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inhalt / geräuschvolles / lebenserhaltendes / Modisches / technisches / Praktisches die Welt mit KARSTEN MAROWSKI den augen sehenVON die bloggerin Julia Probst ist von geburt an gehörlos. im Web ist sie bekannt für den ableseservice während der Fußball-WM 2010, bei der die lippenleserin aussprüche von spielern, trainern und schiedsrichtern twitterte sowie für diverse körperspracheanalysen von Politikern. aufmerksamkeit erregte auch ihr auftritt bei der diesjährigen re:publica in berlin. alles gründe genug sie hier etwas ausführlicher vorzustellen. zwischen deM 13. und 15. aPril fand in Berlin die Re:publica 2011, das „Klassentreffen der deutschen Blogosphäre“, statt. Am zweiten Tag der Veranstaltung stand im großen Saal des Friedrichstadtpalastes die Session „Blogger_innen im Gespräch“ auf dem Programm. Diskussionsleiter war der vor allem durch bundesradio.de bekannte Journalist und Podcaster Philip Banse; als Gesprächsgäste geladen waren der allseits berüchtigte René Walter, dessen Domain „Nerdcore“ ihm zu Jahresanfang zwischenzeitlich „abhanden kam“ (lange Geschichte; mal googeln...), der Blogger und freie ARD-Reporter Richard Gutjahr, der dieses Jahr vor allem durch seine Berichterstattung vom Tahrir-Platz in Kairo für Aufmerksamkeit sorgte, die feministische Bloggerin „Frau Lila“ aka Katrin Rönicke; und eine gewisse Julia Probst. als banse julia ankÜndigte: „...Mein nächster Gast ist von Geburt an gehörlos...“, wird sich mancher mit fein dosiertem Ausdruck der Betroffenheit gedacht haben: das stehen wir jetzt auch durch - die spannenden 28 Feed-Magazin 02-2011 Foto: Sina Trinkwalder Gäste kommen ja gleich. Und dann kam Julia auf die Bühne: erfrischend unprätentiös, leidenschaftlich ihre Sache vortragend, vermittelte sie in wenigen Minuten ein unglaubliches Verständnis für die Bedürfnisse der Gehörlosen. Sicher auch dank Banses angenehm unaufgeregter Gesprächsführung und der sympathisch-souveränen Gebärdensprach-Dolmetscherin entwickelte sich ihr Auftritt zu einem der echten Highlights der diesjährigen Re:publica. julia nahM sich Mehrere stunden zeit für einen Skype-Chat, in dem sie mich zudem reichlich mit Links versorgte, die ich für diesen Beitrag nutzen konnte. Wörtliche Zitate aus dem Chat-Stream wie Zitate aus den Einträgen von Julias Blog sind in zwanglosem Wechsel in den Text eingeflochten. Die Catch Phrase ihres Blogs schien mir irgendwie sehr passend, weshalb sie hier als Artikelüberschrift auftaucht ;-). Zunächst wollte ich von Julia wissen, wie es denn zu dem Auftritt bei der Re:publica-Auftritt kam.
Wie wird man speaker bei der re:publica? „Das war eine reichlich lustige Sache. Ich wollte schon 2010 zur Republica gehen, aber sie war nicht barrierefrei. Im Herbst 2010 bat ich dann die Orga der Republica darum, sich für 2011 um Barrierefreiheit zu bemühen. Die Orga reagierte auf meine E-Mails und die Vorschläge darauf, und fragte, wie man das bestmöglichst gestalten könnte. Leider hat es dann für 2011 noch nicht geklappt. Im März 2011 hab ich dann kackdreist angefragt, ob ich Freikarten für die Republica kriegen könnte, weil sie ja nicht barrierefrei ist. Da kam dann die Mail zurück, dass man mich sowieso noch als Speakerin einladen wollte, da ich im Netz für meinen Ableseservice und für die Interpretation der Westerwelle-Rede bekannt bin. Da hat´s mich schon ziemlich vom Hocker gehauen. Ich mein – da bewerben sich doch alle möglichen Leute als Speaker für die Republica und MICH laden sie ein. Ich hatte bei den Call-for-Papers überlegt, ob ich selbst eine Bewerbung als Speakerin einreiche, aber den Plan doch wieder verworfen, weil ich es mir nicht zugetraut habe, vor sovielen Menschen zu reden. Als es dann doch dazu kam, war es gar nicht so schlimm, wofür ich Philip Banse sehr dankbar bin, denn mit seiner unaufgeregten Art die Fragen zu stellen, war es ein Selbstläufer.“ Was ist eigentlich ein cochleaimplantat? Bei ihrem Re:publica-Auftritt wurde Julia von einer Gebärdensprachdolmetscherin unterstützt. Im Grunde benötigt Julia aber keinen Dolmetscher um sich mit hörenden Menschen zu verständigen. J.P.: „Die Gebärdensprache ist nicht meine Muttersprache; das ist die Lautsprache. Ich bin zwar gehörlos, habe aber eigentlich keine echte Gehörlosen-Identität. Ich fühle mich in der Welt der Hö- renden zu Hause. Ich bezeichne meinen Hörstatus immer so: Ohne Cochlear-Implantat gehörlos, mit Cochlear-Implantat schwerhörig. Also von der kulturellen Identität her als hörend. Das CI erleichtert mir die Kommunikation in einer größeren Gruppe, obwohl es mir nur selten ein freies Hörvermögen ohne Lippenlesen ermöglicht. Im Kino oder in der Disco habe ich es gerne an, Aber ich bin nicht darauf angewiesen.“ Ein Cochlea-Implantat (kurz CI) ist grob gesprochen eine relativ komplexe Apparatur, die Betroffenen implantiert werden, um ihnen im günstigsten Fall den Gehörsinn zu induzieren (wer Genaueres wissen möchte mal den entsprechenden Wikipedia-Artikel lesen). Da die Gerätschaft in Teilen implantiert wird ist Julia also strenggenommen ein Cyborg, wie sie in ihrem Blogeintrag „Hoppla ich bin ja ein Cyborg“ augenzwinkernd feststellt. In den Medien vielfach einseitig als Wundermittel angepriesen, wird es von Betroffenen zwiespältig gesehen. Einerseits können im Einzelfall außerordentliche Erfolge konstatiert werden - Fälle, in denen Betroffene durch das CI ein fast normales Gehör erlangten - andererseits gibt es auch Fälle, in denen das CI nichts gebracht hat und darüber hinaus mit einer Schmerz-Leidensgeschichte verbunden war, da die medizinischen Risiken der Operation oft unterschätzt bzw unterschlagen werden. Betroffene, bei denen die Implantation nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat, werden mit ihren Problemen oft allein gelassen, weil in den Medien und von verantwortlichen Politikern eine geradezu euphorische Propaganda für das CI betrieben wird (nicht zuletzt hängt auch eine Industrie hinter der Cochlea-Implantations-Medizin). Schließlich impliziert und verfestigt die einseitige Kampagne für das CI die Sichtweise, dass Gehörlosigkeit etwas Minderwertiges und ganz Schreckliches für die Betroffenen sei und man den armen Menschen helfen müsse; und da es ja diese Lösung gibt, muss man sich keine Gedanken mehr um Fragen der gesellschaftlichen Inklusion von Gehörlosen oder um Fragen der Barrierefreiheit machen. In ihrem Blogeintrag „Danke, ich habe es doch schon“ beschreibt sie, wie sie, ihr Freund und ihre Dolmetscherin von einer gut meinenden aber aufdringlichen Dame belästigt wird, die ihr wiederholt nahelegt sich doch ein CI zuzulegen. Julia hatte den externen Teil der Apparatur abgenommen und in der Tasche verstaut; das Teil stört beim Knutschen... die gehörlose in der ersten bank Julia bewegt sich von klein auf ganz selbstverständlich in der Welt der Hörenden – 80 % ihres Freundeskreises sind normal Hörende. Das hat sicher auch mit dem Umstand zu tun, dass sie ihre Kindheit auf einer „normalen“ Schule verbracht hat. Mit der Einschulung stand die Frage an: Geht´ s auf eine Regel- oder eine Schwerhörigenschule? Auf ihrem Blog beschreibt Julia anschaulich die Umstände ihrer Einschulung. Nachdem Ihr zunächst der Besuch einer Gehörlosen-Schule nahegelegt wurde, bekam sie dann doch die Chance, die ersten drei Schuljahre eine Regelschule zu besuchen. Julia schreibt: „Mein Platz war übrigens ganz vorne, direkt am Pult des Lehrers. In dieser Zeit wurde auch der Grundstein gelegt für meine Liebe zur Sprache und dem Schreiben im besonderen, aber auch die Ablesefähigkeit und Beobachtungsgabe konnte ich dort trainieren, denn ich passte scharf auf wie ein Schießhund, welche Bücher gerade angesagt waren und welche Hefte, denn das Klingeln der Schulglocke hörte ich ja nicht, sondern erkannte an den wechselnden Bücher und der Heften, welche ich gerade heraus holen sollte. (...) Ich bin mir heute sicher: Wäre ich gleich von Anfang an auf eine Schwerhörigenschule gegangen, hätte sich mir wohl die Schönheit der deutschen Sprache in Wort und Schrift nicht so erschlossen wie dort auf der hörenden Schule.“ Allgemein hinkt Deutschland, was die schulische Inklusion von Gehörlosen angeht, im europäischen Vergleich weit hinterher. Während im Rest Europas 80 % der Gehörlosen auf eine Regelschule gehen, ist es in Deutschland genau umgekehrt: 80 % der deutschen Gehörlosen besuchen Sonderschulen. Das ist nach Julias Meinung die Wurzel allen Übels: Barrieren in den Köpfen der Menschen entstehen dadurch, dass Menschen mit Behinderungen aus der Gesellschaft aussortiert werden. Würden die Kinder von Anfang von Kindesbeinen an gemeinsam aufwachsen und in den Kindergarten und zur Schule gehen, würden durch das gelebte Miteinander die Barrieren in den Köpfen ver- Feed-Magazin 02-2011 29
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