Erste Ausgabe PDF - PalästinaIsraelZeitung
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Fortsetzung von Seite 1<br />
lästinenser sehen sie die Palästinenser als<br />
die Nachfahren Hitlers an. Dazu sagt Barenboim:<br />
„Sehen Sie, man kann mit Blick<br />
auf die Palästinenser bezweifeln, ob sie<br />
wirklich das Existenzrecht Israels akzeptieren<br />
und ob sie wirklich mit den Juden<br />
zusammenleben wollen. Nur hat das, anders<br />
als eine verbreitete israelische Interpretation<br />
unterstellt, mit den Nazis und<br />
dem Holocaust nichts zu tun.<br />
Wenn ein Palästinenser, dessen Familie<br />
ein Haus in Jaffa oder in Nazareth seit dem<br />
11. Jahrhundert besitzt, nun nicht mehr<br />
das Recht hat, dort zu leben, und dieser<br />
Mensch hasst dann die Israelis – das hat<br />
doch mit Adolf Hitler nichts zu tun.“ Und<br />
Isaac Deutscher 1967: „Die Verantwortung<br />
für die Tragödie der europäischen<br />
Juden, für Auschwitz, Majdanek und das<br />
Gemetzel in den Ghettos liegt einzig bei<br />
der westlichen bürgerlichen ‚Zivilisation‘,<br />
deren rechtmäßiger, wenn auch degenerierter<br />
Abkömmling der Nationalsozialismus<br />
war. Doch es waren die Araber, die<br />
schließlich den Preis für die Verbrechen<br />
zahlen mussten, die der Westen an den<br />
Juden begangen hat. Man lässt sie auch<br />
heute noch zahlen, denn das ‚Schuldbewusstsein‘<br />
des Westens ist natürlich proisraelisch<br />
und anti-arabisch.“<br />
Das heißt: Die aufrichtige und ehrenwerte<br />
Beklemmung vieler Deutscher über<br />
das ungeheuerliche Unrecht, das von<br />
Deutschen in deutschem Namen den Juden<br />
Europas angetan wurde, führt heute<br />
dazu, dass neues Unrecht – lange nicht so<br />
ungeheuerlich wie das, was 1941-1945 geschah,<br />
aber verheerend und niederträchtig<br />
genug, und mit katastrophalen Folgen<br />
– dass dieses neue Unrecht schweigend<br />
toleriert wird. Und damit gerät die deutsche<br />
öffentliche Meinung heute in einen<br />
Widerspruch.<br />
Welche Konsequenzen sollen wir aus<br />
der Vergangenheit ziehen? Dass das<br />
Unrecht von vor 70 Jahren zwangsläufig<br />
neues Unrecht legitimiert?<br />
Ich fände es daher angebracht, wenn wir<br />
deutlich Stellung nehmen würden zur<br />
Strangulierung des Gaza-Streifens, zum<br />
43 Jahre andauernden Besatzungsregime<br />
im Westjordanland, zur kontinuierlichen<br />
Landnahme im Westjordanland, zur Verdrängung<br />
der alteingesessenen arabischen<br />
Einwohner Jerusalems, zu den gezielten<br />
Tötungen, zu den Tausenden Palästinensern,<br />
die in israelischen Gefängnissen interniert<br />
sind.<br />
Israel braucht klare Vorgaben von<br />
uns, um die Kraft aufzubringen, sich<br />
von seinem nationalistischen Kurs abzuwenden.<br />
Mit seiner jetzigen Politik<br />
– das hat Daniel Barenboim mehrfach<br />
gesagt – läuft Israel in eine Sackgasse.<br />
Die gesamte Rede ist nachzulesen unter:<br />
www.palästina-israel-zeitung.de<br />
Prof. Dr. Rolf Verleger nach seiner Rede im Haus<br />
der Kulturen der Welt, Berlin<br />
<strong>PalästinaIsraelZeitung</strong> • Juli 2011 • Seite 2<br />
„Wer Israel kritisiert, ist für Israel“<br />
Sprecher von Gush Shalom fordert von EU und Deutschland ein Ende der Feigheit vor dem Freund<br />
Adam Keller (Foto J. Zang)<br />
Gush Shalom (Friedensblock) ist eine<br />
israelische Friedensbewegung mit<br />
mehreren Hundert Aktivisten. 1992<br />
gegründet, engagiert sie sich in Protesten<br />
gegen die Mauer, schaltet Zeitungsanzeigen<br />
und klärt in Vorträgen<br />
über Israels Militärbesatzung in den<br />
Besetzten Palästinensischen Gebieten<br />
auf. Johannes Zang traf Adam Keller<br />
(55 J.), Historiker und Sprecher des<br />
Friedensblocks in Tel Aviv-Jaffa.<br />
Händeschütteln zwischen Rabin, Arafat,<br />
Clinton, Oslo-Friedensprozess - vor<br />
mehr als 15 Jahren schien der Frieden<br />
greifbar nahe zu sein. Was lief damals<br />
schief?<br />
Nachdem Rabin Arafat im September 1993<br />
die Hand geschüttelt hatte, gab es enorme<br />
Unterstützung für den Frieden unter Israelis<br />
und Palästinensern. Aber Rabin ließ<br />
die Siedler weiterbauen und expandieren.<br />
Er dachte, das mache nichts, in einigen<br />
Jahren würde es ohnehin ein Abkommen<br />
geben. Er wurde aber ermordet, ein<br />
Abkommen kam nicht zustande, und die<br />
Siedlungen verdoppelten sich. Im Februar<br />
1994 massakrierte der jüdische Siedler Baruch<br />
Goldstein 29 Muslime beim Gebet in<br />
Hebron. Dies hatte zur Folge, dass Hamas<br />
seine Selbstmordattentate und Bombenexplosionen<br />
in israelischen Bussen begann.<br />
Niemand erinnert sich heute daran, dass<br />
solches bis zum Goldstein-Massaker niemals<br />
geschehen war.<br />
Damals wurde auch schon palästinensisches<br />
Land enteignet, Palästinenser ausgewiesen<br />
oder ihr Aufenthaltsrecht widerrufen.<br />
Sarit Michaeli, Sprecherin der<br />
israelischen Menschenrechtsorganisation<br />
B‘tselem behauptet, Menschenrechte<br />
hätten während des Oslo-Prozesses gar<br />
nicht auf der Tagesordnung gestanden.<br />
Hat das möglicherweise auch zum Scheitern<br />
von Oslo beigetragen?<br />
Ganz sicher. Ein Hauptproblem des Oslo-<br />
Abkommens war, dass es ursprünglich<br />
von liberalen Intellektuellen entworfen<br />
wurde, die sehr gute Absichten hatten.<br />
Die Umsetzung wurde aber genau den<br />
Menschen anvertraut, die die Besatzungsherrschaft<br />
ausübten: die Armee, die Polizei,<br />
die Geheim- und Sicherheitsdienste<br />
und auch die Siedler, die den Regierungsapparat<br />
tief durchsetzt haben. Ihre Art der<br />
Umsetzung basierte auf klaren Prinzipien:<br />
Gebt den Palästinensern nichts, was ihr<br />
nicht geben müsst, macht keine großen<br />
Zugeständnisse, wenn kleine es auch tun,<br />
gebt nichts heute, wenn ihr es auf morgen<br />
oder auf das nächste Jahr verschieben<br />
könnt. Und das Ergebnis ist genau so, wie<br />
B‘tselem es darstellt. Man wollte die Besatzung<br />
aufrechterhalten und hatte damit<br />
Erfolg. Die Besatzung besteht bis heute.<br />
Nach einer zweiten Intifada, einem weiteren<br />
Libanonkrieg und einem Gaza-<br />
Krieg scheint im Jahr 2011 Frieden weit<br />
weg zu sein. Wie steht die heutige israelische<br />
Gesellschaft zum Frieden?<br />
Vereinfacht gesagt: Etwa zehn Prozent der<br />
jüdischen Israelis wollen wirklich Frieden<br />
schließen und sind willens, die dafür nötigen<br />
Zugeständnisse zu machen. Weitere<br />
zehn Prozent sind der Überzeugung, dass<br />
„das ganze Land uns gehört, weil Gott es<br />
uns versprochen hat“. Sie meinen: Sollten<br />
die Araber nicht bereit sein, auf dieser<br />
Grundlage Frieden zu schließen, werden<br />
wir sie eben weiterhin bekämpfen. Und<br />
die Mehrheit von 80 Prozent ist neutral.<br />
Sie unterstützt im Prinzip Frieden, ist aber<br />
sehr skeptisch, dass er tatsächlich erreicht<br />
werden kann.<br />
Was müsste geschehen, um diese schweigende<br />
Mehrheit von 80 Prozent der jüdischen<br />
Israelis zu überzeugen?<br />
Wenn es eine Regierung in Israel gibt, die<br />
Frieden machen und das West- Jordanland<br />
aufgeben wird, werden diese 80 Prozent<br />
oder die meisten von ihnen dieses Abkommen<br />
unterstützen. Sie werden sagen:<br />
„Ok, der Premierminister hat das so entschieden,<br />
lasst uns mal sehen, was dabei<br />
herauskommt.“ Aber sie werden nicht dagegen<br />
sein.<br />
Könnten Religionsoberhäupter einen<br />
Beitrag zum Frieden leisten?<br />
Es kommt darauf an, welche Verse Menschen<br />
in den Schriften und Traditionen<br />
ihrer jeweiligen Religionen betonen und<br />
hervorheben wollen. Es ist eine traurige<br />
Tatsache, dass heutzutage die Mehrheit<br />
der jüdischen religiösen Anführer in Israel<br />
der jüdischen Religion eine widerliche,<br />
gefährliche Interpretation gibt, die extrem<br />
nationalistisch und oft unverblümt rassistisch<br />
ist. Es gibt Gruppen wie die ‚Rabbiner<br />
für Menschenrechte‘, die eine humanistische<br />
und progressive Interpretation<br />
des Judentums anbieten, wofür man auch<br />
eine solide Grundlage in den jüdischen<br />
Schriften und Traditionen finden kann,<br />
so man denn will. Sie gehören zu den<br />
besten Leuten, die wir in der israelischen<br />
Friedensbewegung haben, doch sind sie<br />
leider in der Minderheit in ihrem eigenen<br />
religiösen Milieu.<br />
Verfolgt man die Berichte der fast 20 israelischen<br />
und palästinensischen Menschenrechtsorganisationen,<br />
gewinnt man<br />
den Eindruck: Mit den andauernden Zerstörungen<br />
palästinensischer Häuser, der<br />
Aberkennung des Wohnrechts oder der<br />
Verhinderung der Familienzusammenführung<br />
von Palästinensern und ihren<br />
ausländischen Ehepartnern – um nur<br />
drei Beispiele zu nennen – führt Israel<br />
einen täglichen, kaum sichtbaren büro-<br />
kratischen Krieg gegen die Palästinenser.<br />
Welches Ziel verbirgt sich hinter diesen<br />
Maßnahmen?<br />
Bei israelischen Beamten, egal ob im Zivil-<br />
oder Armeebereich, herrscht eine Art<br />
rassistische Mentalität. Sie sind wie Buchhalter,<br />
die eine Bilanzaufstellung machen.<br />
Jeder Jude, der ins Land kommt, steht auf<br />
der Habenseite, jeder Nichtjude ist auf<br />
der Sollseite. Jedes Haus, das von Juden<br />
bewohnt wird, steht auf der Habenseite,<br />
jedes Haus eines Nichtjuden auf der Sollseite.<br />
Jeder Quadratzentimeter, der von<br />
Juden besessen wird, steht auf der Habenseite,<br />
jeder Quadratzentimeter von Nicht-<br />
Juden auf der Sollseite. Und so weiter und<br />
so fort. Das ist die Grundlage für sehr<br />
repressive und diskriminierende Maßnahmen,<br />
die Baugenehmigungen, Stadtplanung,<br />
Einwanderung und viele andere<br />
Bereiche öffentlichen Lebens betreffen.<br />
Das ist meiner Ansicht nach viel bösartiger<br />
und gefährlicher als die offen rassistischen<br />
Politiker. Diese Art von Bürokraten im Innenministerium,<br />
in der Landbehörde, in<br />
vielen Stadtverwaltungen wie auch in der<br />
Militärregierung des Westjordanlandes<br />
sprechen nicht über Rassismus, sie vollziehen<br />
ihn einfach. Sie setzen ihn Tag für Tag<br />
in die Tat um. Wenn wir wollen, dass Israel<br />
eine echte Demokratie wird, müssen<br />
wir diese Art von Praktiken<br />
ausrotten.<br />
Können außer den USA andere Länder<br />
Einfluss nehmen, um Frieden im Nahen<br />
Osten zu erreichen?<br />
Ich verlange von der EU, dass sie nicht nur<br />
der US-Leitlinie folgt, sondern dass sie ihren<br />
eigenen unabhängigen Standpunkt hat.<br />
Ich meine, die EU ist weit davon entfernt,<br />
ihr ganzes Potential auszuschöpfen, da sie<br />
immer sehr besorgt ist, nicht zu weit von<br />
der Position der USA abzuweichen. Der,<br />
der Israel kritisiert, ist für Israel. Der, der<br />
es nicht tut, tut Israel Unrecht. Wenn Sie<br />
einen Freund haben, der Drogen nimmt,<br />
Alkoholiker ist oder spielsüchtig ist – sehen<br />
Sie da tatenlos zu? Natürlich nicht.<br />
Dasselbe gilt für Israel. Niemand sollte nur<br />
zuschauen. Natürlich ist die deutsche Politik<br />
sehr von den furchtbaren Erinnerungen<br />
an Deutschlands Vergangenheit und<br />
von dem, was in Deutschlands Namen an<br />
Furchtbarem begangen wurde, überschattet.<br />
Es ist sehr richtig und gerechtfertigt,<br />
dass Deutsche sich verpflichtet fühlen,<br />
Freunde Israels zu sein. Ja, Deutschland<br />
sollte Israels Freund sein. Was ein Freund<br />
Israels tun sollte, ist: Israel zu helfen, Frieden<br />
zu erreichen und Israel davon abzuhalten,<br />
in den Abgrund zu stürzen.<br />
Das ägyptische Volk<br />
Kämpft tapfer für die Menschenrechte.<br />
Die israelische Knesset<br />
Kämpft tapfer darum, die Menschenrechte<br />
abzuschaffen.<br />
Inserat von Gush Shalom in<br />
Ha‘aretz am 18.Februar 2011