HAMBURG - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design
HAMBURG - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design
HAMBURG - Das Magazin für Kunst, Architektur und Design
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
6 o.T. Ausstellungen | Kritik Ausstellungen | Kritik o.T. 7<br />
<strong>HAMBURG</strong><br />
Aus-Zeit<br />
PIA STADTBÄUMER,<br />
HIRTENKNABEN UND EINE ROKKOKO-<br />
DAME IN DER PRODUZENTENGALERIE<br />
Warum tauchen Künstler in die Vergangenheit?<br />
Aus Ehrfurcht vor den Alten Meistern? Um sich in<br />
postmodernen Eklektizismen zu üben? Oder um in<br />
Kontakt mit einer vermeintlich heilen Zeit zu treten?<br />
Jeder historische Rückgriff verlangt seine eigene<br />
Antwort. Was also bewegt Pia Stadtbäumer<br />
ihre aktuellen Skulpturen aus kunsthistorischem<br />
Personal zu formen? In der Produzentengalerie<br />
zeigt sie drei Skulpturen, zwei Hirtenknaben frei<br />
nach Lenbach sowie eine kokett-lüsterne Rokokko-Lady,<br />
inspiriert durch Fragonard.<br />
Erstaunlich ruhig <strong>für</strong> die eher ambivalent-agressiv<br />
wirkenden Kinderskulpturen Stadtbäumers verhalten<br />
sich die beiden Hirtenknaben. Ganz in Grau<br />
geben sie sich dem Tagträumen hin, auf einer podestartigen,<br />
mit Sitzkissen ausgestatteten Insel,<br />
BUCERIUS<br />
K U N S T<br />
FORUM<br />
Oliver Ross | Zuhandenheit, c-print, 2005<br />
Frida Kahlo, Selbstbildnis mit Äffchen, 1945 (Detail) © 2006 Banco de México<br />
Frida Kahlo<br />
15. 6.– 17. 9. 2006<br />
Rathausmarkt, Hamburg<br />
täglich 11 bis 19 Uhr<br />
donnerstags bis 22 Uhr<br />
Pia Stadtbäumer | Hirtenknabenspiel II (Leo) 2004, Figur (liegend)<br />
Bronze, lackiert<br />
die den Betrachter zum Mit-Verweilen einlädt. Im<br />
Gegensatz dazu lockt „das ewige Weib“ an der<br />
Wand, aufreizend, auf dem Rücken liegend, mit<br />
entblößter Brust <strong>und</strong> zielgerichtetem Blick. Am<br />
Boden ein graues Tag-Dösen, dort ein Wink von<br />
oben mit dem Sex-Appeal.<br />
<strong>Kunst</strong>historische Vergangenheit sind die Formen,<br />
Gegenwart die Figuren, die Stadtbäumer<br />
bekanntlich von lebenden Modellen nachformt.<br />
Zusammen wirkt das Ensemble wie der Auftakt<br />
zu einem möglichen Schäferstündchen, wenngleich<br />
die gegenseitigen Aufmerksamkeiten noch<br />
<strong>HAMBURG</strong><br />
Schönheit ist wichtig<br />
BERT DE BEUL, GALERIE SFEIR-SEMLER<br />
Zwischen den Neonröhren <strong>und</strong> den Bildern in<br />
der Galerie Sfeir-Semler scheint eine feine Dunstschicht<br />
zu schweben, ein Licht, das den Nebel des<br />
nahen Meeres noch nicht ganz aufgelöst hat. Solche<br />
romantischen Assoziationen sind dem Maler<br />
Bert De Beul nicht fremd – er schätzt nicht nur die<br />
flämische Tradition, sondern auch Caspar David<br />
Friedrich oder den Dänen Vilhelm Hammershoj.<br />
Doch die Bildmotive des Antwerpeners sind ohne<br />
jede Symbolik vielleicht eher dem melancholischen<br />
Realismus eines Morandi oder Hopper<br />
verpflichtet: Eine angeschnittene Türfassung aus<br />
Aluminium, die in der Sonne aufleuchtet, beiläufige<br />
Zimmerecken, Blicke durch Fenster auf<br />
Schatten in den Gardinen oder herabgelassene<br />
Jalousien vor einem grünlich verblichenen Sofa.<br />
In seinem Realismus des Peripheren zeigt Bert De<br />
Beul banale Ecken in ruhiger Distanz. Es ist pure<br />
Malerei ohne betonte Mitte <strong>und</strong> ohne den politischen<br />
Anspruch seines Landsmanns Luc Tuymans.<br />
Die schwebende Unschärfe der Darstellungen<br />
kann als Referenz auf die fotografische Technik<br />
gesehen werden. Aber vielmehr scheint der wei-<br />
Pia Stadtbäumer | Weitere galante Szenen (Inga), 2006<br />
Polymer, bemalt<br />
zu wünschen übrig lassen. Aber das könnte sich<br />
ändern, würden die Figuren mit ihren Gewändern<br />
wieder in die Jetzt-Zeit zurückkehren. Wollen <strong>und</strong><br />
sollen sie aber nicht. <strong>Das</strong> Kleid der Vergangenheit<br />
verschont sie vor allzu direkter Berührung mit Assoziationen<br />
aus der Gegenwart. Sie leben in einer<br />
Aus-Zeit. Aber vielleicht ist es auch die Künstlerin,<br />
die mit ihrer Zeitreise die Erholung von den Strapazen<br />
einer bilderüberfluteten Gegenwart sucht.<br />
Bis 13. Juli.<br />
| WOLF JAHN<br />
Admiralitätsstr. 71, 20459 Hamburg, T. 37 82 32,<br />
www.produzentengalerie.com<br />
Bert de Beul | o.T., 2005, Öl auf Leinwand, 62 X 74 cm,<br />
che Pinselstrich von einem liebevollen Umgang<br />
mit den einfachen Dingen zu künden, von einer<br />
etwas verträumten ruhigen Freude an beiläufigen<br />
Momenten, die die Betrachter in ihre <strong>für</strong> einen<br />
Augenblick entspannte kleine Welt einladen. Und<br />
das macht die Leinwände, die nie größer sind,<br />
als dass sie sich noch mit den Armen umfangen<br />
lassen, zu Bildern der Zeitlosigkeit. <strong>Das</strong>s es sich<br />
dennoch um tagebuchartige Eindrücke von heute<br />
handelt, zeigt sich nur zögerlich, beispielsweise,<br />
wenn auf der Scheibe, die diese zufällig von außen<br />
gesehenen Interieurs vom Spaziergänger trennt,<br />
der Reflex eines Autos mitgemalt wird. Bis 8. Juli.<br />
| HAJO SCHIFF<br />
Admiralitätstrasse 71, 29459 Hamburg, T. 37519940,<br />
www.sfeir-semler.com<br />
FOTOS: 1. PRODUZENTENGALERIE, 2. COURTESY GALERIE SFEIR-SEMLER<br />
FOTOS: 1. COURTESY MUSEUMSBERG FLENSBURG, 2. COURTESY GALERIE VOSS, DÜSSELDORF<br />
FLENSBURG<br />
Malerstar lockt<br />
in den Norden<br />
MUSEUMSBERG FLENSBURG ZEIGT<br />
GERHARD RICHTER<br />
Gerhard Richter | Betty<br />
1991, Foto nach Ölbild 1988<br />
In der zum Museum umgebauten Schule von 1896<br />
tut sich Erstaunliches: Deutschlands nördlichstes,<br />
über der Förde thronendes Museumsensemble<br />
zeigt die unbestrittene Nummer eins der deutschen<br />
Malerei – Gerhard Richter. In fünf Räumen<br />
im Erdgeschoß wird aus dem umfangreichen Oeuvre<br />
erstmals der Aspekt des Porträts besonders beleuchtet<br />
– wenn auch mit eher reduziertem Licht,<br />
da Malerei, Fotografie <strong>und</strong> Zeichnung konsequent<br />
gleichwertig gezeigt werden. Den Beginn macht<br />
das früheste Selbstporträt, bei dem sich der gerade<br />
15-jährige 1947 mit einem leuchtenden Auge<br />
<strong>und</strong> einer fast voll verschatteten Gesichtshälfte<br />
dramatisiert. Charakteristisch sind <strong>für</strong> Richter<br />
dann die verwischten schwarzweißen Bilder nach<br />
Foto- <strong>und</strong> Zeitungsvorlagen, bei denen der oberflächlich<br />
vorbeihuschende Blick auf die Medien in<br />
den partiellen Unschärfen des Bildes wie eingefroren<br />
ist. Wie sehr dieser medienreflexive Blick<br />
an der Fototechnik inspiriert ist, zeigt der einzige<br />
<strong>und</strong> selten gezeigte Kurzfilm von Gerhard Richter:<br />
„Volker Bradtke“ ist eine bloß schemenhafte<br />
Bildfolge, ein zu keiner Zeit technisch korrektes<br />
Focussieren einer banalen Person.<br />
Nicht zu fassen ist auch das Gesicht von „Herrn<br />
Heyde“, eines erst 1959 in Flensburg festgesetzten<br />
Kriegsverbrechers. Diese Arbeit mit deutlichem<br />
Regionalbezug ist – wie manche andere auch – in<br />
der Ausstellung als autorisiertes Foto nach dem<br />
gemalten Original vertreten, was als neuerliche<br />
Volte im ständigen hin- <strong>und</strong> her der Medien wohl<br />
nur bei Gerhard Richter angemessen ist. Zu treffen<br />
sind auch Gilbert <strong>und</strong> George, Mao <strong>und</strong> die<br />
Queen oder eine „Studentin“ in zum Voyeurismus<br />
einladender Pose. Zum Porträt im weiteren Sinne<br />
werden aber auch bildfüllende Brüste, ein leerer<br />
Kopf oder eine ungegenständliche Malerei von<br />
1971 allein durch den Titel – denn da Richter beweist,<br />
dass keinem Bild zu trauen ist, findet alle<br />
<strong>Kunst</strong> im eigenen Kopfe statt. <strong>Das</strong> scheint auch<br />
der „Graue Spiegel“ von 1992 sagen zu wollen:<br />
nach so vielen fremden Gesichtsimpressionen<br />
sieht man sich mit dem eigenen Abbild konfrontiert.<br />
(Bis 9. Juli) | HAJO SCHIFF<br />
Museumsberg 1, 24937 Flensburg, T. 0461-852956, www.<br />
museumsberg.flensburg.de; Katalog 29,80 Euro<br />
KIEL<br />
Zwischen Absturz<br />
& Befreiungsschlag<br />
ALLES ÜBER „BALLERMANN“ - VON<br />
MARTIN KIPPENBERGER BIS JÜRGEN<br />
DREWS IN DER KUNSTHALLE<br />
Denkt man an „Ballermann“ kommen einem Horden<br />
von hemmungslos Vergnügungssüchtigen in<br />
den Sinn, die am Strand von Deutschlands liebstem<br />
Feriendomizil Mallorca zur Dauerparty antreten<br />
<strong>und</strong> sich bis zum Abwinken betrinken. Was <strong>für</strong><br />
die einen Spaß <strong>und</strong> Ausbruch aus den Zwängen<br />
des Alltags bedeutet, impliziert <strong>für</strong> die anderen<br />
die Abgründe eines kulturlosen Spektakels, das<br />
im sinnlosen Grölen taumelnder Massen versinkt.<br />
Zwischen den Polen von Befreiungssehnsucht<br />
<strong>und</strong> Absturz bewegt sich die aktuelle Schau „Ballermann“<br />
in der <strong>Kunst</strong>halle zu Kiel. Werke von<br />
17 internationalen Künstlerinnen <strong>und</strong> Künstlern<br />
sind dort versammelt, darunter Martin Kippenberger,<br />
Jeff Koons, Sylvie Fleury, Martin Parr <strong>und</strong><br />
Kult-Filmemacher Rosa von Praunheim (hier mit<br />
„Die Bettwurst“ von 1971). Einiges ist eigens <strong>für</strong><br />
die Ausstellung entstanden. So hat etwa Markus<br />
Sixay aus aneinander gesteckten, langen bunten<br />
Strohhalmen (666 Meter Gesamtlänge), mit denen<br />
„Ballermann“-Anhänger sonst ihre Sangria-<br />
Eimer leeren, ein fragiles, raumgreifendes Konstrukt<br />
geschaffen, das wie ein überdimensionales<br />
Mikado-Spiel prekäre Balancen suggeriert.<br />
Absurd-bizarre Komik bringen Beiträge, beispiels-<br />
www.galerien-in-hamburg.de<br />
weise, von Kippenberger (etwa mit dem Diptychon<br />
„Vergessen“ – „Trinken“ vertreten) <strong>und</strong> Werner<br />
Büttner (u. a. zeigt er die Serie „<strong>Das</strong> Leben ist kein<br />
Urlaub“), während dunklere Töne in Arbeiten wie<br />
der Installation von RothStauffenberg aufglimmen.<br />
<strong>Das</strong> Künstlerduo hat in Kiel ein Hotelzimmer<br />
eingerichtet, dessen Interieur nur partiell zu erkennen<br />
ist. Klangfetzen aus dem Radio <strong>und</strong> von<br />
unsichtbarer Außenwelt hereinflackerndes Licht<br />
untermalen den eigenartig klaustrophobisch <strong>und</strong><br />
verlassen wirkenden Schauplatz. Fotoszenarien<br />
von Parr, Otto Snoek <strong>und</strong> Massimo Vitali führen vor<br />
Augen, dass das Phänomen „Ballermann“ nicht auf<br />
Mallorca fixiert ist, sondern an englischen Stränden<br />
ebenso zu finden ist wie auf niederländischen<br />
Beach-Partys. Eine gigantische Düne aus Erdnussflips<br />
hat der Berliner Künstler Thomas Rentmeister<br />
in der <strong>Kunst</strong>halle aufgetürmt.<br />
Frank Bauer | The Grannies, 2005, Öl auf Leinwand, 150 x 250 cm<br />
Sie ergänzt sich bestens mit Christian Hoischens<br />
maximal aufgespoilertem, dabei minimalistisch<br />
reduziertem Mega-Schlitten aus Fiberglas: ein gestrandetes<br />
Monstergefährt, das dröhnende Bässe<br />
<strong>und</strong> aufheulende Motoren evoziert. Die Ausstellung<br />
knüpft lose an „Accessoiremaximalismus“<br />
(2003) <strong>und</strong> „No Money“ (2004) in Kiel an, die<br />
ebenfalls um Identitätsfindung, Konsumismus,<br />
kulturelle Normen <strong>und</strong> Werte im gesellschaftlichen<br />
Spannungsfeld von Materialismus <strong>und</strong> Idealismus<br />
kreisten. Unter dem Titel „So leben wir“<br />
sind schließlich auch Gemälde aus dem Privatbesitz<br />
von Ramona <strong>und</strong> Jürgen Drews zu sehen. Der<br />
„König von Mallorca“ tritt am 15. Juni in der <strong>Kunst</strong>halle<br />
auf. Parallel zeigen Studierende der Kieler<br />
Muthesius <strong>Kunst</strong>hochschule zur Fußballweltmeisterschaft<br />
im Foyer das Video-Projekt „Abseits 06“<br />
in speziell eingerichteter Bar, wo auch die Spiele<br />
übertragen werden. Bis 9. Juli | BELINDA GRACE GARDNER<br />
Düsternbrooker Weg 1, 24105 Kiel, T. 0431 880 57 56,<br />
www.kunsthalle-kiel.de