Differenzialindikationen<br />
[11, 12, 13]<br />
Tramadol und Tilidin/Naloxon<br />
Die Bedeutung dieser schwachen (Tramadol)<br />
bzw. mittelstarken (Tilidin/Naloxon) Opioide<br />
der WHO-Stufe II nimmt im Indikationsbereich<br />
Tumorschmerz gegenwärtig ab. Tilidin/Naloxon<br />
zeichnet sich gegenüber Tramadol nicht<br />
nur durch seine höhere analgetische Potenz<br />
aus, sondern auch dadurch, dass bei Niereninsuffizienz<br />
keine Kumulation auftritt. Außerdem<br />
wirkt die Substanz weniger obstipierend<br />
als Tramadol, was sich auf eine periphere,<br />
prähepatische Wirkung des Opioidantagonisten<br />
Naloxon auf Opioidrezeptoren im Darm<br />
während des First-Pass-Effekts zurückführen<br />
lässt.<br />
Bei manifester Leberinsuffizienz ist Tilidin/<br />
Naloxon kontraindiziert, da die Aktivierung<br />
der Pro-Drug Tilidin zum analgetisch wirksamen<br />
Nortilidin einer intakten hepatischen<br />
Metabolisierung bedarf. Unter Tramadol treten<br />
infolge serotoninerger Begleiteffekte deutlich<br />
häufiger Übelkeit und Erbrechen sowie insbesondere<br />
bei älteren Patienten kognitive<br />
Beeinträchtigungen auf.<br />
Während Tilidin/Naloxon Vorteile bei Patienten<br />
mit Obstipationsanamnese und Niereninsuffizienz<br />
aufweist, fällt es schwer, <strong>für</strong> Tramadol<br />
bei chronischen Schmerzen noch ein<br />
spezifisches Indikationsprofil zu definieren.<br />
Opioide der WHO-Stufe III<br />
Morphin<br />
Morphinsulfat wird bedauerlicherweise auch<br />
heute noch in den Empfehlungen der WHO<br />
und der Arzneimittelkommission der <strong>Deutsche</strong>n<br />
Ärzteschaft als Opioid-Goldstandard<br />
genannt. Dies obwohl inzwischen moderne<br />
Retardopioide existieren, die analgetisch po-<br />
WHO III<br />
Stark wirksame Opioide in mittlerer<br />
und hoher Dosierung<br />
WHO II<br />
Stark wirksame Opioide<br />
in niedriger Dosierung<br />
WHO I<br />
Peripher wirksame Analgetika<br />
tenter sind, ein günstigeres Nebenwirkungsprofil<br />
haben und die nicht zuletzt eine deutlich<br />
bessere Retardgalenik aufweisen. In letzter<br />
Zeit mehren sich zudem die Hinweise auf eine<br />
immunsuppressive Wirkung von Morphinsulfat.<br />
Besser wäre es daher, traditionelles Morphin<br />
zukünftig als „Referenzsubstanz“ zu bezeichnen.<br />
Morphin ist in zahlreichen retardierten<br />
Zubereitungen einsetzbar, <strong>für</strong> Durchbruchsschmerzen<br />
stehen sowohl schnell freisetzende<br />
Morphinsulfattabletten als auch eine<br />
Morphinlösung zur Verfügung.<br />
Statt bei starkem Schmerz grundsätzlich<br />
eine Opioidtherapie mit Standardmorphin zu<br />
beginnen, sollten heute eher individuelle Faktoren<br />
wie Schmerzcharakter und -rhythmus<br />
sowie Morbidität des einzelnen Patienten in<br />
den Fokus gerückt werden, bevor man sich<br />
<strong>für</strong> das eine oder andere starke Opioidanalgetikum<br />
entscheidet.<br />
Oxycodon und Oxycodon/Naloxon<br />
Oxycodon ist doppelt so stark wirksam wie<br />
Morphin. Aufgrund einer biphasischen Resorptionsgalenik<br />
kommt es zu einem raschen<br />
Wirkeintritt bei zugleich langer Wirkdauer von<br />
bis zu zwölf Stunden. Neuere Arbeiten zeigen,<br />
dass Oxycodon anderen Opioiden bei viszeralen<br />
und neuropathischen Schmerzen überlegen<br />
zu sein scheint. Bei beiden Schmerzarten<br />
kommt es zu einer Hochregulation von<br />
κ-Opioidrezeptoren, zu denen Oxycodon eine<br />
hohe Affinität besitzt. Schnelle Anflutung bei<br />
zugleich langer Wirkdauer ist vorteilhaft im<br />
Bereich der perioperativen <strong>Schmerztherapie</strong>.<br />
In diesem Zusammenhang stellt die jetzt<br />
ebenfalls verfügbare intravenöse Applikationsform<br />
eine ideale Ergänzung dar.<br />
Der Wirkstoff Oxycodon wird inzwischen<br />
auch von diversen Generika-Herstellern an-<br />
geboten. Das BfArm hat darauf hingewiesen,<br />
dass es im Gegensatz zum Originalpräparat<br />
bei gleichzeitigem Genuss von höherprozentigen<br />
Alkoholika zu einer beschleunigten Freisetzung<br />
des Wirkstoffes mit entsprechenden<br />
zentralnervösen Nebenwirkungen kommen<br />
kann.<br />
Oxycodon-Retardtabletten sind in zahlreichen<br />
Wirkstärken verfügbar, neuerdings<br />
in der 10- und 20-mg-Dosierung auch in der<br />
Kombination mit dem Opioidantagonisten<br />
Naloxon, der peripher-prähepatisch an Opioidrezeptoren<br />
im Darm wirkt. Erste Studienergebnisse<br />
zeigen unter dem Kombinationspräparat<br />
eine signifikant geringere Obstipationstendenz<br />
bei gleichbleibender analgetischer<br />
Wirkung.<br />
Hydromorphon<br />
Hydromorphon zeichnet sich wie Oxycodon<br />
durch eine hohe orale Bioverfügbarkeit aus.<br />
Es ist etwa achtmal so stark wirksam wie Morphin.<br />
Hydromorphon hat bei multimorbiden<br />
Patienten unter Polymedikation entscheidende<br />
Vorteile, die auch im Hochdosisbereich<br />
erhalten bleiben: Die Metabolisierung erfolgt<br />
weitestgehend unabhängig vom Cytochrom-<br />
P450-Enzymsytem, dem Hauptkatalysator<br />
des Arzneistoffwechsels. Darüber hinaus trägt<br />
auch die sehr geringe Plasmaeiweißbindung<br />
dazu bei, Kumulation und Interaktion mit anderen<br />
Arzneistoffen zu vermeiden.<br />
Aktuelle Arbeiten deuten darauf hin, dass<br />
diese Vorteile insbesondere bei alten, multimorbiden<br />
Patienten zum Tragen kommen.<br />
Hydromorphon ist in verschiedenen Wirkstärken<br />
verfügbar, sowohl als zweimal täglich zu<br />
applizierende Retardkapsel als neuerdings<br />
auch in Form einer Langzeit-Retardtablette,<br />
die den Wirkstoff mittels eines osmotischen<br />
Systems gleichmäßig über 24 Stunden freisetzt.<br />
Vorteile der zweimal zu applizierenden<br />
Retardkapsel sind einerseits, dass man die<br />
erforderliche Dosis dem individuellen Bedarf<br />
des Patienten im Tagesverlauf anpassen<br />
und andererseits die Kapsel bei schluckunfähigen<br />
Patienten aufbrechen und die darin<br />
enthaltenen Pellets ohne Verlust von Wirkung<br />
und Retardierung über eine Sonde verabreichen<br />
kann. Für Durchbruchschmerzen steht<br />
schnell freisetzendes Hydromorphon in zwei<br />
verschiedenen Wirkstärken zur Verfügung.<br />
Wie Oxycodon ist nun auch Hydromorphon<br />
als intravenöse Applikation verfügbar, eine<br />
sinnvolle Bereicherung des therapeutischen<br />
Spektrums, z. B. wenn in der Finalphase eines<br />
Tumorleidens die Applikationsform geändert<br />
werden muss.<br />
Aufgrund seiner auch im Hochdosisbereich<br />
sehr günstigen pharmokologischen und -kine-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
tischen Eigenschaften könnte Hydromorphon<br />
zukünftig den Goldstandard der Opioidtherapie<br />
bei Tumorschmerzen darstellen.<br />
Transdermale Systeme: Fentanyl und<br />
Buprenorphin<br />
Fentanyl ist ca. 200-mal stärker analgetisch<br />
wirksam als Morphin. Mittels einer Polymer-<br />
Matrix wird der Wirkstoff gleichmäßig über 72<br />
Stunden freigesetzt. Stabile Plasmaspiegel<br />
werden wie beim transdermalen Buprenorphinsystem<br />
nach ca. zwölf Stunden erreicht.<br />
Letzteres zeichnet sich durch eine noch effektivere<br />
Retardierung aus und muss nur alle vier<br />
Tage gewechselt werden.<br />
Seit Kurzem ist ein neues Pflaster <strong>für</strong><br />
den Niedrigdosisbereich im Handel, das<br />
nur einmal in der Woche gewechselt werden<br />
muss. Beide Systeme – insbesondere aber<br />
Buprenorphin als partieller Opioidantagonist<br />
– führen in etwas geringerem Ausmaß zur<br />
Obstipation als die starken oralen Opioide.<br />
Statistisch signifikant sind diese Unterschiede<br />
allerdings nicht. Eine aktuelle Untersuchung<br />
bei 12 000 Palliativpatienten zeigt<br />
hinsichtlich Obstipation keinerlei Vorteile<br />
<strong>für</strong> transdermales Fentanyl im Vergleich zu<br />
oralen Retardopioiden [13].<br />
Im Gegensatz zu Fentanyl kumuliert<br />
Buprenorphin nicht bei Niereninsuffizienz und<br />
bindet nicht wie die meisten Pharmaka an Serumalbumin,<br />
sondern ganz überwiegend an<br />
α- oder γ-Globuline, wodurch das Arzneimittelinteraktionsrisiko<br />
minimiert wird. Wie Oxycodon<br />
verfügt auch Buprenorphin über eine<br />
hohe Affinität zu κ-Opioidrezeptoren, die bei<br />
chronischen viszeralen und neuropathischen<br />
Schmerzen eine wesentliche Rolle spielen.<br />
Fentanyl ist vorteilhaft bei Patienten mit Leberschäden,<br />
da es bei Leberinsuffizienz nicht<br />
kumuliert.<br />
Als wirkstoffgleiche Medikation <strong>für</strong> Durchbruchschmerzen<br />
stehen transmukosales<br />
Fentanyl als Lutschtablette und Buprenorphin<br />
als Sublingualtabletten zur Verfügung.<br />
Beide Pflastersysteme stellen wertvolle<br />
Bereicherungen unseres therapeutischen<br />
Arsenals dar. Bedingt durch ihre träge Kinetik<br />
sind sie allerdings weniger geeignet <strong>für</strong> die<br />
Therapie von Schmerzen mit hohem Opioidbedarf<br />
und häufigen Durchbruchschmerzen.<br />
Mit über 70% Verordnungen war transdermales<br />
Fentanyl im Kollektiv der starken<br />
Opioide in den letzten Jahren die am häufigsten<br />
eingesetzte Substanz – Folge eines<br />
geschickten Marketings und nicht Ergebnis<br />
klinischer Studien, wie auch die Arzneimittelkommission<br />
der deutschen Ärzteschaft in<br />
ihren aktuellen Empfehlungen zur Therapie<br />
von Tumorschmerzen feststellt.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Levomethadon<br />
Levomethadon ist als Reservesubstanz bei<br />
therapieresistenten Opioidnebenwirkungen<br />
wie z. B. Juckreiz oder – selten – Morphinasthma<br />
oder opioidbedingter Hyperalgesie<br />
oder ansonsten nicht zu beherrschenden<br />
neuropathischen Schmerzsyndromen einzustufen.<br />
Sie bietet einige Besonderheiten, die<br />
sie in der Hand des schmerztherapeutisch<br />
Unerfahrenen gefährlich machen: Die Eliminationshalbwertszeit<br />
von etwa 72 Stunden<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Tabelle 3: Potenzielle Differenzialindikationen der genannten Opioide<br />
Symptom/Erkrankung Mittel der Wahl<br />
Obstipation 1. Wahl: Tilidin/Naloxon, Oxycodon/Naloxon<br />
2. Wahl: (Fentanyl TTS), Buprenorphin TTS<br />
Übelkeit, Erbrechen Methadon, Fentanyl TTS, Morphinpumpe<br />
Dysphagie Transdermale Systeme/Morphingranulate (sondengängig)<br />
Juckreiz „Trial and Error“ nach analgetischer Wirksamkeit,<br />
Methadon<br />
Verwirrtheit, Schwindel Oxycodon ± Naloxon,<br />
Neuropathie ± Viszeralschmerz Buprenorphin<br />
Histaminliberation,<br />
Analgetikaasthma,<br />
Methadon<br />
morphininduzierte Hyperalgesie Dosisreduktion, Kombination mit Methadon<br />
Polymedikation Hydromorphon, Buprenorphin TTS<br />
Hochdosisbereich Hydromorphon<br />
Niereninsuffizienz Buprenorphin, (Hydromorphon)<br />
Leberfunktionsstörung Fentanyl TTS, (Hydromorphon)<br />
überdauert die zwischen sechs und zwölf<br />
Stunden variierende analgetische Wirksamkeit<br />
deutlich. Interindividuell stark unterschiedliche<br />
Plasmaspiegel aktiver Metabolite<br />
bergen das Risiko einer Kumulation, sodass<br />
nach drei bis sieben Tagen eine Dosisreduktion<br />
um 20–30% versucht werden sollte. Eine<br />
kontrolliert-retardierte Zubereitung von Levomethadon<br />
existiert nicht.<br />
Tab. 3 fasst die Differenzialindikationen aller<br />
besprochenen Opioide zusammen.<br />
Abb. 3: Schon der Botaniker von Linné beschäftigte sich mit biologischen Rhythmen.<br />
Bildarchiv B. Lemmer
Mod. n. B. Lemmer [1 ]<br />
Mod. n. Cutolo et al. 200 , zit. n. B. Lemmer<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Chronopharmakologische<br />
Aspekte [14]<br />
Lange und ultralange Retardierungen von<br />
Opioidpräparaten waren wesentliche Neuentwicklungen<br />
der letzten Jahre. Trotz aller<br />
nicht wegzudiskutierenden Vorteile wie z. B.<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> im Sinne einer Schmerzprophylaxe,<br />
sehr langsame Anflutung und<br />
damit geringe Suchtgefahr entlässt uns auch<br />
die beste Retardierung nicht aus der Pflicht,<br />
den individuellen „Schmerzrhythmus“ eines<br />
jeden Patienten im jeweiligen Therapiekonzept<br />
zu berücksichtigen (Abb. 3). Erfahrungsgemäß<br />
erfordern unterschiedliche Schmerzentitäten<br />
auch entsprechend variable Konzepte:<br />
So hat beispielsweise der Tumorpatient<br />
zwischen 10 und 18 Uhr den höchsten<br />
Analgetikabedarf, der Patient mit rheumatoider<br />
Arthritis in den frühen Morgenstunden<br />
(Abb. 4 und 5). Für die individuelle Therapie<br />
mit Opioiden bedeutet dies in der Praxis:<br />
Orale Retardpräparate mit zwölfstündiger<br />
Wirkung können je nach Bedarf morgens<br />
oder abends in unterschiedlicher Dosis verabreicht<br />
werden. Bei Verwendung ultraretardierter<br />
oraler Zubereitungen oder transdermaler<br />
Systeme müssen häufig Opioide<br />
schnell anflutender und kurz wirksamer Galenik<br />
ergänzt werden.<br />
Zusammenfassung<br />
Die heute zur Verfügung stehende Palette<br />
von Retardopioiden erlaubt eine differenzierte<br />
Therapie, orientiert am Schmerzmechanismus<br />
und an der individuellen Morbidität des<br />
einzelnen Patienten. Entscheidende Voraussetzungen<br />
<strong>für</strong> den Therapieerfolg sind insbesondere<br />
sorgfältige Anamnese, Schmerz-<br />
diagnose und Indikationsstellung vor Einsatz<br />
eines Opioids sowie die Einbindung der medikamentösen<br />
Therapie in multimodale Therapiekonzepte.<br />
Hinsichtlich der Aspekte<br />
Langzeittherapie mit und ohne Differenzialindikation<br />
von Opioiden sollten weitere Studien<br />
folgen. ❏<br />
Abbildung : Patientengesteuerter Bedarf an Hydromorphon zu verschiedenen<br />
Tageszeiten bei acht Karzinompatienten [14].<br />
Bedarf in 4 Std. [Mittelwert ± SD]<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
02.00 06.00 10.00 14.00 18.00 22.00<br />
Tageszeit<br />
Abbildung : Patienten mit rheumatoider Arthritis: Zirkadiane Zytokinspiegel und<br />
klinische Symptome.<br />
pg/ml<br />
Uhrzeit<br />
300<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
IFN-γ<br />
IL-6<br />
TNF-α<br />
IL-10<br />
sTNF-R75<br />
17.00 21.00 01.00 05.00 09.00 13.00 17.00<br />
Literatur<br />
1. Junker U, Kniesel I. Opioide und Cannabinoide in<br />
Junker U, Nolte T (Herausgeber), Grundlagen der<br />
Speziellen <strong>Schmerztherapie</strong>. München, Urban &<br />
Vogel, 200 .<br />
2. Zenz M, Donner B. Schmerz bei Tumorerkrankungen,<br />
Interdisziplinäre Diagnostik und Therapie.<br />
Stuttgart, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft,<br />
2002.<br />
3. Won A, Lapane KL, Vallow S, Schein J, Morris JN,<br />
Lipsitz LA. Long-term effects of analgesics in a<br />
population of elderly nursing home residents<br />
with persistant non-malignant pain. J Gerontol A<br />
Biol Sci Med Sci 200 ; 1:1 –1 9.<br />
. Maier C, Schaub C, Willweber-Strumpf A, Zenz M.<br />
Langfristige Effekte von Opioiden bei Patienten<br />
mit chronischen nicht-tumorbedingten Schmerzen.<br />
Ergebnisse einer Nachuntersuchung Jahre<br />
nach Ersteinstellung. Der Schmerz 200 ;19: 10–<br />
1 .<br />
. Dertwinkel R, Wiebalck A, Zenz M, Strumpf M.<br />
Orale Opioide zur Therapie chronischer Nicht-Tumorschmerzen.<br />
Anästhesist 199 ; : 9 – 0 .<br />
. Aronoff GM. Opioids in chronic pain management:<br />
Is there a significant risk of addiction? Curr<br />
Rev Pain 2000; :112–121.<br />
. Martell BA, O´Connor PG, Kerns RD et al. Systematic<br />
review: opioid treatment for chronic back<br />
pain: prevalence, efficacy and association with<br />
addiction. Ann Intern Med 200 ;1 :11 –12 .<br />
. World Health Organisation. Cancer pain relief.<br />
Genf: World Health Organisation, 19 .<br />
9. World Health Organisation. Cancer pain relief:<br />
with a guide to opioid availability. Genf: World<br />
Health Organisation, 1990.<br />
10 . Arzneimittelkommission der <strong>Deutsche</strong>n Ärzteschaft.<br />
Tumorschmerzen. AVP-Sonderheft Therapieempfehlungen,<br />
200 .<br />
11. Junker U, Schmitz A, Busche P, Freynhagen R.<br />
Schmerz- und Symptomtherapie bei Tumorpatienten.<br />
Klinische Onkologie 200 /200 (im<br />
Druck).<br />
12. Freynhagen R, Schmitz A, Busche P, Junker U.<br />
Leitthema: <strong>Schmerztherapie</strong> und Symptomkontrolle<br />
in der Palliativmedizin. Der Gynäkologe<br />
200 ; 0:1 –1 .<br />
13. Weschules DJ, Bain KT, Reifsnyder J, MaMath<br />
JA, Kuppermann DE, Gallagher RM, Hauck WW,<br />
Knowlton CH. Toward evidence-based prescribing<br />
at end of life: a comparative analysis of sustained-release<br />
morphine, oxycodone and transdermal<br />
fentanyl with pain, constipation and caregiver<br />
interaction outcomes in hospice patients.<br />
Pain Med 200 ; ( ):320–9.<br />
1 . Lemmer B. Chronopharmakologie: Tagesrhythmen<br />
und Arzneimittelwirkung. Stuttgart, Wissenschaftliche<br />
Verlagsgesellschaft, 3. Auflage, 200 .<br />
Weitere Literatur bei den Verfassern und im<br />
Internet unter www.cme-punkt.de<br />
Uwe Junker und Hanna Ludwig, Remscheid<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
CME-Herausgeber- und Review-Board:<br />
Dr. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen; Dr. Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden; Priv.- Doz. Dr. Michael Überall, Nürnberg<br />
In Zusammenarbeit mit der Bayerischen Landesärztekammer<br />
und der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong> e.V. – DGS<br />
Fragen zum Thema: „Opioide – differenzierte<br />
Therapie ist Goldstandard“<br />
Hier können Sie CME-Punkte sammeln a) <strong>für</strong> die Pflichtfortbildung aller<br />
Vertragsärzte und b) <strong>für</strong> freiwillige Fortbildungszertifikate, die viele Landesärztekammern<br />
anbieten. Die Multiple-Choice-Fragen beziehen sich auf den vorangegangenen<br />
Fortbildungsbeitrag (S. 4–8). Die Antworten ergeben sich aus dem Text.<br />
Wenn Sie 70% der Fragen richtig beantworten, erhalten Sie 2, bei 100% 3 CME-<br />
Punkte. Es wird jeweils nur eine richtige Antwort gesucht. Teilnehmen können Sie<br />
nur via Internet über www.cme-punkt.de (Einzelheiten siehe nächste Seite).<br />
Einsendeschluss ist der 20. Februar 2008.<br />
1. Welche Aussage ist richtig?<br />
A Die Wirksamkeit von Opioiden zur Behandlung<br />
chronischer nicht maligner<br />
Schmerzen ist nicht nachgewiesen.<br />
B Opioide sind ausschließlich zur Therapie<br />
von Tumorschmerzen indiziert.<br />
C Opioide können sowohl bei Nozizeptorschmerzen<br />
als auch bei neuropathischen<br />
Schmerzen wirksam sein.<br />
D Patienten mit somatoformen oder psychisch<br />
bedingten Schmerzformen sollten<br />
unbedingt einer Langzeittherapie mit<br />
Opioiden zugeführt werden.<br />
E Osteoporose ist eine Kontraindikation <strong>für</strong><br />
den Einsatz von Opioiden.<br />
2. Welche Aussage im Rahmen der<br />
Patientenaufklärung vor Beginn einer<br />
Therapie chronischer Schmerzen mit<br />
Opioiden ist nicht richtig?<br />
A Unter einer Therapie mit Opioiden besteht<br />
grundsätzlich kein Risiko einer körperlichen<br />
oder psychischen Abhängigkeit.<br />
B Ein realistisches Therapieziel ist z. B.<br />
eine Reduktion der Schmerzintensität um<br />
bis zu 50%.<br />
C Besonders zu Beginn der Therapie, im<br />
Rahmen von Dosisänderungen und bei<br />
Substanzwechsel können Fahrtüchtigkeit<br />
und Kognition eingeschränkt sein.<br />
D Vorsicht ist bei Einnahme anderer zentral<br />
wirksamer Substanzen wie etwa Alkohol<br />
angebracht, da sich hier Nebenwirkungen<br />
verstärken können.<br />
E Im Rahmen einer multimodalen <strong>Schmerztherapie</strong><br />
kann die Kombination mit physi-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
kalischen und/oder psychotherapeutischen<br />
Maßnahmen notwendig sein.<br />
3. Welches der folgenden Medikamente<br />
lässt sich je nach Schmerzentität gezielt<br />
mit einem Opioid kombinieren?<br />
1. Trizyklische Antidepressiva<br />
2. Cox-2-Hemmer<br />
3. Bisphosphonate<br />
4. Antikonvulsiva<br />
5. Orale Antidiabetika<br />
A Nur Antwort 1 ist richtig.<br />
B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig.<br />
C Nur Antworten 1, 2 und 3 sind richtig.<br />
D Nur Antworten 1, 2, und 4 sind richtig.<br />
E Alle Antworten sind richtig.<br />
4. Welche Vorteile bietet die retardierte<br />
Formulierung von Opioiden in der Langzeittherapie<br />
chronischer Schmerzen?<br />
1. Analgesie über 24 Stunden ohne Phasen<br />
der Über- oder Unterdosierung<br />
2. Gewährleistung der Nachtruhe<br />
3. Verbesserung der Patientencompliance<br />
4. Euphorisierender „Kick“ durch schnelle<br />
Anflutung<br />
A Nur Antwort 1 ist richtig.<br />
B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig.<br />
C Nur Antworten 1 und 3 sind richtig.<br />
D Nur Antworten 1, 2 und 3 sind richtig.<br />
E Alle Antworten sind richtig.<br />
DGS<br />
Zertifizierte Fortbildung<br />
Unter www.cme-punkt.de finden Sie alle<br />
zertifizierten Fortbildungsangebote des<br />
Verlages Urban & Vogel. Bei Anklicken<br />
des Zeitschriftentitels „<strong>Schmerztherapie</strong>“<br />
finden Sie die derzeit aktive zertifizierte<br />
Fortbildung und die entsprechenden<br />
Fragen. Unmittelbar nach Ausfüllen<br />
des Fragebogens sehen Sie, ob Sie<br />
bestanden haben.<br />
5. Welche Aussage zur Therapie von<br />
Durchbruchschmerzen ist richtig?<br />
A Zur Therapie von Durchbruchschmerzen<br />
sollte ein Stufe-III-Opioid möglichst rasch<br />
transdermal appliziert werden.<br />
B Durchbruchschmerzen erfordern oft die<br />
zusätzliche Gabe unretardierter, schnell<br />
wirksamer Opioide.<br />
C Durchbruchschmerzen sollten grundsätzlich<br />
intravenös mit einem rasch anflutenden<br />
Opioid behandelt werden.<br />
D Um eine Überdosierung zu vermeiden,<br />
sollten retardierte Opioide nach der Verabreichung<br />
eines Opioids wegen Durchbruchschmerzen<br />
vorübergehend abgesetzt<br />
werden.<br />
E Ist eine adäquate Dauermedikation chronischer<br />
Schmerzen gewährleistet, können<br />
keine Schmerzspitzen auftreten.<br />
6. Welche Aussage zur Therapie mit<br />
einem Stufe-II-Opioid nach dem traditionellen<br />
WHO-Stufenschema trifft zu?<br />
1. Ein Stufe-II-Opioid wird eingesetzt, wenn<br />
sich die Schmerzen durch die erste Therapiestufe<br />
nicht oder nicht ausreichend<br />
beherrschen lassen.<br />
2. Stufe-II-Opioide sind mittelstarke Opioide.<br />
3. Der klinische Nutzen der WHO-II-Opioide<br />
im Indikationsbereich „Tumorschmerz“ ist<br />
Gegenstand aktueller Diskussionen.<br />
A Nur Antwort 1 ist richtig.<br />
B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig.
Zertifizierte Fortbildung<br />
C Nur Antworten 1 und 3 sind richtig.<br />
D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig.<br />
E Alle Antworten sind richtig.<br />
7. Welche Aussage zur Behandlung<br />
chronischer Schmerzsyndrome nach<br />
dem WHO-Stufenschema ist aus heutiger<br />
Sicht richtig?<br />
1. Das WHO-Stufenschema ist grundsätzlich<br />
strikt zu befolgen.<br />
2. Je nach Schmerzursache und Intensität<br />
kann zunächst ein Versuch mit einem<br />
Nichtopioidanalgetikum als Monotherapeutikum<br />
unternommen werden (WHO-<br />
Stufe I).<br />
3. Beim Wechsel von WHO-Stufe I auf Stufe<br />
II sollten Nichtopioidanalgetika der Stufe I<br />
möglichst rasch abgesetzt werden.<br />
4. Stufe-III-Opioide in niedriger Dosierung<br />
können unter Umgehung mittelstarker<br />
Opioide bei Tumorschmerzen bereits bei<br />
Behandlungsbeginn eingesetzt werden.<br />
5. Nach den Grundregeln der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
der WHO sollten Analgetika, falls irgend<br />
möglich, intravenös verabreicht<br />
werden.<br />
A Nur Antwort 1 ist richtig.<br />
B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig.<br />
C Nur Antworten 2 und 4 sind richtig.<br />
D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig.<br />
E Antworten 1, 2 und 3 sind richtig.<br />
8. Welche der folgenden Aussagen trifft<br />
nicht zu?<br />
A Oxycodon kann auch in der perioperativen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> eingesetzt werden.<br />
10<br />
B Tilidin/Naloxon und Buprenorphin kumulieren<br />
nicht bei Niereninsuffizienz.<br />
C Hydromorphon hat Vorteile bei Patienten<br />
unter Multimedikation.<br />
D Gegen Obstipation unter Opioiden entwickeln<br />
Patienten keine Toleranz.<br />
E Transdermales Fentanyl ist das Opioid<br />
der Wahl <strong>für</strong> Patienten mit hohem Opioidbedarf<br />
und häufigen Durchbruchschmerzen.<br />
9. Welche Aussage trifft zu?<br />
1. Die fixe Kombination von Oxycodon mit<br />
dem Opioidantagonisten Naloxon verursacht<br />
deutlich seltener Obstipation als<br />
andere starke Opioide.<br />
2. Transdermales Fentanyl kumuliert nicht<br />
bei Leberinsuffizienz.<br />
3. Bei Hydromorphon spielt der Abbauweg<br />
über das Enzymsystem Cytochrom P 450<br />
keine entscheidende Rolle.<br />
A Nur Antwort 1 ist richtig.<br />
B Nur Antworten 1 und 2 sind richtig.<br />
C Nur Antworten 1 und 3 sind richtig.<br />
D Nur Antworten 2 und 3 sind richtig.<br />
E Antworten 1, 2 und 3 sind richtig.<br />
10. Welche Aussage trifft nicht zu?<br />
A Bei gleich bleibendem Schmerzniveau<br />
und mittlerem Opioidbedarf sind transdermale<br />
Systeme gut geeignet.<br />
B Chronopharmakologische Aspekte spielen<br />
in der <strong>Schmerztherapie</strong> keine Rolle.<br />
C Tumorpatienten haben in der Regel tagsüber<br />
den höchsten Analgetikabedarf.<br />
D Orale Retardopioide können zweimal täglich<br />
in unterschiedlicher Dosis verabreicht<br />
werden.<br />
Kopf- und Gesichtsschmerzen in der Praxis<br />
�� In diesem aktuellen Leitfaden werden erstmals die Neuerungen der IHS (International<br />
Headache Society) berücksichtigt. Praxisnah schildert Priv.-Doz. Dr. med. Volker Limmroth,<br />
Köln, die Kopfschmerzdiagnostik und -therapie auf der Grundlage aktuellster wissenschaftlicher<br />
Erkenntnisse. Didaktisch neu ist, dass die Krankheiten nach der Dauer ihrer klinischen<br />
Symptomatik gegliedert werden. Durch den ersten Abschnitt der primären Kopfschmerzerkrankungen<br />
zieht sich die Zeitachse wie ein roter Faden. Im zweiten Abschnitt werden die sekundären<br />
symptomatischen Kopfschmerzen abgehandelt. Diese sekundären Kopfschmerzen<br />
sind zwar weit seltener, aber in der Regel klinisch deutlich gefährlicher und dürfen bei der<br />
Ausschlussdiagnose nicht übersehen werden. Der handliche Praxisleitfaden ist <strong>für</strong> Allgemeinmediziner,<br />
Neurologen, Internisten und Psychiater sowie alle Fachgruppen, die sich mit Kopfschmerzen<br />
differenzialdiagnostisch beschäftigen, empfehlenswert. Er gewährt eine rasche<br />
und gut erfassbare Übersicht. StK<br />
Volker Limmroth: Kopf- und Gesichtsschmerzen. Diagnostik und Therapie auf der Basis der 2. IHS-Klassifikation<br />
und der Therapie-Leitlinien der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Neurologie. 1 2 S., 30 Abb., 65<br />
Tab., kart., 26, 5 €, ISBN-Nr. 78-3-7 45-231 -1, 2006, Schattauer Verlag, Stuttgart.<br />
E Oxycodon und Hydromorphon können<br />
auch intravenös appliziert werden.<br />
So kommen Sie zu Ihren Punkten:<br />
Die Teilnahme ist nur möglich via Internet<br />
unter www.cme-punkt.de.<br />
Dort melden Sie sich als Arzt an und<br />
finden unter dem Kopf der Zeitschrift<br />
SCHMERZTHERAPIE die derzeit aktive<br />
zertifizierte Fortbildung.<br />
Damit der Fragebogen <strong>für</strong> die Zertifizierung<br />
ausgewertet werden kann, benötigen<br />
wir von Ihnen die Einheitliche Fortbildungsnummer<br />
EFN.<br />
Sie erhalten via Internet unmittelbar<br />
Rückmeldung darüber, ob Sie die Fragen<br />
richtig beantwortet haben oder nicht,<br />
und können die Bescheinigung sofort<br />
ausdrucken. Wir empfehlen, die Bescheinigungen<br />
gesammelt bei Ihrer Landesärztekammer<br />
einzureichen.<br />
Wir führen auf dieser Seite auch ein<br />
elektronisches Punktekonto <strong>für</strong> Sie. Bei<br />
erfolgreicher Teilnahme werden Ihre Daten<br />
an den Einheitlichen Informationsverteiler<br />
(EIV) der Ärztekammern weitergegeben.<br />
Nähere Hinweise hierzu unter:<br />
www.cme-punkt.de/faq.html<br />
Teilnahmeschluss ist der 20.2.2008<br />
Viel Glück beim Punktesammeln!<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Teilbarkeit von oralen Stufe-III-Opioiden<br />
Knapp ein Drittel aller verordneten Tabletten werden vor der Einnahme von<br />
ambulanten Patienten geteilt (Rodenhuis et al., 2004). Diese gängige Praxis<br />
hat allerdings nicht nur Vorteile, sondern birgt auch einige Risiken <strong>für</strong> die<br />
Arzneimitteltherapie und ist speziell bei den modernen retardierten Opioiden<br />
der Stufe III zum Teil völlig unsinnig, warnt Dr. Ingrid Spohr, Limburg /Lahn.<br />
Gründe<br />
Die Gründe <strong>für</strong> das Teilen von Tabletten sind<br />
vielfältig. Oft ist es zu Therapiebeginn die<br />
Angst, den Patienten überzudosieren. „Jetzt<br />
nehmen Sie erst einmal eine halbe Tablette,<br />
und dann schauen wir weiter“, ist ein Ratschlag,<br />
der jedoch bei den meisten starken<br />
oralen Opioiden risikobehaftet und durch kleine<br />
Wirkstärken (z.B. Oxygesic ® 5 mg) mittlerweile<br />
auch nicht mehr notwendig ist.<br />
Manchen Patienten fällt auch das Schlucken<br />
besonders großer Tabletten schwer. Dort<br />
könnten Darreichungsformen wie Palladon ®<br />
retard von Vorteil sein, wo die Kapseln geöffnet<br />
und die retardierten Granula über weiche<br />
Nahrung gestreut und eingenommen werden<br />
können. Nicht zu unterschätzen sind auch<br />
rein wirtschaftliche Gründe <strong>für</strong> das Teilen von<br />
Tabletten. Durch das Verordnen von höheren<br />
Wirkstärken und deren anschließende Teilung<br />
sollen die Arzneimittelkosten gesenkt werden.<br />
Risiken<br />
Demgegenüber sollten allerdings auch die<br />
Risiken des Teilens von Tabletten nicht außer<br />
Acht gelassen werden. Das Teilen von Tabletten<br />
ist aufwendig, erfordert von den Patienten<br />
eine gewisse Geschicklichkeit und kann von<br />
Patienten mit vermindertem Sehvermögen,<br />
eingeschränkten kognitiven Fähigkeiten oder<br />
eingeschränkter Fingerfertigkeit nicht ohne<br />
Weiteres durchgeführt werden. Außerdem<br />
sind nicht alle Patienten bereit, ihre Tabletten<br />
zu teilen, was zu einer Abnahme der Compliance<br />
führen kann. Interessanterweise sind<br />
über drei Viertel der Patienten bereit, mehr <strong>für</strong><br />
ihre Medikamente auszugeben, wenn sie eine<br />
geringere Wirkstärke verordnet bekommen<br />
und die Tabletten nicht teilen müssen (Quinzler<br />
& Häfeli 2006).<br />
Ein überaus wichtiger Punkt beim Teilen<br />
oraler Stufe-III-Opioide ist der Sicherheitsaspekt.<br />
Sind die Tabletten erst einmal aus dem<br />
kindergesicherten Blister entfernt, sind die<br />
geteilten Hälften unter Umständen <strong>für</strong> Kinder<br />
frei zugänglich.<br />
Nicht teilbare Stufe-III-Opioide<br />
So handelt es sich bei Targin ® (10/5, 20/10<br />
mg) um retardierte Matrixtabletten, die nicht<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
geteilt werden dürfen. Die Matrix besteht aus<br />
einem hydrophoben Zellulosepolymer und<br />
einem langkettigen aliphatischen Alkohol. Das<br />
Verhältnis von Polymer und aliphatischem<br />
Fettalkohol zueinander stellt die gleichmäßige<br />
Freisetzung der aktiven Substanzen sicher.<br />
Die Freisetzung von Oxycodon und Naloxon<br />
beginnt an der Tablettenoberfläche (kurze Diffusionswege<br />
mit rascher Freisetzung) und<br />
setzt sich durch Lösung und Diffusion in der<br />
Tablettenmatrix fort (lange Diffusionswege mit<br />
verzögerter Freisetzung).Diese biphasische<br />
Freisetzung und Resorption der Wirkstoffe<br />
führt zu einem Beginn der analgetischen Wirkung<br />
innerhalb von einer Stunde. Danach<br />
verursachen die retardierte Freisetzung und<br />
Resorption der Wirkstoffe einen analgetisch<br />
effektiven und konstanten Blutspiegel über<br />
ein 12-Stunden-Dosierungsintervall.<br />
Bei einer Teilung der Tablette wird dieses<br />
Matrix-System zerstört und der Wirkstoff wird<br />
zu schnell und unkontrolliert freigesetzt.<br />
Auch bei Oxygesic ® (5–80 mg) handelt es<br />
sich um retardierte Matrixtabletten, die ebenfalls<br />
nicht geteilt werden dürfen.<br />
Das bei Oxygesic ® verwendete Matrixsystem<br />
(Acrocontin ® -System) enthält das hydrophobe<br />
Acrylpolymer Eudragit ® RS. Nachdem<br />
ein geringer Teil des Wirkstoffs Oxycodon aus<br />
der äußersten Tablettenschicht freigesetzt ist,<br />
was aufgrund der kurzen Diffusionsstrecke innerhalb<br />
von ca. 30 Minuten erfolgt, quillt das<br />
Eudragit ® RS. Dadurch kommt es zu einer<br />
Erniedrigung des Diffusionskoeffizienten und<br />
damit zu einer langsameren, retardierten Freisetzung<br />
des Wirkstoffs aus der Matrix über<br />
einen Zeitraum von zwölf Stunden.<br />
Bei einer Teilung der Tablette wird dieses<br />
Matrixsystem zerstört und der Wirkstoff zu<br />
schnell und unkontrolliert freigesetzt. Es kann<br />
zu relativen Überdosierungen bei nicht ausreichender<br />
Wirkdauer kommen.<br />
Was darf geteilt werden?<br />
Bei Palladon ® retard (4–24mg) handelt es sich<br />
um Hartgelatinekapseln, die mit filmüberzogenen<br />
Granula gefüllt sind, aus denen der<br />
Wirkstoff Hydromorphon retardiert freigesetzt<br />
wird. Die Freisetzungsrate des Wirkstoffs aus<br />
diesen Granula wird durch diesen Filmüber-<br />
Schmerzkonsil<br />
Ingrid Spohr,<br />
Limburg /Lahn<br />
zug kontrolliert. Der Filmüberzug ist teilweise<br />
wasserlöslich, wodurch nach der Einnahme<br />
feinste Poren gebildet werden, durch die das<br />
Hydromorphon freigesetzt wird. Durch die unterschiedliche<br />
Größe dieser Granula wird die<br />
Wirkdauer gesteuert.<br />
Die Hartgelatinekapsel dient nur als „Transportmedium“,<br />
hat selbst keine Retardfunktion<br />
und löst sich innerhalb weniger Minuten im Magen<br />
auf. Sie kann daher auch geöffnet und der<br />
Inhalt auf weiche Nahrung gestreut werden.<br />
Die Granula dürfen allerdings nicht weiter<br />
zerkleinert werden (nicht zerkauen!). Auch<br />
eine Teilung des Kapselinhalts in gleich große<br />
Portionen ist schwierig. Aufgrund der unterschiedlichen<br />
Größe der Granula müssten von<br />
jeder Granulagröße die gleichen Mengen in<br />
den verschiedenen Portionen sein. Das ist<br />
technisch fast unmöglich.<br />
Bei Palladon ® 1,3/2,6 mg Hartkapseln<br />
(unretardiert) ist das Hydromorphon-Hydrochlorid<br />
dagegen in Granula ohne Filmüberzug<br />
eingebettet. Die unretardierten Granula<br />
können daher aus pharmazeutischer Sicht<br />
unbedenklich zerkleinert oder in Wasser suspendiert<br />
werden.<br />
In der Regel genügt ein Blick in die Fach-<br />
oder Gebrauchsinformation der jeweiligen<br />
Präparate, in der genau beschrieben ist, ob<br />
Tabletten teilbar sind oder nicht. ❏<br />
Ingrid Spohr, Limburg /Lahn<br />
Fragen, Kritik, Anregungen<br />
Schreiben Sie an die Redaktion<br />
E-Mail: redaktion@dgschmerztherapie.de<br />
11
Integrierte Versorgung<br />
Erstes bundesweites<br />
Kopfschmerzbehandlungsnetz<br />
Das neue koordinierte Versorgungskonzept der Techniker Krankenkasse<br />
bedeutet <strong>für</strong> Kopfschmerzpatienten einen Meilenstein. Es ermöglicht eine<br />
bundesweite sektorenübergreifende Vernetzung der ambulanten und<br />
stationären Therapie. Die Versorgung Hand in Hand, ein Mehr an Wissen,<br />
ein besserer Informationsaustausch zwischen allen Beteiligten und die<br />
gemeinsame Arbeit mittels klar definierter Behandlungspfade sind die Basis<br />
<strong>für</strong> zeitgemäße und effiziente Behandlungsergebnisse, die Prof. Dr. med.<br />
Dipl.-Psych. Hartmut Göbel, Neurologisch-verhaltensmedizinische Schmerzklinik<br />
und DGS-Leiter Kiel, beschreibt.<br />
D ie<br />
Regelversorgung von Kopfschmerzpatienten<br />
erfolgt in abgegrenzten Sektoren<br />
des Gesundheitssystems. Viele Betroffene<br />
mit chronischen Kopfschmerzen behandeln<br />
sich aufgrund mangelnder Effizienz außerhalb<br />
des professionellen Bereichs. Sie informieren<br />
sich im Bekanntenkreis, über die<br />
Publikumspresse und in der Apotheke über<br />
die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten<br />
bei Kopfschmerzen. Durch die nicht zufriedenstellende<br />
Behandlung brechen sie oft eine<br />
professionelle Therapie ab und weichen frustriert<br />
auf Außenseitermethoden aus.<br />
Systembedingte Chronifizierung<br />
von Schmerzen<br />
Über Monate und Jahre entwickelt sich dann<br />
eine weitere Chronifizierung der Kopfschmerzerkrankung,<br />
schwerwiegende Organkomplikationen<br />
und schwerwiegende psychische<br />
Konsequenzen führen die Patienten<br />
dann wieder in die medizinische Behandlung<br />
zurück. Dabei entstehen jedoch sehr hohe<br />
direkte und indirekte Kosten, die zu diesem<br />
Zeitpunkt dann oft nicht mehr mit der primären<br />
zugrunde liegenden Kopfschmerzerkrankung<br />
in Verbindung gebracht werden. Bei Entstehung<br />
eines Kopfschmerzes bei Medikamentenübergebrauch<br />
werden parallel zur kontinuierlichen<br />
Einnahme von Akutmedikamenten<br />
über Jahre und Jahrzehnte vielfältigste diagnostische<br />
und therapeutische Maßnahmen<br />
durchgeführt. Diese schließen wiederholte<br />
bildgebende Diagnostik sowie umfangreiche<br />
unspezifische ambulante Maßnahmen, wiederholte<br />
stationäre Behandlungen und Rehabilitationsmaßnahmen<br />
ohne sektorenübergreifende<br />
Interaktion ein.<br />
Eine sektorenübergreifende koordinierte<br />
stationäre Behandlung bei Kopfschmerz durch<br />
Medikamentenübergebrauch zur Durchführung<br />
einer Medikamentenpause oder zur<br />
12<br />
Durchführung eines Medikamentenentzugs<br />
erfolgt in Deutschland nur an wenigen Kliniken.<br />
Insbesondere wird in der Regel keine<br />
längerfristige präventive Behandlung nach<br />
Abschluss der stationären Phase eines Medikamentenentzugs<br />
angeboten, sodass nach<br />
kurzer Zeit wieder ein Rückfall in den Medikamentenübergebrauch<br />
ohne therapeutischen<br />
Langzeiteffekt folgt. Eine strategische Weiterbehandlung<br />
fehlt, das spezielle schmerztherapeutische<br />
Wissen zur Klassifikation und<br />
Diagnostik der oft multiplen zugrunde liegenden<br />
Kopfschmerzerkrankungen steht <strong>für</strong> die<br />
Versorgung nur eingeschränkt zur Verfügung.<br />
Der Rückfall und die erneute Chronifizierung<br />
sind so vorprogrammiert. Außerhalb<br />
spezialisierter Versorgungseinrichtungen ist<br />
zudem eine intensive verhaltensmedizinische<br />
Therapie von schwer betroffenen Patienten in<br />
Form von speziellen verhaltensmedizinischen<br />
Therapien, Entspannungsverfahren, edukativen<br />
Verfahren, Biofeedback, kognitiven<br />
Verfahren und Stressbewältigungstrainings<br />
etc. kaum verfügbar, obwohl gerade diese<br />
Verfahren eine hohe Effizienz <strong>für</strong> die Rückfallprophylaxe<br />
und einen entscheidenden gegenwirkenden<br />
Effekt auf die Chronifizierung<br />
haben.<br />
Folgen<br />
Patienten mit chronischen Kopfschmerzerkrankungen<br />
werden nach aktuellen Analysen<br />
im derzeit sektoral aufgesplitterten Gesundheitssystem<br />
in Deutschland nicht ausreichend<br />
versorgt. Resultat dieser sektoralen Versorgung<br />
ist, dass Patienten mit chronischen<br />
Kopfschmerzen überproportional häufig am<br />
Arbeitsplatz fehlen und vorzeitig nach langen<br />
Arbeitsunfähigkeitszeiten berentet werden<br />
müssen. Hohe Folgekosten entstehen auch<br />
durch die Behandlung von Spätkonsequenzen<br />
in Form von psychischen Erkrankungen, Nie-<br />
Hartmut Göbel,<br />
Kiel<br />
renversagen, Leberschäden, gastrointestinalen<br />
Komplikationen sowie zerebrovaskulären<br />
Schäden [1–5].<br />
Mit dem wissenschaftlichen Konzept<br />
zur neurologisch-verhaltensmedizinischen<br />
Schmerzklinik Kiel wurde eine integrierte Versorgung<br />
bereits im Jahr 1995 vorgeschlagen<br />
und umgesetzt. Ziel war es dabei, eine sektorenübergreifende<br />
Behandlung von Patienten<br />
mit chronischen Schmerzerkrankungen zu<br />
erreichen, wobei die Behandlung durch niedergelassene<br />
Ärzte, die Behandlung in einer<br />
vollstationären Akutklinik sowie rehabilitative<br />
Konzepte unmittelbar sektorenübergreifend<br />
verzahnt wurden.<br />
Integrierte Versorgung wirkt<br />
Eine externe wissenschaftliche Begleitung<br />
des Modellprojektes nach §§ 63 ff SGB V<br />
durch die <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Systemberatung im<br />
Gesundheitswesen und der AOK Schleswig-<br />
Holstein dokumentierte die Patientenkarrieren<br />
und analysierte die Wirkungen der modellhaften<br />
integrierten Intervention auf Leistungsinanspruchnahme,<br />
Kosten, Arbeits- und soziale<br />
Situation sowie auf die Lebensqualität<br />
chronisch schmerzkranker Patienten [1]. Die<br />
Datenerfassung der Patientenkarrieren umfasste<br />
fünf Jahre. Grundlage waren patientenbezogene<br />
anonymisierte Leistungsdaten über<br />
alle Sektoren (Krankenhaus akutstationär und<br />
rehabilitativ mit 500 000 Daten, Vertragsärzte<br />
mit fünf Millionen Daten, Arzneimittel mit<br />
sechs Millionen Daten, Sach- und Pflegeleistungen<br />
mit 800 000 Daten) sowie beitragsrelevante<br />
Sozialdaten (mit 700 000 Daten). Die<br />
sektorenübergreifende Leistungsinanspruchnahme<br />
wurde im Zeitverlauf analysiert, die<br />
verursachten Kosten über komplexe Kostenkalkulationen<br />
aufgezeigt. Zur Kontrolle der<br />
Modellintervention wurden Patienten mit Behandlungen<br />
in anderen Akutkrankenhäusern<br />
mit gleicher Diagnose, gleichem Alter und<br />
gleichem Geschlecht identifiziert und als Kontrollperson<br />
herangezogen.<br />
Als Ergebnis zeigte die umfangreiche<br />
Analyse, dass das koordinierte Versorgungskonzept<br />
alle aufgestellten und vereinbarten<br />
Ziele <strong>für</strong> die Versorgung schwer chronisch<br />
schmerzkranker Patienten erreichte: langfristige<br />
Schmerzreduktion, Verbesserung der<br />
Arbeitsfähigkeit, Strukturierung der Patientenkarriere<br />
bei gleichzeitiger Kostengünstigkeit.<br />
Es zeigte sich im Vergleich zur traditionellen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
sektoralen Behandlung, dass sektoren-<br />
übergreifend eine signifikant effizientere und<br />
nachhaltigere Therapie von Patienten mit<br />
chronischen Schmerzerkrankungen erfolgt<br />
[1]. Das Behandlungskonzept wurde von Betroffenen<br />
und Vertragsärzten aus allen Bundesländern<br />
genutzt. Rund 70% der nach dem<br />
genannten Konzept behandelten Patienten<br />
wurden bundesweit zugewiesen.<br />
Umsetzung eines bundesweiten<br />
Kopfschmerznetzes<br />
Aufbauend auf diesen Ergebnissen wurde in<br />
Kooperation mit der Techniker Krankenkasse<br />
ein bundesweites Konzept einer koordinierten<br />
Kopfschmerzversorgung bei hoher Qualität erarbeitet.<br />
Die Belange der Versicherten, ihre<br />
Betreuung und ihre Behandlung, stehen dabei<br />
im Mittelpunkt. Ein nationaler Verbund von<br />
Hausärzten, ambulant und stationär tätigen<br />
Schmerztherapeuten in Praxen und Kliniken<br />
wirkt dabei Hand in Hand zusammen, um<br />
Schmerzen fach- und sektorenübergreifend mit<br />
zeitgemäßen Methoden optimal zu lindern.<br />
Die beteiligten Berufsgruppen behandeln<br />
dabei nach aktuellen Leitlinien und auf modernstem<br />
wissenschaftlichem Stand. Ambulante,<br />
rehabilitative und stationäre Therapien<br />
sind eng aufeinander abgestimmt und im zeitlichen<br />
Ablauf miteinander verzahnt. Das Konzept<br />
bietet eine überregionale koordinierte<br />
Behandlung zwischen der Schmerzklinik Kiel,<br />
dem Universitätsklinikum Schleswig-Holstein<br />
und niedergelassenen Schmerztherapeuten,<br />
Neurologen und Hausärzten <strong>für</strong> chronisch<br />
kranke Kopfschmerzpatienten ohne Beschränkung<br />
durch Fachgrenzen und Vergütungssektoren<br />
nach §§ 140 ff SGB V an.<br />
Dieses Versorgungsangebot <strong>für</strong> Kopfschmerzpatienten<br />
ermöglicht es, die Entstehungsmechanismen<br />
von Kopfschmerzen<br />
umfassend zu identifizieren und gezielt daran<br />
anzusetzen. Dabei sind die Patienten aktiv<br />
eingebunden, entwickeln ein besseres Verständnis<br />
<strong>für</strong> ihre Krankheit und können so den<br />
Therapieerfolg ebenfalls positiv beeinflussen.<br />
IV-Kopfschmerz: Indikationen<br />
Das Behandlungsnetz ist ausgerichtet auf die<br />
spezialisierte, sektorenübergreifende Versorgung<br />
von schwer betroffenen Patientinnen<br />
und Patienten mit chronischen Kopfschmerzerkrankungen<br />
wie z.B.<br />
■ schwere und häufige Migräne,<br />
■ chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp,<br />
■ Clusterkopfschmerzen,<br />
■ Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch,<br />
■ posttraumatische Kopfschmerzen<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Bildarchiv Göbel<br />
■ symptomatische Kopfschmerzen,<br />
■ Neuralgien,<br />
■ Kopfschmerzen mit komplexen Begleiterkrankungen,<br />
■ seltene Kopfschmerzformen mit<br />
schwerem Leidensdruck etc.<br />
Der koordinierte Therapieablauf<br />
Die integrierte Versorgung umfasst drei Phasen,<br />
die eng koordiniert sind:<br />
■ Phase I: Spezialisierte Diagnostik, professionelles<br />
Screening, Auswahl der sektorenübergreifenden<br />
Behandlungspfade,<br />
Behandlung vor Ort<br />
■ Phase II: Sektorenübergreifende neurologisch-verhaltensmedizinische<br />
Behandlung<br />
■ Phase III: Ambulante Verlaufs- und Erfolgskontrolle,<br />
sektorenübergreifendes<br />
Monitoring des Therapieverlaufs.<br />
Der generelle therapeutische Grundsatz der<br />
Konzeption ist, eine hohe Versorgungsqualität<br />
zu gewährleisten. Schwer betroffene Patienten<br />
sollen schnell und ohne Zeitverzug mit einer<br />
zeitgemäßen klinischen Diagnostik und einer<br />
effizienten Therapie versorgt werden. Aufgrund<br />
strukturierter Behandlungspfade, die auf evidenzbasierten<br />
wissenschaftlichen Therapieleitlinien<br />
basieren, soll eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit<br />
der Behandlung erzielt werden<br />
und Komplikationen sowie Chronifizierungen<br />
der Erkrankungen mit langfristigen und hohen<br />
Folgekosten vermieden werden.<br />
Zum Eintritt in die integrierte Versorgung<br />
sind operationalisierte Ein- und Ausschlusskriterien<br />
definiert, die sektorenübergreifende<br />
Integrierte Versorgung<br />
Schnittstellen im Rahmen der integrierten<br />
Versorgung beschreiben und die jeweiligen<br />
Aufgaben der verschiedenen Beteiligten festlegen.<br />
Patienten sollen einerseits nicht zu früh<br />
aus dem ambulanten Bereich in die stationäre<br />
Versorgung übergeführt werden. Um dies zu<br />
ermöglichen, wird eine Interaktion zwischen<br />
der stationären Behandlung und dem ambulanten<br />
Sektor geschaffen. Individuelle Beratung<br />
von niedergelassenen Vertragsärzten<br />
durch Ärzte des akutstationären Bereiches sowie<br />
ambulante Voruntersuchungen zur Überprüfung<br />
der Aufnahmeindikation und ggf. zur<br />
Vermeidung einer stationären Behandlung mit<br />
Aufstellung eines Therapieplans gemeinsam<br />
mit dem niedergelassenen Vertragsarzt sollen<br />
dies ermöglichen. Andererseits soll jedoch<br />
erforderlichenfalls eine schnelle stationäre<br />
Aufnahme die weitere Chronifizierung und die<br />
Entstehung von Komplikationen vermeiden.<br />
Die sektorenübergreifende Integration von<br />
rehabilitativen und vollstationären Behandlungsmaßnahmen<br />
ermöglicht die nachhaltige<br />
Aufrechterhaltung des Therapieerfolges.<br />
Kontinuierliche Fortbildung und<br />
Interaktion<br />
Im gesamten Behandlungsverlauf wird eine<br />
hohe fachliche Qualifikation der Behandler<br />
realisiert. Eine kontinuierliche Fortbildung der<br />
Teilnehmer an der integrierten Versorgung in<br />
regelmäßigen Abständen sowie die kontinuierliche<br />
Interaktion und Spezialisierung im Behandlungsbereich<br />
sollen dies gewährleisten.<br />
In speziellen Fällen kann zudem die Expertise<br />
Von links nach rechts, Dr. Johann Brunkhorst, Leiter der TK-Landesvertretung Schleswig-<br />
Holstein, Dr. Dietrich Jungck, Schmerzzentrum Hamburg, Präsident des Verbandes <strong>für</strong> Algesiologie<br />
– Berufsverband <strong>Deutsche</strong>r Schmerztherapeuten, Prof. Dr. Hartmut Göbel, Direktor<br />
der Schmerzklinik Kiel, Dr. Christoph Straub, stlv. Vorstandsvorsitzender der Techniker<br />
Krankenkasse, stellen das bundesweite Kopfschmerz-Netzwerk vor.<br />
13
14<br />
Integrierte Versorgung<br />
spezialisierter Netzpartner in Anspruch genommen<br />
werden. So ist u.a. im Bereich der<br />
neuroradiologischen Diagnostik die Sektion<br />
Neuroradiologie und im Bereich der spezialisierten<br />
neurochirurgischen Therapie die Klinik<br />
<strong>für</strong> Neurochirurgie des Universitätsklinikums<br />
Schleswig-Holstein Netzpartner.<br />
Nutzen<br />
Die Versicherten nehmen die zentrale Stelle<br />
im Versorgungsprozess ein und ihr Nutzen<br />
steht im Vordergrund. Aus der integrierten<br />
Versorgung ergeben sich <strong>für</strong> die Patienten<br />
folgende Vorteile:<br />
■ optimierte Behandlung auf aktuellem wissenschaftlichem<br />
Stand,<br />
■ sektorenübergreifende spezialisierte Behandlungspfade,<br />
■ integrierte Screening- und Nachsorgeuntersuchung,<br />
■ organisierte Behandlungskette,<br />
■ koordinierter und integrierter Übergang<br />
ambulant, stationär, rehabilitativ,<br />
■ fortlaufende Evaluation.<br />
Für den Kostenträger steht die effizientere<br />
Versorgung und Erhöhung der Zufriedenheit<br />
des Versicherten durch innovative Zusatzleistungen<br />
im Vordergrund. Die Versichertengemeinschaft<br />
profitiert zudem von der Kostenreduktion.<br />
Der Nutzen schließt ein:<br />
■ evaluierte Therapie mit hoher Wirksamkeit<br />
und effizientere Versorgung,<br />
■ Erhöhung der Zufriedenheit der Versicherten,<br />
<strong>Deutsche</strong>r Schmerzpreis 2008 ausgeschrieben<br />
<strong>Deutsche</strong>r Förderpreis <strong>für</strong> Schmerzforschung<br />
und <strong>Schmerztherapie</strong> 2008 –<br />
(Oberursel) Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong> e.V., Trägerin des<br />
<strong>Deutsche</strong>n Schmerzpreises, verleiht seit<br />
1986 in regelmäßiger Folge zusammen<br />
mit der <strong>Deutsche</strong>n Schmerzliga e. V.<br />
jährlich den DEUTSCHEN SCHMERZPREIS<br />
– <strong>Deutsche</strong>r Förderpreis <strong>für</strong> Schmerzforschung<br />
und <strong>Schmerztherapie</strong> –. Mit ihm<br />
werden Persönlichkeiten ausgezeichnet,<br />
die sich durch wissenschaftliche Arbeiten<br />
über Diagnostik und Therapie akuter<br />
und chronischer Schmerzzustände<br />
verdient gemacht oder die durch ihre<br />
Arbeit oder ihr öffentliches Wirken entscheidend<br />
zum Verständnis des Problemkreises<br />
Schmerz und der davon betroffenen<br />
Patienten beigetragen haben.<br />
■ Verringerung der Wartezeiten, Verkürzung<br />
der Arbeitsunfähigkeit,<br />
■ Kostenreduktion,<br />
■ Angebot über die regionale Regelversorgung<br />
hinaus (Prinzip: „Leistung und mehr“).<br />
Für die beteiligten Vertragsärzte stehen die<br />
sektorenübergreifende Kooperation mit der<br />
Reduktion organisatorischer Defizite und die<br />
Optimierung der Professionalität im Vordergrund.<br />
Administrative Aufgaben werden reduziert<br />
und eine verbesserte Wirtschaftlichkeit<br />
der Behandlungsprozesse wird durch hohe<br />
Spezialisierung erreicht. Die Vorteile sind:<br />
■ sektorenübergreifende Kooperation,<br />
■ Erweiterung des regionalen Therapiespektrums,<br />
■ erhöhte Effizienz durch evaluierte Behandlungspfade,<br />
Spezialisierung und kontinuierliche<br />
Fortbildung,<br />
■ Optimierung der Professionalität,<br />
■ Wettbewerbsvorteil durch höhere Spezialisierung,<br />
■ zusätzliche Vergütung der speziellen Leistungen<br />
zur Regelversorgung.<br />
Leistungen über die Regelver-<br />
sorgung hinaus<br />
Die regionale Regelversorgung wird durch<br />
das IV-Konzept nicht verändert oder gar ersetzt,<br />
sie kann selbstverständlich weiter wie<br />
bisher genutzt werden. Ziel ist vielmehr u.a.<br />
die weitere Professionalisierung der ambulanten<br />
Therapie durch Spezialisierung vor Ort.<br />
Verliehen wird der <strong>Deutsche</strong> Schmerzpreis<br />
im Rahmen des <strong>Deutsche</strong>n Schmerztages<br />
2008 in Frankfurt/Main. Er wird von der Firma<br />
Mundipharma Vertriebsgesellschaft mbH<br />
u. Co. KG, Limburg, gestiftet und ist mit<br />
10 000 Euro dotiert. Nominierungen und Bewerbungen<br />
müssen<br />
bis zum 31. Oktober<br />
2007 bei der Geschäftsstelleeingereicht<br />
werden: <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Schmerztherapie</strong> e.V.,<br />
Adenauerallee 18,<br />
61440 Oberursel.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong><br />
e. V. ist die<br />
größte europäische<br />
Tabelle 1: Teilnahme als Netzpartner<br />
Seit Start des Konzeptes nehmen mittlerweile<br />
bundesweit rund 190 spezialisierte<br />
Praxen am Behandlungsnetz teil. Die Teilnahme<br />
weiterer interessierter Ärztinnen<br />
und Ärzte ist möglich. Bei Interesse bitte<br />
E-Mail an: iv-netz@schmerzklinik.de<br />
Weitere Informationen zum Behandlungsnetz<br />
finden sich im Internet unter<br />
www.schmerzklinik.de und<br />
www.tk-online.de<br />
Die Techniker Krankenkasse vergütet den besonderen<br />
Zeitaufwand <strong>für</strong> die ambulante Therapie.<br />
Das Konzept zielt insbesondere auch<br />
auf die Behandlung aller Versicherten ab, die<br />
bei den ambulanten Leistungserbringern verbleiben<br />
und die keiner Behandlung in einem<br />
überregionalen Zentrum bedürfen.<br />
Fazit: Leistung und mehr<br />
Für alle Beteiligten eröffnet das Konzept zusätzliche<br />
Optionen in der innovativen Versorgung<br />
von Kopfschmerzen mit vielfältigen Vorteilen<br />
<strong>für</strong> Patienten, Krankenkasse und<br />
Leistungserbringer. ❏<br />
Literatur beim Verfasser<br />
Hartmut Göbel, Kiel<br />
Schmerzfachgesellschaft. Ihr Ziel ist die Förderung<br />
der Algesiologie als der Wissenschaft<br />
vom Schmerz, die Verbesserung der<br />
schmerztherapeutischen Versorgung, die<br />
Fort- und Weiterbildung sowie die Gründung<br />
interdisziplinärer schmerztherapeutischer<br />
Kolloquien.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> Schmerzliga e. V. ist die Interessenvertretung<br />
der Schmerzpatienten. Ihr<br />
Ziel ist eine bessere Lebensqualität <strong>für</strong> Menschen<br />
mit chronischem Schmerz durch eine<br />
qualifizierte schmerztherapeutische Versorgung.<br />
Die <strong>Deutsche</strong> Schmerzliga vermittelt<br />
Informationen über den chronischen<br />
Schmerz sowie über dessen Diagnostik und<br />
Therapie und unterstützt die Bildung von<br />
Selbsthilfegruppen. In der Öffentlichkeit<br />
setzt sich die <strong>Deutsche</strong> Schmerzliga <strong>für</strong> die<br />
Anliegen der Schmerzpatienten ein.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
DGS-Veranstaltungen<br />
Weitere Informationen zu den Seminaren erhalten Sie über die<br />
Geschäftsstelle des DGS Oberursel: Tel.: 06171/ 286060<br />
Fax: 06171/ 286069 · E-Mail: info@dgschmerztherapie.de<br />
Die aktuellsten Informationen zu den Veranstaltungen und den<br />
Details finden Sie im Internet unter www.dgschmerztherapie.de<br />
mit der Möglichkeit der Onlineanmeldung.<br />
September 2007<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> bei Sportlern<br />
02.09.–08.09.2007 in Riva (Gardasee)/Italien; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-München<br />
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 2)<br />
05.09.-09.09.2007 in Celle; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Celle<br />
4. Wiesbadener Schmerzabend<br />
05.09.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Wiesbaden<br />
Reanimation Refresherkurs<br />
05.09.2007 in Frankfurt am Main; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Frankfurt/Main<br />
Was kann Neurostimulation in der Behandlung<br />
chronischer Schmerzen leisten?<br />
12.09.2007 in Chemnitz-Rabenstein; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Chemnitz<br />
Invasive <strong>Schmerztherapie</strong><br />
12.09.2007 in Leer; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />
Leer<br />
Neuraltherapie – LWS und untere Extremitäten<br />
14.09.–5.09.2007 in Dresden; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Dresden<br />
TAOYOGA und Akupunktur/Akupressur<br />
15.09.2007 in Köln; Regionales Schmerzzentrum DGS-<br />
Köln<br />
Posttraumatische Belastungsstörung und<br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
18.09.2007 in Siegen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Siegen<br />
Differenzialdiagnostik verschiedener Schmerzerkrankungen<br />
19.09.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Leipzig<br />
40-Stunden-Basiskurs Palliativmedizin<br />
19.09.–23.09.2007 in Bremen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Bremen<br />
Curriculum Palliativmedizin – Basiskurs <strong>für</strong> Ärzte<br />
19.09.-23.09.2007 in Wiesbaden; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Wiesbaden<br />
Biofeedback II<br />
20.09.2007 in Bad Säckingen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Bad Säckingen<br />
Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil<br />
3 – 2. Wochenende (Veranstaltungsreihe über<br />
drei Termine)<br />
21.09.–23.09.2007 in Mülheim/Ruhr, Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Diagnostik und Therapie bei Störungen der<br />
Lumbalregion<br />
22.09.2007 in Berlin; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Berlin Prenzlauer Berg<br />
Curriculum Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>, Teil 1<br />
22.–23.09.2007 und 29.–30.09.2007 in Stuttgart; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
DGS Schmerztherapeutische Ansätze bei Somatisierungsstörungen<br />
26.09.2007 in Bad Salzungen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Bad Salzungen<br />
Praxisseminar – Der Stellenwert verschiedener<br />
bildgebender Verfahren in Medizinischen Versorgungszentren<br />
– Mogelpackung oder Chance?<br />
26.09.2007 in Bielefeld; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Herford<br />
Sympathische Reflexdystrophie – Grundlagen und<br />
Therapie mit Fallvorstellung<br />
26.09.2007 in Gießen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Gießen<br />
Spannungskopfschmerz – Differenzierung –<br />
Diagnose – Therapie, Schmerzen am Kopf – alles<br />
Kopfschmerzen? – Intern. Kopfschmerz, CMD<br />
(TMD); HWS- u. Beckenerkrankungen<br />
26.09.2007 in Mühlhausen; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Mühlhausen<br />
Patientenvorstellung<br />
26.09.2007 in Halle/Saale; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Halle<br />
Arzthaftungsrecht mit besonderem Bezug auf die<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> (Aufklärung, AVWG etc.)<br />
29.09.2007 in Mainz; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Mainz<br />
5. Wiesbadener Palliativtag – Patientenforum<br />
29.09.2007 in Wiesbaden; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Wiesbaden<br />
Oktober 2007<br />
40-Stunden-Aufbaukurs Palliativmedizin (Modul 3)<br />
03.10.–07.10.2007 in Hamburg; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS - Bremen<br />
Curriculum Algesiologische Fachassistenz – Kursteil<br />
3 – 3. Wochenende (Veranstaltungsreihe über<br />
drei Termine)<br />
05.10.–07.10.2007 in Mülheim/Ruhr; Geschäftsstelle<br />
DGS<br />
13. Ahrenshooper Schmerzsymposium - Vernachlässigen<br />
wir unsere Füße?<br />
06.10.2007 in Ahrenshoop; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS- Bielefeld<br />
8. Stuttgarter Schmerztag<br />
06.10.2007 in Stuttgart; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Stuttgart<br />
Zehn Jahre Schmerzpraxis in Erkelenz<br />
08.10.2007 in Erkelenz; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Erkelenz<br />
Schmerz- und Palliativkongress NRW<br />
12.10.-13.10.2007 in Sankt Josef/Wuppertal; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Wuppertal<br />
Systematik der Injektionstechniken – Refresherseminar<br />
13.10.–4.10.2007 in Randersacker; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS- Würzburg<br />
10. Südwestdeutsche Schmerztage<br />
12.10.–13.10.2007 in Göppingen; Regionales<br />
Schmerzzentrum DGS-Göppingen<br />
Praxisseminar<br />
17.10.2007 in Leipzig; Regionales Schmerzzentrum<br />
DGS-Leipzig<br />
DGS-Zentrum Mönchengladbach<br />
Wir begrüßen Dr. med. Henning Krolle,<br />
Facharzt <strong>für</strong> Orthopädie und Physikalische<br />
und Reha-Medizin, Zusatzbezeichnungen<br />
Spezielle <strong>Schmerztherapie</strong>, Chirotherapie,<br />
Naturheilverfahren, Sport- und Tauchmedizin,<br />
Algesiologe DGS/DgfA, Lehrbeauftragter<br />
der Hochschule Niederrhein, Osteologe<br />
(DVO) niedergelassen in Gemeinschaftspraxis<br />
mit Dr. med. Ansgar Ehses<br />
im Medicentrum (www.medicentrum.de)<br />
Mönchengladbach als Leiter des DGS-Zentrum<br />
Mönchengladbach.<br />
Schwerpunkt muskuloskelettale und<br />
Kopfschmerzen<br />
Angewandte therapeutische Verfahren der<br />
Praxis: Therapeutische Lokalanästhesie,<br />
Sympathikusblockaden, Plexus- und rückenmarksnahe<br />
Anästhesien; PRIT, psychosomatische<br />
Grundversorgung, Pharmakotherapie,<br />
Naturheilverfahren, Chirotherapie,<br />
Tens, Akupunktur<br />
Henning Krolle,<br />
Mönchengladbach<br />
15
Interdisziplinäre Fortbildung<br />
Schmerzkonferenzen – Palaver oder Chance?<br />
Schmerzkonferenzen finden sowohl im ambulanten Bereich wie auch an<br />
Krankenhäusern in ganz Deutschland statt. Wer wenig in der Materie<br />
ist, könnte diese <strong>für</strong> nette Zusammenkünfte schmerzinteressierter Ärzte<br />
mit mehr oder weniger „gemeinsamem Palaver“ zu sowieso nicht richtig<br />
lösbaren Schmerzproblemen betrachten. Dies geht jedoch völlig an der<br />
Realität und dem medizinischen Kenntnisstand vorbei, nach dem die interdisziplinäre<br />
Analyse und Therapie chronischer Schmerzprobleme „Goldstandard“<br />
ist. Den Stellenwert der interdisziplinären Schmerzkonferenzen<br />
beschreibt Dr. med. Kai-Uwe Kern, Schmerz- und Palliativzentrum, DGS-<br />
Wiesbaden.<br />
Historie<br />
Bereits im Jahr 2001 führte die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong> e.V. (DGS)<br />
bundesweit in den regionalen Schmerzzentren<br />
nahezu 1000 Schmerzkonferenzen durch, bei<br />
denen in der Regel drei Patienten vorgestellt<br />
werden. Durch eine Initiative der DGS und<br />
mehrerer Krankenkassen (Tab. 1) konnte im<br />
Jahr 2003 ein Vertrag zur Kostenerstattung<br />
der Schmerzkonferenzen erarbeitet werden.<br />
Dies war ein Meilenstein in der interdisziplinären<br />
Therapie chronischer Schmerzpatienten,<br />
<strong>für</strong> die die notwendigen medizinischen<br />
Maßnahmen nicht im EBM abgebildet sind.<br />
Möglich geworden waren diese Regelungen<br />
damals u.a. durch das Gesundheitsmodernisierungsgesetz<br />
und die Anrechnungen der<br />
Aufwendungen <strong>für</strong> die Krankenkassen auf das<br />
Vergütungsvolumen gemäß § 140 d SGB V.<br />
Durch gemeinsame Bemühungen konnte zum<br />
01.01.2007 die Vergütung der aktuellen Entwicklung<br />
angepasst werden und somit der<br />
Fortbestand interdisziplinärer Schmerzkonferenzen<br />
gesichert werden. Aus den anfänglichen<br />
„Feierabend-Veranstaltungen“ wurden<br />
hiermit angemessen honorierte, fachlich hoch<br />
qualifizierte und mit umfangreicher Dokumen-<br />
Tabelle 1: ISK-Vereinbarung – teilnehmende Krankenkassen<br />
16<br />
tation qualitätsgesicherte, medizinische Instrumente<br />
zur Behandlung chronischer<br />
Schmerzpatienten.<br />
Grundprinzipien<br />
Von den meisten Anbietern werden Schmerzkonferenzen<br />
ca. einmal im Monat organisiert,<br />
die Teilnahme ist kostenlos. Teilnehmer sind<br />
Ärzte und Angehörige nicht ärztlicher Disziplinen,<br />
die es sich zum Ziel gesetzt haben, interdisziplinär<br />
und sektorenübergreifend die Lebensqualität<br />
chronisch Schmerzkranker zu<br />
verbessern.<br />
Der vorstellende Arzt berichtet kurz über<br />
die grundsätzliche Problematik und Ausgangssituation,<br />
bevor der Patient aus seiner<br />
Sicht ausführlich Anamnese und aktuelle Beschwerden<br />
beschreibt. Sofern medizinische<br />
Unterlagen (Bilder, Briefe usw.) vorliegen,<br />
werden diese allen Teilnehmern zugänglich<br />
gemacht. Meist ist es hilfreich, wenn der<br />
vorstellende Arzt unternommene Therapieversuche<br />
und deren Effektivität darstellt und<br />
andere, ergänzende Informationen liefert. Im<br />
Anschluss an den Patientenbericht haben alle<br />
Teilnehmer die Möglichkeit zur Befragung und<br />
im Idealfall auch gemeinschaftlichen Unter-<br />
Techniker Krankenkasse (TK), Hamburg Gmünder Ersatzkasse (GEK), Schwäbisch-Gmünd<br />
Krankenkasse <strong>für</strong> Bau- und Holzberufe (HZK), Krankenkasse Eintracht Heusenstamm Ersatzkasse<br />
Hamburg (KEH), Heusenstamm<br />
Nord- und Mitteldeutsche IKK, Celle Siemens Betriebskrankenkasse (SBK), Münschen<br />
BKK Gesundheit, ehemals: BKK Zollern-Alb,<br />
Dresden<br />
Ford-Betriebskrankenkasse, Köln<br />
Bosch BKK, Stuttgart BKK <strong>Deutsche</strong> Bank<br />
BKK Allianz BKK Daimler-Chrysler<br />
Mhplau BKK BKK Conzelmann<br />
BKK der E.ON Ruhrgas AG<br />
BKK-Bundesverband, Essen (ohne Mitglieder)<br />
BKK der VICTORIA D.A.S.<br />
suchung des Patienten. Zum Abschluss wird<br />
der Patient verabschiedet, und es wird ihm<br />
erläutert, dass nun die interne Fachdiskussion<br />
beginnt und er das Ergebnis von seinem<br />
behandelnden Arzt in Kürze in der Sprechstunde<br />
mitgeteilt bekommt. Entscheidend<br />
ist, dass die anschließende Diskussion ohne<br />
jede „Besserwisserei“, „Schuldzuweisung“<br />
oder „Schuldgefühle“ erfolgt, da sonst kein<br />
konstruktiver Dialog im Sinne des Patienten<br />
möglich ist. Es geht einzig und allein darum,<br />
ein interdisziplinäres Ergebnis im Sinne des<br />
betroffenen Schmerzkranken zu erzielen, welches<br />
durch die Einzelleistung jeder Fachrichtung<br />
nicht möglich wäre.<br />
Multiprofessionalität nötig<br />
Um eine interdisziplinäre Schmerzkonferenz<br />
nicht ausschließlich zum ärztlichen Disput zu<br />
machen, ist es besonders wichtig, auch nicht<br />
ärztliche Disziplinen zu integrieren. Häufig<br />
sind die Beiträge von Physiotherapeuten,<br />
Psychologen oder Ergotherapeuten besonders<br />
wertvoll. In der gemeinschaftlichen Diskussion<br />
erarbeiten alle Teilnehmer ein multimodales<br />
Therapiekonzept und konkrete Empfehlungen<br />
zu weiteren Maßnahmen (medizinische<br />
Maßnahmen, psychotherapeutische<br />
Therapien, Gruppenprogramme, ambulante<br />
oder stationäre Versorgungsmodelle u.a.).<br />
Ziel muss neben der Schmerzreduktion bzw.<br />
Verringerung von Schmerzhäufigkeit oder<br />
-dauer eine Verbesserung der allgemeinen<br />
Lebensqualität, das Erreichen des individuellen<br />
Behandlungsziels des Patienten und<br />
besonders die Beeinflussung des Chronifizierungsprozesses<br />
sein, der neben persönlichem<br />
Leid auch sozioökonomische Dauerkosten<br />
verursacht.<br />
Grundsätzlich gilt: Je mehr Disziplinen<br />
Ansprechpartner <strong>für</strong> Schmerz-<br />
konferenzen in Ihrer Umgebung:<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Schmerztherapie</strong> e.V., Geschäftsstelle<br />
Adenauerallee 18<br />
61440 Oberursel<br />
Tel. (0 61 71) 28 60 60<br />
Fax (0 61 71) 28 60 69<br />
www.dgschmerztherapie.de<br />
Kai-Uwe Kern, DGS-Wiesbaden<br />
E-Mail:<br />
therapie@schmerzzentrum-wiesbaden.de<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Kai-Uwe Kern,<br />
Wiesbaden<br />
vertreten sind und je interessierter und entspannter<br />
die Fachdiskussion, desto besser ist<br />
das Ergebnis !<br />
Juristische Rahmenbedingungen<br />
Der genannte Honorarvertrag betrifft nur die<br />
Schmerzkonferenzen niedergelassener Ärzte<br />
und Fachrichtungen. Viele Schmerzkonferenzen<br />
werden zusätzlich von Krankenhäusern<br />
veranstaltet. Hier gibt es leider noch<br />
keine Vertragsmodelle. Vorgestellt werden<br />
können Patienten aller beteiligten Krankenkassen<br />
ohne gesonderten Kostenantrag. Dem<br />
Mainzer Chronifizierungsstadium entsprechend<br />
muss der Patient bezüglich seines<br />
Scores in das Chronifizierungsstadium II oder<br />
III einzugruppieren sein. Die persönliche Anwesenheit<br />
des anspruchsberechtigten Versicherten<br />
und des vorstellenden Arztes ist Voraussetzung<br />
<strong>für</strong> die Abrechnungsfähigkeit der<br />
Vergütungen.<br />
Schmerzkonferenzen werden von<br />
schmerztherapeutisch speziell qualifizierten<br />
Moderatoren geleitet, eine schmerztherapeutische<br />
Ausbildung der anderen Teilnehmer<br />
ist zwar häufig vorhanden, jedoch nicht<br />
zwingend. Eine vertragsärztliche Zulassung<br />
oder Ermächtigung (bzw. eine Zulassung zur<br />
Behandlung gesetzlich versicherter Patienten<br />
<strong>für</strong> die nicht ärztlichen Fachrichtungen) ist<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> die Abrechnung der Konsiliarpauschale.<br />
Fortbildungsnachweise<br />
Neben dem Versorgungsauftrag einer<br />
Schmerzkonferenz erfüllt diese auch Voraussetzungen<br />
als Fortbildungsnachweis <strong>für</strong> die<br />
Teilnehmer. So setzt die Teilnahme an der<br />
Qualitätssicherungsvereinbarung „<strong>Schmerztherapie</strong>“<br />
eine regelmäßige Teilnahme an<br />
Schmerzkonferenzen <strong>für</strong> die Erteilung der Abrechnungsberechtigung<br />
voraus.<br />
Darüber hinaus setzen viele Fachverbände<br />
wie die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> psychologische<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> und -forschung<br />
(DGPSF), die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zum<br />
Studium des Schmerzes (DGSS) und die<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> <strong>Schmerztherapie</strong><br />
(DGS) die Teilnahme an Schmerzkonferenzen<br />
<strong>für</strong> die Anerkennung der verbandsinternen<br />
Qualifikationen voraus. Bei den jüngsten<br />
Entwicklungen im Bereich „Akupunktur“ wird<br />
auch hier durch die Teilnahme an Schmerzkonferenzen<br />
eine Erweiterung der bio-psycho-sozialen<br />
Betrachtungsweise chronischer<br />
Schmerzpatienten erwartet.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Dokumentation<br />
Die ehrgeizigen Ziele einer interdisziplinären<br />
Schmerzkonferenz (ISK) setzen eine hoch<br />
angesiedelte Qualitätssicherung und Dokumentation<br />
voraus. Der Patient verpflichtet sich<br />
zum Ausfüllen eines standardisierten<br />
Schmerzfragebogens der Fachgesellschaften<br />
sowie zu den Angaben zur Erfassung des<br />
Chronifizierungsstadiums, welches in einem<br />
standardisierten Bogen dokumentiert wird.<br />
Die Teilnahmebereitschaft des Patienten<br />
wird mit einer Einverständniserklärung schriftlich<br />
festgehalten, das Ergebnis der Diskus-<br />
sion und die veranlassten Maßnahmen werden<br />
in vorgefertigten Dokumentationsblättern<br />
erfasst. Abrechnungsbögen dokumentieren<br />
Moderator, vorstellenden Arzt und konsiliarisch<br />
hinzugezogene Teilnehmer mit Name,<br />
Ausbildung, Zulassungsstatus und Kontodaten<br />
sowie den Unterschriften. Der Moderator<br />
übernimmt ferner die Verpflichtung, in<br />
einem ISK-Nachbesprechungsbogen innerhalb<br />
eines Zeitraumes von neun Monaten<br />
den Behandlungsverlauf und -erfolg des vorgestellten<br />
Patienten zu dokumentieren.<br />
Vergütung<br />
Hochqualifizierte medizinische Leistung ist<br />
selbstverständlich nicht kostenfrei zu erhalten.<br />
Die Vertragspartner waren sich daher einig,<br />
dem moderierenden Schmerztherapeuten,<br />
dem vorstellenden Arzt und mehreren<br />
Konsiliarteilnehmern ein angemessenes Honorar<br />
zu erstatten. Das Moderatorenhonorar<br />
(jetzt neu festgelegt auf 120 Euro) umfasst<br />
den Aufwand der Einladung, die Feststellung<br />
der Anspruchsberechtigung, der gesamten<br />
Dokumentation, Organisation, Koordination<br />
der Abläufe, Raumkosten und Moderation der<br />
Veranstaltung. Die ISK-Pauschale <strong>für</strong> den vorstellenden<br />
Arzt (60 Euro) deckt die Vorbereitung<br />
der Patientenvorstellung, das Aufarbeiten<br />
der Krankengeschichte und das Anfordern<br />
evtl. relevanter Befunde. Konsiliarteilnehmer<br />
erhalten <strong>für</strong> ihre Teilnahme und<br />
Diskussionsbeiträge/Untersuchung<br />
eine Vergütung vom 45<br />
Euro je Fall, ein Honorar <strong>für</strong><br />
sonstige Teilnehmer ist<br />
nicht vorgesehen.<br />
Ausblick<br />
S c h m e r z k o n f e -<br />
renzen sind ein Instrument<br />
der medizinischenSpitzenversorgung<br />
und<br />
keine Routine <strong>für</strong><br />
alle Schmerzpatienten.<br />
Interdisziplinäre Fortbildung<br />
Um dies mit Leben zu erfüllen, kommt es auf<br />
die Teilnahme von genügend Ärzten möglichst<br />
vieler Fachrichtungen an. Dies gilt vor allem<br />
aber auch <strong>für</strong> Hausärzte, denen eine Schmerzkonferenz<br />
die Möglichkeit bietet, Problempatienten<br />
„niedrigschwellig“ vorzustellen und mit<br />
anderen Fachdisziplinen zu diskutieren.<br />
Schmerzkonferenzen bieten nicht nur eine<br />
große Chance <strong>für</strong> die betroffenen Schmerzkranken,<br />
sondern sind gleichzeitig eine Bereicherung<br />
<strong>für</strong> unser Berufsleben. Hier können<br />
Patienten „ganzheitlich“ begriffen werden,<br />
ganz so, wie es unser ärztliches Ethos es eigentlich<br />
von uns verlangt und wir es – sind wir<br />
ehrlich – eigentlich am liebsten auch wollen.<br />
Wenn man Patienten optimal hilft und sich<br />
dabei gleichzeitig wieder „als Arzt fühlt“, dann<br />
hat sich die Frage „Palaver oder Chance?“<br />
von selbst beantwortet.<br />
Zusammenfassung<br />
Schmerzkonferenzen sind interdisziplinäre<br />
Treffen schmerztherapeutisch interessierter<br />
Ärzte und Angehöriger nicht ärztlicher Disziplinen.<br />
Durch die Diskussion chronischer<br />
Schmerzprobleme aus der Sicht verschiedenster<br />
Fachrichtungen kann die beste Therapie<br />
<strong>für</strong> den vorgestellten Patienten gefunden<br />
werden. Biologische, soziale and psychologische<br />
Faktoren sind bedeutsam bzgl. einer<br />
Schmerzchronifizierung und werden in<br />
Schmerzkonferenzen beleuchtet. Seit 2004<br />
vergüten einige Krankenkassen die Teilnahme<br />
an Schmerzkonferenzen wegen des gezeigten<br />
Vorteils <strong>für</strong> ihre Versicherten und einer langfristigen<br />
Kostenersparnis. Schmerzkonferenzen<br />
sind weltweit üblich und gelten als<br />
anerkannte Instrumente moderner <strong>Schmerztherapie</strong>.<br />
❏<br />
Kai-Uwe Kern, Wiesbaden<br />
17
Onkologie<br />
Moderne Chemotherapie nach Maß<br />
Nach jahrzehntelanger zytostatischer „Schrotschusstherapie“ in der<br />
Onkologie zeichnet sich durch die Fortschritte in der Genom- und Proteom-<br />
technologie ein Paradigmenwechsel hin zu einer individualisierten Krebstherapie<br />
ab. Die gesamte Hämatologie und Onkologie befinden sich in<br />
einer hoffnungsvollen Umbruchphase. Neue Methoden aus der Genetik<br />
und Molekularbiologie ermöglichen neue Erkenntnisse <strong>für</strong> die Diagnostik<br />
und Prognose bösartiger Erkrankungen. Die Möglichkeiten einer<br />
individualisierten Krebstherapie, die sog. Targeted Therapy, beschreibt<br />
Dr. rer. nat. Annette Junker, Apothekerin <strong>für</strong> klinische und onkologische<br />
Pharmazie am Sanaklinikum Remscheid.<br />
W ährend<br />
die über Jahrzehnte etablierten<br />
Zytostatika auch normales Gewebe<br />
in nicht unbeträchtlichem Ausmaß angriffen<br />
und zu entsprechenden unerwünschten<br />
Wirkungen führten, wirken die neuen Therapieformen<br />
vorwiegend auf die Krebszellen.<br />
Bei Betrachtung der molekularen Mechanismen<br />
der Tumorentstehung und -progression<br />
ist bemerkenswert, dass viele Schlüsselstellen<br />
bzw. Targets dieser Prozesse über eine<br />
Aktivierung bestimmter Rezeptoren erfolgt,<br />
was zu einer Stimulierung von Proteinkinasen<br />
im Zellinnern führt. Durch diese Stimulierung<br />
kommt es in der Tumorzelle zu einer<br />
molekularen Kaskade, die zu einer Angiogenese,<br />
Metastasierung, weiterer Zellteilung<br />
und Verhinderung der Apoptose führt. Sowohl<br />
die Rezeptoren als auch die Tyrosinkinasen<br />
kommen damit potenziell <strong>für</strong> einen therapeu-<br />
Abbildung 1: Zelluläre Signaltransduktion in der Tumorzelle.<br />
18<br />
1. Ligand (EGF)<br />
2. Rezeptorbindung<br />
Inhibierung durch<br />
a) Rezeptorenblocker oder<br />
b) Inhibierung der Tyrosinkinasen<br />
R = extrazelluläre Liganden bindende<br />
Domäne,<br />
K = intrazelluläre Tyrosinkinasedomäne<br />
Angiogenese<br />
Rezeptorenblocker<br />
R<br />
K<br />
tischen Angriff infrage. Durch die Fortschritte<br />
in der molekularen Diagnostik ist es möglich<br />
geworden, bei jedem Patienten die jeweiligen<br />
Targets zu bestimmen und ihn dann auch<br />
ganz individuell behandeln zu können, da<br />
bereits viele Präparate <strong>für</strong> diese molekularen<br />
Targets zur Verfügung stehen. Einer der bekanntesten<br />
dieser Targets ist der epidermale<br />
Wachstumsfaktorrezeptor, der bei sehr vielen<br />
Tumorzellen überexprimiert wird, was zu verstärktem<br />
Wachstum des Tumors führt. In Abbildung<br />
1 ist die zelluläre Signaltransduktion in<br />
der Tumorzelle dargestellt. Bei einer Bindung<br />
eines Liganden an den EGF-Rezeptor kommt<br />
es innerhalb der Zelle zu einer Aktivierung<br />
der Tyrosinkinasen. Diese wiederum löst eine<br />
Angiogenese zum Tumor und eine Metastasierung<br />
aus, und fördert darüber hinaus das<br />
Überleben der Tumorzelle und die vermehrte<br />
R<br />
K<br />
NUCLEUS<br />
EGFR<br />
Metastase Zellüberleben<br />
Zellmembran<br />
3. Aktivierung der<br />
Tyrosinkinasen<br />
4. Signalkaskade<br />
Zellteilung<br />
dGTP<br />
Annette Junker,<br />
Remscheid<br />
Zellteilung. Damit ergeben sich verschiedene<br />
Möglichkeiten, in diese Signalkaskade in der<br />
Tumorzelle zielgerichtet einzugreifen:<br />
■ Die monoklonalen Antikörper (Mabs = Monoclonal<br />
Antibodies) blockieren extrazellulär<br />
die Rezeptoren, wodurch die intrazelluläre<br />
Kaskade verhindert wird. Solche monoklonalen<br />
Antikörper gibt es außer <strong>für</strong> den EGF-<br />
Rezeptor auch <strong>für</strong> weitere Rezeptortypen<br />
wie z. B. den VEGF-Rezeptor (Vascular Endothelial<br />
Growth Factor Receptor), über<br />
dessen Aktivierung es ganz besonders zu<br />
einer Angiogenese zur Tumorzelle kommt.<br />
■ Die Tyrosinkinaseinhibitoren (-Tinibs) werden<br />
auch als kleine Moleküle bezeichnet<br />
und hemmen intrazellulär die<br />
Tyrosinkinasedomäne.<br />
Abbildung 2: Angriffspunkt von Forodesine.<br />
dGuo<br />
dGMP<br />
dGDP<br />
Forodesine<br />
PNP<br />
Phosphatasen<br />
Ungleichgewicht<br />
des dNTP-Pools<br />
HO<br />
HO<br />
NH<br />
N O<br />
H<br />
N NH HCI<br />
OH<br />
Apoptose<br />
DNA-Synthese<br />
Ribosephosphat<br />
+ Guanin<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
In Tabelle 1 sind einige monoklonale Antikörper<br />
dargestellt. Einer der ersten Vertreter war<br />
das Rituximab, das zur Behandlung von Non-<br />
Hodgkin-Lymphomen eingesetzt wird. Bekannter,<br />
weil es durch Patienten und über die<br />
Presse oft erwähnt und gefordert wird, ist das<br />
Trastuzumab (Herceptin ® ), dessen Wirksamkeit<br />
nicht nur <strong>für</strong> den palliativen, sondern auch<br />
<strong>für</strong> den adjuvanten Einsatz in der Brustkrebstherapie<br />
gezeigt werden konnte. Das Cetuximab<br />
ist der erste zugelassene EGF-Rezeptorenblocker<br />
und wird wie das Bevacizumab als<br />
erster zugelassener VEGF-Rezeptorenblocker<br />
bisher überwiegend zur Behandlung kolorektaler<br />
Karzinome eingesetzt.<br />
Einige Kinaseinhibitoren sind in Tabelle 2<br />
dargestellt. Einer der Ersten war das Imatinib,<br />
das einen sehr großen Erfolg bei der Behandlung<br />
der CML aufzuweisen hat. Positiv waren<br />
die 5-Jahres-Überlebensdaten, die im vergangenen<br />
Jahr vorgestellt werden konnten: Nach<br />
fünf Jahren lebten immer noch 90% der Patienten.<br />
Gefitinib und Erlotinib sind Inhibitoren<br />
der Tyrosinkinasen von EGF-Rezeptoren.<br />
Noch umstritten<br />
Iressa ® wurde zuerst in Japan bereits 2002<br />
beim inoperablen oder rezidivierten NSCLC<br />
(sog. nicht kleinzellige Bronchialkarzinome,<br />
Non Small Cell Lung Cancer) zugelassen,<br />
später als Zweitlinientherapie beim NSCLC in<br />
den USA. Bestimmte Subgruppen profitieren<br />
besonders wie Japaner (Japaner 27% vs. US-<br />
Amerikaner 10%), Nie-Raucher, Frauen (Asiatinnen)<br />
und bestimmte EGFR-Mutationen.<br />
Deutliche Vorteile bei europäischen Patienten<br />
konnten nicht nachgewiesen werden, deshalb<br />
fehlt noch die EMEA-Zulassung.<br />
Hoffnung bei Leberkrebs und<br />
Nierenzellkarzinomen<br />
Sunitinib und Sorafenib hemmen gleichzeitig<br />
die Tyrosinkinasen mehrerer Rezeptortypen<br />
und werden bei Nierenzellkarzinomen eingesetzt.<br />
Darüber hinaus wurden soeben beim<br />
amerikanischen Krebskongress (ASCO) vielversprechende<br />
Daten zum Einsatz von Sorafenib<br />
bei Leberkrebs vorgestellt. Die therapiebedingten<br />
unerwünschten Wirkungen sind im<br />
Allgemeinen mild. Übelkeit, Diarrhö und Fatigue<br />
gehören dazu. Besonders bei den EGF-<br />
Rezeptorenblockern kommt es häufig zu akneähnlichen<br />
Hautveränderungen (Rush). Bei<br />
einigen Tyrosinkinasehemmern kann es auch<br />
zu ausgeprägten Hand-Fuß-Syndromen kommen.<br />
Die Reise geht weiter<br />
Nachdem diese Mechanismen der Tumorentstehung<br />
und der Signalkaskade innerhalb der<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Tumorzelle ganz besonders bei den erwähnten<br />
Rezeptortypen sehr genau erforscht<br />
worden sind und auch bereits viele Inhibitoren<br />
bei den verschiedenen onkologischen und<br />
hämatologischen Erkrankungen mit größtem<br />
Erfolg eingesetzt werden, gewinnt man als<br />
Beobachter den Eindruck, dass die Möglichkeiten<br />
dieser molekularen Therapien noch<br />
nicht ausgeschöpft sind. So gibt es außer den<br />
erwähnten rezeptorvermittelten Targets weitaus<br />
mehr Angriffspunkte <strong>für</strong> zielgerichtete<br />
Therapien.<br />
Aus der immer größer werdenden Palette<br />
der Targeted Therapies sei hier ein Beispiel<br />
genannt, das zu großen Hoffnungen speziell<br />
in der Hämatologie Anlass gibt.<br />
Zielgerichtete Lymphozytentherapie<br />
Der Wirkmechanismus von Forodesine ist<br />
eine neue Annäherung, um maligne hämatologische<br />
Erkrankungen zu bekämpfen.<br />
Forodesine inhibiert die Purinnukleosidphosphatase<br />
(PNP), ein Enzym, das die<br />
Lyse von Ribonukleosiden zur freien Base<br />
Onkologie<br />
und dem Ribosephosphat katalysiert. Dieses<br />
Enzym kommt in sehr hohen Konzentrationen<br />
in Lymphozyten vor. Bei Anwesenheit von<br />
Desoxyguanosin (dGuo) kommt es bei einer<br />
Hemmung von PNP zu einer Akkumulation<br />
von Desoxyguanosintriphosphat (dGTP), was<br />
letztlich durch Hemmung der DNA-Synthese<br />
zytotoxisch wirkt und eine Apoptose der Zelle<br />
auslöst (siehe Abb. 2). Da T-Lymphozyten<br />
und B-Lymphozyten eine sehr hohe Aktivität<br />
der Desoxycytidinkinasen aufweisen, setzt<br />
man <strong>für</strong> die Zukunft in diese Substanz große<br />
Hoffnungen bei vielen hämatologischen Erkrankungen.<br />
Aufgrund seines überzeugenden<br />
therapeutischen Potenzials in Phase-II-Studien<br />
wurde Forodesine von der EMEA bereits<br />
im November 2006 <strong>für</strong> die Behandlung von<br />
akuter T-Zell-lymphoblastischer Leukämie<br />
(T-Zell-ALL) der Status eines „Orphan Drug“-<br />
Arzneimittel zur Behandlung seltener Krankheiten<br />
(engl. Orphan = Waise) verliehen. ❏<br />
Tabelle 1: Monoklonale Antikörper in der Onkologie/Hämatologie<br />
Annette Junker, Remscheid<br />
Antikörper Target Zelltyp Einsatz/Zulassung<br />
Rituximab CD20 B-Lymphozyten<br />
(Mabthera ® ) B-Zell-Neoplasien NHL, Mono o. Kombi mit CT<br />
ÜV gesichert/ E, USA<br />
Trastuzumab ErbB2 Ca. 1/3 der Met. + adj. BC, Mono o. CT-<br />
(Herceptin ® ) (Her2neu) Mamma-Ca Kombi, ÜV gesichert/ E, USA<br />
Cetuximab EGFR Großteil aller Karzinom- Met. CRC in Kombi,<br />
(Erbitux ® ) (Her1) typen Kopf-Hals-Tumoren/ E, USA<br />
Bevacizumab VEGF Tumoraktivierte CRC/ E, USA<br />
(Avastin ® ) Endothelzellen<br />
Tabelle 2: Tyrosinkinaseinhibitoren<br />
TK-Hemmer Target: Zelltyp/ Status/Zulassung<br />
Kinasen von: Tumorentität<br />
Imatinib BCR-ABL, CML, GIST E, USA u.a.<br />
(Glivec ® ) C-Kit, PDGF-R<br />
Gefitinib* EGF-R Großteil aller NSCLC/<br />
(Iressa ® ) Karzinomtypen Japan, USA, u.a.*<br />
Erlotinib EGF-R Großteil aller NSCLC, 2. Linie; Pankr. Ca<br />
(Tarceva ® ) Karzinomtypen mit Gemc./ E, USA<br />
Sunitinib VEGF-R, PDGF-R, Diverse solide MRCC (1. Linie), GIST<br />
(Sutent ® ) c-Kit, FLT-3 Tumoren (2. Linie) / E, USA<br />
Sorafenib Raf, Diverse solide MRCC (2. Linie) /<br />
(Nexavar ® ) VEGF-R, c-Kit ... Tumoren E, USA<br />
Dasatinib<br />
(Sprycel<br />
BCR-ABL CML, Ph+ - ALL 2. Linie / E, USA<br />
® )<br />
* keine europäische und keine deutsche Zulassung<br />
19
Palliativmedizin<br />
Optimale Palliativversorgung –<br />
wie ist das möglich?<br />
Die medizinische Versorgungslandschaft befindet sich – nicht zuletzt durch<br />
die politisch unterstützten erweiterten Möglichkeiten der Vertragsgestaltung<br />
– in beständigem Wandel hin zu neuen Versorgungsformen! Gerade die<br />
Aussichten auf eine bald umzusetzende Finanzierung der Palliativversorgung<br />
bietet die Möglichkeit, überholte Strukturen zu überwinden und neue<br />
Konzepte der komplexen Leistungserbringung durch Managed-Care-Strukturen<br />
und mit Budgetverantwortung zu realisieren. Wie diese integrierten<br />
Versorgungsnetze in der Palliativmedizin aussehen und auch funktionieren,<br />
schildert Dr. med. Thomas Nolte, DGS-Vizepräsident vom Palliativzentrum<br />
Wiesbaden.<br />
D ie<br />
Überreglementierung der sektoralisierten,<br />
längst überholten Standardversorgung<br />
verhindert die notwendigen Anpassungen<br />
an die stark veränderten Anforderungen<br />
in der Gesundheitsversorgung. Benötigt<br />
werden flexible Versorgungskonzepte als<br />
Antwort auf die komplexen Aufgabenstellungen,<br />
die sich nicht nur als Zusatzmodule zur<br />
„Symptomlinderung“ in der maroden Regelversorgung<br />
verstehen.<br />
Ausgeklügeltes Konzept<br />
Die neun Elemente einer durchdachten und<br />
zukunftsfähigen Konzeption werden im folgenden<br />
mit ihren ausgezeichneten Ergebnissen<br />
vorgestellt. Bei Vorliegen dieser Merkmale<br />
können die Grundlagen erfolgreicher Zusammenarbeit<br />
–<br />
■ Qualifikation,<br />
■ Motivation,<br />
Sterben in Würde<br />
20<br />
Bildarchiv Nolte<br />
■ Wirtschaftlichkeit und Kosteneffizienz,<br />
■ Autonomie und Selbstverwaltung der<br />
Leistungserbringer,<br />
■ Zielorientierung –<br />
realistisch verwirklicht werden und sich bestmöglich<br />
entfalten. Nicht die Zugehörigkeit zu<br />
einer bestimmten Struktur prädestiniert deshalb<br />
zur Erfüllung der gestellten Aufgaben,<br />
sondern insbesondere die Anforderungen<br />
durch die zu lösende Aufgabe.<br />
Mehr als ein Hirngespinst<br />
Bis heute sind diese Vorstellungen Visionen,<br />
die als versponnen und unrealistisch abgetan<br />
werden. Diejenigen allerdings, die die Möglichkeit<br />
haben, nach diesen Kriterien zu arbeiten,<br />
und die, die in dieses Konzept als Patienten<br />
und Angehörige eingebunden sind und<br />
waren, bezeichnen es als die Versorgungskultur<br />
der Zukunft. Ich spreche von dem integrierten<br />
Versorgungskonzept <strong>für</strong> Schwerstkranke<br />
am Lebensende (IVP), abgeschlossen<br />
in Fulda und Wiesbaden, <strong>für</strong> Versicherte der<br />
TK, einzelner BKKen und der Knappschaft.<br />
Die neun Elemente und ihre<br />
Ausgestaltung im Konzept<br />
1. Multidisziplinäre sektorenübergreifende<br />
Versorgungsstruktur vor Ort<br />
Ein dichtes Versorgungsnetz mit allen am Lebensende<br />
wichtigen Berufsgruppen, im Rhein-<br />
Main-Gebiet das PalliativNetz Wiesbaden-<br />
Taunus-Rheingau, in Osthessen das Palliativ-<br />
Netz Osthessen, arbeiten hier seit Jahren zusammen.<br />
Dabei ist von unschätzbarem Wert,<br />
dass die Leistungserbringer ihre Erfahrungen<br />
besonders auch in der ambulanten Versorgung<br />
gesammelt haben, damit sie die Anforderungen<br />
und Besonderheiten im häuslichen<br />
Bereich vor Ort gut einschätzen können. Gemeinsame<br />
Zielorientierung: die bestmögliche<br />
Versorgung des unheilbar Kranken am Lebensende<br />
so weit wie möglich und von ihm<br />
gewünscht in seiner gewohnten Umgebung<br />
wie auch die Unterstützung der Angehörigen.<br />
2. Interdisziplinäre Zusammenarbeit mit<br />
zentralen Steuerungselementen<br />
Steuerungsstruktur ist das Zentrum <strong>für</strong> ambulante<br />
Palliativversorgung (ZAPV), das die Abläufe<br />
organisatorisch auf allen Ebenen mit<br />
einander abstimmt. Dabei ist die Grundidee<br />
der Aufbau einer mehrschaligen Hülle, mit<br />
dem Patienten und seiner Bezugspersonen im<br />
Mittelpunkt, die die bereits vor Ort Agierenden<br />
(Hausarzt und Pflege) komplementär palliativpflegerisch,<br />
-beratend und -medizinisch unterstützt:<br />
Es entsteht aus der Kontinuität der bestehenden<br />
Versorgung ein erweitertes lokales<br />
Palliative-Care-Team mit einem umfassenden<br />
Versorgungsauftrag inklusive Ruf- und Einsatzbereitschaft<br />
zu allen Zeiten.<br />
3. Motivation zu aktiver Mitwirkung, zur Konzeptausweitung<br />
und Weiterqualifikation<br />
Das PalliativNetz unterstützt die lokalen Ressourcen<br />
und fördert damit auch eine Kultur<br />
der gelebten Kooperation mit Nachahmungseffekt.<br />
Am Patientenbeispiel werden in der<br />
engen Verzahnung mit dem Hausarzt palliativmedizinische<br />
Inhalte vermittelt, Grundlagen<br />
<strong>für</strong> eine vertiefende Zusammenarbeit wie<br />
auch Motivation zur Weiterqualifikation vermittelt.<br />
Hilfreich ist dabei auch, dass alle Maßnahmen<br />
mit einem adäquaten Honorar hinterlegt<br />
sind (siehe dort!).<br />
Damit ist es das einzige bisher realisierte<br />
bundesweite Konzept, das sowohl die allgemeinen<br />
wie auch spezialisierten Anteile der<br />
ambulanten Palliativversorgung miteinander<br />
vereint und durch die Anreize der basisnahen<br />
Zusammenarbeit zu seiner Weiterverbreitung<br />
hin zu einer flächendeckenden Palliativversorgung<br />
beiträgt!<br />
4. Berücksichtigung gewachsener<br />
Strukturen<br />
Die Einbindung der hausärztlichen Versorgungsebene<br />
unterstützt die gewachsene Patienten-Hausarzt-Beziehung,<br />
berücksichtigt<br />
die bereits gewachsenen Versorgungspfade<br />
und bindet die vor Ort agierenden Hospizstrukturen<br />
mit ein. Dies ermöglicht einen dezentralen<br />
wohnortnahen Ablauf, der auch in<br />
ländlichen Strukturen eine ausreichende Versorgungsdichte<br />
garantiert.<br />
5. Kontinuierliche patientenzentrierte<br />
Managed-Care-Versorgung<br />
Eine bestmögliche Versorgung <strong>für</strong> unheilbar<br />
Kranke am Lebensende erfordert eine Konti-<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Thomas Nolte,<br />
Wiesbaden<br />
nuität in der Betreuung, die vorausschauend<br />
und umfassend alle Bereiche erfasst. Rein<br />
interventionelle Konzepte werden den Besonderheiten<br />
gerade in der Palliativversorgung<br />
nicht gerecht, da bereits eingetretene Komplikationen<br />
und schwierige Umstände dann relativ<br />
schwierig zu Hause zu lösen sind und zu<br />
unnötigen Krankenhauseinweisungen führen,<br />
auch wenn ein kompetentes Team vor Ort ist.<br />
Case-Management ist dabei ein Prozess der<br />
konstanten Zusammenarbeit, der komplexen<br />
Strukturierung aller Abläufe und stellt die Bedürfnisse<br />
der Patienten und seiner begleitenden<br />
Angehörigen in den Mittelpunkt. Nirgendwo<br />
mehr als am Lebensende sind diese<br />
Elemente in der Versorgung notwendig und<br />
unverzichtbar!<br />
6. Regelmäßige, <strong>für</strong> alle offene Teambesprechungen,<br />
Schulungen und Fallkonferenzen<br />
Gerade in einem so sensiblen Bereich wie in<br />
der Versorgung von Schwerstkranken und<br />
Sterbenden ist absolute Transparenz nach<br />
innen wie auch außen notwendig! Hierzu gehört<br />
der ständige Austausch aller Beteiligten<br />
in fachlicher Hinsicht (etablierte Qualitätszirkel)<br />
wie auch in patientenindividueller Hinsicht<br />
durch ethisch-palliative Fallkonferenzen<br />
(Palliativkonferenz). Komplette Palliative-<br />
Care-Teams in einer Trägerschaft, zumal mit<br />
nicht tagessatzbasierten Honorarstrukturen,<br />
sind wegen mangelnder Transparenz und<br />
möglicher wirtschaftlicher Zwänge abzulehnen.<br />
7. Transparente, durch Dokumentation<br />
hinterlegte Abläufe<br />
Eine standardisierte kontinuierliche Evaluation<br />
innerhalb des Versorgungskonzeptes wie<br />
auch unter den regional verschiedenen Konzepten<br />
ist unerlässlich. Hier sollten die Ergebnisse<br />
regelmäßig erfasst und bundesweit<br />
ausgewertet werden. Grundlagen da<strong>für</strong> sind<br />
die Vorgaben der HOPE-Dokumentation durch<br />
die <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Palliativmedizin.<br />
8. Tagessatzbasiertes Globalbudget mit<br />
wirtschaftlicher Verantwortung<br />
Voraussetzung <strong>für</strong> eine hocheffiziente Versorgung<br />
ist eine Leistungserbringung, die Qualität<br />
belohnt und schlechte Versorgung sanktioniert.<br />
Alle seit den verschiedenen Gesundheitsreformen<br />
neu eingeführten Konzepte in<br />
der Gesundheitsversorgung orientieren sich<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
an diesem Prinzip. Auch die Versorgung am<br />
Lebensende macht hier keine Ausnahme!<br />
Wirtschaftliche Anreize müssen die Erfüllung<br />
der Ziele der spezialisierten Palliativversorgung<br />
(bestmögliche Versorgung zu Hause)<br />
honorieren, die Entstehung vermeidbarer Kosten<br />
durch Krankenhauseinweisungen (Nichterreichbarkeit,<br />
lange Anfahrtswege, mangelnde<br />
Qualifikation) zu Honorarkürzungen führen.<br />
Allein ein tagesbasiertes Globalbudget <strong>für</strong><br />
alle nach Einschluss des Patienten anfallenden<br />
Maßnahmen verpflichtet alle Leistungserbringer<br />
sowohl auf höchste Qualität, bestmögliche<br />
Patientenzufriedenheit wie auch auf die<br />
Wirtschaftlichkeit der Leistungserbringung<br />
zu achten. Unzureichende Versorgung global<br />
oder von einzelnen Mitwirkenden im Versorgungsnetz<br />
führt zu finanziellen Nachteilen <strong>für</strong><br />
das gesamte Versorgungsnetz! Dies sind an<br />
sich allgemein akzeptierte Elemente moderner<br />
Versorgungsstrukturen, in Deutschland<br />
bisher in dieser Form aber absolut neu und<br />
hier als (noch!) revolutionär einzustufen! Auch<br />
<strong>für</strong> die Krankenkassen besteht mit Einschluss<br />
des Patienten in das Versorgungsnetz völlige<br />
Kostentransparenz!<br />
9. Wissenschaftlich verwertbare<br />
Versorgungsdaten<br />
Gerade die Intransparenz der sektoralisierten<br />
Versorgungslandschaft mit ihren unterschiedlichen<br />
Budgets hat bis heute neue Konzepte<br />
deshalb vereitelt, weil aus der Regelversorgung<br />
keine Vergleichsdaten vorliegen und<br />
auch nicht extrahiert werden können.<br />
Ein weiteres wesentliches Merkmal intelligenter<br />
Versorgungskonzepte ist deshalb<br />
neben einer optimalen und gleichzeitig wirtschaftlichen<br />
Versorgung der Erwerb von<br />
ökonomischen Daten <strong>für</strong> die Versorgungsforschung.<br />
Erst durch die komplette Budgetverantwortung<br />
mit einer zentralen Erfassung aller<br />
Versorgungsdaten und -kosten besteht die<br />
Möglichkeit, die Kosten nach den Leistungserbringern<br />
(Ärzte, Pflege, Palliative-Care),<br />
Medikamenten, Heil- und Hilfsmitteln bis hin<br />
zu den stationären Kosten (Palliativstation,<br />
stationäres Hospiz) aufzuschlüsseln. Aus der<br />
Analyse lassen sich weitere Schritte <strong>für</strong> die<br />
Zukunft der allgemeinen und spezialisierten<br />
ambulanten Palliativversorgung ableiten.<br />
Ausgezeichnete Ergebnisse<br />
Nach über einem Jahr der Realisation des<br />
Konzeptes in der Praxis liegen die ersten Versorgungsdaten<br />
vor. Insgesamt sind in Fulda<br />
und Wiesbaden 50 Patienten in das palliative<br />
Versorgungsnetz eingeschlossen worden. Davon<br />
sind bis Mitte Juli 46 verstorben, vier wer-<br />
Bildarchiv Nolte<br />
Palliativmedizin<br />
den aktuell in beiden Netzen versorgt. 46 Patienten<br />
haben eine Karzinomdiagnose, drei<br />
starben an amyotropher Lateralsklerose, ein<br />
Patient an einer internistischen Erkrankung.<br />
Die mittlere Behandlungsdauer der verstorbenen<br />
Patienten betrug an beiden Orten 30<br />
Tage. Alle eingeschlossenen Patienten wollten<br />
oder wollen zu Hause sterben, kein Patient<br />
hat sich einen anderen Sterbeort gewünscht.<br />
In Fulda sind von 15 verstorbenen<br />
Patienten 14 zu Hause verstorben, ein Patient<br />
im stationären Hospiz. Die Situation in Wiesbaden<br />
ist vergleichbar, 29 zu Hause, zwei<br />
Patienten im Hospiz. Diese Zahlen belegen,<br />
dass das gesteckte Ziel, bestmögliche Versorgung<br />
des unheilbar Kranken, bei mehr als<br />
90% der versorgten unheilbar Kranken erreicht<br />
wird, vermutlich besser als in anderen<br />
bisher bekannten Palliativprojekten! Mit großer<br />
Sicherheit wird auch die von uns nach<br />
drei Monaten regelhaft erhobene Befragung<br />
der Angehörigen ebenfalls eine große Zufriedenheit<br />
bei den Hinterbliebenen bestätigen.<br />
Zusammenfassung<br />
Wie kein anderes vom Gesetzgeber vorgegebenes<br />
bundesweites Projekt bietet das GKV-<br />
WSG mit dem § 32 b die Chance, völlig neue<br />
Wege in der Palliativversorgung zu gehen.<br />
Das integrierte Versorgungskonzept IVP ist<br />
hier<strong>für</strong> ein Beispiel und eröffnet <strong>für</strong> alle qualifizierten<br />
palliativen Versorgungsnetze die<br />
Möglichkeit, unabhängig von den Ausgangsstrukturen<br />
unter bundesweit vergleichbaren<br />
Bedingungen eine flächendeckende allgemeine<br />
und spezialisierte ambulante Palliativversorgung<br />
nach den regionalen Besonderheiten<br />
aufzubauen. ❏<br />
Thomas Nolte, Wiesbaden<br />
Palliativversorgung verlangt Teamgeist.<br />
21
Medizin und Recht<br />
Wie wird das Vertragsarztrechtsänderungs-<br />
gesetz auf Bundesebene umgesetzt?<br />
Zum 01.07.2007 ist der neue Bundesmantelvertrag <strong>für</strong> Ärzte (BMV-Ä)<br />
und der Ersatzkassenvertrag <strong>für</strong> Ärzte (EKV-Ä) in Kraft getreten. Nachdem<br />
die Neuerungen des zum 01.01.2007 in Kraft getretenen Vertragsarztrechts-<br />
änderungsgesetzes (VÄndG) bereits in Heft 1/07 (S. 20f.) dargestellt<br />
wurden, erläutert Rechtsanwältin Heike Müller, Sindelfingen, die wichtigsten<br />
bundesmantelvertraglichen Änderungen zur Umsetzung des VÄndG.<br />
Ausweitung des Leistungsspektrums<br />
durch Anstellung von Ärzten<br />
Durch das VÄndG besteht seit dem 01.01.2007<br />
– unter Berücksichtigung der Bedarfsplanung<br />
– auch die Möglichkeit, fachfremde Ärzte anzustellen<br />
und damit das Leistungsspektrum<br />
der Praxis zu erweitern. Während früher<br />
Leistungen, <strong>für</strong> die besondere Qualifikationsanforderungen<br />
(vgl. die Qualitätssicherungsvereinbarung<br />
<strong>Schmerztherapie</strong>) nachgewiesen<br />
werden mussten, in der vertragsärztlichen<br />
Versorgung nur dann ausgeführt und abgerechnet<br />
werden durften, wenn der Praxisinhaber<br />
und zugelassene Arzt diese Anforderungen<br />
erfüllte, genügt es jetzt nach dem<br />
neuen § 11 BMV-Ä auch, wenn nur der in einer<br />
Vertragsarztpraxis oder einem Medizinischen<br />
Versorgungszentrum angestellte Arzt<br />
diese Voraussetzungen erfüllt. Bestimmte apparative<br />
oder räumliche Kriterien sind allerdings<br />
nach wie vor betriebsstättenbezogen zu<br />
erfüllen. In diesen Fällen wird die erforderliche<br />
Genehmigung zur Erbringung der speziellen<br />
Leistungen dem jeweiligen Arbeitgeber,<br />
d.h. dem Ver-<br />
22<br />
tragsarzt oder dem Medizinischen Versorgungszentrum<br />
mit der Maßgabe erteilt, dass<br />
diese Leistungen nur durch die entsprechend<br />
qualifizierten angestellten Ärzte erbracht werden<br />
dürfen. Wechselt der angestellte Vertragsarzt<br />
innerhalb des Bezirks einer KV den<br />
Arbeitgeber, kann dieser vereinfacht eine Abrechnungsgenehmigung<br />
unter Bezugnahme<br />
auf die zuletzt erteilte erhalten. Darüber hinaus<br />
ist durch die Anstellung von Vertragsärzten<br />
auch die gleichzeitige Teilnahme an<br />
der hausärztlichen und der fachärztlichen<br />
Versorgung zulässig, § 14a Abs. 2 BMV-Ä.<br />
Steuerlich ist die Anstellung eines fachfremden<br />
Kollegen jedoch riskant, da die<br />
Gefahr besteht, dass die Finanzämter die<br />
Praxiseinkünfte als gewerbesteuerpflichtig<br />
einstufen. Insoweit ist dringend die Beratung<br />
durch einen Steuerberater zu empfehlen.<br />
Persönliche Leitung der Vertragsarztpraxis<br />
Für den Fall der Anstellung von Ärzten muss<br />
der Vertragsarzt sicherstellen, dass die persönliche<br />
Leitung der Praxis durch ihn nach<br />
wie vor gewährleistet ist. Unter dem Begriff<br />
der „Persönlichen Leitung der Vertragsarztpraxis“<br />
versteht der BMV-Ä die Voraussetzungen,<br />
nach denen bei in der Praxis angestellten<br />
Ärzten im Hinblick auf deren Zahl,<br />
Tätigkeitsumfang und Tätigkeitsinhalt sichergestellt<br />
ist, dass der Praxisinhaber<br />
den Versorgungsauftrag im notwendigen<br />
Umfang auch persönlich erfüllt<br />
und da<strong>für</strong> die Verantwortung übernehmen<br />
kann. Diese persönliche<br />
Leitung ist nach der Neuregelung<br />
in § 14a BMV-Ä dann anzunehmen,<br />
wenn je Vertragsarzt nicht<br />
mehr als drei vollzeitbeschäftigte<br />
oder teilzeitbeschäftigte Ärzte in<br />
einem höchstens drei vollzeitbeschäftigten<br />
Ärzten entsprechenden<br />
Umfang angestellt sind.<br />
Bei Ärzten, die überwiegend medi-<br />
zinisch-technische Leistungen erbringen, wird<br />
die persönliche Leitung auch bei der Beschäftigung<br />
von bis zu vier vollzeitbeschäftigten<br />
Ärzten vermutet. Bei Vertragsärzten mit einer<br />
Teilzulassung vermindert sich die Zahl der<br />
zulässigen Anstellungen auf einen Vollzeit-<br />
oder zwei teilzeitbeschäftigte Ärzte. Weiterbildungsassistenten<br />
werden hierbei nicht mitgerechnet.<br />
Ausnahmen von dieser Begrenzung<br />
sind möglich, wenn gegenüber dem Zulassungsausschuss<br />
besondere Vorkehrungen <strong>für</strong><br />
die persönliche Leitung der Praxis nachgewiesen<br />
werden können. Einschränkungen<br />
bestehen darüber hinaus bei Fachärzten, die<br />
lediglich auf Überweisung tätig werden dürfen<br />
(z. B. Radiologen, Pathologen, Laborärzte).<br />
Vertragsärztliche Tätigkeit an<br />
weiteren Orten<br />
Der neue BMV-Ä unterscheidet nun zwischen<br />
Betriebsstätte und Nebenbetriebsstätte(n).<br />
Betriebsstätte des Vertragsarztes oder des<br />
Medizinischen Versorgungszentrums ist der<br />
Vertragsarztsitz. Betriebsstätte einer Berufsausübungsgemeinschaft<br />
sind die örtlich übereinstimmenden<br />
Vertragsarztsitze der Mitglieder,<br />
bei örtlich unterschiedlichen Vertragsarztsitzen<br />
der Mitglieder ist Betriebsstätte der<br />
zu wählende Hauptsitz. Nebenbetriebsstätte(n)<br />
sind in Bezug auf die Betriebsstätten zulässige<br />
weitere Tätigkeitsorte, an denen der Vertragsarzt,<br />
der angestellte Arzt, die Berufsausübungsgemeinschaft<br />
oder das Medizinische<br />
Versorgungszentrum neben ihrem Hauptsitz<br />
an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmen.<br />
Für die Nebenbetriebsstätte(n) ist eine<br />
Genehmigung durch die Kassenärztliche Vereinigung<br />
einzuholen.<br />
Speziell bei schmerztherapeutisch tätigen<br />
Vertragsärzten ist zu berücksichtigen, dass<br />
lediglich die Erbringung „typisch“ anästhesiologischer<br />
Leistungen an Nebenbetriebsstätten<br />
gemäß § 15a Abs. 2 BMV-Ä insoweit privilegiert<br />
ist, als die Genehmigung bereits dann<br />
zu erteilen ist, wenn die Versorgung durch<br />
die Anzahl der Nebenbetriebsstätten nicht<br />
gefährdet ist. Bei schmerztherapeutischen<br />
Leistungen bleibt es indes bei der Voraussetzung<br />
des § 24 Abs. 3 Ärzte-ZV, wonach durch<br />
die Nebenbetriebsstätte die Versorgung der<br />
Versicherten an den weiteren Orten verbessert<br />
werden muss und die ordnungsgemäße<br />
Versorgung am Ort des Vertragsarztsitzes<br />
nicht beeinträchtigt werden darf.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Heike Müller,<br />
Sindelfingen<br />
Bei Berufsausübungsgemeinschaften mit unterschiedlichen<br />
Vertragsarztsitzen können die<br />
Mitglieder gemäß § 15a Abs. 4 BMV-Ä auch<br />
wechselseitig an diesen Sitzen tätig werden,<br />
wenn insoweit ihre Präsenzpflicht gewährleistet<br />
ist und die Tätigkeit am jeweils anderen<br />
Vertragsarztsitz nur in begrenztem Umfang<br />
ausgeübt wird. In diesem Fall bedarf eine solche<br />
„Nebenbetriebsstätte“ der Mitglieder der<br />
Berufsausübungsgemeinschaft keiner Genehmigung<br />
durch die KV. Schließlich ist es<br />
auch erlaubt, einen angestellten Arzt allein<br />
zur Durchführung von Behandlungen an der<br />
Nebenbetriebsstätte einer Praxis/eines Medizinischen<br />
Versorgungszentrums anzustellen,<br />
§ 15a Abs. 6 BMV-Ä.<br />
Ausgelagerte Praxisräume, d.h. die Erbringung<br />
spezieller Untersuchungs- und Behandlungsleistungen<br />
an weiteren Orten in räumlicher<br />
Nähe zum Vertragsarztsitz sind nach<br />
wie vor lediglich anzeigepflichtig.<br />
Teilberufsausübungsgemeinschaften<br />
Grundsätzlich kann sich die gemeinsame Berufsausübung<br />
von Vertragsärzten nach dem<br />
VÄndG auch auf die Erbringung einzelner<br />
Leistungen beschränken. Eine solche Teilberufsausübungsgemeinschaft<br />
ist allerdings nur<br />
dann zulässig, wenn das zeitlich begrenzte<br />
Zusammenwirken der Ärzte erforderlich ist,<br />
um Patienten zu versorgen, die einer gemeinschaftlichen<br />
Versorgung der der Gemeinschaft<br />
angehörenden Ärzte bedürfen, § 15a Abs. 5<br />
BMV-Ä. Hiermit soll einer Umgehung des berufsrechtlichen<br />
Verbots der „Zuweisung gegen<br />
Entgelt“ entgegengewirkt werden. Zu beachten<br />
sind insoweit ferner weitergehende berufsrechtliche<br />
Regelungen. So sind Teilberufsausübungsgemeinschaften<br />
z.B. im Bereich<br />
der Ärztekammer Hamburg nur dann zulässig,<br />
wenn die Mitglieder am Gewinn der Gemeinschaft<br />
nur in dem ihrer persönlichen<br />
Leistung entsprechenden Anteil beteiligt sind,<br />
§ 18 Abs. 1a BO.<br />
Präsenzpflicht<br />
Während sich das Bundessozialgericht in seiner<br />
ständigen Rechtsprechung zur zulässigen<br />
Höchstdauer einer Nebenbeschäftigung noch<br />
scheute, eine Mindestdauer der vertragsärztlichen<br />
Tätigkeit bzw. eine Mindestzahl von<br />
Sprechstunden festzulegen, wurde nun in<br />
§ 17 BMV-Ä festgelegt, dass der Vertragsarzt<br />
verpflichtet ist, an seinem Vertragsarztsitz<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
mindestens 20 Stunden wöchentlich in Form<br />
von Sprechstunden zur Verfügung zu stehen.<br />
Für einen Vertragsarzt mit hälftigem Versorgungsauftrag<br />
besteht eine entsprechende<br />
Verpflichtung von 10 h/Woche. In den Fällen,<br />
in denen der Vertragsarzt seine Tätigkeit an<br />
weiteren Orten außerhalb seines Vertragsarztsitzes<br />
ausübt, gilt, dass die Tätigkeit am<br />
Vertragsarztsitz alle Tätigkeiten außerhalb<br />
des Vertragsarztsitzes zeitlich insgesamt<br />
überwiegen muss. Ein bestimmtes zeitliches<br />
Verhältnis ist hierzu jedoch nicht angegeben.<br />
Die Bestimmungen gelten nicht <strong>für</strong> Anästhesisten<br />
und Belegärzte, eine Einschränkung,<br />
die jedoch nicht <strong>für</strong> ausschließlich schmerztherapeutisch<br />
tätige Anästhesisten gelten<br />
dürfte, auch wenn dies so nicht explizit geregelt<br />
ist.<br />
Abrechnungsvorschriften<br />
Die Abrechnungen der vertragsärztlichen<br />
Leistungen sind ab dem 01.01.2008 unter Angabe<br />
der Arztnummer sowie aufgeschlüsselt<br />
nach Betriebsstätten und Nebenbetriebsstätten<br />
zu kennzeichnen, § 44 Abs. 6 BMV-Ä. Für<br />
Einzelpraxen ohne angestellte Ärzte und<br />
Ärzte einer versorgungsbereichs- und fachgruppengleichenBerufsausübungsgemeinschaft,<br />
die nur an einer Betriebsstätte tätig<br />
sind, kann eine Freistellung durch die KV erteilt<br />
werden. Durch diese neuen Abrechnungsvorgaben<br />
können die KVen überprüfen, ob die<br />
jeweiligen Fachgebietsgrenzen oder<br />
Qualitätsanforderungen eingehalten<br />
werden. Darüber hinaus<br />
kann der Umfang der<br />
ärztlichen Tätigkeit genau<br />
überprüft werden. Der<br />
bisherigen Praxis der<br />
KVen, bei der Plausibili-<br />
Medizin und Recht<br />
tätsprüfung die Zeitprofile zu saldieren, sodass<br />
ein Mitglied einer Berufsausübungsgemeinschaft,<br />
das die zulässigen Zeiten überschritt,<br />
durch das Unterschreiten eines anderen<br />
Mitglieds profitieren konnte, wurde damit<br />
eine Absage erteilt. Über die Angabe der Betriebsstätten-<br />
und Nebenbetriebsstättennummern<br />
kann die jeweilige KV genau nachvollziehen,<br />
welche Leistungen an welchen Orten<br />
erbracht worden sind. Bei der Wirtschaftlichkeitsprüfung<br />
ist hierzu vorgesehen, dass die<br />
Behandlungs- und Verordnungsweise eines<br />
Arztes nicht bezogen auf die jeweilige Betriebsstätte,<br />
sondern das gesamte Spektrum<br />
bewertet wird, § 47 BMV-Ä.<br />
Ausblick<br />
Auch wenn der neue Bundesmantelvertrag<br />
etwas „Licht in das Dunkel“ des VÄndG gebracht<br />
hat, sind zahlreiche Fragen noch offengeblieben<br />
und werden leider erst aus der Erfahrung<br />
der täglichen Praxis oder durch Inanspruchnahme<br />
der Gerichte geklärt werden<br />
können. Trotz der durch das VÄndG eröffneten<br />
Chancen des erweiterten Wettbewerbs ist es<br />
<strong>für</strong> den Arzt leider erneut unabdingbar, sich<br />
durch das „Dickicht“ von mitunter erst auf den<br />
zweiten Blick verständlichen gesetzlichen Regelungen<br />
zu arbeiten. Die Frage, ob und inwieweit<br />
die Anstellung von Ärzten erweiterte<br />
Budgets nach sich ziehen wird, ist den Regelungen<br />
der jeweiligen HVVs vorbehalten, die<br />
derzeit in Arbeit sind. Bedauerlich ist zudem,<br />
dass nach wie vor ein Umsetzungsdefizit<br />
bei den Bedarfsplanungsrichtlinien<br />
<strong>für</strong> Ärzte, die seit dem<br />
01.04.2007 auch die ehemaligenAngestellte-Ärzte-Richtlinien<br />
umfassen, festzustellen<br />
ist. ❏<br />
Heike Müller, Sindelfingen<br />
23
Schmerz im Krankenhaus<br />
Funktion des Akutschmerzdienstes<br />
Ein Akutschmerzdienst ist <strong>für</strong> die Qualität der postoperativen Patienten-<br />
betreuung ein wichtiges Instrument, um perioperative Schmerzen effektiv<br />
zu behandeln. Wie dieser Dienst aussehen sollte, und welches Stufen-<br />
konzept <strong>für</strong> perioperative Schmerzen sinnvoll ist, schildert Dr. med. Thomas<br />
Cegla, DGS-Leiter Wuppertal.<br />
J eder<br />
zweite Patient, der sich einem operativen<br />
Eingriff unterziehen muss, hat<br />
Angst, Schmerzen zu erleiden. Dies unterstreicht<br />
die Bedeutung, perioperative<br />
schmerztherapeutische Konzepte anzubieten<br />
und darzustellen. Bei der Auswahl der Klinik<br />
<strong>für</strong> eine elektive Operation wird und soll sich<br />
der mündige Patient nicht nur über das Operationsverfahren,<br />
sondern auch über die perioperative<br />
Betreuung informieren. Dieses<br />
Informationsangebot kann durch Eigendarstellung<br />
der Kliniken über die Internetseiten<br />
der Krankenhäuser erfolgen. Unterschiedlichste<br />
Zertifizierungsmaßnahmen können in<br />
Zukunft eine weitere Orientierungsmöglichkeit<br />
zur Einschätzung der schmerztherapeutischen<br />
Qualität einer Klinik bieten. Im Rahmen<br />
solcher Zertifizierungen, wie sie auch<br />
von der DGS angeboten werden, findet die<br />
externe Überprüfung der schmerztherapeutischen<br />
Strukturen eines Krankenhauses<br />
statt. Wichtig ist, die Qualität der <strong>Schmerztherapie</strong><br />
zu zertifizieren und nicht eine<br />
Schmerzfreiheit zu attestieren. Der plakative,<br />
sehr öffentlichkeitswirksame Begriff<br />
„Schmerzfreies Krankenhaus“ ruft bei vielen<br />
Patienten eine falsche und unrealistische Erwartungshaltung<br />
hervor.<br />
24<br />
Akutschmerzdienste bislang nur<br />
bei 36%<br />
Ein Hilfsmittel zur Entscheidung, ob an einem<br />
Krankenhaus <strong>Schmerztherapie</strong> eine besondere<br />
Bedeutung hat, ist die Organisation<br />
eines Akutschmerzdienstes. Ca. 70% aller<br />
Universitätskliniken geben an, einen<br />
Akutschmerzdienst zu haben. Bei der Zusammenfassung<br />
aller Kliniken sind es 36%. Dabei<br />
bestehen besondere organisatorische<br />
Schwierigkeiten, abhängig von der Größe des<br />
Krankenhauses oder der Klinik. Bei kleinen<br />
Häusern ist die Personalkapazität häufig gering,<br />
an größeren Kliniken bestehen viele,<br />
häufig lokal voneinander getrennte, zu versorgende<br />
Teilbereiche.<br />
DRG-Code nutzen<br />
Die Leistungen des Akutschmerzdienstes<br />
sind im DRG-Katalog unter der Akutschmerzbehandlung<br />
in Kap. 8 des OPS beschrieben.<br />
Dieser Code umfasst die Einleitung, Durchführung<br />
und Überwachung einer speziellen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> oder Symptomkontrolle bei<br />
Patienten mit schweren akuten Schmerzzuständen,<br />
z. B. nach Operation, Unfällen und<br />
schweren exazerbierten Tumorschmerzen, ist<br />
jedoch nicht direkt am Operationstag anwend-<br />
Abbildung 1: Stufenkonzept <strong>für</strong> den Akutschmerzdienst zur Therapie postoperativer<br />
oder tumorbedingter Schmerzen.<br />
Schmerzproblem<br />
Postoperative oder tumorbedingte Schmerzen<br />
Station<br />
Schmerzdienst − Stufe 1<br />
Schmerzspezialist des eigenen Fachbereichs<br />
Schmerzdienst − Stufe 2<br />
Thomas Cegla,<br />
Wuppertal<br />
bar. Er erfordert des Weiteren kontinuierliche<br />
Regionalanästhesieverfahren oder eine patientenkontrollierte<br />
Analgesie. Zweimalige Visiten<br />
durch den Akutschmerzdienst sind<br />
durchzuführen und mindestens drei Aspekte<br />
der Effektivität der Therapie sind zu dokumentieren.<br />
Die Visite kann vom speziell ausgebildeten<br />
Pflegepersonal oder vom ärztlichen<br />
Personal durchgeführt werden.<br />
Macht es Sinn, eine zur Zeit nicht finanziell<br />
sondervergütete Leistung zu erbringen und<br />
zu dokumentieren? Die Leistungsdarstellung<br />
eines erhöhten schmerztherapeutischen Aufwandes<br />
kann bei internen Vergleichen von<br />
Instituten und Kliniken Berücksichtigung finden.<br />
Ein externer Vergleich mit Konkurrenzhäusern<br />
wird möglich. Den Kostenträgern<br />
werden in der Zukunft Daten zur Verfügung<br />
stehen, auch diesen Teilbereich als Teil der<br />
gesamten perioperativen Betreuung des Patienten<br />
zu beurteilen. Hier<strong>für</strong> ist jedoch eine<br />
Kodierung erforderlich.<br />
Weniger Komplikationen<br />
Dass Schmerzen eine beschleunigte Rekonvaleszenz<br />
behindern, ist allgemein erkannt.<br />
Aus diesem Grund werden perioperative Absprachen<br />
zur <strong>Schmerztherapie</strong> und der Einsatz<br />
patientenkontrollierter Analgesie und<br />
insbesondere von regionalanästhesiologischen<br />
Verfahren immer wieder gefordert.<br />
Nur so kann der Patient durch frühe Mobilisation<br />
während eines möglichst kurzfristigen<br />
Krankenhausaufenthalts bei guter Patientenzufriedenheit<br />
und gutem Outcome betreut<br />
werden. Bei einer qualitativ hochwertigen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> sind die pulmonalen und<br />
kardiovaskulären Komplikationen geringer.<br />
Dabei reicht die Einrichtung eines Schmerzdienstes<br />
allein nicht aus. Standardisierte<br />
Verfahrensprotokolle und schmerztherapeutische<br />
Algorithmen sind notwendig. Schmerztherapeutische<br />
Aufgaben können von speziell<br />
ausgebildeten Pflegekräften (algesiologische<br />
Fachassistenten) übernommen werden. Für<br />
die Überwachung und Dokumentation, aber<br />
auch <strong>für</strong> die Therapie sind hier verbindliche<br />
Leitlinien und Algorithmen mit genauen Dosis-<br />
angaben und Zeitintervallen notwendig. Eine<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Opiatgabe kann nach diesen Vorgaben auch<br />
vom Pflegepersonal intramuskulär oder per<br />
Kurzinfusion vorgenommen werden. Wenn<br />
möglich sollte neben der pflegerischen auch<br />
eine ärztliche Visite stattfinden. Dies hängt jedoch<br />
von den organisatorischen Möglichkeiten<br />
ab. Wichtig ist die fachgruppenübergreifende<br />
Kommunikation und die regelmäßige Überprüfung<br />
der festgelegten schmerztherapeutischen<br />
Konzepte.<br />
24-Stunden-Konzepte nötig<br />
Abhängig von der Struktur und Größe einer<br />
Klinik kann die Organisation eines fachübergreifenden<br />
Akutschmerzdienstes über 24 h<br />
schwierig sein. Aus diesem Grund sollten einzelne<br />
Kliniken und Abteilungen über den Pflegedienst<br />
und zumindest einen schmerztherapeutisch<br />
weitergebildeten Facharzt einen eigenen<br />
Schmerzdienst als Teilbereich des<br />
fachübergreifenden Schmerzdienstes organisieren<br />
(Abb. 1).<br />
Werden patientenkontrollierte Analgesieverfahren<br />
durch den Fachbereichsschmerzdienst<br />
angewandt, kann auch hier der Code <strong>für</strong><br />
die spezielle Akutschmerztherapie eingesetzt<br />
werden. Führen die perioperativen Konzepte<br />
bei einem Patienten nicht zu einer deutlichen<br />
Schmerzreduktion, ist erst dann der übergeordnete<br />
Akutschmerzdienst zu informieren.<br />
Algorithmen können abhängig vom operativen<br />
Eingriff, aber auch von der Schmerzstärke<br />
erstellt werden.<br />
Algorithmen müssen sich aber auch an der<br />
Schmerzstärke orientieren. Starke Schmer-<br />
Infotelegramm<br />
Bilateraler ilioinguinaler Nervenblock<br />
nach Hysterektomie<br />
Der Einsatz des bilateralen ilioinguinalen Nervenblocks<br />
nach Hysterektomie halbierte den Morphingebrauch<br />
in den folgenden zwei postoperativen<br />
Tagen (21 versus 41 mg, p < 0,0001),<br />
zeigte eine prospektive randomisierte Doppelblindstudie<br />
an 70 Patienten (Anesth. Analg.<br />
2007;104:731–734).<br />
Dupuytren-Kontraktur<br />
Die typische Dupuytren-Kontraktur, eine fibroproliferative<br />
Erkrankung der Palmarfaszie, tritt<br />
vor allem bei Patienten mit Diabetes, positiver<br />
Familienanamnese, Alkoholmissbrauch und bei<br />
beruflicher Exposition zu Vibrationsmaschinen<br />
auf, erklärt Calif and Stahl anhand der Kasuistik<br />
eines 57-jährigen Mannes, der mit einer bilateralen<br />
partiellen Fasziektomie erfolgreich behandelt<br />
wurde (New Engl. J.Med. März 2007).<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Tabelle 1: Auf den Eingriff bezogen<br />
zen können auch nach kleineren Eingriffen<br />
auftreten und bedürfen dann einer speziellen<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> unter Einsatz potenter<br />
Schmerzmittel. Dies sind auch Opiate der<br />
Stufe III.<br />
Eine patientenkontrollierte Analgesie über<br />
Injektionspumpen, intravenös oder über regionalanästhesiologische<br />
Katheter ist als<br />
Goldstandard zu bevorzugen. Ist dies nicht<br />
möglich, kann alternativ eine orale patientenkontrollierte<br />
Analgesie durchgeführt werden.<br />
Hierzu bietet sich z.B. ein Kombination aus<br />
Oxycodon, abhängig vom Körpergewicht und<br />
von der Eingriffsart 10–20 mg zweimal tägl.<br />
gegeben, und der Zusatz von Hydromorphon<br />
1,3 mg bei Bedarf an.<br />
Um den Charakter einer patientenkontrollierten<br />
Analgesie zu gewährleisten, sollte der<br />
Patient das Hydromorphon griffbereit haben<br />
und es ohne Zeitverzögerung einnehmen können.<br />
Erst nach Einnahme meldet sich der Patient,<br />
sodass dokumentiert werden kann und<br />
Schmerz im Krankenhaus<br />
■ Kleinere Eingriffe = Medikamente der WHO-Stufe I<br />
■ Mittlerer Eingriff = Opiat der Stufe II zusätzlich kombiniert;<br />
feste Zeitregelung der Einnahme,<br />
evtl. auch schon patientenkontrollierte<br />
Analgesieverfahren<br />
■ Größerer Eingriff = Verwendung von regionalanästhesiologischen<br />
Maßnahmen, patientenkontrollierte<br />
Analgesieverfahren<br />
Kognitive Verhaltenstherapie statt<br />
Bandscheibenoperation?<br />
In einer systematischen Übersicht über die randomisierten<br />
Studien, die Bandscheibenfusionen<br />
im Vergleich zu nicht operativen Verfahren untersuchte,<br />
zeigte sich, dass der Nutzen der Bandscheibenoperationen<br />
zwar besser war als eine<br />
unkontrollierte allgemeine Therapie, aber sie war<br />
gleichwertig mit der kognitiven Verhaltenstherapie<br />
(Spine 2007;32: 816–823).<br />
Rückenschmerzen genetisch determiniert<br />
In einer großen Zwillingspaarstudie an 147 monozygoten<br />
Zwillingspaaren und 153 dizygoten<br />
Zwillingspaaren (600 Teilnehmer) konnte die kanadische<br />
Arbeitsgruppe von M.C. Battie nachweisen,<br />
dass die Diskusdegeneration einer der Wege<br />
ist, über die sich die genetische Komponente von<br />
Kreuzschmerzen bemerkbar macht (Pain 2007,<br />
Epub ahead of print).<br />
er die nächste Dosis bereit gestellt bekommt.<br />
Die Änderungen im Gesundheitswesen<br />
machen auch vor den Krankenhäusern nicht<br />
halt. Gerade das pauschalierte fallbezogene<br />
Abrechnungssystem hat vielfach zu organisatorischen<br />
Änderungen geführt. Die ökonomische<br />
Leistungsfähigkeit von Abteilungen<br />
wird transparenter. Eine interne Darstellung<br />
und Erfassung schmerztherapeutischer Leistungen<br />
und eines schmerztherapeutischen<br />
Personalaufwandes ist umso wichtiger. ❏<br />
Thomas Cegla, Wuppertal<br />
Oberflächen-EMG zur Schmerz- und<br />
Therapiediagnose<br />
Chronische Nackenschmerzen ohne zervikale Radikulopathie<br />
lassen sich mit einem oberflächlichen<br />
Elektromyogramm durch ein signifikant<br />
größeres Spitzen-EMG von gesunden Probanden<br />
unterscheiden, ergab eine Studie von S. Kumar<br />
et al. an 34 Patienten im Vergleich zu 66 gesunden<br />
Probanden (Spine 2007;32:246–253).<br />
Mit elektrischer Nervenstimulation<br />
gegen muskuloskelettale Schmerzen<br />
Nach einer Metaanalyse von M. Johnson,<br />
in der insgesamt 335 Placebo-, 474 Elektrische-<br />
Nervenstimulation (EN)- und 418 Crossover-Patienten<br />
ausgewertet wurden, ergab, dass die elektrische<br />
Nervenstimulation eine effektive Behandlung<br />
<strong>für</strong> chronischen muskuloskelettalen Schmerz<br />
darstellt (Pain 2007, Epub ahead of print).<br />
25
Bücherecke<br />
Opiatabhängigkeit – eine Pflichtlektüre!<br />
�� In den letzten Jahren sind Opioide auch zur Behandlung von<br />
Nicht-Tumor-Schmerzen zunehmend in den Mittelpunkt moderner<br />
<strong>Schmerztherapie</strong> gerückt. Das Stigma vom „Morphin als letztem Mittel“<br />
wurde abgelöst von einer rationalen Denkweise, die retardierten Opioiden<br />
in oraler oder transdermaler Galenik gerade aufgrund ihrer fehlenden<br />
spezifischen Organtoxizität einen festen Stellenwert einräumt.<br />
Nicht zuletzt der „Vioxx-Skandal“ und die in dessen Folge gemachten<br />
retrospektiven und prospektiven Untersuchungen über renale und kardiovaskuläre<br />
Nebenwirkungen haben dazu wesentlich beigetragen,<br />
konnten sie doch eindrucksvoll zeigen, dass weder die traditionellen<br />
nicht steroidalen Antirheumatika (tNSAR) noch die selektiveren Cox-<br />
2-Hemmer (Coxibe) <strong>für</strong> eine Langzeittherapie geeignet sind.<br />
Rationale Therapie mit Opioiden darf aber nicht zu „Opioideuphorie“,<br />
d. h. zu einem unkritischen Einsatz dieser potenten Analgetika<br />
mit dem Potenzial zentraler Nebenwirkungen führen. Nicht jeder<br />
Schmerz ist opioidsensitiv, nicht jeder Patient ist <strong>für</strong> eine Therapie<br />
mit Opioiden geeignet. Wer die segensreichen Wirkungen dieser Substanzgruppe nutzen will,<br />
sollte daher auch deren Grenzen kennen bzw. wissen, wie mit dem Problem einer vorbestehenden<br />
oder iatrogenen Opioidabhängigkeit umzugehen ist.<br />
In diesem Zusammenhang ist das soeben in zweiter Auflage erschienene Buch „Opiatabhängigkeit“<br />
ein exzellenter Ratgeber. Das Werk bietet einen fundierten, gleichermaßen<br />
aktuellen wie praxisrelevanten Überblick zu den pharmakologischen, medizinischen, psychotherapeutischen<br />
und nicht zuletzt juristischen Aspekten dieses Krankheitsbildes.<br />
Die zweite Auflage wurde sinnvoll erweitert durch neue Beiträge zu relevanten chirurgischen,<br />
dermatologischen und gynäkologischen Essentials im Rahmen einer Opiatabhängigkeit<br />
sowie ein Kapitel zur <strong>Schmerztherapie</strong>.<br />
Relevant <strong>für</strong> die tägliche Praxis sind auch die Ergänzungen zur Begutachtung hinsichtlich<br />
Suchtgefährdung und Suchtkrankheit, zur Fahrtauglichkeit, zur psychosozialen Betreuung und<br />
– ein mit vielen Vorurteilen besetztes Thema – zur Substitutionsbehandlung mit Heroin.<br />
Fazit: Eine praxisrelevante Pflichtlektüre <strong>für</strong> jeden schmerztherapeutisch Tätigen, ein sehr<br />
gutes Nachschlagewerk <strong>für</strong> alle, die Opioide einsetzen, und/oder alle diejenigen, <strong>für</strong> die der<br />
Umgang mit Abhängigen zur täglichen Arbeit gehört. Dr. Uwe Junker<br />
Eckhard Beubler, Hans Haltmayer, Alfred Springer (Herausgeber):Opiatabhängigkeit. Zweite, überarbeitete<br />
und erweiterte Auflage, 2007. XIV, 340 Seiten. 33 Abbildungen. Broschiert. Eur 49,90, Springer<br />
Verlag, Heidelberg, New York. ISBN 978-3-211-29116-0<br />
Einstieg und/oder Repetitorium<br />
�� Das Buch vermittelt die wesentlichen Informationen praxisnah,<br />
die man vor Beginn einer medikamentösen Therapie braucht, um ein<br />
effektives Konzept zu erarbeiten. Einleitend werden die gängigen<br />
Definitionen und die Abgrenzungen von akutem und chronischen<br />
Schmerz dargestellt, bevor der wichtigen Frage nachgegangen wird,<br />
wie der Hausarzt Chronifizierungsprozesse frühzeitig erkennen<br />
kann. Ebenso prägnant wie didaktisch gelungen ist die Beschreibung<br />
von Schmerzwahrnehmung und der unterschiedlichen Schmerztypen<br />
wie Nozizeptor- und neuropathischem Schmerz mit einer sinnvollen<br />
Abgrenzung der chronischen Kopfschmerzen als Sonderfall. Getreu<br />
dem schmerztherapeutischen Credo „Ohne Schmerzmessung keine<br />
Therapie“ wird das Kapitel „Schmerzerfassung in der Hausarztpraxis“<br />
der aktuellen Schilderung aller gängigen Analgetika und Koanalgetika<br />
vorangestellt. Insgesamt ein rundum gelungenes Buch <strong>für</strong><br />
den schmerztherapeutisch interessierten Hausarzt. Dr. Uwe Junker<br />
Oliver Emrich – News, Aktuelle <strong>Schmerztherapie</strong> mit Analgetika, 64 S., 5 Abbildungen, 12 Tabellen, Eur 11,99,<br />
CHF 18,90, ComMed Update, 2005, ISBN 3-905320-81-9, ComMed Verlag, Basel.<br />
26<br />
Impressum<br />
Organ der <strong>Deutsche</strong>n <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
<strong>Schmerztherapie</strong><br />
Herausgeber<br />
Gerhard Müller-Schwefe,<br />
Schillerplatz 8/1, D-73033 Göppingen<br />
Tel. 07161/976476 · Fax 07161/976477<br />
E-Mail: gp@dgschmerztherapie.de<br />
Schriftleitung<br />
Thomas Flöter, Frankfurt; Olaf Günther, Magdeburg;<br />
Winfried Hoerster, Gießen; Dietrich Jungck, Hamburg;<br />
Uwe Junker, Remscheid; Stephanie Kraus (verantw.),<br />
Stephanskirchen, Tel.: 08036/1031;<br />
Thomas Nolte, Wiesbaden; Reinhard Thoma, Tutzing;<br />
Michael Überall, Nürnberg<br />
Beirat<br />
Joachim Barthels, Bad Salzungen; Christoph Baerwald,<br />
Leipzig; Wolfgang Bartel, Halber- stadt; Heinz-Dieter<br />
Basler, Marburg; Günter Baust, Halle/ Saale; Klaus<br />
Borchert, Greifswald; Burkhard Bromm, Hamburg; Kay<br />
Brune, Erlangen; Mathias Dunkel, Wiesbaden; Oliver<br />
Emrich, Ludwigshafen; Gerd Geisslinger, Frankfurt; Hartmut<br />
Göbel, Kiel; Henning Harke, Krefeld; Ulrich Hankemeier,<br />
Bielefeld; Stein Husebø, Bergen; Klaus Jork,<br />
Frankfurt; Edwin Klaus, Würzburg; Eberhard Klaschik,<br />
Bonn; Lothar Klimpel, Ludwigshafen; Bruno Kniesel,<br />
Hamburg; Marianne Koch, Tutzing; Bernd Koßmann,<br />
Wangen; Peter Lotz, Bad Lippspringe; Christoph Müller-Busch,<br />
Berlin; Robert Reining, Passau; Robert F.<br />
Schmidt, Würzburg; Günter Schütze, Iserlohn; Hanne<br />
Seemann, Heidelberg; Ralph Spintge, Lüdenscheid;<br />
Birgit Steinhauer, Limburg; Georgi Tontschev, Bernau;<br />
Roland Wörz, Bad Schönborn; Henning Zeidler, Hannover;<br />
Walter Zieglgänsberger, München; Manfred<br />
Zimmermann, Heidelberg<br />
In Zusammenarbeit mit dem Fachverband Schmerz,<br />
Verband <strong>Deutsche</strong>r Ärzte <strong>für</strong> Algesiologie e.V.,<br />
<strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Algesiologie e.V., <strong>Deutsche</strong><br />
<strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Algesiologische Fachassistenz e. V.,<br />
<strong>Deutsche</strong> Akademie <strong>für</strong> Algesiologie, GAF <strong>Gesellschaft</strong><br />
<strong>für</strong> algesiologische Fortbildung mbH, <strong>Deutsche</strong><br />
Schmerzliga e.V., Verband ambulant tätiger Anästhesisten<br />
e.V., Gesamtdeutsche <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong> Manuelle<br />
Medizin e.V., <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> zum Studium<br />
des Schmerzes e.V. und <strong>Deutsche</strong> <strong>Gesellschaft</strong> <strong>für</strong><br />
Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie.<br />
Mit der Annahme eines Beitrags zur Veröffentlichung<br />
erwirbt der Verlag vom Autor alle Rechte, insbesondere<br />
das Recht der weiteren Vervielfältigung zu<br />
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– vor allem von Neuzulassungen – sollten<br />
in jedem Fall mit dem Beipackzettel der verwendeten<br />
Medikamente verglichen werden.<br />
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Der Mitgliedsbeitrag des DGS schließt den Bezugspreis<br />
der Zeitschrift mit ein. Die Zeitschrift erscheint<br />
im 23. Jahrgang.<br />
Verlag<br />
© URBAN & VOGEL GmbH, München,<br />
Januar 2007<br />
Leitung Medical Communication:<br />
Ulrich Huber (verantw.)<br />
Schlussredaktion: Dr. Brigitte Schalhorn<br />
Herstellung/Layout: Maren Krapp<br />
Druck: Vogel Druck und Medienservice<br />
GmbH & Co. KG, Höchberg<br />
Titelbild: Marcus Gruber, Illustration: Z. Curulija<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)
Rückenschmerzen<br />
Rückenschmerzen sind eine der häufigsten und teuersten Schmerzerkrankungen<br />
unter der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland. Eine möglichst<br />
frühzeitige und effektive pharmakologische <strong>Schmerztherapie</strong> scheiterte<br />
bisher häufig an den schwer beherrschbaren gastrointestinalen Nebenwirkungen<br />
der Opioide, gegen die auch in aller Regel keine Toleranzent-<br />
wicklung zu erwarten ist. Die Kombination von Oxycodon mit Naloxon<br />
bietet hier bereits <strong>für</strong> die Initialeinstellung zahlreiche Vorteile, schildert<br />
Dr. med. Gerhard Müller-Schwefe, Göppingen.<br />
Der Praxisfall<br />
Die 36-jährige Patientin stellt sich im Frühjahr<br />
2007 im Schmerzzentrum vor mit anhaltenden<br />
Rückenschmerzen bei Zustand nach zweimaliger<br />
Nukleotomie L4/L5 1999 und L3/L4, L4/<br />
L5 2000 sowie bei zunehmender Instabilität<br />
Spondylodese L3/L4/L5 im Jahr 2001. Die<br />
postoperative Rehabilitationsbehandlung war<br />
bereits wegen massiver Schmerzen nur<br />
schwer durchführbar gewesen. Auf alle Versuche,<br />
die Schmerzen mit entzündungshemmenden<br />
Substanzen zu beherrschen, hatte<br />
die Patientin mit massiven Magenproblemen<br />
reagiert, trotz gleichzeitiger Gabe von Protonenpumpenhemmern.<br />
Auf Stufe-II-Opioide<br />
hatte sie keine ausreichende Schmerzlinderung<br />
erfahren, sodass schließlich zunächst<br />
Morphin, dann Oxycodon gegeben wurde.<br />
Mit einer Dosierung von zwölfstündlich<br />
10 mg Oxycodon war jedoch bereits eine<br />
derart ausgeprägte Obstipation aufgetreten,<br />
dass die Patientin höchstens alle sieben bis<br />
acht Tage Stuhlgang hatte, ohne dass die<br />
Schmerzlinderung ausreichend war. Ein Versuch,<br />
diese Nebenwirkungen mit transdermaler<br />
Gabe von Fentanyl oder Buprenorphin zu<br />
umgehen, scheiterte, deshalb wurde nochmals<br />
die orale Gabe von Oxycodon versucht.<br />
Die zusätzliche Gabe von Lactulose und Bisacodyl<br />
führte zu massiven Blähungen und<br />
Erbrechen, sodass eine Dosissteigerung von<br />
Oxycodon unmöglich schien. Weitere Therapieversuche<br />
mit Macrogol, Natriumpicosulfat<br />
und diätetischer Umstellung blieben ebenfalls<br />
ohne Erfolg. Die Patientin klagte über<br />
einen aufgetriebenen Bauch mit massiven<br />
Spannungen und Gurgeln, Unfähigkeit der<br />
Stuhlentleerung oft über Tage hinweg, dann<br />
wieder massive Durchfälle mit nachfolgender<br />
Obstipation <strong>für</strong> erneut mehrere Tage.<br />
Der Nachtschlaf der Patientin war sowohl<br />
schmerzbedingt als auch obstipationsbedingt<br />
massiv gestört, sie schilderte Albträume und<br />
häufiges Aufwachen. Die Schmerzintensität<br />
der Rückenschmerzen wurde in der visuellen<br />
Analogskala (VAS 100) mit 40 angegeben.<br />
SCHMERZTHERAPIE Nr. 3/2007 (23. Jg.)<br />
Bildarchiv Urban & Vogel<br />
Opioide können zu dramatisch aufgeblähtem<br />
Abdomen mit Zwerchfellhochstand<br />
führen.<br />
In der verbalen Beurteilung gab die Patientin<br />
dieses Schmerzniveau als extrem starke<br />
Schmerzen an.<br />
Untersuchungsbefund<br />
Es zeigte sich eine äußerlich reizlose Narbe<br />
über den Segmenten L2 bis L5 bei Zustand<br />
nach Spondylodese. Im Bereich der gesamten<br />
körperaufrichtenden Muskulatur massiv<br />
verkürzte Rückenstrecker und aktivierte Triggerpunkte,<br />
Seitneigung und Inklination massiv<br />
eingeschränkt, Patellarsehnenreflex und<br />
Achillessehnenreflex beidseits abgeschwächt,<br />
Hyposensibilität in den Segmenten L4 und L5<br />
rechts als Ausdruck einer chronischen Wurzelschädigung.<br />
Ein MRT bestätigte den Verdacht<br />
ausgeprägter Narbenbildung im Spinalkanal.<br />
Eine operative Revision wurde von der<br />
Patientin ebenso wie von den Wirbelsäulenchirurgen<br />
und Neurochirurgen abgelehnt.<br />
Diagnose<br />
Die Patientin litt an einem chronifizierten<br />
Schmerzsyndrom, Chronifizierungsstadium III<br />
bei Zustand nach Spondylodese L3–L5 bei<br />
Kasuistik<br />
Instabilität, postoperativen Schmerzen bei<br />
Narbenschmerzen sowie unzureichender<br />
Analgesie bei massivster opioidinduzierter<br />
gastrointestinaler Symptomatik und hierdurch<br />
limitierter Opioiddosis.<br />
Therapie und Verlauf<br />
Die Patientin wurde sofort auf Oxycodon und<br />
Naloxon zwölfstündlich 10 mg umgestellt (Targin<br />
® 10/5). Hierunter entwickelte sie innerhalb<br />
einer Woche massive Durchfälle. Auf Rückfrage<br />
stellte sich heraus, dass sie trotz gegenteiliger<br />
Anweisung weiterhin die gewohnten Laxanzien<br />
eingenommen hatte. Nach Absetzen<br />
der Laxanzien erfolgte die Normalisierung<br />
des Stuhlverhaltens innerhalb einer weiteren<br />
Woche mit geformten Stuhlgängen etwa alle<br />
ein bis zwei Tage.<br />
Es erfolgte eine Titration der Targindosis<br />
bis zur analgetisch ausreichenden Dosierung,<br />
überprüft anhand von Schmerztagebüchern,<br />
mit einer Enddosis von Targin ® zwölfstündlich<br />
20 mg. Hierunter Reduktion der Schmerzintensität<br />
in der VAS 100 auf 5 bis 7, Erträglichkeitsniveau<br />
5.<br />
Im weiteren Verlauf zeigte sich, dass die<br />
Patientin ohne weitere Laxanzien durch diese<br />
Medikation so schmerzarm war, dass sie<br />
ohne weitere Zusatzmedikation mit einem<br />
intensiven Übungs- und Aufbauprogramm<br />
beginnen konnte. Auch vier Monate nach der<br />
Umstellung von Oxycodon auf Targin ® gleichbleibend<br />
gute Analgesie und Übungsfähigkeit,<br />
sodass die Patientin jetzt im Rahmen einer<br />
stufenweisen Wiedereingliederung an ihren<br />
früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann.<br />
Diskussion<br />
Unter den opioidbedingten Nebenwirkungen<br />
sind die vielfältigen gastrointestinalen Beschwerden,<br />
unter denen Obstipation nur ein<br />
Problem darstellt, am schwierigsten zu therapieren.<br />
Durch die Umstellung von Oxycodon<br />
auf Targin ® (Oxycodon und Naloxon) konnte<br />
die massive gastrointestinale Problematik unserer<br />
Patientin vollständig beseitigt werden.<br />
In der Umstellungsphase ist zu beachten,<br />
dass Patienten häufig weiterhin unnötigerweise<br />
Laxanzien einnehmen und damit eine<br />
beschleunigte Darmpassage provozieren. Der<br />
periphere, prähepatisch wirksame Opiatantagonist<br />
Naloxon blockiert ausschließlich im<br />
Magen-Darm-Trakt vor der Leberpassage die<br />
obstipierende Wirkung von Opioiden. Gleichzeitige<br />
Laxanziengabe führt zu beschleunigter<br />
Darmpassage. Hierbei ist zu beachten, dass<br />
es sich bei verringerter Analgesie dann nicht<br />
um eine Antagonisierung der Opiatwirkung<br />
durch Naloxon handelt, sondern um eine verringerte<br />
Aufnahme des Opioids. ❏<br />
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