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Edgar Hofschen - Zeit Kunstverlag

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Ausgabe 74<br />

Heft 11<br />

2. Quartal 2006<br />

B 26079<br />

Eine Edition der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs<br />

GmbH & Co. KG<br />

Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong>


Künstler<br />

Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst<br />

erscheint viermal jährlich mit insgesamt<br />

28 Künstlermonografien auf über 500<br />

Text- und Bild-Seiten und kostet im<br />

Jahresabonnement einschl. Sammelordner<br />

und Schuber € 148,–,<br />

im Ausland € 158,–, frei Haus.<br />

www.weltkunst.de<br />

Postanschrift für Verlag und Redaktion<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG<br />

Nymphenburger Straße 84<br />

D-80636 München<br />

Telefon 0 89/12 69 90-0<br />

Telefax 0 89/12 69 90-11<br />

Bankkonto: Commerzbank Stuttgart<br />

Konto-Nr. 525 55 34, BLZ 600 400 71<br />

›Künstler‹ erscheint in der<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG<br />

Geschäftsführer<br />

Thomas Brackvogel, Dr. Rainer Esser<br />

Verlagsleiter<br />

Boris Kühnle<br />

Herausgeber<br />

Dr. Detlef Bluemler/Prof. Lothar Romain †<br />

Redaktion<br />

Dr. Detlef Bluemler (v. i. S. d. P.)<br />

Dokumentation<br />

Andreas Gröner<br />

Ständiger Redaktionsbeirat<br />

Dr. Eduard Beaucamp, Frankfurt/Main<br />

Dr. Christoph Brockhaus, Duisburg<br />

Prof. Dr. Johannes Cladders, Krefeld<br />

Prof. Rolf-Gunter Dienst, Baden-Baden<br />

Prof. Dr. Helmut Friedel, München<br />

Rainer Haarmann, Neuwittenbek/Kiel<br />

Prof. Dr. Wulf Herzogenrath, Bremen<br />

Prof. Klaus Honnef, Bonn<br />

Prof. Dr. Max Imdahl †<br />

Prof. Dr. Georg Jappe, Köln/Hamburg<br />

Prof. Dr. Jens Chr. Jensen, Hamburg<br />

Dr. Petra Kipphoff, Hamburg<br />

Dr. Ralph Köhnen, Bochum<br />

Prof. Kasper König, Köln<br />

Dr. Jochen Poetter, Köln<br />

Prof. Karl Ruhrberg, Oberstdorf<br />

Prof. Dr. Wieland Schmied, A-Vorchdorf<br />

Prof. Dr. Manfred Schneckenburger, Köln<br />

Prof. Dr. Uwe M. Schneede, Hamburg<br />

Dr. Pamela C. Scorzin, I-Mailand<br />

Dr. Dierk Stemmler, Mönchengladbach<br />

Prof. Dr. Karin Stempel, Kassel<br />

Prof. Dr. Eduard Trier, Bonn<br />

Dr. Rolf Wedewer, Leverkusen<br />

Dr. Christoph Zuschlag, Heidelberg/Berlin<br />

Prof. Dr. Armin Zweite, Düsseldorf<br />

Grafik<br />

Michael Müller<br />

Abonnement und Leserservice<br />

<strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG<br />

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›Künstler‹ ist auch<br />

über den Buchhandel erhältlich<br />

Prepress<br />

Franzis print & media GmbH, München<br />

Druck<br />

Aumüller Druck KG, Regensburg<br />

Die Publikation und alle in ihr<br />

enthaltenen Beiträge und Abbildungen<br />

sind urheberrechtlich geschützt. Jede<br />

Verwertung, die nicht ausdrücklich vom<br />

Urheberrechtsgesetz zugelassen ist,<br />

bedarf der vorherigen Zustimmung des<br />

Verlages. Dies gilt insbesondere für<br />

Vervielfältigungen, Bearbeitungen,<br />

Übersetzungen, Mikroverfilmungen und<br />

die Einspeicherung und Verarbeitung<br />

in elektronischen Systemen.<br />

© <strong>Zeit</strong>verlag Beteiligungs GmbH & Co. KG,<br />

München 2006<br />

Cover<br />

Modifikation G 16, 1980<br />

Ölfarbe auf Leinwand, Papier<br />

200 x 165 cm<br />

Sammlung Fiege, Münster/Deutschland<br />

ISSN 0934-1730<br />

mich öffnend<br />

kehrt sich mir zu<br />

was mich<br />

umgibt<br />

gefordert<br />

finde ich<br />

das Mögliche<br />

zu tun<br />

E. H. 1972<br />

Foto: Privatarchiv


Klaus Honnef<br />

über <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong><br />

Am 9. Oktober 1308 versicherte der berühmte Maler Duccio in<br />

einem Vertrag über die Herstellung eines Hochaltars der Sieneser<br />

Domopera, er werde, so gut er könne und es verstehe und<br />

Gott ihm beistehe, die Tafel »malen und machen«.1 Wenn <strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong>, mehr als 600 Jahre und viele ikonologische2 Häutungen<br />

später geboren (1941 im ostpreußischen Tapiau) sowie ein<br />

<strong>Zeit</strong>alter entfernt vom Selbstverständnis des Malers auf der<br />

Schnittstelle zwischen spätem Mittelalter und früher Neuzeit,<br />

über seine Arbeit spricht, zieht er das Verb ›machen‹ der Aussage<br />

›malen‹ vor. Dabei gehört sein Werk gar nicht zur Kategorie<br />

der Ende des 20. Jahrhunderts verbreiteten Verkoppelungs-<br />

Künste von der Art der Montage, Assemblage oder Installation,<br />

kurzum des Hantierens mit heterogenen und zuvor kunstfremden<br />

Materialien.<br />

Schlicht Maler<br />

<strong>Hofschen</strong> ist Maler; in dem Sinne, daß als Maler schlechthin ihn<br />

zu charakterisieren nicht verfehlt ist. Auf das an- und abschwellende<br />

Gerede vom Tode der Malerei hat er nie etwas gegeben.<br />

Gleichwohl bekundet sich in seinen Bildern eine ungewohnte<br />

und bis zum Auftritt seiner Gemälde unbekannte Praxis des Metiers.<br />

Sie gründet in der künstlerischen Resonanz auf eine heteronome<br />

Moderne. In seiner Malerei verwendet der Künstler<br />

viele traditioneller Auffassung von Malerei nicht konforme Mittel,<br />

Materialien und Techniken. So bilden Zeltplanen neben der<br />

Leinwand ein Basiselement seiner Kunst und statt Pinsel auch<br />

spezifische Werkzeuge zum Auftragen und Abschleifen der Farbe.<br />

Doch die Zeltplanen liefern nicht wie die Leinwand allein den<br />

Träger seiner Gemälde. Sie verkörpern als Fundstücke zudem<br />

einen wichtigen Teil ihrer Bedeutung. Da sie häufig schon in Gebrauch<br />

waren und dessen Spuren verraten, haben sie als Bühne<br />

des sichtbaren Geschehens zwar die gleiche Funktion wie die<br />

noch unbehandelte Leinwand. Aber durch ihre außer-künstlerische<br />

Vornutzung verschiebt sich in phänomenologischer Hinsicht<br />

hier das Problem vom Gemachten zum Gewordenen. Die<br />

Einflüsse der Witterung und die Male infolge ständiger Inanspruchnahme<br />

wären darunter zu begreifen. Daß der Maler auch<br />

zielgerichtet fotografiert und seinen Ausstellungen gelegentlich<br />

fotografische Bilder zugesellt hat, spielt eine untergeordnete<br />

Rolle. Obwohl die Fotografien im Zusammenhang der Bildfindung<br />

nicht unwesentlich sind, treten sie hinter den Gouachen<br />

als Experimentierfeld zurück.3<br />

Nichts desto weniger weist die Bezeichnung ›Modifikationen‹,<br />

die der Künstler seit dem Jahr 1971 für seine Gemälde wählt,<br />

auf den Aspekt des Machens hin. Die Frage, in welcher Weise<br />

<strong>Hofschen</strong> den Begriff in Stellung bringt, erregte das Interesse<br />

der Kunstkritik. Übereinstimmung herrschte, daß er eine Abwandlung,<br />

eine Veränderung im Vergleich zu einem bestimmten<br />

Modifikationen in der Malerei<br />

Modus (oder einem Modul gemäß der Informatik oder auch einem<br />

Modell) im Auge hatte. Subkutan könnte er auch die biologische<br />

Definition der Modifikation mitbedacht haben: Sie umschreibt<br />

die Veränderung eines Erscheinungsbildes kraft<br />

äußerer Faktoren, ohne daß die Kernsubstanz (im konkreten Fall<br />

die Gene) beeinflußt werden. Die Kernsubstanz wäre im Lichte<br />

der Kunst die Essenz der Malerei; in philosophischer Hinsicht<br />

die Malerei ›an sich‹, in künstlerisch-pragmatischer die materielle<br />

Seite. Die äußeren Faktoren würden in den Einwirkungen des<br />

Künstlers bestehen.<br />

Was den Maler tatsächlich zur Wahl des Begriffs der Modifikation<br />

bewogen hat, ist letztlich unerheblich. Wahrscheinlich ist ihm<br />

als gebildetem und hinreichend neugierigem Kopf die Vielfalt<br />

der Konnotationen bei gleichzeitiger perspektivischer Zuspitzung<br />

nicht entgangen. Ehe er ein Studium der Malerei an der<br />

Kunstakademie in Düsseldorf (1972-1975) anfing, hatte er in<br />

Wuppertal Pädagogik (1961-1964) und in Köln Kunstgeschichte<br />

sowie Philosophie (1965-1971) studiert und sich einen umfangreichen<br />

Fundus an Wissen rund um die Kunst angeeignet. Er<br />

wird die Wahl für die zentrale Bezeichnung seiner Malerei erst<br />

nach sorgfältigen Überlegungen getroffen haben; ebenso wie<br />

die Entscheidung, sich trotz verlockender Angebote von anderwärts<br />

als einfacher Hauptschullehrer im Bergischen Land, wo er<br />

aufgewachsen ist, in Radevormwald zu engagieren.<br />

Werkgruppen<br />

Seine Malerei treibt <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> in einzelnen Werkgruppen<br />

voran. Sie ordnet er unter dem Oberbegriff der Modifikation in<br />

der Reihenfolge des Alphabets. Mit dem Buchstaben A beginnend<br />

ist er Anno 2005 bei dem Buchstaben V angelangt. Die<br />

Ziffern hinter den Buchstaben in den Bildtiteln markieren die<br />

Position des jeweiligen Gemäldes innerhalb der Jahreszählung.<br />

Die Bezeichnung der Bilderfolge als Modifikation signalisiert,<br />

daß der Maler sein Werk a priori als einen sich vollziehenden<br />

Prozeß, tendentiell unabschließbar, angesehen hat. Darüber<br />

hinaus spiegelt sich darin auch die entschiedene Absage an die<br />

Vorstellung eines Fortschreitens in Richtung einer wie auch immer<br />

gearteten Vervollkommnung, eines ›work in progess‹ mit teleologischer<br />

Bestimmung. »Bereits im Dyptichon ›Modifikation 0<br />

1‹ wird der Betrachter mit der Engführung divergierender künstlerischer<br />

Mittel in einem (wenn auch zweiteiligen Werk) konfrontiert.<br />

Aus der linken Tafel erhebt sich allmählich deutlich sichtbar<br />

aus der Bildfläche ein Binnenfeld schwarz in schwarz,<br />

zusätzlich akzentuiert lediglich durch eine als Naht vorgegebene<br />

mittlere Vertikale – ein asketisches Bild anscheinend, jedenfalls<br />

solange man nicht genau hinschaut. Dagegen ist das hellgraue<br />

Feld der rechten Tafel mit rosafarbenen Senkrechtbalken bestückt<br />

und ebensolchen Kreiselementen durchsetzt, die Lein-<br />

3


1 Modifikation C 23, 1973<br />

Ölfarbe auf Papier, Ponal und auf Segeltuch<br />

185 x 165 cm<br />

Privatbesitz<br />

4


2 Modifikation E 23, 1977<br />

Ölfarbe auf Leinwand<br />

205 x 165 cm<br />

Privatbesitz<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

5


wand mit etlichen im Zickzack genähten Stellen repariert. Und<br />

überdies durch vorgefundene senkrechte Nähte und waagerechte<br />

gemalte Linien gegliedert – und speziell in deren Zusammenspiel<br />

(wie natürlich im gesamten Diptychon) kann man ein<br />

Prinzip der künstlerischen Gestaltung <strong>Hofschen</strong>s erkennen.«4<br />

(Abb. 6.)<br />

Der ungebrochene Fortschrittsglaube hat sich in der Kunst als<br />

gegenstandslose Ideologie entpuppt und die künstlerische Arbeit<br />

in eine Sackgasse geführt. Augenscheinlich schärfte <strong>Hofschen</strong><br />

seinen Blick früh dafür. Deshalb setzt sich sein Werk<br />

zwar chronologisch von einem Bild zum nächsten fort, suggeriert<br />

jedoch keine stetige Verbesserung des gerade vollendeten<br />

gegenüber dem unmittelbar vorigen. Statt dessen finden sich<br />

scheinbare Vor- oder Rückgriffe, Korrespondenzen, Wege, die<br />

eingeschlagen, doch zunächst nicht erkundet werden. Was freilich<br />

nicht heißt, daß sie sich ein für allemal erledigt hätten. Je<br />

umfassender das gesamte Werk in den Blick gerät, desto klarer<br />

schält sich heraus, daß der Begriff der Modifikation nicht nur ein<br />

Behelf ist, um für vermeintlich abstrakte Gemälde die hilflose<br />

Legende ›ohne Titel‹ zu vermeiden. Vielmehr ist er der Schlüssel,<br />

um zu verstehen, wie der Maler vorgeht, an welchen Gesichtspunkten<br />

er sich orientiert, wenngleich er bei Übernahme<br />

des Begriffs die Konsequenzen noch nicht gänzlich übersehen<br />

konnte. Überspitzt gesagt: Im Begriff der Modifikation manifestiert<br />

sich die Idee des Werks. Ohne aufgesetzte Systematik erforscht<br />

<strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> ein vermeintlich bereits vollständig ausgemessenes<br />

Terrain, nämlich die Malerei, und entdeckt im<br />

praktischen Vollzug und nach dem Prinzip von ›trial and error‹<br />

bislang unbekanntes Gelände. In seinem malerischem Werk<br />

macht er die Bedingungen für die Möglichkeiten von Malerei<br />

sichtbar.<br />

Zwischen den Strömungen<br />

Die Malerei, diagnostizierte Emma Dexter, schleppe zu schweres<br />

theoretisches Gepäck mit sich, und begründete, warum sich<br />

auffallend viele jüngere Künstlerinnen und Künstler zum Auftakt<br />

des 21. Jahrhunderts der Zeichnung zuwandten.5 Seit sich die<br />

Kunst vom Kult emanzipiert hat, rechtfertigt die Malerei ihren<br />

Status durch Theorie.6 Als <strong>Hofschen</strong> der Kunst seine ungeteilte<br />

Aufmerksamkeit widmete, hatte sich an den Legitimationsübungen<br />

trotz dramatischen Wandels in der äußeren Erscheinung<br />

der Malerei nichts geändert. Damals lief die Malerei des Informel,<br />

die im Kielwasser des Surrealismus ihr theoretisches Rüstzeug<br />

wie dieser aus den Lehren der Psychoanalyse bezogen<br />

hatte, allmählich aus. Sie hatte in Verletzung aller konventionellen<br />

ästhetischen Ordnungsgefüge das subjektive Ausdrucksverlangen<br />

des jeweiligen Autors kultiviert und galt als Synonym individueller<br />

Freiheit. Das gleiche traf auf die Malerei des<br />

6<br />

Abstrakten Expressionismus in den USA zu. Dort hatte man die<br />

Autonomie der Kunst als selbst-referentielles System beschworen.<br />

»Der Avantgardedichter oder -künstler war bestrebt, ein hohes<br />

Niveau seiner Kunst beizubehalten, indem er sie zugleich<br />

verengte und zum Ausdruck eines Absoluten erhob. [...] ›l’art<br />

pour l’art‹ und ›reine Poesie‹ traten auf den Plan, und Thema<br />

oder Inhalt waren künftig zu meiden wie die Pest.«7 Doch unter<br />

der Flagge eines ›Neuen Realismus‹ und der ›Pop Art‹ waren am<br />

Horizont schon kontroverse künstlerische Impulse aufgetaucht.<br />

Sie rüttelten im Namen einer größeren Realitätsnähe am Absolutheitsanspruch<br />

der Kunst und stießen die Tür zu den kommerziellen<br />

Künsten auf.8 <strong>Hofschen</strong> zeigte sich für keine der Strömungen<br />

aufgeschlossen. Als hätte ihn bereits das »Zwischen«<br />

(<strong>Hofschen</strong>) gefesselt, ehe er es zu einem seiner künstlerischen<br />

Motive erhob.<br />

Während seines Studiums richtete er sein Interesse hauptsächlich<br />

auf Künstler, die mit der naiven Feier des künstlerischen<br />

Genies und seiner spontan niedergeschriebenen Ergüsse ebenso<br />

wenig zu schaffen hatten wie mit der Hypostase der populären<br />

urbanen Bilderwelt, der Reklame, der Comics und des<br />

Kinos. Die ließen sich weder für Informel und Abstrakten Expressionismus<br />

noch für den Nouveau realisme oder die Pop Art<br />

vollständig reklamieren, jedoch hatten sie ein ausgeprägtes Gespür<br />

für die materielle Seite der Kunst: Pierre Soulages (KLG<br />

41/1998) und Alberto Burri (KLG 23/1993), Raymond Hains<br />

(KLG 47/1999), Mimmo Rotella (KLG 56/2001) und Jacques de<br />

Villeglé.9<br />

Ihr Werk steckte umrißhaft das künstlerische Terrain ab, auf<br />

dem <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> eine eigenständige Position markieren<br />

sollte. Sorgfältig hat er die Veränderungen in der Malerei beobachtet.<br />

Was seine ›Modifikationen‹ von Nummer A an gegenüber<br />

scheinbar ähnlichen Versuchen dennoch abhob, war das<br />

(bewußte oder unbewußte) Bestreben des Malers, die verborgene<br />

Sprache der Materialien, die er nutzte, im Zusammenwirken<br />

mit den Werkzeugen, die sie ›exponieren‹ (artikulieren), zu entfalten.<br />

In seinen Gemälden sind Bildträger und Farbe referenzlose<br />

Eigenwerte, Signifikate ohne Signifikanten: Sie sind einfach<br />

da. Allein mittels Transformation erfahren sie ihr ästhetisches<br />

Sosein. Dementsprechend dienen sie nicht als frei verfügbare<br />

Elemente eines Vorgehens, an dessen Ende außerkünstlerische<br />

Ziele stehen.<br />

Formerlebnisse<br />

Der Künstler umkreist in seiner Arbeit, was Christian Kellerer als<br />

»vorgegenständlich« bezeichnet hat; eine Malerei »von begrifflich-gegenständlichen<br />

Assoziationen unbelasteten Formerlebnissen«10;<br />

eine Malerei, deren Theorie sich ausschließlich in der<br />

künstlerischen Praxis verwirklicht.


Damit ist der Akt der Arbeit, das Machen, der physische Vollzug,<br />

Objekt und Bestandteil seiner Kunst. Roland Barthes betont,<br />

daß die lateinische Version des Wortes Arbeit ein vornehmlich<br />

agrarisches Wort ist – »bei der der ganze Körper im Einsatz<br />

ist«11 Malerei ist im Verständnis von <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> indes nicht<br />

nur das Ergebnis einer intensiven körperlichen Verrichtung – zugleich<br />

ist jedes Gemälde selbst ein Körper und im Gegensatz zu<br />

den Bildern der technischen und elektronischen Bildtechniken<br />

ein Gegenstand mit körperhafter Ausstrahlung. Die meisten seiner<br />

Bilder besitzen so etwas wie einen lebendigen Corpus aus<br />

Muskeln und Organen. Es sind Bildflächen, die dank in sie investierter<br />

Arbeit zu pulsieren scheinen gerade aufgrund ihrer körperlichen<br />

Dichte. In seinen Gemälden vergegenwärtigt sich »eine<br />

Konzeption der Form in dynamischen Begriffen, als Materie<br />

im Fluß [...], im Sinne des ursprünglichen, präsokratischen Worts<br />

für Form: des Rhythmus, der Prägung der Materie durch die innere<br />

Energie des Körpers in seiner vibrierenden somatischen<br />

Beweglichkeit, durch den arbeitenden Körper der materiellen<br />

Praxis.«12<br />

Die einzelnen Etappen seiner künstlerischen Arbeit, die bloß entfernt<br />

mit Entwicklungsstadien gleichgesetzt werden können, hat<br />

der Maler zunächst in komprimierten, mitunter dialektisch zugespitzten<br />

Texten verbalisiert. Zu den ersten Modifikationen heißt<br />

es zum Beispiel: »Leinwand, genäht/Felder, getrennt/Verbindende<br />

Ordnung.«13 Genauer beschrieben haben sie Johannes<br />

Meinhardt14 und Ralf Kulschewskij.15 Obwohl <strong>Hofschen</strong>16<br />

mehrfach mit Künstlern ausgestellt hat, deren künstlerischen<br />

Beitrag ich unter dem Label ›Analytische Malerei‹17 zusammengefaßt<br />

habe, unterhält sein Werk bloß oberflächliche Beziehungen<br />

zu deren Bildern. Im Focus seiner Kunst stand weniger die<br />

tautologische Demonstration malerischer Mittel und ihres Aufeinandertreffens<br />

als die entscheidendere Frage, was Malerei<br />

denn überhaupt sei nach dem Ende von Informel und Abstraktem<br />

Expressionismus sowie der aufbrechenden Krise ihres<br />

Selbstverständnisses. Da mag es einen analytischen Abschnitt<br />

gegeben haben – Meinhardt belegt eine »analytische Phase«18<br />

zwischen 1967 und 1971 –, tatsächlich ist das gesamte malerische<br />

Werk <strong>Hofschen</strong>s sowohl Gegenstand als auch Produkt des<br />

sich fortzeugenden und ständig offenen Experiments, das in und<br />

durch Malerei besteht. Insofern unterstreicht Lothar Romain mit<br />

einigem Recht: » ›Die Sachen‹ [...] stehen (in seinem Werk – K.<br />

H.) für sich selbst, vom Hersteller nach einem intellektuell nachvollziehbaren,<br />

durch Sprache aber nicht ersetzbaren Prozeß so<br />

und so angeordnet.«19<br />

»Materie als prima causa«<br />

Im Jahr 1969, noch bevor <strong>Hofschen</strong> das Studium der Malerei<br />

aufgenommen hatte, entschied er sich für gebrauchte Zeltlein-<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

wand als Basis seiner Gemälde. »Materie als prima causa«20,<br />

notierte der Künstler erläuternd. In dieser ungewöhnlichen Wahl<br />

dokumentierte sich einerseits seine Skepsis gegenüber der<br />

schöpferischen Künstlerhand, andererseits die Überzeugung,<br />

daß sich die Tätigkeit des Malens nicht zwangsläufig auf das<br />

manuelle Auftragen von Farbe auf einen Bildträger beschränken<br />

müsse. Zu seiner Auffassung von künstlerischer Praxis, durchaus<br />

im Einklang mit Maximen der Avantgarde im Fahrtwind Marcel<br />

Duchamps, zählte auch die Wahl der Materialien. Darin und<br />

nicht im ersten Pinselschwung äußert sich die primäre Entscheidung<br />

im künstlerischen Prozeß der Malerei. Um die Voraussetzung<br />

für die Realisierung seiner Vorstellungen zu schaffen, mußte<br />

der Künstler sein Werk in die Sphäre der Alltäglichkeit und<br />

Eintönigkeit stellen, des »Neutrums« (Roland Barthes).<br />

In punkto gebrauchter Zeltleinwand war das Gemalte bereits<br />

vorgegeben – weder farblos noch farbig; vorgegeben durch die<br />

›Geschichte‹ des verwendeten Materials. Schriftliche Aufdrucke<br />

bezeugen seine Herkunft. Die Spuren des alltäglichen Hantierens<br />

oder des Wetters kumulieren Geschichte. <strong>Hofschen</strong> tilgt sie<br />

nicht. Die Einschreibungen der <strong>Zeit</strong> blieben erhalten, gleichsam<br />

in ihrer originalen Schichtung. Die künstlerischen Eingriffe bestanden<br />

neben der Auswahl im »Organisieren« der Planen zu einer<br />

»verbindenden Ordnung« (<strong>Hofschen</strong>) im Rahmen eines<br />

rechteckigen Bildformats. Womöglich vorhandene Nähte integrierte<br />

er als substantielle Bildwerte. Das Machen ersetzt das<br />

Malen. Die Nähte schaffen Brücken zwischen den Bildfeldern,<br />

heben die vorige Trennung auf – und auch sichtbar hervor. An<br />

den Grenzen entstehen Energieballungen, »Spannungsmomente«<br />

(<strong>Hofschen</strong>). Sie lösen sich im Kontinuum der Bilder und kraft<br />

des Zusammenspiels mit den äußeren Umrissen der Rahmen<br />

nach und nach auf. »Nur in dem Maße, wie die Malerei oder<br />

Zeichnung diese ihr eigene materielle Bedingung reflektiert,<br />

kann sie den Illusionismus der ästhetischen Bildlichkeit und<br />

Bildräumlichkeit überwinden oder unterlaufen und ihre eigene<br />

Realität sichtbar machen.«21<br />

Außer Zeltleinen kommt Segeltuch zum Zuge. »Dem künstlerisch<br />

aktiv tätigen Augenmerk auf vorbestehende Nähte folgen<br />

›Behandlungen‹ […] von Rissen in Leinwandbahnen […]. Ein vorgefundener<br />

Riß wird durch aufgeklebtes Papier überdeckt, die<br />

Reparaturlinie von hinten mit Ponal verstärkt. Lose Papierteile<br />

werden nach dem Trocknen entfernt.«22 Ponal ist ein lösungsmittelfreier<br />

Holzleim, gedacht für Verklebungen von Holz und<br />

Holzwerkstoffen, aber auch geeignet für Karton und Papier. In<br />

zahlreichen Gemälden <strong>Hofschen</strong>s ist der Leim Gegenstand und<br />

Mittel in einem. Er verleiht der Begegnung unterschiedlicher Materialien<br />

Festigkeit, und gelegentlich prägen seine ›Kraftlinien‹<br />

Teile der Oberfläche. ›Modifikation C 23‹ (1973; Abb. 1) besteht<br />

7


3 Modifikation H 43, 1983<br />

Ölfarbe auf Segeltuch, Ponal, Papier<br />

180 x 300 cm<br />

Privatbesitz<br />

4 Modifikation L 4, 1986<br />

Ölfarbe auf Segeltuch, Ponal, Papier<br />

90 x 140 cm<br />

Privatbesitz<br />

8


5 Modifikation M 26, 1989<br />

Ölfarbe auf Segeltuch<br />

106 x 217 cm<br />

Privatbesitz<br />

6 Modifikation O 1 A/ O 1 B, 1991<br />

Ölfarbe auf Leinwand<br />

zweiteilig, je 200 x 120 cm<br />

Privatbesitz<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

9


aus einem ausgedehnten Mittelstück sowie rechts und links je<br />

einem breiten Streifen aus Segeltuch. Oben und unten fehlt die<br />

visuelle Begrenzung. Der Keilrahmen liefert sie. Das Material<br />

des Mittelstücks ist Papier. In der Malerei ein ungewohnter<br />

Werkstoff. Der Leim sorgt für die Stetigkeit des Papiers und verbindet<br />

es mit dem Segeltuch zu einer festen Fläche. Ein Schleier<br />

aus dünn aufgetragener grau-grüner Farbe liegt auf dem rotockeren<br />

Fond und ballt sich an den Rändern zusammen. Die<br />

diaphane Farbe verläuft in senkrechten Bahnen über die Fläche,<br />

versetzt sie in leichte Schwingungen, während auf den breiten<br />

Rändern Flecken unbekannter Herkunft an die ursprüngliche<br />

Funktion des Materials gemahnen. Aufgebaut ist das Gemälde<br />

von seiner Rückseite. Sie bildet das Rückgrat. Die Form des Bildes<br />

fällt mit seiner Struktur zusammen. Deren Gefüge veranschaulicht<br />

die geleistete Arbeit. Nach einem Wort des<br />

Künstlers23 leuchtet die Form aus dem Gemälde hervor. Die unscheinbare<br />

Naht zwischen Segeltuch und Papier hat er mit einem<br />

Quast übermalt. Sie zieht zwar eine Grenze, akzentuiert<br />

durch den nuancierten Hell-Dunkel-Kontrast, gleichzeitig läßt<br />

sie aber den Übergang der heterogenen Materialen als organische<br />

Verbindung erscheinen.<br />

In ›Modifikation E 23‹ (1977; Abb. 2), einem Ölbild auf Leinwand,<br />

verdichtet sich die Farbe, so daß sich bei oberflächlichem Blick<br />

der Eindruck einer beinahe monochromen Fläche in braunschattiertem<br />

Grün ergibt. Nach intensiverem Betrachten nimmt<br />

man innerhalb der hochrechteckigen Bildtafel die von einem<br />

kaum merklich weiß gehöhten Rahmen umrandete Innenfläche<br />

wahr, formales Echo auf die äußeren Umrisse des Gemäldes.<br />

Ein Dialog der Flächen ist das Ergebnis, wobei der »zeugende<br />

Rand« (<strong>Hofschen</strong>) des inneren blinden Fensters, der dieses wie<br />

ein Rahmen umfängt, in der farblichen Eindringlichkeit und in<br />

bezug auf die Oberfläche, namentlich an den Kanten, wegen<br />

der unterschiedlichen Spannungsdichte der Leinwand, eine davon<br />

abweichende Körperlichkeit aufweist. <strong>Hofschen</strong> meidet das<br />

Demonstrative der Monochromie, reduziert die Farbqualität zugunsten<br />

ihrer materiellen Essenz, neutralisiert sie, und umgeht<br />

die Falle eines Farbillusionismus.<br />

Die scheinbar homogene Bildfläche reißt in ›Modifikation G 16‹<br />

(1980; Cover) eine von der linken Seite hineinragende und mit<br />

einer Doppellinie oberhalb ihrer Spitze versehene Dreiecksform<br />

wieder auf. Segeltuch, Ponal und Papier erzeugen sie. Die Nähte,<br />

aus denen sich der Bildgrund zusammensetzt, kaschiert der<br />

Künstler diesmal nicht, sondern verdeutlicht sie. Er kontrastiert<br />

eine reale mit einer gemalten Naht. Innerhalb des Dreiecks finden<br />

sich winzige Pigmentpunkte, ferner weitere Gebrauchsspuren<br />

in unregelmäßiger Verteilung. Die beiden Grenzlinien des<br />

Dreiecks haben unterschiedliche Gestalt. Die obere ist ein<br />

10<br />

scharf gezogener Umriß, die untere fasert aus. Aus blau eingefärbtem<br />

Material ist die Leinwand gewebt, ein Produkt der Massenfabrikation.<br />

Die Farbe ist ihr selbstverständlicher Bestandteil.<br />

Lebendige Materie<br />

Nach einem Besuch <strong>Hofschen</strong>s in New York und einem längerem<br />

Aufenthalt auf der Insel Santorin öffnen sich die Bildflächen<br />

in die Höhe und die Weite. In ›Modifikation H 43‹ (1983; Abb. 3),<br />

einer Mischtechnik aus Ölfarbe, Segeltuch, Ponal und Papier,<br />

einem eher untypischen Gemälde, dringen sämtliche Bildkräfte<br />

über die äußeren Begrenzungen der Leinwand hinaus. Der Charakter<br />

des Zusammengesetzten, der Montage, des Gemachten,<br />

bricht sich stärker Bahn als vorher, und die Nähte verwandeln<br />

sich in Bildstrukturen. Der neutrale, fast farblose Fond der Trägermaterialen<br />

mit vereinzelten kompakten und umrandeten<br />

Flecken befördert das noch. Es ist, als ziehe <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> eine<br />

Art Fazit und bereite durch die äußerste farbliche Reduktion<br />

die Vergegenständlichung der Farbe in seinem Werk vor, die<br />

bislang vorwiegend als Nicht-Farbe sowie Dennoch-Farbe in Erscheinung<br />

getreten ist.<br />

Eine Gruppe von zehn Gemälden identischen Formats mit der<br />

Bezeichnung ›Modifikation P 8‹ (1992; Abb. 7), Ölfarbe, Papier<br />

und Leinwand, zeigt beispielhaft seine Annäherung an die Farbe.<br />

Zwischen den Polen Rot und Schwarz erstreckt sich die<br />

Vergegenwärtigung der Farbe, die wie die Bildträger als Material<br />

begriffen wird. Der Künstler schichtet die Farbe, und die Prozedur<br />

des Farbauftrags repräsentiert das, was in den früheren Bildern<br />

eine Konsequenz ihrer ›Geschichte‹ gewesen ist. Die<br />

Schichten rekrutieren sich aus verschiedenen Farben, und jede<br />

Farbe der unteren Schicht bestimmt, in unterschiedlichen Intensitäten<br />

zwar, die Farbqualität der darübergelegten. Farben verdichten<br />

sich zur Farbe. »Was bleibt, ist die farbliche Essenz.«24<br />

Die Farbe als solche, erklärte der Maler, interessiere ihn weniger,<br />

ihm sei sie ein Material wie Ton dem Plastiker. Ausschlaggebend<br />

sei nur »das Machen«.25<br />

Die folgenden Werkgruppen loten das Problem Farbe in beziehungsreichen<br />

Varianten und Modifikationen aus und vergegenständlichen<br />

Farbe als ›lebendige‹ Materie. Mit dem Mischen von<br />

Pigmenten und Leinöl in einem bestimmten Verhältnis hebt das<br />

Machen der Farbe an. Anschließend schlägt er die Mixtur mit einem<br />

Besen kräftig durch, so daß die Farbmasse eine stumpfere<br />

Wirkkraft erhält und wie »aufgeschlagen« (<strong>Hofschen</strong>) anmutet.<br />

Bei den Ölfarben für die unteren Schichten der Gemälde fügt er<br />

Quarzsand hinzu. Weil die Pigmente je nach Volumen – Blau<br />

benötigt ein vielfaches an Leinöl als Erdfarbe – in unterschiedlich<br />

langer <strong>Zeit</strong> die Malmittel absorbieren, läßt <strong>Hofschen</strong> die Ölfarbe<br />

über Nacht ruhen. Danach trägt er sie in kleinen, recht-


eckigen, nahezu quadratisch abgesteckten Feldern (Kompartimenten)<br />

auf die Leinwand auf und reibt sie mit Hilfe speziell angefertigter<br />

Hölzer, seinen Malinstrumenten, in die Leinwand ein.<br />

Die untersten Schichten würden nicht haften, nicht mit der Leinwand<br />

amalgamieren, wenn er groß- statt kleinflächige Felder<br />

schaffen würde. Aus den jeweiligen Bildzellen erwächst in<br />

langsamem Verlauf eine flächendeckende Farbschicht. Sobald<br />

die Farbe verankert ist, wiederholt sich das Ganze, bis am Ende<br />

20, 30, 40 oder auch mitunter mehr Lagen miteinander und der<br />

Leinwand verschmolzen sind, und der Künstler seine Arbeit ausgeführt<br />

hat. »Die arbeitsnotwendig sich ergebenden Feldergrenzen<br />

der Teilflächen dieser Tafeln verleihen ihnen ein dem offenen<br />

Auge eingängiges Gerüst. Der Betrachter assoziiert ein<br />

Skelett mit rückgratähnlichem Mittelstamm und rippenartigen<br />

Seitenzweigen. Diese ›Corda dorsalis‹ [...] ist ein lebendig gewachsenes<br />

Organ – nicht im mindesten tauglich zur Metapher<br />

der Fragilität, sondern vielmehr der Stabilität.«26<br />

In solchen Gemälden wird der Körper der Malerei, die vibrierende<br />

Energie der somatischen Bewegung, sicht- und spürbar im<br />

subkutanen Pulsieren der Farbmaterie – Ereignis. <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong><br />

gelangt zu einer Malerei ›in nuce‹, die weder reduktionistisch<br />

noch repräsentational ist, zu einer Malerei diesseits grauer<br />

Theorie.<br />

Der Autor war bis 2000 Ausstellungschef im Rheinischen Landesmuseum<br />

Bonn und lebt nun als freier Kunstpublizist und Kurator in<br />

Bonn. Er gehört dem Beirat von ›Künstler – Kritisches Lexikon der<br />

Gegenwartskunst‹ an.<br />

Anmerkungen<br />

1 Zitiert nach Hans Belting. Bild und Kult. Eine Geschichte<br />

des Bildes vor dem <strong>Zeit</strong>alter der Kunst,<br />

München 1990, S. 456<br />

2 Den Begriff verwende ich nach der Definition von<br />

Max Imdahl: Giotto. Zur Frage der ikonischen<br />

Sinnstruktur (1979), in: Max Imdahl. Reflexion.<br />

Theorie. Methode. Gesammelte Schriften Bd. 3,<br />

hrsg. von Gottfried Boehm, Frankfurt am Main<br />

1996, S. 424 - 463<br />

3 Vgl. Anne Baldassari. Picasso und die Photographie.<br />

Der schwarze Spiegel, München/Paris/London<br />

1997<br />

4 Ralf Kulschewskij: Die Farbe ist das Bild. Gedanken<br />

zum Werk des Malers <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>, in:<br />

Sonderdruck der Galerie Rabus, Bremen 2004<br />

5 Emma Dexter, erwähnt nach: Hilarie M. Sheets:<br />

The Big draw, in: ARTnews, New York, NY, January<br />

2006, S. 100<br />

6 Hans Belting (wie Anm. 1), S. 524<br />

7 Clement Greenberg, zitiert nach: Thomas McEvilley.<br />

Kunst und Unbehagen. Theorie am Ende<br />

des 20. Jahrhunderts. Aus dem Amerikanischen<br />

von Jörg Trobitius, München/Paris/London<br />

1993, S. 32 f.<br />

8 Hierzu ausführlich: Klaus Honnef. Pop Art. Hrsg.<br />

Uta Grosenick, Köln 2004<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

9 Johannes Meinhardt: Die Papierarbeiten von <strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong>, in: <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>, Hrsg. Galerie<br />

Hartl, Ammerbuch-Reusten, Grafisches Zentrum<br />

Drucktechnik, Ditzingen/Gotha 2000, S. 7<br />

10 Christian Kellerer: Objet trouvé und Surrealismus,<br />

Hamburg 1968, S. 8 u. 7<br />

11 Roland Barthes: Das Neutrum. Vorlesung am<br />

Collège de France 1977_1978. Hrsg. von Eric<br />

Marty, Texterstellung, Anmerkungen und Vorwort<br />

von Thomas Clerc, übersetzt von Horst<br />

Brühmann, Frankfurt am Main 2005, S. 48<br />

12 Norman Bryson: Das Sehen und die Malerei. Die<br />

Logik des Blicks, aus dem Englischen von Heinz<br />

Jatho, München 2001, S. 162<br />

13 Zitiert nach: Ralf Kulschewskij: Ausblicke ins<br />

Universum der Farbe. Zum Werk des Malers <strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong>, in: <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>, Hrsg. Ute<br />

Mronz, Köln, u. Galerie Hartl, Ammerbuch-Reusten,<br />

Grafisches Zentrum Drucktechnik, Ditzingen<br />

2000, o. S.<br />

14 Johannes Meinhardt (wie Anm. 9)<br />

15 Ralf Kulschewskij (wie Anm. 13)<br />

16 <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>, in: <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> (wie Anm.<br />

13 in der Biografie), o. S.<br />

17 Klaus Honnef, Catherine Millet. Analytische Malerei.<br />

Mit Texten von Klaus Honnef u. Catherine<br />

Millet, Edizione Masnata, La<br />

Bertesca/Genova/Milano/Düsseldorf 1975<br />

18 Johannes Meinhardt (wie Anmerkung 9), o. S.<br />

19 Lothar Romain: Über <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>, in: <strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong>, Galerie Hennemann, Bonn 1978<br />

20 <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> in: <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong> (wie Anm.<br />

13), in der Biografie (1969), o. S.<br />

21 Johannes Meinhardt (wie Anm. 9), o. S.<br />

22 Ralf Kulschewskij (wie Anm. 13), o. S.<br />

23 Egar <strong>Hofschen</strong> in einem Mitte der 1990er Jahre<br />

geführten Gespräch mit dem Verfasser; u. a. erschienen<br />

in: <strong>Edgar</strong> <strong>Hofschen</strong>. Ein Dossier zur<br />

Ausstellung, Galerie Hartl, Stuttgart 1996. Von<br />

hier folgt der Text in modifizierter Form (!) diesem<br />

Beitrag. Vgl. auch Johannes Meinhardt (wie<br />

Anm. 9) und Ralf Kulschewskij (wie Anm. 13)<br />

24 Ralf Kulschewskij (wie Anm. 13), o. S.<br />

25 Klaus Honnef (wie Anm. 23), o. S.<br />

26 Ralf Kulschewskij (wie Anm. 13), o. S.<br />

11


7 Modifikation P 8, 1992<br />

Ölfarbe auf Papier und Leinwand<br />

zehnteilig, je 62 x 49,5 cm<br />

Privatbesitz<br />

8 Modifikation P 64 A/ B, 1995<br />

Ölfarbe auf Leinwand<br />

zweiteilig, je 240 x 130 cm<br />

Privatbesitz<br />

12


9 Modifikation P 71, 1995<br />

Ölfarbe auf Leinwand<br />

zehnteilig, je 64 x 50 cm<br />

Privatbesitz<br />

10 Gouache, 1998<br />

Ölfarbe auf Papier<br />

40 x 30 cm<br />

Galerie Heimeshoff – Roger Schimanski, Essen/Deutschland<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

11 Gouache, 1998<br />

Ölfarbe auf Papier<br />

64 x 50 cm<br />

Galerie Georg Nothelfer, Berlin/Deutschland<br />

13


SICHTWEISEN<br />

Gespannte Flächen<br />

Spannungsmomente<br />

Leinwand, genäht<br />

Felder, getrennt<br />

Verbindende Ordnung<br />

Flecken, Kränze, Schlieren<br />

Stäbe von Licht, geschichtet<br />

Halonen<br />

Prozess zwischen Polen<br />

Spannung/ Auflösung<br />

Normandie<br />

Februar 1970<br />

vertikale nähte grenzen<br />

bahnen<br />

führen<br />

schichten zu raum<br />

vertikale nähte verbinden<br />

spuren<br />

schreiben<br />

vertikale nähte lösen<br />

gewebe<br />

spiegeln<br />

äther als raum<br />

Mai 1972<br />

das Zwischen<br />

von und zu<br />

Ordnungen<br />

fasrig gerissen<br />

senkrecht flankiert<br />

Folge und Transparenz<br />

dynamischer Schichten<br />

unaufhörlicher Prozess<br />

von <strong>Zeit</strong><br />

Zandvort<br />

September 1973<br />

14<br />

Horizontaler Verlauf<br />

Teilung<br />

Zäsur<br />

Geschiedenheit<br />

Verlauf<br />

Grenzung<br />

Bindung<br />

Erschließende<br />

Randung von<br />

Flächen<br />

Feldern<br />

der Wahrnehmung<br />

Dialog der Flächen<br />

Naht<br />

zwischen<br />

Erde/Kosmos<br />

Natur/Geist<br />

Sterben/Leben<br />

Cornwall<br />

Februar 1976<br />

sich öffnend<br />

grenzenlos<br />

bergend<br />

blau<br />

nicht farbe<br />

nicht<br />

bestimmbar<br />

stimmend<br />

New York<br />

Juli 1979<br />

Flächen<br />

das<br />

›Zwischen‹<br />

Zonen<br />

des Möglichen<br />

Menschlichen<br />

Schöpferischen<br />

Für Ines<br />

1980<br />

Flügel<br />

Schlag<br />

Zwischen<br />

Fels<br />

Brandung<br />

Strahlen<br />

Fluss<br />

Schatten<br />

Spiele<br />

Totem<br />

Stein<br />

Provence<br />

April 1984<br />

wellen<br />

wogen<br />

schräg zum strand<br />

stoßen auf<br />

bäumend<br />

schlagen über<br />

tosendes fallen<br />

aufschäumen<br />

der brandung<br />

breites fluten<br />

verläufe<br />

im sand<br />

offenporiges weiß<br />

grenzt<br />

schwarzen stein<br />

schwarz<br />

weiß<br />

weiß<br />

schwarz<br />

geschichtet<br />

geeint<br />

kreisend<br />

geschliffen<br />

nacht<br />

tag<br />

leben<br />

tod<br />

Lanzarote<br />

April 1992


fließendes Licht<br />

formender Fluss<br />

Zusammenhänge<br />

des Seienden<br />

auflösende Verbindung<br />

verbindende Lösung<br />

Erscheinung<br />

durch<br />

gegen<br />

den Schein<br />

Santorin<br />

April 1981<br />

Zypressen<br />

am Hang<br />

gegen den Himmel<br />

senkrecht<br />

geschnitten<br />

von Hieben des<br />

göttlichen Schwertes<br />

Scheiden des Raums<br />

Ausblick in Welten<br />

unendlich<br />

ahnungslos<br />

Toscana<br />

April 1982<br />

Loderndes<br />

Farbenspiel von<br />

Samtigem<br />

Purpurrot,<br />

Lavaschwarz,<br />

Schwefelgelb,<br />

Erdbraun,<br />

Oxide der<br />

Glut.<br />

Montanas<br />

Del Fuego,<br />

Vollendung der<br />

Körper,<br />

Strom<br />

Linien<br />

Form<br />

Timanfaya<br />

April 1992<br />

ein<br />

fallendes<br />

Licht<br />

um<br />

fassend<br />

strahlend<br />

Zeichnung<br />

flächigen Weiß'<br />

Weite<br />

Stufen<br />

in<br />

die<br />

Dunkel<br />

der<br />

Nacht<br />

Mallorca<br />

1994<br />

teilchen<br />

atmen<br />

glut<br />

jen<br />

seits der<br />

augen<br />

pulsiert<br />

blut<br />

öffnen<br />

sich<br />

tore<br />

in<br />

grellem<br />

gelb<br />

rot<br />

19.12.1999<br />

anders machen<br />

das eine<br />

und<br />

das andere<br />

sehen<br />

tätig sein<br />

wirken<br />

kraft<br />

haben<br />

sich verändern<br />

den anderen<br />

sehen<br />

und<br />

das eine<br />

ändern<br />

September 2000<br />

<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

auf<br />

mauern<br />

schatten<br />

tänze<br />

des<br />

lichts<br />

heraus<br />

leuchtet<br />

substanz<br />

von<br />

farbe<br />

unter<br />

geriebener<br />

glätte<br />

rissig<br />

brüchig<br />

auf<br />

getragen<br />

an<br />

fang<br />

be<br />

ginn<br />

gründig<br />

nötig<br />

farb<br />

schichten<br />

tiefe<br />

zu<br />

sammen<br />

hang<br />

farbig<br />

keit<br />

Oktober 2000<br />

Bögen<br />

Tore<br />

des<br />

Himmels<br />

Schwingungen<br />

des<br />

Fernen<br />

geöffnet<br />

Pforten<br />

des<br />

Lichts<br />

Tunesien<br />

2004<br />

15


<strong>Edgar</strong><br />

<strong>Hofschen</strong><br />

16<br />

12 Modifikation U 2, 2001<br />

Ölfarbe auf Leinwand, Ponal, Papier<br />

200 x 120 cm<br />

Galerie Art 204, Düsseldorf/Deutschland

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