Arbeitsrechtliche Entscheidungen Ausgabe 2005-04
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Rechtsprechung<br />
Allgemeines Vertragsrecht<br />
Notwendigkeit einer Risikobegrenzung in Freitodfällen nur als<br />
gering einzuschätzen ist. Die Begehung eines Selbstmordes<br />
zur Verschaffung einer Hinterbliebenenrente ist eher fernliegend.<br />
Daher ist der Ausschlusstatbestand des „Freitodes“ im<br />
Zweifel restriktiv auszulegen.<br />
5. Für die konkrete Freitodklausel in § 13 der Versorgungsordnung<br />
gilt Folgendes:<br />
Der Begriff des Freitodes in der Versorgungsordnung schließt<br />
schon vom Wortverständnis her die Fälle aus, in denen die<br />
Tat in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden<br />
Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen<br />
worden ist. Dieser Wortsinn findet außerdem seinen Niederschlag<br />
in der Gesetzesregelung des § 169 Satz 2 WG für den<br />
Bereich der Versicherungswirtschaft, in dem die Missbrauchsgefahr<br />
durch Verschaffung einer in der Regel nicht unbeträchtlichen<br />
Lebensversicherungssumme weitaus höher ist als<br />
das Missbrauchsrisiko zur Erlangung einer betrieblichen Hinterbliebenenrente.<br />
Die Auslegung des Begriffs „Freitod“ mit<br />
den Beschränkungen im Sinne des § 169 Satz 2 WG vermag<br />
den Anspruch im Streitfall aber nicht zu begründen, denn<br />
nach dem Inhalt der Berufungsverhandlung beruft sich die<br />
Klägerin nicht auf einen Fall des Selbstmordes in einem die<br />
freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand krankhafter<br />
Störung der Geistestätigkeit.<br />
6. Im Rahmen der Auslegung oder weitergehend einer<br />
Rechtskontrolle ist es nicht möglich, etwa die Wartezeitregelung<br />
des § 8 der Allgemeinen Bedingungen für die kapitalbildende<br />
Lebensversicherung (ALB 86) zum Inhalt der Freitodklausel<br />
des § 13 der Versorgungsordnung zu machen. Die ALB<br />
schließen Selbstmordfälle nach einer bestimmten Wartezeit<br />
(3 Jahre) nicht mehr aus der Leistungspflicht aus, stehen<br />
also einer Auszahlung der vollen Versicherungssumme nach<br />
Ablauf von 3 Jahren seit Zahlung des Einlösungsbeitrages<br />
oder seit Wiederherstellung der Versicherung nicht entgegen.<br />
Im Schrifttum wird zwar gelegentlich empfohlen, in eine<br />
Freitod- oder Härtefallklausel eine vergleichbare Wartezeit<br />
zwischen der Zusage der betrieblichen Altersversorgung und<br />
dem Freitodfall aufzunehmen (Langohr-Plato a. a. O., Rn 23).<br />
Wo eine solche Regelung, die auf die Verhältnisse in der<br />
Versicherungswirtschaft zugeschnitten ist, aber wie vorliegend<br />
durch die Betriebsparteien in der Versorgungsordnung<br />
nicht getroffen wurde, kann sie nicht ohne weiteres aus<br />
allgemeinen Billigkeitserwägungen in die Todesfallklausel<br />
hineininterpretiert werden.<br />
7. Die Versorgungsordnung enthält keine Härtefallklausel,<br />
die die Möglichkeit böte, bei Vorliegen einer bestimmten Wartezeit<br />
oder bei sonstigen Umständen wie etwa die Motive, die<br />
zu einem Selbstmord geführt haben, die Freitodklausel nicht<br />
anzuwenden. Andererseits begründet eine fehlende Härtefallklausel<br />
noch nicht die generelle Unzulässigkeit der Freitodklausel,<br />
wenn sie nach Wortsinn und dem Rechtsgedanken<br />
des § 169 Satz 2 WG wie hier so verstanden wird, dass Versorgungsleistungen<br />
nicht ausgeschlossen sind, wenn der Selbstmord<br />
in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden<br />
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Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit begangen<br />
worden ist.<br />
8. Die somit grundsätzlich zulässige Freitodklausel in § 13<br />
bietet nach Wortlaut und systematischem Zusammenhang<br />
der Versorgungsregelung allerdings die Möglichkeit der teleologischen<br />
Reduktion in dem Sinne, dass lediglich die durch<br />
Freitod ausgelöste vorzeitige Inanspruchnahme der Hinterbliebenenrente<br />
ausgeschlossen sein sollte.<br />
9. Zunächst ist festzustellen, dass die Betriebsparteien in der<br />
Versorgungsordnung die Hinterbliebenenversorgung nicht<br />
generell bei Freitod ausgeschlossen haben. Die Klausel lautet<br />
nicht: „Bei Freitod besteht kein Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung.“<br />
Die Versorgungsordnung gewährt gemäß den<br />
§§ 3, 11 und 12 Hinterbliebenenrenten sowohl beim Tod eines<br />
Anwärters als auch eines Ruhegeldempfängers. Nach § 13 soll<br />
lediglich die Witwenrente beim Freitod eines „Anwärters“ ausgeschlossen<br />
sein, das heißt, der Freitod eines Ruhegeldempfängers<br />
lässt den Anspruch auf Witwenrente unberührt. Diese<br />
Differenzierung ist nach Auffassung des Berufungsgerichts vor<br />
dem wirtschaftlichen Hintergrund nachvollziehbar, dass der<br />
Arbeitgeber durch den Freitod eines Anwärters nicht vorzeitig<br />
und damit auch länger zu Versorgungsleistungen verpflichtet<br />
sein sollte. Der Normzweck, sich vor voluntativer Herbeiführung<br />
eines vorzeitigen Versorgungsfalles zu schützen,<br />
kommt auch in § 9 b der Versorgungsordnung zum Ausdruck.<br />
Dort ist geregelt, dass ein Anspruch auf Invalidenrente nicht<br />
erworben wird, wenn der Anwärter die Invalidität vorsätzlich<br />
herbeigeführt hat. Von den in §§ 9 b und 13 geregelten<br />
Fällen des Ausschlusses bewusst herbeigeführter vorzeitiger<br />
Versorgungsfälle sind die Ansprüche zu unterscheiden, die mit<br />
Erreichen der festen Altersgrenze entstehen, die kalkulierbar<br />
und nicht beeinflussbar sind. Da die Versorgungsordnung<br />
ab diesem Zeitpunkt Witwenrente auch dann vorsieht,<br />
wenn der ehemalige Arbeitnehmer Freitod begeht, besteht<br />
kein sachlicher Differenzierungsgrund für eine „Bestrafung“<br />
der Witwe, deren Ehemann vorher durch Freitod aus dem<br />
Leben geschieden ist, obwohl sie erst ab der Altersgrenze<br />
des Arbeitnehmers und daher nicht vorzeitig an der von<br />
diesem verdienten Versorgungsanwartschaft teilhaben soll.<br />
Eine besondere Belastung des Arbeitgebers gegenüber den<br />
Fällen des Freitodes eines Rentners besteht nicht.<br />
10. Letztlich kann dahingestellt bleiben, ob aus Wortlaut<br />
und Systematik der Versorgungsordnung das Ergebnis aus<br />
einer teleologischen Reduktion der Freitodklausel in § 13 herzuleiten<br />
ist, die für vorzugswürdig gehalten wird, oder ob<br />
bei Bedenken gegen diesen methodischen Weg die Bestimmung<br />
des § 13 der Versorgungsordnung der sodann erforderlichen<br />
Billigkeitskontrolle zu unterziehen ist. Insoweit kann<br />
auf die Erwägung des Arbeitsgerichts zur Billigkeitskontrolle<br />
gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG verwiesen werden. Einer Billigkeitskontrolle<br />
würde die Freitodklausel allerdings vor allem deshalb<br />
nicht standhalten, weil sie aus den oben genannten<br />
Gründen bei den Freitodfällen die Witwe beim „Anwärtertod“<br />
generell von Versorgungsansprüchen ausschließt und damit