4 <strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 1 | 2010 — <strong>Ausgrenzung</strong>? – <strong>Nein</strong> <strong>Danke</strong>! Jeder Mensch ist Ebenbild Gottes Unterschiedlichkeit als Herausforderung für schöpferische Mitverantwortung Geschwisterlichkeit zwischen Menschen und Völkern wird in der Schöpfungsgeschichte mit der Vorstellung verbunden, dass der Mensch »Gott ebenbildlich« ist. Das ist in der Kulturgeschichte etwas Neues. Es sind eben nicht Tiere oder Statuen, die als erste Repräsentanten Gottes in der Schöpfung gelten, auch nicht Engel, Priester oder Könige. Der Mensch ist es, jeder Mensch, Adam und Eva, Mann und Frau, je für sich, aber auch in ihrer Gegenseitigkeit und ihrer gegenseitigen Ergänzung. Mit Recht wird diese biblische Grundaussage als anthropologisches und theologisches Fundament der Humanisierung, der Partizipation, ja der Demokratisierung in sozialen und politischen Beziehungen bezeichnet. Sie setzt radikaler an als das Demokratie-Modell der alten Griechen. Das nämlich ruht nur auf einem kleinen Kreis freier und begüterter Männer. Die jüdisch-christliche Tradition ist dagegen im Ansatz anti-elitär. Jeder Mensch ist Mensch, nicht mehr oder weniger wertvoll als der oder die andere. Dass gerade die Kranken, die Armen, die Verlierer in ihrer Würde unantastbar sind, das ist bestes jüdisch-christliches Erbe. Es hat dazu beigetragen, Stammesdenken, Rassismus, Nationalismus und Reichsideologien zu überwinden. Es hat die Idee der Menschenrechte inspiriert, bevor diese in Gesetzen und Verfassungen ihren Ausdruck fand. Große Wachsamkeit ist angesagt, damit dieses Geschenk jüdisch-christlicher Tradition an die Menschheit nicht auf dem Markt postmoderner Beliebigkeiten verschleudert wird. Universale Grundhaltungen … Wir rühren hier an etwas, das die Christenheit bis heute mit dem Judentum und auch mit anderen religiösen Traditionen verbindet: Es gibt Grundüberzeugungen und Grundhaltungen, welche über Grenzen von Religionen und Kulturen hinaus gelten. Dazu gehört die Gastfreundschaft, der Respekt vor dem Schwachen, Armen und Kleinen, der Verzicht auf Gewaltanwendung, die Bereitschaft zum Verzeihen und zum Frieden, schließlich auch die Bereitschaft, freiwillig Leiden und Schmerzen, ja selbst den Tod zu erdulden, wenn sie – wie bei Jesus – der Preis sind für den Einsatz gegen das von anderen Menschen verursachte Elend, gegen die Tendenz, den »Anderen« von der Tür des eigenen Hauses fernzuhalten und vom Tisch des gemeinsamen Lebens auszuschließen, gegen Erniedrigung und gegen Unrecht, das »zum Himmel schreit«. … und universale Heilige In allen Religionen werden Menschen verehrt, die den Teufelskreis von Dominanz, Selbsterhaltung auf Kosten anderer, Gewalt und Exklusion durchbrochen haben. Äußerlich sind sie wie Jesus, Franz von Assisi, Mahatma Gandhi, Martin Luther King, Oscar Arnulfo Romero und Dorothy Stang zumeist gescheitert. Jedoch hat die Erinnerung an ihr Zeugnis – unabhängig von ihrer kulturellen oder konfessionellen Verwurzelung – einen Wert und eine Würde, die ich als »universal« bezeichnen möchte. Das Lebenszeugnis der »Gerechten« gehört zum Grundbestand unserer jüdisch-christlichen Tradition. Aber es ist selber nicht »exklusiv«. Es wird niemals ein Zeugnis »gegen« andere sein, nicht gegen jene, die anderen Traditionen anhängen, und auch nicht gegen jene, die uns selber bedrängen und bedrohen. Es wird vielmehr immer ein Zeugnis für Gottes schon jetzt kommendes Reich sein und für den Dienst daran. Es steht für Christinnen und Christen eindeutig in der Spur Jesu, der in der Bergpredigt die gewaltlos Scheiternden selig preist. Der Strom von »neuem Leben«, der von seinem »Vorangehen« in Tod und Auferstehung ausgeht, ist freilich nicht auf den Innenraum der Kirche beschränkt. Er durchwirkt die gesamte Schöpfung und führt sie nach vorn. Umgekehrt haben ungezählte unbekannte Heilige und Zeugen aus allen Zeiten und Religionen ihren Anteil daran, dass – trotz aller gegensätzlichen Tendenzen – der Strom von Leben und Hoffnung auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nie versiegt, sondern mächtig wächst. »Ebenbilder Gottes« – Kinder einer Grundschule in Óbidos/Amazonas. Was heißt interkulturell? Eine Spiritualität sollte wachsen, welche die Menschen anderer Kulturen und auch Religionen aus deren eigener Geschichte und eigenem Kontext heraus zu verstehen sucht und als Hausgenossen im einen Haus des Lebens begrüßt. Eine solche Haltung ist ein Ausdruck von Friedensbereitschaft. Sie fördert eine Kultur der Gastfreundschaft. Sie setzt sich nicht als absolut. Sie ist eine Form der lebenslangen Bekehrung zum Evangelium Jesu Christi. Die Spiritualität eines erneuerten, weil beziehungsfähigen und mehrsprachigen Christseins wurzelt aber vor allem in der Gesinnung der Selbstentäußerung aus deren eigener Geschichte und eigenem Kontext (»kénosis«) Jesu (Phil 2), der sich auf Augenhöhe mit den »Anderen« wusste. Diese Spiritualität lebt aus dem Bewusstsein von gegenseitiger Ergänzung und Verantwortung: Sie stellt nicht das Unverständliche, Negative und gar potenziell Zerstörerische in der <strong>Ausgrenzung</strong>? – <strong>Nein</strong> <strong>Danke</strong>! — <strong>Franziskaner</strong> <strong>Mission</strong> 1 | 2010 Unterschiedlichkeit und tatsächlichen Konfliktivität zwischen Kulturen, Geschlechtern und Religionen in den Mittelpunkt der Erfahrung und des Handelns, sondern sucht nach Anknüpfungspunkten und Begegnungsmöglichkeiten. Paulus spricht davon, dass es in Christus nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, Männer und Frauen gibt. Denn alle sind eins in Christus Jesus (Gal 3,28). Und die Franziskanische Familie? In ihrer Verankerung im Lebenszeugnis Jesu sind franziskanische Männer und Frauen berufen, in ihrer lokalen und globalen Mitverantwortung das zu leben, was den »Global Players« oft abgeht: Sie üben Respekt vor der kulturellen Vielfalt und vor der persönlichen und »lokalen« Geschichte anderer. Sie versuchen, jedwedes Dominanzgebaren zu überwinden. Und sie sehen in den anderen einen Ort der Begegnung – nicht zuletzt auch mit Gott. Die Franziskanische Familie muss ihre <strong>Mission</strong> in der heutigen Weltgesellschaft, mitten in der globalen Konsum- und Eventgesellschaft, nicht zuletzt unter Armen, so zu leben versuchen, dass sie als Zeichen der Transzendenz und als Dienst am Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit erkennbar bleibt. Denn: »Das Geheimnis des Lebens erschließt sich nicht in Selbstgefälligkeit, sondern in schöpferischer Mitverantwortung« (Johann B. Metz). P. Hermann Schalück ofm Pater Hermann, geb. 1939, leitete von 1991 bis 1997 den <strong>Franziskaner</strong>orden als Generalminister. Von 1998 bis 2008 war er Präsident des Internationalen Katholischen <strong>Mission</strong>swerkes missio in Aachen. 5