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Martin Walsers doppelte Buchführung. Die Konstruktion und die ...

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„With Walser the situation is less clear.“ 1 Zum Erkenntnisinteresse <strong>die</strong>ser<br />

Arbeit<br />

Zu der Zeit, wo <strong>die</strong> bereits ansehnliche Zahl der Monographien <strong>und</strong> Fachaufsätze über <strong>Martin</strong><br />

Walser immer schneller wächst, steht jede weitere Walser-Dissertation unvermeidlich unter<br />

Rechtfertigungsdruck. Der Druck mag sich noch erhöhen, wenn <strong>die</strong>se Dissertation <strong>die</strong><br />

<strong>Konstruktion</strong> der nationalen Identität in <strong>Walsers</strong> essayistischem <strong>und</strong> erzählerischem Spätwerk<br />

beschreiben will. <strong>Die</strong> Novelle Dorle <strong>und</strong> Wolf (1987) <strong>und</strong> <strong>die</strong> Romane <strong>Die</strong> Verteidigung der<br />

Kindheit (1991) <strong>und</strong> Ein springender Brunnen (1998), <strong>die</strong> <strong>die</strong>se Arbeit ausführlich analysiert,<br />

haben bereits <strong>die</strong> Aufmerksamkeit vieler Forscher <strong>und</strong> Feuilletonisten auf sich gelenkt. <strong>Die</strong><br />

Einsicht, daß Walser in <strong>die</strong>sen drei Prosawerken an der <strong>Konstruktion</strong> der deutschen nationalen<br />

Identität am intensivsten arbeitet, wird allgemein geteilt. Und auch <strong>Walsers</strong> Essays, <strong>die</strong> mit<br />

der deutschen Geschichte <strong>und</strong> der Teilung Deutschlands sich befassen, wurden vielfach<br />

kommentiert. <strong>Die</strong> Frage ist unvermeidlich: Läßt <strong>die</strong> gegenwärtige Forschungslage neue<br />

Erkenntnisse auf <strong>die</strong>sem Gebiet überhaupt noch zu? Wir werden im Folgenden erklären,<br />

warum <strong>die</strong>se Frage mit „Ja“ zu beantworten ist.<br />

In ihrem Titel kündigt <strong>die</strong>se Arbeit an, daß sie sich auf das <strong>Walsers</strong>che Spätwerk<br />

konzentriert. Der Gr<strong>und</strong> dafür ist <strong>die</strong> inzwischen unumstrittene Einsicht, daß <strong>die</strong> Nation erst in<br />

<strong>Walsers</strong> Spätwerk eine wichtige Rolle für <strong>die</strong> <strong>Konstruktion</strong> der personalen Identität spielt.<br />

Vor der Mitte der 70er Jahre bot <strong>die</strong> ´soziale Utopie´ den <strong>Walsers</strong>chen Hauptfiguren<br />

Sinnorientierungen, <strong>die</strong> ihre personale Identität prägten. <strong>Die</strong>se Einsicht wird auch von jenem<br />

Teil der Forschung nicht angefochten, der zu der ausschließlich ´gesellschaftskritischen´<br />

Lektüre von <strong>Walsers</strong> Frühwerk auf Distanz geht. 2<br />

<strong>Die</strong> erwähnte Ablösung der Bezugsebene ´soziale Utopie´ durch <strong>die</strong> Bezugsebene ´Nation´<br />

kann man auch im b<strong>und</strong>esdeutschen politischen Diskurs der späten 70er Jahre feststellen. <strong>Die</strong><br />

späten 70er Jahre waren <strong>die</strong> Zeit zwischen der „Tendenzwende“, dem Ende der Brandtschen<br />

„Reformära“ (1974), <strong>und</strong> der „geistig-moralischen Wende“, zu der Helmut Kohl bei dem<br />

Antritt seiner konservativ-liberalen Regierung 1982 aufrief. In <strong>die</strong>ser Zeit wurde <strong>die</strong> „Frage<br />

der ´nationalen Identität´“ wieder aktuell. Sie bekam „gleichsam zwei politische<br />

Stoßrichtungen“, eine „deutschlandpolitische“ <strong>und</strong> eine „vergangenheitspolitische“. 3 <strong>Die</strong><br />

Frage nach der deutschen nationalen Identität meinte somit nicht „nur das Verhältnis der<br />

beiden deutschen Staaten“, „sondern stets zugleich das zur nationalsozialistischen<br />

Vergangenheit“. 4 Gerade der Umbruch, in dem <strong>die</strong>se Frage wieder auf <strong>die</strong> Tagesordnung<br />

1 Bill Niven, „Literary Portrayals of National Socialism in Post-Unification German Literature“, in: Helmut<br />

Schmitz (Hrsg.), German Culture and the Uncomfortable Past. Representations of National Socialism in<br />

Contemporary Germanic Literature, Aldershot/Burlington, USA/Singapore/Sydney: Ashgate, 2001, S. 11 – 28,<br />

hier 23.<br />

2 Vgl. Hartmut Laufhütte, „´Der Winter ist konservativ.´ Zur neuesten Aufregung um <strong>Martin</strong> Walser“, in:<br />

Seminar. A Journal of Germanic Stu<strong>die</strong>s 31 (1995), S. 95 – 116, Gerhard Köpf, „In den Schuhen des Fischers.<br />

Der Prediger, der uns <strong>die</strong> Leviten liest – Eine Einführung in <strong>die</strong> geistliche Rhetorik des Schriftstellers <strong>Martin</strong><br />

Walser“, in: Süddeutsche Zeitung (weiter nur: SZ), 10. 10. 1998, S. 3, <strong>und</strong> Jürgen Schwann,<br />

„Konfliktkonstellationen <strong>und</strong> rhetorische Strategien in Handlungskontexten jüngerer Werke <strong>Martin</strong> <strong>Walsers</strong>, in:<br />

Hans-Peter Ecker (Hrsg.), Methodisch reflektiertes Interpretieren. Festschrift für Hartmut Laufhütte zum 60.<br />

Geburtstag, Passau: Wissenschaftsverlag Richard Rothe, 1997, S. 407 – 428.<br />

3 Gerd Wiegel, <strong>Die</strong> Zukunft der Vergangenheit. Konservativer Geschichtsdiskurs <strong>und</strong> kulturelle Hegemonie –<br />

Vom Historikerstreit zur Walser-Bubis-Debatte, Köln: PapyRossa, 2001, S. 53f.<br />

4 Helmut Peitsch, „´Antipoden´ im ´Gewissen der Nation´? Günter Grass´ <strong>und</strong> <strong>Martin</strong> <strong>Walsers</strong> ´deutsche<br />

Fragen´“, in: Helmut Scheuer (Hrsg.), Dichter <strong>und</strong> ihre Nation, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1993, S. 459 –<br />

489, hier 461.<br />

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