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Hochschule für Kirchenmusik Heidelberg

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6 Im Fokus<br />

Analog dazu gliedert Distler diesen 1. Teil der Motette in<br />

drei Abschnitte (T.1-4 / 5-10 / 11-19), welche er feinsinnig<br />

ineinander verschränkt. Die zunehmende Länge dieser drei<br />

Passagen zeigt, dass dem tröstenden Zuspruch breiterer<br />

Raum zugemessen wird als der gegenwärtigen Angst.<br />

Jene jeweils am Schluss der Teilsätze stehenden Worte<br />

„Angst“, „getrost“, „überwunden“ sind jeweils prägend und<br />

lassen Distler zu ganz unterschiedlichen Satztechniken<br />

greifen.<br />

Ein Kompendium der Angst<br />

Unvermittelt, ohne jegliche Einleitung, wird der Hörer zunächst<br />

vom Beginn der Motette, diesem vielschichtigen<br />

„Angst-Psychogramm“ geradezu überfallen. Jede der vier<br />

Stimmen formuliert das Phänomen „Angst“ in einem ganz<br />

eigenen, der barocken Figurenlehre entlehnten Gestus.<br />

Der beginnende Alt wiederholt nach dem im schmerzlichen<br />

Tritonus-Sprung erreichten Wort „Angst“ dieses mehrfach<br />

auf dem Ton a in lang gezogenen Rufen, ehe er in einer<br />

ziellos pendelnden Geste (f-a) abbricht.<br />

Jener im Alt aufragende Tritonus wird im<br />

Bass abwärts gerichtet kontrapunktiert. Diese<br />

Bassstimme zeichnet überdies durch ihre<br />

zwei aufeinander folgenden Abwärtssprünge<br />

mit dem dissonanten Außenrahmen b-a<br />

ein Bild „abgrundtiefer Angst“. Eröffnet der<br />

Bass seinen Part mit dem aus der Barock-<br />

Musik hinlänglich bekannten Halbtonschritt<br />

aufwärts (Trauer, Sünde, Schatten, Bedrängnis,<br />

Tod), so scheint er in den Takten<br />

3 und 4 in eine ausweglose Situation mit<br />

seinem ziellosen Wechsel zwischen b und h<br />

zu geraten. Verstärkt wird dieser Eindruck<br />

durch die keinen Halt bietenden synkopischen<br />

Rhythmen.<br />

Sopran und Tenor sind zunächst in ihrer<br />

Intervallstruktur wie auch in ihrem Rhythmus<br />

aneinander gekoppelt. (Sie durchschreiten<br />

im Quartabstand wiederum das Intervall<br />

einer Quarte.) Der Sopran hebt sich ab T. 2<br />

sodann mit zwei Oktav-Sprüngen, spitzen<br />

Angstschreien, deutlich ab und steigert in<br />

T. 4 diese zunächst nur flüchtig gestreiften<br />

Spitzentöne in eine None, welche breit klagend<br />

melismatisch in die Oktave aufgelöst<br />

wird, hier wiederum mit dem Tenor in Gegenbewegung<br />

verbunden. Wie von „lauter<br />

Angst aufgelöst“ scheint auch die metrische<br />

Organisation der Sopranstimme. Sie verbleibt<br />

ab T. 2 im geraden Takt-Schema!<br />

Die Stimmführung des Tenors kann als ein<br />

Bild langsam aber stetig sich steigernder<br />

Angst begriffen werden. Erreicht er auf jenem<br />

Wort in Takt 2 zunächst von h ausgehend<br />

den Ton d, wird dieser in Takt 3 in<br />

einem unruhig nach vorn stürzenden<br />

Rhythmus durch ein e überboten, so ist der<br />

Höhepunkt dieser Angst sozusagen in Takt<br />

4 auf dem Ton f erreicht. Kennzeichnend ist<br />

auch hier wieder, dass das Rahmenintervall<br />

dieser Entwicklung ein Tritonus (h-f) ist.<br />

Oberflächlich betrachtet scheinen diese 4<br />

Stimmen nun so eigenständig geführt, dass<br />

sich keine bindenden Kräfte erkennen las-

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