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Cranberry als Phyto-Prophylaktikum bei bakteriellen ... - La Vie

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Die amerikanische <strong>Cranberry</strong> (Vaccinium<br />

macrocarpon Aiton; Ericaceae) wurde bereits<br />

in der Rubrik »Porträt einer Arzneipflanze«<br />

dieser Zeitschrift vorgestellt (1).<br />

Die Reaktionen zu diesem Beitrag zeigten,<br />

wie wenig bekannt die Heilwirkungen der<br />

<strong>Cranberry</strong> im deutschsprachigen Raum<br />

sind. Die <strong>Cranberry</strong> und ihre Inhaltstoffe<br />

sind außergewöhnlich gut untersucht; es<br />

liegen zahlreiche Forschungsergebnisse<br />

zur Wirksamkeit der polyphenolischen Inhaltsstoffe<br />

der <strong>Cranberry</strong> zur Prophylaxe<br />

ZUSAMMENFASSUNG<br />

Neue Forschungsergebnisse zur Wirksamkeit<br />

der <strong>Cranberry</strong> (Vaccinium<br />

macrocarpon) <strong>als</strong> <strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong><br />

rezidivierenden Harnwegsinfekten,<br />

Helicobacter-pylori-Infektionen des<br />

oberen Gastrointestinaltrakts sowie<br />

<strong>bei</strong> Karies und parodontalen Erkrankungen<br />

werden vorgestellt. Proanthocyanidine<br />

der Cranberries hemmen<br />

die bakterielle Andockung an Gewebe<br />

in vitro. Auch nach oraler Aufnahme<br />

bleibt das Wirkprinzip im Urin von Probanden<br />

nachweisbar. Durch randomisierte<br />

klinische Studien ist die Prophylaxe<br />

von Harnwegsinfekten durch<br />

<strong>Cranberry</strong>saft <strong>bei</strong> Frauen evidenzbasiert.<br />

Die hohe antioxidative Kapazität<br />

von <strong>Cranberry</strong>produkten ist zusätzlich<br />

eindrucksvoll belegt.<br />

Schlüsselwörter<br />

<strong>Cranberry</strong>, Vaccinium macrocarpon<br />

Aiton, Proanthocyanidine, Harnwegsinfekte,<br />

Escherichia coli, Helicobacter<br />

pylori, Karies, Parodontose, Antioxidans,<br />

Anti-Adhäsionswirkung<br />

<strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong><br />

<strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen<br />

Neue Forschungsergebnisse<br />

Rainer Nowack<br />

bakterieller Infektionen vor, die Grundlagenforschung<br />

zum molekularen Mechanismus<br />

ebenso umfassen wie randomisierte,<br />

plazebokontrollierte Patientenstudien.<br />

Die Erforschung der <strong>Cranberry</strong> und ihrer<br />

Inhaltstoffe hat sich erneut beschleunigt.<br />

Das macht eine Aktualisierung und Neubewertung<br />

des Wissensstandes notwendig.<br />

Proanthocyanidine behindern die<br />

bakterielle Adhäsion<br />

Infektionen durch pathogene Bakterien<br />

folgen einer konstanten Abfolge (Kasten 1)<br />

einer immer enger werdenden Kontaktaufnahme<br />

mit dem Zielgewebe (2). Am Anfang<br />

steht immer die Kolonisation des Gewebes<br />

durch das Bakterium. Diese ist Voraussetzung<br />

für die spätere Infektion, bedeutet<br />

aber zunächst nur eine Art<br />

Koexistenz. Das Schlüsselereignis zur Etablierung<br />

der Infektion ist die Adhäsion der<br />

Bakterien an das Zielgewebe. In den meisten<br />

Fällen wird die Adhäsion über Lektine<br />

an der Oberfläche der Bakterien vermittelt,<br />

die an komplementäre Kohlenhydratstrukturen<br />

auf der Seite des infizierten Organismus<br />

binden.<br />

➤ Aggressive p-Fimbrien<br />

Aus <strong>La</strong>borversuchen und Tierexperimenten<br />

ist bekannt, dass die Gegenwart löslicher<br />

Kohlenhydrate die Adhäsion von<br />

Bakterien blockieren kann. Die Hemmbarkeit<br />

bakterieller Adhäsion durch niedermolekulare<br />

Kohlenhydrate wird von Bakterien<br />

mit besonders hoher Virulenz wie uropathogenen<br />

Escherichia coli, dem weltweit<br />

CRANBERRY<br />

häufigsten Verursacher von Harnwegsinfektionen,<br />

umgangen.<br />

Bei E. coli und anderen pathogenen Bakterien<br />

erfolgt die Kontaktaufnahme mit dem<br />

Gewebe über tentakelartige Fimbrien, an<br />

deren Oberfläche Lektine präsentiert werden<br />

(Abb. 1). Zur Grundausstattung aller<br />

E.-coli-Stämme gehören Typ-1-Fimbrien,<br />

deren Adhäsionsfähigkeit durch Fructose<br />

gehemmt wird. Uropathogene Stämme von<br />

E. coli dagegen, wie sie <strong>bei</strong> Patienten mit<br />

rezidivierenden Harnwegsinfektionen und<br />

Nierenbeckenentzündungen isoliert wurden,<br />

besitzen zusätzlich p-Fimbrien (3).<br />

Fructose und andere niedermolekulare<br />

Kohlenhydrate können die Adhäsion, die<br />

über p-Fimbrien vermittelt wird, nicht<br />

hemmen. Das vorangestellte p leitet sich<br />

von »pyelonephritis« her, <strong>als</strong>o einer besonders<br />

komplikativen Ausprägung von<br />

Harnwegsinfektionen, für die die Ausstattung<br />

mit p-Fimbrien prädisponiert. Etwa<br />

20% der E.-coli-Isolate von Patienten mit<br />

Pyelonephritiden exprimieren das mit p-<br />

Fimbrien assoziierte α-Gal(1-4)β-Gal-spezifische<br />

Lektin an ihrer Oberfläche (3), das<br />

ein Pathogenitäts- oder Virulenzmerkmal<br />

darstellt. Diese Bakterienstämme sind für<br />

die schwer therapierbaren und rezidivie-<br />

KASTEN 1<br />

Stadien der <strong>bakteriellen</strong><br />

Infektion:<br />

� Kolonisation<br />

� Adhäsion<br />

� Internalisation<br />

(Aufnahme in die Zellen des<br />

Zielgewebes)<br />

� Invasion<br />

Nowack R: <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen Zeitschrift für <strong>Phyto</strong>therapie 2006; 27: 163–171.<br />

FORSCHUNG<br />

163


FORSCHUNG<br />

CRANBERRY<br />

Abb. 1: E.-coli-Bakterien mit Fimbrien, die Kontakt zum Epithel aufnehmen (Zeichnung)<br />

renden Harnwegsinfekte verantwortlich,<br />

die <strong>bei</strong> ca. 25% der über 60-jährigen Frauen<br />

zum Problem werden.<br />

Untersuchungen an Versuchstieren haben<br />

gezeigt, dass mit p-Fimbrien ausgestattete<br />

E. coli u.a. deswegen so erfolgreiche Krankheitserreger<br />

sind, weil sie die Produktion<br />

und Ausschleusung von körpereigenen Abwehrmolekülen<br />

(IgA) in den Urin reduzieren,<br />

und zwar durch ihren hemmenden<br />

Einfluss auf den polymerischen Ig-Rezeptor<br />

der renalen Epithelien (4).<br />

➤ Proanthocyanidine hemmen in vitro<br />

die Adhäsion über p-Fimbrien<br />

Bereits in den 1980er Jahren wurde <strong>bei</strong><br />

<strong>La</strong>borexperimenten und in Tierversuchen<br />

festgestellt, dass <strong>Cranberry</strong>saft nicht nur<br />

die relativ harmlosen, ausschließlich mit<br />

Typ-1-Fimbrien ausgestatteten E. coli behindert,<br />

sondern auch die Adhäsion der mit<br />

p-Fimbrien ausgestatteten E. coli (5–7).<br />

In der Ar<strong>bei</strong>tsgruppe um Amy Howell an<br />

der Rutgers University of New Jersey wurden<br />

die <strong>Cranberry</strong>-Inhaltsstoffe Schritt für<br />

Schritt analysiert, bis klar wurde, dass für<br />

die Wirkung auf p-Fimbrien tragende E.<br />

coli höhermolekularer Inhaltstoffe aus der<br />

Substanzklasse der Proanthocyanidine<br />

(PAC) verantwortlich sind (8–10, 13). PACs<br />

sind Polyphenole und gehören zur Gruppe<br />

der Flavanole. Speziell handelt es sich in<br />

Cranberries hauptsächlich um Oligomere<br />

des Catechins und Epicatechins, die wegen<br />

ihrer eiweißdenaturierenden Eigenschaften<br />

auch <strong>als</strong> kondensierte Tannine bezeich-<br />

net werden. Die für die Anti-Adhäsionswirkung<br />

entscheidenden Inhaltsstoffe der<br />

<strong>Cranberry</strong> sind durch eine spezielle biochemische<br />

Verbindung (»A-Typ PAC«) charakterisiert,<br />

die sie von den PAC in Grüntee<br />

oder Schokolade unterscheiden. Letztere<br />

weisen daher die antiadhäsive Eigenschaft<br />

nicht auf (11, 12). Auch <strong>bei</strong> vielen anderen<br />

auf diese Eigenschaft hin untersuchten<br />

Früchten konnten Inhaltsstoffe mit vergleichbarer<br />

antiadhäsiver Wirkung nicht<br />

nachgewiesen werden (8).<br />

<strong>Cranberry</strong>-PACs können, wenn sie dem<br />

Wachstumsmedium von E. coli zugesetzt<br />

werden, die Expression von p-Fimbrien<br />

völlig verhindern (14), diese strukturell defekten<br />

E. coli haben so eine ihrer wichtigsten<br />

Infektionseigenschaften verloren. Dieses<br />

Phänomen ist jetzt auch auf der molekularen<br />

Ebene untersucht. Bereits nach einer<br />

weniger <strong>als</strong> 3-stündigen Inkubation<br />

mit neutralisiertem <strong>Cranberry</strong>saft verändert<br />

sich die Konformation der Oberflächenmoleküle<br />

auf den p-Fimbrien und die<br />

Adhäsionsfähigkeit lässt nach (15).<br />

164 Nowack R: <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen Zeitschrift für <strong>Phyto</strong>therapie 2006; 27: 163–171.<br />

➤ Antiadhäsives Prinzip wirkt auch<br />

<strong>bei</strong>m Menschen<br />

Für eine Empfehlung des <strong>Cranberry</strong>safts<br />

<strong>als</strong> Infektprophylaktikum müssen weitere<br />

Fragen geklärt werden; u.a. muss nachgewiesen<br />

werden, dass die für die Wirkung<br />

entscheidenden <strong>Cranberry</strong>-Inhaltsstoffe<br />

nach oraler Aufnahme zunächst im Darm<br />

resorbiert werden und danach zum Zielgewebe<br />

gelangen. Bei Harnwegsinfekten<br />

müssen sie in wirksamer Konzentration im<br />

Urin erscheinen.<br />

Schrittweise konnte die Antwort gefunden<br />

werden. Bereits ältere Untersuchungen bestätigten<br />

an Ratten, dass sich PAC, in diesem<br />

Fall aus dem Wein, nach oraler Aufnahme<br />

zunächst im Blut der Tiere wiederfinden<br />

lassen und danach zu ca. 20% im<br />

Urin ausgeschieden werden (16). Der Urin<br />

von Mäusen, die mit isolierten <strong>Cranberry</strong>-<br />

PAC gefüttert wurden, weist tatsächlich<br />

antiadhäsive Eigenschaften auf (17), d.h.<br />

das Wirkprinzip bleibt erhalten. In einer<br />

ersten Ar<strong>bei</strong>t an menschlichen Probanden<br />

wurde der Einfluss des Urins von zehn gesunden<br />

Männern nach <strong>Cranberry</strong>-Supplementation<br />

auf die Adhäsion eines E.-coli-<br />

Stammes an Silikongummi getestet. Die<br />

Adhäsionsquote konnte deutlich gesenkt<br />

werden, aber die Studie war nicht plazebokontrolliert<br />

und der E.-coli-Stamm war<br />

hinsichtlich seiner Pathogenität (z.B. Fimbrientyp)<br />

nicht näher charakterisiert (18).<br />

Weiterführend sind die Ergebnisse der<br />

aktuellen Ar<strong>bei</strong>t von Di Martino et al. (19).<br />

Die plazebokontrollierte Probandenstudie<br />

zeigt, dass sich die antiadhäsive Wirksamkeit<br />

nach <strong>Cranberry</strong>genuss im Urin von<br />

Menschen wiederfindet, und zwar in do-<br />

Tab. 1: Anti-Adhäsionswirkung der Urins von Probanden nach <strong>Cranberry</strong>saft-Konsum im Vergleich zu<br />

Plazebo auf die Adhäsion von sechs E.-coli-Stämmen an uroepithelialen Zellen; Mittelwerte <strong>bei</strong> 20 Probanden<br />

(nach 19)<br />

Regimen Adhäsions- Reduktion der p<br />

Indizes <strong>bakteriellen</strong> (Student’s<br />

250 ml Plazebo<br />

Adhäsion (%) t-Test)<br />

+ 500 ml Wasser 7,04 � 5,9 – –<br />

750 ml Plazebo<br />

250 ml <strong>Cranberry</strong><br />

6,19 � 4,92 12 0,049<br />

+ 500 ml Wasser 3,9 � 3,3 45 4,9 � 10 –12<br />

750 ml <strong>Cranberry</strong> 2,7 � 2,4 62 2,6 � 10 –18


Abb. 2: Adhäsion der E. coli an uroepitheliale Zellen. A: 250 ml Plazebo + 500 ml Wasser, B: 250 ml <strong>Cranberry</strong><br />

+ 500 ml Wasser; C: 750 ml Plazebo; D: 750 ml <strong>Cranberry</strong>; Bakterien durch Pfeile gekennzeichnet (nach 19)<br />

sisabhängiger Weise: Der Urin von Testpersonen,<br />

die am Tag zuvor 250 bzw. 750<br />

ml <strong>Cranberry</strong>saft getrunken hatten, wies<br />

am folgenden Morgen deutlich adhäsionshemmende<br />

Eigenschaften auf uropathogene<br />

Bakterien in einem Adhäsionsassay mit<br />

humanen Blasenepithelien auf. Nach Konsum<br />

eines Plazebogetränkes blieb dieser<br />

Effekt aus. Da<strong>bei</strong> wurden verschiedene<br />

Bakterienstämme getestet, darunter auch<br />

solche, die mit dem Nachweis des für p-<br />

Fimbrien kodierenden Gens und ausgeprägter<br />

Mehrfachresistenz gegen Antibiotika<br />

besondere Virulenzkriterien aufwiesen.<br />

Die antiadhäsiven Eigenschaften des<br />

<strong>Cranberry</strong>saftes ließen sich davon unabhängig<br />

mit hoher Signifikanz bestätigen<br />

(Tab. 1 und Abb. 2).<br />

Das Ergebnis dieser Ar<strong>bei</strong>t macht auch eigene<br />

klinische Erfahrungen plausibel. Der<br />

Autor des vorliegenden Beitrags beobachtete<br />

mehrfach <strong>bei</strong> Nierentransplantierten<br />

mit chronischen Harnwegsinfektionen<br />

durch multiresistente Bakterien, dass regelmäßiger<br />

<strong>Cranberry</strong>konsum die Infekte<br />

beherrschbar machte und einen Antibiotikaverzicht<br />

ermöglichte (Publikation in<br />

Vorbereitung). Es besteht daher eine ausreichende<br />

Rationale, die adjuvante Verabreichung<br />

von <strong>Cranberry</strong>produkten <strong>bei</strong> Infekten<br />

mit multiresistenten Keimen in<br />

klinischen Studien auf Parameter wie Infektdauer,<br />

Antibiotikaverbrauch usw. zu<br />

untersuchen.<br />

➤ Exkurs: Andere antiinfektive<br />

<strong>Phyto</strong>therapeutika<br />

An dieser Stelle soll der Blick kurz auf andere<br />

<strong>Phyto</strong>therapeutika mit dem Einsatzgebiet<br />

bakterieller Erkrankungen gerichtet<br />

werden, denn auch <strong>bei</strong> diesen geht die<br />

Wirkung offenbar auf eine Beeinflussung<br />

der <strong>bakteriellen</strong> Adhäsion zurück. Bereits<br />

vor Jahren wurde in heute kaum noch zitierten<br />

Untersuchungen zum Mechanismus<br />

der antiinfektiven Wirkung chinesischer<br />

<strong>Phyto</strong>therapeutika mit einem<br />

hohen Gehalt an Berberin eindrucksvoll<br />

gezeigt, dass das Alkaloid die Fimbrienausbildung<br />

von E. coli völlig unterdrücken<br />

kann und auf diese Weise Infekte verhindert,<br />

ohne selbst bakterizid zu sein (20).<br />

Man darf vermuten, dass auch das traditio-<br />

Urinproben mit Harnwegsinfekt (%)<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0<br />

1<br />

CRANBERRY<br />

nelle nordamerikanische <strong>Phyto</strong>therapeutikum<br />

Gelbwurz (Hydrastis canadensis) seine<br />

geschätzte Wirkung <strong>bei</strong> Infektionen aufgrund<br />

des hohen Berberingehalts entfaltet<br />

und damit ebenfalls über den adhäsionsverhindernden<br />

Mechanismus.<br />

Aktuelle Studien zur<br />

Infektprophylaxe<br />

Mehrere klinische Studien <strong>bei</strong> Patientinnen<br />

mit rezidivierenden Harnwegsinfekten<br />

haben seit 1994 sowohl für ältere <strong>als</strong><br />

auch für jüngere Patientinnen einen präventiven<br />

Effekt von täglichem <strong>Cranberry</strong>saftkonsum<br />

nachgewiesen. In der plazebokontrollierten<br />

Studie von Avorn et al. (21)<br />

wurden 153 Frauen (mittleres Alter 78,5<br />

Jahre) untersucht, die entweder für 6 Monate<br />

täglich 300 ml <strong>Cranberry</strong>saft oder ein<br />

synthetisches Plazebogetränk getrunken<br />

hatten. Das Auftreten von Bakterien im<br />

Urin gemeinsam mit dem Nachweis von<br />

Leukozyten im Urin (Pyurie) <strong>als</strong> Kriterium<br />

für einen Harnwegsinfekt war in der Gruppe<br />

mit <strong>Cranberry</strong>saft gegenüber der Plazebogruppe<br />

um 42% reduziert (p = 0,004)<br />

(Abb. 3).<br />

In einer finnischen Studie (22) wurden150<br />

junge Frauen (Durchschnittsalter 30 Jahre)<br />

mit Harnwegsinfektionen durch E. coli in<br />

der Vorgeschichte randomisiert drei Gruppen<br />

zugewiesen und für 12 Monate nachbeobachtet.<br />

Die Kontrollgruppe erhielt keine<br />

Intervention, die <strong>Cranberry</strong>gruppe erhielt<br />

für 6 Monate täglich 50 ml eines Saftgemisches<br />

aus Preiselbeer- und<br />

Moosbeerensaftkonzentrat (Vaccinium vi-<br />

2 3 4 5<br />

Monate<br />

Plazebo-Gruppe<br />

<strong>Cranberry</strong>-Gruppe<br />

Abb. 3: Prozentualer Anteil von Urinproben mit Bakteriurie und Pyurie (Harnwegsinfekt) <strong>bei</strong> Frauen, die täglich<br />

<strong>Cranberry</strong>saft (durchgezogene Linie) oder ein Plazebogetränk (unterbrochene Linie) tranken (21)<br />

Nowack R: <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen Zeitschrift für <strong>Phyto</strong>therapie 2006; 27: 163–171.<br />

6<br />

FORSCHUNG<br />

165


CRANBERRY<br />

tis-idaea und V. oxycoccus), die dritte Gruppe erhielt für die<br />

gesamten 12 Monate 5 Tage in der Woche 100 ml eines <strong>La</strong>ctobacillus-Getränkes.<br />

Die Moosbeeren werden in England ebenfalls<br />

Cranberries genannt und sind die europäische Schwesterart<br />

der amerikanischen <strong>Cranberry</strong>. Die kumulative Rate des<br />

ersten Wiederauftretens von Harnwegsinfekten war in der<br />

<strong>Cranberry</strong>gruppe gegenüber der Kontrollgruppe um 56% reduziert,<br />

während in der <strong>La</strong>ctobacillus-Gruppe die Rezidive ebenso<br />

schnell auftraten wie in der Kontrollgruppe. Nach 6 Monaten<br />

konnte das absolute Risiko für Harnwegsinfektionen<br />

gegenüber der Kontrollgruppe um 20% reduziert werden oder<br />

anders ausgedrückt: 6 Patientinnen mussten behandelt werden,<br />

um einen Harnwegsinfekt zu verhindern. Auch nach 12<br />

Monaten war das Wiederauftreten der Harnwegsinfektionen<br />

deutlich geringer <strong>als</strong> in der Kontrollgruppe (Abb. 4).<br />

Diese <strong>bei</strong>den Studien haben entscheidend dazu <strong>bei</strong>getragen,<br />

dass in den letzten Bewertungen durch das Cochrane-Institut<br />

der präventive Nutzen des <strong>Cranberry</strong>saft-Konsums <strong>bei</strong> Frauen<br />

mit Harnwegsinfektionen <strong>als</strong> ausreichend belegt gilt. Man<br />

kann diese Prophylaxe daher guten Gewissens <strong>als</strong> evidenzbasiert<br />

empfehlen (23).<br />

Diese positiven Ergebnisse für Cranberries <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>prophylaktikum<br />

wurden in weiteren Studien bestätigt, u.a. in einer<br />

kanadischen Untersuchung, die die Vergleichbarkeit von <strong>Cranberry</strong>saft<br />

und einem -trockenkonzentrat gegeneinander und<br />

gegen Plazebo geprüft hat. An den 150 sexuell aktiven Frauen<br />

im Alter von 21–72 Jahren wiesen <strong>bei</strong>de Verumgruppen gegenüber<br />

Plazebo erneut eine signifikante Reduktion der Harnwegsinfekte<br />

um ca. 20% auf (24).<br />

Nachdem besonders ältere Patienten von Harnwegsinfekten<br />

betroffen sind, wurde kürzlich eine größere klinische Studie<br />

zur Bedeutung der Prophylaxe mit <strong>Cranberry</strong>saft <strong>bei</strong> Altenheimbewohnern<br />

durchgeführt, die allerdings wegen zu geringer<br />

power (statistisches Problem) keinen eindeutigen Nutzen<br />

zeigen konnte (25).<br />

%<br />

50<br />

40<br />

30<br />

20<br />

10<br />

0<br />

0<br />

3<br />

<strong>Cranberry</strong><br />

<strong>La</strong>ctobacillus<br />

Kontrolle<br />

6 9<br />

Monate<br />

Abb. 4: Kumulatives Wiederauftreten von Harnwegsinfektionen während<br />

12-monatiger Beobachtung <strong>bei</strong> Frauen, die 6 Monate lang entweder <strong>Cranberry</strong>saft<br />

oder 12 Monate lang ein <strong>La</strong>ctobacillus-Getränk tranken oder keine<br />

Intervention hatten. Das Wiederauftreten von Harnwegsinfekten lag in der<br />

<strong>Cranberry</strong>gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe signifikant niedriger<br />

(p = 0,014 nach 6 Monaten, p = 0,052 nach 12 Monaten) (22)<br />

12


➤ In Planung: <strong>Cranberry</strong> vs. Antibiotikum<br />

CRANBERRY<br />

Wegen der großen volksmedizinischen Relevanz von Harnwegsinfekten<br />

(HWI) sind weitere Studien in Planung oder bereits<br />

begonnen worden. Mit besonderer Aufmerksamkeit sollte<br />

die große niederländische Studie (NAPRUTI) zur Prophylaxe<br />

von HWI mit <strong>Cranberry</strong>trockenextraktkapseln verfolgt werden,<br />

die im September 2005 mit der Rekrutierung begonnen hat<br />

(26). In dieser Studie soll <strong>bei</strong> Patientinnen mit rezidivierenden<br />

HWI untersucht werden, ob eine Prophylaxe mit <strong>Cranberry</strong> einer<br />

solchen mit Antibiotika ebenbürtig ist. Diese Studie soll<br />

über 12 Monate durchgeführt werden und da<strong>bei</strong> mehrere Therapieprinzipien<br />

hinsichtlich ihrer Effizienz vergleichen: Bei<br />

prämenopausalen Frauen sollen <strong>Cranberry</strong>kapseln, <strong>bei</strong> postmenopausalen<br />

Frauen <strong>La</strong>ctobazillen oral gegeben werden. Wie in<br />

der finnischen Studie werden <strong>als</strong>o zwei alternative antiinfektive<br />

Strategien untersucht, i.e. gerichtet gegen bakterielle Kolonisation<br />

(<strong>La</strong>ctobazillen) und gegen Adhäsion (<strong>Cranberry</strong>) – dieses<br />

Mal aber gegen die Standardprophylaxe mit 480 mg Trimethoprim-Sulfamethoxazol.<br />

Diese Studie geht damit über die bisherigen<br />

hinaus, indem ein <strong>Cranberry</strong>produkt erstm<strong>als</strong> gegen eine<br />

Dauerprophylaxe mit Antibiotika bestehen muss. Wird der prophylaktische<br />

Nutzen nicht schlechter <strong>als</strong> mit dem Antibiotikum<br />

sein, so wird dies zu einer breiten Empfehlung von <strong>Cranberry</strong>produkten<br />

führen.<br />

Weitere Anwendungsbereiche für <strong>Cranberry</strong>saft<br />

Die Nutzung der antiadhäsiven Wirkung der <strong>Cranberry</strong>-Inhaltsstoffe<br />

stellt einen grundsätzlich neuen und intelligenten<br />

Ansatz der Therapie bakterieller Erkrankungen dar. Infektionsvermeidung<br />

und -kontrolle könnte ohne Abtötung von Bakterien<br />

gelingen, indem diese zu harmlosen Symbionten degradiert<br />

werden. Es wird da<strong>bei</strong> der mit einer Antibiotikatherapie<br />

verbundene Selektionsdruck zur Ausbildung resistenter Formen<br />

vermieden und ein rascher Verlust dieses Wirkprinzips ist<br />

nicht zu erwarten.<br />

Im medizinisch-therapeutischen Sektor werden sich <strong>Cranberry</strong>produkte<br />

vor allem <strong>bei</strong> anderen problematischen Erkrankungen<br />

bakterieller Genese beweisen müssen. Bereits jetzt gibt es<br />

hierzu zwei kleine Forschungsschwerpunkte, die die Helicobacter-pylori-Infektionen<br />

und die Biofilmbildung in der Mundhöhle<br />

<strong>bei</strong> parodontalen Erkrankungen und Karies betreffen.<br />

➤ Karies und Parodontose<br />

Karies und parodontale Entzündungen entstehen unter aktiver<br />

Beteiligung von pathogenen Bakterien in der Mundhöhle, die<br />

sich über Adhäsionsvorgänge fest auf den Zähnen und im gingivalen<br />

Gewebe festsetzen. Besonders <strong>bei</strong> der Plaquebildung<br />

kommt es zudem zu Aggregationen zwischen verschiedenen<br />

Bakterien, ebenfalls über Adhäsion vermittelt, die ein festes,<br />

mit herkömmlichen Mitteln kaum auflösbares Netzwerk auf-


FORSCHUNG<br />

CRANBERRY<br />

bauen (»dentaler Biofilm«). Bakterien der<br />

Streptococcus-mutans-Gruppe überwiegen.<br />

Seit 1998 ist durch eine Untersuchung<br />

der Universität Tel Aviv bekannt, dass<br />

hochmolekulare Inhaltstoffe aus <strong>Cranberry</strong>saft<br />

die Co-Aggregation der Bakterien im<br />

dentalen Biofilm verhindern und sogar<br />

rückgängig machen können und zwar besonders<br />

deutlich dann, wenn mindestens<br />

eine Spezies der Bakterienpaare zu den<br />

gramnegativen Anaerobiern gehörte, die<br />

maßgeblich an parodontalen Erkrankungen<br />

beteiligt sind (27). In einer weiteren<br />

Untersuchung der Gruppe (28, 29)<br />

wurden die Wirkungen der hochmolekularen<br />

<strong>Cranberry</strong>-Inhaltsstoffe auf den Stoffwechsel<br />

im dentalen Biofilms charakterisiert.<br />

Nach diesen positiven <strong>La</strong>borergebnissen<br />

wurde eine kleine Probandenstudie mit einer<br />

cranberryhaltigen Mundspülung angeschlossen<br />

(30): Jeweils 30 Probanden benutzten,<br />

randomisiert zugewiesen, für 6<br />

Wochen entweder täglich die <strong>Cranberry</strong>oder<br />

eine Plazebomundspülung. Am Studienende<br />

war die Zahl der Streptococcusmutans-Bakterien<br />

und die Gesamtmenge<br />

der Bakterien im Speichel <strong>bei</strong> der <strong>Cranberry</strong>gruppe<br />

signifikant gesunken.<br />

Andere zahnmedizinisch orientierte<br />

Untersuchungsgruppen beschäftigten sich<br />

mit den antiinflammatorischen Wirkungen<br />

der <strong>Cranberry</strong> und ihrer möglichen Anwendbarkeit<br />

<strong>bei</strong> parodontalen Erkrankungen.<br />

In der Untersuchung von Bodet (31)<br />

wurde eine <strong>Vie</strong>lzahl von parodontal-pathogenen<br />

Bakterienspezies auf die LPS-induzierte<br />

Zytokinproduktion untersucht.<br />

Die Zytokine stimulieren Makrophagen,<br />

die das parodontale Gewebe zerstören. Das<br />

<strong>Cranberry</strong>konzentrat konnte die Bildung<br />

proinflammatorischer Zytokine und Chemokine<br />

wirksam unterdrücken, ebenso<br />

wie die lokale Ausschüttung proteolytischer<br />

Enzyme (32).<br />

Bei Untersuchungen der unterschiedlichen<br />

Wirkstofffraktionen der <strong>Cranberry</strong> (PAC,<br />

Anthocyane und Flavonole) hinsichtlich ihres<br />

Einflusses auf die pathogenetischen<br />

Schlüsselwirkungen von Streptococcus mutans<br />

waren es eindeutig die PAC, darunter<br />

überwiegend Typ-A-Oligomere des Epicatechins,<br />

die <strong>bei</strong> topischer Applikation die<br />

Biofilmbildung und Azidogenität der Bakterien<br />

reduzierten (33, 34).<br />

<strong>Cranberry</strong>-PAC sind <strong>als</strong>o ebenso wie im<br />

Harntrakt auch in der Mundhöhle die entscheidenden<br />

Wirksubstanzen, indem sie<br />

die bakterielle Integration in den schädlichen<br />

Biofilm verhindern und die parodontalen<br />

Entzündungen eindämmen.<br />

➤ Helicobacter-pylori-Infektionen<br />

Seit der Entdeckung der infektiösen Entstehung<br />

der meisten Magen/Darmulcera sowie<br />

Magenschleimhautentzündungen<br />

durch das Bakterium Helicobacter pylori<br />

(Hp) zählen diese Befunde zu den weltweit<br />

häufigsten Infektionserkrankungen. Mit<br />

80% ist die Prävalenz in Entwicklungsländer<br />

besonders hoch, während sie in Industrieländern<br />

zwischen 20–50% liegt. Mit der<br />

<strong>bakteriellen</strong> Ätiologie wandelte sich das<br />

therapeutische Paradigma, und seither ist<br />

eine antibiotische (Mehrfach-)Therapie<br />

fester Bestandteil der Behandlungsschemata<br />

zur Eradikation des Bakteriums. Inzwischen<br />

stellt die zunehmende Antibiotikaresistenz<br />

von Hp ein großes Problem dar. Daher<br />

ist das Interesse an alternativen antiinfektiven<br />

Strategien deutlich gewachsen.<br />

Bakterielle Adhäsion über Fimbrien an die<br />

Schleimhautzellen des Magens und des<br />

Dünndarms ist auch <strong>bei</strong> Hp-Infektionen<br />

168 Nowack R: <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen Zeitschrift für <strong>Phyto</strong>therapie 2006; 27: 163–171.<br />

der entscheidende Schrittmacher (Abb. 5).<br />

Die Vermutung liegt nahe, dass die <strong>bei</strong><br />

Harnwegsinfekten bereits belegte Adhäsionshemmung<br />

durch <strong>Cranberry</strong>-Inhaltsstoffe<br />

auch Hp-Infektionen vermeiden helfen<br />

könnte. Tatsächlich konnte in vitro gezeigt<br />

werden, dass höhermolekulare Inhaltstoffe<br />

aus Cranberries die Adhäsion<br />

von Hp an Magenschleim und an Magenschleimhautzellen<br />

hemmen (35, 36).<br />

➤ Antibiotikawirkung wird verstärkt<br />

Nachdem eine Resistenz von Hp gegen Clarithromycin<br />

ein zunehmendes Problem<br />

darstellt, wurden verschiedene Beerenextrakte,<br />

darunter <strong>Cranberry</strong>, bezüglich ihrer<br />

hemmenden Wirkung auf das Wachstum<br />

von Hp im Medium untersucht (37). Alle<br />

Beerenextrakte erhöhten die Empfindlichkeit<br />

für Clarithromycin signifikant. Die bereits<br />

in den Voruntersuchungen bestätigte<br />

Adhäsionsbehinderung von Hp an Magenschleimhaut<br />

wurde auch für Hp-Isolate mit<br />

Antibiotikaresistenz nachgewiesen, d.h.<br />

das antiadhäsive Prinzip bleibt durchgängig<br />

erhalten, auch dann, wenn Antibiotika<br />

wie das untersuchte Metronidazol bereits<br />

wirkungslos geworden sind (38). Eine Ergänzung<br />

der herkömmlichen antibiotischen<br />

Mehrfachtherapie um <strong>Cranberry</strong>produkte<br />

und eventuell weitere <strong>Phyto</strong>therapeutika<br />

könnte den Erfolg der Hp-Eradikation<br />

erhöhen.<br />

Abb. 5: Helicobacter pylori mit deutlich erkennbaren Fimbrien auf Magenschleimhautzellen


Für dieses neue Einsatzgebiet von <strong>Cranberry</strong>produkten<br />

liegt inzwischen eine klinische<br />

Studie aus einem Gebiet mit endemischer<br />

H.p.-Infektion in China vor (Infektion<br />

gemessen mit 13C-Urease-Atemtest) (39).<br />

Von den 189 Studienpatienten erhielt die<br />

Hälfte 250 ml <strong>Cranberry</strong>saft täglich für 90<br />

Tage, die andere Hälfte ein Plazebogetränk.<br />

Nach 35 bzw. 90 Tagen waren signifikant<br />

weniger Patienten der <strong>Cranberry</strong>gruppe<br />

negativ im Urease-Atemtest und damit infektionsfrei.<br />

Die Autoren folgern, dass der<br />

tägliche Genuss von <strong>Cranberry</strong>saft gerade<br />

in Gebieten mit hoher Hp-Durchseuchung<br />

sinnvoll sein kann.<br />

➤ <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> Antioxidans<br />

Reichlicher Konsum von Früchten und Gemüse<br />

beugt chronischen Erkrankungen vor<br />

oder beeinflusst deren Verlauf positiv.<br />

Obst, Getreide und Gemüse verlängern unsere<br />

Lebensspanne und erhöhen die Lebensqualität.<br />

Die Schutzwirkung geht vor-<br />

Abb. 6: PMA-induzierter oxidativer burst <strong>bei</strong> differenzierten HL60-Zellen mit verschiedenen Konzentrationen<br />

<strong>Cranberry</strong>saft in Abhängigkeit von der Inkubationszeit. Die dosisabhängige Entgiftung der durch die Zellen<br />

gebildeten Sauerstoffradikale ist an dem Abflachen des Kurvenanstiegs gut erkennbar (aus 44)<br />

CRANBERRY<br />

FORSCHUNG


170<br />

CRANBERRY<br />

FORSCHUNG<br />

Abb. 7: Prozentuale Hemmung des oxidativen burst<br />

<strong>bei</strong> differenzierten HL60-Zellen durch verschiedene<br />

Konzentrationen <strong>Cranberry</strong>saft in Abhängigkeit von<br />

der Inkubationszeit im Vergleich zur Kontrolle ohne<br />

Wirkstoff. Eine vollständige Inhibierung des oxidativen<br />

burst entspricht 100 % (aus 44)<br />

rangig von antioxidativ wirksamen Polyphenolen<br />

aus, die sich in unterschiedlichen<br />

Konzentrationen in pflanzlichen Nahrungsmitteln<br />

befinden. Mit der Nahrung<br />

aufgenommene Antioxidantien schirmen<br />

die Gewebe gemeinsam mit den endogenen<br />

Antioxidantien vor Angriffen der ständig<br />

im Stoffwechsel und durch exogene<br />

Einwirkung (z.B. Rauchen, UV-Strahlung)<br />

entstehenden freien Radikalen ab.<br />

Cranberries haben eine hohe antioxidative<br />

Kapazität. Unter mehr <strong>als</strong> 100 in den USA<br />

geprüften Lebensmitteln nehmen sie die<br />

Spitzenstellung unter den Früchten ein, gefolgt<br />

von Blaubeeren – die antioxidative<br />

Kapazität ist etwa so hoch wie die von Artischocken<br />

unter den Gemüsen (40). Die<br />

antioxidative Potenz von Cranberries liegt<br />

nicht nur höher <strong>als</strong> <strong>bei</strong> den meisten Früchten,<br />

sondern ebenso um <strong>Vie</strong>lfaches über<br />

der von Vitamin C oder Vitamin E (41); präzise<br />

entspricht die antioxidative Protektion<br />

von 100 g Cranberries gegen LDL-Oxidation<br />

etwa der von 1000 mg Vitamin C oder<br />

3700 mg Vitamin E (42). Diese Wirkung beruht<br />

in erster Linie auf dem Gehalt der<br />

Cranberries an Catechinen und Proanthocyanidinen<br />

(43).<br />

Cranberries sind <strong>als</strong> Frischfrüchte ausgesprochen<br />

herb und kaum genießbar. Überwiegend<br />

werden sie <strong>als</strong> Saft konsumiert.<br />

Ob die hohe antioxidative Wertigkeit der<br />

Rohfrüchte in verar<strong>bei</strong>teten Produkten erhalten<br />

bleibt, wurde bislang nur vereinzelt<br />

untersucht. Für einen schonend verar<strong>bei</strong>teten<br />

Saft (Töpfer GmbH, Dietmannsried/Allgäu)<br />

ist die erhaltene antioxidative<br />

Potenz gutachterlich dokumentiert (44).<br />

Dosisabhängig ist das Präparat in der <strong>La</strong>ge,<br />

den oxidativen burst von humanen Promyelozyten<br />

(HL-60 Zellinie) durch Phorbol-12-myristat-13-acetat<br />

(PMA) stark zu<br />

hemmen. Die volle inhibitorische Wirksamkeit<br />

liegt bereits nach 10-minütiger Inkubation<br />

vor, die Zellen bleiben vital, d.h.<br />

eine Toxizität ist zu vernachlässigen (Abb.<br />

6–7).<br />

Die antioxidative Eigenschaft lässt die<br />

Untersuchung des Einsatzes von <strong>Cranberry</strong>extrakten<br />

<strong>bei</strong> Erkrankungen sinnvoll erscheinen,<br />

<strong>bei</strong> deren Genese Sauerstoffradikale<br />

eine Rolle spielen, wie z.B. Atherosklerose,<br />

aber auch bestimmte Neoplasien.<br />

Hier steht die Forschung noch am Anfang.<br />

Priv.-Doz. Dr. Rainer Nowack<br />

Dialysezentrum Lindau<br />

Friedrichshafener Str. 82<br />

88131 Lindau<br />

info@dialyse-lindau.de<br />

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CRANBERRY<br />

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44 Dartsch PC: Wissenschaftliches Gutachten<br />

im Auftrag der Fa. Töpfer GmbH; 2006.<br />

<strong>Cranberry</strong> as a pharmaceutical agent in treating bacterial infections: Current research<br />

findings<br />

The author presents new research findings on the efficacy of cranberry (Vaccinium<br />

macrocarpon) as a pharmaceutical agent in treating recurrent urinary tract infection,<br />

Helicobacter pylori infection of the upper gastrointestinal tract as well as caries and<br />

periodontal disease. In vitro, the proanthocyanidins in cranberries inhibit the docking<br />

of bacteria on tissues. The efficacy mechanism can be traced in the patient’s urine following<br />

an oral intake of cranberry juice. As was shown in evidence based studies,<br />

cranberry juice leads to the prevention of urinary tract infection in women. The author<br />

<strong>als</strong>o empirically verifies the high anti-oxidative capacity of cranberry products.<br />

Key words<br />

<strong>Cranberry</strong>, Vaccinium macrocarpon Aiton, Ericaceae, proanthocyanidins, urinary tract<br />

infection, Escherichia coli, Helicobacter pylori, caries, periodontal disease, antioxidant,<br />

anti-adhesive effect<br />

Nowack R: <strong>Cranberry</strong> <strong>als</strong> <strong>Phyto</strong>-<strong>Prophylaktikum</strong> <strong>bei</strong> <strong>bakteriellen</strong> Infektionen Zeitschrift für <strong>Phyto</strong>therapie 2006; 27: 163–171.<br />

FORSCHUNG<br />

171

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