Das Neue Europa – Unterrichtsziele und –ideen. Folie ... - Geographie
Das Neue Europa – Unterrichtsziele und –ideen. Folie ... - Geographie
Das Neue Europa – Unterrichtsziele und –ideen. Folie ... - Geographie
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Hartwig Haubrich<br />
<strong>Das</strong> <strong>Neue</strong> <strong>Europa</strong> <strong>–</strong> <strong>Unterrichtsziele</strong> <strong>und</strong> <strong>–</strong>ideen.<br />
(Dieser Vortrag wurde als power-point-presentation während des Deutschen<br />
Schulgeographentages am 23. 9. 02 in Wien gehalten.)<br />
<strong>Folie</strong> 1<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren,<br />
gestatten Sie mir, meiner Vita, die Sie in Händen haben, eine Facette<br />
hinzuzufügen:<br />
Und zwar möchte ich mich als Europäer vorstellen <strong>–</strong> nicht etwa als ein neuer<br />
Europäer sondern als ein alter Europäer. Was ist aber ein alter Europäer? Ein<br />
alter Europäer, das ist eine Mischung aus einem Franzosen, der viel <strong>und</strong> lange<br />
redet, einem Deutschen, der alles besser zu wissen glaubt<br />
<strong>und</strong> einem Österreicher, der gerne lobt aber auch gerne gelobt wird.<br />
Ihr verhaltenes Lächeln verrät mir, dass Sie meinen deutschen Versuch, es<br />
einem Engländer gleich zu tun <strong>und</strong> einen Vortrag mit einem Joke zu beginnen,<br />
nicht etwa mit Beifall begrüßen sondern als Vorwarnung verstehen. Es erscheint<br />
deshalb ratsam, sich schnell vom alten <strong>Europa</strong> ab <strong>und</strong> dem <strong>Neue</strong>n <strong>Europa</strong><br />
zuzuwenden.<br />
Was heißt das aber <strong>–</strong> das <strong>Neue</strong> <strong>Europa</strong>?<br />
Jeden Tag ändert sich <strong>Europa</strong> <strong>–</strong> nicht nur in Wirklichkeit sondern auch in<br />
unserer Wahrnehmung.<br />
Gestern hatten wir das <strong>Europa</strong> der 6, heute das der 15 <strong>und</strong> morgen vielleicht das<br />
der 27. Auf dem Balkan beobachteten wir jüngst Bürgerkriege <strong>und</strong> Trennung<br />
von Staaten <strong>und</strong> in Mitteleuropa Vereinigung. <strong>Europa</strong> ändert sich unentwegt.<br />
<strong>Europa</strong> ist ein Prozess <strong>–</strong> manchmal mit Fortschritten <strong>und</strong> manchmal mit<br />
Rückschritten. Es ist eine Ermessenfrage, wann wir den Beginn des <strong>Neue</strong>n<br />
<strong>Europa</strong>s ansetzen <strong>–</strong> etwa mit der Helsinki Konferenz 1975, die den<br />
Freiheitsbewegungen im Osten <strong>Europa</strong>s ermöglichte, das Ende des<br />
Kommunismus einzuleiten, oder mit dem Fall der Mauer 1989, der die<br />
Trennung <strong>Europa</strong>s beendete oder erst mit der kommenden Osterweiterung.<br />
Viele Europäer sind heute dabei, das <strong>Neue</strong> <strong>Europa</strong> zu bauen, <strong>und</strong> es ist<br />
selbstverständlich auch eine vornehme Aufgabe des <strong>Geographie</strong>unterrichts,<br />
einen Beitrag zu leisten, junge Menschen für ein besseres, d.h. ein<br />
friedvolles <strong>und</strong> solidarisches <strong>Europa</strong> zu qualifizieren.<br />
<strong>Folie</strong> 2<br />
Zur Erfüllung dieser Aufgabe möchte ich nun einige Anregungen geben,<br />
d.h. die folgenden <strong>Unterrichtsziele</strong> mit einigen Materialien ansprechen :<br />
<strong>Europa</strong> verstehen <strong>und</strong> zwar<br />
- als offenes System <strong>und</strong> Idee,<br />
- als Wahrnehmungsraum,<br />
- als Prozessfeld,<br />
- als raumstrukturelle Herausforderung <strong>und</strong><br />
- als Solidargemeinschaft
<strong>Folie</strong> 3<br />
Beginnen wir mit dem Ziel:<br />
<strong>Europa</strong> als offenes System <strong>und</strong> Idee verstehen.<br />
<strong>Folie</strong> 4<br />
Um <strong>Europa</strong> zu verstehen, ist es notwendig, eine Definition zu versuchen:<br />
<strong>Europa</strong> ist im Norden, Westen <strong>und</strong> Süden von Meeren umgeben <strong>und</strong> wird häufig<br />
als Halbinsel Eurasiens bezeichnet. Die traditionelle Begrenzung <strong>Europa</strong>s am<br />
Ural zerschneidet Russland, <strong>und</strong> die Abgrenzung am Bosporus zertrennt die<br />
Türkei. Dies sind nur zwei Argumente gegen das klassische <strong>Europa</strong>verständnis.<br />
Sucht man den Ursprung der europäischen Kultur, so findet man ihn nicht im<br />
heutigen <strong>Europa</strong> sondern in Vorderasien. <strong>Das</strong> gleiche gilt für die Religion.<br />
<strong>Das</strong> Christentum war sicher sehr wichtig für <strong>Europa</strong>, aber man darf nicht<br />
übersehen, dass dem ersten Rom ein zweites Rom in Byzanz <strong>und</strong> ein drittes<br />
Rom in Moskau folgten. Verschiedene Orthodoxe Kirchen im Osten <strong>und</strong><br />
verschiedene katholische <strong>und</strong> protestantische Kirchen im Westen bedeuteten<br />
also nicht nur Vereinigung sondern auch Trennung.<br />
In <strong>Europa</strong> werden viele Sprachen gesprochen <strong>und</strong> viele unterschiedliche<br />
Lebensformen praktiziert. Deshalb wird <strong>Europa</strong> oft mit „Einheit in Vielfalt“<br />
charakterisiert. Aber manchmal ist es leichter, Vielfalt zu entdecken als Einheit.<br />
Euroland mit einer gemeinsamen Währung in 12 Staaten <strong>und</strong> die Europäische<br />
Union mit 15 Staaten sind kleiner als <strong>Europa</strong>, <strong>und</strong> die NATO ist wiederum<br />
bedeutend größer. Der <strong>Europa</strong>rat umfasst 41 Länder <strong>und</strong> die Organisation für<br />
Sicherheit <strong>und</strong> Zusammenarbeit in <strong>Europa</strong> sogar 54 Staaten. Es ist also ziemlich<br />
schwierig, für <strong>Europa</strong> exakte geographische Grenzen zu definieren. Selbst die<br />
Europäische Union hat bisher keine klare Abgrenzung Gesamteuropas<br />
vorgenommen, d.h. die Finalität <strong>Europa</strong>s bleibt einer zukünftigen politischen<br />
Entscheidung vorbehalten. Alle Grenzen sind von Menschen gemachte<br />
Konstrukte. Deshalb ist es vielleicht angebrachter, <strong>Europa</strong> als ein<br />
Innovationszentrum mit unterschiedlichen Reichweiten anzusehen <strong>und</strong> deshalb<br />
haben sich auch die europäischen Schulgeographenverbände 1991 im <strong>Europa</strong>rat<br />
darauf geeinigt, <strong>Europa</strong> als ein offenes System zu verstehen, das kompatible<br />
Systeme zu integrieren bereit ist.<br />
<strong>Folie</strong> 5<br />
Kompatible Systeme heißt hier: Systeme, die die <strong>Europa</strong>-Idee akzeptieren <strong>und</strong><br />
in der Lage sind, sich in die europäische Wertegemeinschaft konstruktiv<br />
einzufügen. Sicher ist ihnen der europäische Mythos bekannt, der in diesem<br />
Gemälde (Maximilian <strong>Das</strong>io 1905) zum Ausdruck gebracht wird. Die junge<br />
Phönizierin <strong>Europa</strong> wurde von Zeus, der sich in einen Stier verwandelt hatte,<br />
nach Kreta getragen, wo sie drei Söhne gebar, wo Orient <strong>und</strong> Okzident<br />
verschmolzen <strong>und</strong> wo sich die Minoische Kultur entfaltete, gefolgt von der<br />
Hellenischen in Griechenland <strong>und</strong> der Römischen in Italien.
Der hellenische <strong>und</strong> römische Geist bedeuteten Rationalität, Ästhetik, Humanität<br />
<strong>und</strong> Demokratie. <strong>Das</strong> Auf <strong>und</strong> Ab der europäischen Werteorientierung ist nun<br />
nach Kriegen <strong>und</strong> Revolutionen bei der 1999 in Nizza proklamierten „Charta der<br />
Gr<strong>und</strong>rechte der Europäischen Union“ angelangt. Fünf Kapitel beschreiben dort<br />
- die Würde des Menschen, Freiheiten, Gleichheit, Solidarität <strong>und</strong> Bürgerechte.<br />
Damit ist die Europäische Union auch formal zum ersten Mal eine gemeinsame<br />
Wertegemeinschaft. Die Menschenrechtskonvention des <strong>Europa</strong>rates existiert<br />
allerdings schon seit 1950. 800 Mio. Europäer können dort ihr Recht suchen.<br />
<strong>Europa</strong> sollte also als ein offenes System <strong>und</strong> als Wertegemeinschaft<br />
verstanden werden. Offene Systeme sind beeinflussbar <strong>und</strong> deshalb auch<br />
von Menschen gestaltbar. Ein Engagement für <strong>Europa</strong> sollte aber von<br />
europäischen Werten wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit,<br />
Gleichheit <strong>und</strong> Solidarität geleitet sein. Dafür wollen wir die zukünftigen<br />
Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger <strong>Europa</strong>s durch geographische Bildung <strong>und</strong><br />
Erziehung qualifizieren.<br />
<strong>Folie</strong> 6<br />
Deshalb heißt mein nächstes Unterrichtsziel:<br />
<strong>Europa</strong> als Wahrnehmungsraum prüfen.<br />
<strong>Folie</strong> 7<br />
Wahrnehmungen <strong>und</strong> Einstellungen bilden die psychologische Basis für<br />
kognitive Lernprozesse.<br />
Deshalb lautet die Unterrichtsidee:<br />
die eigene <strong>Europa</strong>wahrnehmung von Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern oder auch die<br />
Wahrnehmung anderer Gruppen zu prüfen.<br />
In diesem Fragenkatalog könnten die Antworten lauten:<br />
Ich bin stolz auf <strong>Europa</strong>, weil es heute mehr friedliche Zusammenarbeit gibt als<br />
früher.<br />
Ich bekomme Kopfweh, wenn ich an die vielen Immigranten denke.<br />
Ich möchte wissen, ob die Osterweiterung ein Desaster wird.<br />
Ich bin bereit, jungen Einwanderern bei ihrer Integration in unser Land zu<br />
helfen.<br />
Ich wünsche mir ein neues <strong>Europa</strong>, das nur Gewinner aber keine Verlierer kennt.<br />
<strong>Das</strong> Ergebnis einer solchen Untersuchung liefert genügend Material, um<br />
<strong>Europa</strong>skepsis, <strong>Europa</strong>begeisterung o. ä. festzustellen, bzw. das Ergebnis kann<br />
zu einem Arbeitsplan führen, der die Wünsche der Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler<br />
beinhaltet <strong>und</strong> zwar über das, was sie über <strong>Europa</strong> wissen möchten bzw. was sie<br />
für <strong>Europa</strong> tun möchten.<br />
<strong>Das</strong> zugr<strong>und</strong>e liegende pädagogische Konzept heißt „<strong>Europa</strong> in meinem<br />
Kopf, in meinem Herzen <strong>und</strong> in meiner Hand“ <strong>und</strong> die methodische<br />
Weisheit lautet: Man sollte Schülerinnen <strong>und</strong> Schüler dort geistig abholen,<br />
wo sie sich gerade befinden.
<strong>Folie</strong> 8<br />
<strong>Das</strong> nächste Ziel lautet:<br />
Raumbezogene Identitäten erfassen <strong>und</strong> beurteilen.<br />
<strong>Folie</strong> 9<br />
Als Hilfsmittel dazu dient wieder ein Fragebogen, wo es heißt:<br />
Ich fühle mich verb<strong>und</strong>en<br />
Mit einer Nation<br />
Mit <strong>Europa</strong><br />
Mit meiner Region<br />
Mit meiner Heimatgemeinde<br />
Mit der Menschheit.<br />
Die Verb<strong>und</strong>enheit kann jeweils mit den Gewichten 0 bis 4, d.h. von nicht bis<br />
sehr stark zum Ausdruck gebracht werden.<br />
Auf diese Weise kann die lokale, regionale, nationale, europäische <strong>und</strong> globale<br />
Verb<strong>und</strong>enheit der eigenen Klasse aber auch anderer Gruppen außerhalb der<br />
Schule erfasst <strong>und</strong> schließlich analysiert werden.<br />
<strong>Das</strong> Ergebnis könnte einseitige Einstellungen wie Regionalismus, Nationalismus<br />
oder <strong>Europa</strong>skepsis widerspiegeln oder eine mehr ausbalancierte Verb<strong>und</strong>enheit<br />
mit den Bezugsräumen aufzeigen.<br />
Auf jeden Fall erlaubt ein derartig empirisch gewonnenes Material einen<br />
schülergerechten Start in die <strong>Europa</strong>-Thematik.<br />
<strong>Folie</strong> 10<br />
<strong>Das</strong> nächste Unterrichtsziel lautet:<br />
Nationale Fremd- <strong>und</strong> Selbstbilder vergleichen <strong>und</strong> beurteilen<br />
F 11<br />
Wir wissen, dass Menschen sich ein Bild von Ländern <strong>und</strong> Völkern machen, <strong>und</strong><br />
wenn es noch so schwierig ist, auch machen müssen. Als Beispiel dafür zeige<br />
ich Ihnen einige Europäer, wie sie von Thai-Airlines gesehen werden. Insider<br />
werden vielleicht einen Österreicher <strong>und</strong> einen Bayern relativ leicht erkennen,<br />
aber dann wird es mit der Zuordnung schon schwieriger.<br />
Wir Europäer sollten uns nicht über derartige Fremdbilder mokieren, sondern<br />
uns z.B. anschauen, wie unsere Regierungen bei der letzten Wahl zum<br />
Europäischen Parlament die beteiligten Nationen bildhaft vorgestellt haben <strong>und</strong><br />
wie sie sie sicher wieder bei der nächsten Wahl darstellen werden.
<strong>Folie</strong> 12<br />
Für eine nationale Imageanalyse eignet sich der folgende Associationsversuch:<br />
Menschen sind verschieden.<br />
Was fällt Dir z.B. beim Wort Ungarn ein?<br />
Bei Menschen könnte die Antwort lauten: Magyaren, Hunnen, Zigeuner,<br />
Donauschwaben…<br />
Bei Speisen <strong>und</strong> Getränken: Gulasch, Salami, Stierblut, Tokayer..<br />
Bei Landschaften: Pussta, Alföld, Donauniederung, …<br />
Bei Problemen: niedriger Lebensstandard, schwache Währung, Konflikt mit der<br />
Slovakei usw.<br />
<strong>Das</strong> Ergebnis könnte zeigen: starre Stereotypen, fre<strong>und</strong>liche Images aber<br />
auch totale Unkenntnis. Auf jeden Fall eignet sich eine derartige<br />
Imageanalyse für einen Einstieg in die Behandlung eines einzelnen Landes<br />
in <strong>Europa</strong>, bei der Lücken aufgefüllt <strong>und</strong> Korrekturen vorgenommen<br />
werden können.<br />
<strong>Folie</strong> 13<br />
Die meisten Image-Analysen zielen darauf ab, Unterschiede zwischen<br />
Menschen herauszuarbeiten. Pädagogisch bedeutsamer erscheint mir aber,<br />
Gemeinsamkeiten zu erkennen.<br />
Dazu dienen die folgenden Fragen:<br />
Die Antworten könnten z.B. für Polen <strong>und</strong> Tschechen lauten:<br />
Sie sehnen sich nach Frieden <strong>und</strong> Glück,<br />
Sie tanzen <strong>und</strong> singen gern,<br />
Sie lieben es, gut zu speisen,<br />
Ihre Landwirtschaft ist veraltet.<br />
Sie haben viele Umweltprobleme zu bewältigen.<br />
Ihre Freiheitsbewegungen haben zur Demokratisierung <strong>Europa</strong>s beigetragen.<br />
Sie drängen in die Europäische Union usw.<br />
Derartige Aktivitäten knüpfen an Kenntnissen <strong>und</strong> Einstellungen von<br />
Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern an, grenzen nicht ab <strong>und</strong> aus, sondern betonen<br />
die vergleichbaren Interessen <strong>und</strong> Bedürfnisse von Menschen.<br />
F 14<br />
Geographische Standorte haben immer Einfluss auf Wahrnehmungen. Der<br />
englische Geograph Cole versucht dies mit vielen europäischen Karten zu<br />
demonstrieren. In diesem Beispiel zeigt er, dass Polen <strong>–</strong> mit Russland im<br />
Rücken - nicht horizontal nach Westen schauen, wenn sie ihren Blick nach<br />
<strong>Europa</strong> richten, sondern nach oben. Die Menschen blicken von verschiedenen<br />
Standorten <strong>und</strong> aus verschiedenen Entfernungen auf <strong>Europa</strong>. Sie schauen<br />
entweder nach oben oder nach unten, nach hinten, nach vorne, nach Westen,<br />
Osten, Süden, Norden, in die Ferne oder in die Nähe, d.h. sie betrachten <strong>Europa</strong><br />
nicht nur von verschiedenen geographischen sondern auch von verschiedenen<br />
psychologischen Situationen aus.
Ihr geographischer Standort wird gleichzeitig ihr psychologisches Zentrum<br />
ihrer Welt- <strong>und</strong> damit auch ihrer <strong>Europa</strong>-Wahrnehmung.<br />
Verständnis für diese menschliche Konstante zu entwickeln, um sie<br />
gleichzeitig zu hinterfragen, zählt sicher auch zum Potenzial<br />
geographischer Bildung.<br />
F 15<br />
Kurz zusammengefasst könnten bei einer Behandlung <strong>Europa</strong>s als<br />
Wahrnehmungsraum u. a. die folgenden Einsichten gewonnen werden:<br />
• Wahrnehmungen werden vom geographischen Standort beeinflusst.<br />
• Stereotypen sind feststehende Anschauungen <strong>und</strong> erschweren<br />
Kooperation.<br />
• Images enthalten Falsches <strong>und</strong> Wahres.<br />
• Wir sollten unter den Völkern mehr Gemeinsames statt Verschiedenes<br />
suchen.<br />
• Wir sollten kulturelle Vielfalt als Entwicklungspotenzial für <strong>Europa</strong><br />
schätzen.<br />
F16<br />
<strong>Das</strong> nächste Unterrichtsziel lautet:<br />
<strong>Europa</strong>zentrismus vermeiden<br />
F 17<br />
Wenn wir <strong>Europa</strong> betrachten, ist es notwendig, auch <strong>Europa</strong>s Stellung in der<br />
Welt zu berücksichtigen.<br />
Diese Weltkarte spiegelt die Größe der einzelnen Länder nach Ihrem BSP. Wir<br />
sehen, wie <strong>Europa</strong>, Nordamerika <strong>und</strong> Japan die ersten Plätze besetzen <strong>und</strong> die<br />
übrige Welt nur eine untergeordnete Rolle spielt. Wir müssen uns fragen,<br />
welchen Einfluss solche Karten auf junge Menschen ausüben. Möglicherweise<br />
sind sie stolz, zur Weltspitze zu zählen. Ob sie aber aus einer solchen<br />
Darstellung eine globale Verantwortung ablesen, hängt auch vom<br />
anschließenden Unterricht ab.<br />
F 18<br />
Um zu vermeiden, <strong>Europa</strong> als Nabel der Welt zu betrachten, ist es u. a.<br />
angebracht, auch solche Karten einzusetzen wie z.B. die Weltkarte eines<br />
amerikanischen Schülers oder die Weltkarte aus einem Japanischen Atlas.<br />
F 19<br />
Oder auch diese australische Sicht der Welt. Hier liegt Australien nicht „ down<br />
<strong>und</strong>er“ sondern „high up“. Diese verschiedenen Weltdarstellungen haben sicher<br />
einen unterschiedlichen psychologischen Effekt auf junge Menschen <strong>und</strong> sind<br />
geeignet, wenigstens einen kleinen Beitrag zu leisten, <strong>Europa</strong>zentrismus zu<br />
vermeiden.
F 20<br />
Neben dieser kleinen kartographischen Betrachtung gibt es noch zahlreiche<br />
andere Gelegenheiten, dem <strong>Europa</strong>zentrismus entgegen zu treten. Diese<br />
Abbildung zeigt uns:<br />
Wenn ein europäischer Missionar nach Afrika gehen darf, dann sollte es einem<br />
afrikanischen Missionar auch erlaubt sein, in <strong>Europa</strong> zu missionieren.<br />
<strong>Das</strong> Ziel meiner kurzen Überlegung war also, <strong>Europa</strong>zentrismus zu<br />
vermeiden <strong>und</strong> reversible Welt- <strong>und</strong> <strong>Europa</strong>betrachtungen zu ermöglichen.<br />
Auf die Osterweiterung bezogen heißt das, nicht nur die Einstellungen der<br />
alten EU-Mitglieder zu betrachten sondern auch die Erwartungen <strong>und</strong><br />
Befürchtungen der neuen Beitrittsländer.<br />
F 21<br />
<strong>Das</strong> nächste Unterrichtsziel lautet: <strong>Europa</strong> als Prozess verstehen.<br />
F 22<br />
Diese Karte zeigt die Entwicklung des Römischen Reiches bis zum 3. Jh.<br />
Die Frage ist: War das Römische Reich ein Vorläufer <strong>Europa</strong>s?<br />
Es umfasste auch Teile Asiens <strong>und</strong> Afrikas <strong>und</strong> war mehr ein mediterranes<br />
Reich als ein europäisches. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass das Römische<br />
Reich viele Spuren in der europäischen Kulturlandschaft hinterlassen hat.<br />
F 23<br />
Diese Karte zeigt <strong>Europa</strong> zur Zeit Karls des Großen im 8. Jh. Sie umfasst das<br />
Heilige Römische Reich deutscher Nation aber nicht das ganze heutige <strong>Europa</strong>.<br />
Ebenso wie das Römische Reich ist auch dieses Reich nicht auf friedlichem<br />
sondern auf kriegerischem Wege zustande gekommen, obwohl es sich ein<br />
christliches <strong>und</strong> sogar ein heiliges Reich nannte.<br />
F 24<br />
Diese Karte ist ein Beispiel zum kulturellen Erbe <strong>Europa</strong>s. Sie zeigt die<br />
Ausbreitung des Barock ausgehend von einigen Innovationszentren bis hin zu<br />
einer gut erkennbaren östlichen Grenze. Dies ist gleichzeitig die Grenze<br />
zwischen der Orthodoxie <strong>und</strong> den westlichen Kirchen. Manche<br />
Kulturwissenschaftler meinen deshalb, die östliche Grenze <strong>Europa</strong>s werde durch<br />
die Grenze zur russischen Orthodoxie bestimmt.<br />
<strong>Folie</strong> 25<br />
Diese Karte zeigt Napoleons Traum von <strong>Europa</strong>. Sein Traum war ein<br />
Hegemonialreich, das bis zum Pazifik reichte.<br />
Während Charles de Gaulle nur von einem <strong>Europa</strong> der Vaterländer bis zum Ural<br />
träumte, repräsentiert diese Karte interessanterweise in etwa die Mitgliedsländer<br />
des heutigen <strong>Europa</strong>rates.
F 26<br />
Der französische Geograph Michel Foucher hat in dieser Karte alle ehemaligen<br />
Staatsgrenzen in <strong>Europa</strong> seit dem 17. Jh. festgehalten. Die Karte ist ein Indikator<br />
für die ständigen Grenzverschiebungen <strong>und</strong> die Zersplitterung <strong>Europa</strong>s.<br />
Besonders der Westen <strong>und</strong> Osten Mitteleuropas zeichnen sich durch Instabilität<br />
aus. Zur Förderung des europäischen Integrationsgedankens ist es sicherlich von<br />
Nutzen, sich diese Karte des zerbrochenen Spiegels <strong>–</strong> wie sie Foucher nennt <strong>–</strong><br />
vor Augen zu führen.<br />
F 27<br />
Diese Karte zeigt die menschenverachtendste Trennung <strong>Europa</strong>s - nämlich den<br />
Eisernen Vorhang vom Nordmeer bis zum Schwarzen Meer mit Warschauer<br />
Pakt <strong>und</strong> RGW im Osten <strong>und</strong> EG <strong>und</strong> NATO im Westen. Der Fall der Mauer<br />
1989 machte schließlich den Weg zur Vereinigung <strong>Europa</strong>s wieder frei.<br />
F 28<br />
Der Separation <strong>Europa</strong>s folgt nun in jüngster Zeit das Bestreben nach mehr<br />
Integration. So erlebten wir das <strong>Europa</strong> der Sechs 1952, das der Neun 1973, der<br />
Zehn 1981, der Zwölf 1986, die Integration Ostdeutschlands 1990 <strong>und</strong> das<br />
<strong>Europa</strong> der Fünfzehn 1995. Die Europäische Union hat also bereits eine Nord-<br />
<strong>und</strong> eine Süderweiterung gemeistert.<br />
F 29<br />
Wir wissen es noch nicht genau, aber es scheint so, dass wir im Jahre 2004 die<br />
Osterweiterung der Europäischen Union erleben werden. Ob es dann ein <strong>Europa</strong><br />
der 27 wird, hängt sehr stark von den Harmonisierungsergebnissen der<br />
Beitrittsländer ab.<br />
Ziel dieser kleinen Kartenabfolge war es, zu zeigen, dass <strong>Europa</strong> ein<br />
Prozess ist, der von Menschen gestaltet wurde <strong>und</strong> wird, <strong>und</strong> dass dieser<br />
Prozess in einer Demokratie nicht allein von Funktionären sondern vor<br />
allem von den Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürgern <strong>Europa</strong>s bestimmt werden sollte.<br />
Um dieser Aufgabe gerecht werden zu können, benötigen sie allerdings eine<br />
entsprechende geographische Bildung.<br />
F 30<br />
Deshalb lautet das nächste Unterrichtsziel:<br />
Europäische Strukturen <strong>und</strong> Disparitäten analysieren <strong>und</strong> beurteilen.<br />
F 31<br />
Diese Grafik enthält das BIP/Kopf in KKS 1999 <strong>und</strong> unterscheidet drei<br />
Ländergruppen:<br />
Die erste Gruppe liegt mit einem Wert von 45 unter dem Index 100, d.h. dem<br />
Durchschnitt von 26 europäischen Ländern. Dazu zählen ausschließlich<br />
ostmitteleuropäische Länder.<br />
Die zweite Gruppe enthält west- <strong>und</strong> ostmitteleuropäische Länder. Sie liegt etwa<br />
10 Punkte unter dem Durchschnitt der 26.<br />
Eine dritte Gruppe liegt mit 120 über dem Index 100 <strong>und</strong> umfasst ausschließlich<br />
Länder der EU.
Vergleicht man den Durchschnitt der EU mit dem Durchschnitt der<br />
Beitrittsländer, so erhalten wir die Werte 120 bzw. 45.<br />
Mit der Osterweiterung werden die nationalen Disparitäten innerhalb der Union<br />
stark anwachsen <strong>und</strong> eine große Herausforderung für das europäische<br />
Solidarsystem darstellen.<br />
F 32<br />
Diese Karte zeigt noch einmal die großen Disparitäten allerdings auf regionaler<br />
Ebene. Deutlich treten die Peripherien hervor, d.h. die Regionen der<br />
Kohäsionsländer Portugal, Spanien <strong>und</strong> Griechenland in der EU <strong>und</strong> praktisch<br />
alle Regionen der Beitrittsländer im Osten. Aber auch innerhalb der zentralen<br />
EU zeigen sich große regionale Unterschiede <strong>–</strong> wie es z.B. die ost- <strong>und</strong><br />
westdeutschen Länder belegen.<br />
F 33<br />
Diese Grafik macht die regionalen Unterschiede noch deutlicher.<br />
Im Vereinigten Königreich lag z.B. das durchschnittlich BIP/Kopf mit knapp<br />
100 fast beim Index der EU. In Cornwall fällt es aber auf 60 <strong>und</strong> in London<br />
steigt es auf 230.<br />
In Österreich liegt der Durchschnitt mit 112 über dem Index 100.<br />
In Wien erreicht dieser Betrag allerdings 160 <strong>und</strong> fällt im Burgenland auf 60.<br />
In Deutschland erreicht der Durchschnittswert 110 <strong>–</strong> in Hamburg liegt er bei 180<br />
<strong>und</strong> in Dessau nur bei 50. Die regionalen Disparitäten sind also größer als die<br />
nationalen.<br />
F 34<br />
Ähnliche regionale Disparitäten beobachten wir bei der Arbeitslosenquote.<br />
Sie differieren in Italien zwischen 28 <strong>und</strong> 4%, in Österreich zwischen knapp 6<br />
<strong>und</strong> knapp 3% mit einem Durchschnitt von nur knapp 4%.<br />
Im Gegensatz dazu liegt das Maximum in Dessau bei 20% <strong>und</strong> in Oberbayern<br />
bei 4% bei einem nationalen Durchschnitt von über 9%.<br />
F 35<br />
Diese Karte zeigt noch einmal die Arbeitslosenquoten in der Union <strong>und</strong> in den<br />
Beitrittsländern. Die Quoten liegen fast überall sehr hoch, aber besonders in den<br />
südlichen Peripherien der Union <strong>und</strong> in den Ländern der Osterweiterung.<br />
Ursache der hohen Arbeitslosigkeit in den Beitrittsländern ist der immer noch<br />
hohe Beschäftigtenanteil in den Altindustrien, der mit 22% immer noch hohe<br />
Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten, das geringe Qualifikationsniveau<br />
der Beschäftigten, die geringere Arbeitsproduktivität, unzureichende<br />
Forschungen, Innovationen sowie Infrastrukturen. Die Arbeitslosigkeit bleibt<br />
eine große Herausforderung der Union, die sich mit der Erweiterung noch<br />
verschärfen wird.
F 36<br />
Ein großes Heer an zukünftigen Arbeitslosen <strong>und</strong> Emigranten ist in den<br />
peripheren Agrarregionen (grün) zu erwarten, aber auch in den im Wandel<br />
begriffenen Regionen mit Altindustrien(rötlich/ocker) <strong>–</strong> weniger in den<br />
Regionen mit vorherrschenden Dienstleistungen (lila).<br />
Dies sind natürlich nur ausgewählte Strukturen <strong>und</strong> Disparitäten. Ein Indikator<br />
wie der human development index wäre sicher noch aussagekräftiger, um die<br />
Ungleichheiten in <strong>Europa</strong> aufzuzeigen.<br />
Ziel dieser Betrachtung war es: Ungleichheiten von Lebensbedingungen in<br />
<strong>Europa</strong> zu erkennen <strong>und</strong> daraus die Forderung nach Konvergenz, d. h.<br />
nicht nach Egalität sondern nach annähernd vergleichbaren<br />
Lebenschancen abzuleiten.<br />
F 37<br />
Deshalb lautet mein letztes Lernziel:<br />
Europäische Solidarität <strong>und</strong> Kooperation fördern<br />
F 38<br />
Diese Karte zeigt das Solidarsystem der Europäischen Union, das auf die<br />
Beitrittsländer ausgedehnt werden soll.<br />
Die Regionen mit Entwicklungsrückstand, d.h. mit einem BSP unter 75% des<br />
EU-Durchschnitts zählen zu den Ziel 1-Regionen, Sie erhalten z. B. eine<br />
Förderung für den Ausbau ihrer Infrastrukturen. Diese Regionen liegen in der<br />
Regel in der Peripherie.<br />
Die Regionen, die die Last veralteter Industrien <strong>und</strong> Agrarstrukturen zu tragen<br />
haben, zählen zu den Ziel 2 Regionen. Diese erhalten eine Unterstützung für den<br />
notwendigen Strukturwandel.<br />
Innerhalb des Kranzes der peripheren Regionen mit Entwicklungsrückstand<br />
folgt der Kranz der Umwandlungsregionen <strong>und</strong> den Kern <strong>Europa</strong>s bilden die<br />
wirtschaftlich starken Regionen, die allein fast 50% der europäischen<br />
Einkommen erwirtschaften.<br />
F 39<br />
Die europäische Regionalpolitik verfügt über mehrere Instrumente der<br />
Solidarität. Sowohl Geberländer als auch Empfängerländer profitieren. Erstere<br />
erhalten größere Absatzchancen für ihren Export <strong>und</strong> letztere werden in die<br />
Lage versetzt, ihre Infrastrukturen auszubauen. Mehrere Strukturfonds <strong>und</strong><br />
Gemeinschaftsinitiativen dienen dazu, das soziale <strong>und</strong> wirtschaftliche Leben<br />
anzukurbeln. Die Länder mit unzureichenden Verkehrs- <strong>und</strong><br />
Umweltinfrastrukturen kommen in den Genuss des Kohäsionsfonds. Dazu<br />
gehören Irland, Portugal, Spanien <strong>und</strong> Griechenland.<br />
F 40<br />
Zu den vier Gemeinschaftsinitiativen zählen.<br />
Interreg <strong>–</strong> zur Förderung der grenzüberschreitenden regionalen Zusammenarbeit<br />
Urban - zur Wiederbelebung städtischer Problemviertel,<br />
Leader - zur Förderung ländlicher Räume für eine nachhaltige Entwicklung,<br />
Equal - zur Beseitigung von Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt
F 41<br />
<strong>Das</strong> größte strukturelle <strong>und</strong> finanzielle Problem ist die europäische<br />
Landwirtschaft. Fast die Hälfte des EU Etats wird für die Subvention der<br />
Landwirtschaft zur Verfügung gestellt, <strong>und</strong> die Beitrittsländer beanspruchen als<br />
Vollmitglieder die gleichen Rechte wie die Altmitglieder. Bleibt alles beim<br />
Alten, wird das ganze unbezahlbar.<br />
Lösungen in Richtung von Direktsubventionen für ländliche Entwicklung,<br />
Landschaftspflege, ges<strong>und</strong>e Nahrungsmittel <strong>und</strong> andere ökologische Ziele statt<br />
für reine Produktionsförderung zeichnen sich allerdings ab. Die große<br />
Diskussion über die Gemeinsame Agrarpolitik/GAP wird aber erst in diesem<br />
Herbst einsetzen.<br />
F 42<br />
Nicht nur die EU-Regionen werden unterstützt, sondern auch die Beitrittsländer<br />
erhalten schon längere Zeit Heranführungshilfen. Dabei kommen 3<br />
Gemeinschaftsinstrumente für 10 Mittel-Osteuropäische Länder zur<br />
Anwendung:<br />
PHARE unterstützt vor allem die Behörden bei der Einführung des EU-<br />
Gemeinschaftsrechts. <strong>Das</strong> sind 31 Harmonisierungskapitel.<br />
SAPARD unterstützt die Vorbereitung der Beitrittsländer auf die Gemeinsame<br />
Agrarpolitik /GAP.<br />
ISPA fördert einzelne Großprojekte in den Bereichen Verkehr <strong>und</strong> Umwelt.<br />
Außerdem sind mit den so genannten <strong>Europa</strong>abkommen zwischen der EU <strong>und</strong><br />
einzelnen Beitrittsländern schon zahlreiche Möglichkeiten der Zusammenarbeit,<br />
die die Osterweiterung erst bringen soll, vorweggenommen.<br />
F43<br />
<strong>Europa</strong> ist ein sehr kompliziertes Gebilde. <strong>Europa</strong> umfasst 3oo Regionen, die in<br />
der Versammlung der Regionen <strong>Europa</strong>s vereint sind, die alle ihr Recht suchen<br />
<strong>und</strong> bei der Entwicklung <strong>Europa</strong>s mitwirken wollen. Nur wenn das<br />
Subsidiaritätsprinzip angemessen umgesetzt wird, <strong>und</strong> nur wenn die Regionen<br />
den Eindruck haben, dass sie nicht fremdbestimmt sind sondern vom<br />
gemeinsamen <strong>Europa</strong> profitieren, wird die Integration <strong>Europa</strong>s gelingen.<br />
Neben der privaten Versammlung von 300 Regionen <strong>und</strong> dem offiziellen<br />
Regionalausschuss der EU mit 200 Regionen gibt es noch über 5o<br />
grenzüberschreitende Euro-Regionen <strong>und</strong> weitere internationale<br />
Gemeinschaften, die die Integration <strong>Europa</strong>s fördern: Dazu zählen<br />
OSZE, EFTA, NATO, Nordischer Rat, Ostseerat, Baltischer Rat, Euro-<br />
Atlantischer Partnerschaftsrat, GUS <strong>und</strong> die Schwarzmeer-Kooperation.<br />
<strong>Neue</strong>rdings regt sich auch auf dem Balkan bzw. im neu bezeichneten Mittel-<br />
Süd-<strong>Europa</strong> mit dem NATO-Beitritt ein stärkeres Selbstbewusstsein mit dem<br />
Ziel, mehr an der europäischen Integration zu partizipieren. Nicht nur der<br />
politische Club Balkan sondern auch der dortige Stabilitätspakt der EU sind<br />
Belege dafür.
Es ist schwierig, hier den Überblick zu behalten, aber es ist gut zu wissen, dass<br />
nach der Trennung durch den Eisernen Vorhang <strong>und</strong> trotz nicht zu übersehender<br />
Nationalismen viele Gemeinschaften dabei sind, Kooperation <strong>und</strong> Solidarität in<br />
<strong>Europa</strong> zu praktizieren.<br />
F 44<br />
<strong>Europa</strong> wird technisch zusammenwachsen, wie es die Schrumpfung der<br />
Eisenbahnreisezeiten in diesen beiden Karten von 1993 <strong>und</strong> 2020 belegen <strong>und</strong><br />
wie es andere elektronische Kommunikationsmöglichkeiten zeigen.<br />
<strong>Europa</strong> muss aber auch geistig zusammenwachsen <strong>und</strong> das geht am besten durch<br />
direkte oder personale Kommunikation.<br />
F 45<br />
Deshalb habe ich einmal einige europäische Jugendprogramme für<br />
Auslandsaufenthalte von Schülerinnen <strong>und</strong> Schülern mit den entsprechenden<br />
Adressen zusammengestellt. Daneben gibt es über Euro.GEO <strong>und</strong> über<br />
European Schoolnet weitere Kommunikationsmöglichkeiten auch für<br />
Lehrerinnen <strong>und</strong> Lehrer.<br />
Über 1 Mill. Jugendliche haben bisher mit Unterstützung der EU im Ausland<br />
gelebt, gelernt <strong>und</strong> gearbeitet. Sie lernen Fremdes kennen, machen Menschen im<br />
Gastland mit der <strong>Europa</strong>-Idee vertraut <strong>und</strong> bringen diesen ihr Heimatland näher.<br />
Obwohl nicht alle Jugendlichen die Chance eines Auslandsaufenthaltes<br />
wahrnehmen können, ist aber allen möglich, wenigstens mit Partnern in anderen<br />
Ländern Kontakt aufzunehmen <strong>und</strong> Ideen, Erfahrungen <strong>und</strong> Wünsche<br />
elektronisch auszutauschen.<br />
Ich selbst habe in den letzten Monaten befre<strong>und</strong>ete Kolleginnen <strong>und</strong> Kollegen in<br />
Polen, Tschechien, Slovakei, Slovenien <strong>und</strong> Ungarn gebeten, mir in Englisch<br />
oder Deutsch verfasste Aufsätze von 16 bis 18-jährigen Schülerinnen <strong>und</strong><br />
Schülern zum Thema „Meine Zukunft in <strong>Europa</strong>“ zu schicken. Daraus möchte<br />
ich zum Abschluss nur einige Zitate anführen.<br />
Eine slovenische Schülerin schreibt:<br />
Ich sehe meine Zukunft in der EU als eine Zukunft vieler Möglichkeiten.<br />
Sie schreibt aber auch:<br />
Der Kapitalismus ist unpersönlicher als der Sozialismus, weil man ständig um<br />
seinen Arbeitsplatz kämpfen muss. <strong>Das</strong> erzeugt ständige Rivalität. Auf der<br />
anderen Seite bringt der Kapitalismus mehr Fortschritte, was heute das<br />
Wichtigste in der Welt zu sein scheint.<br />
Ein ungarischer Schüler schreibt:<br />
<strong>Europa</strong> wird sich um unsere Menschenrechte <strong>und</strong> Demokratie kümmern.<br />
Ich habe die Hoffnung, dass der Eintritt in die EU ein erster Schritt in eine<br />
vereinigte Welt sein wird.<br />
Eine Tschechin schreibt:<br />
Meine Eltern überlegen gerade, ob sie sich gegen den Beitritt in die EU<br />
entscheiden sollen oder nicht. Und weiter:
Ich fürchte, dass wir die Landeshoheit verlieren <strong>und</strong> uns mit neuen Vorschriften<br />
abfinden müssen.<br />
Eine andere:<br />
Ich bleibe meiner Republik treu <strong>und</strong> werde immer das Tschechentum<br />
hochhalten.<br />
Viele Arbeitslose sehnen sich nach dem Sozialismus zurück, als alle eine<br />
Beschäftigung hatten.<br />
Ein slovenischer Schüler schreibt:<br />
Nun gibt es große Unterschiede unter den Menschen, einige sind sehr reich,<br />
haben ein eigenes Haus mit Swimmingpool <strong>und</strong> andere sind sehr arm <strong>und</strong><br />
können noch nicht einmal ihre Nahrungsmittel bezahlen.<br />
Ein polnischer Schüler schreibt:<br />
Es gibt viele unzufriedene Leute. Ich warte auf den Tag, an dem ich mein Auto<br />
offen parken kann <strong>und</strong> es steht noch da, wenn ich zurückkomme.<br />
Ich bin stolz auf mein Land, aber es wird uns eine Ehre sein, in der EU zu leben.<br />
Ich kann mir ein <strong>Europa</strong> ohne Grenzen gut vorstellen.<br />
Ich weiß, ich habe mehr Chancen als meine Eltern. Es wäre aber töricht zu<br />
glauben, dass der EU-Beitritt nur Vorteile brächte.<br />
Diese Zitate können vielleicht ermutigen, ähnliche Kontakte mit Schulen über<br />
Eurogeo oder über European Schoolnet zu suchen <strong>und</strong> damit Wege für eine<br />
europäische Kommunikation <strong>und</strong> Solidarität zu bahnen.<br />
F 46<br />
Meine Damen <strong>und</strong> Herren, ich komme zum Schluss.<br />
<strong>Europa</strong> ist in unserer Hand.<br />
Der Prozess der europäischen Integration wird nie völlig abgeschlossen<br />
sein. <strong>Europa</strong> wird eine Baustelle bleiben <strong>–</strong> hoffentlich eine friedliche <strong>und</strong><br />
kooperative! Diese Hoffnung wird eher in Erfüllung gehen, wenn uns die<br />
Bildungspolitik die Möglichkeit gibt, nicht nur einige europäische Regionen<br />
<strong>und</strong> Themen in unteren Schulklassen zu unterrichten sondern das sehr<br />
komplexe Thema <strong>Europa</strong> auch auf höherem Niveau in oberen Klassen<br />
angemessen zu betrachten. Dann können wir eher erwarten,<br />
dass die zukünftige Generation<br />
<strong>Europa</strong> als eine Wertegemeinschaft versteht,<br />
die vielfältigen Kulturen <strong>und</strong> Lebensformen in <strong>Europa</strong> als Bereicherung<br />
schätzt,<br />
<strong>Europa</strong>zentrismus meidet <strong>und</strong> stattdessen auch globale Verantwortung zu<br />
übernehmen bereit ist,<br />
die Konvergenz der Regionen durch europäische Solidarsysteme bejaht <strong>und</strong><br />
schließlich<br />
durch eigene Kommunikation <strong>und</strong> Kooperation zu einem <strong>Europa</strong> der<br />
Bürgerinnen <strong>und</strong> Bürger beiträgt.
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