Lily & Dora und das durchsichtige Geheimnis - The Continuation of ...
Lily & Dora und das durchsichtige Geheimnis - The Continuation of ...
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<strong>The</strong> <strong>Continuation</strong> <strong>of</strong> Harry Potter<br />
<strong>Lily</strong> & <strong>Dora</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>durchsichtige</strong> <strong>Geheimnis</strong><br />
Fortsetzung der Harry-Potter-Reihe. Beginn elf Jahre nach dem legendären<br />
Kampf in Hogwarts, bei dem Harry Potter Lord Voldemort<br />
endgültig besiegt hat. Die Zukunft, die sich Joanne K. Rowling im<br />
siebten Band ausgedacht hat, gibt es hier jedoch nicht!<br />
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3<br />
Alles über <strong>The</strong> <strong>Continuation</strong> <strong>of</strong> Harry Potter<br />
<strong>Lily</strong> & <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>durchsichtige</strong> <strong>Geheimnis</strong><br />
Internet http://beinhogwarts.be.funpic.de
Monika Melber<br />
<strong>Lily</strong> & <strong>Dora</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> <strong>durchsichtige</strong> <strong>Geheimnis</strong><br />
eine Fortsetzung von<br />
Monika Melber<br />
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5<br />
Inhalt<br />
Im Ligusterweg Nummer 4................................................................................... 6<br />
Unangenehme Besucher...................................................................................... 28<br />
Kleine Lehrer <strong>und</strong> fliegende Besen .................................................................... 53<br />
Der Hogwarts-Express ........................................................................................ 77<br />
Harry Potter <strong>und</strong> blaue Zauberstab ................................................................ 101<br />
Unterricht mal anders....................................................................................... 125<br />
Die Überraschung.............................................................................................. 152<br />
Klatsch <strong>und</strong> Tratsch.......................................................................................... 176<br />
Weasleys Zauberhafte Tagträume................................................................... 197<br />
Briefe an Unbekannt ......................................................................................... 219<br />
Geständnisse ...................................................................................................... 241<br />
Ein ZW als Weihnachtsgeschenk..................................................................... 263<br />
Zauberschule vs. Muggelschule........................................................................ 286<br />
Wenn Peeves zuschlägt ..................................................................................... 308
Im Ligusterweg Nummer 4<br />
In der Garage des Hauses mit der Nummer 4 im Ligusterweg öffnete<br />
sich eine Autotür <strong>und</strong> ein großer, überdurchschnittlich muskulös gebauter<br />
Mann stieg aus. Er befreite sich erschöpft aus der Jacke seiner<br />
dunkelblauen Dienstuniform <strong>und</strong> streckte sich erstmal, bevor er in<br />
<strong>das</strong> verblassende Sonnenlicht dieses Freitags trat. Obwohl die Sonne<br />
nur mehr Zentimeter über dem Horizont zu stehen schien, war die<br />
Hitze unerträglich <strong>und</strong> <strong>das</strong> nun schon seit mehreren Wochen.<br />
Kopfschüttelnd blickte er der Mann zwischen der Sonne <strong>und</strong> dem<br />
sonst so gepflegten Rasen hin <strong>und</strong> her, den er wohl im Herbst würde<br />
ersetzen müssen. Vielleicht sollte er es doch so machen wie seine<br />
Eltern <strong>und</strong> Nachbarn früher einmal. In der Nacht, ungesehen von allen<br />
anderen, könnte man doch ohne große Anstrengung den Garten<br />
bewässern! Aber schneller als ihm der Gedanke gekommen war,<br />
schüttelte er den Kopf. Nein, so wie seine Eltern würde er nie etwas<br />
machen!<br />
In Gedanken versunken schlenderte er den schmalen, gepflasterten<br />
Weg entlang, der zum Haus führte, als ---<br />
„Daddy“, ertönte ein spitzer Schrei <strong>und</strong> ein Junge, fast elf Jahre alt,<br />
rannte auf seinen Vater zu, welcher ihn mit ausgebreiteten Armen<br />
empfing <strong>und</strong> ihn auf Augenhöhe hob.<br />
Der Junge war etwas stärker gebaut als die anderen Kinder in seinem<br />
Alter <strong>und</strong> auch er schien ungewöhnlich viel Kraft zu haben. Die<br />
Ähnlichkeit zu seinem Vater war nicht zu verleugnen.<br />
„Daddy, <strong>Dora</strong> macht es schon wieder!“<br />
Ein Lächeln breitete sich auf den Lippen seines Vaters aus <strong>und</strong> er<br />
setzte seinen Sohn wieder vor sich auf den Boden.<br />
„Da, schau!“<br />
Ein kleines, rot-orangenes Kätzchen kam unter einem dürren<br />
Strauch hervor <strong>und</strong> setzte sich vor den beiden Menschen auf den<br />
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Boden. Es hob seinen Kopf <strong>und</strong> seine grünen Augen schienen abwechselnd<br />
in die des Jungen <strong>und</strong> in die des Mannes zu schauen.<br />
„<strong>Dora</strong>, hab ich dir nicht gesagt, <strong>das</strong>s du <strong>das</strong> nicht hier draußen machen<br />
sollst? Was ist, wenn dich die Nachbarn sehen?“<br />
Er legte seine große Hand sachte auf den Kopf des Kätzchens <strong>und</strong><br />
schon Sek<strong>und</strong>en später saß auf genau dem Platz im Garten, den gerade<br />
noch die Katze besetzt hatte, ein Mädchen. Es wischte sich die<br />
kurzen, schwarzen, strubbeligen Haare aus dem Gesicht, richtete sich<br />
auf, stemmte seine Hände in die Hüften <strong>und</strong> machte einen Schmollm<strong>und</strong>.<br />
„Also erstmal bin ich <strong>Lily</strong>“, sagte es <strong>und</strong> versuchte dabei, sauer zu<br />
klingen, was ihm aber nicht richtig gelang <strong>und</strong> schon als es weiterredete,<br />
hatte es wieder ein breites Lächeln auf den Lippen <strong>und</strong> seine<br />
Augen funkelten, „<strong>und</strong> zweitens soll Harry mich nicht immer verpetzen,<br />
Onkel Dudley!“<br />
Dudley blickte dem Mädchen in die Augen <strong>und</strong> lächelte ihm aufheiternd<br />
zu, als ein weiterer Junge hinter der Hausecke zum Vorschein<br />
kam.<br />
„Hallo Daddy!“, schrie er <strong>und</strong> rannte auf seinen Vater zu.<br />
Er war nicht ganz so alt wie sein Bruder, sondern gut ein Jahr jünger<br />
<strong>und</strong> schwächlicher gebaut. Dennoch war sein Lächeln genauso<br />
breit wie <strong>das</strong> der anderen Kinder. Seine Hände hatte er hinter dem<br />
Rücken versteckt.<br />
„James, was hast du da?“, fragte sein Vater misstrauisch <strong>und</strong> ging<br />
auf den kleinen Jungen zu, doch noch bevor er bei ihm ankam, gab<br />
dieser einen lauten Schrei von sich <strong>und</strong> blitzschnell hatte der Junge<br />
seine Hände hinter dem Rücken hervorgezogen <strong>und</strong> schaute auf seinen<br />
rechten Zeigefinger.<br />
„<strong>Dora</strong> hat mich gebissen!“, sagte er <strong>und</strong> <strong>das</strong> Lachen auf seinem<br />
Gesicht verschwand, während er seinen Finger in den M<strong>und</strong> steckte.<br />
„Oder vielleicht war es auch <strong>Lily</strong>!“<br />
Erst jetzt sah Dudley, <strong>das</strong>s hinter James’ Rücken ein weiteres,<br />
gleich aussehendes Kätzchen erschienen war. Er ging in die Hocke,<br />
7
so<strong>das</strong>s er mit seinem zweiten Sohn auf Augenhöhe war, bevor er zu<br />
sprechen begann.<br />
„Du weißt doch, <strong>das</strong>s es die beiden nicht gern haben, wenn du sie<br />
hochhebst! Dafür haben wir doch die beiden Hamster, oder?“<br />
James sah seinen Vater mit großen Augen an, dann nickte er <strong>und</strong><br />
blickte hinab, als sich auch <strong>das</strong> zweite Tier in ein Mädchen verwandelte.<br />
Es stand auf <strong>und</strong> stellte sich neben <strong>das</strong> erste. Die Ähnlichkeit<br />
zwischen den beiden war verblüffend. Beide waren gleich groß, hatten<br />
<strong>das</strong>selbe schwarze Haar, dieselben grünen Augen <strong>und</strong> beide lächelnden<br />
die anderen Familienmitglieder breit an.<br />
„Ach komm, so schlimm kann es doch nicht sein, <strong>Dora</strong>…“, er<br />
stoppte kurz <strong>und</strong> sah von einem Mädchen zum anderen, um sicher zu<br />
gehen, <strong>das</strong>s er auch den richtigen Namen gesagt hatte <strong>und</strong> als sich<br />
niemand beschwerte, wandte er sich wieder James zu <strong>und</strong> fuhr fort,<br />
„…würde dich nie wirklich hart in den Finger beißen, hab' ich<br />
Recht?“<br />
Eines der beiden Mädchen nickte.<br />
„Aber er wollte mich verpetzen <strong>und</strong> hat mich nicht mehr runtergelassen!“,<br />
sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> machte jetzt exakt den Schmollm<strong>und</strong>, den<br />
noch Augenblicke zuvor ihre Schwester gemacht hatte.<br />
Dudley sah von einem Kind zum nächsten <strong>und</strong> schüttelte lächelnd<br />
den Kopf, während er eines nach dem anderen ausgiebig musterte.<br />
„Na gut. James, wenn du nicht mehr sauer auf <strong>Dora</strong> bist <strong>und</strong>…“<br />
Er wandte seinen Blick den beiden Mädchen zu, die ihn jetzt beide<br />
wieder anlachten. „…wenn ihr beide mir versprecht, <strong>das</strong> nicht mehr<br />
hier draußen zu machen, dann habe ich eine Überraschung für euch!<br />
Aber dazu müsst ihr mit ins Haus kommen!“<br />
Alle vier Kinder hüpften freudig auf <strong>und</strong> ab <strong>und</strong> waren, schon bevor<br />
Dudley bis vier zählen konnte, im Haus verschw<strong>und</strong>en. Er atmete<br />
tief ein, dann machte auch er die letzten paar Schritte auf <strong>das</strong> Haus<br />
zu.<br />
Emily, seine Frau, musste gerade dabei sein, Essen zu, denn ein<br />
herrlicher Duft kam ihm aus der Küche entgegen. Doch er hatte<br />
8
kaum Zeit, nachzudenken, was es denn Schönes geben könnte, als er<br />
schon die Kinder, eins nach dem anderen, artig um den großen Tisch<br />
sitzen sah.<br />
Außerdem saß noch ein kleineres Mädchen, gerade einmal sieben<br />
Jahre alt, mit am Tisch. Es winkte seinem Vater freudig zu, als er<br />
sich zu ihnen an den Tisch gesellte.<br />
„Daddy, krieg' ich auch eine Überraschung?“, fragte es aufgeregt.<br />
Sein Vater lächelte.<br />
„Aber klar doch, Sam!“, versicherte er <strong>und</strong> auf Sams Gesicht breitete<br />
sich, ebenso wie auf allen anderen auch, ein breites <strong>und</strong> erleichtertes<br />
Grinsen aus. „Wir machen morgen alle zusammen einen Ausflug!<br />
Zuerst werden wir uns die Schule anschauen, in die Harry ab diesem<br />
Jahr gehen wird…“<br />
Doch Dudley konnte nicht ausreden, weil ihm sein ältester Sohn<br />
ins Wort fiel.<br />
„Du hast eine Schule gef<strong>und</strong>en?“, fragte er.<br />
Seine Begeisterung schien sich in Grenzen zu halten. Immerhin<br />
waren jetzt bereits seit über vier Wochen Sommerferien <strong>und</strong> ein<br />
kleiner H<strong>of</strong>fnungsschimmer, <strong>das</strong>s sein Dad keine Schule mehr für<br />
ihn finden würde, hatte sich in Harry breit gemacht. Er hatte noch<br />
nie besonders gut gelernt <strong>und</strong> daheim vor dem Computer oder dem<br />
Fernseher zu bleiben, wäre ihm alle Male lieber gewesen.<br />
„Und was ist mit einer Schule für uns?“, fragten die Zwillinge<br />
gleichzeitig, noch bevor Dudley die Frage seines Sohnes beantworten<br />
konnte.<br />
<strong>Lily</strong>s <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>s Einstellung dazu war komplett anders als Harrys.<br />
Sie waren schon immer überdurchschnittlich gut gewesen, wenn<br />
auch nie die Besten in ihrer Klasse. Doch sie hatten nie etwas dagegen,<br />
etwas Neues zu lernen.<br />
„Was für eine Überraschung bekomme ich?“, versuchte Sam alle<br />
anderen zu übertönen.<br />
„Und was ist mit mir?“, schrie jetzt auch James.<br />
9
Die Kinder waren gerade dabei, einen regelrechten Streit zu starten,<br />
wer denn jetzt als erstes seine Antwort bekommen sollte, als eine<br />
Frau aus der Küche kam. Sie hatte langes, dunkelbraunes Haar<br />
<strong>und</strong> war um mindestens einen Kopf kleiner als Dudley. S<strong>of</strong>ort war<br />
klar, von wem James sein Aussehen geerbt hatte.<br />
„Was ist hier los?“, fragte sie, als sie sich in die Tür zum Esszimmer<br />
stellte, um nachzusehen, was den Lärm verursacht hatte.<br />
Dudley grinste sie an <strong>und</strong> zuckte mit den Schultern, während sich<br />
die Kinder noch immer zu übertönen versuchten. Emily lächelte <strong>und</strong><br />
setzte sich auf den letzten leeren Stuhl.<br />
„Okay, also der Reihe nach!“, erhob Dudley seine Stimme <strong>und</strong><br />
gleichzeitig eine rechte Hand, als Zeichen, <strong>das</strong>s er jetzt hier wieder<br />
<strong>das</strong> Sagen hatte. „Harry, ja, deine Mutter <strong>und</strong> ich haben eine Schule<br />
für dich gef<strong>und</strong>en! Keine Widerrede, denn du hast sowieso keine andere<br />
Wahl als hinzugehen!“<br />
Harry verschränkte die Arme vor seiner Brust <strong>und</strong> sank so weit auf<br />
dem Sessel hinunter, <strong>das</strong>s sein Kopf fast nicht mehr über dem Tischrand<br />
zu sehen war.<br />
„Und dafür bin ich jetzt mit herein gekommen… Schöne Überraschung!“,<br />
murmelte er finster vor sich hin.<br />
„Wie auch immer!“, stöhnte Dudley <strong>und</strong> schaute die Zwillinge an,<br />
die sich jetzt köstlich über Harry amüsierten.<br />
Doch s<strong>of</strong>ort wurden ihr Gesichter ernst <strong>und</strong> sie lauschten gespannt,<br />
was ihr Onkel ihnen zu sagen hatte.<br />
„Ihr müsst euch noch etwas gedulden, eure Tante <strong>und</strong> ich haben<br />
noch nichts Passendes gef<strong>und</strong>en…“<br />
Als Dudley sah, wie sich <strong>das</strong> Lachen der Mädchen trübte, <strong>und</strong> sie<br />
ihn jetzt traurig anschauten, hob er schützend beide Hände <strong>und</strong> fuhr<br />
schnell fort.<br />
„Keine Angst ihr beiden…“, meinte Dudley, als ihm seine Frau ins<br />
Wort fiel.<br />
„Wir wollten euch selbst mitentscheiden lassen. Dass Harry sich<br />
nie für etwas entscheiden würde, war uns von vornherein klar. Des-<br />
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halb haben wir für ihn eine gute Schule gesucht. Als zweiten Programmpunkt<br />
unseres Ausflugs morgen werden wir ein paar weitere<br />
gute Schulen besuchen <strong>und</strong> am Abend entscheiden wir dann zusammen,<br />
welches eure zukünftige Schule wird.“<br />
Die M<strong>und</strong>winkel der beiden Mädchen zogen sich wieder ein Stück<br />
nach oben, als sie diese Neuigkeit hörten <strong>und</strong> ihre Augen begannen<br />
zu glänzen, während sie heftig nickten.<br />
„Die beiden dürfen selbst entscheiden <strong>und</strong> ich nicht!“, schmollte<br />
Harry <strong>und</strong> sank noch weiter auf seinem Stuhl hinunter.<br />
Dass er nicht auf den Boden rutschte, grenzte an ein W<strong>und</strong>er.<br />
„Und was ist mit uns beiden?“, fragte Sam <strong>und</strong> auch James blickte<br />
seine Eltern fragend an.<br />
„Wenn wir die Schulen für <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> angeschaut haben, dann<br />
gehen wir in den Zoo!“<br />
Jubelschreie brachen aus <strong>und</strong> Harry landete auf dem Boden. Er<br />
wollte die Hände in die Höhe reißen <strong>und</strong> mit den anderen applaudieren,<br />
jedoch vergaß er dabei, <strong>das</strong>s er es eigentlich nur seinem festen<br />
Griff zu verdanken hatte, <strong>das</strong>s er noch auf dem Sessel saß. Doch er<br />
schlug nicht so hart auf dem Boden auf, wie er eigentlich vermutet<br />
hatte <strong>und</strong> als er hinab sah, merkte er auch warum. Er saß auf dem<br />
Kissen, <strong>das</strong> eigentlich auf der anderen Seite des Raumes lag <strong>und</strong> dazu<br />
diente, <strong>das</strong>s es sich die Mädchen, wenn sie wieder einmal beschlossen<br />
hatten, die Gestalt der kleinen roten Kätzchen anzunehmen,<br />
gemütlich machen konnten.<br />
Harry stand auf, nahm <strong>das</strong> Kissen <strong>und</strong> hielt es hoch. Das Lachen<br />
der anderen war noch lauter geworden, als sie ihren Bruder <strong>und</strong> Cousin<br />
zu Boden fallen sahen.<br />
„Wie kommt denn <strong>das</strong> hier her?“, fragte er.<br />
Emily schaute <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> an, doch diese zuckten nur mit den<br />
Schultern.<br />
„Ich war es nicht!“, meinte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> sagte: „Ich auch nicht!“<br />
Mit einem lässigen Wurf, landete <strong>das</strong> Kissen wieder auf seinem eigentlichen<br />
Platz <strong>und</strong> Harry stimmte in <strong>das</strong> Lachen der anderen ein.<br />
11
Doch diese ausgelassene Stimmung dauerte nicht lange, denn plötzlich<br />
klopfte etwas am Fenster. Alle sieben Familienmitglieder wandten<br />
ihren Blick in die Richtung, aus der <strong>das</strong> Geräusch kam. Zwei<br />
große, weiße Eulen waren dort zu sehen.<br />
Emily warf Dudley einen nervösen Blick zu. Dieser stand auf <strong>und</strong><br />
ging schnell durch <strong>das</strong> Esszimmer. Bis auf den Lärm der Eulen war<br />
es komplett still im Raum. Alle Augen folgten gebannt dem Schauspiel,<br />
<strong>das</strong> sich ihnen darbot. Zwei Eulen in der Abenddämmerung,<br />
die versuchten, an ein Fenster zu klopfen. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schauten<br />
sich verw<strong>und</strong>ert an <strong>und</strong> zuckten beide gleichzeitig mit den Schultern.<br />
Sam schrie laut auf, als ihr Vater <strong>das</strong> Fenster öffnete, die Eulen<br />
herein flogen <strong>und</strong> sich auf den Tisch, jeweils eine vor <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> eine<br />
vor <strong>Dora</strong>, setzten.<br />
Die beiden Mädchen tauschten noch einmal verwirrte Blicke <strong>und</strong><br />
starrten dann beide in die großen, r<strong>und</strong>en Augen der Eulen, die sie<br />
ansahen, als würden sie etwas von ihnen erwarten.<br />
„Nehmt die Briefe!“, sagte Dudley.<br />
Wovon redete er? Welche Briefe sollten sie nehmen?<br />
„An den Beinen der Eulen!“<br />
Die Mädchen wandten sich wieder den Eulen zu <strong>und</strong> erst jetzt bemerkten<br />
sie die großen, rechteckigen Briefumschläge an den Füßen<br />
der Tiere. <strong>Lily</strong> war schneller als <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> schon wenige Sek<strong>und</strong>en<br />
später hielt sie den Brief in der Hand, während sich die Eule sanft<br />
erhob <strong>und</strong> wieder durch <strong>das</strong> <strong>of</strong>fene Fenster hinausflog.<br />
<strong>Lily</strong> drehte den Brief verwirrt hin <strong>und</strong> her <strong>und</strong> betrachtete ihn von<br />
allen Seiten, als ihr plötzlich eine Adresse auf dem gelblichen Pergament<br />
auffiel:<br />
Ms. <strong>Dora</strong> Dursley<br />
Im Esszimmer<br />
Ligusterweg 4<br />
Little Whinging<br />
Surrey<br />
12
„<strong>Dora</strong>, ich glaub' ich hab' den falschen Brief.“<br />
<strong>Lily</strong>s Schwester hatte es nun auch geschafft, den Brief von ihrer<br />
Eule zu nehmen <strong>und</strong> betrachtete ihn ausgiebig, bis auch sie merkte,<br />
<strong>das</strong>s es der Falsche war. Denn auf ihrem stand:<br />
13<br />
Ms. <strong>Lily</strong> Dursley<br />
Im Esszimmer<br />
Ligusterweg 4<br />
Little Whinging<br />
Surrey<br />
Unter den verwirrten Blicken der anderen drei Kinder tauschten die<br />
beiden ihre Briefe aus. Emily starrte Dudley noch immer mit einem<br />
vielsagenden Blick an, doch dieser erwiderte ihn nicht, sondern betrachtete<br />
die Mädchen.<br />
<strong>Lily</strong>, die nun ihren richtigen Brief in der Hand hatte, drehte ihn ein<br />
weiteres Mal <strong>und</strong> betrachtete <strong>das</strong> Siegel aus Wachs, <strong>das</strong> ebenfalls auf<br />
dem Umschlag zu sehen war. Ein Löwe, ein Adler, ein Dachs <strong>und</strong><br />
eine Schlange, die einen Kreis um den Buchstaben „H“ schlossen.<br />
„Ist <strong>das</strong> <strong>das</strong>, was ich glaube?“, durchbrach Emily die Stille <strong>und</strong><br />
nach einer kurzen Pause nickte Dudley.<br />
Die Mädchen hörten den beiden nicht zu, sondern starrten weiterhin<br />
auf die Briefe <strong>und</strong> vor allem dachten sie darüber nach, wie es<br />
denn sein konnte, <strong>das</strong>s ihre Briefe mit Eulen gekommen waren <strong>und</strong><br />
<strong>das</strong>s der Absender wusste, wo sie im Moment waren. Nämlich im<br />
Esszimmer.<br />
„Na kommt schon, macht sie auf“, ermutigte Emily <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> ließen sich die beiden nicht zweimal sagen.<br />
Diesmal war <strong>Dora</strong> schneller <strong>und</strong> als sie <strong>das</strong> erste Blatt auseinanderfaltete,<br />
<strong>das</strong> zum Vorschein kam, stellte sich Dudley hinter sie <strong>und</strong><br />
blickte ihr über die Schulter, um mitlesen zu können.
HOGWARTS-SCHULE<br />
FÜR HEXEREI UND ZAUBEREI<br />
Schulleiterin: Minerva McGonagall<br />
(ehemalige Stellvertreterin Albus Dumbledores,<br />
Meisterin in Verwandlung, registrierter Animagus,<br />
Merlin-Orden erster Klasse für die Verdienste in der<br />
Schlacht um Hogwarts)<br />
Sehr geehrte Ms. Dursley,<br />
Wir freuen uns, Ihnen mitteilen zu können, <strong>das</strong>s Sie an<br />
der Hogwarts-Schule für Hexerei <strong>und</strong> Zauberei<br />
aufgenommen sind. Beigelegt finden Sie eine Liste aller<br />
benötigten Bücher <strong>und</strong> Ausrüstungsgegenstände.<br />
Da es in Ihrer Familie keine volljährigen Zauberer gibt,<br />
wird in etwa einer Minute ein Mitarbeiter des<br />
Zaubereiministeriums erscheinen <strong>und</strong> Ihnen alles<br />
Weitere erklären. Das Schuljahr beginnt am 1.<br />
September. Wir erwarten Ihre Eule spätestens am 31.<br />
Juli.<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen<br />
Hermine Granger<br />
Stellvertretende Schulleiterin<br />
„Wir bekommen Besuch!“, sagte Dudley, als er <strong>das</strong> Ende des Briefes<br />
erreicht hatte.<br />
Seine Kinder schauten ihn mit einem Blick an, der unzählige Fragen<br />
in sich trug, aber er hatte jetzt keine Zeit, sie ihnen zu antworten.<br />
Als sein Blick den seiner Frau traf, nickte diese nur <strong>und</strong> verschwand<br />
wieder in der Küche.<br />
14
„Geht euch die Hände waschen, oder wollt ihr, <strong>das</strong>s man einen<br />
schlechten Eindruck von euch bekommt?“, fragte er gleich darauf in<br />
die R<strong>und</strong>e.<br />
Still, ohne auch nur ein Wort miteinander zu reden, verließen alle<br />
nacheinander den Raum, während Dudley nervös auf <strong>und</strong> ab ging.<br />
Würden sie wissen, wer er war? Würden sie wissen, wie er sich einst<br />
verhalten hatte, gegenüber seinem Cousin? Nein, keiner wusste davon.<br />
Ein paar wenige vielleicht, aber er brauchte nichts zu befürchten.<br />
Trotzdem blieb ein kleines bisschen Angst in ihm zurück, doch er<br />
hatte nicht lange Zeit für diese Gedanken, denn gerade als er vom<br />
Fenster, durch welches jetzt nur noch spärlich Licht schimmerte, zurücktrat,<br />
um sich auf <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a zu setzen, hörte er ein immer lauter<br />
werdendes Geräusch. Er drehte sich wieder um <strong>und</strong> starrte aus dem<br />
Fenster. Alles war genauso wie zuvor, nur dieser markerschütternde<br />
Krach, der sich anhörte wie ein Motor, allerdings lauter, war zu vernehmen.<br />
Plötzlich war alles still <strong>und</strong> Augenblicke später hörte er ein lautes<br />
Klopfen an der Tür. Dudley erstarrte, zwang sich aber selbst dazu,<br />
tief durchzuatmen <strong>und</strong> aus dem Esszimmer zu gehen, um die Haustüre<br />
zu öffnen.<br />
Ein riesiger Mann stand vor ihm <strong>und</strong> blickte von oben auf Dudley<br />
herab. Er erkannte ihn s<strong>of</strong>ort: Hagrid. Der Zauberer, der ihm einst<br />
einen Ringelschwanz verpasst hatte.<br />
„Bei Merlin, dacht’ nich’, <strong>das</strong>s ich dir nochma’ über’n Weg lauf’n<br />
muss!“, grunzte er <strong>und</strong> ging an Dudley vorbei ins Haus, ohne <strong>das</strong>s<br />
dieser ihn dazu aufgefordert hatte.<br />
Der Schock saß tief. Bei allem, was er erwartet hatte, war <strong>das</strong> <strong>das</strong><br />
absolut Schlimmste, <strong>das</strong> ihm hatte passieren können. Jemand, der ihn<br />
kannte. Jemand, der sich an früher erinnern konnte <strong>und</strong> von allen<br />
Grausamkeiten, die er je angerichtet hatte, wusste. Und nicht nur<br />
<strong>das</strong>. Obwohl er Hagrid bereits kannte, war es wieder genau der gleiche<br />
Schock wie beim ersten Mal. Es gab nicht viele Männer, die<br />
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größer waren als Dudley selbst <strong>und</strong> wenn sie ihn dann noch um mehrere<br />
Köpfe überragten, dann war <strong>das</strong> ziemlich furchteinflößend.<br />
Als Dudley ins Wohnzimmer kam, saß Hagrid bereits auf dem S<strong>of</strong>a,<br />
welches sich beunruhigend weit zum Fußboden hinabsenkte. Jeden<br />
weiteren Blick ins Gesicht des Zauberers vermeidend, stolperte<br />
er zu einem Sessel <strong>und</strong> ließ sich darauf sinken.<br />
„Nich’ zu glaub’n, muss mal 'n ernstes Wörtchen mit McGonagall<br />
reden. Was denkt se sich überhaupt?“, murmelte Hagrid vor sich hin,<br />
bevor er sich Dudley zuwandte. „Also, wo sind die Kinder?“<br />
„Waschen sich nur schnell die Hände!“, war Dudleys knappe Antwort.<br />
Er konzentrierte sich voll <strong>und</strong> ganz darauf, den mächtigen Körper<br />
ihm gegenüber, nicht aus den Augen zu lassen, was ohnehin fast<br />
unmöglich war. Bei dieser Anstrengung fiel ihm <strong>das</strong> Reden wahrlich<br />
schwer. Außerdem trug dieser Blick voll Abscheu <strong>und</strong> Hass, der ihm<br />
zugeworfen wurde, auch nicht viel zum Lockern der Atmosphäre<br />
bei.<br />
Einige Augenblicke vergingen schweigend, doch dann änderte sich<br />
der Ausdruck in seinem Gesicht schlagartig <strong>und</strong> Hagrid begann zu<br />
lächeln. Dudley fragte sich augenblicklich, ob der Gigant jetzt total<br />
übergeschnappt sei, da er zu winken begann, obwohl sie sich doch<br />
schon lange ‚begrüßt’ hatten, doch schon ihm nächsten Moment war<br />
ihm klar, <strong>das</strong>s er jemanden hinter ihm meinen musste.<br />
Mit größter Mühe wandte er seinen Blick über seine Schulter <strong>und</strong><br />
sah die Kinder <strong>und</strong> Emily in der Tür stehen. Sie alle wirkten, als wären<br />
sie festgefroren. Dudley nickte ihnen zu <strong>und</strong> allmählich versammelten<br />
sie sich um ihren Ehemann, Vater <strong>und</strong> Onkel herum.<br />
„Hätt’n wohl eher jemand normal’n schick’n soll’n, hhm?“, lachte<br />
Hagrid, als er in die verängstigten Gesichter der Familie Dursley<br />
blickte. „Dachte mir, man hätt’ euch schon von mir erzählt, aber war<br />
wohl nicht wichtig genug!“<br />
Er warf Dudley einen weiteren bösen Blick zu, bevor er sich wieder<br />
den anderen zuwandte.<br />
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„Da ich nich’ vorgestellt werde, muss ich’s wohl selber mach’n.<br />
Mein Name is’ Rubeus Hagrid <strong>und</strong> ich bin Wildhüter in Hogwarts,<br />
der besten Schule für Hexerei <strong>und</strong> Zauberei auf der Welt. Na ja,<br />
meiner Meinung nach zumindest“, fügte er etwas leiser hinzu, jedoch<br />
noch immer laut genug, damit jeder im Raum ihn genau verstehen<br />
konnte. „Da die Schulleiterin bezweifelt, <strong>das</strong>s euch erzählt wurde“ –<br />
wieder ein böser Blick zu Dudley – „<strong>das</strong>s es so was wie Zauberer<br />
oder Hexen gibt, hat se mich hier her geschickt, um euch <strong>und</strong> euren<br />
Eltern, oder Adoptiveltern, alles zu erklären.“<br />
Was ging hier vor? Dass es Zauberei gab, war <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schon<br />
klar, wie auch sonst konnten sie die Gestalt von Kätzchen annehmen,<br />
aber trotzdem hatten sie nie etwas von Zauberern oder Hexen gehört.<br />
Und Briefe, die von Eulen überliefert wurden <strong>und</strong> Menschen, die<br />
über doppelt so groß waren, wie sie selbst, überraschten sogar die<br />
beiden. Sie warfen sich einen nervösen Blick zu. Okay, Tante Emily<br />
<strong>und</strong> Onkel Dudley wollten sie auf den Arm nehmen <strong>und</strong> in ein paar<br />
Minuten würden sie hier sitzen <strong>und</strong> alle würden sich über ihre Gesichter<br />
totlachen.<br />
„Also ich will’s nich’ lang machen, weil einige hier sowieso schon<br />
bescheid wiss’n, drum jetzt nur <strong>das</strong> Wichtigste. ’s gibt Zauberer, <strong>und</strong><br />
’s gibt Hexen. Normalerweise werd’n nur Kinder von diesen in<br />
Hogwarts aufgenommen, aber manchmal kommt’s auch vor, <strong>das</strong>s<br />
Muggelkinder aufgenommen werd’n, wenn’s Zaubereiministerium<br />
der Schulleiterin bekannt gibt, <strong>das</strong>s diese besondere Fähigkeit vorhanden<br />
is’. Muggel sind nichtmagische Menschen“, erklärte Hagrid,<br />
als er die verblüfften Gesichter sah.<br />
Er wartete auf irgendeine Reaktion der Dursleys, doch diese blieb<br />
aus. Dudley blickte sich nervös um <strong>und</strong> suchte Hilfe, in dem er den<br />
Blick seiner Frau kreuzte, doch diese machte keine Anstalten, irgendwas<br />
zu sagen, genauso wenig wie eines der Kinder <strong>und</strong> so fragte<br />
er <strong>das</strong> erstbeste, <strong>das</strong> ihm einfiel.<br />
„Wie sind Sie hierhergekommen <strong>und</strong> woher kam dieses laute Geräusch?“<br />
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Hagrid legte die Stirn in Falten <strong>und</strong> musterte Dudley genau.<br />
„Bin mit’m Motorrad her geflogen, was denn sonst?“, fragte er, als<br />
ob es nichts Natürlicheres geben würde, als ein fliegendes Motorrad.<br />
„Ich habe aber keins gesehen“, murmelte Dudley verwirrt.<br />
Hagrid atmete tief durch.<br />
„’türlich nicht. Desillusionierungszauber.“ Er klopfte mit einem<br />
rosa Regenschirm auf den kleinen Wohnzimmertisch, murmelte irgendetwas<br />
Unverständliches <strong>und</strong> gleich darauf war der Tisch verschw<strong>und</strong>en.<br />
„Wie würde <strong>das</strong> denn aussehen, wenn irgend so ‘n fast<br />
drei Meter großer Mann auf’m Motorrad durch die Luft fliegt?“<br />
Er schüttelte ungläubig den Kopf, so als könnte er nicht verstehen,<br />
wie manche Leute solche dummen Fragen stellen konnten.<br />
Sam hatte sich inzwischen auf den Schoß ihres Vaters gesetzt <strong>und</strong><br />
klammerte sich an ihn, ihre Augen noch immer auf den Platz gerichtet,<br />
wo der Tisch eben noch gestanden hatte. James stand daneben<br />
<strong>und</strong> hielt sich an Dudleys Hand fest, während Harry sich hinter seiner<br />
Mutter versteckt hatte. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> waren die Einzigen, die es<br />
gewagt hatten, sich ebenfalls auf <strong>das</strong> große Ecks<strong>of</strong>a zu setzen, allerdings<br />
so weit wie nur möglich von Hagrid entfernt.<br />
Wieder wurde es still <strong>und</strong> diesmal war es <strong>Lily</strong>, die <strong>das</strong> Schweigen<br />
durchbrach, nachdem sie ein stilles Nicken von ihrer Schwester als<br />
Bestätigung eingeholt hatte.<br />
„Diese besonderen Fähigkeiten, von denen Sie geredet haben:<br />
Welche sind <strong>das</strong> genau? Sind sie der Gr<strong>und</strong>, warum ich manchmal<br />
Dinge geschehen lassen kann, die eigentlich gar nicht möglich<br />
sind?“<br />
Sie starrte Hagrid mit großen Augen an <strong>und</strong> sein Lächeln wurde<br />
wieder breiter, als er <strong>Lily</strong> zuhörte.<br />
„Ich schätze ja!“, antwortete er <strong>und</strong> fuhr sich mit seiner großen<br />
Hand, durch den langen schwarzen Bart, der an manchen Stellen ein<br />
wenig grau schimmerte.<br />
Ein weiteres Nicken, diesmal aber von <strong>Lily</strong>, ermutigte auch <strong>Dora</strong><br />
zum Sprechen.<br />
18
„Und sind sie der Gr<strong>und</strong>, warum ich <strong>das</strong> kann?“<br />
Plötzlich war <strong>Dora</strong> verschw<strong>und</strong>en. Hagrid schaute verwirrt um<br />
sich, doch <strong>das</strong> kleine Kätzchen, welches sich jetzt an <strong>Dora</strong>s Stelle<br />
befand, fiel ihm erst auf, als <strong>Lily</strong> es hochhob <strong>und</strong> so hielt, <strong>das</strong> Hagrid<br />
es genau sehen konnte.<br />
Seine Augen weiteten sich <strong>und</strong> er konnte seine Augen gar nicht<br />
mehr von dem kleinen Tier abwenden, als <strong>Lily</strong> es auf ein Kissen<br />
setzte <strong>und</strong> es sich wieder in <strong>Dora</strong> verwandelte. Ihr Blick traf den von<br />
Hagrid, welcher jetzt wieder begonnen hatte, den Kopf zu schütteln.<br />
„Beim Barte des Merlin, was war denn <strong>das</strong>?“, fragte er.<br />
„Eine von diesen besonderen Fähigkeiten?“, stellte ihm <strong>Lily</strong> eine<br />
Gegenfrage.<br />
„Nein…“<br />
Hagrid überlegte.<br />
„Na ja, okay, eigentlich schon! Oder eher nich’? Ach, was weiß<br />
ich… Kannst du <strong>das</strong> auch?“<br />
Hagrid wandte sich jetzt von <strong>Dora</strong> ab <strong>und</strong> blickte zu <strong>Lily</strong>, welche<br />
nur stumm nickte <strong>und</strong> kurz darauf als Kätzchen vor ihm saß, nur um<br />
sich Sek<strong>und</strong>en später wieder in einen Menschen zu verwandeln. Er<br />
nickte.<br />
„Und du?“<br />
Hagrid schaute Harry an, welcher nun einen Schritt zur Seite trat<br />
<strong>und</strong> ihn somit hinter seiner Mutter sichtbar machte, als er bemerkte,<br />
<strong>das</strong> mit ihm gesprochen wurde. Er schüttelte wild mit dem Kopf,<br />
sagte aber nichts.<br />
„Wusste, <strong>das</strong>s es so was gibt, hab’s aber nie gesehen“, murmelte<br />
Hagrid <strong>und</strong> wandte sich wieder den Mädchen zu. „Erzählt’s keinem,<br />
’s könnte noch mal nützlich sein! Zauberer die sich in Tiere verwandeln<br />
können, nennt man Animagi. Normalerweise muss diese Fähigkeit<br />
allerdings erlernt wird’n <strong>und</strong> 's gelingt nich’ vielen. ’s is' sehr<br />
fortgeschrittene Magie. Soll auch Zauberer geben, die’s von Geburt<br />
an beherrschen, kannte aber noch nie einen davon persönlich <strong>und</strong> für<br />
die soll’s sehr schwer sein, diese Fähigkeit unter Kontrolle zu brin-<br />
19
gen. ’s scheint aber bei euch nich’ so der Fall zu sein. Wann is’ <strong>das</strong><br />
<strong>das</strong> erste Mal passiert?“<br />
Er blickte zwischen den beiden Mädchen hin <strong>und</strong> her.<br />
„Vor drei Jahren oder so. Es war aber nie schwer. Das erste Mal<br />
war es unbewusst. Wir haben im Garten verstecken gespielt <strong>und</strong><br />
plötzlich habe ich eine Katze gesehen <strong>und</strong> mir gewünscht, auch eine<br />
sein zu können, um ein leichteres Versteck zu finden <strong>und</strong> eine Sek<strong>und</strong>e<br />
später war ich eine Katze. Dann hab ich mir gedacht, <strong>das</strong>s ich<br />
wieder normal sein will <strong>und</strong> schon war ich wieder ich“, begann <strong>Lily</strong><br />
zu erklären.<br />
Von Sek<strong>und</strong>e zu Sek<strong>und</strong>e fasste sie mehr Vertrauen zu dem Fremden.<br />
Obwohl er so groß war <strong>und</strong> auch nicht gerade nichtfurchteinflößend<br />
aussah, war sie sich doch sicher, <strong>das</strong>s es in Ordnung<br />
war, ihm davon zu erzählen <strong>und</strong> sie vor ihm nichts zu befürchten<br />
hatte.<br />
„Dann ist sie zu mir gerannt <strong>und</strong> hat gefragt, ob ich <strong>das</strong> auch kann<br />
<strong>und</strong> ich hab mir gedacht, <strong>das</strong>s ich keine Katze sein will <strong>und</strong> schon<br />
war ich eine.“<br />
<strong>Dora</strong> stoppte ihre Erzählung <strong>und</strong> sah ein weiteres Mal zu <strong>Lily</strong>.<br />
Diese fuhr die Erzählung fort.<br />
„Natürlich haben wir s<strong>of</strong>ort versucht, uns in andere Tiere zu verwandeln<br />
<strong>und</strong> ich hab mir gewünscht, ein H<strong>und</strong> zu werden…“, erzählte<br />
<strong>Lily</strong>, als sie von <strong>Dora</strong> unterbrochen wurde.<br />
„Als Kätzchen sah sie besser aus!“<br />
<strong>Lily</strong> machte gerade den M<strong>und</strong> auf, um weiterzuerzählen, als<br />
Hagrid aufstand <strong>und</strong> auf sie zuging.<br />
„Was sagst du da? Es hat geklappt?“<br />
Die Mädchen zuckten mit den Schultern <strong>und</strong> nickten. Diesmal waren<br />
sie es, für die es anscheinend nichts Normaleres zu geben schien,<br />
als diese kleine Fähigkeit.<br />
„Na ja, ganz so geklappt hat es nicht… Das erste Mal, als ich es<br />
versucht habe, haben sich nur meine Ohren verändert“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
20
„Sah echt schrecklich aus!“, unterstützte ihre Schwester ihre Erzählung.<br />
„Das zweite Mal hatte ich schon Ohren <strong>und</strong> Beine <strong>und</strong> einen<br />
Schwanz.“<br />
„Sah noch schlimmer aus!“<br />
Die beiden Mädchen kicherten, verstummten allerdings s<strong>of</strong>ort, als<br />
Hagrid seine Augen noch weiter aufriss, als er es sowieso schon getan<br />
hatte. Er setzte sein Kopfschütteln fort <strong>und</strong> ließ sich wieder aufs<br />
S<strong>of</strong>a fallen, welches unter seinem Gewicht ein erbärmliches Krächzen<br />
von sich gab.<br />
„Und beim dritten Mal hat’s geklappt!“, endete <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> erhob sich<br />
von ihrem Platz.<br />
Sie stellte sich ein paar Meter vor Hagrid, schloss die Augen <strong>und</strong><br />
schien sich zu konzentrieren. Etwa eine halbe Minute passierte<br />
nichts, dann saß plötzlich ein kleiner H<strong>und</strong> auf dem Boden, welcher<br />
Hagrid mit großen, r<strong>und</strong>en Augen anstarrte. Doch es dauerte nicht<br />
lange <strong>und</strong> schon stand <strong>Lily</strong> wieder vor ihm.<br />
„Wir ziehen die Kätzchen allerdings vor, weil die anderen Tiere alle<br />
so lange dauern <strong>und</strong> es echt anstrengend ist, weil wir uns mindestens<br />
eine halbe Minute auf <strong>das</strong> Tier konzentrieren müssen, sonst<br />
kommt nur ein Schwanz oder Ohren raus“, erklärte <strong>Dora</strong>. „Erwachsene<br />
Tiere sind noch schwerer hinzukriegen als H<strong>und</strong>ebabys. Da<br />
brauchen wir schon einen Tag zum üben <strong>und</strong> für Tierbabys, die größer<br />
als ein Rehkitz sind, sogar über eine Woche <strong>und</strong> <strong>das</strong> jedes Mal.<br />
Sobald wir die einzelnen Tiere mal einen Tag nicht üben, verlernen<br />
wie sie wieder. Alles was kleiner ist als die Kätzchen braucht auch<br />
so lange…“<br />
„Also bleiben wir am liebsten bei denen, weil die erstens am hübschesten<br />
sind <strong>und</strong> wir uns zweitens nicht wirklich darauf konzentrieren<br />
müssen, uns in sie zu verwandeln“, endete <strong>Lily</strong> ihre Vorführung<br />
<strong>und</strong> sie setzte sich wieder neben ihre Schwester.<br />
„Unglaublich!“, stammelte Hagrid.<br />
21
<strong>Dora</strong> fragte sich unwillkürlich, ob er es jemals wieder schaffen<br />
würde, seinen Kopf ruhig zu halten, denn noch immer schüttelte er<br />
ihn ununterbrochen. <strong>Lily</strong> schien den gleichen Gedanken zu haben,<br />
denn sie <strong>und</strong> ihre Schwester begannen erneut zu kichern. Jegliche<br />
Scheu war jetzt verschw<strong>und</strong>en, als sie die Verw<strong>und</strong>erung, gleichzeitig<br />
aber auch die Neugier in Hagrids Augen sahen, mit denen er sie<br />
immer noch still musterte. Er blickte von der einen zur anderen <strong>und</strong><br />
zurück <strong>und</strong> dachte nach.<br />
„Sie haben auch mich gefragt, ob ich <strong>das</strong> auch kann…“, begann<br />
Harry zu reden.<br />
Alle sieben Augenpaare im Raum richteten sich auf ihn <strong>und</strong> sogar<br />
Hagrid schaffte es, seinen Blick von den Mädchen zu reißen, die ihn<br />
anscheinend tief verw<strong>und</strong>ert hatten, auch wenn sie nicht wussten,<br />
wieso.<br />
„…aber egal wie <strong>of</strong>t ich es versucht habe, ich konnte es einfach<br />
nicht.“<br />
Hagrid nickte.<br />
„’s is’ okay, mach dir nichts draus. Kein normaler Zauberer kann<br />
<strong>das</strong>. Soweit ich weiß, sind die beiden ja nich’ deine richtigen<br />
Schwestern, oder?“<br />
Harry schüttelte den Kopf. Hagrid, der diese Antwort schon zuvor<br />
gewusst hatte, wandte sich Dudley zu.<br />
„Gehörten ihre Eltern zu den Zauberern oder zu den Muggeln?“<br />
Ein Hauch von Missbilligung war noch immer in Hagrids Gesichtsausdruck<br />
zu erkennen, als er mit Dudley sprach. Das Lächeln,<br />
mit welchem er zu den Kindern sprach, schien wie von seinen überdimensionalen<br />
Lippen gewischt.<br />
„Ähm, wir… wir kennen ihre Eltern nicht! Das… <strong>das</strong> tut mir leid,<br />
also kann ich Ihnen diese Frage nicht beantworten!“, stammelte<br />
Dudley <strong>und</strong> blickte erneut zu Emily. „Hab ich nicht Recht?“<br />
„Ja, genau, wir haben keine Ahnung!“<br />
Hagrid nickte stumm.<br />
22
„Okay. Holt euch Tinte <strong>und</strong> Pergament <strong>und</strong> schreibt, <strong>das</strong>s ihr am<br />
ersten September in Hogwarts sein werdet. Hab' noch 'was Dringendes<br />
zu erledigen heute <strong>und</strong> nicht den ganzen Abend Zeit, auch wenn<br />
ich mir liebend gern noch ein wenig mehr von euren kleinen Kunststückchen<br />
ansehen würde. Da ihr ja keine Eulen habt, werd ich eure<br />
Briefe übermitteln!“, meinte Hagrid etwas traurig <strong>und</strong> stand auf.<br />
Wieder einmal schauten sich die Mädchen an <strong>und</strong> ein einziges<br />
Schulterzucken von <strong>Lily</strong> genügte, um <strong>Dora</strong> zum Reden zu bringen.<br />
„Ist Zettel <strong>und</strong> Kugelschreiber auch okay?“, fragte sie.<br />
„Was? Ach so, ja, hier leben ja Muggel. Ja, ich muss es nur blau<br />
auf gelb haben!“, meinte Hagrid.<br />
„Ist blau auf weiß auch okay? Bin mir nämlich nicht sicher, ob wir<br />
noch irgendwo gelbes Papier herumliegen haben!“, grinste <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja ja, schon okay! Weißes Papier <strong>und</strong> Kugelschreiber… Komische<br />
Gestalten, diese Muggel“, flüsterte Hagrid <strong>und</strong> kratzte sich am<br />
Kopf.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> rannten aus dem Raum in Richtung Küche. Emily<br />
riss ihre Augen weit auf <strong>und</strong> lief ihnen nach.<br />
„Ach du meine liebe Güte!“, drang ihre Stimme ins Wohnzimmer<br />
zurück <strong>und</strong> schon ein paar Augenblicke später, stand sie wieder in<br />
der Wohnzimmertür, mit einem rauchenden Behälter in der Hand.<br />
„Ich hab den Kuchen für’s Abendessen vergessen, den können wir<br />
nicht mehr essen!“, sagte sie <strong>und</strong> deutete auf <strong>das</strong> verkohlte, schwarze<br />
etwas in ihrer Hand. „Ich bring ihn nur schnell raus. Eigentlich wollten<br />
wir Ihnen auch etwas davon abgeben!“, murmelte sie in Hagrids<br />
Richtung. „Tut mir leid!“<br />
„Mhm“, machte Hagrid, während er die Augen schloss <strong>und</strong> er unverkennbar<br />
den Geruch des Kuchens einatmete. „Riecht sehr gut.<br />
Warten Sie! Sie wollen den doch nicht’ wegschmeißen, oder?“<br />
Emily nickte <strong>und</strong> Hagrid stand auf.<br />
„Aber warum denn? Darf ich?“<br />
23
Emily nickte ein weiteres Mal <strong>und</strong> steckte ihre Hand aus. Hagrid<br />
nahm den heißen Kuchen vom Tablett. Obwohl er für eine ganze<br />
Familie gedacht war, war er kaum größer als Hagrids enorme Hand.<br />
„Na ja, ich bevorzuge meine Felsenplätzchen ja etwas kleiner, aber<br />
ich bin auch kein Muggel“, sagte Hagrid <strong>und</strong> nahm einen großen<br />
Bissen von dem, was für Dudley <strong>und</strong> Emily aussah, wie ein großer,<br />
schwarzer Stein.<br />
„Sehr gut, danke!“, schmatzte er <strong>und</strong> mit dem zweiten Bissen, war<br />
der Kuchen auch schon weg.<br />
„Daddy, wenn wir für <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> morgen keine Schule mehr<br />
suchen müssen, was machen wir dann sonst?“, fragte Sam, die ihre<br />
Arme jetzt um den Hals ihres Vaters geschlungen hatte.<br />
Obwohl sie nicht gerade laut gesprochen hatte, <strong>und</strong> Hagrids Kauen<br />
auf dem harten ‚Plätzchen’ es fast unmöglich machte, sie zu verstehen,<br />
antwortete ihr ihr Vater.<br />
„Na ja, wir sehen uns Harrys Schule an <strong>und</strong> dann haben wir länger<br />
Zeit im Zoo.“<br />
Sam strahlte übers ganze Gesicht, doch weniger als zwei Sek<strong>und</strong>en<br />
nachdem Dudley fertig gesprochen hatte, verstummte Hagrid plötzlich<br />
<strong>und</strong> schluckte die letzten Bissen hinunter, an dem er sich fast<br />
verschluckte.<br />
„Dursley, du willst doch nich’ etwa dies’m Jungen verbieten nach<br />
Hogwarts zu gehen?“, donnerte Hagrid los.<br />
Dudley schaute ihn verwirrt an <strong>und</strong> Hagrid streckte seinen langen<br />
<strong>und</strong> dicken Zeigefinger in Richtung Harry.<br />
„Was… Wieso? Ich dachte, nur die zwei könnten dorthin?“, fragte<br />
Dudley <strong>und</strong> deutete mit dem Kopf in Richtung Tür, wo sie vor kurzer<br />
Zeit verschw<strong>und</strong>en waren.<br />
„Wie kommst du den auf den Mist? Ich bin hier um euch allen zu<br />
erklären, warum <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Harry eine Einladung nach Hogwarts<br />
bekommen haben!“, brüllte Hagrid.<br />
Spätestens jetzt, mussten auch die letzten Nachbarn erwacht sein,<br />
wenn nicht die ganze Stadt.<br />
24
„Aber… Aber…“, stotterte Dudley.<br />
„Kein ‚aber’. Sei froh, <strong>das</strong>s dein Sohn die Ehre hat!“<br />
Harry, James <strong>und</strong> Sam hielten sich die Ohren zu, Dudley wagte<br />
sich jedoch nicht zu bewegen, genauso wie Emily.<br />
„Auch wenn Sie mir <strong>das</strong> nicht glauben, aber ich wäre sehr glücklich<br />
darüber, wenn mein Sohn diese Schule besuchen könnte, aber<br />
soweit ich weiß, müsste er dazu eine Eule bekommen!“<br />
Dudley war jetzt aufgestanden <strong>und</strong> somit mit dem sitzenden<br />
Hagrid auf Augenhöhe.<br />
„Keine Eule?“, fragte dieser.<br />
Dudley schüttelte den Kopf.<br />
„Okay, muss wohl ein Missgeschick passiert sein. Harry ist auch<br />
aufgenommen <strong>und</strong> die Eule wird natürlich nachgeschickt. Herzlichen<br />
Glückwunsch!“, fügte er an Harry gewandt hinzu.<br />
Dieser stand emotions- <strong>und</strong> bewegungslos in der Tür, als hinter<br />
ihm <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> wieder auftauchten. Sie hatten jeweils einen Kugelschreiber<br />
<strong>und</strong> Papier in der Hand.<br />
„<strong>Dora</strong>, gib Harry bitte ein Blatt Papier!“, bat Dudley sie <strong>und</strong> er<br />
selbst zog einen Kugelschreiber aus der Brusttasche seines Hemdes<br />
<strong>und</strong> überreichte ihn seinem Sohn.<br />
Die drei setzten sich aufs S<strong>of</strong>a <strong>und</strong> legten ihre Zettel dorthin, wo<br />
sie den Tisch vermuteten, der noch immer desillusioniert war. Die<br />
Zettel schienen in der Luft zu schweben <strong>und</strong> trotzdem lagen sie auf<br />
festem Untergr<strong>und</strong>. Als Hagrid <strong>das</strong> erblickte, tippte er ein weiteres<br />
Mal mit seinem Regenschirm auf die Oberfläche <strong>und</strong> der Glastisch<br />
erschien wie aus dem nichts.<br />
Harry blickte noch immer vollkommen verwirrt, angesichts der<br />
Tatsache, <strong>das</strong>s er jetzt so einfach zustimmte, in eine so komische<br />
Schule zu gehen, obwohl er es doch eigentlich hasste <strong>und</strong> auch der<br />
plötzlich wieder erscheinende Tisch, half seiner Verwirrung nicht.<br />
<strong>Lily</strong> blickte Hagrid fragend an.<br />
„Was sollen wir schreiben?“, fragte sie.<br />
25
Hagrid drehte sich weg von ihnen <strong>und</strong> verschränkte die Arme hinter<br />
seinem Rücken.<br />
„‚Ich bestätige hiermit, <strong>das</strong>s ich am ersten September um elf Uhr<br />
morgens auf Bahngleis neun dreiviertel am Bahnh<strong>of</strong> Kings Cross<br />
eintreffen werde, um mit dem Hogwarts-Express nach Hogwarts zu<br />
fahren.’ Dann noch eine Unterschrift von euch <strong>und</strong> von eurem Vater<br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> war’s.“<br />
Als Hagrid den Brief zum zweiten Mal diktiert hatte <strong>und</strong> Dudley<br />
alle drei Briefe unterzeichnet hatte, sammelte Hagrid sie ein <strong>und</strong><br />
steckte sie in eine der vielen Taschen seines schmutzigen Umhanges.<br />
„Dankeschön! Die Bücherlisten findet ihr ebenfalls in euren Briefen.<br />
In drei Wochen komm’ ich wieder <strong>und</strong> wir geh’n alle gemeinsam<br />
in die Winkelgasse, um alles Nötige zu kaufen. Eure Eltern<br />
werden auch mitkommen, damit ihr <strong>das</strong> ab nächstes Jahr alleine erledigen<br />
könnt. Hat mich gefreut, euch kennen zu lernen!“<br />
Die gesamte Familie ging hinter Hagrid her, der aus dem Wohnzimmer<br />
spazierte <strong>und</strong> die Haustüre öffnete.<br />
„Also macht’s gut <strong>und</strong> Mädchen, nicht vergessen! Erzählt keinem,<br />
<strong>das</strong>s ihr Animagi seid! Ich frag mal etwas 'rum <strong>und</strong> sag' euch dann<br />
beim nächsten Mal, ob ihr euch beim Ministerium registrieren lassen<br />
sollt oder nicht!“<br />
Er trat ein paar Schritte ins Freie <strong>und</strong> tastete mit seinen Händen<br />
durch die dunkle, aber dennoch heiße Nachtluft. Ein zweites Mal an<br />
diesem Abend fragte sich Dudley, ob Hagrid noch alle Tassen im<br />
Schrank hatte, doch auch dieses Mal musste er erkennen, <strong>das</strong>s es einen<br />
Gr<strong>und</strong> für Hagrids Handeln gab.<br />
Er kletterte auf ein <strong>durchsichtige</strong>s Etwas, <strong>das</strong> <strong>das</strong> desillusionierte<br />
Motorrad sein musste, bevor er seinen Regenschirm ein weiteres Mal<br />
hob.<br />
„Auf Wiedersehen“, sagten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>.<br />
Hagrid winkte ihnen zu.<br />
„Bis bald“, verabschiedete sich auch Harry.<br />
26
Die beiden jüngeren Geschwister schienen nicht die richtigen Worte<br />
zu finden <strong>und</strong> hoben nur eine Hand <strong>und</strong> winkten, genau wie ihr<br />
Vater <strong>und</strong> ihre Mutter.<br />
Hagrid klopfte sich selbst mit dem Regenschirm auf den Kopf <strong>und</strong><br />
schon war er verschw<strong>und</strong>en. Ein ohrenbetäubender Lärm erfüllte den<br />
Ligusterweg, doch es dauerte nicht lange, <strong>und</strong> er wurde leiser. Das<br />
einzige was zurückblieb, war eine ganze Familie, die in den finsteren<br />
Himmel starrte. <strong>Dora</strong> hätte schwören können, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Licht, welches<br />
sie kurzzeitig am Himmel erblickte, nicht etwa eine Sternschnuppe<br />
war, sondern <strong>das</strong> Rücklicht des Motorrades.<br />
„Daddy? Heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s wir morgen den ganzen Tag im Zoo sein<br />
werden?“, durchbrach Sam die Stille.<br />
Dudley blickte weiter, vollkommen verschreckt, in den Himmel.<br />
„Ja mein Schatz, <strong>das</strong> heißt es!“<br />
27
Unangenehme Besucher<br />
Die Tage zogen sich nur langsam dahin. Obwohl Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> die ersten Wochen der Sommerferien die meiste Zeit auf dem<br />
nahe gelegenen Spielplatz verbracht hatten, kamen sie jetzt kaum<br />
mehr aus dem Zimmer der Zwillinge. Tagelang saßen sie um den<br />
kleinen Tisch <strong>und</strong> selbst Harry, der schon immer zu faul für so etwas<br />
wie Schule gewesen war, beteiligte sich an den zahlreichen Gesprächen<br />
über <strong>das</strong>, was sie erwarten würde.<br />
„Glaubt ihr eigentlich, <strong>das</strong>s ich der Einzige bin, der nichts Besonderes<br />
kann?“, fragte er an einem weiteren heißen Sonnentag.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schauten sich in die Augen <strong>und</strong> zuckten dann mit<br />
den Schultern.<br />
„Weiß nicht… Aber so wie sich <strong>das</strong> bei diesem Hagrid angehört<br />
hat, können sich nicht alle in Tiere verwandeln“, überlegte <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber ich kann ja auch noch <strong>das</strong>…“<br />
<strong>Lily</strong> nickte mit dem Kopf in Richtung einer Schuhschachtel, die<br />
unter ihrem Bett stand <strong>und</strong> diese rutsche quer durch den Raum, wo<br />
sie unter <strong>Dora</strong>s Bett stehen blieb.<br />
„Ach so kommen also deine Sachen immer unter mein Bett <strong>und</strong> ich<br />
darf dann alles aufräumen!“, sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> verschränkte die Hände.<br />
<strong>Lily</strong> streckte ihr die Zunge entgegen <strong>und</strong> lächelte.<br />
„Was ich damit sagen wollte ist, <strong>das</strong>s ich nicht weiß, ob <strong>das</strong> normal<br />
ist!“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, ist es nicht! Sonst könnte ich es auch. Stell mal die Schachtel<br />
in die Mitte des Raumes.“<br />
Ihre Schwester betrachtete wieder die Schachtel, welche sich mühelos<br />
dorthin bewegte, wo <strong>Lily</strong> sie haben wollte. Als sie mitten im<br />
Raum stand, wandte <strong>Lily</strong> ihren Blick ab <strong>und</strong> dafür konzentrierte sich<br />
<strong>Dora</strong> jetzt auf sie. Sie hob ihren Kopf ein Stück <strong>und</strong> die Box machte<br />
<strong>das</strong>selbe, bis sie kerzengerade in der Luft hängen blieb. Solange, bis<br />
<strong>Dora</strong> sie wieder hinunter gleiten <strong>und</strong> sachte auf dem Boden auf-<br />
28
kommen ließ. Dann schaute sie zu Harry, welcher mit großen Augen<br />
abwechselnd von einem Mädchen zum anderen starrte.<br />
„Ich kann nur <strong>das</strong>“, meinte <strong>Dora</strong>. „Nur auf <strong>und</strong> ab <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nur zur<br />
Seite!“<br />
„Das habt ihr mir nie gezeigt!“, sagte Harry. „Na toll, dann bin ich<br />
ja der totale Freak dort…“<br />
Harry blickte besorgt auf den Tisch <strong>und</strong> gleichzeitig hoben <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ihre Hände, um ihm aufmunternd auf die Schultern zu<br />
klopfen. <strong>Lily</strong> begann zu sprechen.<br />
„Wir sitzen den halben Tag als irgendwelche Tiere rum <strong>und</strong> lassen<br />
Schuhschachteln durch die Gegend fliegen…“<br />
„…<strong>und</strong> du sagst, <strong>das</strong>s du ein Freak bist!“, beendete <strong>Dora</strong> den Satz<br />
für ihre Schwester.<br />
Harry blickte auf, jedoch schienen die Worte der Zwillinge ihn<br />
nicht wirklich aufgemuntert zu haben.<br />
„Aber <strong>das</strong> können doch sicher alle dort <strong>und</strong> ich kann gar nichts<br />
Außergewöhnliches. Seid ihr euch sicher, <strong>das</strong>s sie mir den Brief<br />
nicht irrtümlich geschickt haben?“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte energisch den Kopf.<br />
„Dieser Brief stammt von einer Hexe <strong>und</strong> diese Hexe weiß sicher,<br />
was sie tut, wenn sie einen Brief abschickt. Auch wenn sie nicht alles<br />
zu wissen scheint!“<br />
Sie stand auf <strong>und</strong> ging zu einem Stuhl am Fenster, auf dem ein Käfig<br />
mit einer Eule stand. Sie musste wohl ziemlich alt sein, denn sie<br />
konnte sich kaum auf den Beinen halten, geschweige denn ein paar<br />
Meter fliegen.<br />
„Die bringen wir am besten mit in die Schule <strong>und</strong> geben sie dort<br />
zurück. Alleine schafft sie es nicht!“<br />
Kurz danach Hagrid davongeflogen war, hatte Sam etwas gef<strong>und</strong>en,<br />
was eher wie ein grauer Fetzen wirkte, der regungslos am Boden<br />
lag. Allerdings gab er bemitleidenswerte Schreie von sich, was<br />
Dudley dazu gebracht hatte, nachzuschauen, was <strong>das</strong> denn sei. Er<br />
hatte den Brief vom Bein der Eule genommen <strong>und</strong> ihn gemeinsam<br />
29
mit ihr selbst ins Haus getragen. Jetzt lebte sie in einem Käfig im<br />
Zimmer der Zwillinge, die alles daran gesetzt hatten, sie wieder einigermaßen<br />
auf die Beine zu bringen. Inzwischen sah sie nicht mehr<br />
ganz so schlecht auf, an Fliegen war allerdings gar nicht zu denken.<br />
<strong>Lily</strong> öffnete den Käfig <strong>und</strong> kraulte leicht den Kopf der schwankenden<br />
Eule.<br />
„Sie hätten wissen müssen, <strong>das</strong>s sie dich nicht einfach so so eine<br />
weite Strecke fliegen lassen können. Wie geht’s deinem Flügel?“<br />
Das Tier gab ein schwaches Geräusch von sich <strong>und</strong> streckte einen<br />
Flügel, der in dicken Verband gewickelt war, zu <strong>Lily</strong> aus. Diese wickelte<br />
ihn vorsichtig ab <strong>und</strong> schaute <strong>das</strong> blutverkrustete Gefieder an.<br />
„Wird schon besser. Keine Angst, in ein paar Tagen tut es nicht<br />
mehr weh!“<br />
Sie warf den Verband in den Mistkübel <strong>und</strong> schloss den Käfig<br />
wieder, bevor sie zurück zum Tisch ging.<br />
„Also ihr glaubt, <strong>das</strong>s ich <strong>das</strong> wirklich kann?“, fragte Harry. „Das<br />
mit dem Zaubern meine ich.“<br />
Beide Mädchen nicken bestimmt.<br />
„Oja, <strong>das</strong> ist eine Schule, <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s sie es dir dort beibringen<br />
werden!“<br />
Harry begann zu lächeln.<br />
„Na h<strong>of</strong>fentlich“, sagte er, jetzt schon ein bisschen fröhlicher.<br />
„Und, was glaubt ihr, was wir da so für Fächer haben werden? H<strong>of</strong>fentlich<br />
nicht Mathe oder Englisch oder vielleicht sogar Geschichte!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> begannen zu lachen.<br />
„Ja ja Harry, nur nicht zu viel lernen, wir wissen schon Beschied!“,<br />
sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Aber keine Angst, ich glaube nicht, <strong>das</strong>s es solche Fächer geben<br />
wird. Obwohl… von Geschichte hab ich schon etwas gelesen!“,<br />
meinte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> nickte mit dem Kopf ihrem Kopfkissen zu, welches<br />
in die Höhe stieg.<br />
30
<strong>Lily</strong> blickte auf den Brief, deutete mit dem Kopf in <strong>Dora</strong>s Richtung<br />
<strong>und</strong> schon kam dieser, quer durch den Raum, auf ihre Schwester<br />
zugeflogen. Diese hob ihn mit reiner Gedankenkraft noch etwas<br />
höher in die Luft <strong>und</strong> nahm ihn dann, als er nur wenige Zentimeter<br />
vor ihren Augen schwebte, in ihre Hand.<br />
„Ihr macht <strong>das</strong> mit Absicht“, schmollte Harry, verschränkte die<br />
Arme vor seiner Brust <strong>und</strong> blickte die Mädchen finster an. „Nur weil<br />
ich <strong>das</strong> nicht kann.“<br />
Doch schon Augenblicke später, hatte er vergessen, <strong>das</strong>s er eigentlich<br />
sauer war <strong>und</strong> setzte sich gerade hin, damit er gemeinsam mit<br />
seinen Cousinen, wie er sie nannte, die beiden Zettel die aus dem<br />
Brief fielen, betrachten konnte.<br />
Den ersten mit der Information, <strong>das</strong>s <strong>Dora</strong> in Hogwarts aufgenommen<br />
war, schob sie s<strong>of</strong>ort beiseite, faltete den zweiten auseinander<br />
<strong>und</strong> legte ihn so auf den Tisch, damit auch wirklich alle ihn sehen<br />
konnten. Mit ihrem Finger zeigte sie auf eine Stelle im Text.<br />
31<br />
Lehrbücher:<br />
Alle Schüler sollten jeweils ein Exemplar der folgenden<br />
Werke besitzen:<br />
- Miranda Habicht: Lehrbuch der Zaubersprüche,Band 1<br />
- Bathilda Bagshot: Geschichte der Zauberei<br />
- Adalbert Schwahfel: <strong>The</strong>orie der Magie<br />
- Hermine Granger: Gr<strong>und</strong>prinzipien der Verwandlung<br />
- Phyllida Spore: Tausend Zauberkräuter <strong>und</strong> -pilze<br />
- Arsenius Bunsen: Zaubertränke <strong>und</strong> Zauberbräue<br />
- Susann Marchbanks: Sterne <strong>und</strong> ihr System<br />
- Quirin Sumo: Dunkle Kräfte. Ein Kurs zur<br />
Selbstverteidigung<br />
„Also etwas von Englisch oder Mathe steht schon mal nicht da!“,<br />
stellte Harry zufrieden fest. „Dafür aber ‚Geschichte der Zauberei’.<br />
Ist aber sicher interessanter als Geschichte normalerweise, oder?“
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Ganz sicher sogar!“, meinte sie.<br />
Auch ihre Erinnerungen an dieses Fach in der Gr<strong>und</strong>schule waren<br />
nicht gerade die besten <strong>und</strong> sie konnte sich durchaus interessanteres<br />
vorstellen, als st<strong>und</strong>enlang in Geschichte zu sitzen, aber dennoch war<br />
sie gespannt, was sie in ‚Geschichte der Zauberei’ zu erwarten hatte.<br />
Wenn es um ein <strong>The</strong>ma wie Zauberei ging, dann konnte es doch gar<br />
nicht so langweilig werden.<br />
„Zaubersprüche, Verwandlung, Zauberkräuter <strong>und</strong> –pilze, Selbstverteidigung<br />
gegen dunkle Künste, Zaubertränke, <strong>The</strong>orie der Magie…<br />
Hört sich doch alles nicht so schlecht an, oder? Das mit den<br />
Sternen wird vielleicht ein bisschen zäh“, zählte <strong>Lily</strong> auf.<br />
„Schau dir <strong>das</strong> an! ‚Gr<strong>und</strong>prinzipien der Verwandlung’ sind von<br />
dieser Hermine Granger. Ist <strong>das</strong> nicht die stellvertretende Schulleiterin?“,<br />
fragte Harry.<br />
<strong>Lily</strong> nickte, während <strong>Dora</strong> ihm gar nicht zugehört hatte. Sie zeigte<br />
mit ihrem Finger weiter oben auf <strong>das</strong> Pergamentblatt. Harrys <strong>und</strong><br />
<strong>Lily</strong> richteten ihren Blick auf die Stelle, auf die sie zeigte.<br />
„Wisst ihr was?“, fragte sie. „Ich bin mit meiner Kleidung eigentlich<br />
soweit ganz zufrieden!“<br />
Die beiden anderen begannen zu lesen.<br />
Uniform:<br />
Im ersten Jahr benötigen die Schüler:<br />
1. Drei Garnituren einfache Arbeitskleidung (schwarz)<br />
2. Einen einfachen Spitzhut (schwarz) für tagsüber<br />
3. Ein Paar Schutzhandschuhe (Drachenhaut o. Ä.)<br />
4. Einen Winterumhang (schwarz, mit silbernen<br />
Schnallen)<br />
Bitte beachten Sie, <strong>das</strong>s alle Kleidungsstücke der Schüler<br />
mit Namensetiketten versehen sein müssen.<br />
32
„Einen Spitzhut? Sehe ich denn aus wie eine alte Frau?“, fragte Harry<br />
<strong>und</strong> starrte ungläubig auf die Worte, die er da zu lesen bekam.<br />
„Findest du etwa Schutzhandschuhe aus Drachenhaut besser?<br />
Schwarze Arbeitskleidung werden wir schon noch auftreiben können,<br />
aber von wo um alles in der Welt sollen wir Drachenhauthandschuhe<br />
herkriegen?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Die anderen beiden zuckten mit ihren Schultern.<br />
„Okay, ich bin kein Freak, <strong>das</strong> sind Freaks!“, stellte Harry fest <strong>und</strong><br />
jetzt war er es, der auf den letzten Abschnitt des Zettels deutete.<br />
33<br />
Ferner werden benötigt:<br />
- 1 Zauberstab<br />
- 1 Kessel (Zinn, Normgröße 2)<br />
- 1 Sortiment Glas- oder Kristallfläschchen<br />
- 1 Teleskop<br />
- 1 Waage aus Messing<br />
Es ist den Schülern zudem freigestellt, eine Eule ODER<br />
eine Katze ODER eine Kröte mitzubringen.<br />
Die Eltern seien daran erinnert, <strong>das</strong>s Erstklässler<br />
KEINE eigenen Besen besitzen dürfen!<br />
„Ja, einen Zauberstab kriegen wir an jeder Ecke, <strong>das</strong> dürfte <strong>das</strong><br />
kleinste Problem von allem sein. Harry, hast du nicht noch irgendwo<br />
diesen alten Zauberkasten? Da war doch so ein Plastikding drinnen,<br />
oder?“, lachte <strong>Lily</strong>.<br />
„Okay, also <strong>das</strong> Einzige was wir im Haus haben sind Namensetiketten<br />
für die Kleidungsstücke, ein Zauberstab aus Plastik, 1-Liter-<br />
Glasflaschen, eine Küchenwaage <strong>und</strong> einen Staubsauger. Glaubst du,<br />
die lassen uns den Staubsauger als Besen durchgehen? Immerhin erfüllt<br />
er ja denselben Zweck <strong>und</strong> ist noch dazu gründlicher“, fasste<br />
Harry ihre h<strong>of</strong>fnungslose Situation noch einmal zusammen.<br />
<strong>Lily</strong> runzelte die Stirn.<br />
„Die wollen uns doch nicht etwa die Schule putzen lassen, oder?“
„Keine Ahnung… Vielleicht muss jede Woche jemand anderer unsere<br />
Zimmer putzen. Oder glaubst du etwa, die wollen uns damit<br />
fliegen lassen?“<br />
Alle drei brachen in schallendes Gelächter aus.<br />
„Der war gut, <strong>Dora</strong>!“, lachte Harry <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> stellte sich vor, wie es<br />
denn aussehen würde, wenn jemand auf einem Staubsauger herumfliegt.<br />
„Aber ist egal, wir dürfen sowieso keine eigenen Besen oder auch<br />
Staubsauger“, meinte <strong>Lily</strong>, während <strong>Dora</strong> vom Lachen noch immer<br />
Tränen in den Augen hatte, „mitnehmen. Vielleicht putzen uns die<br />
älteren die Zimmer!“<br />
<strong>Dora</strong> stand auf <strong>und</strong> ging im Zimmer auf <strong>und</strong> ab, um sich wieder zu<br />
beruhigen. Dann fragte sie: „Glaubst du, <strong>das</strong>s wir beide auch ein Tier<br />
mitnehmen können? Ich meine, da steht doch ‚eine Eule ODER eine<br />
Katze ODER eine Kröte…' Wir alleine brechen diese Regel doch<br />
schon, wenn wir uns auf dem Schulgelände in mehr als nur ein Kätzchen<br />
verwandeln…“<br />
<strong>Lily</strong> überlegte <strong>und</strong> auch Harry schien keine Antwort auf diese Frage<br />
zu wissen.<br />
„Ich will auf jeden Fall eine Eule!“, sagte er schließlich.<br />
„Und ich auch! Hagrid hat doch gesagt, wir sollen es keinem sagen.<br />
Dann machen wir <strong>das</strong> doch einfach so. Er wird uns schon nicht<br />
verraten. Ich will jedenfalls nicht auf ein Tier verzichten, nur weil<br />
ich selber zu einem werden kann!“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> ihre Schwester<br />
nickte.<br />
„Du hast Recht. Wir können schließlich auch nichts dafür!“,<br />
stimmte sie zu. „Aber weißt du, was mir noch nicht ganz klar ist?<br />
Warum sind gerade wir drei aufgenommen worden?“<br />
„Wir sind elf Jahre alt, <strong>und</strong> die anderen jünger“, sagte Harry <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Ja, schon klar, aber <strong>das</strong> meine ich nicht. Die nehmen doch nicht<br />
einfach so jeden auf. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> ich können uns in Katzen verwandeln<br />
<strong>und</strong> Dinge bewegen. Wir sind adoptiert <strong>und</strong> wissen nicht, von wem<br />
34
wir abstammen. Es könnten auch Zauberer sein. Aber du“, sie deutete<br />
auf Harry, „du weißt es schon. Und sag’s mir, wenn ich falsch liege,<br />
aber Onkel Dudley oder Tante Emily können nicht zaubern, oder?“<br />
„Sicher nicht, sonst hätten sie Hagrid normal behandelt <strong>und</strong> nicht<br />
angeschaut wie irgendein dahergelaufenes Monster, vor dem man<br />
Angst haben muss“, antwortete er. „Vielleicht dachten die sich, <strong>das</strong>s<br />
es gemein wäre, nur euch zwei aufzunehmen, wenn ich weiter auf<br />
eine normale Schule gehen müsste?“<br />
„Ja, wahrscheinlich!“, nickten die Mädchen.<br />
„Na ja, die Hauptsache ist doch, <strong>das</strong>s wir alle auf diese Schule<br />
können <strong>und</strong> ich bin schon mal tierisch gespannt, was uns dort erwartet!“,<br />
sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ich auch, egal was für ‚Muggel’ meine Eltern sind. Hab ich <strong>das</strong><br />
Wort jetzt richtig verwendet?“<br />
<strong>Lily</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
„Ich hab <strong>das</strong> Wort jetzt gerade zum zweiten Mal gehört, also frag<br />
am Besten einen Zauberer, der weiß <strong>das</strong>!“<br />
„Ja, wieso nicht!“, sagte Harry <strong>und</strong> stand auf.<br />
Er stellte sich mit grinsendem Gesicht zum Fenster <strong>und</strong> schaute<br />
hinaus. Gleichzeitig zuckten beide Mädchen mit den Schultern.<br />
„Was machst du da?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Schauen, ob ich wo einen fliegenden Staubsauger mit einem Zauberer<br />
drauf entdecken kann!“, lachte Harry <strong>und</strong> drehte sich wieder<br />
um.<br />
Die Mädchen stimmten in sein Lachen ein, als plötzlich Dudleys<br />
Stimme zu vernehmen war.<br />
„Harry, <strong>Dora</strong>, <strong>Lily</strong>, macht schnell, wir haben euch etwas zu sagen!“,<br />
schrie er.<br />
Von der Stelle, auf der eben noch <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> gestanden hatten,<br />
liefen jetzt die zwei kleinen, roten Kätzchen weg, hinaus zur Tür <strong>und</strong><br />
in Richtung Treppe.<br />
35
„Hey, <strong>das</strong> ist gemein!“, rief ihnen Harry nach, doch die beiden waren<br />
schon verschw<strong>und</strong>en, als auch er sich schnellen Schrittes auf den<br />
Weg nach unten machte.<br />
Die Mädchen saßen schon neben James <strong>und</strong> Sam auf dem S<strong>of</strong>a, als<br />
Harry kam <strong>und</strong> ihnen einen letzten finsteren Blick zuwarf, bevor er<br />
sich zwischen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> niederließ.<br />
„Aua, du zerquetscht mich!“, schimpfte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> versuchte Harry<br />
wegzudrücken.<br />
„Tja, wenn du auf mich gewartet hättest, dann hätte ich mich als<br />
erster niedergesetzt <strong>und</strong> du könntest mich zerquetschen!“, gab dieser<br />
zurück.<br />
„Das bezweifle ich…“<br />
„Was willst du damit…“<br />
„Ruhe!“, donnerte Dudley. „Emily, bitte erzähl du ihnen die freudigen<br />
Nachrichten! Ich muss nach draußen, den Rasen mähen!“<br />
Seine Frau trat einen Schritt vor. Sie war gerade dabei gewesen,<br />
eine der alten Blumenvasen zu putzen, die sie schon seit Ostern nicht<br />
mehr aus dem alten Wandschrank unter der Treppe geholt hatte.<br />
<strong>Lily</strong> warf <strong>Dora</strong> einen beunruhigten Blick zu. Das konnte nur eines<br />
bedeuten. Besuch <strong>und</strong> zwar von---<br />
„Großvater Vernon <strong>und</strong> Grußmutter Petunia kommen uns besuchen!“,<br />
sagte Emily, wobei <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> an ihrer Stimme genau<br />
erkennen konnten, wie sehr sie diese beiden Menschen verachtete.<br />
„Bitte richtet eure Zimmer her, zieht euch was Frisches an <strong>und</strong><br />
kommt in zehn Minuten wieder hier ins Wohnzimmer. Euer Vater<br />
oder Onkel hat euch noch was mitzuteilen, bevor sie in zwanzig Minuten<br />
hier eintreffen werden!“<br />
Zwanzig Minuten? <strong>Lily</strong> sprang auf <strong>und</strong> lief, dicht gefolgt von ihrer<br />
Schwester, die ebenfalls die Gestalt des Kätzchens angekommen hatte,<br />
die Treppe hinauf, während sie ein Stück hinter ihnen die anderen<br />
Kinder laufen hörte. Auch wenn die anderen sie seit Jahren schimpften,<br />
weil sie <strong>und</strong> ihre Schwester sich immer beim Fangen- oder<br />
Versteckenspielen in Katzen verwandelten, wollten sie diese Ge-<br />
36
wohnheit nicht aufgeben, denn es war nun mal einfacher <strong>und</strong> um einiges<br />
schneller. Die Ausnahme, bei der alle Familienmitglieder zufrieden<br />
waren wenn <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sich verwandelten, war dann,<br />
wenn sie sich alle sieben aufs S<strong>of</strong>a setzen wollten, um fernzusehen.<br />
Dann wurden die beiden sogar darum gebeten <strong>und</strong> legten sich dann<br />
entweder auf ein Kissen vors S<strong>of</strong>a oder auf den Schoß eines Familienmitglieds.<br />
Je älter sie wurden, desto mehr bevorzugten sie allerdings<br />
<strong>das</strong> Kissen.<br />
Im Raum angekommen lief <strong>das</strong> Kätzchen, <strong>das</strong> eigentlich <strong>Lily</strong> war,<br />
auf sein Bett zu, setzte zum Sprung an <strong>und</strong> landete dann als Mensch<br />
aufrecht auf dem Bett, wo es von einem Regal Bücher <strong>und</strong> eine Blumenvase<br />
mit Seidenblumen nahm <strong>und</strong> dann vom Bett sprang um sie<br />
zu dem großen Kleiderkasten, den es sich mit seiner Schwester teilte,<br />
zu bringen. <strong>Lily</strong> legte den Bücherstoß vorsichtig ab <strong>und</strong> stellte den<br />
Blumenstrauß darauf, bevor sie die Schachtel mit den kleinen, aber<br />
überaus altmodischen <strong>und</strong> hässlichen Porzellanfiguren nahm. Mindestens<br />
zwanzig verschiedene lagen unordentlich in einer großen<br />
Box. Sie kippte sie, ohne Rücksicht auf Verluste, in eines der Fächer<br />
in Augenhöhe, dann drehte sie sich um, setzte zum Sprung an <strong>und</strong><br />
nicht mal eine Sek<strong>und</strong>e später stand sie wieder aufrecht auf ihrem<br />
Bett. Menschen, die nicht wussten, <strong>das</strong>s sie für die halbe Sek<strong>und</strong>e,<br />
die sie sich in der Luft bef<strong>und</strong>en hatte, in eine Katze verwandelt hatte,<br />
hätten <strong>das</strong> nicht mal bemerkt, so schnell war sie wieder sie selbst<br />
geworden.<br />
„Das sah toll aus“, meinte <strong>Dora</strong> lachend.<br />
„Weiß ich doch“, grinste <strong>Lily</strong>. „Warum soll ich die vier Meter gehen,<br />
wenn ich sie mit einem Sprung nehmen kann?“<br />
<strong>Dora</strong>, deren Regal ebenfalls schon leer war, nickte ihrer Schwester<br />
zu <strong>und</strong> die verstand augenblicklich. <strong>Lily</strong> blickte zweimal hintereinander<br />
vom Kasten zu <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> in kurzen Abständen, sausten zwei<br />
der Porzellanfiguren auf <strong>Dora</strong> zu, welche sich bückte <strong>und</strong> sie auffing.<br />
37
„Diesem fehlt ein Ohr!“, meckerte sie, während <strong>Lily</strong> die nächsten<br />
zwei Figuren auf ihre Seite des Zimmers zuschweben ließ.<br />
So ging es weiter, bis alle Figuren fein säuberlich aufgereiht, ihren<br />
Platz auf den Regalen gef<strong>und</strong>en hatten. <strong>Lily</strong> blickte angewidert auf<br />
die hässlichen Tiere <strong>und</strong> Gebäude, dann warf sie einen letzten prüfenden<br />
Blick zum Schrank.<br />
„<strong>Dora</strong>, dein Ohr“, sagte sie.<br />
<strong>Dora</strong> drehte sich um <strong>und</strong> im letzten Augenblick erwischte sie noch<br />
<strong>das</strong> kleine weiße Etwas, <strong>das</strong> auf sie zugeflogen kam.<br />
„Und was mach' ich jetzt damit? Petunia merkt <strong>das</strong> ganz sicher,<br />
wenn ich es daneben hinlege…“<br />
„Hier, Klebst<strong>of</strong>f!“<br />
<strong>Lily</strong> blickte vom Schreibtisch zu <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> mit einer schnellen<br />
Bewegung ihrer noch freien Hand, fing diese <strong>das</strong> gelbe Plastikfläschchen,<br />
<strong>das</strong> den Klebst<strong>of</strong>f beinhaltete.<br />
„Dankeschön Schwesterherz!“, bedankte sich <strong>Dora</strong>.<br />
„Dafür hebst du dieses Kissen da auf!“, sagte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> deutete auf<br />
den Boden.<br />
Mit einer leichten Kopfbewegung von <strong>Dora</strong> stieg es in die Luft <strong>und</strong><br />
eine weitere von <strong>Lily</strong> brachte es dazu, auf ihr eigenes Bett zu fliegen.<br />
Mit demselben Trick, brachten sie eins der Gegenstände, die im<br />
Zimmer herumlangen, nach dem anderen auf ihren Stammplatz zurück,<br />
ohne sich auch nur einen Zentimeter dabei zu bewegen. Sie<br />
grinsten sich zufrieden an.<br />
Innerhalb von fünf Minuten hatten die Mädchen es geschafft, ihr<br />
ganzes Zimmer aufzuräumen <strong>und</strong> sich umzuziehen. Dann gingen sie,<br />
diesmal nicht in Gestalt von Tieren, langsam die Treppe hinunter<br />
<strong>und</strong> setzten sich auf <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a. Ihre Geschwister waren noch nicht<br />
wieder zurück <strong>und</strong> nur der handfeste Streit, ob James oder Harry den<br />
Fernseher abdrehen sollte, war von oben zu hören. Tante Emily<br />
huschte noch immer von Ecke zu Ecke <strong>und</strong> wischte Staub von den<br />
einzelnen scheußlichen Gegenständen, welche jetzt in großer Menge<br />
<strong>das</strong> Haus der Dursleys schmückten.<br />
38
„Ihr habt alles weggeräumt?“, fragte sie die beiden misstrauisch.<br />
„Ging schneller als wir dachten!“, antwortete <strong>Lily</strong> grinsend. „Warum<br />
kommen die eigentlich heute? Es ist doch noch nicht Weihnachten!“<br />
Emily zuckte mit den Schultern, während sie, die Abscheu in ihrem<br />
Gesichtsausdruck war klar zu erkennen, einen Teppich aus dem<br />
Wandschrank zerrte <strong>und</strong> ihn auf dem Flur ausbreitete.<br />
„Keine Ahnung. Waren wohl gerade in der Nähe. Wenn ihr mich<br />
fragst, kommen die nur, um uns zu kontrollieren <strong>und</strong> ich weiß auch,<br />
warum.“<br />
Mit ihren Füßen versuchte Emily den Teppich fest auf den Boden<br />
zu treten, der sich von jeder Seite wieder einzurollen versuchte. Er<br />
hatte jetzt über drei Monate lang zusammengerollt im Schrank gelegen<br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> merkte man s<strong>of</strong>ort, wenn man ihn anschaute.<br />
„Mistding!“, fluchte sie.<br />
„Warum müssen wir immer <strong>das</strong> ganze Haus putzen, wenn die<br />
kommen?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Ihre Tante streckte den Kopf zur Wohnzimmertür herein.<br />
„Ach, was weiß ich. Dudley sagt, <strong>das</strong>s sie es nicht verkraften<br />
könnten, wenn irgendetwas am falschen Platz liegt. Muss wohl immer<br />
alles dreimal am Tag geputzt worden sein, anstatt einmal in der<br />
Woche, wie es jetzt der Fall ist! Wenn die nichts Besseres zu tun hatten!“<br />
Dieses waren die liebsten Tage der Zwillinge. Wenn Vernon <strong>und</strong><br />
Petunia wieder Mal einen ihrer Besuche angekündigt hatten <strong>und</strong> sowohl<br />
Emily als auch Dudley vollkommen ausrasteten. Aber dennoch<br />
hatten sie noch nie einen Besuch zwanzig Minuten vor ihrem Eintreffen<br />
angekündigt.<br />
Als die Haustüre aufging, wurde <strong>Dora</strong> aus ihren Gedanken gerissen.<br />
Dudley kam herein <strong>und</strong> setzte sich auf <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a.<br />
„Hast du schon mal versucht Heu zu mähen?“, fragte er Emily.<br />
Diese schüttelte nur den Kopf.<br />
39
„Tja, Dad schon <strong>und</strong> wenn ich es jetzt nicht auch mache, nimmt<br />
der uns vielleicht noch <strong>das</strong> Haus weg, so wie ich ihn kenne! Schließlich<br />
ist er ja auch gar nicht freiwillig ausgezogen <strong>und</strong> hat es uns überlassen…<br />
Wie <strong>of</strong>t ich mir <strong>das</strong> schon anhören konnte!“<br />
Jetzt war es Dudley, der den Kopf schüttelte, <strong>und</strong> gerade, als er<br />
sich neben die Zwillinge aufs S<strong>of</strong>a gesetzt hatte, kamen auch Harry,<br />
James <strong>und</strong> Sam ins Wohnzimmer.<br />
Sie stellten sich vor ihren Vater <strong>und</strong> warteten. Als auch Emily bei<br />
ihnen ankam, schnitt Harry seinem Vater <strong>das</strong> Wort ab.<br />
„Großvater Vernon <strong>und</strong> Großmutter Petunia kommen uns besuchen.<br />
Ihr wisst, was <strong>das</strong> heißt. Harry <strong>und</strong> James, ihr seid artig <strong>und</strong><br />
streitet euch nicht. Sam, du bleibst bei Mami <strong>und</strong> kommst ihnen<br />
nicht zu nahe <strong>und</strong> rede nur, wenn sie dich etwas fragen <strong>und</strong> jetzt zu<br />
euch, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>: Keine Tricks, ob Zaubertrick oder normaler<br />
Trick, ist egal <strong>und</strong> keine Katzen, egal was passiert!“, sagte er <strong>und</strong><br />
imitierte dabei die tiefe Stimme seines Vaters.<br />
Alle im Raum lachten, aber trotzdem blieben Spuren der Anspannung,<br />
vor allem bei Dudley, zurück. So nervös hatten ihn die Mädchen<br />
vor einem Besuch seiner Eltern noch überhaupt nie erlebt.<br />
„Gut gesagt, Harry!“, lobte Dudley seinen Sohn. „Aber diesmal<br />
gibt’s ein paar mehr Regeln. Die Schule in die Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
gehen werden, heißt Smeltings! Wenn sie euch fragen, wo euer<br />
Holzstock ist, dann sagt, <strong>das</strong>s ihr irgendjemanden damit verhauen<br />
habt, weil er gemein zu euch war <strong>und</strong> ihr jetzt den Stock reparieren<br />
lassen müsst. Soweit verstanden?“<br />
Die Familie nickte <strong>und</strong> obwohl niemand eine Ahnung hatte, von<br />
was Dudley da eigentlich sprach, traute sich keiner, ihm zu widersprechen.<br />
„Okay <strong>und</strong> jetzt kommt <strong>das</strong> Wichtigste. Passt gut auf! Eure Großeltern<br />
dürfen auf keinen Fall erfahren, <strong>das</strong>s ihr nach Hogwarts gehen<br />
werden. Wenn sie euch irgendetwas fragen, bei dem ihr euch nicht<br />
sicher seid, ob es etwas mit Zauberei zu tun hat, dann ist es besser,<br />
ihr lauft weg, anstatt <strong>das</strong>s ihr ihnen eine Antwort gebt. Außerdem<br />
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verbiete ich euch, irgendwelche Wörter zu verwenden, die mit ‚Z’<br />
wie Zauberei beginnen. Auch Wörter mit ‚M’ wie Magie sind streng<br />
untersagt! Keine Tricks, keine Katzen, keine Eulen, kein Hagrid <strong>und</strong><br />
kein Hogwarts!“<br />
Alle nickten aufgr<strong>und</strong> der Strenge seiner Worte, nur <strong>Lily</strong> sprang<br />
auf.<br />
„Ich räum die Eule in den Schrank“, rief sie <strong>und</strong> lief in Richtung<br />
Türe.<br />
„Hey!“, schrie Dudley, als <strong>Dora</strong> einen roten Schwanz aus dem<br />
Zimmer verschwinden sah.<br />
„Oh, tut mir leid!“<br />
Schnelle Schritte waren auf der Treppe zu vernehmen, als <strong>Lily</strong><br />
nach oben rannte. Dudley nickte zufrieden, aufgr<strong>und</strong> der Tatsache,<br />
<strong>das</strong>s <strong>Lily</strong> die Treppen nicht als Katze hinaufeilte.<br />
„Okay! So weit so gut“, ließ jetzt wieder Harry von sich hören.<br />
„Kinder, ihr geht jetzt einer nach dem anderen zum Kühlschrank <strong>und</strong><br />
holt euch, was ihr wollt. Am besten Schokoladentorte oder Eiscreme.<br />
Ja kein Obst oder Gemüse, sonst glauben die noch, wir hätten euch<br />
was angetan!“<br />
Dudley klopfte seinem Ältesten auf den Kopf.<br />
„Ganz mein Junge!“, sagte er grinsend.<br />
„Mummy, warum müssen wir immer essen, wenn Opa <strong>und</strong> Oma<br />
kommen?“, fragte Sam.<br />
Ihre Mutter zuckte mit den Schultern <strong>und</strong> deutete auf Dudley, damit<br />
er ihr die Frage beantworten sollte.<br />
„Weil für sie Kinder, die nicht pausenlos Schokolade im M<strong>und</strong> haben,<br />
keine ges<strong>und</strong>en Menschen sind. Und holt euch ja nicht selbst<br />
Nachschub. Fangt zu schreien an, wenn ihr irgendetwas haben wollt<br />
<strong>und</strong> hört solang nicht damit auf, bis ihr es habt, verstanden?“<br />
Wieder nickten alle. Es waren zwar komische Regeln, die Dudley<br />
aufstellte, wenn seine Eltern ins Haus kamen, <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> konnte sich<br />
nicht vorstellen, <strong>das</strong>s seine Eltern eine solche Lebensweise für gut<br />
befänden, doch bis jetzt hatte es immer einwandfrei geklappt <strong>und</strong><br />
41
nach Jahren gewöhnte man sich auch daran, zweimal im Jahr <strong>das</strong><br />
vollkommen verwöhnte Muttersöhnchen spielen zu müssen. Dieses<br />
Jahr eben dreimal.<br />
Harry <strong>und</strong> James hatten die ganze Schokotorte für sich beschlagnahmt.<br />
Während <strong>Dora</strong> an die Reihe kam, sich etwas zu nehmen,<br />
stellten die beiden die Torte vor sich auf den Wohnzimmertisch,<br />
schalteten den Fernseher ein <strong>und</strong> begannen dann, jeder eine Gabel in<br />
der Hand, von der ganzen Torte zu essen.<br />
„Sehr gut Jungs!“, meinte Dudley. „Ihr habt’s kapiert!“<br />
<strong>Dora</strong> wollte sich gerade etwas von der zwei-Liter-Eisdose in eine<br />
Schüssel geben, als ihr Onkel hinter ihr auftauchte.<br />
„<strong>Lily</strong> oder <strong>Dora</strong>, wer auch immer du bist… Hast du es noch immer<br />
nicht gelernt?“<br />
Er nahm ihr die Schale aus der Hand, öffnete einen Schrank <strong>und</strong><br />
stellte sie hinein, bevor er aus einer Schublade einen großen, silbernen<br />
Suppenlöffel holte <strong>und</strong> ihn oben auf die große Eisdose legte, die<br />
<strong>Dora</strong> jetzt mit beiden Händen festhielt.<br />
„Und vergiss die Schokosoße nicht!“<br />
Er griff an ihr vorbei in den Kühlschrank <strong>und</strong> stellte die Plastikflasche<br />
oben auf den Deckel der Dose.<br />
„Ist <strong>das</strong> alles?“, fragte <strong>Dora</strong> ein wenig verwirrt <strong>und</strong> als ihr Onkel<br />
nickte, ging sie aus der Küche <strong>und</strong> ließ ihn alleine mit Sam zurück,<br />
die <strong>das</strong> nächste Kind war, <strong>das</strong> versorgt werden musste.<br />
„Was gibt’s diesmal zu essen?“<br />
<strong>Dora</strong> hätte schwören können, <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong> wieder als Katze über die<br />
Treppen herunter gekommen war <strong>und</strong> sich hinter sie gestellt hatte,<br />
denn <strong>das</strong> Erste, was sie von ihrer Schwester hörte, war ihre Stimme<br />
hinter ihr <strong>und</strong> normalerweise war <strong>Lily</strong> alles andere als leise. Doch<br />
niemand anderer schien es bemerkt zu haben, da der Fernseher ungewöhnlich<br />
laut aufgedreht war <strong>und</strong> Emily ebenfalls in die Küche<br />
gegangen war, um dort den Putzdienst anzutreten, den sie immer<br />
vortäuschte, wenn Dudleys Eltern zu Besuch kamen.<br />
42
„Hol dir einen Löffel <strong>und</strong> hilf mir!“, sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> zeigte auf die<br />
zwei Liter Eis, die sie vor sich hatte.<br />
Sie setzte sich neben Harry aufs S<strong>of</strong>a. Die zwei Jungen hatten inzwischen<br />
einen ziemlich großen Teil der Torte verschlungen.<br />
„Nein, ich hol mir keinen Löffel“, flüsterte ihr <strong>Lily</strong> zu. „Mal<br />
schauen, ob <strong>das</strong> auch so klappt!“<br />
<strong>Dora</strong> drehte sich um <strong>und</strong> starrte ihre Schwester verwirrt an, doch<br />
bevor sie sich weiter fragen konnte, was diese vorhatte, begann diese<br />
etwas zu rufen.<br />
„ONKEL DUDLEY, ICH WILL EINEN LÖFFEL!“, schrie <strong>das</strong><br />
Mädchen aus Leibeskräften <strong>und</strong> kurz später stand Dudley in der Tür,<br />
einen zweiten Suppenlöffel in der Hand.<br />
„Braves Mädchen“, lachte er, „Aber gewöhn dir <strong>das</strong> bloß nicht<br />
an!“<br />
Jetzt war es <strong>Lily</strong> die lachte.<br />
„Danke, aber bequemer wäre <strong>das</strong> schon!“<br />
Sie nahm den Löffel <strong>und</strong> setzte sich neben <strong>Dora</strong>, die inzwischen<br />
große Löffel voll Eis in den M<strong>und</strong> nahm. Die Schokosoße hatte sie<br />
gleich über die ganzen zwei Liter in der Dose geleert <strong>und</strong> <strong>das</strong> ganze<br />
ergab eine schöne Sauerei, genauso wie die Torte der Jungs.<br />
Sam setzte sich auf einen Sessel daneben. Sie stellte einen Teller,<br />
voll mit Obsttorte – von der Dudley <strong>das</strong> Obst natürlich feinsäuberlich<br />
entfernt <strong>und</strong> dafür eine große Haube aus Schlagsahne darauf gespritzt<br />
hatte – auf den Tisch.<br />
Dudley setzte sich daneben, mit einer Zeitung in der Hand <strong>und</strong> ließ<br />
seinen Blick durch den Raum schweifen.<br />
„Genau wie früher!“, meinte er mit hochgezogenen Augenbrauen.<br />
Schon wenige Augenblicke später klingelte es an der Tür <strong>und</strong> er<br />
erhob sich, um seine Eltern ins Haus zu lassen. Im Flur schaute er<br />
noch mal schnell in den Spiegel, dann öffnete er die Eingangstüre<br />
des Hauses <strong>und</strong> seine Eltern kamen zum Vorschein.<br />
Petunia Dursley war über einen Kopf größer als ihr Ehemann <strong>und</strong><br />
die Kilos, die ihr Mann zu viel hatte, fehlten ihr. Auch bei der Ver-<br />
43
gabe der Halslänge war Vernon Dursley nicht gerade gut weggekommen,<br />
denn sein enormes Doppelkinn schien gleich in seinen Oberkörper<br />
überzugehen, während seine Frau die richtige Halslänge<br />
für ein Leben hier im Ligusterweg hatte. Leute über die Gartenzäune<br />
hinweg auszuspionieren war ihr damit noch nie schwer gefallen. Das<br />
einzige, was bei den beiden gleich war, waren die Haare, die langsam,<br />
aber sicher auch bei Petunia ins Graue übergingen.<br />
„Oh, Duddymatz!“, schrie sie, während sie ihrem Sohn in die<br />
Wangen kniff.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> hatten sich, wie alle anderen Familienmitglieder,<br />
mit Ausnahme von Emily, die noch immer die Küche zu putzen <strong>und</strong><br />
Essen zu machen hatte, auch, vom Fernseher abgewandt <strong>und</strong> schauten<br />
durch die Tür in den Flur, wo sich ihnen ein für sie viel interessanteres<br />
Schauspiel bot.<br />
„Hallo Mutter!“, sagte Dudley kleinlaut.<br />
Von der übertriebenen Fröhlichkeit, die seine Mutter an den Tag<br />
legte, war bei ihm jedoch nichts angekommen. Er blickte zu seinem<br />
Vater hinab, der um einiges Kleiner war, als er selbst.<br />
„Dudley, schön dich zu sehen! Alles normal hier?“<br />
Er blickte sich um <strong>und</strong> winkte der Nachbarin zu, die ihren Kopf<br />
durch den Vorhang eines Fenster ihres Hauses, welches sich auf der<br />
anderen Seite der Straße befand, gestreckt hatte, um nachzusehen,<br />
was denn bei ihren Nachbarn so vorging.<br />
Dann schaute er seinen Sohn an, welcher nur nickte.<br />
„Alles so wie früher auch!“, stöhnte Dudley. „Kommt doch rein!“<br />
Vernon, seine Stirn lag in Falten, starrte ihn an. Dudley, der sich<br />
von ihm abwandte, ließ ihn <strong>und</strong> seine Mutter an sich vorbeigehen. Er<br />
wollte die Türe etwas zu hart zuschmeißen, konnte sie aber gerade<br />
noch auffangen <strong>und</strong> schloss sie dann ohne einen Laut. Er nahm noch<br />
einen letzten tiefen Atemzug, bevor er sich von der Tür wegdrehte<br />
<strong>und</strong> seinen Eltern ins Wohnzimmer folgte.<br />
„Duddy, deine Kinder werden ja immer hübscher <strong>und</strong> artiger!“<br />
44
Dudley nickte. Wie recht seine Mutter doch hatte, aber anscheinend<br />
hatte er eine etwas andere Auffassung von hübsch <strong>und</strong> artig,<br />
denn im Moment sahen sie wirklich schrecklich aus, von oben bis<br />
unten voll mit Süßigkeiten, <strong>und</strong> brav waren sie auch nicht gerade,<br />
wenn man bedachte, <strong>das</strong>s nicht eines von ihnen ihre Großeltern gegrüßt<br />
hatte. Aber Petunia auf jeden Fall war entzückt <strong>und</strong> auch Vernon<br />
schien stolz auf seine Enkelkinder <strong>und</strong> auf seinen Sohn zu sein.<br />
„Ja, alles wie früher, mit nur einem Unterschied!“, grunzte.<br />
Dudley wandte seinen Blick von den Kindern ab <strong>und</strong> merkte, wie<br />
sein Vater auf die Tür des Wandschrankes unter der Treppe blickte<br />
<strong>und</strong> den Kopf schüttelte.<br />
„Lass ihn in Ruhe <strong>und</strong> kein Wort darüber, haben wir uns verstanden?“,<br />
zischte Dudley.<br />
Er spürte, wie sich sämtliches Leben im Raum nun auf ihn konzentrierte<br />
<strong>und</strong> deshalb ging er ein paar Schritte von seinem Vater<br />
weg <strong>und</strong> auf die Küchentür zu. Bis auf den Fernseher war kein Laut<br />
zu hören. Alle schauten abwechselnd zwischen Dudley <strong>und</strong> seinem<br />
Vater hin <strong>und</strong> her.<br />
„Ja ja, ist ja schon okay“, gab dieser von sich.<br />
Dudley warf ihm einen letzten bösen Blick zu, dann trat er ein paar<br />
weitere Schritte zurück.<br />
„Gut, wir können bald essen. Harry, steh auf <strong>und</strong> zeig deinen<br />
Großeltern <strong>das</strong> Haus!“, sagte er in einem auffällig ruhigem Ton.<br />
„Nein!“, schrie ihn sein Sohn an.<br />
„Oh, wie süß!“, stöhnte Petunia <strong>und</strong> schaute stolz auf Harry hinab,<br />
der noch immer trotzig zu seinem Vater schaute.<br />
„Okay James, dann übernimmst du!“, wies Dudley ihn an.<br />
Er zwinkerte Harry unauffällig zu <strong>und</strong> deutete James, <strong>das</strong>s er wirklich<br />
gehen sollte <strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort stand dieser auf <strong>und</strong> ging an seinen Geschwistern<br />
<strong>und</strong> Großeltern vorbei, hinaus auf den Flur.<br />
„Mir nach!“, befahl er laut <strong>und</strong> fuhr dann flüsternd fort. „Dann haben<br />
wir es wenigstens hinter uns!“<br />
45
Ebenso wie Sam standen auch <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> auf <strong>und</strong> folgten ihren<br />
‚Großeltern’ hinauf in den ersten Stock, wo sie, wie bei jedem ihrer<br />
Besuche, ihre Zimmerinspektion abhielten.<br />
Am Zimmer von Sam hatten die beiden nichts auszusetzen, denn<br />
alle Spielsachen, die sie jemals von ihren Großeltern bekommen hatte,<br />
lagen quer über den Boden verstreut, obwohl Sam normalerweise<br />
noch die ordentlichste der ganzen Familie Dursley war. Dass sie alle<br />
diese Sachen dann s<strong>of</strong>ort wieder wegpacken würde, war allen klar,<br />
bis auf ihre Großeltern.<br />
„Oh Vernon, schau mal! Sie spielt sogar noch mit ihrer Rassel, die<br />
wir ihr vor fast sieben Jahren geschenkt haben! Dudders wollte immer<br />
neue Sachen, der hat sich nie länger als eine Woche mit irgendetwas<br />
beschäftigt!“<br />
Petunia grinste übers ganze Gesicht, während <strong>Lily</strong> sie hinter ihrem<br />
Rücken nachäffte, was alle außer Vernon <strong>und</strong> Petunia zum Lachen<br />
brachte.<br />
„Nächstes Zimmer!“, rief der sonst eher stille James.<br />
Petunia konnte sich nur schwer von der unbenutzten Rassel, die<br />
seit nun schon fast sieben Jahren in der großen Kiste lag, losreißen<br />
<strong>und</strong> wandte sich mit stolzem Gesicht in Richtung Tür. Vernon grunze<br />
<strong>und</strong> folgte ihr.<br />
„Das Zimmer von Harry <strong>und</strong> mir!“, erklärte der Junge seinen<br />
Großeltern <strong>und</strong> trat zur Seite, damit sie eintreten konnten.<br />
„Wann wurde denn hier <strong>das</strong> letzte Mal Staub gesaugt?“, fragte sie<br />
<strong>und</strong> runzelte angewidert ihre Stirn.<br />
Von Vernon war ein weiteres Grunzen zu hören.<br />
„Vor vier Tagen oder so“, antwortete James.<br />
„Ich muss wohl mal ein ernstes Wörtchen mit eurer Mutter reden!<br />
Aber ist Duddys altes Zimmer nicht viel zu klein für euch zwei?“<br />
Obwohl zwei Betten, ein Kleiderschrank <strong>und</strong> zwei Schreibtische<br />
im Zimmer standen, war noch immer genug Platz, wenn die Jungs<br />
mal Lust hatten, im Haus ein paar Fußbälle zu schießen, auch wenn<br />
ihre Mutter <strong>das</strong> nicht gerne sah.<br />
46
James zuckte mit seinen Schultern in Richtung Zwillinge, bevor er<br />
antwortete.<br />
„O ja, es ist uns viel zu klein. Ich bräuchte für mich alleine schon<br />
zwei Schlafzimmer von dieser Größe!“<br />
Er lächelte Petunia scheinheilig zu, dann verdrehte er genervt die<br />
Augen hinter ihrem Rücken, während Vernon von einer Ecke in die<br />
andere ging <strong>und</strong> alles genauestens kontrollierte. Sogar die Schubladen<br />
des Schreibtisches öffnete er, nur um sie Sek<strong>und</strong>en später wieder<br />
zuzumachen, genau wie die schweren Türen des großen Kastens, der<br />
früher mal seinem eigenen Sohn gehört hatte.<br />
„Du bist genau wie Dudley früher! Er hatte auch immer zwei<br />
Schlafzimmer“, plauderte er vor sich hin. „Na ja, zumindest bis er elf<br />
Jahre alt war, dann kamen diese…“<br />
Er schien an so etwas Ekelhaftes oder Absurdes zu denken, <strong>das</strong>s er<br />
es gar nicht aussprechen konnte.<br />
„…<strong>und</strong> wir mussten diesen…“<br />
„EIN WORT MEHR UND IHR FLIEGT RAUS!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> fuhren herum. Hinter ihnen stand Dudley in der Tür<br />
<strong>und</strong> funkelte seinen Vater zornig an. Einige Sek<strong>und</strong>en traute sich<br />
niemand, auch nur ein Wort zu sagen, bis James wieder seine Stimme<br />
erhob.<br />
„Okay, gehen wir ins nächste Zimmer, <strong>das</strong> früher <strong>das</strong> zweite Zimmer<br />
von Dad war. Jetzt schlafen dort <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>!“<br />
Als alle sieben den Flur betraten, kamen auch Emily, die mit der<br />
Küchenarbeit wohl fertig sein musste, <strong>und</strong> Harry, der sich <strong>das</strong> Geschrei<br />
wohl doch nicht entgehen lassen wollte <strong>und</strong> sich vom Fernseher<br />
losgerissen hatte, dazu. Fragend blickten sie Dudley an, doch<br />
dieser gab ihnen keine Antwort, also folgten sie schweigend.<br />
„Hübsch aufgeräumt!“, stellte Petunia fest.<br />
Vernon machte komische Grimassen mit seiner Nase, so als würde<br />
irgendetwas im Raum fürchterlich stinken. <strong>Lily</strong> zog tief Luft ein,<br />
doch sie spürte nichts Besonderes. Ein Blick zu <strong>Dora</strong> sagte ihr, <strong>das</strong>s<br />
auch sie nichts riechen konnte.<br />
47
„Ah“, schrie Petunia plötzlich laut auf <strong>und</strong> rannte zu <strong>Dora</strong>s Bett.<br />
„Was ist <strong>das</strong> denn?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
„Was meinst du?“, fragte sie.<br />
„Was ist mit diesem Ohr passiert?“, rief sie noch immer vollkommen<br />
außer Atem.<br />
„Abgebrochen <strong>und</strong> wieder angeklebt“, meinte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> musste ein<br />
Kichern unterdrücken, als Petunia ihre alte Porzellanfigur mitleidig<br />
anschaute, so als müsste diese unerträgliche Schmerzen haben.<br />
Plötzlich stupste <strong>Lily</strong> ihre Schwester an <strong>und</strong> zeigte auf Vernon, der<br />
jetzt, seine Hände hinter dem Rücken verschränkt, durch den Raum<br />
ging. Sie Nase hatte er weit in die Höhe gestreckt <strong>und</strong> seine Nasenflügel<br />
weiteten sich jedes Mal, wenn er einatmete, so als würde er<br />
die Ursache für den nichtvorhandenen Gestank suchen. Bei seiner<br />
Suche kam er immer näher an den Kleiderschrank <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> wusste<br />
s<strong>of</strong>ort, was ihre Schwester beunruhigte.<br />
„Die Briefe liegen auch daneben!“, flüsterte <strong>Lily</strong>.<br />
Sie drehten sich um, um es Dudley mitzuteilen, doch schon war es<br />
zu spät <strong>und</strong> ein Schrei, noch lauter als der von Petunia, war zu hören.<br />
„EULEN!“, schrie Vernon, der die Schranktür nur einen Spaltbreit<br />
geöffnet hatte.<br />
So schnell sein massiger Körper es zuließ, rannte er auf die andere<br />
Seite des Raumes.<br />
„Was hat dieses Mistvieh hier zu suchen?“, schrie er <strong>und</strong> blickte<br />
dabei von einem Mädchen zum anderen.<br />
„Keine Ahnung, vielleicht ist es beim Fenster rein geflogen“, antwortete<br />
<strong>Lily</strong>, doch <strong>das</strong>s eine Eule nicht im Käfig beim geschlossenen<br />
Fenster herein fliegen <strong>und</strong> sich dann im Kasten einsperren konnte,<br />
war ihr klar <strong>und</strong> sie wusste, <strong>das</strong>s soweit sogar Vernon denken konnte.<br />
„Ah!“<br />
Petunia sprang in die Luft <strong>und</strong> klammerte sich von hinten an ihren<br />
Ehemann, dabei zeigte sie auf etwas, <strong>das</strong> aus dem Kasten gefallen<br />
48
war. <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> blickten sich nervös an <strong>und</strong> starrten dann zu<br />
Dudley, welcher den Brief auch gesehen hatte <strong>und</strong> den Anschein<br />
machte, als würde er am liebsten weit weglaufen. Er widerstand dem<br />
Drang jedoch <strong>und</strong> blieb stehen.<br />
Vernon befreite sich von seiner Frau <strong>und</strong> ging auf den Umschlag,<br />
auf dem <strong>das</strong> Wappen von Hogwarts ganz klar zu erkennen war, zu.<br />
Er hob ihn auf <strong>und</strong> las die Adresse.<br />
Die Stille wurde immer bedrückender.<br />
„Auf welche Schule geht ihr?“<br />
Die Explosion die die ganze Familie erwartet hatte, blieb aus.<br />
Stattdessen presste Vernon diese Frage kaum hörbar zwischen seinen<br />
Lippen hervor.<br />
„Smeltings?“, flüsterte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> trat einige Schritte zurück, hinter<br />
Dudley.<br />
Vernon riss die Schranktür nun ganz auf <strong>und</strong> schon hatte er auch<br />
den zweiten Brief in der Hand. Wieder las er den Namen, an den der<br />
Brief gerichtet war.<br />
„Und was ist dann <strong>das</strong> hier?“, fragte er noch immer flüsternd.<br />
Keiner im Raum traute sich auch nur laut zu atmen, so still war es<br />
<strong>und</strong> dennoch wussten alle, <strong>das</strong>s dies nur die Stille vor der unvermeidbaren<br />
Explosion war.<br />
„Einladungen nach Hogwarts!“, sagte Dudley plötzlich.<br />
„Aber sie werden dort nicht hingehen?“<br />
Obwohl Vernon genau zu wissen schien, <strong>das</strong> seine H<strong>of</strong>fnung vergebens<br />
war, fragte er seinen Sohn, seinen Blick aber noch immer auf<br />
den gelblichen Briefumschlag gerichtet.<br />
„Oh doch, wir werden dort hingehen!“, antwortete <strong>Lily</strong> mit zittriger<br />
Stimme.<br />
„Hattest du denn nicht schon genug davon? Fliegende Torten, Tante<br />
Magda an der Decke <strong>und</strong> dann diese Ditoren oder was auch immer!“,<br />
donnerte Vernon los.<br />
Die Kinder hielten sich die Ohren zu <strong>und</strong> verkrochen sich alle hinter<br />
Dudley, der einen Schritt auf seinen Vater zumachte.<br />
49
„Dass du es dieser Sippschaft erlaubst hier in deinem Haus zu leben!<br />
Ich hab dir von Anfang an gesagt, <strong>das</strong>s es eine blöde Idee ist,<br />
diese… diese…“<br />
Dudley drehte sich zu Harry um <strong>und</strong> flüsterte ihm etwas zu, während<br />
Vernon ein weiteres Mal kein Wort zu finden schien, <strong>das</strong> auch<br />
nur annähernd die Abscheu <strong>und</strong> den Hass ausdrücken konnte, die er<br />
verspürte.<br />
„Wenn du es wagst, auch nur eins der Mädchen zu beleidigen!“,<br />
drohte Dudley <strong>und</strong> breitete seine Hände schützend vor den beiden<br />
aus.<br />
„Na was willst du dann machen? Sie mir mit ihren Zauberstäben<br />
auf den Hals hetzen <strong>und</strong> ihnen sagen, sie sollen mir einen Ringelschwanz<br />
verpassen?“<br />
<strong>Lily</strong> schaute ihre Schwester an, doch auch diese wusste nicht weiter,<br />
sondern zuckte einfach nur mit den Schultern, als Harry zurückkam.<br />
Die beiden Mädchen hatten ihn gar nicht weggehen sehen, so<br />
verbittert hatten sie sich auf den Streit der beiden Männer konzentriert.<br />
„So 'was kannst du dir doch nicht ins Haus holen! Die hätte ich s<strong>of</strong>ort<br />
rausgeschmissen!“, brüllte Vernon.<br />
„Ja genau! Ich schmeiß die beiden aus dem Haus <strong>und</strong> setz meinen<br />
Sohn gleich noch dazu!“, antwortete ihm Dudley zornentbrannt, der<br />
Harry seinen Brief aus der Hand nahm <strong>und</strong> ihn Vernon vor die Füße<br />
warf.<br />
Dieser hob ihn auf <strong>und</strong> seine Augen weiteten sich, als er den Namen<br />
seines Enkels darauf las.<br />
„Ganz recht! Dein eigen Fleisch <strong>und</strong> Blut wird ebenfalls nach<br />
Hogwarts gehen <strong>und</strong> du kannst nichts dagegen unternehmen!“<br />
Vernon war außer sich. Er warf den Brief auf den Boden <strong>und</strong> bahnte<br />
sich einen Weg durch die Tür, vor der Dudley <strong>und</strong> dahinter seine<br />
Kinder standen.<br />
„Komm, wir gehen!“, rief er Petunia zu. „Und ich habe geglaubt,<br />
wir hätten dich gut erzogen!“<br />
50
„Das was ihr gemacht habt, war keine Erziehung! Heute tut es mir<br />
leid, <strong>das</strong>s ich es nicht früher gemerkt <strong>und</strong> ihm geholfen habe! Das<br />
war der größte Fehler meines Lebens! Verschwindet <strong>und</strong> lasst euch<br />
hier nicht mehr blicken!“<br />
Das ließen sich Vernon <strong>und</strong> Petunia nicht zweimal sagen. Mit einem<br />
letzten hasserfüllten Blick ins Gesicht ihres Sohnes rannte auch<br />
Petunia aus dem Zimmer <strong>und</strong> folgte ihrem Mann, der auf die Treppen<br />
zulief.<br />
„Und du!“, wandte sie sich an Emily. „Schau dir mal die zentimeterdicke<br />
Staubschicht in den Zimmern der Kinder an! Und so was<br />
soll eine Mutter sein!“<br />
Doch anstatt <strong>das</strong>s sich Emily aufregte, blieb sie ruhig <strong>und</strong> begann<br />
zu lachen.<br />
„Kündige doch nächstes Mal deinen Besuch wieder eine Woche<br />
früher an, dann hab ich ein paar Tage zum Aufräumen <strong>und</strong> nicht nur<br />
zwanzig Minuten, in denen ich auch noch die ganzen ekelhaften Geschenke<br />
von dir aus dem Schrank holen muss!“, rief sie ihr hinterher.<br />
„Los?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickte.<br />
Schon waren die beiden verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> unbemerkt zuerst an<br />
Petunia <strong>und</strong> dann an Vernon vorbeigerauscht. Vor der Treppe blieben<br />
beide Kätzchen stehen <strong>und</strong> als Vernon sich ihnen bis auf einen<br />
Meter genähert hatte, richteten sie sich zu zwei unschuldig aussehenden<br />
Mädchen auf, die ihren Großeltern mit einem Lächeln im<br />
Gesicht zuwinkten.<br />
Vor Schreck stolperte Vernon über eine der eingerollten Ecken des<br />
Teppichs <strong>und</strong> konnte sich gerade noch am Türgriff festhalten, um<br />
nicht hinzufallen. Seine Frau hatte ihn inzwischen eingeholt <strong>und</strong> gemeinsam<br />
stürzten sie aus dem Haus. Schon bevor Dudley die Tür<br />
erreichte, hörten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> den Motor des Autos starten <strong>und</strong> die<br />
beiden waren weg.<br />
Diesmal war Dudley es, der den Nachbarn zuwinkte. Von allen<br />
Seiten waren jetzt Augen auf <strong>das</strong> Haus gerichtet, <strong>das</strong> konnten sogar<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> von ihrem Platz hinter ihrem Onkel erkennen, doch<br />
51
dieser ließ sich nicht beirren, sondern lächelte so, als wäre nichts<br />
gewesen.<br />
„Gut gemacht, Kinder!“, sagte er <strong>und</strong> klang amüsiert, während sich<br />
seine gesamte Familie hinter ihm versammelte. „Das war doch mal<br />
ein filmreifer Abgang!“<br />
52
53<br />
Kleine Lehrer <strong>und</strong> fliegende Besen<br />
„<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong>, steht auf, Hagrid wird in etwa einer halben St<strong>und</strong>e<br />
hier sein!“<br />
<strong>Dora</strong> blinzelte verschlafen <strong>und</strong> hielt sich eine Hand vor die Augen,<br />
so<strong>das</strong>s sie die Sonnenstrahlen, die durch <strong>das</strong> große Fenster ins<br />
Schlafzimmer der Zwillinge kamen, nicht erreichen konnten.<br />
„Von wo weißt…“, wollte sie gerade fragen, als Tante Emily einen<br />
Brief hochhielt.<br />
„Der ist von Hagrid. Kam gerade per Eulenpost! Daran müssen wir<br />
uns wohl jetzt gewöhnen, oder?“<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Weck die anderen, in einer Viertelst<strong>und</strong>e sind wir unten!“<br />
Emily schloss die Tür hinter sich wieder <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schälte sich aus<br />
ihrer Decke. Inzwischen hatte auch ihre Schwester ihre Augen <strong>of</strong>fen<br />
<strong>und</strong> sie setzte sich im Bett auf, um <strong>Dora</strong> anzuschauen.<br />
„Jetzt geht’s ans Einkaufen, wobei ich noch immer keine Ahnung<br />
habe, wo diese Winkelgasse überhaupt sein soll!“, sagte sie verschlafen.<br />
<strong>Dora</strong> ging zum Schreibtisch <strong>und</strong> nahm den kleinen Brief, den Emily<br />
ihnen hinterlassen hatte. Er war adressiert an:<br />
Familie Dursley<br />
Überall im Haus<br />
Ligusterweg 4<br />
Little Whinging<br />
Surrey<br />
Sie öffnete ihn vorsichtig <strong>und</strong> ein noch kleineres Pergamentblatt kam<br />
zum Vorschein, welches sie sorgfältig auseinander faltete. In großen,<br />
fast unleserlichen Buchstaben war eine Nachricht von Hagrid darauf<br />
geschrieben.
Komme morgen früh zum Einkaufen in der Winkelgasse!<br />
Hagrid<br />
Sie las die zwei Zeilen <strong>und</strong> legte den Brief dann wieder weg.<br />
„Er hatte Recht, als er geschrieben hat, <strong>das</strong>s er früh zum Einkaufen<br />
kommt!“, stellte <strong>Dora</strong> mit einem Blick auf die Uhr fest.<br />
Es war gerade mal halb sieben Uhr morgens <strong>und</strong> <strong>das</strong> war eine Zeit,<br />
zu der die Mädchen in den Sommerferien normalerweise nicht mal<br />
ans Aufstehen dächten, aber heute war es genau <strong>das</strong> Gegenteil. Sie<br />
konnten richtige Morgenmuffel sein, aber am diesem Tag waren sie<br />
ausgesprochen gut aufgelegt <strong>und</strong> vor allem waren sie neugierig. Bis<br />
spät in die Nacht hinein hatten sie über den Ausflug heute gesprochen.<br />
Sogar die Aufregung über die Abreise von Bahngleis neun<br />
dreiviertel, die in einer Woche stattfinden sollte, hatten sie fast vergessen.<br />
Es dauerte nur wenige Minuten, bis <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> sich fertiggemacht<br />
hatten. Sie waren wieder einmal die ersten, die im Wohnzimmer<br />
ankamen <strong>und</strong> sich auf <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a setzten. Von oben hörten sie<br />
schnelle Schritte <strong>und</strong> Emily wollte Sam dazu bringen, ein Kleid anzuziehen,<br />
<strong>das</strong> diese anscheinend überhaupt nicht ausstehen konnte,<br />
während Geschrei aus dem Zimmer der Jungen kam. Um was sie<br />
diesmal stritten wollten die Mädchen gar nicht wissen.<br />
Der erste, der bei ihnen ankam, war Dudley. Es war ungewohnt,<br />
ihn mal in normalen Kleidern zu sehen, denn normalerweise bekamen<br />
ihn seine Kinder fast nur in seiner blauen Polizeiuniform zu Gesicht,<br />
da er es vorzog, sich gleich in ihr zum Abendessen zu setzen<br />
<strong>und</strong> sie erst vorm Schlafengehen auszuziehen. Heute trug er seine<br />
beste Jeans <strong>und</strong> ein neues T-Shirt, welches <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> überhaupt<br />
noch nie gesehen hatten. Auch Emily, die von Natur aus sehr hübsch<br />
war, hatte sich extra schön hergerichtet. Ihre Haare hatte sie zusammengeb<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> sie trug ein leichtes Sommerkleid. Bei der Hitze<br />
war ihr <strong>das</strong> auch nicht zu verdenken, denn noch immer hatte es keinen<br />
einzigen Tropfen geregnet.<br />
54
Ein paar Augenblicke nachdem Sam, die sich jetzt doch zu dem<br />
Kleid hatte überreden lassen, die Treppe herunter ins Wohnzimmer<br />
gekommen war, kamen auch James <strong>und</strong> Harry. Sie würdigten sich<br />
keines Blickes, doch kein anderes Familienmitglied sagte etwas dazu,<br />
da ihre Streitereien im Hause Dursley sowieso schon zur Tagesordnung<br />
gehören. Wenn sie sich mal einen Tag vertrugen, dann führten<br />
sie sicher irgendetwas im Schilde oder sie waren so krank, <strong>das</strong>s<br />
es zu anstrengend für sie war, mit dem anderen zu sprechen.<br />
<strong>Dora</strong> fragte sich insgeheim, wie Harry es aushalten sollte, so lange<br />
ohne seinen geliebten Streitpartner auszukommen, denn sie war der<br />
Meinung, <strong>das</strong>s die beiden die ganze Zeit aufeinander rumhackten,<br />
weil es ihnen Spaß machte. Wenn einer von beiden mal einen Tag<br />
nicht zu Hause war, dann war der andere unerträglich <strong>und</strong> ein unerträglicher<br />
Harry war einfach nur schrecklich.<br />
„Okay, sind alle fertig?“, fragte Dudley, als sich seine gesamte<br />
Familie um ihn herum versammelt hatte.<br />
Zustimmendes Gemurmel folgte, nur die beiden Jungs sagten<br />
nichts, sondern schauten in entgegen gesetzte Richtungen.<br />
„Gut, dann lasst uns hinausgehen in den Garten, Hagrid müsste jeden<br />
Augenblick auftauchen. „Und ich h<strong>of</strong>fe ihr wisst, wie ihr euch<br />
zu benehmen habt. Hört ihr, Harry <strong>und</strong> James?“<br />
Die Jungs nickten trotzig.<br />
„Und ihr zwei“, er blickte zu <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, „benehmt euch auch<br />
wie normale Menschen! Ich habe keine Ahnung, was uns erwartet<br />
<strong>und</strong> wo uns Hagrid hinbringt, aber keine Katzen, verstanden?“<br />
Auch die beiden Mädchen nickten. Also Dudley schien diesen<br />
Ausflug nicht als irgendetwas Besonderes anzusehen, denn die Regeln<br />
waren so wie immer: Brav sein <strong>und</strong> nicht in irgendwelche Tiere<br />
verwandeln.<br />
Schon bevor <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> die Haustüre erreicht hatten, hörten sie<br />
wieder <strong>das</strong> Geräusch des unsichtbaren Motors, <strong>das</strong> immer lauter<br />
wurde. Sie stellten sich in den Garten <strong>und</strong> warteten, bis es verstummt<br />
55
war <strong>und</strong> wenige Momente später kam hinter der Hausecke Hagrid<br />
zum Vorschein.<br />
„Verdammt neugierige Muggel habt ihr hier!“, murmelte er zur<br />
Begrüßung <strong>und</strong> warf dem Gesicht der Nachbarin, welches sich wieder<br />
zwischen den Vorhängen blicken ließ, einen bösen Blick zu.<br />
„Nich’ mal mehr ordentlich vor dem Haus kann man parken!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> winkten der Nachbarin zu, welche ein gequältes Lächeln<br />
hervorbrachte, jedoch ihre Augen nicht von der riesigen Gestalt<br />
im Garten ihrer Nachbarn lassen konnte.<br />
„Ich könnte leider nur eine Person mit mir auf dem Motorrad mitnehmen,<br />
also müsst ihr mit einem von diesen Autos fahren, während<br />
ich fliege“, stellt Hagrid mit einem Blick auf <strong>das</strong> Auto der Dursleys<br />
fest.<br />
Dudley nickte.<br />
„Wohin müssen wir?“, fragte er.<br />
„Charing Cross Road. Warte vor’m Pub zwischen dem Plattenladen<br />
<strong>und</strong> der Buchhandlung. Findest dorthin, Dursley?“, fragte<br />
Hagrid <strong>und</strong> musterte Dudley nachdenklich.<br />
„Ja, dürfte nicht so schwer zu finden sein!“, antwortete er nervös.<br />
„Jemand Lust zu fliegen? Einen Platz hab ich!“<br />
Hagrid schaute von <strong>Lily</strong> zu <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> dann zu Harry, welcher der<br />
Erste war, der aufgeregt zu nicken begann.<br />
„Darf ich?“, fragte er schüchtern.<br />
Hagrid nickte.<br />
„Hab ich doch versprochen!“<br />
Harry schaute noch zu seinem Vater auf, welcher nur stumm nickte.<br />
Emily machte ein besorgtes Gesicht, sagte aber nichts.<br />
„Also gut, dann los. Bis dann Dursley!“<br />
Hagrid warf ihm noch einen Blick zu, den weder <strong>Lily</strong> noch <strong>Dora</strong><br />
zu deuten wussten, dann kletterten sie hinter Sam <strong>und</strong> James ins große<br />
Auto. Sam setzte sich in den Kindersitz, James daneben <strong>und</strong> die<br />
Zwillinge in die Band dahinter. Sie sahen noch zu, wie Harry Hagrid<br />
hinters Haus folgte, dann fuhren sie weg.<br />
56
Während der ganzen Aut<strong>of</strong>ahrt sagte niemand ein Wort, nur Sam<br />
fragte, ob sie heute noch mehr so große Menschen wie Hagrid sehen<br />
würden. Da keiner die Antwort auf ihre Frage wusste, wurde sie ihr<br />
aber auch nie beantwortet. Doch <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> warfen sich einen<br />
besorgten Blick zu. Was, wenn alle Zauberer so groß waren wie er?<br />
Er war der erste <strong>und</strong> einzige, den sie jemals gesehen hatten. Was,<br />
wenn sie die einzigen waren, die ‚Muggelgröße’ hatten?<br />
Diese <strong>und</strong> andere Fragen verfolgten sie die ganze Fahrt. Plötzlich,<br />
als Dudley gerade sagte, <strong>das</strong>s sie schon ganz in der Nähe sein müssten,<br />
öffnete sich eine schäbige Holztür <strong>und</strong> sie konnten Hagrid erkennen,<br />
der gefolgt von Harry ein kleines Gebäude verließ. Erst bei<br />
genauerer Betrachtung sahen die Zwillinge <strong>das</strong> Holzschild über der<br />
Tür, <strong>das</strong> die Aufschrift ‚Zum tropfenden Kessel’ trug.<br />
„Hallo!“, schrie Harry <strong>und</strong> kam hinter seinem großen Gefährten<br />
hervor, als sie aus dem Auto ausstiegen. „Während ihr gefahren seid,<br />
ist Hagrid mit mir um ganz London geflogen <strong>und</strong> dann waren wir<br />
noch da drin was trinken!“<br />
Er strahlte übers ganze Gesicht.<br />
„Hab nich’ gedacht, <strong>das</strong>s ihr so lang braucht… Müssen uns beeilen,<br />
hab’n noch viel vor heute, also los!“<br />
Hagrid zeigte auf die Tür, aus die Harry <strong>und</strong> er gerade gekommen<br />
waren. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, welche ein wenig verwirrt waren, aufgr<strong>und</strong><br />
der Tatsache, <strong>das</strong>s sie jetzt in eine Kneipe gehen sollten, obwohl sie<br />
doch noch soviel vorhatten, blickten Harry an, als dieser mit ihnen<br />
zu sprechen begann.<br />
„Egal was ihr macht, bestellt euch ja keine Cola da drinnen. Die<br />
schauen euch an, als wärt ihr aus irgendeiner Anstalt für Geisteskranke<br />
ausgebrochen. Hagrid hat mir dann Kürbissaft bestellt, also<br />
nehmt <strong>das</strong>, <strong>das</strong> finden sie nämlich nicht so abwegig…“<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nickten.<br />
„Und du bist wirklich geflogen?“, fragte James, der dich hinter ihnen<br />
herging, um auch ja kein Wort zu verpassen.<br />
„Ja“, antwortete Harry.<br />
57
Er hatte anscheinend vergessen, <strong>das</strong>s er nichts mit seinem Bruder<br />
redete.<br />
„Und wie war’s?“, fragte er.<br />
„Extrem genial! Zuerst hat mir Hagrid mit seinem Regenschirm<br />
auf den Kopf gehauen, dann wurde ich unsichtbar, genau wie er, <strong>und</strong><br />
dann hat er mich auf <strong>das</strong> unsichtbare Motorrad gesetzt <strong>und</strong> ist weggeflogen.<br />
Mann, so schnell war ich noch nie unterwegs!“<br />
James’ Augen glänzten.<br />
„Ich will auch in diese Schule, vielleicht darf ich <strong>das</strong> dann auch<br />
mal machen“, stöhnte er.<br />
Die anderen drei lachten. Aber Recht hatte er schon. Sogar die<br />
Zwillinge, die sich normalerweise nicht so für Motorsport begeistern<br />
konnten, würden nicht nein sagen, wenn Hagrid ihnen noch mal anböte,<br />
mit seinem Motorrad mit zu fliegen.<br />
„Wie hoch wart ihr?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ach, durch die eine oder andere Wolke sind wir schon gekommen<br />
<strong>und</strong> dann sind wir runter <strong>und</strong> unter eine Brücke durch, oder um einen<br />
Kirchturm herum…“<br />
Das Strahlen auf Harrys Gesicht war noch immer nicht verschw<strong>und</strong>en,<br />
als Hagrid sie an der Bar vorbeiführte, hinter der ein<br />
kahlköpfiger, zahnloser Wirt zum Vorschein kam.<br />
„Ah Hagrid, soll’s noch was sein?“, fragte er.<br />
„Nein, lass ma’ gut sein, Tom. Heute nich’, wir haben noch Schulsachen<br />
für drei von denen zu kaufen!“<br />
Hagrid zeigte zuerst auf Harry <strong>und</strong> dann auf die beiden Zwillinge.<br />
Der Mann, der anscheinend Tom hieß, nickte <strong>und</strong> polierte ein großes<br />
Glas mit einem alt aussehenden Lappen.<br />
„Na gut, lasst euch mal wieder hier blicken! Ist furchtbar langweilig,<br />
wenn alle nur einkaufen gehen <strong>und</strong> keiner hier bleiben will…<br />
Man sieht sich, Hagrid!“, schien er sich von den Gästen, die gerade<br />
seinen Pub betreten hatten, auch schon wieder verabschieden zu wollen.<br />
„Komischer Kauz“, flüsterte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickte.<br />
58
Sie schaute sich im Lokal um, in dem niemand außer ihnen <strong>und</strong><br />
dem Wirt zu erkennen war. Es war auch niemandem zu verübeln,<br />
wenn er nicht hierher kommen wollte. Gerade mal zwei kleine Fenster<br />
brachten Tageslicht herein <strong>und</strong> alles andere war mit halb heruntergebrannten<br />
Kerzen beleuchtet. Tom, der zwar ein höfliches Lächeln<br />
aufgesetzt hatte, wirkte in <strong>Dora</strong>s Augen auch alles andere als<br />
einladend. Freiwillig würde sie hier auch nichts trinken wollen.<br />
Hagrid ging ihnen voraus durch eine Tür, die in einen kleinen Hinterh<strong>of</strong><br />
des Pubs führte. Auf allen Seiten war dieser von einer hohen<br />
Steinmauer umgeben. Doch noch bevor <strong>Lily</strong> fragen konnte, was sie<br />
denn hier machen wollten, zog Hagrid wieder seinen rosa Regenschirm<br />
aus der Manteltasche <strong>und</strong> murmelte etwas, während er mit<br />
der Spitze auf einzelne Steine der Mauer klopfte.<br />
„Drei nach oben… zwei zur Seite…“<br />
Er stoppte <strong>und</strong> betrachtete kurz einen Stein, bevor er dreimal mit<br />
dem Schirm auf ihn klopfte <strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort drehte sich dieser Stein zur<br />
Seite <strong>und</strong> immer mehrere Steine folgten seinem Vorbild <strong>und</strong> bald<br />
war ein Torbogen zu sehen, so groß, <strong>das</strong>s sogar Hagrid sich hindurchzwängen<br />
konnte.<br />
„Mir nach!“, sagte Hagrid <strong>und</strong> ging als erstes hindurch.<br />
Als alle ihm gefolgt waren, schloss sich der Durchgang hinter ihnen<br />
wieder. Was die Mädchen auf der anderen Seite erblickten, verschlug<br />
ihnen die Sprache. H<strong>und</strong>erte von Gestalten gingen die verwinkelte<br />
Gasse, die sich vor ihnen eröffnete, entlang, blieben an<br />
Schaufenstern stehen, betraten oder verließen einige der Gebäude,<br />
die verdächtig nach Geschäften aussahen <strong>und</strong> schleppten große Taschen<br />
<strong>und</strong> einige hielten Holzstäbe umklammert.<br />
„Ich glaube, du brauchst den Plastikzauberstab nicht zu suchen!“,<br />
flüsterte <strong>Lily</strong> Harry zu, doch dieser war zu gebannt von dem Schauspiel,<br />
<strong>das</strong> sich ihnen bot, um auch nur daran zu denken, seiner Cousine<br />
eine Antwort zu geben.<br />
<strong>Dora</strong> blickte die Personen an, die zügig an ihnen vorbeiliefen. Jede<br />
von ihnen war in einen Umhang gehüllt <strong>und</strong> manche trugen einen<br />
59
von den Spitzhüten, über die sie vor Tagen noch gelacht hatten. S<strong>of</strong>ort<br />
fühlte sich <strong>Dora</strong> wie eine Außenseiterin, mit ihren normalen<br />
Kleidern. Manche lächelten sie an, manche waren so in Gespräche<br />
mit anderen vertieft, <strong>das</strong>s sie die verblüffte Familie ganz übersahen.<br />
„Willkommen in der Winkelgasse!“, sagte Hagrid lachend. „Zur<br />
Seite Kinder, hier will jemand durch!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gingen von der Mauer, in der der Torbogen jetzt erneut<br />
erschienen war, ein paar Schritte weg, so<strong>das</strong>s die zwei alten<br />
Zauberer, die darin erschienen waren, an ihnen vorbei gehen konnten.<br />
„Also, wo beginnen wir…“, dachte Hagrid nach. „Ach ja, ihr<br />
müsst Geld wechseln gehen, hier könnt ihr nämlich nicht mit Muggelgeld<br />
bezahlen. Gringotts, die Zaubererband, befindet sich dort<br />
hinten!“<br />
Er zeigte auf ein großes, weißes Gebäude ein Stückchen von ihnen<br />
entfernt <strong>und</strong> deutete ihm zu folgen, als Dudley ihn zurückhielt.<br />
„Schon okay, ich erledige <strong>das</strong>!“, sagte er bestimmt.<br />
„Aber ’s wäre besser, wenn ich mitkomme. Die Kobolde sind nicht<br />
die nettesten!“, warf Hagrid ein, doch Dudley schüttelte den Kopf.<br />
„Kobolde? Ach so, war ja klar…“, flüsterte er, mehr zu sich selbst,<br />
als zu irgendjemand anderem. „Ich bin in ein paar Minuten wieder<br />
zurück!“<br />
„Aber…!“, versuchte Hagrid noch mal sein Glück.<br />
„Kein ‚aber’, mit ein paar Kobolden komme ich schon noch alleine<br />
klar!“<br />
Hagrid legte seine Stirn in Falten, sagte aber nichts, als Dudley davoneilte.<br />
Dann drehte er sich noch mal zurück.<br />
„Wie viel Geld braucht jeder von ihnen?“<br />
Er schaute Hagrid fragend an <strong>und</strong> dieser ging ein paar Schritte auf<br />
ihn zu, während er mit den Schultern zuckte, bevor er antwortete.<br />
„Mummy?“, begann Sam plötzlich zu schreien. „Schau mal, der da<br />
ist nur so groß wie ich!“<br />
Sie zeigte mit ihrem Finger auf einen kleinen Zauberer.<br />
60
„Man zeigt nicht mit dem Finger auf andere!“, flüsterte ihr ihre<br />
Mutter zu <strong>und</strong> Sam senkte ihre Hand, doch zu spät, der Mann mit<br />
den weißen Haaren hatte sie bereits bemerkt <strong>und</strong> kam auf sie zu.<br />
Erst jetzt fiel <strong>Dora</strong> auf, <strong>das</strong>s ihre Größe hier durchaus in Ordnung<br />
war, denn auch unter all den Zauberern <strong>und</strong> Hexen war Hagrid noch<br />
immer der Größte <strong>und</strong> keiner reichte auch nur annähernd an ihn heran.<br />
Sie schaute erleichtert in Richtung <strong>Lily</strong>, als der kleine Zauberer<br />
vor ihnen stehen blieb.<br />
„Muggel?“, fragte er.<br />
Er klang aber nicht etwa unhöflich oder beleidigt, weil Sam auf ihn<br />
gezeigt hatte. Ganz im Gegenteil, er lächelte jedes Familienmitglied<br />
fre<strong>und</strong>lich an.<br />
„Ich schätze ja“, antwortete Emily.<br />
Dann blickte er in die verw<strong>und</strong>erten Gesichter der Kinder.<br />
„Erstes Jahr Hogwarts würde ich schätzen?“<br />
Sie nickten <strong>und</strong> sein Lächeln wurde noch breiter.<br />
„Ah, sehr erfreut. Darf ich mich vorstellen? Pr<strong>of</strong>essor Filius Flitwick,<br />
Lehrer im Fach Zauberkunst an der Hogwarts-Schule für Hexerei<br />
<strong>und</strong> Zauberei“, quiekte er mit seiner etwas höheren Stimme.<br />
Er streckte die Hand aus <strong>und</strong> reichte sie erst <strong>Dora</strong>.<br />
„Hallo, ich bin <strong>Dora</strong> Dursley“, sagte sie.<br />
„Und ich bin <strong>Lily</strong> Dursley“, stellte sich <strong>Lily</strong> vor, als ihr die Hand<br />
gereicht wurde.<br />
„Ich seh schon, <strong>das</strong> wird ein Spaß, auch beide auseinanderzuhalten“,<br />
lachte der Lehrer.<br />
„Und wer bist du?“<br />
Er wollte auch Sam begrüßen, doch diese Klammerte sich mit beiden<br />
Händen an ihre Mutter.<br />
„Das ist Sam“, antwortete Harry. „Samantha Dursley meine ich.<br />
Sie ist meine kleine Schwester <strong>und</strong> ich bin Harry Dursley <strong>und</strong> komme<br />
auch nach Hogwarts.“<br />
Der Lehrer strahlte ihn an <strong>und</strong> wandte sich dann an James.<br />
„Hallo, ich bin James Dursley, bin aber zu jung“, murmelte er.<br />
61
„Ah, kein Problem, dann eben nächstes Jahr!“, murmelte Flitwick<br />
<strong>und</strong> James nickte schüchtern.<br />
Dann beugte sich Emily nach unten, um die ausgestreckte Hand<br />
des Lehrers, der ihr nur knapp über die Knie reichte, ergreifen zu<br />
können.<br />
„Freut mich Pr<strong>of</strong>essor. Ich bin Emily Dursley!“<br />
Flitwick nickte aufmerksam <strong>und</strong> sah dann die ganze Familie noch<br />
mal an.<br />
„Also drei Kinder von einer Familie in einem Jahrgang. Das wird<br />
spannend!“, quiekte er.<br />
„Na ja, wir sind nicht wirklich verwandt, wir wurden adoptiert“,<br />
erklärte ihm <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> der kleine Mann vor ihr runzelte seine Stirn.<br />
„Was für ein Zufall. Interessant, interessant. Nicht verwandt <strong>und</strong><br />
trotzdem kommt wurdet ihr alle in Hogwarts aufgenommen.“<br />
Die drei nickten.<br />
„Na dann will ich euch mal nicht länger aufhalten! In einer Woche<br />
sehen wir uns wieder <strong>und</strong> viel Spaß noch in der Winkelgasse!“<br />
Die Zwillinge nickten ihm zu <strong>und</strong> schon hatte er sich abgewandt<br />
<strong>und</strong> ging langsam davon, in <strong>das</strong> nächstgelegene der Geschäfte. <strong>Lily</strong><br />
blickte ihm hinterher <strong>und</strong> dabei fielen ihr die vielen Werbeplakate<br />
auf, die alle den Titel „Qualität für Quidditch“ trugen. Dieselbe Aufschrift,<br />
die auch über der Tür zu lesen war. Auf den Plakaten konnte<br />
sie aus der Ferne einen Jungen erkennen, der auf einem Besen saß.<br />
Sie stupste ihre Schwester an <strong>und</strong> deutete auf die Plakate. <strong>Dora</strong> folgte<br />
ihr augenblicklich.<br />
Als sie näher kamen sahen sie, <strong>das</strong>s es keine Einbildung gewesen<br />
war. Der schwarzhaarige junge Mann, mit den grünen Augen <strong>und</strong><br />
der r<strong>und</strong>en Brille, welcher darauf zu sehen war saß tatsächlich auf<br />
einem Besen <strong>und</strong> nicht nur <strong>das</strong>. Er machte elegante Bewegungen <strong>und</strong><br />
schlängelte sich gekonnte an Häusern <strong>und</strong> Bäumen vorbei, wobei er<br />
immer nur wenige Zentimeter Platz zwischen sich selbst <strong>und</strong> den<br />
Hindernissen ließ. Dabei lächelte er alle Passanten an.<br />
<strong>Dora</strong> las den Werbeslogan, der darüber zu lesen war.<br />
62
63<br />
Willst du fliegen wie Harry Potter?<br />
Langjähriges Sonderangebot: Feuerblitz<br />
Der Besen, mit dem er einst seine Siege flog!<br />
„Die bewegen sich!“, sagte <strong>Lily</strong> mit großen Augen, drehte sich um<br />
<strong>und</strong> winkte Harry herbei.<br />
Dieser ließ auch nicht lange auf sich warten, als er gesehen hatte,<br />
was seine beiden Cousinen da anstarrten. Ungläubig schaute er auf<br />
<strong>das</strong> Plakat, auf dem der Junge noch immer unablässig seine Kreise<br />
über <strong>das</strong> Land zog.<br />
„Wow!“, staunte er. „Ich glaube, den Staubsauger können wir vergessen!<br />
Oder meinst du, <strong>das</strong>s man mit denen noch schneller fliegen<br />
kann als mit Besen?“<br />
Die Mädchen begannen zu lachen.<br />
„Also müssen wir nicht unsere Schlafzimmer putzen!“, stellte <strong>Dora</strong><br />
fest. „Fliegende Besen… Ja, warum sollte man sich auch bequem in<br />
ein Flugzeug setzen, wenn man sich genauso gut an einen Holzstiel<br />
klammern kann?“<br />
Plötzlich schreckten die drei aus ihrem Lachen hoch <strong>und</strong> drehten<br />
sich um. Ein wütend aussehender Dudley war hinter ihnen aufgetaucht.<br />
Er schaute kurz auf die Plakate, schien die Aufschrift zu lesen<br />
<strong>und</strong> schaute dann nach der Reihe nach <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Harry an.<br />
„Erstens dürft ihr keine Besen haben <strong>und</strong> zweitens sollt ihr nicht<br />
einfach so irgendwo hier alleine rumlaufen. Keiner von uns kennt<br />
sich hier raus, wenn ihr euch verlauft, dann kann es St<strong>und</strong>en dauern,<br />
bis wir euch wieder finden!“, sagte er, für seine Verhältnisse etwas<br />
zu laut, denn normalerweise war er zwar streng, wann immer er es<br />
für richtig hielt, aber richtig zu schreien begann er nie. „Jetzt kommt<br />
schon hier weg, wir müssen einkaufen!“<br />
<strong>Lily</strong> zuckte mit den Schultern, als sie den fragenden Blick ihrer<br />
Schwester sah <strong>und</strong> dann folgten beide den aufgebrachten Onkel.
„Ich hab <strong>das</strong> Geld!“, sagte Dudley zu Hagrid, der ihn misstrauisch<br />
anschaute.<br />
„Okay, dann würd’ ich vorschlag’n, <strong>das</strong>s ich die drei Kinder nehm’<br />
<strong>und</strong> mit ihnen einkauf’n geh, während ihr euch hier umschaut. Die<br />
woll’n nämlich sicher nich’, <strong>das</strong>s wir ihnen zu acht die Geschäfte<br />
verstopf’n!“, schlug Hagrid vor.<br />
Emily schaute sich noch mal besorgt um, doch nickte dann. Auch<br />
Dudley schien nicht ganz einverstanden zu sein, gab aber angesichts<br />
der Tatsache, <strong>das</strong>s er gegen Hagrid sowieso keine Chance hatte, nach<br />
<strong>und</strong> nickte. Er drückte Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> jeweils einen Beutel in<br />
die Hand, der mit Geld gefüllt zu sein schien. <strong>Dora</strong> wusste nicht, ob<br />
es ihr nur so vorkam, oder ob der von Harry wirklich ein wenig kleiner<br />
war als ihre. Aber sie dachte nicht länger darüber nach, weil<br />
Hagrids Stimme sie aus ihren Gedanken riss.<br />
„In sechs St<strong>und</strong>en wieder hier würd’ ich sag’n!“, sagte Hagrid, zu<br />
dem sich in der Zwischenzeit <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Harry gesellt hatten.<br />
Somit trennten sich ihre Wege. Während Dudley gemeinsam mit<br />
Emily, Sam <strong>und</strong> James in die entgegengesetzte Richtung davonging,<br />
betrachtete Hagrid den Zettel mit den Schulsachen, den er Harry aus<br />
der Hand genommen hatte.<br />
„Könnt’n sich auch ma’ was Neues einfall’n lass’n!“, grunzte er.<br />
„Fangen wir bei Madame Malkins an. Hat die besten Umhänge weit<br />
<strong>und</strong> breit, kann ich euch versichern. Also hopp hopp, rein mit euch!“<br />
Hagrid blieb vor dem Geschäft stehen, was <strong>Dora</strong> auch gleich<br />
verstand, als sie eintraten. Der Raum war nicht wirklich groß <strong>und</strong><br />
Hagrid hätte wohl noch die letzten freien Quadratmeter belegt. Außer<br />
einer etwas älteren, stämmigen Hexe war niemand hier.<br />
„Guten Tag, wie kann ich euch helfen?“<br />
Sie legte den schwarzen Umhang beiseite, welchen sie gerade in<br />
der Hand hatte, <strong>und</strong> eilte auf die drei zu.<br />
<strong>Lily</strong> faltete den Brief auseinander.<br />
„Können wir hier Drachenhauthandschuhe <strong>und</strong> Spitzhüte bekommen?“,<br />
fragte sie leise <strong>und</strong> machte sich insgeheim darauf gefasst,<br />
64
<strong>das</strong>s die Hexe laut zu lachen beginnen würde, aufgr<strong>und</strong> der absurden<br />
Frage nach Handschuhen dieser Art.<br />
„Hogwarts, erster Jahrgang mit Muggelabstammung würde ich raten.<br />
Habe ich Recht?“<br />
Die drei nickten, genauso wie Madame Malkin.<br />
„Zeigst du mir mal den Brief?“, fragte sie höflich <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> gab ihn<br />
ihr in die Hand.<br />
„Ah, okay. So wie immer. Ich hol mir schnell Hilfe, damit es<br />
schneller geht <strong>und</strong> dann können wir loslegen. Ihr habt Glück, wir<br />
haben die normale Arbeitsbekleidung in Aktion. Kaufe drei, zahle<br />
zwei oder in eurem Fall: Kaufe neun, bezahle sechs.“<br />
Sie lächelte <strong>und</strong> watschelte aus dem Raum. Kurz später kam sie<br />
mit einer jungen Hexe im Schlepptau zurück.<br />
„Guten Tag“, begrüßte sie die drei Kinder. „Mein Name ist Cho<br />
Chang. Ich bin Angestellte des Ministeriums in der Abteilung für<br />
magische Strafverfolgung <strong>und</strong> jetzt bin ich hier!“<br />
Cho wirkte irgendwie beleidigt, lächelte die Zwillinge <strong>und</strong> deren<br />
Cousin aber an.<br />
„Also, wo kann ich behilflich sein?“, fragte sie.<br />
Madame Malkin stellte jedes der drei Kinder auf eine Erhöhung,<br />
die sie mit ihrem Zauberstab auf dem Boden des Geschäfts entstehen<br />
ließ, dann betrachtete sie fachmännisch einen Stoß schwarzer Umhänge<br />
<strong>und</strong> zog drei hervor. Sie gab jedem einen davon <strong>und</strong> bat sie,<br />
sich über zuziehen.<br />
„Sie müssen einfach nur die richtige Länge abstecken!“, erklärte<br />
Madame Malkin ihrer anscheinend neuen Gehilfin.<br />
Sie selbst nahm sich Harrys Umhang vor, während sich Ms. Chang<br />
vor <strong>Dora</strong> stellte, aber nicht genau wusste, was sie machen sollte. Sie<br />
deutete mit ihrem Zauberstab auf die <strong>The</strong>ke <strong>und</strong> eine Schale mit Nadeln<br />
flog zu ihr. Mindestens dreimal steckte sie die erste davon in<br />
den St<strong>of</strong>f <strong>und</strong> zog sie wieder raus, dann verdrehte sie die Augen <strong>und</strong><br />
atmete tief durch.<br />
„Haben Sie <strong>das</strong> schon mal gemacht?“, fragte <strong>Dora</strong> leise.<br />
65
Ms. Chang schüttelte energisch den Kopf.<br />
„Ach du meine liebe Güte! Sehe ich aus wie eine Schneiderin?“<br />
Sie blickte <strong>Dora</strong> unsicher an, welche s<strong>of</strong>ort den Kopf schüttelte.<br />
„Dann ist ja gut. Nein, ganz im Gegenteil, ich bin Aurorin. Aber in<br />
den letzten Jahren gab es so gut wie keine Straftaten <strong>und</strong> wenn, dann<br />
hat sich innerhalb von nur wenigen Minuten ein Auror gef<strong>und</strong>en, der<br />
es übernimmt <strong>und</strong> ich komme so gut wie immer zu spät!“, erklärte<br />
sie, während sie einen Finger in den M<strong>und</strong> steckte, den sie gerade<br />
aus Versehen mit einer Nadel blutig gestochen hatte.<br />
„Aber warum sind Sie dann hier?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Na, glaubst du, die bezahlen uns fürs Nichtstun? Jetzt bilden wir<br />
Auroren sozusagen <strong>das</strong> Kommando für magische Notfälle <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />
hier ist bei weitem noch einer der größten <strong>und</strong> aufregendsten Notfälle,<br />
glaub mir! Manchmal müssen wir ganze Tage lang Verkäufer<br />
spielen oder so etwas, nur weil irgendjemand ausgefallen ist. Wenn<br />
ich gedacht hätte, <strong>das</strong>s man <strong>das</strong> als Auror machen muss, hätte ich es<br />
mir besser überlegt!“<br />
Ms. Chang begann zu lachen, genau wie <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber was ist bitte ein Auror?“, fragte sie.<br />
Es war eines der vielen Wörter, die sie noch nie gehört hatte <strong>und</strong><br />
die an diesem Tag nur so auf sie herabprasselten. Kaum überlegte<br />
sie, was denn bitte Quidditch sein sollte, <strong>und</strong> im nächsten Moment<br />
wurde sie mit einem Auroren überrumpelt.<br />
„Deine Eltern sind Muggel?“, fragte Ms. Chang.<br />
„Ja, sieht so aus“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Ms. Chang nickte verständnisvoll.<br />
„Ach so! Also ein Auror ist ein Mitarbeiter des Zaubereiministeriums,<br />
der darauf spezialisiert ist, böse Zauberer zu verfolgen, mit ihnen<br />
zu kämpfen <strong>und</strong> schließlich nach Askaban zu bringen“, erklärte<br />
sie.<br />
„Askaban?“, fragte <strong>Dora</strong> verwirrt.<br />
„Ach ja, <strong>das</strong> kannst du ja auch nicht kennen. Tut mir echt leid, für<br />
mich sind <strong>das</strong> alltägliche Wörter, die normalerweise jeder kennt, mit<br />
66
dem ich mich unterhalte. Also verzeih mir. Askaban ist ein Gefängnis<br />
für Zauberer <strong>und</strong> es heißt, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> Sicherste überhaupt ist.<br />
Allerdings bin ich anderer Meinung. Wenn es darauf ankommt, dann<br />
ist die Sicherheit gleich Null!“<br />
Wieder steckte die Aushilfsschneiderin eine Nadel in den Umhang.<br />
Es war die erste, die sie nicht wieder herauszog, auch wenn sogar<br />
<strong>Dora</strong> erkennen konnte, <strong>das</strong>s sie mehr als nur schief im St<strong>of</strong>f steckte.<br />
„Was meinen Sie mit ‚wenn es darauf ankommt’?“<br />
<strong>Dora</strong> war neugierig geworden. Sie hatte noch gar nicht daran gedacht,<br />
<strong>das</strong>s es überhaupt ein Gefängnis für Zauberer geben musste,<br />
bevor sie gehört hatte, aus welcher Abteilung des Ministeriums Ms.<br />
Chang kam. Doch jetzt machte es Sinn. Wenn es unter den normalen<br />
Menschen gute <strong>und</strong> böse gab, dann musste es doch bei Zauberern<br />
genauso sein.<br />
„Mach dir darüber keine Gedanken. Schon seit über zehn Jahren ist<br />
niemand mehr aus Askaban entkommen <strong>und</strong> der Schutz ist so stark<br />
wie eh <strong>und</strong> je!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte, aber dennoch hätte es sie interessiert, was die Sicherheit<br />
des sichersten Zauberergefängnisses zum Bröckeln bringen<br />
konnte. Sie überlegte gerade, wie sie es am besten anstellte, noch ein<br />
bisschen mehr darüber erfahren zu können, als sie Madam Malkin<br />
kommen sah.<br />
„Oh! Bei Merlin, was soll denn <strong>das</strong> sein?“, rief sie <strong>und</strong> zeigte auf<br />
die beiden Nadeln im St<strong>of</strong>f. „Da würde sich ja Dumbledore im Grabe<br />
umdrehen. Gehen Sie zur Seite, ich mach' <strong>das</strong> schon!“<br />
Ms. Chang trat zur Seite <strong>und</strong> lächelte <strong>Dora</strong> an, während sie eine<br />
Grimasse hinter Madame Malkins Rücken machte. Harrys <strong>und</strong> <strong>Lily</strong>s<br />
Umhänge waren bereits alle sechs fertig <strong>und</strong> als die wahre Schneiderin<br />
Hand an <strong>Dora</strong>s Umhänge anlegte, ging es auch bei ihr rasend<br />
schnell. Mit einer einfachen Bewegung des Zauberstabs platzierten<br />
sich alle Nadeln von alleine <strong>und</strong> eine weitere Bewegung brachte den<br />
Umhang dazu, sich nach Vorgabe der Nadeln von alleine auf die<br />
richtige Größe zu verkürzen.<br />
67
„Wenn ich <strong>das</strong> gewusst hätte, hätte ich es auch zusammengebracht!“,<br />
nuschelte Ms. Chang beleidigt.<br />
„Ja ja, ist ja schon okay. Gehen Sie mit den beiden zur <strong>The</strong>ke <strong>und</strong><br />
probieren Sie die Spitzhüte <strong>und</strong> die Drachenhauthandschuhe“, befahl<br />
sie.<br />
Ms. Chang nickte Harry <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> zu, welche ihr zur <strong>The</strong>ke folgten,<br />
während Madame Malkin erst an dem einen, dann am zweiten <strong>und</strong><br />
schließlich am dritten Umhang bastelte.<br />
„Ich bin doch kein Mädchen!“, verkündete Harry, als er, einen<br />
schwarzen Hut am Kopf, in den Spiegel blickte.<br />
„Keine Sorge, <strong>das</strong> trägt heutzutage jeder. In der Zaubererwelt mein<br />
ich!“, fügte sie schnell hinzu, als er sie misstrauisch betrachtete.<br />
Als die beiden sich für ihre Hüte entschieden hatten, kam auch <strong>Dora</strong><br />
zu ihnen. Sie war nicht so wählerisch wie die anderen beiden <strong>und</strong><br />
hatte schnell die richtige Größe gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> bei den Handschuhen<br />
schauten sowieso alle gleich aus, sie mussten also nur schauen, ob<br />
sie ihnen passten. Dann machten sie noch mal die gleiche Prozedur<br />
wie am Anfang durch, nur diesmal mit den Winterumhängen, die<br />
auch gekürzt werden mussten. Diesmal bat Madame Malkin Ms.<br />
Chang allerdings, hinter der <strong>The</strong>ke stehen zu bleiben <strong>und</strong> die Wolle<br />
nach der Farbe zu sortieren. <strong>Dora</strong> erkannte genau, wie sehr Ms.<br />
Chang diese Arbeit mochte, denn wenn die Wolle Gefühle gehabt<br />
hätte, dann hätte sie laut aufgeschrieen, bei der Stärke mit der sie in<br />
der Schachtel landete.<br />
„So, <strong>das</strong> wär’s!“, sagte Madame Malkin, als sie auch den letzten<br />
Umhang fertig gestellt hatte.<br />
Als <strong>Lily</strong> auf ihre Armbanduhr sah, verstand sie auch, warum<br />
Hagrid gesagt hatte, <strong>das</strong>s sie sich erst in sechs St<strong>und</strong>en wieder treffen<br />
wollten, denn fast eineinhalb St<strong>und</strong>en hatten sie alleine in diesem<br />
Laden verbracht.<br />
Sie betrachteten gemeinsam mit Ms. Chang noch all die anderen<br />
ungewöhnlichen Kleider, die überall im Verkaufsraum ausgestellt<br />
waren <strong>und</strong> ließen sich erklären, w<strong>of</strong>ür sie gut waren, während Ma-<br />
68
dame Malkin alles in große Tüten stopfte. Ein paar Minuten später<br />
bezahlten sie <strong>und</strong> verabschiedeten sich.<br />
„Ich h<strong>of</strong>fe, wir sehen uns mal wieder!“, verabschiedete sich Ms.<br />
Chang von <strong>Dora</strong>.<br />
„H<strong>of</strong>fe ich auch! Auf Wiedersehen!“<br />
Sie gingen aus dem Laden <strong>und</strong> stellten sich neben Hagrid, der noch<br />
immer genauso vor der Tür stand, wie sie ihn zurückgelassen hatten.<br />
„Hagrid?“, fragte Harry.<br />
Dieser riss seine Augen weiter auf <strong>und</strong> wandte sich zu den Kindern<br />
um, die er anscheinend gar nicht hatte herauskommen hören.<br />
„Ach, da seid ihr ja. Dachte schon, die hätt’n euch was angetan.<br />
Ein paar Minuten länger <strong>und</strong> ich wär’ eingeschlafen!“, murmelte er.<br />
„Habt ihr alles?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Die hatten sogar Handschuhe aus Drachenhaut!“, meinte sie erstaunt.<br />
„Aber na klar doch. Brauchst du, wenn du giftige Pflanzen anfass’n<br />
willst <strong>und</strong> auch einen Bowtruckle würd’ ich nicht ohne in die<br />
Hand nehm’n. Außerdem würde ich dir rat’n, sie auch beim Zubereit’n<br />
von Zaubertränken zu verwend’n!“<br />
„Bowtruckle?“, fragten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> Harry gleichzeitig.<br />
<strong>Dora</strong> meinte, für heute schon genug neue Worte kennen gelernt zu<br />
haben, <strong>und</strong> hätte diesen Ausdruck jetzt einfach ignoriert, wenn ihre<br />
Schwester <strong>und</strong> ihr Cousin nicht so neugierig gewesen wären.<br />
„Widerwärtige kleine Viecher. Da sind mir Hippogreifs oder Riesenspinnen<br />
dreima’ lieber“, murmelte Hagrid. „Ach, wisst ihr was?<br />
Kommt doch am ersten Freitag nach Schulbeginn 'runter zu meiner<br />
Hütte auf dem Schulgelände, dann zeig ich euch ein paar von den<br />
Tierchen. Hatte vergessen, <strong>das</strong>s ihr ja gar keines davon kennt!“<br />
Die drei nickten, obwohl <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> Harry mit ihrer Antwort über<br />
Bowtruckles nicht gerade zufrieden zu sein schienen.<br />
Hagrid führte sie weiter, an bunt geschmückten Schaufenstern <strong>und</strong><br />
sich bewegenden Plakaten vorbei.<br />
69
„Sag mal Hagrid“, begann Harry nach ein paar Schritten. „Man<br />
kann doch mit Besen fliegen, oder?“<br />
„Ja, wieso?“<br />
„Aber wäre man nicht mit Staubsaugern schneller?“<br />
Die Zwillinge konnten sich kaum mehr halten vor lauter Lachen.<br />
Harry schien die Frage wirklich ernst gemeint zu haben <strong>und</strong> sie<br />
konnten nicht glauben, <strong>das</strong>s er diesen Blödsinn tatsächlich fragte,<br />
obwohl sie zugeben mussten, <strong>das</strong>s es logisch gewesen wäre.<br />
„’n Staubsauber? Was’n <strong>das</strong>?“, fragte Hagrid. „Glaub die Sonne tut<br />
dir nich’ gut, also ab mit euch zu ‚Flourish <strong>und</strong> Blotts’, da bekommt<br />
ihr eure Bücher!“<br />
Harry wirkte beleidigt <strong>und</strong> ging vor <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> durch die Tür,<br />
auf die Hagrid deutete. Der Laden war etwas größer als Madame<br />
Malkins Geschäft <strong>und</strong> es waren auch ein paar Leute hier. Darunter<br />
waren eine kleine, alte Hexe, die an einem Tisch saß <strong>und</strong> ein Buch<br />
las <strong>und</strong> ein paar Jugendliche, die vielleicht zwei oder drei Jahre älter<br />
waren als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>.<br />
Sie alle standen in einer Schlange vor dem Tresen, doch die Verkäuferin<br />
redete nicht lange um den heißen Brei herum <strong>und</strong> so dauerte<br />
es nicht lange, bis die drei direkt vor ihr standen. Sie schien noch<br />
etwas jünger als Ms. Chang zu sein, machte allerdings den gleichen<br />
Gesichtsausdruck wie sie, als sie vorhin den Raum bei Madame Malkins<br />
betreten hatte.<br />
„Aurorin?“, fragte <strong>Dora</strong> lächelnd, was ihr verwirrte Blicke von <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> Harry einbrachte. „Erklär ich euch nachher!“, fügte sie flüsternd<br />
an die beiden hinzu.<br />
„Erfasst“, sagte die Hexe. „Marry Manson, eigentlich Aurorin <strong>und</strong><br />
jetzt wurde ich degradiert zur Verkäuferin. Der Geschäftsführer ist<br />
krank <strong>und</strong> ich stehe hier jetzt schon seit vier Tagen!“<br />
<strong>Dora</strong> warf ihr einen aufmunternden Blick zu, den die Verkäuferin<br />
mit einem Augenzwinkern quittierte.<br />
„Also, wie kann ich euch helfen?“<br />
<strong>Lily</strong> reichte ihr die Liste mit den Schulbüchern.<br />
70
„Alle Bücher von der Liste brauchen wir für jeden einmal!“, erklärte<br />
sie.<br />
„Ah, erster Jahrgang!“<br />
Sie schwenkte ihren Zauberstab lässig <strong>und</strong> drei Stapel mit Büchern<br />
schwebten auf den Tisch.<br />
„Ich hab am Morgen eine halbe St<strong>und</strong>e später aufgesperrt <strong>und</strong> dafür<br />
vorher die Bücher sortiert. Der Chef war gar nicht glücklich darüber…<br />
Aber ich wusste doch, <strong>das</strong>s jetzt bald die Schuleinkäufe starten<br />
werden <strong>und</strong> ich habe mich nicht getäuscht!“, sagte sie zufrieden.<br />
Mit je einer weiteren großen Tasche beladen, traten sie wieder ins<br />
Sonnenlicht vor dem Laden, wo Hagrid wie ein übergroßer Bodyguard<br />
auf sie wartete.<br />
„Gebt mir was davon zum Tragen“, forderte er sie auf, nahm ihnen<br />
die Bücher ab <strong>und</strong> ließ sie in Innentaschen seines riesengroßen Umhanges<br />
gleiten.<br />
Dankbar, <strong>das</strong>s ihnen die Last abgenommen wurde, gingen die vier<br />
weiter. Als sie vor ‚Eeylops Eulenkaufhaus’ ankamen, blieb <strong>Lily</strong><br />
stehen.<br />
„Hagrid, ich hätte fast vergessen, dich zu fragen, aber dürfen <strong>Dora</strong><br />
<strong>und</strong> ich auch eine Eule mitnehmen, oder zählen wir alleine schon als<br />
Tiere?“<br />
Hagrid überlegte.<br />
„Na ja, wenn man’s so genau nehmen würd’, dann könntet ihr gar<br />
nich’ nach Hogwarts geh’n, weil ihr mehr als ein Tier werden könnt.<br />
Auch wenn ich noch immer nich’ weiß warum!“<br />
Er schüttelte den Kopf <strong>und</strong> musterte die Mädchen genau, so als ob<br />
er versucht hätte, irgendetwas an ihnen zu suchen, <strong>das</strong> ihn auf eine<br />
Lösung hätte bringen können.<br />
„Also meinst du, wir dürfen?“<br />
„Ja, ich meine, <strong>das</strong>s ihr <strong>das</strong> dürft. Würde euch allerdings davon abraten,<br />
euch in Hogwarts irgendwann in Katzen zu verwandeln <strong>und</strong><br />
ihr solltet es auch wirklich niemand’m erzählen. Kommt nich’ so gut<br />
an bei normal’n Zauberern, weil <strong>das</strong> meines Wissens wirklich keiner<br />
71
kann. Werd’ mal mit Hermine sprechen, ob’s so was geben kann…<br />
Wollt ihr ’ne Eule?“, fragte er, um wieder auf <strong>das</strong> <strong>The</strong>ma zurück zu<br />
kommen.<br />
„Ja“, strahlten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> auch Harry nickte.<br />
„Eine für uns drei?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Die anderen dachten nach.<br />
„Besser eine für uns zwei <strong>und</strong> eine für Harry, die er sich dann ab<br />
nächstes Jahr mit James teilen kann, falls dieser auch auf diese Schule<br />
kommt“, überlegte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> alle nickten auf ihren Vorschlag hin.<br />
„Okay, ich wart’ dann wieder hier“, sagte Hagrid <strong>und</strong> nahm wieder<br />
seinen Wächterposten ein.<br />
Eine Weile später kamen <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Harry zurück. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
Harry hatten jeweils einen Käfig in der Hand. Die Mädchen hatten<br />
sich eine große, weiße Schneeeule ausgesucht, während Harry eine<br />
etwas kleinere dunkelbraune Eule im Käfig trug.<br />
Hagrid betrachtete die Tiere.<br />
„Solltet ihr Hedwig taufen“, meinte er knapp.<br />
„Warum Hedwig?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ach, nich’ der Rede wert, war ja nur ’n Vorschlag! Ich geh für<br />
euch in die Apotheke <strong>und</strong> kauf die Zutaten für Zaubertränke. Danach<br />
noch Kessel <strong>und</strong> Waagen <strong>und</strong> dieses ganze Zeugs. Geht ihr bis dahin<br />
zu Ollivander“, er zeigte auf einen kleinen Laden, ein Stück von ihnen<br />
entfernt, „<strong>und</strong> besorgt euch dort ’nen Zauberstab! Das sollte<br />
mindestens zwei St<strong>und</strong>en dauern <strong>und</strong> bis dahin hab auch ich alles<br />
<strong>und</strong> wart dann vor dem Laden auf euch. Sollte ich noch nich’ zurück<br />
sein, dann wartet ihr, alles klar?“<br />
Sie nickten <strong>und</strong> verabschiedeten sich, dann betraten sie <strong>das</strong> Geschäft,<br />
welches nur aus einem dunklen Raum zu bestehen schien,<br />
welcher nichts außer Stapel aus länglicher, flacher Schuhschachteln<br />
beinhaltete. Der alte Mann viel ihnen erst auf, als sie ihren Blick<br />
zum zweiten Mal durch den Raum schweifen ließen.<br />
„Guten Tag, kriegen wir hier Zauberstäbe?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
72
„Oja, die bekommen Sie hier! Darf ich mich vorstellen? Mein Name<br />
ist Ollivander. Mit wem habe ich es hier zu tun?“<br />
Er trat näher an die drei heran <strong>und</strong> aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> war er<br />
den Mädchen nicht ganz geheuer, auch wenn er nett zu sein schien.<br />
Sie dachten, <strong>das</strong>s es wahrscheinlich nur an der düsteren Atmosphäre<br />
des Raumes lag.<br />
„Harry, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> Dursley!“, stellte <strong>Lily</strong> alle drei vor <strong>und</strong> spätestens<br />
jetzt wurde ihnen klar, <strong>das</strong>s es wirklich nur am Raum lag,<br />
denn Ollivander lächelte sie fre<strong>und</strong>lich an, als er zu sprechen begann.<br />
„Drei aus einer Familie? Aber Dursley… Ich kenne nur einen<br />
Dursley, der keine Kinder hat <strong>und</strong> ich kenne viele Leute, glaubt<br />
mir… Wie heißen eure Eltern mit Vornamen?“<br />
„Meine Eltern kennen sie sicher nicht, <strong>das</strong> sind keine Zauberer“,<br />
meinte Harry.<br />
„Und wir kennen unsere Eltern nicht, wir wurden adoptiert!“, erzählte<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
„Da hattet ihr ja Glück, <strong>das</strong>s sie euch alle drei genommen haben,<br />
oder besser, <strong>das</strong>s ihr alle drei die Fähigkeit habt zu zaubern! Da haben<br />
eure Eltern sich wohl für die richtigen Kinder entschieden!“<br />
„Heißt <strong>das</strong>, <strong>das</strong>s nicht jeder <strong>das</strong> Zaubern erlernen kann?“, fragte<br />
Harry, der anscheinend noch immer ängstlich war, gar nicht nach<br />
Hogwarts zu gehören.<br />
„Nein, natürlich nicht! Es ist eine Gabe <strong>und</strong> diese besitzt nicht jeder!“,<br />
erklärte Ollivander.<br />
„Mach dir keine Sorgen, die haben dich schon aus den richtigen<br />
Gründen ausgewählt <strong>und</strong> es war sicher kein Versehen!“, versuchte<br />
<strong>Dora</strong> ihn aufzuheitern.<br />
„Das können wir überprüfen“, meinte Ollivander nachdenklich.<br />
„Wir beginnen mit Ihnen, Harry!“<br />
Er betrachtete Harry genau, dann ging er ein Stück von ihnen weg,<br />
zog eine der Schuhschachteln, die wohl eher Zauberstäbe als Schuhe<br />
beinhalteten, aus einem Regal, öffnete sie <strong>und</strong> drückte ihn Harry in<br />
73
die Hand. Dieser wedelte ein bisschen damit herum <strong>und</strong> schaute Ollivander<br />
an, als würde er vermuten, der alte Mann hätte nicht mehr<br />
alle Tassen im Schrank.<br />
„Nein, <strong>das</strong> ist der falsche“, murmelte Ollivander sich selbst zu,<br />
nahm Harry den Stab wieder aus der Hand <strong>und</strong> holte den nächsten.<br />
Er probierte etwa zehn Stäbe aus. Harry war kurz davor einfach<br />
aufzugeben <strong>und</strong> davonzulaufen, als der elfte Stab plötzlich Funken<br />
sprühte, als er ihn leicht auf <strong>und</strong> ab bewegte.<br />
„Perfekt! Drachenherzfaser <strong>und</strong> Weidenholz, zehn Zoll lang“, sagte<br />
Ollivander <strong>und</strong> legte den Stab in seine Schachtel zurück. „Sie<br />
können sich also sicher sein, <strong>das</strong>s Sie ein Zauberer sind, denn Zauberstäbe<br />
entscheiden sich nur für würdige Träger!“<br />
Harry strahlte übers ganze Gesicht, als sich Ollivander an <strong>Lily</strong><br />
wandte.<br />
„Probieren Sie den hier!“<br />
Er gab <strong>Lily</strong> einen etwas kürzeren Zauberstab <strong>und</strong> auch sie brauchte<br />
einige Anläufe, bis der Zauberstab reagierte. Anders als bei Harry<br />
jedoch, sprühte er keine Funken, sondern ein Blitz jagte durch den<br />
Raum auf den Stapel von Zauberstäben zu, die Ollivander zuvor versucht<br />
hatte.<br />
„Tolle Reaktion, muss ich schon sagen“, murmelte er. „Phönixfeder<br />
<strong>und</strong> Stechpalme, neuneinhalb Zoll.“<br />
Er betrachtete <strong>das</strong> Mädchen, welches noch immer vollkommen<br />
verblüfft auf den brennenden Kartonhaufen starrte <strong>und</strong> nahm ihr den<br />
Zauberstab aus der Hand.<br />
„Komisch… Ich habe einen ganzen Haufen von Zauberstäben aus<br />
Phönixfedern <strong>und</strong> Stechpalmen auf Lager, aber bis jetzt habe ich in<br />
meinem Leben erst einen aus mit der Verbindung aus diesen beiden<br />
Materialien verkauft!“<br />
Er grinste aufgr<strong>und</strong> der Tatsache, seine Ladenhüter doch noch unter<br />
die Leute zu bringen.<br />
„Okay, dann nimmst du den hier! Dreh dich aber zur Tür!“<br />
74
Er drückte <strong>Dora</strong> einen anderen Stab in die Hand, welcher s<strong>of</strong>ort<br />
<strong>das</strong> gleiche machte wie <strong>Lily</strong>s. Der Blitz prallte jedoch an der massiven<br />
Tür ab <strong>und</strong> ließ nur eine verkohlte, schwarze Fläche auf dem<br />
Holz zurück.<br />
„Hab ich’s mir doch gedacht!“, sagte er. „Ebenfalls Phönixfeder<br />
<strong>und</strong> Stechpalme, neuneinhalb Zoll.“<br />
„Also haben wir beide den gleichen Stab?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Bei Dumbledore, nein! Jeder meiner Zauberstäbe ist unterschiedlich,<br />
sie werden keinen mit exakt denselben Eigenschaften finden.<br />
Jeder Zauberstab hat einen Kern aus einem besonders mächtigen<br />
Zauberst<strong>of</strong>f. Ich benutze Einhornhaar, Schwanzfedern von Phönixen<br />
<strong>und</strong> Herzfasern von Drachen. Außerdem verwende ich verschiedenes<br />
Holz, <strong>das</strong> dem Stab <strong>das</strong> gewisse Etwas verleiht. Aber ihre Zauberstäbe<br />
sind so ähnlich, wie sie sich nur sein können. Holz vom selben<br />
Baum <strong>und</strong> Feder vom selben Phönix. Lebt irgendwo in China dieses<br />
Tier“, murmelte er. „Aber es w<strong>und</strong>ert mich, <strong>das</strong>s diese Stäbe Sie<br />
beide ausgewählt haben. Sehr wählerisch diese Kombination.“<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> zuckten mit den Schultern. Solange ihr Zauberstab<br />
nicht aus Plastik war, war es ihnen ziemlich egal, was darin steckte<br />
oder welche Eigenschaften ein Stück Holz hatte.<br />
„Okay, <strong>das</strong> war’s dann! Das macht sieben Galleonen <strong>das</strong> Stück!“<br />
<strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Harry kramten nach den großen, goldenen Münzen<br />
<strong>und</strong> reichten sie Ollivander, welcher sie entgegen nahm <strong>und</strong> ihnen<br />
zum Ausgleich dafür die länglichen Schachteln in die Hand drückte.<br />
Mit einer tiefen Verbeugung verabschiedete er sich von ihnen.<br />
Hagrid wartete schon vor der Tür auf sie.<br />
„Dürfen wir da auch reingehen?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> zeigte im Vorbeigehen<br />
auf den wohl buntesten Laden in der ganzen Gasse.<br />
Er trug ein Schild mit dem Titel ‚Weasleys Zauberhafte Zauberscherze’<br />
<strong>und</strong> schien einer der größten <strong>und</strong> vor allem bestbesuchten<br />
Geschäfte in der ganzen Gasse zu sein.<br />
Hagrid blickte auf die große Uhr, die weit über ihnen an einem<br />
Haus hing.<br />
75
„Tut mir leid, keine Zeit mehr! Eure Eltern werden schon warten“,<br />
antwortete er <strong>und</strong> zuckte mit den Schultern. „Wirklich arm diese<br />
Familie. W<strong>und</strong>ert mich, <strong>das</strong>s George den Laden noch weiterführt…“<br />
„Was ist denn passiert?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ach, drei von sieben Kindern tot <strong>und</strong> einer wurde schrecklich zugerichtet<br />
von ’nem Werwolf!“, sagte er, während er traurig zu Boden<br />
blickte. „Extrem nette Kinder, hab die immer gemocht!“<br />
Keiner der drei wusste etwas darauf zu antworten <strong>und</strong> es kam ihnen<br />
gerade recht, als sie sahen, <strong>das</strong>s Sam sich ein Stückchen entfernt<br />
von ihrer Mutter losriss <strong>und</strong> auf sie zugelaufen kam.<br />
„<strong>Lily</strong>, Harry, <strong>Dora</strong>! Wir waren gerade Eis essen <strong>und</strong> der Verkäufer<br />
hat nur einmal mit seinem Zauberstab gewedelt <strong>und</strong> schon ist es fertig<br />
bei uns auf dem Tisch gestanden! Außerdem konnten sich die<br />
Bilder bewegen <strong>und</strong> manche haben sogar gesprochen…“<br />
Sie hüpfte aufgeregt auf der Stelle <strong>und</strong> erzählte alles, was sie mit<br />
ihrer Familie in den letzten St<strong>und</strong>en gemacht hatte. <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong><br />
Harry hörten ihr gespannt zu, während Hagrid nur daneben stand <strong>und</strong><br />
lächelte.<br />
76
77<br />
Der Hogwarts-Express<br />
„<strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong>, Harry! Kommt her!”, rief Emily.<br />
Sie stand, bereits fertig bekleidet <strong>und</strong> hergerichtet zur Abfahrt nach<br />
King’s Cross, im Wohnzimmer, als die drei ihrem Ruf folgten. Doch<br />
sie war nicht alleine. Zwei braun-schwarze Waldkäuze, die gemeinsam<br />
ein ziemlich großes Päckchen trugen, flogen durch den Raum<br />
<strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort als sie <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> erkennen konnten, stürzten die beiden<br />
Vögel auf die Mädchen zu.<br />
„Die habe ich eben erst hereingelassen <strong>und</strong> anscheinend wollen sie<br />
zu euch“, meinte Emily.<br />
Die Mädchen führten die Vögel zum Wohnzimmertisch, wo sie<br />
sich auf dem schachtelförmigen Päckchen niederließen. <strong>Lily</strong> befreite<br />
die erste Eule, während <strong>Dora</strong> <strong>das</strong> Paket vom Fuß des zweiten Vogels<br />
löste. S<strong>of</strong>ort, als ihnen die Last abgenommen wurde, stießen sie sich<br />
kraftvoll <strong>und</strong> mit lautem Gekreische in die Luft, zogen noch ein paar<br />
Kreise über den Köpfen aller Personen im Raum <strong>und</strong> flogen dann<br />
beim Fenster hinaus.<br />
Emily blickte ihnen noch nach, während Harry auf die Mädchen<br />
zugerannt kam.<br />
„Für wen ist es?“, fragte er aufgeregt.<br />
<strong>Lily</strong> hob die in braunes Papier gewickelte Schachtel hoch <strong>und</strong> betrachtete<br />
sie, doch erst als <strong>Dora</strong> den Brief, der auf der Unterseite des<br />
Pakets befestigt war, abnahm, konnte sie seine Frage beantworten.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> Dursley<br />
Ligusterweg 4<br />
Little Whinging<br />
Surrey<br />
„Es ist für uns beide“, meinte <strong>Dora</strong> nachdenklich.<br />
<strong>Lily</strong> nickte, während Harry sichtlich traurig schaute.
„Harry, komm weg da“, meinte seine Mutter. „Wenn es für die<br />
Zwillinge ist, dann geht dich der Brief nichts an!“<br />
„Aber…“<br />
Er überlegte, aber es schien ihm keine passende Antwort einzufallen<br />
<strong>und</strong> da er wusste, <strong>das</strong>s er gegen seine Mutter sowieso keine<br />
Chance hatte, ließ er die beiden widerwillig mit seiner Mutter alleine<br />
<strong>und</strong> ging wieder aus dem Raum, vermutlich nach oben in sein Zimmer,<br />
aus dem er gerade von Emily gerufen worden war.<br />
<strong>Dora</strong> begann gerade die ersten Zeilen des Briefes zu lesen, als <strong>Lily</strong><br />
sich schon am Verpackungspapier zu schaffen gemacht hatte. Doch<br />
als sie den Deckel der Schachtel öffnen wollte, hielt ihre Schwester<br />
sie davon ab, indem sie ihren Arm packte.<br />
„Nein, noch nicht“, sagte sie. „Lies <strong>das</strong>!“<br />
Sie gab <strong>Lily</strong> den Brief in die Hand <strong>und</strong> diese ließ die Schachtel ungeöffnet<br />
<strong>und</strong> las ebenfalls die unordentlich geschriebenen Worte auf<br />
dem Blatt Pergament.<br />
Hallo <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>!<br />
Ich h<strong>of</strong>fe euch geht es gut!<br />
Ihr habt also eure Einladungen nach Hogwarts<br />
bekommen. Herzlichen Glückwunsch!<br />
Hier sind zwei Dinge, die euch auf eurem weiteren Weg,<br />
vor allem in der Schule, nützlich sein könnten. Öffnet die<br />
Schachteln nicht gleich, sondern erst dann, wenn ihr<br />
alleine <strong>und</strong> sicher seid, <strong>das</strong>s euch niemand beobachtet.<br />
Keiner darf von diesen beiden Gegenständen erfahren,<br />
egal was passiert, also seid bitte sehr vorsichtig, wann<br />
<strong>und</strong> für was ihr sie benutzt. Ich weiß, <strong>das</strong>s ich euch<br />
vertrauen kann!<br />
Strengt euch an <strong>und</strong> lernt eure Magie sinnvoll<br />
einzusetzen! Ihr werdet es brauchen!<br />
78
<strong>Lily</strong> blickte auf. <strong>Dora</strong> hatte inzwischen <strong>das</strong> Paket an sich genommen<br />
<strong>und</strong> blickte ihre Schwester an.<br />
„Was meinst du?“, fragte diese.<br />
„Keine Ahnung, lass es uns zu den anderen Sachen bringen, die<br />
wir mitnehmen!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
„Von wem glaubst du, ist es?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit ihren Schultern.<br />
„Auch auf dem Papier <strong>und</strong> auf dem Briefumschlag steht kein Absender.<br />
Vielleicht steht <strong>das</strong> ja irgendwo in der Schachtel, aber jetzt<br />
lass uns erstmal die anderen Sachen herunterbringen, damit wir fahren<br />
können, wir sind spät dran.“<br />
<strong>Lily</strong> stimmte mit einem Nicken zu <strong>und</strong> die beiden Mädchen gingen<br />
nach oben in ihr Zimmer, aus dem Dudley gerade ein paar ihrer Sachen<br />
holte, um sie hinunter ins Auto zu bringen.<br />
„Dann geht’s jetzt also los“, sagte er im Vorbeigehen. „Was habt<br />
ihr da?“<br />
„Jemand hat uns ein paar Süßigkeiten geschickt. Vermutlich für<br />
die Reise“, log <strong>Lily</strong>.<br />
Dudley runzelte die Stirn, sagte aber nichts.<br />
„Süßigkeiten für die Reise?“, fragte <strong>Dora</strong> leise, als ihr Onkel außer<br />
Hörweite war.<br />
„Das nächste Mal kannst du dir ja eine Notlüge einfallen lassen“,<br />
lachte <strong>Lily</strong>.<br />
Auch Harry, der neugierig aus seinem Zimmer schaute, erzählten<br />
sie von den Süßigkeiten, da er die beiden sonst wohl noch die nächsten<br />
paar Jahre nicht in Ruhe gelassen hätte. Obwohl er nicht gerade<br />
überzeugt schaute, schien er doch zu wissen, <strong>das</strong>s dies die einzige<br />
Antwort war, die er bekommen würde, <strong>und</strong> so musste er sich damit<br />
zufrieden geben.<br />
Als sie in ihrem Zimmer ankamen <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gerade ein paar der<br />
Sachen nehmen wollte, um sie nach unten zu bringen, war <strong>Lily</strong><br />
plötzlich verschw<strong>und</strong>en <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sah nur noch ein kleines Kätzchen,<br />
79
<strong>das</strong> geschmeidig aufs Bett sprang, ein paar Mal hüpfte <strong>und</strong> sich dann<br />
wieder in ihre Schwester verwandelte.<br />
„Was war <strong>das</strong> denn bitte?“, fragte sie verwirrt.<br />
„Ich wollte <strong>das</strong> noch ein letztes Mal machen. Hagrid sagt ja, <strong>das</strong>s<br />
wir <strong>das</strong> in der Schule nicht dürfen, <strong>das</strong> heißt fast ein Jahr lang keine<br />
Tiere!“<br />
Die beiden Mädchen schauten sich traurig an.<br />
„Na ja, immerhin haben wir jetzt ja Hedwig <strong>und</strong> die hat es eh nicht<br />
so gern, wenn ein paar Katzen vor ihrem Käfig herumlaufen, oder?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Ja, du hast Recht!“<br />
Sie schaute auf den Käfig, in dem die weiße Schneeeule immer<br />
noch misstrauische Blicke auf <strong>das</strong> Bett warf, wo gerade noch <strong>das</strong><br />
rote Kätzchen gesessen hatte.<br />
<strong>Dora</strong> nahm den Käfig <strong>und</strong> ihren K<strong>of</strong>fer, während <strong>Lily</strong> noch die<br />
letzten Schulbücher <strong>und</strong> die Schachtel mit dem unbekannten Inhalt<br />
in den großen Kessel warf, den Onkel Dudley noch nicht mit nach<br />
unten genommen hatte, <strong>und</strong> ihn dann selbst mit beiden Händen<br />
schnappte, um ihn nach unten zu bringen.<br />
Dudley nahm den beiden die Sachen ab, als sie beim Auto ankamen<br />
<strong>und</strong> verstaute alles sicher im K<strong>of</strong>ferraum. Die anderen Familienmitglieder<br />
saßen bereits auf ihren Plätzen. Sam wirkte noch immer<br />
sichtlich müde, denn sie hatte ihren Kopf auf die Schulter von James<br />
gelegt, welcher neben ihr saß, <strong>und</strong> sie sagte kein Wort, was bei ihr<br />
immer als sicheres Zeichen dafür galt, <strong>das</strong>s etwas nicht stimmte.<br />
„Werdet ihr zu Weihnachten nach Hause kommen?“, fragte Dudley,<br />
als er sich hinters Steuer gesetzt hatte.<br />
Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten sich an.<br />
„Wenn die Möglichkeit dazu besteht, dann schon“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber wir haben ja keine Ahnung von gar nichts… Wir wissen nicht,<br />
wo diese Schule ist, <strong>und</strong> wir wissen auch nicht genau, was wir dort<br />
lernen werden, wer unsere Lehrer sind <strong>und</strong> welche Schüler <strong>und</strong> wie<br />
viele Schüler dort überhaupt hinkommen.“<br />
80
„Na ja, wir kennen diesen Flitwick“, warf <strong>Lily</strong> schnell ein.<br />
„Wenn ich etwas mehr wüsste als ihr, dann würde ich es euch sagen,<br />
aber auch ich habe keine Ahnung“, erzählte Emily.<br />
„Kommen sie vor Weihnachten denn gar nicht mehr heim?“, meldete<br />
sich plötzlich auch Sam wieder zu Wort.<br />
Sie blickte traurig um sich bei diesem Gedanken. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
trauten sich gar nicht, dem Mädchen in die Augen zu blicken.<br />
„Nein, vermutlich nicht“, meinte Dudley. „Vorausgesetzt natürlich,<br />
<strong>das</strong>s sie euch nicht von den Schule schmeißen, weil ihr immer nur<br />
Unruhe stiftet.“<br />
Dudley blickte seinen ältesten Sohn mahnend an.<br />
„Keine Sorge, Dad. Glaubst du wirklich, ich lasse mich von so einer<br />
Schule schmeißen, nur damit ich nächstes Jahr wieder in eine der<br />
normalen Anstalten gehen kann <strong>und</strong> mit Mathe anhören muss? Nein,<br />
ganz sicher nicht, egal wie schlecht ich im Zaubern sein mag!“, verteidigte<br />
sich Harry.<br />
„Man, komischer Gedanke, mit einem Zauberstab herumzuwedeln,<br />
oder?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Alle anderen im Wagen nickten.<br />
„Nächstes Jahr in den Sommerferien oder vielleicht schon in diesen<br />
Winterferien können wir doch dann alles mit Zaubern erledigen.<br />
Wird <strong>das</strong> ein Spaß“, fuhr sie fort.<br />
Das Auto war gerade vor einer roten Ampel zum Stehen gekommen,<br />
als Dudley sich zu ihr umdrehte.<br />
„Oh nein“, meinte er. „Außerhalb der Schule habt ihr erst die Erlaubnis<br />
Magie zu benutzen, wenn ihr volljährig seid.“<br />
Sie starrten ihn verzweifelt an.<br />
„Nein, oder? Bis achtzehn müssen wir warten?“, fragte Harry.<br />
„Na ja, nicht ganz. In der Welt der Zauberer wird man schon mit<br />
siebzehn Jahren volljährig. Das heißt, ein Jahr früher!“<br />
„Und was, wenn wir es doch tun?“, fragte <strong>Lily</strong> ihren Onkel, der<br />
anscheinend mehr über dieses <strong>The</strong>ma wusste als alle anderen im Auto<br />
zusammen.<br />
81
„Dann kommen sie euch drauf <strong>und</strong> wenn es mehr als einmal passiert,<br />
glaube ich, dann spielen sie mit dem Gedanken euch aus der<br />
Schule zu werfen!“, antwortete er.<br />
„Aber von wo weißt du <strong>das</strong>?“, meinte <strong>Dora</strong>, als sie die Nachricht<br />
verdaut hatte.<br />
Keine Gegenstände durch Gedankenkraft bewegen <strong>und</strong> vor allem<br />
keine Kätzchen würden schier unmöglich für die beiden sein.<br />
„Hagrid hat’s mal erwähnt“, antwortete Dudley ungewöhnlich<br />
schnell.<br />
Sie fuhren noch eine Weile durch London, bis sie endlich den<br />
Bahnh<strong>of</strong> King’s Cross erreichten, wo Dudley <strong>das</strong> Auto in einer Tiefgarage<br />
zum Stehen brachte. Er hielt absichtlich nahe der kleinen<br />
Rollwagen, damit sie ihre Sachen nicht weit zu tragen hatten.<br />
Er bedeutete den Kindern, ein Stück entfernt stehen zu bleiben,<br />
während er <strong>und</strong> Emily die Sachen der Kinder auf die drei Wägen<br />
hievten, die er herbeigebracht hatte. Schließlich waren auf jedem ein<br />
Kessel, voll gestopft mit den außergewöhnlichen Schulsachen, <strong>und</strong><br />
ein K<strong>of</strong>fer mit normalen Kleidern, aber auch Spitzhüten <strong>und</strong> Zaubererumhängen.<br />
Auf zwei von ihnen platzierte Emily abschließend<br />
noch die beiden Käfige mit den Eulen von Harry <strong>und</strong> den Zwillingen.<br />
Die verletzte Eule hatte sich in den letzten Wochen so gut erholt,<br />
<strong>das</strong>s die Familie beschlossen hatte, sie noch ein paar Monate<br />
weiter aufzupäppeln <strong>und</strong> dann zu Weihnachten wieder mit in die<br />
Schule zu bringen.<br />
Emily kramte vorne im Auto <strong>und</strong> kam mit drei mittelgroßen Decken<br />
wieder hinters Auto zu den anderen, welche sie fragend musterten.<br />
„Na ja, glaubt ihr nicht, <strong>das</strong>s es auffällt, wenn wir hier mit Eulen<br />
<strong>und</strong> Kesseln herumfahren?“, fragte sie <strong>und</strong> breitete <strong>das</strong> erste Tuch<br />
über einen der Rollwägen.<br />
Sie nickten zustimmend <strong>und</strong> halfen ihrer Mutter <strong>und</strong> Tante beim<br />
verdecken aller auffälligen Gegenstände. Zugegeben, es schaute<br />
auch verdächtig aus, wenn drei Personen nebeneinander mit verdeck-<br />
82
tem Gepäck durch den Bahnh<strong>of</strong> liefen, aber es war immer noch besser,<br />
als wegen Kesseln <strong>und</strong> Eulen angestarrt zu werden.<br />
Kurz später war die ganze Familie in einem Aufzug, der sie aus der<br />
Tiefgarage bringen sollte. Emily, Dudley <strong>und</strong> die Zwillinge, die sich<br />
mit Harry abwechselten, schoben jeweils einen der schweren Wägen<br />
vor sich her, während Sam <strong>und</strong> James zwischen ihnen hin- <strong>und</strong> herliefen.<br />
In der großen Halle des Bahnh<strong>of</strong>es angekommen, schauten sich alle<br />
Familienmitglieder suchend um.<br />
„Bahngleis neun dreiviertel?“, fragte <strong>Dora</strong>, während sie die einzelnen<br />
Zahlen studierte.<br />
Auf dieser Seite des Bahnh<strong>of</strong>es gab es Bahngleis sechs, sieben,<br />
acht, neun <strong>und</strong> zehn. Neun dreiviertel war nirgendwo zu sehen.<br />
„Wir haben noch zehn Minuten, <strong>das</strong> heißt, wir sollten uns beeilen.<br />
Ich gehe zur Informationsstelle <strong>und</strong> frage nach. Wer kommt mit?“,<br />
fragte Dudley, ließ seinen Wagen stehen <strong>und</strong> wandte sich ab.<br />
Während Emily mit den zwei Jüngsten stehen blieb, rannten Harry,<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ihrem Onkel nach. Ein etwas verwirrt aussehender<br />
alter Mann mit kurzen grauen Haaren stand beim Schalter <strong>und</strong> empfing<br />
die vier nicht gerade freudestrahlend. Vor den vieren stand außerdem<br />
ein großer, stark aussehender, wenn auch in die Jahre gekommener<br />
Mann. Als Dudley ihn fragend anblickte, deutete er ihm,<br />
<strong>das</strong>s sie ruhig vorgehen konnten, denn er selbst wollte keine Information,<br />
sondern würde nur auf jemanden warten.<br />
„Guten Tag“, begrüßte Dudley den alten Mitarbeiter des Bahnh<strong>of</strong>es.<br />
„Könnten Sie uns vielleicht sagen, wo wir – ähm – <strong>das</strong> Gleis<br />
neun dreiviertel finden?“<br />
Der alte Mann legte seine Stirn in Falten.<br />
„Macht es Ihnen Spaß einen armen, unterbezahlten, alten Mann zu<br />
verspotten? Sie sind heute schon der dritte, der <strong>das</strong> fragt <strong>und</strong> ich sehe<br />
nicht ein, warum die Leute so einen Spaß daran haben, mich nach<br />
einem dreiviertel Bahngleis zu fragen. Also verschwinden Sie <strong>und</strong><br />
83
machen sie Platz für normale Menschen“, sagte er, schnaubend vor<br />
Wut.<br />
„Psst“, machte der Mann, der ihnen gerade den Vortritt gelassen<br />
hatte.<br />
Er zog den verwirrten Dudley, der noch immer ungläubig den alten<br />
Mann hinter dem Schalter musterte, am Ellbogen zu sich <strong>und</strong> ein<br />
Stückchen weg von der Infostelle. Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> folgten ihrem<br />
Onkel.<br />
„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Savage“, begann der<br />
Fremde. „Ich bin ein vom britischen Ministerium ausgebildeter Auror,<br />
aber heute spiele ich Wegweiser für die neuen Schüler hier! Bitte<br />
gehen Sie einfach geradewegs durch die Absperrung zwischen<br />
Bahngleis neun <strong>und</strong> zehn <strong>und</strong> bleiben Sie nicht stehen. Sehen sie da,<br />
da geht gerade jemand durch!“<br />
Er zeigte auf einen blonden, kleinen Jungen, der gefolgt von einem<br />
blonden Mann <strong>und</strong> einer rothaarigen Frau direkt durch die Absperrung<br />
trat <strong>und</strong> verschwand.<br />
„Danke“, meinte Dudley <strong>und</strong> der Wegweiser namens Savage nickte<br />
fre<strong>und</strong>lich, wenn auch nicht gerade glücklich wirkend.<br />
Dudley warf dem alten Mann hinter dem Schalter noch einen entschuldigenden<br />
Blick zu, doch dieser wandte nur sein Gesicht von<br />
ihnen ab.<br />
„Auf Wiedersehen“, verabschiedeten sich auch die Kinder von Savage.<br />
„Viel Spaß in der Schule“, meinte er. „Wiedersehen!“<br />
Die vier traten weg von ihm <strong>und</strong> nahmen wieder ihre Rollwagen an<br />
sich. Dudley erklärte seiner Frau schnell, wie sie es anstellen musste,<br />
auf <strong>das</strong> gewünschte Bahngleis zu kommen, <strong>und</strong> diese nickte ein wenig<br />
verwirrt.<br />
„Okay, ich versuche mein Glück als erster“, meinte Dudley.<br />
Er blickte sich um, ob auch wirklich niemand auf ihn schaute <strong>und</strong><br />
ging dann direkt, mit schnellem Schritt, auf die Absperrung zu. <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten ihm erstaunt hinterher, solange, bis er verschwun-<br />
84
den zu sein schien. Harry war der nächste, der, einen Rollwagen vor<br />
sich herschiebend, auf die Absperrung zuging, <strong>und</strong> genau wie auch<br />
sein Vater war er schnell verschw<strong>und</strong>en.<br />
Dann machten sich <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gemeinsam auf den Weg. Sie<br />
gaben sich die Hand liefen auf die Absperrung zu, bereit zum Aufprall,<br />
auch wenn sie gerade gesehen hatten, <strong>das</strong>s die anderen einfach<br />
so durchgeschlüpft waren.<br />
Als sie bei der Absperrung ankamen, wurde plötzlich alles schwarz<br />
um sie <strong>und</strong> den Bruchteil einer Sek<strong>und</strong>e später war wieder Tageslicht<br />
<strong>und</strong> eine rote Dampflok zu sehen. H<strong>und</strong>erte von Leuten standen<br />
um sie herum, Kinder <strong>und</strong> Jugendliche streckten ihre Köpfe aus den<br />
Fenstern heraus, um sich von ihren Eltern zu verabschieden. Kessel<br />
<strong>und</strong> Eulen waren auf diesem Gleis alles andere als eine Seltenheit<br />
<strong>und</strong> manche Leute schauten mehr als nur komisch aus, in ihren bunt<br />
zusammen gewürfelten Kleidern. Eine Frau, bekleidet mit einem<br />
Minirock <strong>und</strong> darunter einer Hose, die aussah, als würde sie eher für<br />
Skiurlaube gedacht sein, winkte einem Mädchen zu, welches seine<br />
Hand aus dem Zug streckte <strong>und</strong> seine Mutter ein letztes Mal anlächelte,<br />
bevor es sich zurückzog.<br />
„Also, alle da?“, fragte Dudley.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten sich um. Tatsächlich war auch Emily, gemeinsam<br />
mit den zwei Kleinsten, durch die Absperrung getreten.<br />
Harry unterhielt sich mit einem Jungen, der auch elf Jahre alt sein<br />
dürfte <strong>und</strong> anscheinend auch Muggeleltern hatte. Sie redeten darüber,<br />
wie ihr Brief mit der Einladung nach Hogwarts gekommen<br />
war.<br />
„Kommst du mit in mein Abteil?“, fragte der fremde Junge mit den<br />
dunklen Haaren.<br />
Er war sogar noch ein paar Zentimeter größer als Harry, wenn auch<br />
nicht so muskulös gebaut. Harry nickte <strong>und</strong> nahm einen Teil seines<br />
Gepäcks, als er dem Jungen in den Zug folgte. Sein neuer Fre<strong>und</strong><br />
nahm den zweiten Teil <strong>und</strong> die Eule <strong>und</strong> half ihm dabei, alles zu<br />
verstauen.<br />
85
Dann tauchte Harry alleine wieder auf, um sich von seinen Eltern<br />
<strong>und</strong> seinen Geschwistern zu verabschieden. Seine Mutter nahm ihn<br />
in den Arm <strong>und</strong> flüsterte ihm etwas zu <strong>und</strong> sein Vater tat <strong>das</strong>selbe.<br />
Ein lauter Pfiff war von der Lokomotive zu hören, was auch <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> dazu brachte, ihr Gepäck mit der Hilfe von Dudley in den<br />
Zug zu bringen, wo sie es erstmal am Gang stehen ließen. Dann gingen<br />
sie noch mal hinaus, um ‚auf Wiedersehen’ zu sagen.<br />
Sam war inzwischen in Tränen ausgebrochen <strong>und</strong> Emily versuchte<br />
sie zu trösten. Auch James schaute nicht gerade glücklich, aber er<br />
versuchte stark zu bleiben. Schnell, da der Zug jeden Moment abfahren<br />
würde, umarmten sich die Kinder, verabschiedeten sich von Tante<br />
<strong>und</strong> Onkel <strong>und</strong> kletterten dann wieder zurück in den Zug, wo sie<br />
ihnen vom Fenster aus noch ein letztes Mal zuwinkten. Der schrille<br />
Pfiff der Dampflok war ein weiteres Mal zu hören <strong>und</strong> alle, die noch<br />
draußen waren, drängelten sich hinein in den langen Zug. Wenig<br />
später setzte er sich in Bewegung.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blieben noch kurz am Gang stehen <strong>und</strong> schauten aus<br />
dem Fenster. Ihre Familie wurde immer kleiner <strong>und</strong> schließlich bog<br />
der Zug um eine Kurve <strong>und</strong> ihre Familie war verschw<strong>und</strong>en. Die<br />
meisten Schüler hatten sich inzwischen einen Platz im Zug gesichert<br />
<strong>und</strong> sich in ihre Abteile eingeschlossen. Nur wenige Nachzügler waren<br />
noch auf dem schmalen Gang, darunter die beiden Mädchen.<br />
„Komm, lass uns ein Abteil suchen“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> nickte <strong>und</strong> die beiden schleppten mühsam all ihr Gepäck auf<br />
einmal durch den Gang. Sie wollten die Suche schon beinahe aufgeben,<br />
als sie plötzlich ein leeres Abteil fanden. Die Mädchen öffneten<br />
die Tür <strong>und</strong> traten ein.<br />
„Mann, Glück gehabt, ich glaube, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>das</strong> letzte freie Abteil<br />
ist!“, stöhnte <strong>Lily</strong>, während sie ihren K<strong>of</strong>fer auf die Gepäckablage<br />
hob.<br />
„Wir waren eben spät dran, nächstes Jahr wissen wir, <strong>das</strong>s wir<br />
schneller sein müssen!“<br />
86
Als sämtliches Gepäck <strong>und</strong> der Käfig mit der Eule sicher verstaut<br />
waren, hatte <strong>Lily</strong> eine Idee. Sie erhob sich von ihrem Platz <strong>und</strong><br />
schloss die Vorhänge, so<strong>das</strong>s niemand vom Gang ins Abteil schauen<br />
konnte.<br />
<strong>Dora</strong> hatte s<strong>of</strong>ort erkannt, was <strong>Lily</strong> vorhatte, <strong>und</strong> holte <strong>das</strong> Päckchen<br />
hervor, <strong>das</strong> sie zu Hause bekommen hatten. Sie setzten sich <strong>und</strong><br />
blickten sich erwartungsvoll an, dann hob <strong>Dora</strong> den Deckel hoch. Sie<br />
konnten einen kleinen <strong>und</strong> einen großen Pergamentzettel erkennen<br />
<strong>und</strong> außerdem noch St<strong>of</strong>f, der silbern glitzerte.<br />
Jedes der Mädchen nahm sich einen Zettel. <strong>Dora</strong> las die Zeilen,<br />
welche auf dem kleineren Pergamentstück geschrieben standen. Es<br />
war die gleiche unordentliche Handschrift, die sie schon daheim in<br />
dem Brief gesehen hatte.<br />
87<br />
Hallo!<br />
Ihr habt die Schachtel also geöffnet. Bitte stellt sicher,<br />
<strong>das</strong>s auch wirklich niemand in der Nähe ist. Wenn ihr<br />
sicher seid, dann lest weiter.<br />
Ich schicke euch zwei nützliche Geschenke. Der Umhang<br />
wird euch in vielen Situationen aus der Patsche helfen.<br />
Verwendet ihn klug <strong>und</strong> passt auf ihn auf.<br />
Außerdem übergebe ich euch noch die Karte des<br />
Rumtreibers. Tippt mit eurem Zauberstab darauf <strong>und</strong><br />
sagt: „Ich schwöre feierlich, <strong>das</strong>s ich ein Tunichtgut<br />
bin!“ Zum Löschen der Karte tippt erneut darauf <strong>und</strong><br />
sagt: „Unheil angerichtet!“<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, diese beiden Sachen helfen euch genauso, wie<br />
sie uns einst geholfen haben. Macht keinen Unsinn<br />
damit, sie sind für Notfälle gedacht.<br />
„Was sollen wir mit einem leeren Pergamentblatt anfangen?“, fragte<br />
<strong>Lily</strong>, die <strong>das</strong> Blatt noch immer zwischen ihren Fingern hin- <strong>und</strong> herdrehte,<br />
auf der Suche ob nicht doch etwas darauf stand.
„Das ist nicht leer“, erklärte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> gab ihrer Schwester den<br />
Brief.<br />
Diese nahm ihn an sich, während <strong>Dora</strong> nach ihrem Zauberstab<br />
suchte. Sie hatte ihn noch nicht aus der Schachtel genommen, seit sie<br />
ihn bei Ollivander gekauft hatten, doch jetzt schien die richtige Zeit<br />
dazu zu sein. Sie hielt ihn vorsichtig in die Höhe <strong>und</strong> schaute ihn an,<br />
bevor sie von ihrer Schwester <strong>das</strong> leere Pergamentblatt nahm. Diese<br />
ließ sich nicht davon ablenken, weiterhin den Brief zu lesen.<br />
„Ich schwöre feierlich, <strong>das</strong>s ich ein Tunichtgut bin“, murmelte <strong>Dora</strong>,<br />
als sie mit der Spitze ihres Zauberstabs auf die Karte tippte.<br />
S<strong>of</strong>ort zogen sich feine Striche über <strong>das</strong> gesamte Papier <strong>und</strong> allmählich<br />
ergab es ein kompliziert aussehendes Bild.<br />
„Was machst du da?“, fragte <strong>Lily</strong>, als sie ihre Schwester reden hörte.<br />
Sie legte den Brief zur Seite <strong>und</strong> starrte mit großen Augen auf <strong>das</strong><br />
alte Pergamentblatt. In großen, verschnörkelten Buchstaben stand<br />
jetzt darauf:<br />
DIE HOCHWOHLGEBORENEN HERREN MOONY,<br />
WURMSCHWANZ, TATZE UND KRONE<br />
HILFSMITTEL FÜR DEN MAGISCHEN TUNICHTGUT GMBH<br />
PRÄSENTIEREN STOLZ<br />
DIE KARTE DES RUMTREIBERS<br />
Bei genauerem Betrachten des Blattes konnten die beiden auch erkennen,<br />
<strong>das</strong>s es sich um eine detaillierte Karte eines riesigen Gebäudes<br />
handeln musste.<br />
„Was ist <strong>das</strong> hier?“<br />
<strong>Lily</strong> deutete mit ihrem Finger auf einen der wenigen kleinen, sich<br />
bewegenden Punkt. Darüber war der Name ‚Hermine Granger’ zu<br />
lesen. Der Punkt bewegte sich gerade zwischen zwei Abschnitten der<br />
Karte, die wahrscheinlich zwei Räume darstellten, hin <strong>und</strong> her. Ein<br />
zweiter Punkt verkündete den Namen ‚Argus Filch’ <strong>und</strong> ein dritter<br />
88
‚Mrs. Norris’. Diese beiden Punkte bewegten sich über etwas, <strong>das</strong><br />
wahrscheinlich langen Flur darstellen sollte. Mehr Punkte waren darauf<br />
nicht zu sehen.<br />
„Glaubst du, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> <strong>das</strong> Schulgebäude ist?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> nickte heftig.<br />
„Und <strong>das</strong> die Leute, die sich dort befinden?“<br />
Wieder nickte ihre Schwester.<br />
„Könnte hilfreich sein“, meinte sie. „Aber jetzt bringt sie uns noch<br />
nicht viel, da wir ja noch nicht dort sind. Lass uns den Umhang anschauen!“<br />
<strong>Dora</strong> stimmte ihrer Schwester zu, tippte mit ihrem Zauberstab erneut<br />
auf die Karte <strong>und</strong> murmelte: „Unheil angerichtet!“<br />
Augenblicklich war die Karte wieder leer <strong>und</strong> nur ein altes, ausgeblichenes<br />
Blatt Pergament blieb zurück. <strong>Dora</strong> nahm den silbrigen<br />
Umhang aus der Schachtel <strong>und</strong> tauschte ihn mit der Karte aus, welche<br />
sie vorsichtig hineinlegte.<br />
„Und was sollen wir mit dem?“, fragte <strong>Lily</strong>. „Besonders hübsch ist<br />
er ja nicht! Gib mal her!“<br />
Sie nahm ihrer Schwester <strong>das</strong> silberne Teil aus der Hand <strong>und</strong> faltete<br />
es vorsichtig auseinander, bevor sie es sich über die Schultern<br />
warf. <strong>Dora</strong> verschlug es fast die Sprache. Der Kopf ihrer Schwester<br />
schwebte körperlos in der Luft.<br />
„Was ist?“, fragte diese <strong>und</strong> als <strong>Dora</strong> sprachlos dorthin zeigte, wo<br />
eigentlich <strong>Lily</strong>s Körper sein musste, blickte sie an sich hinab <strong>und</strong><br />
zuckte zusammen.<br />
„Wo ist…“<br />
Sie griff mit ihren unsichtbaren Händen dorthin, wo eigentlich ihr<br />
Bauch sein musste, <strong>und</strong> sie war sichtlich froh darüber, als sie spürte,<br />
<strong>das</strong>s er noch da war. Dann nahm sie sich den Umhang schnell wieder<br />
ab <strong>und</strong> schon stand sie wieder ganz vor ihrer Schwester.<br />
„Hat der mich unsichtbar gemacht?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ich schätze schon“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
89
Sie stand auf <strong>und</strong> nahm den Umhang an sich, zog ihn sich selbst<br />
über <strong>und</strong> schon war auch ihr Körper verschw<strong>und</strong>en. Dann zog sie ihn<br />
sich auch noch über den Kopf.<br />
„Wow, du bist komplett verschw<strong>und</strong>en“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> kam wieder unter dem Umhang hervor <strong>und</strong> hielt ihn triumphierend<br />
hoch.<br />
„Ich denke, der könnte uns wirklich mal nützlich sein, oder? Einfach<br />
so verschwinden zu können hat schon was!“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Aber wir sollten vorsichtig sein. Wir wissen immer noch nicht,<br />
wer uns diese beiden Sachen geschickt hat <strong>und</strong> vor allem warum gerade<br />
wir sie bekommen haben!“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Hier steht auch nirgendwo ein Name, oder?“, fragte sie.<br />
Die beiden Mädchen stopften den Umhang zurück in die Schachtel<br />
<strong>und</strong> blickten noch mal den Brief <strong>und</strong> alle anderen Zettel durch, die<br />
bei dem außergewöhnlichen Geschenk zu finden gewesen waren,<br />
doch nirgendwo war auch nur die kleinste Andeutung, von wem die<br />
Sachen sein konnten.<br />
„Nein. Ich würde es aber zu gerne wissen. Uns kennt doch kein<br />
Zauberer mit Ausnahme der paar, die wir in der Winkelgasse getr<strong>of</strong>fen<br />
haben. Aber wer könnte uns dann so etwas schicken?“, fragte<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> zuckte mit ihren Schultern <strong>und</strong> musterte die beiden Gegenstände<br />
in der Schachtel, als es plötzlich an der Tür ihres Abteils klopfte.<br />
<strong>Dora</strong> schloss schnell die Schachtel <strong>und</strong> schob sie unter den Sitz,<br />
während <strong>Lily</strong> die Vorhänge öffnete. Zwei Jungs standen vor dem<br />
Fenster <strong>und</strong> winkten. <strong>Lily</strong> öffnete die Tür.<br />
„Können wir uns vielleicht hier rein setzen? Sonst sind keine Plätze<br />
mehr frei!“, sagte der etwas größere, dunkelhaarige Junge.<br />
Neben ihm stand noch ein Zweiter, etwas kleinerer, mit blonden<br />
Haaren. Die Zwillinge schien er aber trotzdem immer noch um mindestens<br />
einen halben Kopf zu überragen.<br />
90
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> ließ die beiden zu ihnen ins Abteil, bevor sie die<br />
Tür wieder schloss.<br />
„Danke“, bedankten sich beide Jungen bei den Zwillingen.<br />
Diese lächelten nur.<br />
„Hallo, ich bin Ted. Ted Lupin“, sagte der größere der beiden.<br />
„Und ich bin Scott Mason!“, antwortete der blonde.<br />
Er hatte große, blaue Augen <strong>und</strong> starrte schüchtern um sich. Die<br />
Mädchen musterten die beiden genau, bevor sie antworteten.<br />
„Ich bin <strong>Lily</strong> Dursley <strong>und</strong>…“<br />
„… ich bin <strong>Dora</strong>“, vollendete <strong>Dora</strong> den Satz.<br />
„Oh man, ihr seht euch ja ähnlich“, meinte Ted. „Kann man euch<br />
irgendwie auseinander halten?“<br />
Die Zwillinge schüttelten den Kopf.<br />
„Bis jetzt hat es noch keiner geschafft“, sagten sie gleichzeitig.<br />
Die Jungs begannen zu lachen.<br />
„Okay, dann werden wir ein Problem kriegen“, sagte Ted. „Seid<br />
ihr <strong>das</strong> erste Jahr hier?“<br />
„Ja“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Ihr auch?“<br />
Beide Jungs nickten.<br />
„In welches Haus würdet ihr gerne kommen? Ich will auf keinen<br />
Fall nach Slytherin!“<br />
„Ja, ich will da auch nicht hin“, antwortete Scott.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> hatten keine Ahnung, von was Ted überhaupt<br />
sprach. Slytherin? Was war denn <strong>das</strong> schon wieder? Und warum<br />
wollten sie nicht in ein Haus mit diesem Namen?<br />
„Was ist Slytherin?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ihr stammt von Muggeln ab?“, fragte Ted.<br />
„Keine Ahnung, wir wurden aber von welchen adoptiert“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ach so. Okay, dann erklär ich euch <strong>das</strong> mal“, meinte Ted. „Es<br />
gibt in Hogwarts vier Häuser. Sie werden Gryffindor, Ravenclaw,<br />
Hufflepuff <strong>und</strong> Slytherin genannt. Also es sind keine richtigen Häuser,<br />
aber auf jeden Fall werden die Schüler in vier Gruppen, auch<br />
91
Häuser genannt, aufgeteilt. Jedes Haus hat einen eigenen Gemeinschaftsraum<br />
<strong>und</strong> eigene Schlafräume.“<br />
„Und warum wollt ihr nicht in dieses Slytherin?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Na ja, es gibt <strong>das</strong> Gerücht, <strong>das</strong> ein Großteil aller Zauberer, die<br />
jemals böse geworden ist, nach Slytherin gekommen ist“, meldete<br />
sich jetzt auch Scott zu Wort. „Mein Dad war früher dort <strong>und</strong> ich<br />
h<strong>of</strong>fe, <strong>das</strong>s ich jetzt nicht auch hinmuss.“<br />
„Meiner war in Gryffindor“, sagte Ted. „Ich will auch dort hin.<br />
Nach Gryffindor kommen nur diejenigen, die Mut im Namen tragen“,<br />
erzählte er stolz. „Er hätte sich gefreut, wenn er sehen würde,<br />
<strong>das</strong>s ich auch dahin komme!“<br />
Ted blickte etwas traurig in die R<strong>und</strong>e. Keiner der anderen schien<br />
zu wissen warum <strong>und</strong> so redete er einfach weiter.<br />
„Und, wie ist es so, bei Muggeln aufzuwachsen?“, fragte er. „Ich<br />
kenne da jemanden, der würde sich nichts sehnlicher wünschen, als<br />
mal einen Monat bei Muggeln zu leben!“<br />
Ted schüttelte den Kopf.<br />
„Na ja, es ist normal“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Normal? Das ich nicht lache! Ich habe diese Leute kommen sehen<br />
mit diesen Autos <strong>und</strong> ich habe gehört, <strong>das</strong>s sie Post von Menschen<br />
überliefern lassen. Stimmt <strong>das</strong>?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte, während sich <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott aufgr<strong>und</strong> dieser ach so<br />
sinnvollen Unterhaltung stumm anblickten.<br />
„Ja, <strong>das</strong> stimmt. Im Vergleich zum Versenden von Post mit Eulen<br />
ist <strong>das</strong> doch sehr normal! Benutzen Zauberer keine Autos?“<br />
„Wir <strong>und</strong> Autos? Nein, wie kommst du darauf? Meine Großmutter<br />
kann zaubern. Überhaupt alle in meinem Haushalt können <strong>das</strong>. Nur<br />
die kleinen Kinder nicht! Für was sollten wir da Autos brauchen?<br />
Wir benutzen Flohpulver oder Portschlüssel. Die Erwachsenen apparieren<br />
einfach.“<br />
<strong>Lily</strong> blickte ihren Gesprächspartner mit gerunzelter Stirn an. Portschlüssel<br />
oder Flohpulver. Letzteres hörte sich eher nach einem Ungeziefervernichtungsmittel<br />
an.<br />
92
„Was sind <strong>das</strong> für Dinge?“, fragte sie.<br />
„Ach ja, tut mir leid. Ich vergesse es immer wieder!“, sagte Ted lächelnd.<br />
„Also Flohpulver streut man in die Flammen eines Kamins.<br />
Also nicht irgendein Kamin, sondern einen, der mit dem Flohnetzwerk<br />
verb<strong>und</strong>en ist. Dann werden die Flammen grün <strong>und</strong> man muss<br />
nur noch sagen, wo man hin will <strong>und</strong> schon ist man da. Portschlüssel<br />
sind verzauberte Gegenstände, die einen an den Zielort bringen <strong>und</strong><br />
Zauberer die apparieren können, lösen sich einfach so in Luft auf<br />
<strong>und</strong> kommen auf einer anderen Stelle wieder an!“<br />
„Also ich bevorzuge Autos <strong>und</strong> Flugzeuge“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Sind <strong>das</strong> nicht die Dinger, mit denen man fliegen kann?“, fragte<br />
Ted <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nickte. „Also wir nehmen dafür Besen, <strong>das</strong> ist doch<br />
viel cooler!“<br />
„Ja, mit Besen fliegen. Wir haben Plakate davon in einem Schaufenster<br />
gesehen. So etwas Verrücktes. Vielleicht kannst du uns ja die<br />
Frage beantworten. Harry, also unser Adoptivbruder meint, <strong>das</strong>s es<br />
doch mit Staubsaugern viel schneller gehen müsste. Stimmt <strong>das</strong>?“<br />
Ted musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.<br />
„Staub- was?“, fragte er.<br />
„Staubsauger sind Maschinen, mit denen man Staub wegmachen<br />
kann“, erklärte Scott grinsend.<br />
„Und von wo weißt du <strong>das</strong>?“, fragte Ted misstrauisch.<br />
„Meine Mutter ist Muggel“, meinte Scott gleichgültig.<br />
„Heißt <strong>das</strong>, ihr kennt euch gar nicht?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Nein, wir haben uns gerade erst im Gang getr<strong>of</strong>fen <strong>und</strong> festgestellt,<br />
<strong>das</strong>s wir beide im ersten Jahr sein werden. So haben wir uns<br />
zusammengetan, weil wir sonst keinen kennen“, meinte Ted. „So,<br />
aber jetzt wieder zu diesen Dreckschluckern oder was auch immer.<br />
Warum sollte man damit fliegen können?“<br />
Ted schaute <strong>Lily</strong> fragend an.<br />
„Ganz einfach. Mit Besen braucht man lange, bis man einen Raum<br />
sauber gemacht hat <strong>und</strong> mit einem Staubsauger nicht so lange. Das<br />
93
müsste doch logischerweise bedeuten, <strong>das</strong>s man mit einem Staubsauger<br />
auch schneller fliegen kann, oder?“<br />
„Ihr benutzt Besen zum Saubermachen?“, fragte Ted verunsichert.<br />
„Ja klar, was sonst?“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf aufgr<strong>und</strong> dieser sinnlosen Frage.<br />
„Man, ich weiß zwar, <strong>das</strong>s Muggel manchmal komisch drauf sind,<br />
aber <strong>das</strong>s sie Besen zum Saubermachen benutzen habe ich nicht gewusst.<br />
Wir fliegen nur mit ihnen. Aber ja, ich weiß, <strong>das</strong>s Besen eigentlich<br />
von Muggeln stammen. Vielleicht wurden sie auch schon<br />
früher zum Staubkehren benutzt, bevor sie die Zauberer für sich entdeckt<br />
haben. Das wäre eine Erklärung.“<br />
Ted schien sichtlich zufrieden mit seiner schlauen Erkenntnis zu<br />
sein. Scott verdrehte die Augen <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> musste Lachen.<br />
„Und warum können dann Staubsauger nicht fliegen?“, fragte <strong>Lily</strong><br />
neugierig.<br />
Sie schien Gefallen an dieser Unterhaltung gef<strong>und</strong>en zu haben,<br />
auch wenn <strong>Dora</strong> den Sinn noch immer nicht erkennen konnte.<br />
„Werden die mit diesem Ding da betrieben… Lass mich überlegen.<br />
Diese komische Energie da, die aus diesen Dingern an der Wand<br />
kommt…“<br />
Ted überlegte eine Weile.<br />
„Meinst du Strom?“, fragte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> wandte sich wieder von den<br />
beiden ab.<br />
„Strom? Ja ja, genau <strong>das</strong> ist es. Also werden die damit betrieben?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Ach, okay, dann kannst du nicht damit fliegen. Dieser Strom <strong>und</strong><br />
Magie vertragen sich nicht.“<br />
„Heißt <strong>das</strong>, ihr benutzt keinen Strom?“<br />
<strong>Lily</strong> konnte sich ein Leben ohne ihn gar nicht vorstellen. Es musste<br />
stockfinster sein in der Nacht <strong>und</strong> mit was brachten die Zauberer<br />
dann Fernseher <strong>und</strong> Computer zum Laufen?<br />
„Nein, natürlich nicht“, antwortete Ted. „Alles, was Energie<br />
braucht, wird durch Zauberei versorgt.“<br />
94
<strong>Lily</strong> nickte nicht sehr überzeugt.<br />
„Also ihr reist mit Ungeziefervernichtern <strong>und</strong> auf Besen. Ist es<br />
dann nicht komisch, in so einem Muggelding wie einem Zug zu sitzen?“,<br />
fragte sie.<br />
„Na ja, eigentlich schon. Normalerweise legen wir solche Entfernungen<br />
nicht auf diese Art <strong>und</strong> Weise zurück, weil es anders doch<br />
viel schneller geht. Eigentlich habe ich keine Ahnung, warum sie uns<br />
nicht einfach über <strong>das</strong> Flohnetzwerk oder mit Portschlüsseln in die<br />
Schule lassen, aber ich denke mal, <strong>das</strong>s es wegen der Kinder von<br />
Muggeln ist, die sonst nie nach Hogwarts kommen würden. Aber<br />
sind ja nur an die neun oder zehn St<strong>und</strong>en Unterschied, also von<br />
dem…“<br />
„Wir fahren neun oder zehn St<strong>und</strong>en?“, unterbrach <strong>Lily</strong> Ted.<br />
„Ja, laut meiner Großmutter schon“, antwortete dieser.<br />
„Na <strong>das</strong> kann ja noch heiter werden“, murmelte <strong>Lily</strong>. „Okay, dann<br />
erzähl weiter, wir müssen ja wissen, auf was wir uns hier… Hey<br />
Harry!“<br />
<strong>Lily</strong> sprang auf <strong>und</strong> machte die Tür auf, weil sie Harry gerade<br />
draußen vorbeigehen sah. Er drehte sich um <strong>und</strong> kam zurück.<br />
„Hallo“, grüßte er seine Cousine.<br />
Sie setzte sich wieder, während Harry in der Tür stehen blieb. Der<br />
Junge von vorhin stellte sich hinter ihn <strong>und</strong> wartete.<br />
„Das ist übrigens Matthew Cauldwell“, sagte er <strong>und</strong> zeigte auf den<br />
Jungen hinter ihm. „Er ist der jüngste aus seiner Familie. Seine Eltern<br />
sind Zauberer <strong>und</strong> alle seine Geschwister waren auch schon in<br />
Hogwarts.“<br />
Matthew nickte den Zwillingen <strong>und</strong> auch den beiden Jungs fre<strong>und</strong>lich<br />
zu.<br />
„Und <strong>das</strong> sind Ted <strong>und</strong> Scott“, erklärte <strong>Lily</strong>. „Ted hat uns übrigens<br />
erklärt, <strong>das</strong>s man nicht mit Staubsaugern fliegen kann.“<br />
Harry schaute etwas enttäuscht.<br />
„Nicht?“, fragte er.<br />
Ted schüttelte den Kopf.<br />
95
„Nein, tut mir Leid, unmöglich. Allerdings könntest du einen<br />
Staubsauger erfinden, der nicht mit diesem Strom-Dingsda betrieben<br />
wird, dann müsste sich mit einem Zauber da was machen lassen…“<br />
„Ich kann ja noch nicht mal irgendetwas herzaubern“, murmelte<br />
Harry.<br />
„Keine Sorge Kumpel, deswegen sind wir ja hier!“<br />
Matthew klopfte ihm auf die Schulter <strong>und</strong> Harry wandte sich um.<br />
„Ihr bekommt Besuch! Ich komme später dann noch mal vorbei“,<br />
verabschiedete sich Harry nach einem Blick nach rechts.<br />
„Was? Wer…“, wollte <strong>Lily</strong> fragen, doch Harry war bereits verschw<strong>und</strong>en.<br />
Augenblicke später kam eine ältere Hexe mit einem Wagen den<br />
Flur entlang <strong>und</strong> ins Abteil der Zwillinge. Der Wagen schien voll<br />
beladen mit Süßigkeiten zu sein, welche die Zwillinge nicht kannten.<br />
Manche davon bewegten sich sogar.<br />
„Lust auf Süßigkeiten?“, fragte die Dame.<br />
„Was gibt’s denn alles?“<br />
<strong>Lily</strong> schaute die verschiedenen Dinge misstrauisch an.<br />
„Ah, noch nie Süßigkeiten von Zauberern gegessen?“, fragte sie<br />
<strong>und</strong> die Zwillinge nickten. „Es gibt Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen,<br />
Bubbels Besten Blaskaugummi, Eismäuse,<br />
Gummischnecken, Schok<strong>of</strong>rösche, Kürbispasteten, Kesselkuchen,<br />
Lakritz-Zauberstäbe, Pfefferkobolde, Zischende Wissbies, Zucker-<br />
Federhalter, Zuckerwattefliegen, Schluckaufdrops, Schokokugeln,<br />
…“<br />
„Und was schmeckt gut davon?“, fragte <strong>Lily</strong> an Scott <strong>und</strong> Ted gewandt.<br />
„Hhm“, machte Ted. „Ich würde euch Bertie Botts Bohnen in allen<br />
Geschmacksrichtungen, den Blaskaugummi, die Kesselkuchen <strong>und</strong><br />
die Zucker-Federhalter empfehlen. Die zischenden Wissbies <strong>und</strong> die<br />
Eismäuse sind zwar lecker, aber sie haben komische Nachwirkungen…<br />
Außerdem kann man Schok<strong>of</strong>roschkarten sammeln, also<br />
nehmt euch welche von diesen!“<br />
96
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> überlegten, während Ted <strong>und</strong> Scott kräftig zulangten.<br />
Genau wie die Jungs auch, nahmen sie sich ein paar Kesselkuchen,<br />
ein paar Zucker-Federhalter <strong>und</strong> Schok<strong>of</strong>rösche. Nachdem sich<br />
die Verkäuferin bedankt <strong>und</strong> verabschiedet hatte, verließ sie <strong>das</strong> Abteil<br />
wieder.<br />
Während die Zwillinge an einem der Kesselkuchen kauten, streckte<br />
Ted seine Hand aus, in der er eine kleine Papiertüte hielt.<br />
„Was ist <strong>das</strong>?“, fragte <strong>Lily</strong> misstrauisch.<br />
„Bertie Botts Bohnen in allen Geschmacksrichtungen“, meinte Ted<br />
lachend. „Nehmt euch ein paar, ich habe genug!“<br />
Jeder von den Zwillingen nahm sich eine Bohne heraus. <strong>Lily</strong> erwischte<br />
eine rote <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> eine weiße. Bevor sie sie sich in den<br />
M<strong>und</strong> steckten, ergriff jedoch Scott <strong>das</strong> Wort.<br />
„Seid vorsichtig!“, warnte er die Zwillinge <strong>und</strong> warf Ted einen<br />
finsteren Blick zu. „Das ist gemein von dir, die wissen ja gar nicht,<br />
auf was sie sich da einlassen!“<br />
Ted grinste unschuldig, während sich Scott wieder an die Zwillinge<br />
wandte.<br />
„Steckt sie nicht ganz in den M<strong>und</strong>, kostet sie nur. Es handelt sich<br />
bei diesen Bohnen nämlich wirklich um alle Geschmacksrichtungen!<br />
Die Farbe zeigt, um was es sich handeln könnte“, sagte er, während<br />
er auf die Bohnen der Mädchen blickte. „Deine könnte also entweder<br />
nach Erdbeere oder aber auch nach Blut schmecken!“<br />
Er zeigte auf die rote Bohne in <strong>Lily</strong>s Hand. Diese blickte angewidert<br />
darauf.<br />
„Und was könnte meine sein?“<br />
Scott überlegte, während er auf die weiße Bohne von <strong>Dora</strong> blickte.<br />
„Keine Ahnung. Vielleicht Schnee oder Gänseblümchen oder Käse…<br />
Könnte aber auch einfach Zucker oder Salz sein!“<br />
„Mann, du musst auch wirklich jeden Spaß verderben“, meinte<br />
Ted.<br />
97
Scott <strong>und</strong> die Mädchen lachten. <strong>Lily</strong> war die erste, die sich traute,<br />
ihre Bohne mit der Zunge zu berühren um sicher zu gehen, <strong>das</strong>s es<br />
sich um etwas Genießbares handelte.<br />
„Rote Rüben würde ich sagen“, meinte sie <strong>und</strong> steckte sich die<br />
Bohne ganz in den M<strong>und</strong>.<br />
Die anderen schauten sie angewidert an.<br />
„Was? Ich mag rote Rüben!“<br />
Alle im Abteil begannen zu lachen, dann versuchte <strong>Dora</strong> ihr Glück.<br />
„Du hattest Recht“, meinte sie an Scott gewandt, „es ist Salz!“<br />
Sie stand auf, öffnete <strong>das</strong> Fenster einen Finger breit <strong>und</strong> schon flog<br />
die Bohne davon.<br />
„Schaut nicht so, ich esse ja nicht alles“, meinte sie.<br />
Auch Ted <strong>und</strong> Scott aßen noch ein paar der Bohnen, wobei sie<br />
doch tatsächlich Schokolade <strong>und</strong> Himbeergeschmack erwischten.<br />
Erst als Ted sich die zweite in den M<strong>und</strong> steckte <strong>und</strong> daraufhin ein<br />
komisches Gesicht machte <strong>und</strong> die Bohne wieder ausspukte, steckten<br />
sie die Bohnen weg. Es hatte sich herausgestellt, <strong>das</strong>s er scharfen<br />
Pfeffer gewählt hatte.<br />
„Gehört dir schon“, meinte <strong>Lily</strong> schadenfroh.<br />
Sie versuchte den Geschmack der roten Rüben, der nun doch nicht<br />
so gut gewesen war, durch den eines Schok<strong>of</strong>rosches zu überdecken.<br />
Als sie gerade die Schokolade aß, fiel ihr die Karte im Inneren der<br />
Verpackung auf. Sie nahm sie heraus <strong>und</strong> betrachtete sie. Auf der<br />
Vorderseite stand ‚Thaddeus Thurkell’ <strong>und</strong> ein Bild von einem Zauberer,<br />
der sieben Igel mit sich trug, war zu sehen. Er versuchte<br />
krampfhaft alle Tiere festzuhalten, damit ihm nicht eines entwischen<br />
konnte. Die Igel waren damit allerdings gar nicht so einverstanden<br />
<strong>und</strong> versuchten ihm zu entkommen.<br />
<strong>Lily</strong> lachte <strong>und</strong> drehte die Karte um <strong>und</strong> las den Text, der den Zauberer<br />
auf der Vorderseite beschrieb.<br />
Thaddeus Thurkell hatte sieben Söhne, die sich allesamt<br />
als Squibs erwiesen. Enttäuscht <strong>und</strong> entnervt von seinem<br />
98
99<br />
Schicksal verwandelte er seine ‚missratenen’ Söhne in<br />
Igel.<br />
„Was sind Squibs?“, fragte <strong>Lily</strong>, als sie zu Ende gelesen hatte.<br />
„Ach, die sind sozusagen <strong>das</strong> Gegenteil von Zauberern mit Muggeleltern“,<br />
erklärte Ted. „Squibs sind Kinder von Zauberern, bei denen<br />
sich allerdings herausstellt, <strong>das</strong>s sie keine wirklichen Zauberkräfte<br />
besitzen. Der Hausmeister von Hogwarts ist angeblich ein Squib.<br />
Wen hast du da?“, fügte er hinzu, als er die Schok<strong>of</strong>roschkarte in<br />
<strong>Lily</strong>s Hand sah.<br />
„Thaddeus Thurkell“, antwortete sie.<br />
„Ach der… den hab ich drei Mal“, antwortete Ted. „Der ist nicht<br />
wirklich selten. Ein komischer Kauz. Verwandelt seine Kinder in<br />
Igel, nur weil diese nicht zaubern können <strong>und</strong> dafür drucken sie ihn<br />
dann auch noch auf Schok<strong>of</strong>roschkarten… Da könnte doch wirklich<br />
jeder berühmt werden!“<br />
„Stimmt“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Sind da lauter berühmte Leute drauf?“<br />
„Oja, nur die Berühmtesten. Deshalb weiß ich auch nicht, was der<br />
dabei zu suchen hat.“<br />
Ted kramte etwas aus seiner Hosentasche. Es war eine kleine Box,<br />
die er vorsichtig öffnete.<br />
„Hier sind meine. Ich habe natürlich mehr, aber die anderen sind<br />
doppelt <strong>und</strong> die benutze ich zum Tauschen!“<br />
<strong>Lily</strong> beugte sich etwas zu Ted hinüber <strong>und</strong> betrachtete die Karten<br />
genau. Es war schwer zu schätzen, wie viele verschiedene es waren,<br />
aber sicher über zweih<strong>und</strong>ert.<br />
„Hier. Das ist Albus Dumbledore! Er war der Schulleiter von meinem<br />
Dad <strong>und</strong> meiner Mum. Einer der besten Zauberer aller Zeiten<br />
<strong>und</strong> der beste <strong>und</strong> beliebteste Schulleiter überhaupt!“, erklärte er.<br />
„Und <strong>das</strong> hier, <strong>das</strong> ist Godric Gryffindor! Er ist einer der vier Gründer<br />
von Hogwarts <strong>und</strong> von ihm stammt <strong>das</strong> Haus Gryffindor. Ich habe<br />
auch noch die anderen drei. Helga Hufflepuff, Rowena Rawenclaw<br />
<strong>und</strong> Salazar Slytherin.“
Während Ted <strong>Lily</strong> weiterhin die berühmten Persönlichkeiten auf<br />
den Karten vorstellte, starrten <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott aus dem Fenster. Sie<br />
kamen vorbei an Bergen <strong>und</strong> Bäumen, Wiesen <strong>und</strong> Feldern. Die<br />
Sonne, die eben noch hoch am Himmel gestanden hatte, senkte sich<br />
inzwischen ein wenig <strong>und</strong> ab <strong>und</strong> zu kam es <strong>Dora</strong> so vor, als könnte<br />
sie schon etwas Rötliches am Himmel erkennen. Waren sie schon so<br />
lange unterwegs?<br />
Während sie den Himmel beobachtete, griff sie manchmal in die<br />
Tüte mit den Süßigkeiten, wo sie diesmal ebenfalls einen Schok<strong>of</strong>rosch<br />
herausholte <strong>und</strong> ihn in Gedanken versunken aus seiner Verpackung<br />
befreite.<br />
100
101<br />
Harry Potter <strong>und</strong> blaue Zauberstab<br />
„Wen hast du… wow“, hörte <strong>Dora</strong> Scott sagen, als sie noch immer<br />
der langsam untergehenden Sonne zusah.<br />
Sie hatte gerade darüber nachgedacht, ob sie wohl morgen schon<br />
Unterricht haben würden <strong>und</strong> ob sie gleich mit dem Zaubern beginnen<br />
oder erst ein paar theoretische Tage oder Wochen einlegen würden.<br />
<strong>Dora</strong> drehte sich zu Scott, welcher mit <strong>of</strong>fenem M<strong>und</strong> auf die leere<br />
Verpackung in ihrer Hand starrte.<br />
„Du hast ihn!“, flüsterte er. „Ich suche Harry Potter schon mein<br />
ganzes Leben lang!“<br />
Sie nahm die Karte, die noch halb im Papier des Schok<strong>of</strong>rosches<br />
versteckt war heraus <strong>und</strong> starrte sie an. ‚Harry Potter’ stand in großen<br />
Buchstaben unter einem Bild mit einem schwarzhaarigen Zauberer.<br />
Sein Haar stand in alle Windrichtungen ab <strong>und</strong> er hatte eine Brille<br />
mit r<strong>und</strong>en Brillengläsern. Mal lächelte er aus der Karte <strong>und</strong> ein<br />
wenig später strich er sich seine Haare aus dem Gesicht <strong>und</strong> eine<br />
blitzförmige Narbe auf seiner Stirn war zu erkennen.<br />
„Wer ist <strong>das</strong>?“, fragte <strong>Dora</strong> leise.<br />
Ted <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> diskutierten noch immer über berühmte Zauberer <strong>und</strong><br />
Hexen <strong>und</strong> Ted erklärte ihr gerade, wie eine Hexe namens Gunhilda<br />
von Gorsemoor ein Mittel zur Heilung von Drachenpocken erf<strong>und</strong>en<br />
hatte. <strong>Lily</strong>, die natürlich keine Ahnung hatte, was Drachenpocken<br />
überhaupt waren, fing s<strong>of</strong>ort wieder an Ted mit Fragen darüber zu<br />
bombardieren.<br />
„Du weißt nicht, wer Harry Potter ist? Er ist wohl der berühmteste<br />
Zauberer überhaupt!“, erklärte Scott schüchtern. „Mein Dad ist ein<br />
großer Bew<strong>und</strong>erer von ihm. Harry Potter hat ihm wohl mal <strong>das</strong> Leben<br />
gerettet oder so. Weiß ich aber nicht genau. Auf jeden Fall hat er<br />
den bösesten aller Zauberer nicht nur einmal fertig gemacht. Auf<br />
mysteriöse Weise ist er allerdings vor über einem Jahrzehnt gestorben.“
<strong>Lily</strong> drehte die Schok<strong>of</strong>roschkarte herum <strong>und</strong> las den Text.<br />
Harry Potter (* 31. Juli 1980, am 2. Juli 1998) zwang<br />
Lord Voldemort zum Rückzug, als er nur ein Jahr alt<br />
war. In seinen Jahren in Hogwarts war er ein überaus<br />
guter Quidditch-Spieler, doch <strong>das</strong> ist nichts im Vergleich<br />
zu dem, w<strong>of</strong>ür er berühmt geworden ist. Der Junge, der<br />
den dunklen Lord bereits als Baby stark geschwächt<br />
hatte, besiegte ihn über sechzehn Jahre später auch ein<br />
zweites Mal <strong>und</strong> diesmal für immer in der legendären<br />
Schlacht von Hogwarts. Leider wurde er nur wenige<br />
Wochen nach seinem Triumph tot aufgef<strong>und</strong>en. Harry,<br />
wir danken dir!<br />
„Wer war dieser Lord Voldemort?“, fragte <strong>Dora</strong>, als sie den Absatz<br />
fertig gelesen hatte.<br />
Scott blickte sie mit großen Augen an.<br />
„Lord Voldemort war der größte, dunkle Magier, den es jemals gegeben<br />
hat. Er ermordete gemeinsam mit seinen Gehilfen, die auch<br />
Todesser genannt werden, h<strong>und</strong>erte, wenn nicht sogar tausende von<br />
Leuten auf brutalste Weise. Wenn Harry Potter nicht gewesen wäre,<br />
dann würde er jetzt wohl immer noch leben.“<br />
„Was ist mit Harry Potter?“, fragte plötzlich Ted.<br />
Er beugte sich, genau wie <strong>Lily</strong>, näher zu Scott <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, welche<br />
sich noch immer gedämpft unterhielten.<br />
„<strong>Dora</strong> hat die 'Harry Potter'-Schok<strong>of</strong>roschkarte!“, antwortete Scott.<br />
Ted machte große Augen.<br />
„Du hast Harry Potter? Nicht dein Ernst! Zeig mal her!“<br />
Er nahm die Karte an sich, die <strong>Dora</strong> ihm entgegenstreckte <strong>und</strong><br />
musterte sie mit unverkennbarem Verlangen.<br />
„Wow, die ist so was von selten!“, erklärte er. „Ich suche die schon<br />
seit Ewigkeiten. Du willst sie nicht zufällig tauschen?“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf für ihre Schwester.<br />
102
„Wenn die so selten ist, dann behalten wir sie natürlich!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Erzähl mehr von diesem Voldemort“, bat sie Scott.<br />
„Na ja, was soll ich noch sagen. Angeblich war er auch mal ein<br />
ganz normaler Schüler in Hogwarts <strong>und</strong> Jahre später wurde er böse.<br />
Keiner weiß so Recht warum. Man vermutet, <strong>das</strong>s die einzigen, die<br />
die meisten <strong>Geheimnis</strong>se von ihm kannten, Albus Dumbledore <strong>und</strong><br />
Harry Potter persönlich waren. Vielleicht wussten auch Ron Weasley<br />
<strong>und</strong> Hermine Granger bescheid. Das waren während Harry Potters<br />
Schulzeit seine besten Fre<strong>und</strong>e. Ron Weasley ist allerdings tot – er<br />
starb etwa ein dreiviertel Jahr nach Harry Potter – <strong>und</strong> Hermine<br />
Granger sagt, sie wisse auch nicht mehr als alle anderen. Wie Harry<br />
es geschafft hat, Voldemort zu besiegen, ist eines der größten Rätsel<br />
der Geschichte, denn dieser galt eigentlich als unbesiegbar.“<br />
Es war ganz still geworden im Abteil, während Scott diese Geschichte<br />
erzählte <strong>und</strong> sogar Ted, der sie schon in- <strong>und</strong> auswendig<br />
kennen musste, hörte gespannt zu.<br />
„Aber genaueres werden wir spätestens in Zaubereigeschichte hören“,<br />
meinte er.<br />
Die Zwillinge nickten <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> verstaute ihre neue Karte sorgfältig<br />
in ihrem K<strong>of</strong>fer, als es ein weiteres Mal jemand anklopfte. Ted<br />
zog wieder den Vorhang zu Seite <strong>und</strong> deutete einem etwas älteren<br />
Schüler, <strong>das</strong>s er eintreten durfte. Er öffnete langsam die Tür <strong>und</strong> alle<br />
vier Gesichter wandten sich ihm zu.<br />
„Mein Name ist Henry McClair. Ich bin Vertrauensschüler des<br />
fünften Jahrgangs aus dem Hause Slytherin <strong>und</strong> möchte euch bitten,<br />
euch fertig zu machen. Zieht eure Umhänge an <strong>und</strong> packt eure Sachen.<br />
Wir werden in wenigen Minuten in der Endstation Hogsmeade<br />
ankommen!“<br />
Henry sagte <strong>das</strong> in einem mehr als gelangweilten Tonfall, der darauf<br />
schließen ließ, <strong>das</strong>s er denselben Satz schon in vielen Abteilen<br />
gesagt haben musste. Als er fertig gesprochen hatte, drehte er sich<br />
auf der Stelle um. Dabei streifte sein Blick Scott.<br />
103
„Kennen wir uns?“, sagte er <strong>und</strong> in seinen Augen war ein Funkeln<br />
zu erkennen.<br />
„Nein, nicht <strong>das</strong>s ich wüsste“, antwortete Scott.<br />
„Doch, ganz sicher sogar. Wie heißt du denn?“<br />
Er musterte Scott noch immer von oben bis unten <strong>und</strong> versuchte<br />
nicht mal sein Grinsen zu verbergen.<br />
„Scott Mason“, antwortete der blonde Junge verwirrt.<br />
„Ach so, vielleicht doch nicht. Ich h<strong>of</strong>fe ich treffe einen von euch<br />
wieder in Slytherin!“, sagte er noch, bevor er sich arrogant umdrehte<br />
<strong>und</strong> die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ.<br />
„Ich h<strong>of</strong>fe, wir treffen uns nie wieder“, antwortete Ted.<br />
„Das h<strong>of</strong>fe ich auch“, schloss sich <strong>Lily</strong> ihm an.<br />
<strong>Dora</strong> blickte Scott an, welcher vor sich auf den Boden starrte, sein<br />
Gesichtsausdruck unentschlüsselbar.<br />
„Was hatte <strong>das</strong> zu bedeuten?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Keine Ahnung“, antwortete Scott ehrlich. „Ich h<strong>of</strong>fe nur, <strong>das</strong>s<br />
keine von uns nach Slytherin muss. Wenn die dort alle so sind…“<br />
„Ich glaube, wir haben gute Chancen auf ein besseres Haus! Oder<br />
glaubt ihr, <strong>das</strong>s irgendjemand von uns mal böse wird?“<br />
Alle schüttelten gleichzeitig den Kopf. Der einzige der nicht wirklich<br />
überzeugt aussah, war Scott.<br />
„Aber der Hut teilt normal alle Familienmitglieder in <strong>das</strong>selbe<br />
Haus ein“, meinte er ängstlich. „Meine Mum ist Muggel <strong>und</strong> mein<br />
Dad war in Slytherin, <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s ich fast sicher dorthin komme!“<br />
„Ach komm schon“, meinte Ted. „Der Hut entscheidet richtig <strong>und</strong><br />
du gehörst nicht nach Slytherin, da bin ich mir sicher!“<br />
„Von welchem Hut redet ihr?“, fragte <strong>Dora</strong>, die <strong>das</strong> Gespräch aufmerksam<br />
verfolgte.<br />
„Vom sprechenden Hut natürlich!“, antwortete Ted. „Der sortiert<br />
die Schüler in die vier Häuser. Du musst ihn dir einfach nur aufsetzen<br />
<strong>und</strong> er sagt dir, wo du hingehörst!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, die heute sowieso nichts mehr überraschen konnte,<br />
nickten. Inzwischen war es fast ganz dunkel draußen.<br />
104
„Leute, wir sollten uns zusammenpacken!“, meinte <strong>Lily</strong>, als der<br />
Zug immer langsamer wurde.<br />
S<strong>of</strong>ort standen alle vier auf <strong>und</strong> kramten in ihren K<strong>of</strong>fern nach den<br />
Umhängen.<br />
„Und du glaubst, <strong>das</strong>s uns keiner blöde anschaut, wenn wir mit<br />
diesen Dingern rumlaufen?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> deutete auf ihren Umhang.<br />
„Nein, warum denn?“<br />
Ted schaute sich den Umhang von <strong>Lily</strong> an, schien aber festzustellen,<br />
<strong>das</strong>s er ganz <strong>und</strong> gar normal war <strong>und</strong> er die Aufmerksamkeit<br />
nicht mehr auf <strong>Lily</strong> lenken würde, als sein eigener Umhang auf ihn.<br />
„Na vorher dachte ich, <strong>das</strong>s alle Hexen <strong>und</strong> Zauberer solche Umhänge<br />
tragen, aber in King’s Cross waren alle normal angezogen!“,<br />
erinnerte sie sich.<br />
„Ach nein, <strong>das</strong> war doch nicht normal! Die haben nur versucht,<br />
sich zu verkleiden, um den Muggeln nicht aufzufallen“, antwortete<br />
Ted. „Normalerweise trauen die sich in solchen Klamotten wie heute<br />
nicht auf die Strasse. Das schaut doch mehr als nur ungewöhnlich<br />
aus!“<br />
<strong>Lily</strong> kratze sich am Kopf, sagte allerdings nichts dazu. Darum hatte<br />
wohl diese eine Frau die Skihose unter dem Minirock an, weil sie es<br />
nicht gewohnt war, sich wie ein Muggel zu kleiden. Es schienen<br />
wohl wirklich zwei komplett verschiedene Welten zu sein, die da so<br />
friedlich nebeneinander existierten. Die Welt der Muggel <strong>und</strong> die<br />
Welt der Zauberer.<br />
Sie warf sich also ebenfalls den Umhang über, genau wie alle anderen<br />
im Abteil es auch gemacht hatten, <strong>und</strong> holte anschließend ihren<br />
K<strong>of</strong>fer <strong>und</strong> den Kessel von der Gepäckablage. Noch vor Ted <strong>und</strong><br />
Scott drängte sie sich, dicht gefolgt von ihrer Schwester, aus dem<br />
Abteil.<br />
Der Gang war inzwischen voll von Schülern. Manche älter, manche<br />
jünger.<br />
105
„Sag mal Ted, wie viele Jahrgänge gibt es in Hogwarts überhaupt?“,<br />
fragte sie, als sie eine Horde Mädchen an sich vorbeigehen<br />
sah, die sicher über fünfzehn Jahre alt waren <strong>und</strong> sie waren bei Weitem<br />
nicht die ältesten hier.<br />
„Sieben“, presste er mit sichtlicher Mühe hervor, da ihn gerade ein<br />
paar andere Schüler, die es eilig hatten, ihm den Weg abzuschneiden,<br />
an die Wand im Flur drängten.<br />
<strong>Lily</strong> nickte. Der Zug war inzwischen mit einem lauten Pfiff stehen<br />
geblieben <strong>und</strong> die Schülermassen drängten sich nur so aus ihren Abteilen<br />
an die frische Luft außerhalb des Zuges.<br />
Es dauerte nicht lange <strong>und</strong> auch die Zwillinge fanden sich auf dem<br />
Bahnsteig wieder. Ihr Gepäck noch immer fest umklammert, warteten<br />
sie, bis sie Ted <strong>und</strong> Scott erblickten, die auch aus dem Zug kamen.<br />
„Gepäck stehen lassen <strong>und</strong> weitergehen“, schrie ein etwas älterer<br />
Schüler. „Hey, hab ich nicht gesagt, du sollst den K<strong>of</strong>fer stehen lassen?“<br />
Er schritt auf einen verängstigt wirkenden kleinen Jungen zu, der<br />
<strong>of</strong>fensichtlich auch zum ersten Jahrgang gehörte. Er ließ den K<strong>of</strong>fer<br />
fallen <strong>und</strong> drängelte sich aus dem Sichtfeld des älteren Jungens.<br />
„Gepäck stehen lassen <strong>und</strong> weitergehen!“, begann dieser wieder zu<br />
rufen.<br />
„Erstklässler hier her!“, war eine noch lautere Stimme zu hören.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> erkannten sie s<strong>of</strong>ort <strong>und</strong> ließen ihre Blicke in die<br />
Richtung wandern, aus der die Stimme kam.<br />
„Erstklässler“, brüllte Hagrid, um den sich bereits eine kleine<br />
Traube aus Schülern gebildet hatte.<br />
Scott <strong>und</strong> Ted, die bereits bei den Zwillingen angekommen waren,<br />
ließen ebenfalls ihr Gepäck am Bahnsteig zurück <strong>und</strong> eilten den beiden<br />
nach.<br />
„Oh, hallo!“, sagte Hagrid <strong>und</strong> grinste den beiden zu. „Hab’ mich<br />
schon gefragt, wo ihr seid. Harry is’ nämlich schon früher gekomm’n!“<br />
106
„Wir wurden getrennt“, schrie <strong>Lily</strong> so laut sie konnte, um alle anderen<br />
zu übertönen.<br />
Sie standen eine Weile lang da <strong>und</strong> beobachteten die Leute um sie<br />
herum. <strong>Lily</strong> konnte auch eine ganze Menge Kutschen erkennen, in<br />
denen die Schüler, einer nach dem anderen, verschwanden. Es waren<br />
eigentlich ganz normale Kutschen, bis auf die Tatsache, <strong>das</strong>s sie<br />
ganz von alleine <strong>und</strong> ohne Pferde losfuhren.<br />
<strong>Dora</strong> blickte zu Hagrid auf. Dieser versuchte gerade mit einem<br />
Finger die Erstklässler um ihn herum abzuzählen, was ihm aber bei<br />
den ersten paar Versuchen nicht gelang, da sie wie wild durcheinander<br />
liefen.<br />
„In Zweierreihen aufstellen“, brüllte er schließlich.<br />
Alle gehorchten Hagrid, nur ein Mädchen schien ihn nicht gehört<br />
zu haben. Er ging durch die Reihe <strong>und</strong> als er bei ihm ankam, packte<br />
er es unsanft an der Schulter <strong>und</strong> sagte: „Zweierreihe hab ich gesagt!“<br />
Sie warf ihm einen bösen Blick zu, dann ging sie, ihre schwarzen<br />
langen Haare arrogant über ihre Schulter werfend, ganz ans Ende der<br />
Schlange.<br />
„Okay, wir sind alle! Kommt mit!“<br />
Hagrid schwang seine große Hand nach Rechts, wo <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
einen großen See erkennen konnten. Sie folgten Hagrid. Keiner traute<br />
sich mehr, aus der Zweierreihe zu treten, nur <strong>das</strong> schwarzhaarige<br />
Mädchen ging schon wieder irgendwo neben der geordneten Reihe<br />
aus Erstklässlern spazieren. Sie machte Grimassen in Hagrids Richtung.<br />
„Wenn ich erst mal zaubern kann, dann ist <strong>das</strong> der Erste, den ich<br />
einen Fluch auf den Hals hexe!“, meinte sie böse grinsend <strong>und</strong> zwei<br />
Mädchen, die neben ihr hergingen, lachten.<br />
Die zwei Mädchen warfen sich einen vielsagenden Blick zu, als sie<br />
<strong>das</strong> fremde Mädchen belauschten. Plötzlich stoppte Hagrid <strong>und</strong> deutete<br />
mit seinem gewaltigen Finger auf etliche Boote.<br />
„Hogwarts voraus!“, rief er gutgelaunt.<br />
107
<strong>Lily</strong> blickte auf <strong>und</strong> stupste <strong>Dora</strong> an. Am anderen Ende des Sees<br />
war ein riesiges Schloss zu erkennen, in dem sämtliche Fenster erleuchtet<br />
zu sein schienen. Es war ein gewaltiger Anblick. Alle waren<br />
still <strong>und</strong> bew<strong>und</strong>erten die vielen Türme, die vor ihnen hoch in den<br />
dunklen Nachthimmel ragten.<br />
„Zu viert in die Boote“, befahl Hagrid.<br />
<strong>Dora</strong> zählte sie schnell. Es waren genau elf Boote, wobei Hagrid<br />
eines für sich alleine in Anspruch nahm. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> teilten sich<br />
<strong>das</strong> Boot, <strong>das</strong> ganz links im Wasser schwamm mit Ted <strong>und</strong> Scott.<br />
„Alle drinn’?“<br />
Ein zustimmendes Murmeln ertönte von den Schülern.<br />
„Okay, dann los“, sagte Hagrid.<br />
Augenblicklich setzten sich alle Boote wie von Geisterhand in<br />
Bewegung <strong>und</strong> steuerten Zielstrebig auf <strong>das</strong> andere Ufer zu. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> hätten schwören können, einen grünen Kopf, ein Stück von ihnen<br />
entfernt, im Wasser erkennen zu können. Doch sie kamen nicht<br />
dazu, darüber nachzudenken, ob sie ihn sich nur eingebildet hatten,<br />
denn---<br />
„Köpfe runter!“, schrie Hagrid.<br />
Augenblicklich duckten sich alle <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>en später fanden sich<br />
sämtliche Boote in einer unterirdischen Höhle, die sich anscheinend<br />
unterhalb des Schlosses befinden musste, wieder.<br />
Für spärliches Licht sorgten nur ein paar Fackeln, die auf den kahlen<br />
Steinwänden befestigt waren. An einem kleinen Hafen unter der<br />
Erde hielten sie von alleine an <strong>und</strong> alle kletterten, so schnell sie<br />
konnten, aus den Booten, um mit Hagrid Schritt halten zu können,<br />
der bereits einen langen Flur entlang ging.<br />
Nach nur kurzer Zeit kamen sie wieder über die Erde <strong>und</strong> erblickten<br />
nun <strong>das</strong> Schloss in voller Größe nur wenige Meter von ihnen entfernt.<br />
Die meisten waren stehen geblieben <strong>und</strong> starrten <strong>das</strong> Gebäude<br />
mit großen Augen an, während ein paar ganz schwer zu Beeindruckende<br />
Hagrid über die lange Steintreppe folgten, die hinauf zum<br />
großen Eichentor führte.<br />
108
Hagrid klopfte <strong>und</strong> schon kurze Zeit später wurde <strong>das</strong> Tor knarrend<br />
geöffnet. Die Zwillinge waren nun auch schon auf der riesigen obersten<br />
Stufe angekommen <strong>und</strong> schauten die etwas ältere, r<strong>und</strong>liche<br />
Frau erwartungsvoll an. Sie lächelte bis über beide Ohren <strong>und</strong> sie<br />
schien wirklich erfreut darüber, die Erstklässler <strong>und</strong> Hagrid zu sehen.<br />
„Ich geh’ dann ma’ hinein. Kann ich sie dir überlass’n, Pomona?“,<br />
fragte Hagrid.<br />
„Aber klar doch“, meinte sie glücklich.<br />
Hagrid winkte den Kindern noch ein letztes Mal zu, bevor er durch<br />
die riesige Tür trat <strong>und</strong> im Schloss verschwand.<br />
„Willkommen in Hogwarts“, begrüßte sie die Neuankömmlinge.<br />
„Mein Name ist Pr<strong>of</strong>essor Pomona Sprout <strong>und</strong> ich bin die Hauslehrerin<br />
von Hufflepuff <strong>und</strong> eure zukünftige Lehrerin in Kräuterk<strong>und</strong>e.<br />
Eigentlich wollte euch hier die stellvertretende Schulleiterin Hermine<br />
Granger abholen, doch sie ist anderweitig beschäftigt. Wir beginnen<br />
bald mit der Auswahlzeremonie in der großen Halle. Bitte folgt<br />
mir!“<br />
Obwohl Pr<strong>of</strong>essor Sprout nicht gerade streng ausschaute, befolgten<br />
alle ihren Wunsch <strong>und</strong> folgten ihr geordnet in die riesengroße Eingangshalle.<br />
Es war überhaupt der größte Raum, den <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
jemals gesehen hatten. Wenn man hier Wände aufgestellt hätte, dann<br />
hätte man sicher ein Einfamilienhaus nur in dieser einen Halle unterbringen<br />
können.<br />
„Also, ihr habt noch einige Minuten Zeit, während alle anderen<br />
Schüler ihre Plätze einnehmen“, verkündete Pr<strong>of</strong>essor Sprout. „Anschließend<br />
werdet ihr euch in einer Reihe aufstellen <strong>und</strong> ich werde<br />
nacheinander eure Namen aufrufen. Wenn ihr aufgerufen werdet,<br />
kommt ihr zu mir <strong>und</strong> ich werde euch einen Zauberstab in die Hand<br />
geben. Dieser wird dann verkünden, in welches Haus ihr kommt.<br />
Macht euch bereit!“<br />
Die Lehrerin warf durch einen Spalt einen Blick in einen weiteren<br />
Raum des Schlosses.<br />
„Ich dachte, <strong>das</strong> macht ein Hut“, meinte <strong>Lily</strong> and Ted gewandt.<br />
109
Dieser zuckte mit seinen Schultern.<br />
„Dachte ich auch!“<br />
„Pr<strong>of</strong>essor, was ist mit dem Hut?“, sagte <strong>das</strong> unsympathische<br />
Mädchen mit dem etwas r<strong>und</strong>licheren Gesicht, von vorhin, <strong>das</strong> ein<br />
paar Schritte nach vorne getreten war. „Meine Mum <strong>und</strong> meine<br />
Schwestern meinen, <strong>das</strong>s ein Hut die Auswahl vornimmt!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Sprout wandte den Blick vom Türspalt ab <strong>und</strong> blickte<br />
<strong>das</strong> Mädchen an.<br />
„Der Hut wurde leider zerstört“, antwortete Pr<strong>of</strong>essor Sprout lächelnd.<br />
„Nicht mal die Schulleiterin <strong>und</strong> deren Stellvertreterin gemeinsam<br />
konnten ihn reparieren. Tut mir leid, Miss!“<br />
Ohne sich für die fre<strong>und</strong>liche Antwort zu bedanken, drehte sich<br />
<strong>das</strong> Mädchen um <strong>und</strong> ging zurück zu ihren beiden, immer noch kichernden<br />
Fre<strong>und</strong>innen.<br />
<strong>Dora</strong> ließ ihren Blick durch sämtliche Teile der Halle gleiten, die<br />
sie erkennen konnte, als ihr eine besonders große Statue mitten im<br />
Raum auffiel. Sie erkannte den Zauberer, den <strong>das</strong> goldene Gebilde<br />
darstellen sollte, s<strong>of</strong>ort. Es war wieder dieser Harry Potter.<br />
„Guck mal da“, sagte sie zu <strong>Lily</strong>. „Der scheint echt ziemlich berühmt<br />
gewesen zu sein. Überall, wo wir hinkommen, sehen wir den.<br />
In der Winkelgasse, auf den Schok<strong>of</strong>roschkarten <strong>und</strong> jetzt sogar in<br />
der Schule.“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Der muss ja wirklich so was wie der Superman unter den Zauberern<br />
gewesen sein, oder?“<br />
Die Mädchen lachten, dann drehten sie sich wieder zu Pr<strong>of</strong>essor<br />
Sprout um, die erneut zu reden begonnen hatte.<br />
„Es ist soweit, die Zeremonie kann beginnen. Folgt mir!“, wies sie<br />
die wartende Schülermenge an.<br />
Augenblicklich wurde es still unter den Erstklässlern, als die große<br />
Tür vor ihnen aufschwang, durch deren Spalt Pr<strong>of</strong>essor Sprout gerade<br />
eben geblinzelt hatte. Vier große Tische standen mitten in dem<br />
riesigen Raum, alle voll besetzt mit älteren Schülern. Außerdem<br />
110
stand noch ein fünfter Tisch an der Stirnseite der Halle, um den die<br />
Lehrer Platz genommen hatten. Hagrid war nicht schwer zu erkennen.<br />
Er saß links außen <strong>und</strong> gleich neben ihm saß Pr<strong>of</strong>essor Flitwick.<br />
Der Größenunterschied zwischen den beiden war gigantisch. Hagrid<br />
winkte den Zwillingen <strong>und</strong> Harry kurz zu. Die Schüler gingen hinter<br />
der Lehrerin her, direkt auf den Lehrertisch zu. Alle Augen im Raum<br />
waren auf sie gerichtet, doch <strong>das</strong> fiel den Zwillingen erstmal gar<br />
nicht auf. Sie waren so beeindruckt von dem Anblick, der sich ihnen<br />
hier bot, <strong>das</strong>s sie sich auf gar nichts anderes mehr konzentrieren<br />
konnten. H<strong>und</strong>erte von Kerzen schwebten über den Tischen, die allesamt<br />
mit goldenen Tellern <strong>und</strong> Gläsern ausgestattet waren. Die Halle<br />
hatte keine Decke <strong>und</strong> so strahlten die Sterne, die den dunklen<br />
Nachthimmel schmückten, auf die wartenden Schüler herab.<br />
<strong>Dora</strong> konnte sich von diesem Bild gar nicht losreißen, zumindest<br />
solange, bis <strong>Lily</strong> sie antupfte <strong>und</strong> auf einen der Tische zeigte. Etwas<br />
großes, weiß Schimmerndes, aber dennoch Durchsichtiges schwebte<br />
über dem Tisch <strong>und</strong> ließ sich anschließend zwischen zwei Schülern<br />
nieder.<br />
„Ist <strong>das</strong> ein Geist?“, fragte <strong>Lily</strong> mit großen Augen.<br />
„Geist, ja“, antwortete <strong>Dora</strong> außer Atem.<br />
„Hey, habt ihr schon die Decke gesehen? Cooler Zauber, nicht?“,<br />
hörten sie plötzlich eine Stimme.<br />
Ted war wieder neben ihnen aufgetaucht.<br />
„Mich interessieren ja eher mal die Geister“, flüsterte <strong>Lily</strong> ihm zu.<br />
„Geister? Die sind doch nichts Besonderes, aber die Decke ist<br />
wirklich schön gemacht! Sieht wirklich echt aus!“, sagte er unbeeindruckt.<br />
Plötzlich schreckten sie zusammen, denn eine laute Stimme erhob<br />
sich. Sie kam vom Lehrertisch hinter den Erstklässlern, dem sie jetzt<br />
den Rücken zugewandt hatten <strong>und</strong> sorgfältig aneinandergereiht in<br />
einer Reihe standen.<br />
111
„Willkommen zurück in Hogwarts“, dröhnte die Stimme einer<br />
Lehrerin, wahrscheinlich magisch verstärkt, durch die Halle. „Darf<br />
ich um Ruhe bitten?“<br />
S<strong>of</strong>ort hatten auch die letzten Schüler ihre Gespräche beendet. Erst<br />
jetzt wurde <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> klar, <strong>das</strong>s sie von allen im Raum neugierig<br />
gemustert wurden <strong>und</strong> dieses Gefühl gefiel ihnen gar nicht, doch sie<br />
waren anscheinend nicht die einzigen. Ein paar der Erstklässler neben<br />
ihnen schienen immer kleiner zu werden <strong>und</strong> einige andere drehten<br />
sich auf der Stelle um zum Lehrertisch, nur um nicht den anderen<br />
Schülern in die Augen blicken zu müssen. Auch <strong>Dora</strong> blinzelte zurück,<br />
allerdings nicht wegen der anderen, sondern weil sie wissen<br />
wollte, von wem die Stimme stammte. Es war eine ziemlich alte,<br />
sehr streng aussehende Hexe, die ihr leicht ergrautes Haar zu einem<br />
straffen Knoten zusammengeb<strong>und</strong>en hatte. Sie redete in ihren Zauberstab,<br />
den sie anscheinend als Mikr<strong>of</strong>on missbrauchte.<br />
„Für alle Neuen, oder für alle, die es vergessen haben“, sagte sie<br />
mit lauter Stimme, „mein Name ist Pr<strong>of</strong>essor Minerva McGonagall<br />
<strong>und</strong> ich bin die amtierende Schulleiterin der Hogwarts-Schule für<br />
Hexerei <strong>und</strong> Zauberei. Bevor wir nun zum lang ersehnten Abendessen<br />
übergehen, wird unser magischer Zauberstab die Erstklässler in<br />
ihre Häuser einteilen. Dies ist ein sehr wichtiges Ritual an dieser<br />
Schule, denn eure Häuser hier sind gleichzeitig eure Fre<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
eure Familien. Es gibt vier Häuser namens Gryffindor, Slytherin,<br />
Ravenclaw <strong>und</strong> Hufflepuff…“<br />
Immer wieder ließ die Schulleiterin ihren Blick warnend durch die<br />
Menge schweifen.<br />
„…Nach Gryffindor kommen nur diejenigen, die Mut im Namen<br />
tragen, während Slytherin nur diejenigen mit reinem Blut aufnimmt.<br />
Das Hause Ravenclaw besteht auf besondere Weisheit <strong>und</strong> Intelligenz<br />
<strong>und</strong> Hufflepuff hat sich zur Verpflichtung gemacht, sämtliche<br />
Schüler aufzunehmen. Also, dann will ich euch nicht länger auf die<br />
Folter spannen. Pr<strong>of</strong>essor Sprout, bitte nehmen sie den Zauberstab<br />
<strong>und</strong> beginnen sie!“<br />
112
Gerade als sie den Befehl der Schulleiterin ausführen wollte, kam<br />
eine weitere Lehrerin hinzu.<br />
„Ich bin hier“, meinte sie, gerade so laut, <strong>das</strong>s nur Pr<strong>of</strong>essor<br />
Sprout, sie selbst <strong>und</strong> ein paar der nächsten Schüler sie hören konnten.<br />
Sie war sehr jung, hatte dichtes, gewelltes braunes Haar <strong>und</strong> wirkte<br />
schon auf den ersten Blick sehr fre<strong>und</strong>lich.<br />
Sie schien sozusagen genau <strong>das</strong> Gegenteil von Pr<strong>of</strong>essor McGonagall<br />
zu sein. Mit einem Lächeln nahm sie ihrer Kollegin den Zauberstab<br />
aus der Hand <strong>und</strong> diese setzte sich auf ihren Platz am Lehrertisch,<br />
während die neue Lehrerin ihre Aufgabe übernahm.<br />
„Willkommen“, sagte sie bestimmt. „Mein Name ist Pr<strong>of</strong>essor<br />
Hermine Granger, ich bin stellvertretende Schulleiterin <strong>und</strong> werde<br />
die Auswahlszeremonie durchführen.“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> beobachteten, wie Pr<strong>of</strong>essor Granger eine Pergamentrolle<br />
entfaltete <strong>und</strong> zu lesen begann.<br />
„Also, dann wollen wir beginnen“, meinte sie. „Laura Attkins!“<br />
Ein blondes, großes Mädchen mit schulterlangen zusammengeb<strong>und</strong>enen<br />
Haaren trat langsam aus der Reihe. Ihr Zittern war unverkennbar.<br />
Langsam ging sie auf die Lehrerin zu, welche sie aufmunternd<br />
anblickte, ihr etwas zuflüsterte <strong>und</strong> ihr anschließend den komisch<br />
aussehenden Zauberstab in die Hand drückte. Er war nicht<br />
braun oder schwarz, so wie die meisten anderen, sondern meerblau.<br />
S<strong>of</strong>ort nachdem sie ihn mit ihren Fingern umklammert hatte, begann<br />
er bunte Funken zu sprühen, die sich innerhalb von wenigen<br />
Sek<strong>und</strong>en in einen rot-goldenen Löwen verwandelten.<br />
„Gryffindor“, rief Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> augenblicklich war tosender<br />
Applaus vom Tisch ganz rechts zu hören.<br />
Laura lächelte leicht <strong>und</strong> ging dann auf diesen Tisch zu, wo sie<br />
freudig empfangen wurde.<br />
Die Zwillinge beobachteten wie sie in der Menge verschwand,<br />
während die Lehrerin ein Mädchen namens Bernadette Bush aufrief<br />
<strong>und</strong> es nach Ravenclaw eingeteilt wurde.<br />
113
„Cauldwell, Matthew!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten wieder zu der Lehrerin. Sie erkannten den<br />
Jungen s<strong>of</strong>ort, denn Harry hatte ihn ihnen ja im Zug bereits vorgestellt.<br />
Er schien sehr ängstlich zu sein, als er den Zauberstab in die<br />
Hand nahm.<br />
Gelbe <strong>und</strong> schwarze Funken sprühten in die Luft <strong>und</strong> ein großer<br />
Dachs befand sich Sek<strong>und</strong>en später an ihrer Stelle.<br />
„Hufflepuff“, war die Antwort von Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Glücklich darüber, endlich in der Menge verschwinden zu können,<br />
machte er sich auf den Weg zu seinem, in Glückrufe ausgebrochenen,<br />
Tisch.<br />
„Cook, Thomas!“, ertönte schon wenige Sek<strong>und</strong>en später wieder<br />
die Stimme der Lehrerin.<br />
Ein blonder Junge mit schmalem Gesicht trat auf sie zu <strong>und</strong> streckte<br />
seine Hand nach dem Zauberstab aus. Wieder bildete sich vor ihm<br />
in der Luft ein rot-golden schimmernder Löwe.<br />
„Gryffindor“, rief Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> auch er rannte auf den<br />
Tisch der Gryffindors zu.<br />
Die Mädchen beobachteten, wie Julie Davis, ein kleines Mädchen<br />
mit roten kurzen Haaren, ebenfalls nach Gryffindor <strong>und</strong> Mary Donn,<br />
eines der Mädchen, die vorher darüber gelacht hatten, wie <strong>das</strong> Mädchen<br />
mit den langen schwarzen Haaren gesagt hatte, <strong>das</strong>s sie Hagrid<br />
verhexen wollte, nach Slytherin geschickt wurden.<br />
„Dursley, <strong>Dora</strong>“, rief plötzlich Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
<strong>Lily</strong> drückte <strong>Dora</strong> die Daumen, als diese auf die Lehrerin zuging<br />
<strong>und</strong> ihre Hand nach dem Zauberstab ausstreckte. <strong>Dora</strong> hatte <strong>das</strong> Gefühl,<br />
<strong>das</strong>s Pr<strong>of</strong>essor Granger sie ein wenig komisch musterte, doch<br />
sie tat es als Einbildung ab <strong>und</strong> nahm den Stab an sich. Nur wenige<br />
Momente später begann dieser in ihrer Hand zu zittern <strong>und</strong> dieselben<br />
rot-goldenen Funken wie schon bei einigen anderen, begannen durch<br />
die Luft zu fliegen, kurz bevor sich ein riesiger Löwe vor ihr in der<br />
Luft bildete.<br />
114
Schon bevor die Lehrerin <strong>das</strong> Haus verkünden konnte, gab <strong>Dora</strong><br />
den Zauberstab wieder zurück.<br />
„Gryffindor“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger etwas leiser als bei den anderen<br />
<strong>und</strong> musterte <strong>Dora</strong> erneut mit demselben schwer zu deutenden<br />
Blick, wie schon Momente vorher.<br />
<strong>Dora</strong> sah ihr einige Momente in die Augen, ging dann jedoch ein<br />
paar Schritte zurück, drehte sich um <strong>und</strong> ging schnellen Schrittes auf<br />
den Tisch der Gryffindors zu, um dem Blick ihrer Lehrerin zu entkommen.<br />
Die Leute an <strong>Dora</strong>s neuem Haustisch pfiffen <strong>und</strong> schrien <strong>und</strong><br />
machten ihr s<strong>of</strong>ort Platz, als sie bei ihnen ankam. Sie setzte sich,<br />
während hinter ihr Harrys Name aufgerufen wurde. Sie versuchte<br />
nicht mehr darüber nachzudenken, ob sie schon an ihrem ersten Tag<br />
irgendetwas Falsches getan hatte, sondern konzentrierte sich auf ihren<br />
Cousin, der inzwischen den Stab in der Hand hatte.<br />
Doch wider Erwarten erschien kein großer, strahlender Löwe, sondern<br />
ein Dachs in den Farben gelb <strong>und</strong> schwarz. Tosender Lärm<br />
klang vom Nachbartisch, doch <strong>Dora</strong> war leicht enttäuscht, als Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger laut „Hufflepuff“ rief.<br />
Aber auch in diesem Moment war keine Zeit, um über irgendetwas<br />
nachzudenken, denn schon trat <strong>Lily</strong> nach vorne auf die Lehrerin zu.<br />
Sie zögerte etwas, bis sie den Zauberstab in die Hand nahm, <strong>of</strong>fensichtlich<br />
verunsichert, weil Harry <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> in unterschiedliche Häuser<br />
gekommen waren, dann ergriff sie ihn aber <strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort setzte sich<br />
ihr breitestes Lächeln auf. Harrys Dachs hatte <strong>Lily</strong>s Löwen Platz<br />
gemacht <strong>und</strong> gleich nachdem ihr von Pr<strong>of</strong>essor Granger noch mal<br />
bestätigt wurde, <strong>das</strong>s sie nach Gryffindor kam, lief sie auf ihre<br />
Schwester zu.<br />
<strong>Dora</strong> machte ihr s<strong>of</strong>ort Platz.<br />
„Wow, ihr seht euch ja mal ähnlich“, meinte ein größerer Junge,<br />
vielleicht ein oder zwei Jahre älter als die Zwillinge, der sich über<br />
den Tisch zu ihnen herüberbeugte.<br />
115
Seine etwas längeren dunkelbraunen Haare streiften dabei die leere<br />
Schüssel, die mitten am Tisch stand. Er blickte zuerst <strong>Dora</strong> genau an<br />
<strong>und</strong> wandte seinen Kopf dann direkt auf <strong>Lily</strong>.<br />
„Das liegt daran, weil wir Zwillinge sind“, sagte <strong>Lily</strong> so ernst sie<br />
konnte, obwohl <strong>Dora</strong> merkte, <strong>das</strong>s es ihr nicht leicht fiel, <strong>das</strong> Lachen<br />
zu unterdrücken.<br />
„Echt?“, fragte der Junge grinsend <strong>und</strong> setzte sich wieder gerade<br />
hin. „Hätte ich alleine fast nicht gemerkt! Ach übrigens, ich bin Jeff<br />
Dorian. Freut mich!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> starrten ihn an, während er suchend um sich blickte.<br />
„Hey Nick…“, sagte er so laut er konnte, ohne die Auswahlszeremonie<br />
zu stören. „Beweg deinen… <strong>durchsichtige</strong>n Körper her!“<br />
Die Mädchen überlegen gerade, mit wem Jeff da sprach, als plötzlich<br />
etwas durch den Tisch in die Höhe kam.<br />
„Glaubst du etwa, ich weiß nicht, was du sagen wolltest?“, fragte<br />
der eben erschienene Geist <strong>und</strong> starrte den Jungen böse an. „Das<br />
zeugt von wenig Gefühl, wenn man bedenkt, <strong>das</strong>s ich nicht mal mehr<br />
diesen Körperteil habe, den du gemeint hast!“<br />
Doch anstatt <strong>das</strong>s Jeff sich schuldig fühlte, grinste er nur weiter.<br />
Der Geist, der anscheinend Nick hieß, drehte sich von ihm weg <strong>und</strong><br />
wollte wieder davon schweben.<br />
„Hey, jetzt spiel mal nicht immer gleich den Beleidigten!“, rief Jeff<br />
ihm nach <strong>und</strong> Nick wandte sich, noch immer mit bösem Blick, wieder<br />
ihm zu.<br />
Im Hintergr<strong>und</strong> bekamen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> mit, wie ein Gordon Jeremy<br />
nach Slytherin <strong>und</strong> ein Lucas Jordan nach Ravenclaw eingeteilt<br />
wurden. Ein paar der Namen, die noch aufgerufen wurden, vergaßen<br />
die Zwillinge allerdings schon wenige Sek<strong>und</strong>en, nachdem sie sie<br />
gehört hatten.<br />
„Wie würdest du dich fühlen, wenn du seit Jahrzehnten körperlos<br />
durch die Gegend fliegen müsstest?“, fragte Nick zornig. „Und dann<br />
haben es diese Banausen noch nicht einmal geschafft, meinen Kopf<br />
ganz durchzutrennen! Die einzige sinnvolle Beschäftigung für einen<br />
116
Geist ist doch die Kopflosenjagd, aber nein, ich bin ja nicht kopflos!“,<br />
fluchte er vor sich hin.<br />
„Ja ja, Nick, wir kennen die Geschichte. Dreh dich mal um“, befahl<br />
er dem Geist.<br />
Dieser tat, wenn auch widerwillig, was ihm befohlen wurde <strong>und</strong> er<br />
richtete seinen Blick genau auf die Stelle, an der <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> saßen.<br />
Er blickte unschlüssig von einem Mädchen zum anderen <strong>und</strong><br />
zurück, doch er konnte nichts sagen, denn schon redete Jeff wieder.<br />
„Was ist Nick? Du wirst doch wohl nicht sagen, <strong>das</strong>s du zuviel getrunken<br />
hast <strong>und</strong> deshalb doppelt siehst, oder?“<br />
Jeff lachte <strong>und</strong> der Junge, der neben ihm saß, hatte sichtliche Mühe,<br />
nicht von der Bank zu fallen, als er Nicks Gesichtsausdruck sah.<br />
Der Geist tat so, als würde er tief Luft in den nicht vorhandenen<br />
Körper saugen <strong>und</strong> schwebte anschließend davon. Aber nicht, ohne<br />
noch ein paar Sätze wie „Als wenn ich etwas trinken könnte!“, „Was<br />
glaubt der, wer er ist?“ oder „Nur weil ich ein Geist bin, heißt <strong>das</strong><br />
noch lange nicht, <strong>das</strong>s ich keine Gefühle habe!“ über den Tisch hallen<br />
zu lassen.<br />
„<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> Dursley, darf ich vorstellen? Der Fast Kopflose<br />
Nick! Der Geist des Hauses Gryffindor!“<br />
„Sehr erfreut“, lachte <strong>Lily</strong>. „Hab gar nicht gewusst, <strong>das</strong>s Geister<br />
Gefühle haben!“<br />
„Warum Fast Kopflos?“, fragte <strong>Dora</strong> Jeff, der sich noch immer vor<br />
Lachen wand.<br />
Nicks Kopf sah eigentlich ganz stabil aus, mal abgesehen von der<br />
großen Halskrause, die er trug.<br />
„Frag ihn mal, er zeigt es normalerweise jedem. Aber ich würde<br />
dir nicht raten, vorher etwas zu essen!“<br />
Ein kleiner halbschwarzer Junge namens Jason Kirke hatte sich gerade<br />
auf der anderen Seite des Tisches, genau neben Jeff niedergelassen.<br />
Er blickte unsicher um sich. Wahrscheinlich, weil er niemanden<br />
kannte. Doch Jeff trug schnell dazu bei, ihn nicht vereinsamen<br />
zu lassen.<br />
117
„Hey, noch jemand aus der Ersten. Wie geht’s, wie steht’s, Jason?<br />
Du hast gerade echt was verpasst mit dem Fast Kopflosen Nick!“<br />
Der Junge nickte nur, zwang sich zu einem Lächeln <strong>und</strong> wandte<br />
sich dann wieder dem Geschehen vor dem Lehrertisch zu. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> folgten seinem Vorbild, als sie hörten, wen Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
als nächsten aufrief.<br />
„Ted Remus Lupin!“, sagte sie laut.<br />
Ted trat selbstsicher vor sie <strong>und</strong> nahm den blauen Zauberstab in<br />
die Hand, der s<strong>of</strong>ort einen Löwen in rot-goldenen Funken entstehen<br />
ließ. Er grinste zufrieden.<br />
„Gryffindor“, sagte die Lehrerin <strong>und</strong> schon kam Ted zufrieden auf<br />
den Gryffindortisch zu. Er setzte sich neben <strong>Lily</strong> auf die Bank.<br />
„Mann, bin ich froh, <strong>das</strong>s ich nicht in Slytherin gelandet bin“, sagte<br />
er, tief durchatmend, doch schon Sek<strong>und</strong>en später war wieder ein<br />
Lächeln auf seinem Gesicht. „Aber jetzt bin ich mal gespannt…<br />
Wenn er sagt, sein Vater war in Slytherin, sehe ich eigentlich keine<br />
große Chance…!“<br />
„Scott Mason!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ließen den blondhaarigen Junge nicht aus den Augen,<br />
als er mit zittrigen Fingern den Zauberstab packte. Es dauerte<br />
nicht lange <strong>und</strong> silber-grüne Funken erhellten den Raum <strong>und</strong> eine<br />
riesige Schlange erschien vor Scott.<br />
„Slytherin!“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Scott wirkte traurig, warf einen Blick hinauf zum Lehrertisch <strong>und</strong><br />
wandte sich dann in Richtung der schreienden Slytherins, die ihn jubelnd<br />
empfingen. Im Gegensatz zu den anderen, die zu diesem Tisch<br />
geschickt worden waren, wirkte Scott überhaupt nicht glücklich <strong>und</strong><br />
stolz.<br />
<strong>Dora</strong> warf <strong>Lily</strong> einen traurigen Blick zu. Sie wussten, wie sehr sich<br />
Scott davor gefürchtet hatte, <strong>und</strong> die Wahrscheinlichkeit, <strong>das</strong>s gerade<br />
er mal ein böser Magier werden könnte, schien ihnen doch ziemlich<br />
klein. Aber der Zauberstab hatte sein Urteil verkündet <strong>und</strong> Scott<br />
nach Slytherin gesteckt.<br />
118
Gleich nach Scott wurden auch noch Daphne Newton <strong>und</strong> Sarah<br />
Parkinson zum Slytherintisch geschickt. Sarah war <strong>das</strong> arrogante<br />
Mädchen, <strong>das</strong> es Hagrid heimzahlen wollte, <strong>und</strong> Daphne war neben<br />
Mary Donn, die schon zuvor nach Slytherin eingeteilt worden war,<br />
ihre zweite Fre<strong>und</strong>in.<br />
„Schade um Scott, ich mochte den wirklich“, meinte Ted.<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Du mochtest jemanden, der nach Slytherin gekommen ist?“<br />
Jeffs Gesicht war wieder über dem Tisch erschienen. Er starrte Ted<br />
mit größter Abscheu in den Augen an.<br />
„Merk dir eins: Gryffindors <strong>und</strong> Slytherins hassen sich, obwohl<br />
<strong>das</strong> Wort ‚hassen’ noch um einiges untertrieben ist!“<br />
Ted schaute Jeff an, antwortete aber nichts.<br />
„Hätte ich auch nicht gedacht“, meinte <strong>Dora</strong> traurig.<br />
„Ich auch nicht“, stimmte <strong>Lily</strong> ihr zu.<br />
„Hilfe, was hat der mit euch gemacht? Gehirnwäsche? Gedächtniszauber?<br />
Liebestrank?“, sagte Jeff außer sich <strong>und</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Vergesst ihn! Slytherin bleibt Slytherin <strong>und</strong> die, die dorthin kommen,<br />
die haben es verdient!“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Glaub mir, der hat nichts Böses an sich“, murmelte sie.<br />
Wenig überzeugt zog Jeff sich wieder auf seine Seite des Tisches<br />
zurück.<br />
Anscheinend gab es in <strong>Lily</strong>s <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>s Jahrgang ein zweites Zwillingspärchen,<br />
denn als Cindy <strong>und</strong> Michael Smith den Zauberstab<br />
nacheinander berührten, tauchte jedes Mal ein Adler aus bronzenen<br />
<strong>und</strong> blauen Funken auf. Pr<strong>of</strong>essor Granger teilte ihnen mit, <strong>das</strong>s sie<br />
zu Ravenclaw gehören würden.<br />
„Schaut mal, es beginnt zu regnen!“, meinte plötzlich jemand, ein<br />
Stück weiter den Tisch entlang, den <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nur schwer erblicken<br />
konnten, weil mindestens vier Leute zwischen ihnen saßen.<br />
Sie wandten ihren Blick nach oben <strong>und</strong> tatsächlich: Dichte Wolken<br />
hatten inzwischen die Sterne verdeckt <strong>und</strong> es sah so aus, als würde<br />
119
es direkt in die Halle hereinregnen, doch zum Erstaunen der beiden<br />
blieben sie komplett trocken.<br />
„Diese Decke kann was“, murmelte Ted.<br />
„Und die ist wirklich verzaubert?“, wollte <strong>Dora</strong> wissen.<br />
Ted nickte.<br />
„Wow, gibt’s eigentlich was, <strong>das</strong> man mit Zauberkraft nicht<br />
hinkriegen kann?“, schwärmte <strong>Lily</strong>.<br />
Jetzt schüttelte Ted den Kopf.<br />
„Nicht viel zumindest!“<br />
Ein Andrew Stone war inzwischen auf dem Hufflepufftisch <strong>und</strong><br />
gerade schwebte wieder ein schimmernder Löwe vor dem Lehrertisch,<br />
der einer Alice Summer den Weg zum Gryffindortisch eröffnete.<br />
Kurz danach kam auch Josh Taylor schnell zu den Gryffindors, an<br />
deren Tisch die Plätze jetzt wirklich allmählich voll wurden. Doch<br />
ein Blick zu den anderen Tischen sagte <strong>Dora</strong>, <strong>das</strong>s es wohl überall so<br />
sein musste. Nur mehr ein paar Schüler warteten darauf, eingeteilt zu<br />
werden.<br />
Die letzten beiden, von denen sich die Zwillinge die Namen merken<br />
konnten, waren Ryan Valley, der ebenfalls zu ihnen an den<br />
Tisch kam <strong>und</strong> Victoria Veary, die sich zu den Hufflepuffs gesellen<br />
durfte.<br />
„So, <strong>das</strong> war’s dann. Danke, Pr<strong>of</strong>essor Granger!“, rief Pr<strong>of</strong>essor<br />
McGonagall mit magisch verstärkter Stimme durch den Raum. „Da<br />
jetzt alle wissen, wo sie hingehören, kann <strong>das</strong> Festessen beginnen!<br />
Danach werde ich noch ein paar Regeln bekannt geben! Guten Appetit!“<br />
Sie setzte sich hin <strong>und</strong> nur wenige Augenblicke später waren die<br />
goldenen Schüsseln, die schon die ganze Zeit auf den Tischen gestanden<br />
hatten, voll mit dem köstlichsten Essen. Eier, Schinken,<br />
Hühnchen, Schweinekoteletts, Kart<strong>of</strong>feln, Erbsen, Ketchup, Karotten,<br />
Tomaten, Pommes <strong>und</strong> Steaks waren nur ein kleiner Teil der<br />
verschiedenen Speisen. Außerdem waren die großen goldenen Krüge<br />
jetzt gefüllt mit Massen an Kürbissaft.<br />
120
Alle griffen kräftig zu, auch die Zwillinge, die den ganzen Tag außer<br />
dem Frühstück noch nichts als Süßigkeiten gegessen hatten.<br />
„Das übertrifft sogar Tante Emilys Essen“, meinte <strong>Lily</strong> mit vollem<br />
M<strong>und</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> hatte es gerade geschafft, sich von jeder der Schüssel etwas<br />
zu nehmen <strong>und</strong> nickte nur. Sie hatte es zwar noch nicht probiert, aber<br />
es roch köstlich.<br />
„Wie viele, meinst du, sind es?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Während Ted mit Jeff lautstark über den morgigen Unterricht diskutierte,<br />
unterhielten sich <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> über die Geister, die überall<br />
in der Halle herumschwebten.<br />
„Ach, an die fünfzig? Vielleicht ein paar weniger oder ein paar<br />
mehr. Ist schon komisch, oder? Früher hatten wir Angst vor Geistern,<br />
bei denen wir uns sicher waren, <strong>das</strong>s sie nicht existierten, <strong>und</strong><br />
jetzt müssen wir in einem Schloss mit so vielen von denen wohnen.<br />
Und keine Frage, die sind echt!“<br />
<strong>Dora</strong> blickte um sich <strong>und</strong> ließ ihren Blick über die Tische zu den<br />
vielen Gespenstern wandern. Der Fast Kopflose Nick diskutierte auf<br />
der anderen Seite der Halle mit dem Geist einer großen Frau. <strong>Dora</strong><br />
vermutete, <strong>das</strong>s er dieses Gespräch nur als Vorwand dazu nahm, um<br />
nicht bei den Gryffindors sein zu müssen, während diese <strong>das</strong> köstlich<br />
aussehende <strong>und</strong> ebenso sehr gut schmeckende Essen verschlangen<br />
wie nichts.<br />
Nach etwa einer halben St<strong>und</strong>e – inzwischen war auch die Nachspeise,<br />
bestehend aus Apfelkuchen, Eiskrem, Zuckergusstorten, Donuts,<br />
Biskuit, Wackelpudding <strong>und</strong> vielem mehr, verschlungen – hatten<br />
alle Schüler ihr Essbesteck beiseite gelegt <strong>und</strong> unterhielten sich<br />
lautstark miteinander. Plötzlich erhob Pr<strong>of</strong>essor McGonagall ihre<br />
Stimme wieder <strong>und</strong> mit einem Mal waren die ganzen Reste von den<br />
Tellern verschw<strong>und</strong>en. Alle Augen im Raum wandten sich ihr zu.<br />
„Zum Abschluss des heutigen Festes möchte ich alle Erstklässler<br />
darauf aufmerksam machen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> Betreten des Waldes auf dem<br />
Schlossgelände strengstens verboten ist. Man nennt ihn nicht um-<br />
121
sonst den ‚Verbotenen Wald’. Auch allen denen, die es vergessen<br />
haben, möchte ich nahe legen, sich diese Regel wieder in Erinnerung<br />
zu rufen!“, sagte Pr<strong>of</strong>essor McGonagall streng.<br />
<strong>Lily</strong> hätte schwören können, <strong>das</strong>s sie dabei Jeff einen mahnenden<br />
Blick zuwarf, doch dieser zuckte nur unschuldig mit seinen Schultern.<br />
„Außerdem will der Hausmeister, <strong>das</strong>s ich euch daran erinnere, auf<br />
den Gängen nicht zu zaubern, <strong>und</strong> außerdem meint er, <strong>das</strong>s Artikel<br />
aus einem Laden mit dem Namen ‚Weasleys Zauberhafte Zauberscherze’<br />
noch immer verboten sind. Die Quidditch-Auswahlspiele<br />
sind in genau einer Woche, meldet euch bei den Kapitänen der einzelnen<br />
Mannschaften, wenn ihr gerne spielen würdet. Die St<strong>und</strong>enpläne<br />
<strong>und</strong> auch alles andere Wichtige erfahrt ihr morgen beim Frühstück.<br />
So, <strong>und</strong> jetzt ab in die Betten, ihr habt morgen einen anstrengenden<br />
Tag vor euch! Erstklässler, haltet euch an die Vertrauensschüler,<br />
sie werden euch den Weg zu den Schlafsälen zeigen. Gute<br />
Nacht!“<br />
Die Stille nach Pr<strong>of</strong>essor McGonagalls Worten dauerte nur wenige<br />
Sek<strong>und</strong>en, denn augenblicklich waren abertausende Schritte auf dem<br />
Holzboden der großen Halle zu hören.<br />
„Erstklässler mir nach! Beeilt euch!“, rief ein älterer Junge nicht<br />
weit von den Zwillingen <strong>und</strong> Ted entfernt.<br />
Die drei beeilten sich, in seine Nähe zu kommen, um jemanden zu<br />
haben, der ihnen den Weg zeigen konnte. Bald schon war eine ganze<br />
Schar Erstklässler um ihn herum versammelt.<br />
„Das sind zu viele“, überlegte er. „Das sind zu viele! Hey, du da!“<br />
Der Junge schaute zu einem kleinen, sehr dünnen, verträumt aussehenden<br />
Mädchen hinab, welches ihn ängstlich anblickte.<br />
„Wurdest du nicht gerade nach Ravenclaw eingeteilt?“, fragte er.<br />
Das Mädchen nickte <strong>und</strong> der Vertrauensschüler atmete tief durch<br />
<strong>und</strong> verdrehte die Augen.<br />
122
„Die Erstklässler sollen zu Vertrauensschülern ihres Hauses gehen!“,<br />
rief er. „Alle, die nicht zu Gryffindor gehören, verschwinden<br />
auf der Stelle!“<br />
Das Mädchen lief gefolgt von ein paar anderen davon <strong>und</strong> schließlich<br />
waren nur noch <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Ted übrig, gemeinsam mit Laura<br />
Attkins <strong>und</strong> Alice Summer, zwei der anderen Mädchen, die ebenfalls<br />
nach Gryffindor gekommen waren.<br />
„Okay, dann folgt mir <strong>und</strong> bleibt zusammen“, meinte der Anführer<br />
der kleinen Gruppe <strong>und</strong> drehte sich um. „Glaubt mir, wenn ihr euch<br />
hier verlauft, dann kann es Wochen dauern, bis euch jemand findet<br />
<strong>und</strong> Jahre, bis ihr wieder von alleine zurückkommt!“<br />
<strong>Dora</strong> warf <strong>Lily</strong> einen ängstlichen Blick zu.<br />
„Nur ein Scherz, nur ein Scherz“, meinte der Vertrauensschüler,<br />
der ihr Gesicht gesehen zu haben schien.<br />
„Aber kein guter!“, flüsterte <strong>Lily</strong> ihrer Schwester zu.<br />
Sie gingen hinaus aus der großen Halle, durch den Eingangsbereich<br />
<strong>und</strong> dann einige Treppen hoch.<br />
„Merkt euch die Treppen, die verändern ihre Richtung alle paar<br />
Minuten! Also bleibt nicht zu lange auf einer, sonst kommt ihr womöglich<br />
ganz woanders hin, als euch lieb ist!“<br />
Die Erstklässler folgten ihrem Fremdenführer, der ihnen manchmal<br />
etwas über eines der Gemälde oder eine Statue erzählte, <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
fragte sich gerade, wie sie denn morgen jemals wieder hier runter<br />
finden würden, als sie plötzlich stehen blieben.<br />
„Also, hier sind wir! Das ist der Gemeinschaftsraum der Gryffindors…“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten sich um. Das einzige, was sie sehen konnten,<br />
war der Gang, der an dieser Stelle endete. Sie überlegten sich<br />
gerade, ob sich der ältere Schüler mit den jüngeren einen Spaß erlauben<br />
wollte, als er fortfuhr.<br />
„…Um ihn betreten zu können, braucht ihr ein Passwort. Dieses<br />
erfahrt ihr ebenfalls bei uns Vertrauensschülern. Fürs erste ist es<br />
‚Kotzpastille’!“<br />
123
Das letzte Wort sagte er extra laut <strong>und</strong> augenblicklich schwang ein<br />
riesiges Porträt, auf dem eine sehr dicke Dame zu sehen war, zur<br />
Seite <strong>und</strong> gab einen schmalen Durchgang frei.<br />
„Also alle eintreten <strong>und</strong> viel Spaß im Gemeinschaftsraum der<br />
Gryffindors. Hat mich gefreut!“<br />
Der Junge winkte den Erstklässlern noch mal zu, dann verschwand<br />
er in der Öffnung. <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Ted blieben genauso wie die anderen<br />
beiden Mädchen noch kurz stehen.<br />
„Na, wollt ihr noch lange hier herumstehen oder darf ich mich heute<br />
irgendwann noch mal ausruhen?“, drang plötzlich eine Stimme an<br />
die Ohren der Mädchen.<br />
Sie fuhren herum, doch niemand war zu sehen.<br />
„Kommt rein hier, die fette Dame ist bekannt für ihre Unfre<strong>und</strong>lichkeit,<br />
wenn sie jemand zu lange aufhält“, flüsterte Ted <strong>und</strong> kroch<br />
als erster durch den Gang, dicht gefolgt von den Zwillingen.<br />
Sie kamen in einen r<strong>und</strong>en Raum, der größtenteils mit Möbeln in<br />
den Farben rot <strong>und</strong> gold ausgestattet war. Tische <strong>und</strong> bequem aussehende<br />
Sessel waren im ganzen Raum verteilt. Er schien ziemlich<br />
groß zu sein, doch genau konnten die Mädchen <strong>das</strong> nicht sagen, da<br />
massenhaft ältere <strong>und</strong> vor allem größere Schüler um sie herumliefen<br />
<strong>und</strong> ihnen die Sicht versperrten.<br />
„Kommt mit“, sagte Ted <strong>und</strong> ging auf ein paar leere Stühle vor<br />
dem Kamin zu. „Lasst uns noch ein paar Minuten warten, bevor wir<br />
schlafen gehen!“<br />
Sie setzten sich auf der der Sessel, die im Halbkreis um den Kamin<br />
standen.<br />
„Ja, hier kann man leben“, meinte Ted. „Wisst ihr…“<br />
Er stoppte.<br />
„Was wissen wir?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ach egal, schaut mal da!“, meinte er <strong>und</strong> deutete mit seinem Kopf<br />
in Richtung Tür.<br />
Die Zwillinge folgten seinem Blick <strong>und</strong> konnten ihren Augen nicht<br />
glauben.<br />
124
125<br />
Unterricht mal anders<br />
„Scott, wie kommst du denn hier rein?“, fragte Ted, stand auf <strong>und</strong><br />
ging auf den Neuankömmling im Gryffindor-Gemeinschaftsraum zu.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sahen schon aus den Augenwinkeln, <strong>das</strong>s alle Blicke<br />
im Raum auf den blonden Jungen gerichtet waren. Sie standen ebenfalls<br />
auf.<br />
„Hat… Hat sich herausgestellt, <strong>das</strong>s ein Fehler passiert ist“, erklärte<br />
er stotternd. „Ich gehöre doch nach Gryffindor!“<br />
Einen Moment lang war es still.<br />
„Warst du nicht vorher in Slytherin?“, fragte plötzlich ein Mädchen,<br />
<strong>das</strong> allem Anschein nach im sechsten oder siebten Jahrgang<br />
sein musste.<br />
Inzwischen hatten sich auch noch die letzten Neugierigen zu Scott<br />
umgedreht.<br />
„Ja… ja, schon, aber <strong>das</strong> war ein Missverständnis“, murmelte er,<br />
während er den Boden vor sich ausgiebig musterte.<br />
„Wie konnte <strong>das</strong> ein Missverständnis sein? Wir haben die Schlange<br />
gesehen, die der Zauberstab ausgespuckt hat, als du ihn in die<br />
Hand genommen hast“, konterte <strong>das</strong> Mädchen.<br />
Scott wurde rot bis über beiden Ohren <strong>und</strong> wusste anscheinend<br />
nicht mehr, was er darauf antworten sollte, denn wieder war es komplett<br />
still im Raum.<br />
„Aber ihr habt doch vorher schon gesagt, <strong>das</strong>s er ins falsche Haus<br />
gekommen ist, oder?“<br />
Jeff, der an einem der hohen Fenster, von denen aus man einen<br />
w<strong>und</strong>ervollen Ausblick über <strong>das</strong> gesamte Schlossgelände hatte, gestanden<br />
hatte, kam ein paar Schritte näher zu dem Punkt, an dem<br />
Scott stand.<br />
<strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Ted begannen gleichzeitig zu nicken.<br />
„Na dann würde ich sagen: Herzlich Willkommen!“, sagte Jeff.<br />
„Wir freuen uns doch über jeden, den wir Slytherin wegnehmen<br />
können, oder?“
Jubel brach im gesamten Gemeinschaftsraum aus <strong>und</strong> ganz langsam<br />
breitete sich auch auf Scotts Gesicht ein Lächeln aus. Er schaute<br />
dankbar zu Jeff auf, welcher jetzt mit ein paar Fre<strong>und</strong>en zu singen<br />
begonnen hatte.<br />
Gryffindor ist besser dran,<br />
wir mehr um einen Mann.<br />
Slytherin wird untergehen,<br />
so was haben die noch nie gesehen.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gingen wieder zurück zu ihren Stühlen, gefolgt von<br />
Ted <strong>und</strong> Scott, welcher sich den letzten freien Stuhl schnappte.<br />
„Na schau, wir haben es dir ja gesagt, <strong>das</strong>s nicht zwangsläufig jeder<br />
dahin kommt, wo seine Eltern waren“, sagte Ted.<br />
„Und außerdem warst du viel zu nett, um einmal böse zu werden“,<br />
stimmte <strong>Lily</strong> ihn zu.<br />
Scott bemerkte anscheinend nicht, <strong>das</strong>s noch immer ein paar ganz<br />
misstrauische ihre Blicke auf ihn gerichtet hatten, <strong>und</strong> <strong>das</strong> war auch<br />
gut so, denn nun strahlte er übers ganze Gesicht.<br />
„Man, bin ich froh, <strong>das</strong>s ich da raus bin“, stöhnte er <strong>und</strong> blickte<br />
sich in seinem neuen Zuhause auf Zeit um.<br />
„Wie ist es dazu gekommen?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Kurz verschwand sein Lächeln <strong>und</strong> er blickte wieder zu Boden,<br />
doch <strong>das</strong> trübte seine Freude nicht lange.<br />
„Keine Ahnung. Ich war gerade im Gemeinschaftsraum der Slytherins<br />
angekommen, als mein Dad hineinkam <strong>und</strong> mich bat, mit ihm<br />
mitzukommen <strong>und</strong> dann sagte er, <strong>das</strong>s die Schulleiterin einen Fehler<br />
bei der Auswahl vermutete, <strong>und</strong> er gab mir den Zauberstab noch mal<br />
in die Hand <strong>und</strong> dann teilte der mich nach Gryffindor ein!“, erzählte<br />
er hastig.<br />
„Freut mich, Kumpel“, sagte Ted.<br />
„Und uns beide auch“, stimmte <strong>Lily</strong>.<br />
„Aber warum war dein Dad hier?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
126
„Na ja, er ist der Hauslehrer von Slytherin <strong>und</strong> unser Lehrer in<br />
Zaubertränke“, erklärte er.<br />
„Cool, <strong>das</strong> wussten wir ja gar nicht, oder?“<br />
<strong>Lily</strong> warf <strong>Dora</strong> einen fragenden Blick zu <strong>und</strong> diese schüttelte den<br />
Kopf.<br />
„Wenn du einen Vater als Lehrer hast, dann musst du ja schon total<br />
gut im Zaubern sein, oder?“, wollte <strong>Dora</strong> wissen.<br />
Scott schüttelte den Kopf.<br />
„Nein… Es ist verboten, Kindern <strong>das</strong> Zaubern beizubringen, bevor<br />
sie elf Jahre alt sind. Deswegen kann ich nicht mehr als ihr!“<br />
Dass Scott nicht mehr als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> konnte, hätten sich die<br />
Mädchen schon zuvor denken konnten, aber dennoch sagten sie<br />
nichts, denn Hagrid hatte ja gesagt, es sei besser, wenn sie dichthalten<br />
würden.<br />
„Und, wie war’s bei den Slytherins?“, fragte Ted.<br />
„Ganz anders als hier“, antwortete Scott, froh, endlich ein anderes<br />
<strong>The</strong>ma präsentiert zu bekommen, kurz angeb<strong>und</strong>en mit grimmiger<br />
Miene.<br />
„Was heißt <strong>das</strong>?“, drängte ihn <strong>Lily</strong>.<br />
„Na ja, wenn über etwas gelacht wurde, dann war es irgendein<br />
Witz, in dem bestenfalls jemand verflucht worden oder gestorben ist.<br />
Es hat nicht zwei Minuten gedauert im Gemeinschaftsraum <strong>und</strong><br />
schon haben sich die ersten Flüche auf den Hals gehext…“<br />
Seine Erzählung wurde unterbrochen von einem ohrenbetäubenden<br />
Lachanfall. Ein paar Mädchen standen kichernd um einen Jungen,<br />
der sich vor Lachen auf dem Boden wälzte <strong>und</strong> „Hör auf! Hör auf!“,<br />
rief. Dass Jeff mit gezücktem Zauberstab daneben stand, w<strong>und</strong>erte<br />
weder <strong>Lily</strong> noch <strong>Dora</strong>.<br />
„… soviel dazu“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
Scott lachte sie an.<br />
„Ja, wenn die solche Flüche benutzt hätten, dann hätte ich <strong>das</strong> jetzt<br />
nicht erwähnt. Aber bei den Slytherins ist schon nach wenigen Mi-<br />
127
nuten ein Erstklässler mit Fledermausflügeln, die ihm aus den Ohren<br />
gewachsen waren, davongerannt.“<br />
„Man, guter Humor“, grinste Ted, doch <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> schauten<br />
angewidert.<br />
„Vielleicht hätte man dich ja nach Slytherin stecken sollen, Ted“,<br />
meinte <strong>Lily</strong>.<br />
Ted erstarrte s<strong>of</strong>ort <strong>und</strong> schaute ernst.<br />
„Mit so was macht man keine Witze!“, befahl er.<br />
„Na gut“, sagte <strong>Lily</strong>, die aufgr<strong>und</strong> seiner Reaktion in Lachen ausgebrochen<br />
war. „Dann erzähl weiter Scott. Wie hat es in deren Gemeinschaftsraum<br />
ausgesehen? Gleich, nur anderen Farben?“<br />
Scott schüttelte den Kopf.<br />
„Oh nein“, seufzte er. „Schon alleine wegen den Gemeinschaftsräumen<br />
hätte ich getauscht, glaub mir. Die sind unten im Keller in<br />
einem der Kerker, ohne Fenster <strong>und</strong> ohne natürliches Licht. Alles<br />
wird mit grünlichen Lichtern, die an Ketten von den Decken baumeln,<br />
beleuchtet <strong>und</strong> die Sessel sind hart wie Stein, genau wie alles<br />
andere auch. Die Bilder an den Wänden sind grausig <strong>und</strong> nicht so<br />
fröhlich, wie diese hier. Es ist wie in einem Friedh<strong>of</strong> mit sehr vielen<br />
Besuchern!“<br />
Er schloss seine Erzählung <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> konnte nicht anders, als sich<br />
noch mal in ihrem eigenen Gemeinschaftsraum umzusehen. Es war<br />
wirklich sehr gemütlich hier <strong>und</strong> man konnte hier sicherlich gut lernen,<br />
genauso wie sich nach einem anstrengenden Tag erholen. Was<br />
Ted da erzählte hörte sich ja schrecklich an.<br />
„Oh man, Gott sei Dank bist du da raus gekommen!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ja, Gott sei Dank bin ich <strong>das</strong>!“, stimmte Scott ihr zu.<br />
<strong>Dora</strong> starrte in <strong>das</strong> lodernde Feuer <strong>und</strong> merkte plötzlich, wie müde<br />
sie eigentlich war. Sie blickte auf die Uhr, um herauszufinden, wie<br />
spät es war, doch---<br />
„<strong>Lily</strong>, schau dir mal <strong>das</strong> an!“<br />
Sie zeigte ihrer Schwester ihre Armbanduhr.<br />
128
„Die war doch noch neu!“, sagte <strong>Lily</strong>, nachdem sie einen prüfenden<br />
Blick auf <strong>das</strong> Display der Digitaluhr geworfen hatte.<br />
Schwarze Punkte flackerten wirr über den Bereich, wo eigentlich<br />
die Zahlen sein sollten, <strong>und</strong> schienen sich einen wilden Kampf zu<br />
liefern.<br />
„Ja, die haben wir doch gestern erst von Onkel Dudley als Abschiedsgeschenk<br />
bekommen.“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte ihre Hand <strong>und</strong> klopfte mit dem Fingernagel ihres<br />
Zeigefingers auf die kleine, r<strong>und</strong>e Glasscheibe.<br />
„Was ist?“, fragte Ted.<br />
„Meine Uhr spinnt“, erklärte <strong>Dora</strong>, nahm sie sich von der Hand<br />
<strong>und</strong> schlug sie hart gegen die Holzgriffe des Stuhles, auf dem sie<br />
saß, in der H<strong>of</strong>fnung, sie könnte wieder funktionieren, wenn sie sie<br />
zu Tode prügelte.<br />
„Zeig mal“, meinte er <strong>und</strong> streckte seine Hand nach der Uhr aus.<br />
<strong>Dora</strong> ließ sie hineinfallen <strong>und</strong> beobachtete ihn, wie er <strong>das</strong> Gerät<br />
vorher kritisch musterte <strong>und</strong> dann zu lachen begann.<br />
„Die kannst du hier vergessen“, meinte er <strong>und</strong> gab <strong>Dora</strong> ihre Uhr<br />
zurück. „Wenn dir diese Uhr etwas wert ist, dann schick sie so<br />
schnell wie möglich nach Hause. Hier in Hogwarts herrscht zuviel<br />
Magie, als <strong>das</strong>s elektrische Dinge richtig funktionieren würden.<br />
Wenn du hier Uhren verwenden willst, dann nimm welche, die keinen<br />
Strom benutzen, dann geht’s!“<br />
„Magie liegt in der Luft“, murmelte <strong>Lily</strong>. „Hier bekommt dieser<br />
Spruch eine ganz neue Bedeutung… Schick sie einfach morgen mit<br />
nach Hause, wir müssen sowieso Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily<br />
eine Eule schicken!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte <strong>und</strong> stopfte die verrückt gewordene Uhr in die Tasche<br />
ihres Umhanges. Dann stand sie auf.<br />
„Ich geh schlafen. Wir Pr<strong>of</strong>essor McGonagall gesagt hat: Morgen<br />
wird ein langer Tag“, sagte sie. „Kommst du mit, <strong>Lily</strong>?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> erhob sich ebenfalls.<br />
129
„Könntet ihr beide morgen hier im Gemeinschaftsraum auf uns<br />
warten? Ich bezweifle nämlich stark, <strong>das</strong>s wir den Weg bis nach unten<br />
alleine wieder finden würden“, fragte <strong>Lily</strong> die beiden Jungs.<br />
Diese nickten. Sie wünschten sich noch gute Nacht <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> stiegen schon wenige Augenblicke später die Wendeltreppen<br />
hinauf, in ihren Schlafsaal.<br />
„Cool“, sagte <strong>Lily</strong>, als sie ihn erreicht hatten.<br />
Fünf Himmelbetten aus Holz, mit roten Vorhängen <strong>und</strong> goldenen<br />
Mustern schmückten den Raum, genauso wie ein paar große Kästen<br />
<strong>und</strong> ein hohes Fenster, durch welches man genau auf einen Wald sehen<br />
konnte. Die Mädchen vermuteten, <strong>das</strong>s es sich dabei um den<br />
verbotenen Wald handelte.<br />
Vor den Betten stand <strong>das</strong> komplette Gepäck der Mädchen, feinsäuberlich<br />
übereinander gestapelt. Neben <strong>Lily</strong>s Bett stand noch dazu der<br />
Käfig mit Hedwig.<br />
„Na, willst du heute noch raus?“, fragte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> steckte ihren<br />
Finger zwischen zwei der dünnen, weißen Gitterstäbe des kleinen<br />
Reisekäfigs, in dem sich die Eule nicht mal richtig drehen konnte.<br />
„Glaubst du, <strong>das</strong>s wenigstens ein Kugelschreiber hier funktioniert?<br />
Ich weiß nämlich beim besten Willen nicht, wie ich mit dieser Feder<br />
<strong>und</strong> der Tinte, die Hagrid uns besorgt hat, jemals richtig schreiben<br />
können soll“, fügte sie an <strong>Lily</strong> gewandt hinzu.<br />
„Na ja, er verwendet keinen Strom, oder? Einen Versuch ist es<br />
wert!“, antwortete diese.<br />
<strong>Dora</strong> öffnete ihren K<strong>of</strong>fer <strong>und</strong> zog ein Blatt Papier <strong>und</strong> einen Kugelschreiber<br />
heraus <strong>und</strong> begann dann einen kurzen Brief zu schreiben.<br />
Hallo Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily!<br />
Wir sind vor einigen St<strong>und</strong>en gut hier in Hogwarts<br />
angekommen. Harry wird h<strong>of</strong>fentlich für ihn selbst<br />
schreiben, wenn nicht, dann sollt ihr wissen, <strong>das</strong>s es ihm<br />
auch gut geht. Wir sind leider nicht ins selbe Haus wie er<br />
130
131<br />
gekommen. Hier gibt es nämlich vier verschiedene<br />
Schülergruppen, die Häuser genannt werden.<br />
Wie geht es euch, James <strong>und</strong> Sam?<br />
Wir würden uns freuen, wenn ihr Hedwig die Antwort<br />
auf unseren Brief gleich mitgeben würdet.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
Sie schrieb den Text des Briefes fertig <strong>und</strong> faltete <strong>das</strong> Papier dann<br />
säuberlich zusammen, bevor sie die Eule aus dem Käfig ließ, welche<br />
ein freudiges Geräusch von sich gab.<br />
„Würdest du <strong>das</strong> nach Hause zu Tante Emily <strong>und</strong> Onkel Dudley<br />
bringen?“, fragte <strong>Dora</strong>, nicht sicher, ob die Eule sie auch verstehen<br />
konnte.<br />
Diese jedoch gab wieder ein Geräusch von sich, welches <strong>Dora</strong> als<br />
‚wird gemacht’ verstand. Dann band sie den Zettel um deren Fuß<br />
<strong>und</strong> öffnete <strong>das</strong> Fenster. Hedwig war s<strong>of</strong>ort auf <strong>und</strong> davon.<br />
„Intelligenter als die Post“, grinste <strong>Lily</strong>, die ihre Schwester beobachtet<br />
hatte.<br />
„Und vor allem gratis“, fügte <strong>Dora</strong> hinzu.<br />
Die Mädchen nahmen ihre K<strong>of</strong>fer <strong>und</strong> räumten so schnell sie<br />
konnten alle ihre Sachen in den Schrank. Als sie dann vor der Treppe<br />
Schritte hörten, die wohl von den anderen Mädchen stammen mussten,<br />
wünschten sie sich noch schnell gute Nacht <strong>und</strong> krochen erschöpft<br />
unter die Bettdecken, nachdem sie die Vorhänge ihrer Himmelbetten<br />
geschlossen hatten.<br />
Am nächsten Morgen war die Sonne noch nicht mal richtig hoch am<br />
Himmel zu sehen, als <strong>Dora</strong> <strong>Lily</strong> aufweckte. Sie griff sie an der<br />
Schulter <strong>und</strong> schüttelte sie.<br />
„<strong>Lily</strong>“, flüsterte sie hektisch.<br />
„Was ist?“, stöhnte ihre Schwester <strong>und</strong> sah auf die große Uhr an<br />
der Wand. „Wir haben noch über eine dreiviertel St<strong>und</strong>e bis zum<br />
Frühstück, lass mich schlafen!“
Doch <strong>Dora</strong> ignorierte sie.<br />
„Wo ist die Schachtel mit dem Umhang <strong>und</strong> der Karte?“, fragte<br />
sie.<br />
„Im Schrank, warum?“<br />
<strong>Lily</strong> drehte sich von <strong>Dora</strong> weg zur Wandseite <strong>und</strong> schloss die Augen<br />
wieder, in der H<strong>of</strong>fnung, <strong>Dora</strong> würde ihr noch ein paar ruhige<br />
Minuten vergönnen, doch falsch gedacht. Ihre Schwester ließ sich<br />
neben ihr auf <strong>das</strong> Bett sinken.<br />
„Gott sei Dank, ich dachte schon, wir hätten sie womöglich im Zug<br />
vergessen“, sagte sie.<br />
„Nein, die habe ich gestern Abend weggeräumt. Keine Angst, sie<br />
ist unverletzt“, murmelte <strong>Lily</strong>, während sie die Decke weiter bis unter<br />
ihr Kinn zog.<br />
Doch eine weitere Erschütterung des Bettes, die <strong>Dora</strong> verursachte,<br />
als sie wieder aufstand, ließ <strong>Lily</strong> nun endgültig die Augen aufschlagen.<br />
Sie drehte sich wieder um. <strong>Dora</strong> war zum Schrank gelaufen <strong>und</strong><br />
holte die braune Kartonbox aus <strong>Lily</strong>s Schrank. Dann setzte sie sich<br />
wieder auf <strong>Lily</strong>s Bett <strong>und</strong> zog den Vorhang zu. <strong>Lily</strong> schaute verwirrt.<br />
„Probieren wir die mal aus?“, flüsterte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> nahm die Karte in<br />
die Hand.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Hast du deinen Zauberstab da?“<br />
Sie nickte erneut, beugte sich leise vor <strong>und</strong> griff durch den geschlossenen<br />
Vorhang auf <strong>das</strong> kleine Tischchen, <strong>das</strong> neben den Betten<br />
stand, wo sie den Zauberstab ergriff. Die beiden versuchten extra<br />
leise zu sein, damit die anderen drei Mädchen nicht aufwachten <strong>und</strong><br />
sehen konnten, was sie machten.<br />
„Ich schwöre feierlich, <strong>das</strong>s ich ein Tunichtgut bin“, murmelte <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> augenblicklich zogen sich wieder die feinen schwarzen Striche<br />
über <strong>das</strong> ausgeblichene Pergament <strong>und</strong> diesmal waren zwischen ihnen<br />
h<strong>und</strong>erte beschriftete Punkte zu erkennen. Hauptsächlich waren<br />
diese in den Bereich des Gryffindor-Turms, einen anderen Turm <strong>und</strong><br />
zwei unterirdische Teile des Schlosses verteilt. Einige bewegten sich<br />
132
langsam in dem herum, was die Gemeinschaftsräume sein mussten,<br />
<strong>und</strong> ein paar einzelne Punkte, die die Lehrer darstellten, wanderten<br />
in deren Räumen auf <strong>und</strong> ab. Der einzige Punkt, der sich irgendwo<br />
auf dem Flur aufhielt, was die Katze des Hausmeisters, Mrs. Norris.<br />
„Cool, oder?“, fragte <strong>Lily</strong>. „Aber mich würde wirklich interessieren,<br />
von wem <strong>das</strong> ist, oder mehr, warum derjenige <strong>das</strong> gerade uns<br />
beiden geschickt hat!“<br />
„Ich habe keine Ahnung. Vielleicht war es ja einer von diesen<br />
hier!“, antwortete <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> zeigte auf die vier Namen der Mitglieder<br />
dieser magischen Tunichtgut GmbH. „Moony, Wurmschwanz, Tatze<br />
<strong>und</strong> Krone… Das sind aber komische Namen, oder?“<br />
„Ja schon. Nachnamen vielleicht? Aber wenn du Wurmschwanz<br />
heißt… Nein… Wer könnte Bescheid wissen, wer die waren?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit den Schultern. Sie kannten ihr keine Leute, die<br />
etwas über wahrscheinlich ehemalige Schüler von Hogwarts wissen<br />
konnten außer…<br />
„Hagrid?“, fragten beide gleichzeitig.<br />
Sie grinsten.<br />
„Meinst du <strong>das</strong>s er fragt woher wir die Namen kennen? Wir können<br />
ihm ja schlecht verraten, <strong>das</strong>s wir eine Karte mit diesen Fähigkeiten<br />
haben“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ich glaube, <strong>das</strong>s wir ihm nichts verraten müssen… Wir sagen einfach,<br />
<strong>das</strong>s wir sie in einem Buch gelesen haben. Er sieht nicht recht<br />
belesen aus <strong>und</strong> wird auch nicht wissen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht stimmt…“,<br />
überlegte <strong>Lily</strong>.<br />
„Okay, wann gehen wir?“<br />
„Nach dem Unterricht heute, würde ich sagen, oder?“, fragte <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickte. „Lass <strong>und</strong> hinunter in den Gemeinschaftsraum gehen.<br />
Scott <strong>und</strong> Ted sind gerade unten angekommen!“<br />
Sie zeigte auf zwei kleine Punkte, die sich in die Mitte des r<strong>und</strong>en<br />
Raumes begaben <strong>und</strong> dort stehen blieben.<br />
„Unheil angerichtet“, murmelte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> packte die Karte wieder<br />
in die Schachtel, bevor sie sich den Schulumhang anzog.<br />
133
Die Mädchen gingen leise aus dem Schlafsaal, die r<strong>und</strong>e Treppe<br />
hinab, wo Ted <strong>und</strong> Scott tatsächlich schon auf zwei Stühlen in der<br />
Mitte des Gemeinschaftsraumes saßen <strong>und</strong> sich unterhielten.<br />
„Guten Morgen“, begrüßte <strong>Lily</strong> sie als erstes. „Gehen wir?“<br />
Die Jungen nickten <strong>und</strong> gemeinsam machten sich die vier auf den<br />
Weg durch <strong>das</strong> Porträtloch. Doch schon am Ende des ersten Flurs tat<br />
sich <strong>das</strong> erste Problem auf. Zwei Treppen waren nebeneinander <strong>und</strong><br />
beide führen in unterschiedliche Richtungen.<br />
„Über welche sind wir gestern gekommen?“, fragte Ted ahnungslos.<br />
„Keine Ahnung“, antworteten die Zwillinge <strong>und</strong> Scott zeitgleich.<br />
„Okay, dann nehmen wir die linke. Irgendwann müssen wir ja runterkommen!“,<br />
schlug Ted vor.<br />
Da auch die anderen keinen vielversprechenderen Vorschlag hatten,<br />
nickten sie <strong>und</strong> folgten Ted. Sie gingen an etlichen, ihnen unbekannten<br />
Porträts vorbei. An die ersten meinte sich <strong>Dora</strong> erinnern zu<br />
können, doch je weiter sie gingen, desto fremder wurden die Bilder.<br />
Schließlich waren sie so viele Treppen hinunter gestiegen, <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong><br />
behauptete, sie könnten unmöglich noch über der Erde sein <strong>und</strong> genauso<br />
schaute es auch aus. Es war dunkel <strong>und</strong> Fackeln beleuchteten<br />
die kahlen Wände.<br />
„Wir sind falsch“, meinte Ted <strong>und</strong> blieb stehen.<br />
Die vier schauten sich um.<br />
„Hast du ja ganz toll gemacht“, grinste <strong>Lily</strong>. „Ich hätte rechts genommen!“<br />
Ted zog eine Augenbraue in die Höhe.<br />
„Keiner hat dir verboten, sie zu nehmen“, sagte er. „Außerdem bin<br />
ich mir sicher, <strong>das</strong>s wir die ersten beiden Treppen richtig gegangen<br />
sind!“<br />
„Ist doch egal, es ist zu spät“, meinte <strong>Dora</strong>. „Wie machen wir jetzt<br />
weiter?“<br />
„Zurück können wir nicht“, antwortete Scott.<br />
134
Die anderen folgten seinem Blick hinauf <strong>und</strong> sahen, wie sich die<br />
Treppen unaufhörlich bewegten. Den gleichen Weg zurückzufinden<br />
wäre ein Ding der Unmöglichkeit gewesen.<br />
„Also geradeaus?“, fragte Ted.<br />
Alle zuckten mit den Schultern, befolgten aber <strong>das</strong> Gesagte <strong>und</strong><br />
gingen weiter. Plötzlich hörten sie Schritte hinter ihnen.<br />
„Dachte ich doch, <strong>das</strong>s ihr es seid“, sagte die Stimme eines Jungen<br />
<strong>und</strong> kam auf die vier zu.<br />
<strong>Dora</strong> atmete tief durch. Es war Jeff. Mit der einen Hand stopfte er<br />
den Rest eines Muffins in den M<strong>und</strong>, während er mit der anderen<br />
den nächsten aus seiner Umhangtasche holte.<br />
„Was macht ihr hier?“, fragte er misstrauisch.<br />
„Die große Halle suchen“, gestand <strong>Dora</strong>.<br />
„Und was machst du hier?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Essen“, murmelte er. „Sollte eigentlich schon seit zwei St<strong>und</strong>en<br />
auf dem Quidditch-Feld sein, hab mich aber verschlafen. Wie auch<br />
immer, wie kommt ihr hierher?“<br />
„Wo hast du <strong>das</strong> Essen her?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Aus der Küche“, antwortete Jeff. „Die Hauselfen haben immer<br />
ein Herz für arme Menschen wie mich, die schon vor dem Frühstück<br />
am ersten Schultag des Jahres aufs Feld müssen! Aber was macht ihr<br />
hier? Die Halle ist über uns!“<br />
„Darauf sind wir auch schon gekommen“, antwortete Ted.<br />
„Und warum seid ihr dann nicht dort?“<br />
Jeff hatte inzwischen den nächsten Muffin mit zwei Bissen hinuntergewürgt.<br />
„Weil wir dachten, hier ist es viel schöner“, murmelte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> ließ<br />
ihren Blick über die kahlen Steinmauern schweifen. „Warum wohl?<br />
Weil wir die Halle nicht gef<strong>und</strong>en haben!“<br />
Jeff legte den Kopf schief, während er zu Ende kaute.<br />
„Ich zeig sie euch“, meinte er <strong>und</strong> stampfte den Erstklässlern voraus,<br />
die ihm folgten. „Vor drei Jahren hab' ich es geschafft, die ersten<br />
beiden St<strong>und</strong>en zu verpassen… Aber wir kannten dann die ganze<br />
135
Schule in- <strong>und</strong> auswendig, denn wir haben alles mindestens dreimal<br />
gesehen, bevor wir die Halle gef<strong>und</strong>en haben. Die Bücherei, den<br />
Krankenflügel,… Wir waren sogar im Gemeinschaftsraum der<br />
Hufflepuffs. Dachten, wir müssten dort rein, weil ein paar Schüler<br />
reingekrochen sind. Gab einen riesen Aufstand, glaubt mir. Die haben<br />
Gryffindor-Besucher nicht so gerne…“<br />
Jeff führte sie eine Treppe hinauf <strong>und</strong> dann einmal quer durch den<br />
Flur <strong>und</strong> durch ein paar Türen. Plötzlich befanden sie sich in der Tür<br />
zwischen der Eingangshalle <strong>und</strong> der großen Halle.<br />
„Hier wären wir“, meinte Jeff <strong>und</strong> winkte den vieren noch mal zu,<br />
bevor er durch die hohe Tür nach draußen verschwand.<br />
„Glück gehabt“, meinte Scott, der direkt hinter Jeff in die noch leere<br />
Halle trat.<br />
Nur ein paar Schüler saßen inzwischen an den Tischen <strong>und</strong> aßen<br />
von den vielseitigen Speisen, die auf dem Tisch aufgetaucht waren.<br />
Sie setzten sich an <strong>das</strong> noch leere Ende des Gryffindor-Tisches <strong>und</strong><br />
langsam, aber sicher füllte sich auch der Rest der Halle mit den<br />
hungrigen Schülern aus allen Häusern.<br />
Tante Emily hatte die Zwillinge <strong>und</strong> ihre eigenen Kinder nie hungern<br />
lassen, aber so ein Frühstück waren sie selbst von ihr nicht gewohnt.<br />
Eier, Schinken, Speck, verschiedene Sorten von Kuchen <strong>und</strong><br />
auch die Muffins, welche Jeff vorhin gegessen hatte, lagen in den<br />
großen Schüsseln bereit. Sie langten kräftig zu, als plötzlich die junge<br />
Pr<strong>of</strong>essorin, Hermine Granger, ihren Tisch entlang schritt <strong>und</strong> jedem<br />
einen St<strong>und</strong>enplan aushändigte. Bei manchen blieb sie länger<br />
stehen, bei anderen nicht so lang. Den Zwillingen gab sie nur <strong>das</strong><br />
Blatt in die Hand, lächelte ihnen zu <strong>und</strong> ging weiter. Zu Scott sagte<br />
sie: „Freut mich, <strong>das</strong>s du in Gryffindor bist!“<br />
Scott nickte, dann blickten sie alle auf ihre St<strong>und</strong>enpläne.<br />
„Erste <strong>und</strong> zweite St<strong>und</strong>e“, las <strong>Dora</strong> vor, „haben wir Verteidigung<br />
gegen die dunklen Künste, dann Verwandlung <strong>und</strong> dann zwei Besenflugst<strong>und</strong>en.“<br />
136
„Ich wollte <strong>das</strong> ja immer schon mal machen, seit ich <strong>das</strong> Plakat in<br />
der Winkelgasse gesehen habe!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Sicher bekommen wir so alte Schrottfeger zum Fliegen“, murmelte<br />
jedoch Ted.<br />
„Dir passt auch gar nichts“, stellte <strong>Lily</strong> fest.<br />
„Also haben wir Pr<strong>of</strong>essor Granger schon heute“, meinte <strong>Dora</strong>, die<br />
noch immer ihren St<strong>und</strong>enplan analysierte. „Ich weiß ja nicht, was<br />
ich von ihr halten soll…“<br />
„Wieso, ich finde sie nett“, sagte Scott.<br />
„Meinst du den Blick, den sie gestern bei der Auswahl draufhatte?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>, die Scotts Bemerkung ignorierte.<br />
„Hat sie dich auch so komisch angeschaut?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> zuckte anschließend mit den Schultern.<br />
„Wir sollten uns auf den Weg machen, wir müssen noch unsere<br />
Bücher holen <strong>und</strong> anschließend <strong>das</strong> Klassenzimmer finden. Das kann<br />
bei uns St<strong>und</strong>en dauern!“<br />
Ted stand auf, als er seinen Satz beendet hatte, <strong>und</strong> wartete auf die<br />
anderen. Auch sie erhoben sich.<br />
„Mann, <strong>und</strong> optimistisch bist du ja auch noch“, meinte <strong>Lily</strong> grinsend.<br />
Ted streckte ihr die Zunge entgegen.<br />
„Also bitte, dann zeig du uns den Weg nach oben!“, befahl er.<br />
<strong>Lily</strong> hatte Glück <strong>und</strong> die Treppen führen sie s<strong>of</strong>ort zum Gemeinschaftsraum<br />
der Gryffindors. Sie hatte keine Ahnung, wie sie gegangen<br />
waren, aber Hauptsache war doch, <strong>das</strong>s alle glaubten, sie hätte<br />
von Anfang an gewusst, wohin sie gingen. Sie grinste, als sie durch<br />
<strong>das</strong> Portraitloch stiegen.<br />
„Glückspilz“, murmelte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> antwortete allerdings nichts, denn sie glaubte, trotz seiner<br />
Worte einen Anflug von Bew<strong>und</strong>erung in Teds Gesicht zu sehen,<br />
<strong>und</strong> sie war sich sicher, <strong>das</strong>s es ihn störte, <strong>das</strong>s sie besser gewesen<br />
war, als er kurze Zeit zuvor.<br />
137
Wenige Minuten später – diesmal hatten sie allerdings nicht auf<br />
<strong>Lily</strong>s Können, sondern auf eine Schar anderer Erstklässler, angeführt<br />
von einem Vertrauensschüler aus dem sechsten Jahrgang, vertraut –<br />
waren sie im Klassenzimmer für Verteidigung gegen die dunklen<br />
Künste angekommen.<br />
<strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong>, Scott <strong>und</strong> Ted setzten sich in die zweite Reihe, die die<br />
einzige war, die noch komplett leer war, <strong>und</strong> somit genug Platz für<br />
die vier bot. Sie legten gerade ihre Bücher auf den Tisch <strong>und</strong> setzten<br />
sich, als die letzten Schüler gefolgt von einem ziemlich jungen Pr<strong>of</strong>essor<br />
in <strong>das</strong> Klassenzimmer kamen. Er stellte sich vor die Klasse<br />
<strong>und</strong> alle erhoben sich von ihren Plätzen.<br />
Auf den ersten Blick sah er nicht wirklich wie ein Pr<strong>of</strong>essor aus. Er<br />
hatte ein r<strong>und</strong>es Gesicht <strong>und</strong> wirkte eher ungeschickt als gelehrt,<br />
doch schon bald zeigte sich, <strong>das</strong>s der erste Eindruck täuschte.<br />
„Willkommen im ersten Schuljahr!“, sagte der Pr<strong>of</strong>essor. „Mein<br />
Name ist Pr<strong>of</strong>essor Neville Longbottom <strong>und</strong> ich unterrichte jetzt seit<br />
sagenhaften fünf Jahren <strong>das</strong> Fach ‚Verteidigung gegen die dunklen<br />
Künste’. Packt eure Bücher ein, nehmt eure Zauberstäbe <strong>und</strong> kommt<br />
zu mir!“<br />
Die Zwillinge machten schulterzuckend, was er ihnen befohlen<br />
hatte, <strong>und</strong> räumten ihre Bücher zurück in die Schultasche, dann folgten<br />
sie den anderen Schülern nach vorne.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Longbottom schwang geschickt seinen Zauberstab, als<br />
sich die Kinder zu beiden Seiten von ihm versammelt hatten, <strong>und</strong><br />
sämtliche Tische reihten sich entlang der hinteren Wand auf. Elf<br />
verwirrte Augenpaare blickten ihn an.<br />
„Stellt euch im Halbkreis auf“, sagte er bestimmt, aber dennoch<br />
fre<strong>und</strong>lich.<br />
Geduldig wartete er, bis alle um ihn herumstanden <strong>und</strong> bereit waren,<br />
seinen folgenden Worten zu lauschen.<br />
„In diesem Unterricht werdet ihr eure Bücher nicht brauchen <strong>und</strong><br />
ihr werdet keine Aufsätze als Hausaufgaben kriegen“, begann er.<br />
„Ich durfte vor einigen Jahren, als ich selbst an eurer Stelle war, ein<br />
138
paar schreckliche Jahre in diesem Fach durchleben. Die Lehrer waren<br />
vom Bösen besessen, hatten keine Ahnung von dem, was sie redeten,<br />
waren verhext, wollten diese Schule stürzen <strong>und</strong> einer von<br />
ihnen war sogar ein Todesser!“<br />
Ein erstauntes Gemurmel ging durch die Klasse, verstummte allerdings<br />
s<strong>of</strong>ort, als Pr<strong>of</strong>essor Longbottom wieder seine Stimme erhob.<br />
„Ich hatte aber <strong>das</strong> Glück, auch zwei wirklich gute Lehrer zu haben!<br />
Der Sohn eines der beiden steht hier im Raum. Ted Remus Lupin?“,<br />
fragte er.<br />
Ted trat einen Schritt nach vorne, ein wenig erstaunt wirkend.<br />
„Hattest einen tollen Vater, auch wenn du dich nicht erinnern<br />
kannst! Er war ein guter Lehrer!“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Longbottom <strong>und</strong><br />
klopfte Ted auf die Schulter.<br />
Dieser lächelte <strong>und</strong> trat wieder zurück.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Lupin hat uns viel Wichtiges beigebracht, zum Beispiel,<br />
wie man einen Irrwicht fertig macht. Miese kleine Viecher. Die wissen,<br />
sie sie einem Angst machen können! Mal sehen, ob wir dieses<br />
Jahr noch zu ihnen kommen, wir haben viel vor!“, fuhr er fort. „Und<br />
der zweite Lehrer war eigentlich gar keiner. Es war Harry Potter!“<br />
Er stoppte kurz um den Schülern zeit zum Murmeln zu geben. <strong>Dora</strong><br />
wandte sich an <strong>Lily</strong>.<br />
„Das heißt, <strong>das</strong>s dieser Harry Potter noch gar nicht so alt sein<br />
kann, wenn Pr<strong>of</strong>essor Longbottom ihn kannte, oder?“, fragte sie.<br />
„Es muss also noch vor wenigen Jahren hier ziemlich 'rauf <strong>und</strong><br />
'runter gegangen sein in der Zaubererwelt!“, nickte <strong>Lily</strong>.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Longbottom räusperte sich <strong>und</strong> die Schülerschar verstummte.<br />
„Harry Potter war mein Klassenkamerad <strong>und</strong> da wir keine ordentliche<br />
Ausbildung in diesem wichtigen Fach bekommen konnten, beschloss<br />
er, es selbst in die Hand zu nehmen. Er gründete mit uns<br />
Freiwilligen eine Art Club <strong>und</strong> er lehrte uns wichtige Sachen, die uns<br />
später <strong>das</strong> Leben gerettet haben. Eine seiner wichtigsten Aussagen<br />
war, <strong>das</strong>s wir nicht wissen, wie es im Kampf ist, auch wenn wir noch<br />
139
so gut sind. Im Angesicht des Feindes ist alles anders. Deshalb ist es<br />
wichtig, die Zauber, Flüche <strong>und</strong> Gegenflüche im Schlaf zu beherrschen,<br />
um sie später auch anwenden zu können, wenn alles verloren<br />
scheint! Er hat uns <strong>das</strong> gelehrt <strong>und</strong> genau <strong>das</strong> versuche ich jetzt bei<br />
euch. Ich weiß, <strong>das</strong>s viele von euch denken werden, <strong>das</strong>s die dunklen<br />
Künste mit dem Sieg über Lord Voldemort verschw<strong>und</strong>en sind, doch<br />
ich sage euch eines: Die dunklen Künste werden nie aussterben <strong>und</strong><br />
früher oder später werden sie zurückkommen! Vielleicht in zehn Jahren<br />
oder vielleicht erst in h<strong>und</strong>ert Jahren, ich weiß es nicht, aber sie<br />
werden kommen! Wenn ihr sie nicht besiegen müsst, dann müssen<br />
es eure Kinder oder Enkelkinder! Deshalb werden wir unsere wertvolle<br />
Zeit nicht damit verschwenden, <strong>The</strong>orien über Zauber zur Verteidigung<br />
zu lesen, sondern wir werden sie ausführen. Und <strong>das</strong> solange,<br />
bis alle sie können, <strong>das</strong> verspreche ich euch. Nun sucht euch<br />
einen Partner <strong>und</strong> stellt euch gegenüber auf!“, meinte er. „Nein,<br />
nein! Ihr beiden sucht euch einen anderen Partner!“<br />
Er grinste die Zwillinge an, die sich s<strong>of</strong>ort zusammenstellen wollten.<br />
Sie sahen sich traurig um <strong>und</strong> wandten sich dann an Ted <strong>und</strong><br />
Scott. Die beiden nickten <strong>und</strong> am Ende stand <strong>Lily</strong> gegenüber von<br />
Ted <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gegenüber von Scott. Julie Davis war die Einzige, die<br />
keinen Partner hatte <strong>und</strong> so deutete ihr Pr<strong>of</strong>essor Longbottom, zu<br />
ihm zu kommen.<br />
„Wir beginnen mit dem wahrscheinlich einfachsten, aber dennoch<br />
sehr wirkungsvollen Deffensivzauber!“, sagte er.<br />
Wieder ging aufgeregtes Geflüster durch die Klasse. Niemand hatte<br />
geglaubt, <strong>das</strong>s sie schon nach zehn Minuten zaubern würden. <strong>Dora</strong><br />
blickte mit großen Augen zu <strong>Lily</strong>, die vor Vorfreude strahlte.<br />
„Wir versuchen, den anderen zu entwaffnen“, meinte er ruhig.<br />
„Expelliarmus!“<br />
Einige Schüler zuckten zusammen aufgr<strong>und</strong> des plötzlichen Wechsels<br />
seiner Lautstärke. Nachdem er <strong>das</strong> letzte Wort geschrieen hatte,<br />
flogen elf Zauberstäbe durch die Luft <strong>und</strong> landeten hinter den verw<strong>und</strong>erten<br />
Besitzern auf dem Boden. Diese trauten sich gar nicht,<br />
140
sich zu bücken <strong>und</strong> sie wieder aufzuheben. Pr<strong>of</strong>essor Longbottom<br />
grinste.<br />
„Keine Sorge. Das ging natürlich nur, weil ihr nicht aufgepasst<br />
habt. Sonst ist es schon manchmal nicht einfach, nur einen einzigen<br />
Zauberer zu entwaffnen. Ihr habt die Zauberformel gehört. Expelliarmus.<br />
Richtet euren Zauberstab auf den eures Gegenübers <strong>und</strong> versucht<br />
euer Glück. Wechselt euch ab!“, befahl er.<br />
<strong>Dora</strong> fühlte sich etwas komisch bei dem, was sie tat. Sie gab Scott<br />
ein Zeichen, <strong>das</strong>s er beginnen konnte. Er richtete seinen Zauberstab<br />
auf sie <strong>und</strong> murmelte mindestens zehn Mal hintereinander ‚Expelliarmus’,<br />
doch nichts tat sich. Dann nickte er <strong>Dora</strong> zu.<br />
„Tut mir leid, ich schaff es nicht, probier du mal dein Glück“, sagte<br />
er.<br />
In der Klasse waren verzweifelte Rufe zu hören, doch keine Zauberstäbe<br />
verließen die Hände ihrer Besitzer. Ted schrie unablässig<br />
immer <strong>und</strong> immer wieder die Zauberformel, aber nichts tat sich. <strong>Lily</strong><br />
spielte sich inzwischen mit ihrem Zauberstab <strong>und</strong> ließ ihn auf ihrem<br />
Zeigefinger kreisen, um Ted zu zeigen, <strong>das</strong>s ihr langweilig war.<br />
„Okay“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
Sie richtete ihren Zauberstab auf Scott <strong>und</strong> murmelte leise ‚Expelliarmus’.<br />
Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, flog Scotts Zauberstab<br />
schon in großem Bogen auf die andere Seite der Klasse.<br />
„Hast du ihn mit Absicht weggeworfen?“, fragte <strong>Dora</strong> den verw<strong>und</strong>erten<br />
Scott.<br />
Alle Schüler im Raum hatten sich zu <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott umgewandt.<br />
Auch Pr<strong>of</strong>essor Longbottom schaute die beiden mit großen Augen<br />
an. Scott schüttelte den Kopf.<br />
„Wie hast du <strong>das</strong> gemacht?“, fragte er.<br />
„Ich hab nur dieses Wort gesagt“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Das will ich auch probieren. Pass auf Ted“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
Alle Blicke richteten sich jetzt auf sie <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> war froh, <strong>das</strong>s<br />
niemand mehr auf sie selbst achtete. Auch sie beobachtete ihre Zwil-<br />
141
lingsschwester. Ted stellte sich hin <strong>und</strong> hielt seinen Zauberstab ausgestreckt<br />
in seiner Hand.<br />
„Expelliarmus“, sagte <strong>Lily</strong> wenig überzeugt <strong>und</strong> wenige Augenblicke<br />
später befand sich Teds Zauberstab neben dem von Scott.<br />
<strong>Lily</strong> schaute so als könne sie nicht glauben, was sie da gerade eben<br />
gemacht hatte <strong>und</strong> kratzte sich an der Stirn, während sie überlegte.<br />
„Ausgezeichnet“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Longbottom <strong>und</strong> ging auf die<br />
beiden zu. „Habt ihr diesen Zauber schon mal verwendet?“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schüttelten den Kopf.<br />
„Bis vor etwa einem Monat wussten wir nicht mal, <strong>das</strong>s es Zauberer<br />
gibt!“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
„Erstaunlich“, sagte er. „Kommt nach vorn. Julie, würde es dir etwas<br />
ausmachen, mit Ted <strong>und</strong> Scott weiterzuüben? Wenn die beiden<br />
nämlich mit den Zwillingen weitermachen, hat <strong>das</strong> keinen Sinn!“<br />
Julie nickte <strong>und</strong> ging auf die Jungs zu.<br />
„Also, weitermachen!“, befahl er fre<strong>und</strong>lich.<br />
Dann wandte er sich den Zwillingen zu.<br />
„Das w<strong>und</strong>ert mich, normalerweise schafft <strong>das</strong> keiner beim ersten<br />
Mal“, sagte er. „Zeigt mir <strong>das</strong> noch mal! <strong>Lily</strong>, entwaffne <strong>Dora</strong>!“<br />
<strong>Lily</strong> tat, wie ihr befohlen wurde <strong>und</strong> schon kurz später flog <strong>Dora</strong>s<br />
Zauberstab durch die Luft, über den Kopf von Pr<strong>of</strong>essor Longbottom,<br />
welcher ihn ungeschickt mit den Fingerspitzen auffing <strong>und</strong> ihn<br />
seiner Besitzerin zurückgab. Er deutete <strong>Dora</strong>, <strong>das</strong>s sie es versuchen<br />
sollte. Sie entwaffnete <strong>Lily</strong> ohne Mühe <strong>und</strong> nachdem sie beide Pr<strong>of</strong>essor<br />
Longbottom auf dessen Befehl hin auch noch entwaffnet hatten,<br />
war er überzeugt.<br />
„Okay, anscheinend war es nicht nur Glück! Freut mich, <strong>das</strong>s es<br />
bei euch beiden so schnell geklappt hat. Ihr müsst talentiert sein!“,<br />
meinte er lächelnd. „Dann könnt ihr mir ja helfen, es den anderen zu<br />
zeigen. Geht durch die Reihen <strong>und</strong> helft, okay?“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickten, obwohl sie keine Ahnung hatten, wie sie<br />
den anderen helfen sollten, immerhin wussten sie ja selbst nicht, wie<br />
142
sie es machten. Sie taten gar nichts anderes, als all die anderen auch,<br />
nämlich einfach den Zauberstab zu halten <strong>und</strong> die Formel zu sagen.<br />
Nach zwei St<strong>und</strong>en verließen die Zwillinge als letztes mit Ted <strong>und</strong><br />
Scott die Klasse. Wie eine Handvoll anderer Schüler hatte es auch<br />
Scott inzwischen geschafft, Ted zu entwaffnen. Dieser ließ die<br />
Schultern hängen, als er missgelaunt einen Schritt vor den nächsten<br />
setzte.<br />
„Aber immerhin hat sich der Zauberstab von Julie bewegt, als du<br />
sie entwaffnen wolltest“, versuchte Scott ihn aufzumuntern, hatte<br />
allerdings wenig Erfolg damit.<br />
Ted atmete zur Antwort nur einmal schwer durch.<br />
„Na ja, jetzt hast du ja die nächste Chance. Wir haben Verwandlung<br />
bei der stellvertretenden Schulleiterin“, meinte <strong>Dora</strong>, die erneut<br />
ihren St<strong>und</strong>enplan aus ihrem Umhang gezogen hatte.<br />
Sie gingen noch ein paar Schritte den Flur entlang, hinter anderen<br />
Schülern aus Gryffindor her. Diese bogen in einen Raum ein <strong>und</strong> die<br />
Zwillinge folgten ihnen.<br />
In diesem Klassenzimmer waren bereits andere Schüler. Erst als<br />
Harry auf <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> zu gerannt kam, bemerkten sie, <strong>das</strong>s es die<br />
Hufflepuffs aus ihrem Jahrgang waren.<br />
„Hallo“, begrüßte er die beiden. „Lang nicht gesehen!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickten.<br />
„Was hattet ihr die ersten beiden St<strong>und</strong>en?“, fragte er.<br />
„Wir hatten Verteidigung gegen die dunklen Künste <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> <strong>und</strong><br />
ich haben sogar einen Entwaffnungszauber zustande gebracht!“, berichtete<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Ja ja, gib nur an“, murmelte Ted.<br />
„Was, ihr durftet zaubern?“, fragte Harry.<br />
Er ignorierte Ted komplett, was diesen noch beleidigter aussehen<br />
ließ.<br />
„Ja klar, ihr nicht?“<br />
143
Die beiden setzten sich neben Harry <strong>und</strong> Matthew Cauldwell, der<br />
ihnen fre<strong>und</strong>lich zulächelte, an einen Vierertisch.<br />
„Nein“, antwortete Harry. „Ich kam noch nicht mal dazu, den Zauberstab<br />
überhaupt auszupacken. Stattdessen durften wir meterweise<br />
Pergament voll schreiben. Und <strong>das</strong> Beste ist, <strong>das</strong>s Pr<strong>of</strong>essor Binns<br />
ein Geist ist!“<br />
<strong>Dora</strong> beugte sich nach vor, um an ihrer Schwester vorbei zu Harry<br />
blicken zu können.<br />
„Ein Geist? Welches Fach hattet ihr?“, fragte sie verblüfft.<br />
„Ja, ein echter Geist. Es war Zaubereigeschichte! Und wisst ihr<br />
noch, als wir gesagt haben, <strong>das</strong>s dieses Fach doch gar nicht so langweilig<br />
sein kann?“<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Nun ja, wir hatten falsch gedacht. Den Alten müsst ihr mal reden<br />
hören! Schon nach zehn Minuten lag die halbe Klasse im Halbschlaf!“<br />
„Aber er ist ein Geist, schon alleine <strong>das</strong> muss die St<strong>und</strong>e spannend<br />
machen“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Wieder falsch gedacht“, erklärte ihr Harry. „Zugegeben, die ersten<br />
beiden Minuten fand ich es auch noch interessant, durch ihn hindurch<br />
auf die leere Tafel <strong>und</strong> den Sessel hinter ihm zu blicken, aber<br />
selbst <strong>das</strong> war nicht mehr interessant, als er zu reden begann!“<br />
<strong>Lily</strong> wollte gerade antworten, als Pr<strong>of</strong>essor Granger die Klasse<br />
betrat. Sie lächelte in die R<strong>und</strong>e, als sie nach vorne hinter den Lehrertisch<br />
trat.<br />
„Guten Tag“, sagte sie.<br />
Alle Augen richteten sich gespannt auf die Lehrerin, welche bereits<br />
ihren Zauberstab gezückt hatte.<br />
„Im Fach Verwandlung geht es darum, Gegenstände oder Lebewesen<br />
mit dem Zauberstab <strong>und</strong> einem Zauberspruch so zu verzaubern,<br />
<strong>das</strong>s sie ihr Aussehen oder ihre Wesensart verändern“, erklärte sie.<br />
„Beginnen werden wir damit…“<br />
Sie h<strong>of</strong> einen Löffel in die Luft, damit alle ihn sehen konnten.<br />
144
„… einen Löffel in eine Gabel zu verwandeln. Das hat zwar nicht<br />
viel Sinn, ist allerdings einer der einfachsten Verwandlungszauber.<br />
Sprecht einfach folgende Formel nach <strong>und</strong> achtet auf meine Bewegungen.<br />
Das Wichtigste aber ist, <strong>das</strong>s ihr euch auf die Gestalt einer<br />
Gabel konzentriert <strong>und</strong> <strong>das</strong> voll <strong>und</strong> ganz, hört ihr?“<br />
Ein zustimmendes Gemurmel ging durch die klasse, während sie<br />
ein paar Worte sagte, ihren Zauberstab kunstvoll durch die Luft<br />
schwang <strong>und</strong> anschließend mit der Spitze auf den Löffel zeigte. Dieser<br />
verwandelte sich augenblicklich in eine glänzende Gabel.<br />
„So in etwa!“, meinte sie. „Versucht euer Glück, ich werde euch<br />
helfen. Holt euch bitte jeder einen Löffel!“<br />
Harry ging nach vorne <strong>und</strong> holte vier der alten Esslöffel an ihren<br />
Tisch, die er anschließend seinen Cousinen <strong>und</strong> Matthew übergab.<br />
„Also wie war <strong>das</strong>?“, fragte er <strong>und</strong> blickte von einem zum anderen.<br />
Matthew versuchte inzwischen mit aller Mühe, seinen Löffel zu<br />
verwandeln, dieser machte allerdings keine Anstalten, seinen Befehl<br />
zu befolgen.<br />
„Na dann mal schauen, ob <strong>das</strong> auch so einfach ist“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> blickte zu ihrer Schwester hinüber. Diese kniff die Augen zusammen,<br />
stellte sich vor, wie sich der Löffel in eine Gabel verwandelte,<br />
murmelte die Zauberworte, schwang den Zauberstab in etwa<br />
so, wie sie es bei Pr<strong>of</strong>essor Granger gesehen hatte <strong>und</strong> deutete anschließend<br />
auf den Löffel.<br />
Augenblicklich wurde die r<strong>und</strong>e Seite des Löffels schmaler <strong>und</strong><br />
teilte sich in drei Teile, welche schließlich spitz zusammenliefen <strong>und</strong><br />
wenige Momente später lag eine perfekte Gabel vor ihr.<br />
<strong>Dora</strong> machte <strong>das</strong>selbe <strong>und</strong> ein paar Sek<strong>und</strong>en später hatte auch sie<br />
eine perfekt geformte Gabel vor ihr liegen. Die beiden grinsten sich<br />
an.<br />
„So geht <strong>das</strong>“, meinte <strong>Lily</strong>, hielt ihre Gabel demonstrativ auf Augenhöhe<br />
von Harry, welcher s<strong>of</strong>ort den verzweifelten Versuch, seinen<br />
Löffel zu verhexen, aufgab.<br />
„Wie hast du <strong>das</strong> gemacht?“, fragte er laut.<br />
145
<strong>Lily</strong> legte ihr Essbesteck wieder auf den Tisch, machte <strong>das</strong>selbe<br />
wie kurz zuvor, nur stellte sie sich vor, <strong>das</strong>s sich die Gabel in ein<br />
Messer verwandeln sollte <strong>und</strong> nur kurz später lag es vor ihr.<br />
„Du musst einfach nur eine schöne Bewegung machen, die Formel<br />
sagen <strong>und</strong> an eine Gabel denken“, erklärte sie.<br />
Harry befolgte ihren Rat <strong>und</strong> machte, was sie ihm erklärt hatte.<br />
Dass sich schon wieder die kompletten beiden Reihen vor ihnen umgedreht<br />
hatten um ihnen zuzusehen, merkten <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> vor allem<br />
Harry nicht, so angestrengt konzentrierte er sich.<br />
„Ha!“, rief er plötzlich <strong>und</strong> hielt seinen Löffel in die Höhe.<br />
<strong>Lily</strong> sah ihn mit gerunzelter Stirn an.<br />
„Was ist?“, flüsterte sie.<br />
„Schau dir <strong>das</strong> an!“<br />
Harry zeigte auf seinen Löffel, aus dessen Stiel nun nicht nur der<br />
normale Löffel, sondern auch zwei Gabelspitzen auf jeder Seite der<br />
R<strong>und</strong>ung ragten.<br />
„Nicht schlecht für den Anfang“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger, die<br />
gerade auf Matthews Seite des Tisches auf die vier zugeschritten<br />
kam, um zu sehen, was es da zu beobachten gab.<br />
Dann fiel ihr Blick auf <strong>Lily</strong>s Messer <strong>und</strong> auf <strong>Dora</strong>s Gabel.<br />
„Tut mir leid“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> verwandelte ihr Messer augenblicklich<br />
wieder in eine Gabel, weil sie meinte, <strong>das</strong>s der verw<strong>und</strong>erte<br />
Gesichtsausdruck von Pr<strong>of</strong>essor Granger ihr falsches Essbesteck<br />
zum Gr<strong>und</strong> hatte.<br />
„Habt ihr <strong>das</strong> schon mal gemacht oder ist <strong>das</strong> auch <strong>das</strong> erste Mal?“,<br />
fragte Pr<strong>of</strong>essor Granger die Zwillinge.<br />
„Das erste Mal“, antwortete <strong>Dora</strong>. „Aber wieso ‚auch’?“<br />
„Ich habe mit Pr<strong>of</strong>essor Longbottom gesprochen, kurz bevor ich in<br />
die Klasse bekommen bin“, antwortete die Lehrerin.<br />
Sie musterte die beiden noch mal mit einem Blick, den die Mädchen<br />
wieder nicht deuten konnten. Es war genauso wie am Vortag<br />
bei der Auswahlszeremonie. Sie hatten keine Ahnung, was sie getan<br />
hatten, <strong>das</strong>s sie von Anfang an so angeschaut wurden.<br />
146
Die anderen Schüler schauten langsam aber sicher immer verzweifelter<br />
aus, bei dem Versuch ihren Löffel zu verhexen. Harry hatte es<br />
inzwischen geschafft <strong>und</strong> sein Besteck glich bereits mehr einer Gabel.<br />
Er schaute stumm <strong>und</strong> voller Stolz auf <strong>das</strong> hinab, was er geschaffen<br />
hatte, so als könnte er <strong>das</strong> alles immer noch nicht glauben.<br />
Währenddessen verwandelten die Zwillinge <strong>das</strong>, was eigentlich einmal<br />
ein Löffel gewesen war, in dutzende verschiedene Dinge <strong>und</strong><br />
dann stritten sie darüber, wessen Teller oder wessen Tasse nun am<br />
schönsten war.<br />
Am Ende der St<strong>und</strong>e verkündete Pr<strong>of</strong>essor Granger, <strong>das</strong>s sie sich<br />
ihre Übungsgegenstände zum Üben mitnehmen dürften. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> verwandelten ihren Gegenstand, der jetzt eine perfekt gearbeitete<br />
Glasflasche darstellte, schnell in eine Stecknadel.<br />
„Was soll <strong>das</strong>?“, fragte Harry die beiden, als sie die Nadel in den<br />
Rucksack steckten, um sie nicht zu verlieren.<br />
„Glaubst du wir tragen eine Glasflasche rum? Die ist doch viel zu<br />
schwer“, antwortete ihm <strong>Lily</strong>.<br />
Harry runzelte die Stirn.<br />
„Du brauchst gar nicht so anzugeben!“, meinte er, aber ausnahmsweise<br />
war keine Spur von Beleidigung in Harrys Miene zu erkennen.<br />
Wahrscheinlich war er einfach zu überwältigt davon, <strong>das</strong> erste Mal<br />
im Leben etwas gezaubert zu haben, mit einem Zauberstab, der nicht<br />
aus Plastik war.<br />
Die Zwillinge verabschiedeten sich von Harry, der mit Matthew<br />
als erstes <strong>das</strong> Klassenzimmer verließ <strong>und</strong> warteten noch auf Ted <strong>und</strong><br />
Scott. Als diese zusammengepackt hatten, waren nur noch wenige<br />
Schüler im Raum.<br />
„Ihr wart wieder mal die Besten“, meinte Ted. „Wenn <strong>das</strong> <strong>das</strong> ganze<br />
Jahr so geht, dann…“<br />
„<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>?“<br />
Sie wollten gerade durch die Tür hinaus auf den Flur gehen, als sie<br />
sich umdrehten. Pr<strong>of</strong>essor Granger kam auf sie zu.<br />
„Kommt ihr beide bitte mit mir?“, fragte sie.<br />
147
<strong>Lily</strong> blickte <strong>Dora</strong> kurz an <strong>und</strong> nickte dann in Richtung der Lehrerin.<br />
Was hatten sie jetzt schon wieder angestellt? ‚Kommt ihr beide<br />
bitte mit mir?’ konnte doch niemals etwas Gutes bedeuten. Die beiden<br />
deuteten Ted <strong>und</strong> Scott weiterzugehen.<br />
„Keine Sorge, ich sage Madam Hooch, <strong>das</strong>s ihr beiden heute nicht<br />
zu ihrem Unterricht kommt! Würdet ihr eure Sachen schnell nach<br />
oben tragen? Wir treffen uns dann vor dem Tor in der Eingangshalle“,<br />
meinte sie.<br />
Die Zwillinge nickten <strong>und</strong> einen Augenblick später sahen sie nur<br />
noch den Rücken von Pr<strong>of</strong>essor Granger, die in die entgegen gesetzte<br />
Richtung des Flurs ging.<br />
„Ich wollte aber fliegen“, meinte <strong>Lily</strong> traurig.<br />
„Und ich will wissen, was ihr an uns nicht passt! Sie behandelt<br />
doch die anderen nicht so komisch!“<br />
„Was, glaubst du, hat sie vor?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit ihren Schultern. Sie schlossen sich einem Rudel<br />
älterer Schüler an, von denen sie meinten, sie im Gemeinschaftsraum<br />
gestern Abend schon mal gesehen zu haben.<br />
Im Schlafsaal angekommen schmissen sie nur schnell ihre Schultasche<br />
aufs Bett <strong>und</strong> machten sich wieder auf den Weg nach unten.<br />
Wieder hatten sie <strong>das</strong> Glück, ein paar anderen Schülern folgen zu<br />
können. Als sie die letzte Treppe zur Eingangshalle herabkamen, sahen<br />
sie auch schon Pr<strong>of</strong>essor Granger, die vor der Tür stand <strong>und</strong> auf<br />
die beiden wartete.<br />
„Dann kommt mal mit raus“, deutete sie den beiden <strong>und</strong> ging ihnen<br />
voran über die Treppe.<br />
Sie gingen ein Stück über <strong>das</strong> große Gelände, <strong>das</strong> zum Schloss gehörte.<br />
Ein Stück weiter sahen sie die anderen aus ihrer Klasse, die<br />
sich um eine grauhaarige Lehrerin versammelt hatten <strong>und</strong> ihr aufmerksam<br />
zuhörten. Mit einem ziemlich neidischen Blick wandte sich<br />
<strong>Lily</strong> ab.<br />
„Keine Sorge, ihr dürft auch fliegen!“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
148
Es war fast so, als hätte sie <strong>Lily</strong>s Gedanken gelesen. <strong>Lily</strong> schaute<br />
zu ihr auf, doch sie blickte nur stur geradeaus <strong>und</strong> plötzlich blieb sie<br />
stehen.<br />
Sie Sonne war inzwischen an ihrem höchsten Punkt am Himmel<br />
<strong>und</strong> es war hier nur wenig kühler als Zuhause im Ligusterweg. Die<br />
langen schwarzen Umhänge verbesserten diesen Umstand auch nicht<br />
wirklich.<br />
„So, da wären wir!“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger. „Accio Besen!“<br />
Schnell wie der Wind kamen zwei Besen aus dem Nichts auf sie<br />
zugesaust.<br />
„Ihr fragt euch sicher, was <strong>das</strong> soll?“, fragte sie die Schwestern.<br />
Beide nickten.<br />
„Ich denke nicht, <strong>das</strong>s ihr Hilfe von Madam Hooch braucht, wenn<br />
ihr einen Besen fliegen wollt!“, meinte sie.<br />
<strong>Dora</strong> blickte an ihr vorbei zurück an die Stelle, an der die anderen<br />
Gryffindors <strong>und</strong>, soweit sie erkennen konnte, auch die Slytherins aus<br />
ihrem Jahrgang standen. Sie waren zu weit entfernt, als <strong>das</strong>s sie genau<br />
erkennen konnte, was geschehen war, allerdings meinte sie, sehen<br />
zu können, wie sich die Lehrerin zu irgendetwas hinuntergebeugt<br />
hatte. Alle anderen standen im Halbkreis. War jemand vom<br />
Besen gefallen? Und dann sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger, <strong>das</strong>s sie keine<br />
Hilfe benötigten?<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger drehte sich um, als sie <strong>Dora</strong>s ängstliches Gesicht<br />
sah <strong>und</strong> beobachtete die Gruppe von Menschen auf der anderen<br />
Seite der Wiese einen Moment.<br />
„Keine Sorge, <strong>das</strong> wird euch nicht passieren!“, meinte sie ruhig.<br />
Sie legte einen Besen rechts <strong>und</strong> einen links von sich auf den Boden<br />
<strong>und</strong> trat zur Seite.<br />
„So, jetzt stellt euch neben die Besen, streckt eure Hand über sie<br />
aus <strong>und</strong> sagt ‚Hoch’!“<br />
Langsamen Schrittes traten die Mädchen zu jeweils einem Besen.<br />
Sie nickten sich zu <strong>und</strong> sagten dann zeitgleich „Hoch.“ Augenblicklich<br />
hatten sie beide einen Besen in der Hand.<br />
149
Sie blickten zu Pr<strong>of</strong>essor Granger. Diese schüttelte den Kopf <strong>und</strong><br />
runzelte die Stirn.<br />
„Stimmt was nicht?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Nein, alles in Ordnung! Das war super! Jetzt steigt auf, stoßt euch<br />
ab <strong>und</strong> fliegt einmal um <strong>das</strong> Schloss!“<br />
<strong>Dora</strong> sah auf den dünnen Besenstil hinab, den sie in der Hand hielt.<br />
Sie fragte sich, wie sie darauf fliegen können sollte <strong>und</strong> blickte zu<br />
<strong>Lily</strong>, die <strong>das</strong>selbe Gesicht machte wie sie selbst.<br />
„Aber…“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
Doch Pr<strong>of</strong>essor Granger sah sie streng an.<br />
„Kein ‚Aber’, probiert es!“, befahl sie.<br />
<strong>Lily</strong> hatte ihr trotziges ‚Die will uns doch umbringen!’-Gesicht<br />
aufgesetzt, aber dennoch war sie schneller als <strong>Dora</strong>. Während diese<br />
noch überlegte, wie sie es anstellen sollte, nicht s<strong>of</strong>ort wieder herunterzufallen,<br />
oder noch besser, wie sie es anstellen sollte in die Luft<br />
zu kommen, schwang <strong>Lily</strong> ihr Bein ohne nachzudenken über den<br />
Besen, stieß sich vom Boden ab, zog den Stiel leicht nach oben <strong>und</strong><br />
schon war sie meterhoch in der Luft.<br />
<strong>Dora</strong> sah ihrer Schwester kurz zu, dann überwand sie sich <strong>und</strong><br />
machte es ihr nach <strong>und</strong> plötzlich war alles ganz einfach. Sie hatte<br />
nicht <strong>das</strong> Gefühl, sich richtig festhalten zu müssen. Es war, als würde<br />
sie von ganz alleine Gleichgewicht halten, ohne sich auch nur ansatzweise<br />
darauf zu konzentrieren. Sie dachte gar nicht darüber nach,<br />
was sie eigentlich tat, sondern sie spürte nur den kühlen Flugwind in<br />
ihrem Gesicht, während sie <strong>Lily</strong> nachjagte, die inzwischen schon über<br />
der anderen Gruppe angekommen war.<br />
Alle schauten auf zu den beiden Schwestern, die schon kurz danach<br />
um <strong>das</strong> Schloss bogen, weiter in die Höhe stiegen, bei einigen<br />
Fenstern vorbeijagten <strong>und</strong> auf der anderen Seite wieder zurück zu<br />
ihrem Ausgangspunkt flogen.<br />
Als <strong>Lily</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger erkennen konnte, drückte sie den Stiel<br />
nach unten <strong>und</strong> schon kurz darauf landete sie sicher auf dem Boden<br />
neben ihr. <strong>Dora</strong> kam nur einige Sek<strong>und</strong>en nach ihr auf der anderen<br />
150
Seite der Lehrerin auf dem Boden auf. <strong>Lily</strong> strahlte übers ganze Gesicht<br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> machte es ihr nach.<br />
„Mann, <strong>das</strong> war <strong>das</strong> Beste, was ich in meinem ganzen Leben gemacht<br />
habe!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> nickte <strong>und</strong> dann blickten sie beide, noch immer strahlend,<br />
hoch zu Pr<strong>of</strong>essor Granger. Diese schüttelte erneut den Kopf <strong>und</strong><br />
setzte plötzlich ein leichtes Lächeln auf.<br />
„Hab' ich nicht gesagt, <strong>das</strong>s euch nichts passiert?“, fragte sie.<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Okay, <strong>das</strong> waren die Flugst<strong>und</strong>en für euch. Ich dachte mir schon<br />
so was. Wir müssen jetzt etwas klären. Kommt bitte mit in mein Büro!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger machte einen Schwenker mit ihrem Zauberstab,<br />
murmelte „Locomotor Besen“ <strong>und</strong> augenblicklich erhoben sich die<br />
beiden Fluggeräte <strong>und</strong> schwebten neben ihnen her, zurück in die<br />
Schule. Auf der Treppe stießen sie mit Madam Hooch <strong>und</strong> Laura<br />
Attkins zusammen.<br />
„Was ist passiert?“, fragte Hermine <strong>und</strong> musterte Laura.<br />
„Sie ist gestürzt. Wir gehen vorsorglich hoch in den Krankenflügel“,<br />
erklärte die Lehrerin mit den kurzen grauen Haaren. „Toller<br />
Flug übrigens von euch beiden“, grinste sie den Zwillingen zu, dann<br />
ging sie mit Laura ihnen voraus ins Schloss.<br />
Als ihnen ein Junge mit braunen Haaren <strong>und</strong> einer spitzen Nase<br />
entgegenkam, stoppte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
„Hey Tom“, rief sie.<br />
Der etwa zwölf- oder dreizehnjährige Junge kam auf sie zu <strong>und</strong><br />
blieb vor ihr stehen.<br />
„Könntest du schnell zu Pr<strong>of</strong>essor Hagrid in die Hütte gehen <strong>und</strong><br />
ihn bitten, in mein Büro zu kommen?“<br />
Er nickte <strong>und</strong> verschwand in der Tür, durch die die Zwillinge gerade<br />
eben mit Pr<strong>of</strong>essor Granger gekommen waren. Schweigend folgten<br />
die beiden ihrer Lehrerin von einer Treppe zur nächsten <strong>und</strong> von<br />
einem Flur zum anderen.<br />
151
Die Überraschung<br />
Schnellen Schrittes führte Pr<strong>of</strong>essor Granger die Zwillinge in ihr Büro<br />
in einem der oberen Stockwerke. Welches es genau war, konnten<br />
die Zwillinge nicht sagen, denn hier waren sie bis jetzt noch nicht<br />
gewesen. Sie öffnete eine Tür <strong>und</strong> ließ die beiden Mädchen an sich<br />
vorbei in den Raum.<br />
<strong>Dora</strong> schaute sich um. Sie mochte dieses Büro s<strong>of</strong>ort. An allen<br />
Wänden standen Regale voller Bücher. Die meisten davon schienen<br />
ziemlich alt zu sein. Es war alles an seinem Platz <strong>und</strong> durch <strong>das</strong> hohe<br />
Fenster sahen sie hinab auf den verbotenen Wald. Sie schienen nur<br />
ein oder zwei Stockwerke unter dem Gemeinschaftsraum der Gryffindors<br />
zu sein, denn der Ausblick war genauso überwältigend. In<br />
der Mitte des Raumes stand ein kleines S<strong>of</strong>a, welches wohl dazu<br />
diente, <strong>das</strong>s Pr<strong>of</strong>essor Granger es gemütlich hatte, wenn sie sich in<br />
einem ihrer zahlreichen Bücher verkriechen wollte.<br />
Außerdem standen noch ein großer moderner Schreibtisch aus hellem<br />
Holz <strong>und</strong> ein dazu passender Drehsessel im Raum. Gegenüber<br />
dem Schreibtisch, auf der anderen Seite des Raumes, war ein kleines<br />
Stückchen Wand zu erkennen, welches nicht von Bücherregalen verdeckt<br />
war. <strong>Dora</strong> schaute genau hin <strong>und</strong> konnte ein großes Bild erkennen.<br />
Darauf zu sehen waren eine etwas jünger aussehende Hermine<br />
Granger, ein schwarzhaariger Junge, den <strong>Dora</strong> s<strong>of</strong>ort als Harry<br />
Potter wieder erkannte <strong>und</strong> ein Junge mit roten Haaren, den die<br />
Zwillinge noch nie gesehen hatten. Alle drei winkten fröhlich aus<br />
dem Bilderrahmen. Erst jetzt, als <strong>Dora</strong> dieses Foto betrachtete, fiel<br />
ihr wieder ein, was Scott erzählt hatte. Pr<strong>of</strong>essor Granger war früher<br />
einmal eng mit Harry Potter befre<strong>und</strong>et gewesen. Darunter hing ein<br />
etwas kleineres Bild, auf dem die Zwillinge wiederum Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger erkennen konnten, diesmal alleine mit dem rothaarigen jungen<br />
Mann. Er stand hinter ihr <strong>und</strong> hatte seine Arme um sie geschlungen.<br />
<strong>Dora</strong> war sich ganz sicher, <strong>das</strong>s diese beiden ein Paar waren.<br />
152
„Setzt euch“, meinte plötzlich Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Sie hatte schon auf dem Sessel hinter ihrem Schreibtisch Platz genommen<br />
<strong>und</strong> deutete den Zwillingen, sich auf ihr S<strong>of</strong>a zu setzen. Die<br />
beiden taten, was ihnen befohlen worden war. Sie tauschten nervöse<br />
Blicke, bevor sie ihre Lehrerin ansahen.<br />
„Ich will euch jetzt nicht länger auf die Folter spannen“, sagte sie.<br />
„Das habe ich jetzt lange genug getan, aber ich war mit einfach nicht<br />
sicher…“<br />
Sie überlegte kurz <strong>und</strong> blickte dabei von <strong>Lily</strong> zu <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> wieder<br />
zurück. Die Pause dauerte ziemlich lange, bis <strong>Lily</strong> sie unterbrach.<br />
„Wobei waren sie sich nicht sicher?“, fragte sie.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger legte ihre Stirn in Falten <strong>und</strong> blickte <strong>Lily</strong> solange<br />
tief in die Augen, bis diese ihren Blick abwenden musste. Sie hatte<br />
<strong>das</strong> Gefühl, durchschaut zu werden, wann immer sie ihre Lehrerin<br />
anblickte, <strong>und</strong> dieses Gefühl gefiel ihr nicht.<br />
„Ich brauche noch eine letzte Antwort von euch, bevor ich dir diese<br />
Frage beantworte“, antwortete sie.<br />
Wieder machte sie eine kurze Pause, bevor sie fortfuhr.<br />
„Ich habe gehört, <strong>das</strong>s ihr bei Dudley Dursley wohnt, aber nicht<br />
seine Kinder seid. Stimmt <strong>das</strong>?“, fragte sie.<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Okay. Und wer sind eure Eltern?“<br />
„Wir wurden adoptiert, als wir erst ein paar Tage alt waren“, erzählte<br />
<strong>Dora</strong>. „Mehr wissen wir nicht.“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
„Also hat euch euer Vater oder wie auch immer ihr ihn nennt, euch<br />
nie erzählt, wer eure Eltern waren?“<br />
Sie schüttelten den Kopf.<br />
„Onkel Dudley hat gesagt, <strong>das</strong>s er es selbst nicht weiß!“<br />
Natürlich hatten sie ihn schon früher ein paar Mal gefragt, wer ihre<br />
richtigen Eltern gewesen waren, denn niemand hatte je ein <strong>Geheimnis</strong><br />
daraus gemacht, <strong>das</strong>s sie adoptiert waren, <strong>und</strong> nachdem dann die<br />
Einladung nach Hogwarts gekommen war, hatte es eine lange Dis-<br />
153
kussion über die möglichen Eltern der Zwillinge gegeben, in der die<br />
ganze Familie darüber diskutiert hatte, ob diese Zauberer gewesen<br />
waren oder nicht.<br />
„Also hat er euch nie etwas über euren Vater erzählt?“, fragte die<br />
Lehrerin.<br />
Sie Zwillinge schüttelten den Kopf.<br />
„Mit dem muss ich mal ein ernstes Wörtchen reden!“<br />
Die Mädchen rissen ihre Augen auf <strong>und</strong> starrten Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
ungläubig an.<br />
„Soll <strong>das</strong> heißen, <strong>das</strong>s…“, sagte <strong>Lily</strong>, „<strong>das</strong>s Sie etwas über…“<br />
Plötzlich wurde sie durch ein lautes Klopfen an der Tür unterbrochen.<br />
<strong>Dora</strong> saß einfach nur stumm da <strong>und</strong> starrte weiterhin Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger an, während <strong>Lily</strong> nicht mehr ruhig sitzen konnte <strong>und</strong> ihren<br />
Blick ständig zwischen der Tür <strong>und</strong> der Lehrerin hin- <strong>und</strong> herschweifen<br />
ließ. Es erschien niemand geringerer als Hagrid.<br />
Er duckte sich <strong>und</strong> kam in den Raum.<br />
„Du hast mich holen lass’n?“, fragte er.<br />
„Ja ganz Recht, Hagrid. Setz dich!“<br />
Sie schwenkte ihren Zauberstab <strong>und</strong> augenblicklich standen im<br />
Raum fünf Sessel mehr. Einer davon war überdimensional groß,<br />
während die andere normale Holzstühle mit Kissen waren. Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger deutete Hagrid auf dem großen Stuhl links von den Mädchen<br />
Platz zu nehmen.<br />
„Also, warum hast du mich herbestellt?“, grunzte Hagrid. „Planst<br />
du eine Party? Ich mein’, es muss doch ’nen Gr<strong>und</strong> hab’n, warum du<br />
so viele Stühle herzauberst!“<br />
„Nein, eine Party nicht direkt“, antwortete sie. „Aber ja, ich erwarte<br />
noch Gäste. Um genau zu sein die Weasleys <strong>und</strong> Neville.“<br />
„Und warum?“<br />
„Das wird eine Überraschung für alle, versprochen!“, meinte sie.<br />
„Aber du hast doch erzählt, <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>…“<br />
Sie blickte zu den Mädchen.<br />
„… für ihr Alter sehr gut mit ihren Kräften umgehen können!“<br />
154
Hagrid nickte.<br />
„Könntet ihr mir <strong>das</strong> zeigen? Lasst doch mal dieses goldene Buch<br />
da oben zu mir schweben!“, meinte sie.<br />
Dabei zeigte sie auf ein dickes Buch, <strong>das</strong> ganz oben auf dem Regal<br />
hinter dem S<strong>of</strong>a auf dem die Zwillinge saßen. Die beiden nickten<br />
sich zu <strong>und</strong> dann fixierte <strong>Lily</strong> <strong>das</strong> Buch mit ihrem Blick <strong>und</strong> ließ es<br />
solange horizontal durch den Raum schweben, bis es direkt über der<br />
Lehrerin angekommen war. Dann übernahm <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> ließ es mit<br />
ihrem Blick nach unten sinken, solange, bis es direkt in den Händen<br />
der Lehrerin landete.<br />
„Erstaunlich“, sagte diese <strong>und</strong> schüttelte ungläubig ihren Kopf.<br />
„Und <strong>das</strong> ganz ohne Zauberstab… Nun ja, <strong>das</strong> hatte eigentlich gar<br />
nichts damit zutun, warum ihr hier seid, oder zumindest fast nichts.<br />
Ich wollte es nur selbst mal sehen!“<br />
Die Lehrerin hatte zu lachen begonnen <strong>und</strong> es war <strong>das</strong> erste Mal,<br />
<strong>das</strong>s sie die Zwillinge anschaute <strong>und</strong> sie sicher sein konnten, <strong>das</strong>s sie<br />
nicht irgendetwas Falsches getan hatten.<br />
„Sie haben gesagt, <strong>das</strong>s sie etwas über unsere…“<br />
Wieder wurde <strong>Lily</strong> von einem lauten Klopfen, <strong>das</strong> aus der Richtung<br />
der Tür kam, unterbrochen. Sie atmete tief ein <strong>und</strong> wandte ihren<br />
Blick von Pr<strong>of</strong>essor Granger ab <strong>und</strong> ließ ihn dorthin wandern, wo<br />
jetzt Pr<strong>of</strong>essor Longbottom erschien.<br />
„Was gibt’s, Hermine?“, fragte er.<br />
„Eine Überraschung“, meinte sie. „Setz dich!“<br />
Doch Pr<strong>of</strong>essor Longbottom schüttelte den Kopf <strong>und</strong> lehnte sich an<br />
eins der Bücherregale.<br />
„Wir warten noch auf die Weasleys, dann sag ich, was los ist“,<br />
meinte die Lehrerin zu ihrem Kollegen.<br />
Dieser wirkte ziemlich verwirrt, wartete aber geduldig.<br />
„Also ihr beiden müsst mir jetzt unbedingt eine Frage beantworten.<br />
Ich wollte euch schon gestern Abend fragen, aber ich habe dann beschlossen,<br />
mich vorher noch von euren Zauber- <strong>und</strong> vor allem von<br />
euren Flugkünsten zu überzeugen“, meinte sie. „Bitte sagt mir, von<br />
155
wem ihr diesen Tarnumhang <strong>und</strong> die Karte des Rumtreibers bekommen<br />
habt!“<br />
Die Zwillinge warfen sich einen ängstlichen Blick zu, antworteten<br />
aber nicht auf die Frage, die ihnen gerade gestellt worden war.<br />
„Ich weiß, <strong>das</strong>s ihr es keinem verraten solltet. Aber Neville, also<br />
Pr<strong>of</strong>essor Longbottom, hat mir gestern Abend diese Schachtel mit<br />
den beiden Dingen gebracht. Er hat sie im Zug unter einem Sitz gef<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> den Inhalt gesehen. Dann hat er sie zu mir gebracht <strong>und</strong><br />
ich musste herausfinden, von wem sie ist, also habe ich sie geöffnet<br />
<strong>und</strong> diese Dinge gef<strong>und</strong>en. Außerdem die beiden Briefe!“, erklärte<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger. „Tut mir leid, ich hätte sie nicht gelesen, wenn<br />
ich sonst irgendwo euren Namen gef<strong>und</strong>en hätte!“<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Wir wissen selbst nicht, von wem der ist!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
„Kurz bevor wir abgefahren sind, ist <strong>das</strong> Paket bekommen!“<br />
Die Lehrerin legte ihre Stirn in Falten.<br />
„Okay… <strong>und</strong> habt ihr vorher schon mal etwas Derartiges bekommen?“<br />
Sie schüttelten ihre Köpfe.<br />
„Und ihr habt auch keine Vermutung, von wem derart wertvolle<br />
Geschenke stammen könnten?“, fragte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
„Nein, wir wussten ja nicht mal, <strong>das</strong>s es Zauberer gibt!“, antwortete<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
„Und heute Nachmittag wollten wir eigentlich zu Pr<strong>of</strong>essor Hagrid<br />
gehen <strong>und</strong> ihn fragen, ob er schon mal etwas von diesem Moony oder<br />
diesem Wurmschwanz gehört hat!“, fuhr <strong>Lily</strong> fort.<br />
„Sagt noch einmal Pr<strong>of</strong>essor zu mir <strong>und</strong> ich geb’ euch ’nen Pr<strong>of</strong>essor!“,<br />
meinte Hagrid lachend. „Hab’ <strong>das</strong> noch nie gemocht! Nicht<br />
mal Hermine hat damals auf den Pr<strong>of</strong>essor bestanden, obwohl sie<br />
sogar bei den unmöglichsten Leuten verlangte, <strong>das</strong>s man sie Pr<strong>of</strong>essoren<br />
nannte!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger blickte Hagrid anklagend an.<br />
„Und <strong>das</strong> war auch Recht so!“, sagte sie.<br />
156
„Aber der war doch wirklich…“<br />
„Hagrid, <strong>das</strong> tut hier nichts zur Sache!“, sagte sie streng <strong>und</strong> wandte<br />
sich wieder an die Zwillinge, die mucksmäuschenstill auf dem S<strong>of</strong>a<br />
saßen <strong>und</strong> gespannt der Unterhaltung zwischen den Lehrern<br />
lauschten. „Wer die vier waren, kann ich euch auch sagen!“, meinte<br />
sie, jetzt wieder in ruhigem Ton. Moony war ein großartiger Zauberer<br />
namens Remus Lupin. Seinen Sohn kennt ihr ja bereits.“<br />
„Ted?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja genau!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
„Wurmschwanz nannte man Peter Pettigrew, Tatze war Sirius<br />
Black <strong>und</strong> Krone war James Potter! Kennt ihr einen davon?“<br />
Die Zwillinge schüttelten den Kopf.<br />
„Keinen außer dem Vater von Ted. War James Potter mit Harry<br />
Potter verwandt?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lächelte. Sie machte eine kleine Bewegung mit<br />
ihrem Zauberstab <strong>und</strong> <strong>das</strong> Stückchen freie Wand mit den Bildern<br />
wurde plötzlich von einem Vorhang verdeckt.<br />
„Oja!“, sagte sie. „Er war Harrys Vater!“<br />
„Aber was hat <strong>das</strong> mit unseren…“<br />
Das dritte Mal, als <strong>Lily</strong> nach ihren Eltern fragen wollte, klopfte es<br />
wieder an der Tür. Sie verschränkte ihre Hände <strong>und</strong> schaute sauer zu<br />
den Neuankömmlingen. <strong>Dora</strong> musste lachen, als sie ihre Schwester<br />
beobachtete.<br />
Eine kleine, mollige Frau kam gemeinsam mit einem sehr großen,<br />
schlanken Mann herein. Beide hatten flammend rotes Haar.<br />
„Guten Tag, Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley!“, begrüßte Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
sie.<br />
Sie war aufgestanden <strong>und</strong> ließ sich von der Frau in die Arme<br />
schließen.<br />
„Hermine, wie geht’s dir, mein Schatz?“, fragte sie, vor Freude<br />
strahlend.<br />
„Danke, sehr gut!“, antwortete die Lehrerin.<br />
157
„Du hast dich ja lange nicht gemeldet!“<br />
„Molly, lass sie erstmal erzählen, warum sie uns hergebeten hat!“<br />
Der Mann trat nach vorne <strong>und</strong> schloss die Tür hinter sich.<br />
„Bitte setzen Sie sich!“, antwortete die Pr<strong>of</strong>essorin. „Bevor ich <strong>das</strong><br />
verrate, müssen Sie mir noch eine Frage beantworten!“<br />
Sie antwortete geduldig, bis beide Platz links von <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
Platz genommen hatten.<br />
„Mrs. Weasley, es tut mir leid, <strong>das</strong>s ich <strong>das</strong> frage, aber es ist wichtig.<br />
Wann haben Sie Ginny <strong>das</strong> letzte Mal gesehen?“<br />
Augenblicklich verschwand <strong>das</strong> Strahlen von Mrs. Weasleys Gesicht.<br />
Ihr Mann legte einen Arm um ihre Schulter. In Mrs. Weasleys<br />
Augen begannen sich Tränen zu bilden <strong>und</strong> deshalb antwortete ihr<br />
Mann.<br />
„Das war Anfang September 1998“, antwortete er.<br />
„Also etwa zweieinhalb Monate nach Harrys Tod?“<br />
Er nickte.<br />
„Ja, <strong>das</strong> passt zusammen“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
„Was passt zusammen?“, fragte Mrs. Weasley, die sich sichtlich<br />
zusammenreißen musste.<br />
„Also, es ist so!“, begann sie zu erklären. „Sie wissen doch von<br />
dem Tarnumhang, den Harry früher hatte. Hagrid <strong>und</strong> Neville, ihr<br />
wisst auch alle davon!“<br />
Alle nickten.<br />
„Wir haben in dem Jahr vor Lord Voldemorts Fall herausgef<strong>und</strong>en,<br />
<strong>das</strong>s dieser Seit Jahrh<strong>und</strong>erten immer an die Nachkommen der einzelnen<br />
Besitzer weitergegeben wurde. Harry war also sein letzter<br />
Besitzer <strong>und</strong> jetzt hat irgendjemand ihn <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> geschickt!“<br />
Sie zeigte auf die Zwillinge. Diese sagten kein Wort, sondern warteten<br />
einfach auf <strong>das</strong>, was jetzt kommen würde. Sie hatten nämlich<br />
keine Ahnung, auf was ihre Verwandlungslehrerin eigentlich hinauswollte.<br />
„Aber wer hat ihn den beiden geschickt <strong>und</strong> warum gerade ihnen?“,<br />
fragte Mr. Weasley.<br />
158
Er lächelte den beiden Zwillingen zu.<br />
„Ich weiß nicht, wer es war, der ihnen den Umhang geschickt hat.<br />
Aber der Umhang war nicht <strong>das</strong> einzige Geschenk, <strong>das</strong> sie bekommen<br />
haben! Harry hat von Fred…“<br />
Wieder zuckte Mrs. Weasley zusammen <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger redete<br />
schnell weiter.<br />
„… <strong>und</strong> Georg in seinem dritten Jahr in Hogwarts eine Karte des<br />
Schlosses bekommen, auf der man alle Geheimgänge sieht <strong>und</strong> außerdem<br />
erkennen kann, wer sich alles im Schloss aufhält. Diese Karte<br />
haben die beiden ebenfalls!“<br />
Sie wartete einen Augenblick, so als würde sie erwarten, <strong>das</strong>s irgendjemand<br />
schrie, er habe die Lösung des Rätsels, vor <strong>das</strong> sie alle<br />
Anwesenden stellte.<br />
„Okay <strong>und</strong> wie ist derjenige an diese Sachen gekommen, wenn sie<br />
Harry gehörten?“, fragte Pr<strong>of</strong>essor Longbottom.<br />
„Das wollte ich ebenfalls Sie fragen, Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley. Harry<br />
hat doch die Woche, nachdem Voldemort gefallen war, bei ihnen<br />
gewohnt, bis…“<br />
Sie stoppte, blickte zum Fenster. Dann wischte sie sich mit ihrer<br />
Hand über die Augen <strong>und</strong> wandte sich wieder den Anwesenden zu.<br />
„Was ich damit sagen will ist, <strong>das</strong>s er auch alle Sachen bei Ihnen<br />
hatte, <strong>das</strong> heißt, jemand muss sie aus Ihrem Haus genommen haben.<br />
Nach seinem… Nach seinem Tod! Sie wissen auch nicht, wer es gewesen<br />
sein könnte, oder?“<br />
„Nein, seit auch Ginny weg ist, haben wir die Sachen nie wieder<br />
angerührt“, meinte Mr. Weasley. „Aber wieso sollte sie jemand stehlen<br />
<strong>und</strong> an die beiden schicken?“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lächelte.<br />
„Nun, <strong>das</strong> ist einfach zu beantworten. Diese beiden wurden von<br />
Dudley Dursley adoptiert <strong>und</strong> ihre Namen sind <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>.“<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> fühlten sich gar nicht wohl in ihrer Rolle. Niemand<br />
redete mit ihnen. Stattdessen redete man über sie, so als wären sie<br />
nicht hier.<br />
159
„Versteht ihr nicht?“, fragte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Sowohl die Weasleys, Pr<strong>of</strong>essor Longbottom <strong>und</strong> auch Hagrid<br />
schüttelten verwirrt ihre Köpfe.<br />
„<strong>Lily</strong> war die Mutter von Harry. <strong>Dora</strong>, schätze ich mal, stammt<br />
von Nymphadora Tonks. Ihr wisst ja alle, was mit ihr geschehen ist.<br />
Und Dudley Dursley ist der Cousin, bei dessen Familie Harry seine<br />
ganze Kindheit verbracht hat!“<br />
Noch immer machte keiner den Eindruck, zu verstehen, was ihnen<br />
gerade erzählt wurde.<br />
„Reden Sie von Harry Potter? Der soll Onkel Dudley kennen?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Er kennt ihn nicht nur, er war sein Cousin <strong>und</strong> er hat sechzehn<br />
Jahre lang im Ligusterweg gewohnt, wenn er nicht gerade in Hogwarts<br />
war!“, erklärte Hagrid.<br />
„Aber wenn Harry Potter bei ihm gelebt hat, dann hätte er doch<br />
wissen müssen, <strong>das</strong>s es Zauberer gibt <strong>und</strong> er wusste nichts von alle<br />
dem. Er hat auch noch nie einen Harry Potter erwähnt!“, warf <strong>Dora</strong><br />
ein.<br />
„W<strong>und</strong>ert mich nicht“, grunzte Hagrid leise.<br />
„Zählt doch mal eins <strong>und</strong> eins zusammen!“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
plötzlich <strong>und</strong> stand auf. „Die beiden leben bei Harrys Cousin, sie<br />
heißen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, haben enorme Zauberkräfte, können mindestens<br />
genauso gut fliegen wie er <strong>und</strong> sie haben die Sachen bekommen,<br />
die mal ihm gehört haben! Das sind keine Zufälle <strong>und</strong> schaut sie<br />
euch an! Gebt ihnen eine r<strong>und</strong>e Brille <strong>und</strong> malt ihnen eine Narbe auf<br />
die Stirn, dann sind sie ihm wie aus dem Gesicht geschnitten!“<br />
Mrs. Weasley schaute von Pr<strong>of</strong>essor Granger, die sich inzwischen<br />
mit dem Rücken zum großen Fenster gestellt hatte, zu den Zwillingen<br />
<strong>und</strong> wieder zurück.<br />
„Du willst doch nicht etwa sagen…“, meinte sie <strong>und</strong> stoppte.<br />
„Oh doch! Das sind Harrys Kinder!“<br />
„Und <strong>das</strong> heißt…“<br />
„Ja genau, <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s Ginny ihre Mutter war!“<br />
160
Alle Blicke ruhten auf <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>. Die beiden konnten noch<br />
immer nicht glauben, was sie da gerade eben erfahren hatten. Ihr Vater<br />
war der berühmte Harry Potter gewesen? Aber warum hatte ihnen<br />
Onkel Dudley <strong>das</strong> nie erzählt, wenn ihr Vater jahrelang bei ihm gelebt<br />
hatte? Und warum hatte Harry Potter bei seinem Cousin gelebt<br />
<strong>und</strong> nicht bei seinen Eltern? Denn im Ligusterweg hatten bis vor einigen<br />
Jahren, als Vernon <strong>und</strong> Petunia wegen eines neuen Berufes<br />
ausziehen mussten, nur die beiden <strong>und</strong> Dudley gelebt. Von den Eltern<br />
von Harry Potter war nie eine Rede gewesen, genauso wenig<br />
wie von ihm selbst. Und wo war ihre Mutter? Diese Ginny?<br />
Tausende solche Fragen schwirrten in den Köpfen der Zwillinge<br />
umher, doch keine schien die richtige zu sein, die als erstes gestellt<br />
werden konnte.<br />
„Und <strong>das</strong> bedeutet…“<br />
Mrs. Weasley schaute die Zwillinge an. Jetzt rannen ihr Tränen<br />
wie Bäche aus den Augen, über die Wange auf den Umhang.<br />
„Ja, <strong>das</strong> heißt, <strong>das</strong>s Sie die Großeltern der beiden sind!“<br />
„Bist du dir da ganz sicher?“, fragte Mrs. Weasley.<br />
„Ganz sicher, ja!“<br />
Plötzlich wurden die Zwillinge von einem ohrenbetäubenden Geräusch<br />
aus den Gedanken gerissen. Sie wandten ihren Blick von ihren<br />
neuen Großeltern ab, um zu schauen, woher dieser Lärm kam. Es<br />
war Hagrid, der sich lauthals in ein handtuchgroßes Taschentuch<br />
schnäuzte.<br />
„Harry hatte Kinder?“, fragte er.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> konnten ihren Augen kaum trauen, als sie sahen,<br />
<strong>das</strong>s so ein riesiger <strong>und</strong> kaltherzig aussehender Mann wie Hagrid<br />
auch weinen konnte. Immer wieder schnäuzte er sich in sein riesiges<br />
Taschentuch.<br />
„Ja, so ist es“, bestätigte Hermine. „Seit gestern Abend hat er welche!<br />
Und Ginny hat Ihnen auch nichts gesagt?“<br />
Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley schüttelten ihre Köpfe.<br />
„Nein, hat sie nicht!“, meinte Mr. Weasley.<br />
161
Mrs. Weasley löste ihre Hand aus der ihres Mannes <strong>und</strong> stand auf.<br />
Schneller als die Mädchen überhaupt realisieren konnten, was vor<br />
sich ging, hatte sie ihre Arme auch schon um die beiden geschlungen.<br />
Die Tränen in ihren Augen machten noch immer keine Anstalten,<br />
weniger zu werden.<br />
„Ich glaub es nicht, warum hat Ginny nie gesagt, <strong>das</strong>s… <strong>das</strong>s sie<br />
Kinder hat?“, fragte sie, während sie die beiden fest an sich drückte.<br />
Sie bekamen kaum mehr Luft, als sie sie nach einer Ewigkeit wieder<br />
losriss. Pr<strong>of</strong>essor Granger hatte sich zu Pr<strong>of</strong>essor Longbottom<br />
gestellt <strong>und</strong> die beiden redeten irgendwas, von dem <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
nur Bruchteile verstehen konnten.<br />
„Harry hatte Kinder?“<br />
„Ja…“<br />
„Aber er ist doch nur ein paar Wochen nach seinem Sieg über Voldemort…<br />
Na ja, du weißt schon!“<br />
„Kinder, ihr müsst mir ja soviel erzählen!“<br />
Mrs. Weasley hatte ihren Stuhl vor <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a gestellt, um gut mit<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sprechen zu können.<br />
„Ihr wohnt bei eurem Onkel... Wie behandelt er euch?“, fragte Mr.<br />
Weasley, der seiner Frau gefolgt war.<br />
„Sehr gut“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Mr. Weasley runzelte seine Stirn.<br />
„Na ja, egal“, meinte Mrs. Weasley dann. „Erzählt uns ein bisschen<br />
was von euch! Wir sollen eure Großeltern sein <strong>und</strong> wussten gar<br />
nicht, <strong>das</strong>s es euch gibt! Ist <strong>das</strong> denn zu glauben?“<br />
„Was sollen wir erzählen?“, fragte <strong>Dora</strong> schüchtern.<br />
Zwei fremden Leuten irgendetwas zu erzählen, war gar nicht so<br />
einfach.<br />
„Na ja, sagt einfach mal, wie es euch hier in Hogwarts gefällt! Wie<br />
ich annehme, hat man euch ja vorher nie erzählt, <strong>das</strong>s ihr Hexen seid<br />
oder <strong>das</strong>s es so was überhaupt gibt!“<br />
„Es ist… eh ganz schön!“, antwortete <strong>Lily</strong> kurz angeb<strong>und</strong>en.<br />
162
Das <strong>das</strong> tat dem Strahlen, welches sich jetzt langsam wieder auf<br />
dem Gesicht von Mrs. Weasley ausbreitete, keinen Abbruch. Sie<br />
blickte nur ungläubig von einem Mädchen zum anderen <strong>und</strong> schüttelte<br />
dabei den Kopf. Mr. Weasley saß stumm daneben. Manchmal<br />
konnte man leise Sätze wie zum Beispiel „Ginnys Kinder…“ von<br />
ihm hören.<br />
„In welchem Haus seid ihr?“, fragte Mrs. Weasley.<br />
„Gryffindor“, antworteten beide gleichzeitig.<br />
„Gryffindor? Ach, ich wusste es! Harry <strong>und</strong> Ginny waren da<br />
auch!“, überlegte sie. „Das heißt, <strong>das</strong>s ihr Ted schon kennt?“<br />
Sie nickten.<br />
„Ja, kennen Sie ihn auch?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Oja, <strong>und</strong> ob! Ein netter Junge, nicht? Manchmal vielleicht ein<br />
bisschen anstrengend. Glaubt, er kann alles schon, bevor er es lernt,<br />
aber im Großen <strong>und</strong> Ganzen ein sehr liebes Kind!“, sagte sie.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickten nur. Einige Zeit verging <strong>und</strong> langsam wurden<br />
auch die Antworten der Mädchen auf die unzähligen Fragen von<br />
Mrs. Weasley länger. Hagrid verabschiedete sich als erstes von allen<br />
Anwesenden, weil er gleich eine Unterrichtsst<strong>und</strong>e abhalten musste,<br />
aber er verließ den Raum nicht, ohne den Zwillingen <strong>das</strong> Versprechen<br />
abzulocken, <strong>das</strong>s sie diese Woche noch irgendwann zu ihm<br />
hinunter in die Hütte kommen mussten. Die beiden versprachen es<br />
ihm.<br />
„Und bringt mir Harry mit! Mag den kleinen Kerl“, sagte er, dann<br />
ging er durch die Tür nach draußen.<br />
Kurz nach ihm ging auch Pr<strong>of</strong>essor Longbottom hinaus. Er winkte<br />
den Mädchen <strong>und</strong> lächelte ihnen fre<strong>und</strong>lich zu, bevor er die Tür hinter<br />
sich schloss. Dann sagte auch Pr<strong>of</strong>essor Granger, <strong>das</strong>s sie später<br />
wieder kommen würde. <strong>Dora</strong> hatte <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s sie einfach wollte,<br />
<strong>das</strong>s die ‚Familie’ alleine war <strong>und</strong> sich in Ruhe unterhalten konnte.<br />
Es vergingen einige St<strong>und</strong>en, in denen sich die Zwillinge mit ihren<br />
Großeltern unterhielten. Schließlich wurde <strong>das</strong> Licht im Raum leicht<br />
163
ötlich. Durch <strong>das</strong> hohe Fenster konnte man die Sonne über dem<br />
verbotenen Wald verschwinden sehen.<br />
Etwa gegen sechs Uhr nachmittags kam Pr<strong>of</strong>essor Granger zurück<br />
in den Raum <strong>und</strong> brachte ein großes Tablett mit Sandwichs <strong>und</strong> einen<br />
Krug voller Kürbissaft für alle Anwesenden, da sie <strong>das</strong> Mittagessen<br />
ja praktisch vergessen hatten <strong>und</strong> es auch nicht so schien, als<br />
ob sie zum Abendessen rechtzeitig zurück in der großen Halle sein<br />
würden.<br />
Erst jetzt viel den Zwillingen auf, <strong>das</strong>s ihr Magen schon knurrte.<br />
Aber zuviel hatten sie in den letzten St<strong>und</strong>en erfahren <strong>und</strong> es war<br />
nicht nur Gutes. Zwar wussten sie jetzt, wer ihre Eltern gewesen waren,<br />
aber sie wussten auch, <strong>das</strong>s beide nicht mehr lebten. Sie trauten<br />
sich aber auch nicht, ihre Großeltern zu fragen, was eigentlich mit<br />
ihrer Mutter passiert war, denn sie hatten ja vorher schon gesehen,<br />
wie Mrs. Weasley reagierte, wenn ihre Tochter erwähnt wurde.<br />
„… <strong>und</strong> ich dachte mir nur, <strong>das</strong>s es super wäre, wenn <strong>das</strong> Glas sich<br />
allein in die Küche bewegt <strong>und</strong> aus Spaß habe ich versucht, es vom<br />
Tisch mit meinen Augen zur Küchentür zu bewegen <strong>und</strong> tatsächlich<br />
bewegte es sich plötzlich zum Tischrand <strong>und</strong> es flog auch etwa einen<br />
Meter in der Luft in Richtung Tür <strong>und</strong> dann bin ich draufgekommen,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> eigentlich nicht möglich sein kann <strong>und</strong> erschrocken über<br />
<strong>das</strong>, was ich gemacht habe, <strong>und</strong> <strong>das</strong> Glas ist runter gefallen. Danach<br />
durfte ich es erst wegräumen <strong>und</strong> habe <strong>das</strong> Ende des Films im Fernsehen<br />
trotzdem verpasst!“, erzählte <strong>Lily</strong>.<br />
Die Weasleys hatten nämlich gerade gefragt, was ihre ersten magischen<br />
Aktivitäten gewesen waren.<br />
„Und dann ist sie zu mir gekommen <strong>und</strong> hat mich gefragt, ob ich<br />
<strong>das</strong> auch kann. Ich hab’s nie geschafft. Bei mir bewegen sich die Sachen<br />
immer nur auf <strong>und</strong> ab“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ich wusste ja gar nicht, <strong>das</strong>s es möglich ist, <strong>das</strong>s Kinder ihre Zauberkräfte<br />
so einsetzen können“, sagte Mrs. Weasley.<br />
„Na ja, Fred hat ja auch, als er sieben war, Rons Teddy in eine<br />
Spinne verwandelt“, warf Mr. Weasley ein, allerdings schaute er<br />
164
schon einen Augenblick später so aus, als würde er seinen letzten<br />
Satz von ganzem Herzen bereuen.<br />
Mrs. Weasley lächelte gequält, als sie sich erinnerte.<br />
„Ja“, sagte sie schnell. „Ja, <strong>das</strong> hat er! Ich weiß noch, <strong>das</strong>s ich<br />
dachte, ich würde nie eine Hexe werden, auch wenn meine Eltern<br />
mir immer <strong>das</strong> Gegenteil eingeredet haben. Aber ich habe nie auch<br />
nur ein Staubkorn irgendwohin fliegen lassen, bevor ich nach Hogwarts<br />
kam.“<br />
Die Zwillinge lächelten bei dem Gedanken daran, was sie mit ihrer<br />
Magie schon alles angestellt hatten, <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie sich sogar in verschiedene<br />
Tiere verwandeln konnten.<br />
Als es schon fast ganz dunkel war <strong>und</strong> die große Lampe an der Decke<br />
sich von selbst eingeschalten hatte, um ihnen Licht zu spenden,<br />
kam Pr<strong>of</strong>essor Granger wieder zurück. Sie blieb jedoch in der Tür<br />
stehen.<br />
„<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, euer Onkel ist hier <strong>und</strong> er würde gerne mit euch<br />
reden!“, sagte sie.<br />
Die Mädchen blickten Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley an, welche sich langsam<br />
erhoben.<br />
„Nun ja, es ist spät geworden <strong>und</strong> eigentlich sollte ich im Ministerium<br />
sein!“, sagte Mr. Weasley.<br />
„Ihr beiden müsst mir versprechen, <strong>das</strong>s ihr über Weihnachten zu<br />
uns kommt!“<br />
Die Mädchen nickten. Sie waren sich sicher, <strong>das</strong>s unter diesen<br />
Umständen weder Onkel Dudley noch Tante Emily etwas dagegen<br />
haben würden, wenn sie nicht nach Hause kamen.<br />
„Und ihr müsst uns ganz viele Eulen schicken, okay?“, fragte sie.<br />
„Ja, <strong>das</strong> machen wir“, versprach <strong>Lily</strong>.<br />
Mrs. Weasley schloss die beiden noch mal in ihre Arme <strong>und</strong> ihr<br />
Mann gab ihnen zum Abschied die Hand.<br />
„Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley, könnte ich noch ein paar Minuten mit ihnen<br />
sprechen?“, fragte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
165
Als diese nickten, erklärte sie den Zwillingen den Weg zu dem<br />
Klassenzimmer, in dem ihr Onkel wartete <strong>und</strong> diese machten sich<br />
auch s<strong>of</strong>ort auf den Weg. Die beiden waren zwar glücklich darüber,<br />
auf einmal so nette Großeltern zu haben, wo doch Petunia <strong>und</strong> Vernon<br />
<strong>das</strong> genaue Gegenteil waren, <strong>und</strong> sie waren auch ein wenig stolz,<br />
<strong>das</strong>s wirklich der große Harry Potter ihr Dad sein sollte. Der junge<br />
Mann, den die Mädchen <strong>das</strong> erste Mal auf diesem Poster für Besen<br />
in der Winkelgasse <strong>und</strong> <strong>das</strong> zweite Mal auf einer Schok<strong>of</strong>roschkarte<br />
gesehen hatten. Der Mann, dessen Statue sogar in der Eingangshalle<br />
der Schule stand.<br />
„Was hältst du davon?“, fragte <strong>Dora</strong> auf halbem Weg.<br />
„Um ehrlich zu sein, habe ich keine Ahnung!“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
„Und ich weiß auch nicht, warum uns Onkel Dudley nie etwas gesagt<br />
hat. Es kann doch fast nicht sein, <strong>das</strong>s wir die Kinder seines<br />
Cousins sind <strong>und</strong> er uns zufällig adoptiert hat, obwohl er <strong>das</strong> nicht<br />
wusste!“<br />
Jetzt, da die beiden genau darüber nachdachten, erschien es ihnen<br />
ziemlich komisch, <strong>das</strong>s sie von Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily adoptiert<br />
worden waren. Immerhin musste er damals gerade Anfang<br />
achtzehn gewesen sein <strong>und</strong> ein eigenes Kind war auf dem Weg gewesen,<br />
nämlich Harry. Und dann noch die Namen von Harry <strong>und</strong><br />
James. Hatte Harry Potters Dad, also der zweite richtige Großvater<br />
der Zwillinge nicht auch James geheißen?<br />
„Er hat es sicher gewusst“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
Sie traten vor die Tür eines Klassenzimmers, einen Stock unter<br />
dem von Pr<strong>of</strong>essor Granger. Als sie sie öffneten, sahen sie auch<br />
schon ihren Onkel am Lehrertisch lehnen.<br />
„Na, lang nicht gesehen, oder?“, begrüßte er die beiden lachend.<br />
„Immerhin gut eineinhalb Tage!“<br />
Die beiden wussten nicht, woran es lag, doch sein Lachen wirkte<br />
irgendwie künstlich.<br />
166
„Warum hast du uns nie erzählt, wer unser Dad gewesen ist <strong>und</strong><br />
<strong>das</strong>s er solang bei dir gewohnt hat?“, fragte <strong>Lily</strong>, als sie die Tür hinter<br />
sich geschlossen hatte.<br />
„Und warum hast du uns nicht mal gesagt, <strong>das</strong>s wir verwandt sind?<br />
Immerhin war unser Dad ja dein Cousin, soweit ich <strong>das</strong> verstanden<br />
habe“, fügte <strong>Lily</strong> hinzu.<br />
Onkel Dudley raufte sich die Haare.<br />
„Das ist leicht zu erklären“, sagte er schließlich. „Ich dachte, es<br />
wäre besser so, <strong>und</strong> ich bin noch immer der Meinung, <strong>das</strong>s es besser<br />
gewesen wäre, wenn ihr es nicht erfahren hättet!“<br />
„Aber warum?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Sie setzte sich neben <strong>Lily</strong> auf einen der vorderen Tische, nicht weit<br />
von ihrem Onkel entfernt.<br />
„Genau deswegen! Ich wollte euch nicht traurig machen <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />
seid ihr doch jetzt. Ihr wisst doch, was mit Harry passiert ist, oder?“<br />
„Er ist tot“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Ja <strong>das</strong> wissen wir!“<br />
„Und jetzt sagt nicht, <strong>das</strong>s euch <strong>das</strong> nicht traurig gemacht hat, als<br />
ihr es erfahren habt!“<br />
Die Zwillinge schüttelten den Kopf. Er hatte ja einerseits Recht<br />
gehabt, aber trotzdem hätten sie es nicht für möglich gehalten, <strong>das</strong>s<br />
ihr Onkel es ihnen solange vorenthalten hatte.<br />
„Und was ist mit unserer Mutter?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ginny“, sagte er. „Ich habe sie nur einmal in meinem Leben gesehen<br />
<strong>und</strong> da nicht lange. Ich wusste nicht, was aus ihr geworden ist,<br />
aber eure Lehrerin hat mir gerade erzählt, <strong>das</strong>s sie wohl auch tot ist.“<br />
„Aber warum?“<br />
„Das weiß keiner so genau, sagt Pr<strong>of</strong>essor Granger. Tut mir leid,<br />
<strong>das</strong>s ich euch nicht mehr darüber sagen kann!“<br />
Der Dudley, der normalerweise nicht so wenig redete, wirkte heute<br />
etwas kurz angeb<strong>und</strong>en, wenn er sprach.<br />
„Und warum sind wir dann bei dir? Ich meine, wer hat uns zu dir<br />
gegeben, wenn Mum <strong>und</strong> Dad gestorben sind?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
167
„Ihr wart noch keine Woche alt <strong>und</strong> eure Mutter hat euch gebracht.<br />
Sie sagte zu mir, <strong>das</strong>s ich gut auf euch acht geben solle, weil ihr bei<br />
ihr nicht bleiben konntet. Dann ist sie wieder gegangen!“, erzählte<br />
er.<br />
„Und was war mit Dad, er hat doch solange bei dir gewohnt! Wie<br />
war er?“, führte <strong>Lily</strong> <strong>das</strong> Frage-Antwort-Spiel weiter.<br />
„Ich habe erst gemerkt, was für ein toller Kerl er war, als es schon<br />
fast zu spät war“, meinte Onkel Dudley. „Fragt nicht nach, bitte!<br />
Und verurteilt mich nicht für <strong>das</strong>, was ihr beiden über mich früher<br />
oder später erfahren werdet!“<br />
„Was werden wir denn hören?“, fragten beide Mädchen gleichzeitig.<br />
„Das ist doch jetzt egal!“, sagte er. „Und, wie gefällt es euch hier?“<br />
Der <strong>The</strong>mawechsel kam etwas früh <strong>und</strong> plötzlich für die Mädchen,<br />
doch sie sahen, <strong>das</strong>s er nicht darüber reden konnte. Vielleicht später,<br />
aber zwingen ließ sich ihr Onkel sowieso nie zu etwas, <strong>das</strong> hatten die<br />
beiden in den vergangenen elf Jahren herausgef<strong>und</strong>en. Wenn er etwas<br />
nicht machen wollte, dann ließ er es eben bleiben, egal, was andere<br />
sagten.<br />
„Es ist toll <strong>und</strong> ich denke wir können behaupten, <strong>das</strong>s wir uns<br />
ziemlich gut schlagen, oder?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>Dora</strong> grinsend.<br />
„Oja, wirklich“, sagte sie.<br />
„Das freut mich“, antwortete Onkel Dudley. „Wie macht sich Harry?“<br />
„Sein Löffel hatte am Ende der beiden Zauberst<strong>und</strong>en schon fast<br />
<strong>das</strong> Aussehen einer richtigen Gabel“, lachte <strong>Lily</strong>.<br />
„Na <strong>das</strong> freut mich aber, dann bekommt ihr bei uns zu Hause ab<br />
jetzt immer nur mehr einen Löffel <strong>und</strong> ihr dürft ihn auch als Gabel<br />
oder Messer benutzen“, lachte er. „Ach nein, <strong>das</strong> geht ja gar nicht,<br />
bevor ihr siebzehn seid, also können wir eurer Tante Emily keine<br />
Arbeit abnehmen beim Abwaschen!“<br />
168
„Onkel Dudley, wir sind von Mr. <strong>und</strong> Mrs. Weasley, also unseren<br />
Großeltern, über Weihnachten eingeladen worden. Dürfen wir sie<br />
über die Ferien besuchen?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Onkel Dudley überlegte kurz.<br />
„Ja, ich denke, es spricht nichts dagegen, immerhin war euer Vater<br />
früher auch <strong>of</strong>t bei dieser Familie, wenn ich mich recht erinnere <strong>und</strong><br />
er hat sie immer gemocht. Aber Sam wird traurig sein“, antwortete<br />
er.<br />
„Und wenn wir die Ferien einfach aufteilen? Sie sind doch lang<br />
genug. Wir verbringen einfach dir erste Woche bei den Weasleys<br />
<strong>und</strong> die zweite zu Hause“, schlug <strong>Dora</strong> vor.<br />
Ihr Onkel <strong>und</strong> auch <strong>Lily</strong> stimmten zu. Dann öffnete sich die Tür<br />
<strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger trat ein.<br />
„Ich sollte besser zurück, denn Emily müsste mit den Kindern<br />
schon zu Hause sein <strong>und</strong> sie wissen nicht, wo ich bin!“, sagte Onkel<br />
Dudley zu ihr. „Ich denke, diesmal schaffe ich <strong>das</strong> mit dem Kamin<br />
alleine.“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger winkte ab.<br />
„Keine Umstände, Hausmeister Filch hat zugestimmt, Sie wieder<br />
zu begleiten. Wir wollen ja nicht, <strong>das</strong>s sie irgendwo anders wieder<br />
auftauchen. Er wartet bereits in seinem Büro. Finden Sie den Weg<br />
alleine?“<br />
Er nickte.<br />
„Also macht’s gut, Kinder, <strong>und</strong> erzählt Harry nicht, <strong>das</strong>s ich hier<br />
war, sonst hält er mir einen Vortrag, warum ich nicht mit ihm gesprochen<br />
habe!“<br />
Die Zwillinge nickten <strong>und</strong> er ging zur Tür. Dann drehte er sich<br />
nochmal um.<br />
„Tut mir wirklich leid, aber ihr müsst wissen, <strong>das</strong>s ich es euch erzählt<br />
hätte, wenn ich gedacht hätte, <strong>das</strong>s es sinnvoll wäre!“<br />
Dann verschwand er. Jetzt waren sie wieder alleine mit Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger, genauso wie vor einigen St<strong>und</strong>en, als sie nicht gewusst hatten,<br />
was sie angestellt hatten.<br />
169
„Wenn ihr beiden etwas über eure Eltern wissen wollt, dann fragt.<br />
Ihr wisst sicher schon, <strong>das</strong>s wir mal gute Fre<strong>und</strong>e waren, <strong>und</strong> ich<br />
weiß wohl mehr über euren Dad als alle anderen hier, okay?“<br />
Sie stimmten ihr zu <strong>und</strong> obwohl sie gerade <strong>das</strong> Angebot erhalten<br />
hatten, sämtliche Fragen beantwortet zu bekommen, nutzten sie es<br />
nicht, denn Pr<strong>of</strong>essor Granger schien nicht sehr glücklich, wenn sie<br />
über ihre alten Fre<strong>und</strong>e redete. Sie wirkte eher gequält <strong>und</strong> so beließen<br />
die Zwillinge es dabei.<br />
Als keine der beiden etwas sagte, gab sie <strong>Dora</strong> <strong>das</strong> große goldene<br />
Buch in die Hand, welches sie unter ihrem Umhang hervorzog.<br />
„Das schenke ich euch!“, meinte sie. „Es steht nicht mal ein<br />
Bruchteil dessen, was wirklich passiert ist, drinnen, aber es ist besser<br />
als nichts. Ihr wisst ja, wo ihr mich findet, falls ihr noch Fragen habt.<br />
Und könntet ihr es ebenfalls so lang wie möglich geheim halten, wer<br />
euer Dad war? Denn ihr habt ja sicher schon mitgekriegt, was für<br />
eine Berühmtheit er noch immer ist <strong>und</strong> ihr hättet sonst keine Ruhe<br />
mehr, glaubt mir. Aber Ted könnt ihr es ruhig verraten, denn er weiß<br />
es sowieso bald <strong>und</strong> da wir schon dabei sind <strong>und</strong> ich gesehen habe,<br />
<strong>das</strong>s ihr <strong>of</strong>t mit Scott zusammen seid, dann könnt ihr es wohl auch<br />
ihm beichten. Er wird niemandem etwas erzählen, ich kenne ihn!“,<br />
meinte sie. „Aber jetzt beeilt euch, es ist spät geworden! In einer<br />
St<strong>und</strong>e sollten die Erstklässler im Bett sein!“<br />
„Danke, <strong>das</strong>s Sie uns <strong>das</strong> alles erzählt haben <strong>und</strong> für <strong>das</strong> Buch“,<br />
sagte <strong>Dora</strong> noch, bevor sie den Raum verließen.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lächelte ihnen zu <strong>und</strong> sie wirkte jetzt gar nicht<br />
mehr einschüchternd, sondern sogar sehr nett. Und nicht nur <strong>das</strong>. Sie<br />
hatte den Zwillingen auch angeboten, <strong>das</strong>s sie ihr Fragen stellen<br />
könnten, die sie anscheinend nicht gerne beantwortete, <strong>und</strong> <strong>das</strong> rechneten<br />
die beiden ihr hoch an.<br />
„Was ist <strong>das</strong> für ein Buch?“, fragte <strong>Lily</strong> ihre Schwester, als sie außer<br />
Sichtweite des Klassenzimmers waren.<br />
Fast rannten die beiden den Gang entlang, denn sie versuchten, so<br />
schnell wie möglich wegzukommen.<br />
170
„Eine Geschichte der Zauberei mit besonderer Berücksichtigung<br />
der Taten Harry Potters“, las <strong>Dora</strong> vor.<br />
„Dieser Voldemort muss ja echt böse gewesen sein, wenn man so<br />
berühmt wird, wenn man ihn besiegt, oder?“<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Sieht so aus!“<br />
„Mann, ich kann’s echt nicht glauben“, sagte <strong>Lily</strong>. „Aber warum<br />
hat unsere Mum uns zu Onkel Dudley gebracht, als wir noch so klein<br />
waren? Wir waren nicht mal eine Woche alt, sagt er. Warum hat sie<br />
uns nicht zu ihren Eltern gebracht oder so. Die hätten ihr sicher geholfen.“<br />
„Aber du hast doch gehört, <strong>das</strong>s ihre Eltern sie nach September<br />
1998 nicht mehr gesehen haben <strong>und</strong> wir sind erst im März zur Welt<br />
gekommen.“<br />
„Stimmt, <strong>das</strong> muss heißen, sie wollte nicht, <strong>das</strong>s jemand von uns<br />
beiden erfährt!“<br />
Sie wollten gerade die erste Treppe nach oben nehmen, die sie erblicken<br />
konnten, als sie plötzlich schnelle Schritte hinter sich hören<br />
konnten.<br />
„Hey, wo wart ihr?“, rief Ted ihnen zu.<br />
Er <strong>und</strong> Scott blieben kamen vor den beiden, die sich wieder umgedreht<br />
hatten, zum Stehen.<br />
„Dachte ich es mir doch, <strong>das</strong>s ihr es wart, die da eben um die Ecke<br />
gebogen sind“, sagte er. „Wir laufen schon seit dem Abendessen vor<br />
knapp zwei St<strong>und</strong>en im Schloss umher <strong>und</strong> suchen euch!“<br />
„Tut mir leid, ging nicht schneller“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
„Was macht ihr hier eigentlich?“, fragte Ted.<br />
„Zum Gemeinschaftsraum gehen!“<br />
„Da seid ihr aber falsch, wir müssen da weiter nach hinten <strong>und</strong><br />
dann nach oben!“<br />
<strong>Lily</strong> zuckte mit ihren Schultern.<br />
„Wusste ich doch“, sagte sie grinsend.<br />
171
Dann gingen sie gemeinsam ein Stück weiter den Gang entlang<br />
<strong>und</strong> eine andere Treppe hoch.<br />
„Also, wo wart ihr nachdem ihr diesen grandiosen Flug hingelegt<br />
habt?“, fragte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> warfen sich schnell einen Blick zu <strong>und</strong> nickten.<br />
„Wir müssen euch, aber besonders dir, Ted, etwas zeigen“, sagte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Wartet hier“, rief <strong>Dora</strong>, die inzwischen <strong>das</strong> Portrait der fetten<br />
Dame erblickt hatte. „Ich bin gleich zurück!“<br />
Sie ließ ihre Schwester <strong>und</strong> die Jungs alleine zurück, murmelte <strong>das</strong><br />
Passwort, kletterte in den Gemeinschaftsraum <strong>und</strong> lief direkt hoch in<br />
den Schlafsaal, wo sie <strong>das</strong> goldene Buch auf ihre Bett warf, aus einer<br />
gewissen Schachtel ein gewisses Blatt Pergament holte <strong>und</strong> dann<br />
denselben Weg wieder zurück rannte.<br />
<strong>Lily</strong> grinste ihr zu, während die anderen sie nur verwirrt anstarrten.<br />
„Wir brauchen einen Platz, wo uns keiner findet“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Vielleicht <strong>das</strong> Klassenzimmer, in dem wir gerade eben mir Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger waren?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> so machten sie sich auf den Weg zurück zu der leeren<br />
Klasse. Diesmal waren <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> es, die den Jungs den Weg<br />
zeigten.<br />
„Ihr macht es aber ziemlich spannend“, sagte Ted.<br />
„Das ist es auch“, stimmte <strong>Lily</strong> ihm zu, als sie die Tür einen Spaltbreit<br />
öffnete um zu sehen, ob jemand im Raum war.<br />
Als sie sah, <strong>das</strong>s alles leer war, traten sie ein. <strong>Dora</strong> legte <strong>das</strong> Pergament<br />
auf den Lehrertisch, während <strong>Lily</strong> die Tür hinter ihnen<br />
schloss.<br />
„Kennst du Moony?“, fragte sie schließlich, als sich alle vier um<br />
den Tisch versammelt hatten.<br />
„So wurde mein Dad genannt, als er zur Schule ging“, antwortete<br />
Ted. „Aber woher kennt ihr ihn?“<br />
„Wir haben etwas, <strong>das</strong> einst ihm gehört hat <strong>und</strong> sind der Meinung,<br />
<strong>das</strong>s wir es ruhig mit dir teilen können“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
172
Sie zog ihren Zauberstab aus ihrem Umhang, tippte sachte mit der<br />
Spitze gegen <strong>das</strong> Blatt <strong>und</strong> murmelte: „Ich schwöre feierlich, <strong>das</strong>s<br />
ich ein Tunichtgut bin!“<br />
Die Jungs machten große Augen, als sie sahen, was diese Berührung<br />
des Zauberstabs auslöste.<br />
„Was ist <strong>das</strong>?“, fragte Scott.<br />
„Die Karte des Rumtreibers“, erklärte <strong>Lily</strong>. „Damit kann man jeden<br />
Geheimgang <strong>und</strong> jede Person im Schloss sehen!“<br />
Ted hob die Karte auf, um genauer betrachten zu können, wie sich<br />
die kleinen schwarzen Punkte darauf mal langsam, mal schneller<br />
bewegten.<br />
„Die gehörte wirklich meinem Vater“, sagte er. „Ich habe von den<br />
anderen dreien gehört. Na ja, zumindest von zweien davon. Das waren<br />
gute Fre<strong>und</strong>e meines Vaters. Aber woher habt ihr die?“<br />
„Gef<strong>und</strong>en“, antwortete <strong>Dora</strong> schnell, bevor <strong>Lily</strong> die Wahrheit sagen<br />
konnte.<br />
Diese nickte zur Antwort.<br />
„Diese Karte ist zwar, glaub' ich, ziemlich hilfreich, wenn man hier<br />
im Schloss wohnt, aber <strong>das</strong> erklärt noch nicht, wo ihr den ganzen<br />
Tag wart“, meinte er, während er sie weiterhin mit großen Augen<br />
musterte.<br />
Dann gab er sie Scott in die Hand, welcher sich auf die Zehenspitzen<br />
hatte stellen müssen, damit er Ted über die Schulter schauen<br />
konnte.<br />
„Wir hatten sie anscheinend im Zug vergessen <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger hat sie gesehen. Ted <strong>und</strong> Scott, versprecht ihr, <strong>das</strong>s ihr niemandem<br />
etwas sagt von dem, was wir euch gleich erzählen werden?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Die beiden nickten.<br />
„Der letzte Besitzer dieser Karte war Harry Potter <strong>und</strong> der war…<br />
ja, er war unser Dad“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Ted <strong>und</strong> Scott konnten ihre Münder kaum geschlossen halten.<br />
„Verarscht wen anderen“, sagte Ted.<br />
173
„Wir verarschen euch nicht, Pr<strong>of</strong>essor Granger ist sich sicher. Woher<br />
kennen dich die Weasleys eigentlich?“, fragte <strong>Lily</strong> Ted.<br />
„Von wo kennt ihr sie? Das ist wohl die bessere Frage!“<br />
Er blickte sie misstrauisch an.<br />
„Sie waren gerade eben hier in der Schule, weil ihre Tochter Ginny<br />
wohl unsere Mutter gewesen ist, <strong>und</strong> sie haben uns über Weihnachten<br />
zu sich nach Hause eingeladen. Das heißt, sie sind unsere Großeltern!“,<br />
erklärte sie.<br />
„Arthur <strong>und</strong> Molly Weasley?“, fragte er mit großen Augen.<br />
„Ich glaube so heißen die, ja!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Ted begann zu lachen.<br />
„Na dann werdet ihr wohl Weihnachten mit mir zusammen<br />
verbringen müssen“, sagte er. „Ich wohne nämlich schon seit ich ein<br />
Jahr alt bin mit meiner Großmutter bei ihnen!“<br />
„Nicht wahr, oder?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Doch wahr!“, entgegnete Ted.<br />
„Lasst mich nur außen vor…“, meinte Scott, ohne <strong>das</strong>s er von den<br />
sich bewegenden Punkten auf der Karte aufblickte.<br />
„Würden wir nie machen!“, sagte Ted <strong>und</strong> klopfte ihm fest auf die<br />
Schulter.<br />
„Spinnst du?“, fragte Scott mit einem bösen Blick.<br />
Dann begannen sie alle vier zu lachen.<br />
„Also ich weiß nicht viel über Ginny Weasley, weil bekanntermaßen<br />
nicht über sie gesprochen wird, aber ich bin mir sicher, ich hätte<br />
es erfahren, wenn sie Kinder gehabt hätte!“, meinte Ted nachdenklich,<br />
als sie sich wieder beruhigt hatten.<br />
„Es wusste anscheinend auch keiner außer ihr“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Die vier unterhielten sich noch eine Weile darüber, warum es keiner<br />
gewusst hatte <strong>und</strong> Ted ließ immer wieder hören, <strong>das</strong>s er es nicht<br />
glauben konnten, <strong>das</strong>s ihre Eltern tatsächlich Ginny Weasley <strong>und</strong><br />
Harry Potter gewesen waren. Auch Scott machte eine verblüffte<br />
Miene.<br />
174
Nach einiger Zeit machten sie sich wieder zurück auf den Weg<br />
zum Gemeinschaftsraum, weil Pr<strong>of</strong>essor Granger ihnen ja gesagt<br />
hatte, <strong>das</strong>s die Erstklässler in einer St<strong>und</strong>e im Bett sein sollten, <strong>und</strong><br />
diese St<strong>und</strong>e war inzwischen schon lange vergangen.<br />
Sie hatten Glück <strong>und</strong> keiner sah sie auf ihrem Weg zurück.<br />
„Und kein Wort zu irgendwem“, drohte <strong>Lily</strong>, bevor sie sich kurz<br />
darauf im Gemeinschaftsraum von den Jungs verabschiedeten, um<br />
schlafen zu gehen.<br />
Die beiden lagen noch lange wach <strong>und</strong> starrten ins Dunkle. Erst<br />
jetzt, als sie in Ruhe nachdenken konnten, wurde ihnen bewusst, was<br />
sie erfahren hatten. Sie hatten nicht nur erfahren, wer ihre Eltern gewesen<br />
waren, sondern auch, <strong>das</strong>s beide tot waren.<br />
Bis jetzt hatten sie eigentlich immer geglaubt, sie eines Tages ihre<br />
Eltern treffen <strong>und</strong> mit ihnen reden würden, aber jetzt auf einmal war<br />
diese H<strong>of</strong>fnung weg. Ganz langsam wurde den beiden bewusst, was<br />
<strong>das</strong> bedeutete. Sie würden ihre Eltern nie kennenlernen können. Sie<br />
hatten ein Buch über ihren Dad <strong>und</strong> jemanden, der ihnen auch etwas<br />
von ihrer Mutter erzählen konnte, aber es war nicht <strong>das</strong>selbe. Sie waren<br />
tot.<br />
Mit einem komischen Gefühl in der Magengegend schliefen die<br />
beiden schließlich nach langer Zeit ein.<br />
175
Klatsch <strong>und</strong> Tratsch<br />
Tosender Beifall brach in der großen Halle aus, als die Zwillinge am<br />
nächsten Morgen zum Frühstück kamen. Sie schienen ziemlich die<br />
Letzten zu sein, denn sämtliche Tische waren voll besetzt. Als sie<br />
sahen, <strong>das</strong>s buchstäblich jeder im Raum sie von oben bis unten musterte,<br />
blieben sie stehen. <strong>Lily</strong> wandte sich um <strong>und</strong> schaute, ob jemand<br />
hinter ihnen stand, dem diese Blicke galten, doch da war niemand.<br />
„Komm weiter!“, zischte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> stieß ihre Schwester an.<br />
Der Lärm hielt an, während sie so schnell wie möglich unter der<br />
strahlenden Morgensonne der verzauberten Decke hindurchgingen<br />
<strong>und</strong> sich auf zwei noch leere Plätze am Gryffindortisch setzen.<br />
„Warum habt ihr uns nicht erzählt, <strong>das</strong>s Harry Potter euer Vater<br />
war?“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schraken auf. Sie drehten sich nach links, wo sich<br />
Jeff Dorian zu ihnen gedreht hatte <strong>und</strong> sie breit grinsend anblickte.<br />
Laura Attkins, Julie Davis <strong>und</strong> Alice Summer stimmten ihm mit wildem<br />
Kopfnicken zu.<br />
„Ja, warum habt ihr <strong>das</strong> verschwiegen?“, fragte Alice.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blickten sich entsetzt an.<br />
„Woher wisst ihr <strong>das</strong>“, fragte <strong>Dora</strong>. „<strong>und</strong> wer weiß <strong>das</strong> aller?“<br />
„Es weiß jeder hier drinnen <strong>und</strong> spätestens in ein paar St<strong>und</strong>en<br />
auch alle Zauberer außerhalb der Schule“, meinte Jeff <strong>und</strong> er hielt<br />
den beiden eine Zeitung hin.<br />
<strong>Lily</strong> ergriff sie s<strong>of</strong>ort <strong>und</strong> las den Titel des Blattes. ‚Tagesprophet’<br />
stand darauf geschrieben <strong>und</strong> von der Titelseite prangte ein riesiges<br />
Bild von <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, welche auf der Couch im Büro von Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger saßen <strong>und</strong> überrascht aussahen. Daneben waren ein etwas<br />
kleineres Foto von Harry Potter <strong>und</strong> eines von einer jungen Frau<br />
mit roten Haaren. Es war mit der Beschreibung ‚Ginny Weasley’ abgedruckt.<br />
Das Ganze stand unter der Schlagzeile: „Harry Potters<br />
176
Kinder – Eine Verschwörung ihrer Familie gegen die Welt der Zauberer?“<br />
„Und?“, fragte Jeff. „Warum erfahren wir <strong>das</strong> erst jetzt?“<br />
„Sei mal still!“, wies <strong>Lily</strong> ihn an <strong>und</strong> dann blätterten die Mädchen<br />
auf Seite vierzehn, wo sie den Artikel zu lesen begannen.<br />
Harry Potters Kinder<br />
Eine Verschwörung ihrer Familie gegen die Welt der Zauberer?<br />
177<br />
Eine der größten Sensationen in der Geschichte der<br />
Zauberer seit dem Tod Lord Voldemorts wurde gestern<br />
Nachmittag aufgedeckt: Harry Potter hatte Kinder!<br />
Richtig gehört: Es war nicht nur ein Kind, sondern<br />
Zwillinge. Sie heißen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> Dursley <strong>und</strong><br />
wohnten angeblich bis jetzt bei den Muggeln, bei denen<br />
auch Harry Potter einst gelebt hatte. Ihre Mutter ist die<br />
auf mysteriöse Weise getötete Hexe, Ginny Weasley. Sie<br />
war vor über elf Jahren Harrys Fre<strong>und</strong>in.<br />
Am 1. September begannen die beiden Mädchen ihre<br />
Ausbildung an der Hogwarts-Schule für Hexerei <strong>und</strong><br />
Zauberei. Genau wie ihr Vater <strong>und</strong> ihre Mutter wurden<br />
die beiden in <strong>das</strong> Haus Gryffindor eingeteilt.<br />
Wie dieses <strong>Geheimnis</strong> solange ungelüftet bleiben konnte,<br />
kann sich niemand erklären. War es eine Verschwörung<br />
von Harrys Familie, seine Kinder geheim zu halten?<br />
Warum haben sie der Zaubererwelt nicht mitgeteilt, <strong>das</strong>s<br />
unser aller Retter, Harry Potter, Nachkommen<br />
hinterlassen hat, die nun in seine Fußstapfen treten? Wie<br />
gemunkelt wird, wusste Ginny Weasleys Familie nichts<br />
von ihren Töchtern. Wollte Harry seine Töchter<br />
schützen, indem er Ginny verboten hat, jemandem von<br />
ihnen zu erzählen? Möglicherweise.
Doch wie lässt es sich dann erklären, <strong>das</strong>s Harry zum<br />
Zeitpunkt der Geburt von <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> bereits tot war?<br />
Warum wurde uns dieses <strong>Geheimnis</strong> solange<br />
vorenthalten? Wie bekannt ist, war die Familie Harry<br />
Potters berüchtigt für ihren Hass gegen alles, was mit<br />
Magie zu tun hatte. Wollte sie sich an den Zauberern <strong>und</strong><br />
Hexen rächen, indem sie die Kinder des größten Helden<br />
aller Zeit verschwiegen haben? Wer weiß? Wir bleiben<br />
dran <strong>und</strong> werden Sie über alles informieren, was wir<br />
herausfinden können!<br />
Signiert war dieser Bericht mit dem Namen ‚Rita Kimmkorn’. Sie<br />
warfen sich erschrockene Blicke zu. Noch immer hörten sie von überall<br />
in der Halle ihre Namen <strong>und</strong> mindestens genauso <strong>of</strong>t den Namen<br />
Harry Potter. Einige Schüler ließen es sich nicht mal nehmen,<br />
mit ihren Fingern auf die Mädchen zu zeigen, so, als wären sie billige<br />
Ausstellungsobjekte hinter einer Glaswand, deren einziges Lebensziel<br />
es war, angestarrt zu werden.<br />
„<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, kommt ihr mal bitte?“<br />
Sie drehten sich um <strong>und</strong> blickten in <strong>das</strong> Gesicht von Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger. Sie hatten sie gar nicht bemerkt, so vertieft waren sie in<br />
ihren Artikel gewesen. Wie hatte <strong>das</strong> alles nur an die Öffentlichkeit<br />
kommen können? Es war ihnen ja klar gewesen, <strong>das</strong>s es irgendwann<br />
soweit sein würde, aber <strong>das</strong>s es schon so bald war…<br />
Sie standen auf <strong>und</strong> folgten ihrer Lehrerin ein paar Schritte vom<br />
Gryffindortisch weg, in eine Ecke der großen Halle.<br />
„Kennt ihr eine Rita Kimmkorn <strong>und</strong> habt ihr mit ihr gesprochen?“,<br />
kam Pr<strong>of</strong>essor Granger gleich zum Punkt.<br />
Die Mädchen schüttelten den Kopf.<br />
„Okay, danke! Das war es auch schon. Tut mir leid, <strong>das</strong>s es an die<br />
Öffentlichkeit gekommen ist, ich weiß noch nicht genau warum. Aber<br />
soweit ich sehe, scheint es die meisten hier drinnen <strong>und</strong> sicher<br />
auch draußen zu freuen, genau wie mich <strong>und</strong> eure Großeltern!“, sag-<br />
178
te sie. „Aber trotzdem wollte ich euch <strong>das</strong> eigentlich solang wie<br />
möglich ersparen <strong>und</strong> ich habe überlegt, ob wir dem Tagespropheten<br />
erzählen, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> alles nur Blödsinn ist. Aber mal ehrlich, es würde<br />
nie einer glauben, oder?“<br />
Die Zwillinge schüttelten den Kopf.<br />
„Okay, lasst euch nicht unterkriegen. In zwei oder drei Wochen<br />
werden sich alle an den Gedanken gewöhnt haben <strong>und</strong> <strong>das</strong> hier“,<br />
sagte sie während sie auf die Schüler deutete, die allesamt die Zwillinge<br />
<strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger anstarrten, „wird schon wieder aufhören.<br />
Wenn es Probleme gibt, dann kommt vorbei! Meine Tür steht<br />
für euch beide immer <strong>of</strong>fen!“<br />
Noch bevor die Zwillinge ihr zustimmen <strong>und</strong> ihr für <strong>das</strong> Angebot<br />
danken konnten, drehte sie sich um <strong>und</strong> ging mit langen Schritten<br />
aus der großen Halle. Die beiden gingen wieder zurück zu ihrem<br />
Tisch. Sie hatten stillschweigend beschlossen, den Rat ihrer Lehrerin<br />
zu befolgen <strong>und</strong> zumindest zu versuchen, sich nicht unterkriegen zu<br />
lassen, doch <strong>das</strong> war gar nicht so einfach. Immer wieder fragten die<br />
Leute sie, wie Harry Potter gewesen sei <strong>und</strong> die beiden fragten sich,<br />
ob diese überhaupt mehr als die ersten drei Sätze gelesen hatten. Es<br />
bereitete ihnen immer wieder ein unangenehmes Gefühl, wenn jemand<br />
sie auf ihre Eltern ansprach, wo sie doch gestern erst erfahren<br />
hatten, <strong>das</strong>s diese tot waren.<br />
Plötzlich ließ ein lauter Krach alle Gesichter in seine Richtung<br />
schnellen. Einen Moment lang waren <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> glücklich darüber,<br />
doch diese Freude hielt nicht lange an. Ein Geist, nicht halb so<br />
durchsichtig wie seine anderen Kameraden, war durch die große Tür<br />
in die Halle gekommen. Das Erste was er gemacht hatte, war, eine<br />
große Vase mitten im Saal, zwischen dem Ravenclaw- <strong>und</strong> dem<br />
Hufflepufftisch zu zertrümmern. Sein breites Gesicht, welches bis<br />
knapp über die Augen von einem glockenförmigen Hut verdeckt<br />
war, hatte er zu einem heimtückischen Grinsen verformt. Anders als<br />
die anderen Geister, deren Gewand ebenfalls durchsichtig war, trug<br />
179
er eine orangefarbene Fliege <strong>und</strong> auch sein Hut schien von Menschenhand<br />
gefertigt.<br />
Er ließ einen lauten Schrei von sich, flog zwischen zwei Hufflepuffs<br />
hindurch, nahm einen großen Korb voll Gebäck <strong>und</strong> dann am<br />
er direkt auf den Gryffindortisch zu.<br />
„PEEVSY HAT ES IMMER GEWUSST, AUCH WENN IHR ES<br />
IHM NICHT GLAUBEN MÜSST, DASS POTTYS TOD KONNTE<br />
NICHT SEIN SEIN ENDE, DENN SOGAR JETZT SPRICHT ER<br />
NOCH SEINE BÄNDE“, sang er aus voller Brust <strong>und</strong> es hatte den<br />
Anschein, als würde er es geradezu genießen, keine Luft holen zu<br />
müssen, denn er sagte sein ganzes Gedicht in einem Zug. „DRUM<br />
SEID NICHT SCHEU UND ZEIGT EUCH MIR, LILY UND DO-<br />
RA: WER SEID IHR?“<br />
Er flog von einem Ende des Tisches zum anderen <strong>und</strong> wieder zurück.<br />
Die Mädchen versuchten sich so klein wie möglich zu machen<br />
<strong>und</strong> ihre Köpfe ragten kaum mehr über den Tisch, als der Geist vor<br />
ihnen anhielt. Er blickte zuerst <strong>Lily</strong> durchdringend an <strong>und</strong> wandte<br />
sich dann zu ihrer Schwester.<br />
„PEEVSY HAT SIE GEFUNDEN, DENN ER IST SCHLAU,<br />
DAS WISSEN… AARGH!“<br />
Schneller als die beiden ihm mit ihrem Blick folgen konnten, war<br />
der Geist wieder höher in die Luft gestiegen <strong>und</strong> flog in Windeseile<br />
zum Tor hinaus. Ein anderer Geist war gerade durch eben jenes hereingekommen<br />
<strong>und</strong> auf ihn zugekommen.<br />
„Peeves mag den blutigen Baron nicht“, erklärte Jeff über den<br />
Tisch hinweg, den Erstklässlerinnen.<br />
Er wollte gerade noch etwas sagen, von dem die Mädchen wussten,<br />
<strong>das</strong>s es mit absoluter Sicherheit etwas mit dem Zeitungsartikel<br />
zu tun hatte, als Harry vom Hufflepufftisch zu ihnen herübergeschlendert<br />
kam. Obwohl geschlendert wohl eher <strong>das</strong> falsche Wort<br />
war, für den Spurt den er hinlegte.<br />
„Habt ihr kurz Zeit?“, fragte er die beiden <strong>und</strong> ließ sich zwischen<br />
ihnen nieder.<br />
180
„Solange wir von hier verschwinden, gerne!“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
Schon bevor Harry wieder aufstehen konnte, war <strong>Lily</strong> an ihm vorbei.<br />
Sie wagte es nicht, ihren Blick woanders hingleiten zu lassen,<br />
als zu ihrem Cousin, denn schon aus den Augenwinkeln konnte sie<br />
erkennen, wie sämtliche anderen Lebewesen, <strong>und</strong> auch jene, die eigentlich<br />
schon tot waren, mit ihren Augen allen ihren Bewegungen<br />
folgten.<br />
Schon kurz später standen die beiden draußen vor dem Tor zur<br />
großen Halle, unsichtbar von ihnen.<br />
„Also, was gibt’s?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Es hatte den Anschein, als würden einige früher mit dem Essen<br />
aufhören, nur um aus der Halle <strong>und</strong> an den Zwillingen vorbeigehen<br />
zu können.<br />
„Das ist doch alles nicht wahr, oder?“, fragte er.<br />
Wieder kamen ein paar, von denen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> wussten, <strong>das</strong>s es<br />
Erstklässler aus Hufflepuff waren, vorbei. Auch Matthew war dabei,<br />
aber er warf nur einen kurzen Blick über Harry auf seine beiden<br />
Cousinen <strong>und</strong> ging dann weiter, in Richtung der Treppen.<br />
„Doch“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
„Gestern erfahren“, half ihr <strong>Dora</strong>.<br />
Harry schaute von einer der beiden zur anderen.<br />
„Das heißt, <strong>das</strong>s Harry Potter euer Dad war? Mann, habt ihr gehört,<br />
was der in seinem Leben alles gemacht hat? Die Älteren <strong>und</strong> die<br />
Erstklässler von Zaubererfamilien haben mir <strong>und</strong> ein paar anderen<br />
gestern Abend erklärt, was der mit diesem Voldemort gemacht<br />
hat…“<br />
„Ja, <strong>das</strong> wissen wir“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
Sie war nicht ganz so aufgeregt darüber wie Harry. Die beiden hatten<br />
nicht viel geschlafen in der vergangenen Nacht <strong>und</strong> daher viel<br />
Zeit gehabt, über alles nachzudenken. Es war schon so schlimm genug<br />
gewesen. Sie hatten erfahren, <strong>das</strong>s sie ihre Eltern nie kennen lernen<br />
würden, <strong>und</strong> jetzt wurden sie auch noch an jeder Ecke daran erinnert.<br />
Von jedem wurden sie angestarrt für etwas, oder besser für<br />
181
jemanden, den die Mädchen gar nicht besser kannten als alle ihrer<br />
Bew<strong>und</strong>erer. Nein, wahrscheinlich kannten sie ihn sogar schlechter.<br />
Und ihre Mutter. Getötet auf mysteriöse Weise, <strong>das</strong> schrieb die Presse.<br />
Wahrscheinlich wussten sie alle mehr darüber, von Ted ganz zu<br />
schweigen, welcher sogar in ihrem ehemaligen Heim lebte.<br />
„Und <strong>das</strong> sogar schon als kleines Baby! Mannomann! Wann hat<br />
man euch <strong>das</strong> gesagt <strong>und</strong> wer ist draufgekommen? Oh, <strong>das</strong> ist ja so<br />
was von aufregend!“<br />
„Gestern Nachmittag“, sagte <strong>Lily</strong>. „Lass uns ein Stück weiter weggehen,<br />
<strong>das</strong> hält ja keiner aus.“<br />
Sie gingen ein Stück weiter weg <strong>und</strong> lehnten sich an die Wand, nahe<br />
dem großen Eichentor, <strong>das</strong> von den Schlossgründen ins Innere<br />
des Schlosses führte.<br />
Ja, gestern Nachmittag hatte sich so einiges verändert. Es war klar<br />
gewesen, <strong>das</strong>s es an die Öffentlichkeit kommen würde. Irgendwann.<br />
Aber wenigstens ein paar Tage hätten sich die Mädchen gewünscht.<br />
Ein paar Tage, in denen sie nachdenken konnten. In denen sie realisieren<br />
konnten, was es bedeutete.<br />
„Und dann die Geschichte bei der legendären Schlacht um Hogwarts!<br />
Wie er <strong>das</strong> gemacht hat…“<br />
Harry schien sich in dieser Schule ziemlich schnell <strong>und</strong> gut eingelebt<br />
zu haben, denn schon jetzt schien er in seinem Redefluss, über<br />
Sachen, die er eigentlich gar nicht wissen konnte, nicht zu bremsen.<br />
Die Mädchen hörten nur halb hin. Einerseits waren sie froh, der Halle<br />
mit den vielen neugierigen Gesichtern entkommen zu sein. Andererseits<br />
war ein Harry, der ihnen die größten Heldentaten ihres verstorbenen<br />
Vaters erzählte, auch nicht gerade eine große Hilfe. Die<br />
beiden schauten sich kurz in die Augen, nur um festzustellen, <strong>das</strong>s<br />
sie beide gleich ratlos waren. Dann schauten sie in entgegen gesetzte<br />
Richtungen.<br />
„Und er konnte Quidditch spielen wie kein anderer. Einmal, da soll<br />
er sogar den Schnatz halb verschluckt haben, wenn nicht sogar…“<br />
182
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> wünschten sich nichts sehnlicher, als einfach zurück<br />
in den Schlafsaal laufen zu können. Aber sie hatten Unterricht. Zaubereigeschichte<br />
stand auf dem Programm. Zaubereigeschichte… <strong>Dora</strong>s<br />
Magen verkrampfte sich schmerzhaft. Wieder ein Fach, in dem<br />
man mit Sicherheit etwas über den großartigen Harry Potter hören<br />
würde.<br />
„… auf einem <strong>The</strong>stral zum Zaubereiministerium geflogen sein,<br />
wo er dann wieder mit Voldemort gekämpft…“<br />
Ein weiteres Knäuel Schüler kam aus der Halle. Diese paar machten<br />
nicht mal die Anstalt, wenigstens der Höflichkeit halber in eine<br />
andere Richtung zu schauen, denn sie deuteten mit ihren Fingern auf<br />
die Zwillinge.<br />
„Dann ist dir h<strong>of</strong>fentlich auch schon aufgefallen“, platzte <strong>Lily</strong><br />
plötzlich heraus, „<strong>das</strong>s der Mann, unser Dad, der auf dem was auch<br />
immer, wohin auch immer geflogen ist, jetzt tot ist! Genauso wie<br />
unsere Mum!“<br />
Harry brach mitten in seiner Erzählung ab, seinen M<strong>und</strong> vor<br />
Schreck weit geöffnet. <strong>Lily</strong> funkelte ihn böse an, während <strong>Dora</strong> noch<br />
immer angestrengt in eine andere Richtung blickte. Einen Moment<br />
lang sah Harry in die Augen seiner Cousine, dann hielt er ihrem<br />
Blick nicht mehr stand. Sie hatte ihre Hände zu Fäusten geballt, so<br />
als würde sie jeden Moment auf den nächst besten losgehen <strong>und</strong> in<br />
diesem Fall war <strong>das</strong> Harry.<br />
„<strong>Dora</strong>, komm! Wir holen unsere Sachen <strong>und</strong> gehen ins Klassenzimmer!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte. Sie schaute Harry unverwandt an. Auf seinem Gesicht<br />
war noch immer ein Ausdruck tiefsten Entsetzens. Ob er entsetzt<br />
war, weil <strong>Lily</strong> ihn angeschrieen hatte, oder eher deswegen, weil er<br />
nicht über seine Worte nachgedacht hatte, <strong>das</strong> konnte <strong>Dora</strong> nicht<br />
ausnehmen.<br />
Sie rannte ein paar Schritte, um auf gleiche Höhe wie <strong>Lily</strong> zu<br />
kommen, dann ging sie schnellen Schrittes neben ihr her. Harry<br />
183
starrte wie versteinert die alte Wand des Schlosses an, nicht in der<br />
Lage dazu, sich umzudrehen.<br />
„Er hat’s nicht so gemeint“, sagte <strong>Dora</strong>, doch <strong>Lily</strong> machte nicht<br />
den Anschein, als wollte sie sich beruhigen. „Du kennst ihn doch, er<br />
redet immer, bevor er nachdenkt!“<br />
<strong>Lily</strong> blieb abrupt stehen <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> hatte alle Mühe, nicht an ihr<br />
vorbeizulaufen. Sie drehte sich um. Einen Moment noch schien <strong>Lily</strong><br />
sauer zu sein, doch schon im nächsten Augenblick schüttelte sie den<br />
Kopf <strong>und</strong> plötzlich wirkte sie ganz anders. Traurig.<br />
„Dann soll er lernen, nachzudenken, bevor er etwas sagt. Was<br />
würde er sagen, wenn wir die ganze Zeit über Onkel Dudley reden,<br />
obwohl wir gerade erst erfahren haben, <strong>das</strong>s er tot ist?“<br />
„Das Gleiche wie du eben, schätze ich!“, sagte <strong>Dora</strong>. „Komm, lass<br />
uns nach oben gehen <strong>und</strong> unsere Sachen aus dem Schlafsaal holen.<br />
Wenn wir noch länger warten, werden schon alle oben sein!“<br />
<strong>Lily</strong> nickte. Das, was sie jetzt am wenigsten wollte, war, <strong>das</strong>s ein<br />
Haufen starrender Gryffindors sie im Gemeinschaftsraum willkommen<br />
hieß.<br />
Wenige Minuten später kamen sie beim Porträt der fetten Dame<br />
an, die sie, diesmal ohne sich zu beklagen, durchließ. <strong>Dora</strong> glaubte<br />
sogar in ihrem Gesicht erkennen zu können, <strong>das</strong>s sie die Neuigkeiten<br />
bereits gehört hatte. Es war wohl wirklich niemand mehr übrig im<br />
ganzen Schloss, der sie als normale Schülerinnen betrachtete.<br />
Nur wenige Gryffindors waren im Gemeinschaftsraum <strong>und</strong> es waren<br />
vor allem ältere. Fünftklässler <strong>und</strong> älter, schätzten die Zwillinge.<br />
Wahrscheinlich hatten sie die ersten St<strong>und</strong>en frei, denn einige kauerten<br />
über Büchern <strong>und</strong> Hausaufgaben <strong>und</strong> <strong>das</strong> schon am zweiten Unterrichtstag<br />
im neuen Schuljahr.<br />
Doch als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> auftauchten, konnten selbst die hartnäckigsten<br />
Büffler sich nicht mehr auf die Schrift in den Büchern, die<br />
sie gerade lasen, konzentrieren.<br />
So schnell wie möglich, ohne auffällig zu wirken, durchquerten sie<br />
den Raum <strong>und</strong> dann liefen sie die Treppe zu den Schlafsälen hoch.<br />
184
„Ich hasse <strong>das</strong> jetzt schon“, sagte <strong>Lily</strong>. „H<strong>of</strong>fentlich ist es wirklich<br />
so, wie Pr<strong>of</strong>essor Granger sagt, <strong>und</strong> die finden es irgendwann langweilig,<br />
uns anzustarren.“<br />
„Ganz sicher“, sagte <strong>Dora</strong>, jedoch war sie von ihren eigenen Worten<br />
nicht wirklich überzeugt.<br />
Als sie, beladen mit ihren Rucksäcken, wieder nach unten in den<br />
Gemeinschaftsraum kamen, sah die Sache schon anders aus. Jetzt<br />
schien ganz Gryffindor versammelt zu sein. Vor dem Porträtloch,<br />
hinter ein paar anderen Schülern, sahen die beiden Ted <strong>und</strong> Scott.<br />
Ted winkte ihnen zu <strong>und</strong> da sie sowieso keine andere Wahl hatten,<br />
als schnellstmöglich aus dem Raum zu verschwinden, gingen die<br />
beiden direkt auf sie zu.<br />
„Raus hier!“, befahl <strong>Lily</strong>, als sie sich einen Weg durch die starrende<br />
Menge zu den Jungs gebahnt hatten.<br />
Diese nickten <strong>und</strong> kletterten den Mädchen voran aus dem Raum.<br />
Sie gingen ein paar Schritte, bis Ted <strong>das</strong> Wort ergriff.<br />
„Hey, ich dachte eigentlich, <strong>das</strong>s ihr es noch geheim halten wollt!“,<br />
sagte er.<br />
Sie befanden sich gerade auf einer Treppe, die unruhig zu zittern<br />
begann, <strong>und</strong> sie rannten die letzten paar Stufen, bevor sie sich in<br />
Bewegung setzte <strong>und</strong> die Richtung änderte.<br />
„Wollten wir auch“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Keine Ahnung, wer es verraten<br />
hat. Pr<strong>of</strong>essor Granger weiß es, glaub' ich, selbst nicht, oder?“<br />
<strong>Dora</strong> nickte. Es hatte nicht den Anschein gemacht, als würde sie<br />
wissen, wer damit an die Presse gegangen war. Auch die Zwillinge<br />
selbst hatten keine Ahnung. Die beiden hatten definitiv niemandem<br />
etwas gesagt außer Scott <strong>und</strong> Ted <strong>und</strong> <strong>das</strong>s jemand sie belauscht hatte,<br />
war unmöglich, denn sie hätten ihn auf der Karte des Rumtreibers,<br />
die Ted <strong>und</strong> Scott während des gesamten Gesprächs nicht aus<br />
den Augen gelassen hatten, bemerkt.<br />
Dann wussten noch ihre Großeltern, Pr<strong>of</strong>essor Longbottom <strong>und</strong><br />
Hagrid davon, aber die Zwillinge konnten sich beim besten Willen<br />
nicht vorstellen, <strong>das</strong>s jemand von ihnen etwas weitererzählt hatte.<br />
185
Die Letzte, die noch übrig blieb, war Pr<strong>of</strong>essor Granger. Aber was<br />
würde sie davon haben? Und schließlich schien sie ja selbst keine<br />
Ahnung davon zu haben.<br />
Das Einzige, was sich die beiden von diesem Schuljahr erwartet<br />
hatten, war, <strong>das</strong>s es aufregend sein würde <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie vielleicht erfahren<br />
würden, was es mit ihren besonderen Fähigkeiten auf sich<br />
hatte. Aber inzwischen kamen immer mehr Fragen auf, die ihnen<br />
keiner beantworten konnte <strong>und</strong> die viel wichtiger waren.<br />
„Aber wer könnte es dann weitergesagt haben?“, fragte Scott.<br />
„Wenn Pr<strong>of</strong>essor Granger gesagt hat, <strong>das</strong>s es besser ist, wenn ihr es<br />
geheim haltet, dann hat sie doch sicher darauf geachtet, <strong>das</strong>s euch<br />
keiner belauscht, während sie es euch gesagt hat, oder?“<br />
Die Zwillinge <strong>und</strong> auch Ted nickten.<br />
„Komische Sache!“, meinte Ted.<br />
„Wir sollten uns jetzt am besten drei Wochen lang irgendwo verkriechen,<br />
wo uns keiner findet, dann hätte wenigstens dieses Gerede<br />
über uns nachgelassen“, sagte <strong>Lily</strong>. „Und dabei wissen wir es doch<br />
selbst erst seit gestern <strong>und</strong> wir wissen sogar noch viel weniger als<br />
alle anderen!“<br />
„Wisst ihr was, lasst uns über was anderes reden!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
Obwohl vor allem Ted richtig eifrig schien, zu erraten, wer es herumerzählt<br />
hatte, gab er doch klein bei.<br />
Sie gingen die letzten Schritte auf <strong>das</strong> Klassenzimmer zu, in dem<br />
Zaubereigeschichte stattfinden würde. Es war noch leer, bis auf ein<br />
paar Schülerinnen, die die vier nicht kannten. Diese blickten nicht<br />
auf, als sie die Tür hinter sich wieder schlossen <strong>und</strong> auch nicht, als<br />
sie sich zwei Reihen hinter den eifrig diskutierenden Mädchen niederließen.<br />
<strong>Dora</strong> wollte es gerade ihrer Schwester nachmachen, die ihr Geschichtsbuch<br />
aus der Tasche holte <strong>und</strong> auf den Tisch legte, als sie<br />
plötzlich aufhorchte, als sie den Namen ihres Dads hörte.<br />
„Meine Schwester hat erzählt, <strong>das</strong>s er der größte Angeber der ganzen<br />
Schule war <strong>und</strong> immer alles nach seinem Kopf gelaufen ist!<br />
186
Würde mich nicht w<strong>und</strong>ern, wenn seine Kinder genauso sind!“, sagte<br />
Sarah Parkinson.<br />
Erst jetzt erkannte <strong>Dora</strong> <strong>das</strong> Mädchen, <strong>das</strong> Hagrid am ersten Schultag<br />
nicht hatte gehorchen wollen. Sie schaute von dem Knäuel von<br />
Slytherins weg, hinüber zu ihrer Schwester, doch diese schien noch<br />
nichts gehört zu haben. <strong>Dora</strong> kannte <strong>Lily</strong> so gut, <strong>das</strong>s sie wusste,<br />
<strong>das</strong>s sie dieses Gerede der Mädchen nicht einfach so ignoriert hätte,<br />
wenn sie ohnehin schon so sauer war. Deshalb begann sie, sie in ein<br />
Gespräch über die mögliche erste Unterrichtsst<strong>und</strong>e in Zaubereigeschichte<br />
zu verwickeln, was auch ziemlich gut klappte. Sie merkte<br />
auch weiterhin nichts von dem Gerede über ihren Dad, zwei Reihen<br />
vor ihnen. <strong>Dora</strong> versuchte angestrengt, wegzuhören, doch ab <strong>und</strong> zu<br />
war es nicht zu vermeiden, <strong>das</strong>s sie ein oder zwei Sätze hörte. Die<br />
Slytherins schienen wirklich kein gutes Haar am Vater der Zwillinge<br />
lassen zu wollen.<br />
Doch allmählich wurden ihre Stimmen übertönt von dem aufgeregten<br />
Geschnatter anderer Gryffindors <strong>und</strong> Slytherins, die langsam den<br />
Raum füllten. Schon kurz nachdem alle Stühle besetzt waren, tauchte<br />
zwischen den Schülern ein Geist auf.<br />
Einige schauten ihn erstaunt an <strong>und</strong> fragten andere, was er da<br />
machte. Nur einige wenige, darunter die Zwillinge, wussten, <strong>das</strong>s<br />
dies der Lehrer in diesem Fach war.<br />
Er war ziemlich klein <strong>und</strong> r<strong>und</strong>lich <strong>und</strong> schaute starr geradeaus,<br />
um ja keinem Schüler direkt in die Augen zu sehen. Auch war er der<br />
erste Mensch oder besser gesagt Geist in diesem Schloss, dem die<br />
Zwillinge egal zu sein schienen.<br />
Nachdem er vollkommen durch den Boden in die Klasse gekommen<br />
war, schwebte er nach vorne <strong>und</strong> blieb vor der Tafel stehen <strong>und</strong><br />
drehte sich zur Klasse um, seinen Blick auf einen Punkt in der Luft<br />
geheftet.<br />
„Cuthbert Binns lautet mein Name <strong>und</strong> Zaubereigeschichte ist<br />
mein Spezialgebiet. Wir beginnen dieses Jahr mit dem Beginn der<br />
Zauberei. Es wird um Kriege zwischen Zwergen <strong>und</strong> Kobolden, aber<br />
187
auch um berühmte Zauberer wie Merlin gehen. Was ihr euch nicht<br />
merken könnt, notiert ihr euch bitte.“<br />
S<strong>of</strong>ort nahmen alle eine leere Rolle Pergament <strong>und</strong> eine Feder zur<br />
Hand. <strong>Lily</strong>, die zum ersten Mal eine solche in der Hand hatte, drehte<br />
sie umständlich hin <strong>und</strong> her, tauchte sie in die Tinte <strong>und</strong> als sie probieren<br />
wollte, wie man damit schreiben konnte, bildete sich s<strong>of</strong>ort<br />
ein riesiger Tintenfleck auf dem Blatt. Sie atmete genervt tief durch,<br />
schmiss die Feder zurück in die Schultasche <strong>und</strong> zog einen Kugelschreiber<br />
heraus. Mit diesem machte sie einen Strich auf dem Blatt<br />
<strong>und</strong> nickte dann zufrieden.<br />
Ted, der links von ihr saß, schielte misstrauisch nach rechts. Vermutlich<br />
kannte er auch keine Kugelschreiber.<br />
„Willst du nicht auch versuchen, mit der Feder zu schreiben? Ich<br />
weiß nicht, ob <strong>das</strong> die Lehrer hier durchgehen lassen!“, flüsterte <strong>Dora</strong><br />
ihrer Schwester zu.<br />
Diese zuckte nur mit den Schultern.<br />
„Anderen würden sie es wohl auch nicht durchgehen lassen, gleich<br />
in der ersten Schulst<strong>und</strong>e ums Schloss zu fliegen, oder?“, antwortete<br />
sie.<br />
Noch während <strong>Lily</strong> diesen Satz beendete, begann Pr<strong>of</strong>essor Binns<br />
zu sprechen. <strong>Dora</strong> traute ihren Ohren kaum. Als er ihnen erklärt hatte,<br />
was sie dieses Jahr erwarten würde, hatte er nicht so langweilig<br />
geklungen, wie Harry ihnen versprochen hatte, doch was er jetzt sagte,<br />
löste in den Köpfen der Zwillinge <strong>und</strong> wohl auch der anderen ein<br />
plötzliches Gefühl von Müdigkeit aus.<br />
„Zauberer gibt es, solang es menschliches Leben auf diesem Planeten<br />
gibt. Anfangs wussten die Urzeitzauberer nicht, <strong>das</strong>s sie es waren,<br />
die Dinge geschehen ließen, die sie sich nicht erklären konnten,<br />
genau wie die Kinder von Muggeln noch heutzutage. Eine ihrer ersten<br />
Errungenschaften war <strong>das</strong> Feuer, von dem Muggel erst später in<br />
der Lage waren, es zu entzünden…“<br />
Die Sätze kamen eintönig aus dem <strong>durchsichtige</strong>n M<strong>und</strong>. Der<br />
Geist machte keine Pausen <strong>und</strong> keine Absätze in seinem Text. In den<br />
188
vielen Jahren, in denen er dieses Fach unterrichtet hatte, musste er<br />
alles auswendig gelernt haben. Hinter ihm schrieb eine weiße Kreide<br />
die wichtigsten Stichworte von selbst an die Tafel.<br />
Genau wie Harry gesagt hatte, war es die ersten paar Minuten noch<br />
erträglich, der Kreide durch den Körper des Pr<strong>of</strong>essors zuzuschauen<br />
<strong>und</strong> gelegentlich eine kleine oder in <strong>Dora</strong>s Fall eher krakelige Notiz<br />
auf <strong>das</strong> Pergament zu schreiben, doch allmählich hatten sowohl sie<br />
als auch <strong>Lily</strong> <strong>das</strong> Gefühl, jedes Wort aufzuschreiben, da sie kein<br />
Wort im Kopf behielten. Verbissen lauschte <strong>Lily</strong> dem Geleier des<br />
Pr<strong>of</strong>essors <strong>und</strong> versuchte, wenigstens ein bisschen aufzuschreiben,<br />
doch schließlich schmiss sie den Kugelschreiber auf den Tisch <strong>und</strong><br />
lehnte sich zurück, in der H<strong>of</strong>fnung, <strong>das</strong>s sie dann alles von <strong>Dora</strong><br />
abschreiben konnte, doch diese schaffte es, dank ihrer Feder, noch<br />
weniger aufzuschreiben <strong>und</strong> gab es schließlich auf.<br />
„Nein, <strong>Dora</strong>, wenn du aufhörst, von wem soll ich dann abschreiben?“,<br />
fragte sie.<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit den Schultern <strong>und</strong> blickte sich um. Einige ganz<br />
eifrige, starrten noch immer auf ihr Blatt, doch die meisten Schüler<br />
hatten sich schon nach diesen wenigen Minuten zurückgelehnt <strong>und</strong><br />
starrten gelangweilt in die Luft.<br />
Sie ließ ihren Blick durch den Raum schweifen <strong>und</strong> ihn auf Scott<br />
<strong>und</strong> Ted ruhen. Diese beiden waren dann wohl die Einzigen, von denen<br />
sie abschreiben konnten, doch auch sie machten keinen besonders<br />
guten Eindruck. Scott klebte mit seiner Nase fast am Pergament<br />
<strong>und</strong> setzte ziemlich <strong>of</strong>t zum Schreiben von irgendetwas an, doch ebenso<br />
schnell strich er alles wieder durch. Er schüttelte alle paar Sek<strong>und</strong>en<br />
den Kopf. Ted hingegen schaukelte mit seinem Stuhl, hatte<br />
seine Hände hinter dem Kopf verschränkt <strong>und</strong> die Augen geschlossen.<br />
Auf seinen Lippen hatte er ein breites Grinsen.<br />
„Keine Ahnung!“, antwortete <strong>Dora</strong> auf die Frage ihrer Schwester.<br />
„Aber wir haben sicher auch hier Tests <strong>und</strong> Schularbeiten <strong>und</strong> was<br />
machen wir dann?“, fragte sie.<br />
„Weiß ich auch nicht!“<br />
189
„Kassettenrekorder oder Mikr<strong>of</strong>one funktionieren hier sicher auch<br />
nicht, oder?“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Verdammt, nicht mal als Schlaflied aufnehmen können wir dieses<br />
Gejaule!“<br />
Obwohl in der Zwischenzeit ein ziemlicher Lärmpegel in der Klasse<br />
aufgekommen war <strong>und</strong> sich auch die Letzten zurückgelehnt hatten,<br />
redete Pr<strong>of</strong>essor Binns unbeirrt weiter.<br />
„Was habt ihr alle?“, fragte Ted plötzlich, öffnete seine Augen <strong>und</strong><br />
gähnte herzhaft.<br />
„Wir machen uns Sorgen“, schnauzte <strong>Lily</strong> ihn an, „<strong>das</strong>s wir unsere<br />
Prüfungen hier verhauen <strong>und</strong> <strong>das</strong> sollte du auch! Du versuchst ja<br />
noch nicht mal zuzuhören!“<br />
Ted begann nur, noch breiter zu grinsen, so als hätte er nur darauf<br />
gewartet, <strong>das</strong>s ihm vorgeworfen wurde, er würde nicht aufpassen.<br />
„Wenn du im Haus der Weasleys wohnst, brauchst du auch nicht<br />
aufzupassen!“, sagte er <strong>und</strong> deutete mit seinem Daumen über seine<br />
Schulter.<br />
<strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott blickten auf den Punkt am Boden, auf den<br />
Ted zeigte <strong>und</strong> dort sahen sie eine große Rolle Pergament <strong>und</strong> eine<br />
Feder, die in etwa <strong>das</strong> Gleiche machte, wie die Kreide an der Tafel,<br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong> gelbliche Papier von alleine voll schrieb. Allerdings schien<br />
sie sogar ganze Sätze <strong>und</strong> nicht nur Stichwörter zu schreiben.<br />
„Aber niemandem verraten, die sind noch in der Testphase.<br />
Manchmal machen sie Rechtschreibfehler, aber vom Sinn her erfassen<br />
sie die Texte die sie hören richtig <strong>und</strong> fassen sie auch gleich auf<br />
<strong>das</strong> Wichtigste zusammen. George besitzt da so einen Scherzartikelladen<br />
<strong>und</strong> die sollen der Kracher werden, da sind sich er <strong>und</strong> Lee sicher!“<br />
<strong>Lily</strong> blickte einen Moment lang stumm auf die Feder, dann schaute<br />
sie Ted an, ihr Gesicht funkelnd vor Zorn.<br />
„Und warum sagst du <strong>das</strong> nicht gleich? Wir haben noch versucht<br />
hier aufzupassen <strong>und</strong> dabei waren die ganzen Minuten umsonst?“<br />
190
„Psst, leiser!“, zischte <strong>Dora</strong>.<br />
Alle außer Pr<strong>of</strong>essor Binns hatten sich umgedreht <strong>und</strong> starrten <strong>Lily</strong><br />
an. Diese sah sich um, verschränkte die Arme vor der Brust <strong>und</strong><br />
lehnte sich wieder zurück.<br />
„Na ja, war ganz lustig euch zuzusehen. Überhaupt dir mit deinem<br />
komischen Ding da! Wo kommt denn da eigentlich die Tinte rein?“<br />
Er zeigte auf den Kugelschreiber, der noch immer am Tisch lag.<br />
„Das ist ein Kugelschreiber <strong>und</strong> Federn zum Schreiben sind ja so<br />
was von veraltet!“, fauchte <strong>Lily</strong>, ohne ihn eines Blickes zu würdigen.<br />
„Jetzt komm schon, ich schenk dir dafür auch eine von diesen<br />
Dingern!“<br />
Wieder zeigte er nach hinten, wo die Feder noch immer unablässig<br />
über <strong>das</strong> Papier wanderte. <strong>Lily</strong> beäugte ihn einen Moment lang misstrauisch,<br />
doch als er eine weitere Feder aus dem Rucksack holte,<br />
welche genau gleich aussah, allerdings grün statt blau war, erhellte<br />
sich ihr Gesicht schlagartig.<br />
„Wenn <strong>das</strong> so ist…“, sagte sie <strong>und</strong> nahm <strong>das</strong> Geschenk an sich.<br />
„Danke!“<br />
Sie wollte gerade die Kappe von der Spitze der Feder ziehen, als<br />
Ted sie zurückhielt.<br />
„Nein, die sollen noch geheim bleiben. Leg dein Blatt auf den Boden,<br />
dann kannst du sie verwenden!“, sagte er. „Ihr anderen beiden<br />
kriegt auch eine. Ich frag mal nach, wann George <strong>und</strong> Lee wieder<br />
welche fertig haben. Mir geben sie nämlich immer die Sachen zum<br />
Testen, aber im Moment habe ich nur diese zwei!“<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott nickten.<br />
„Wer sind George <strong>und</strong> Lee?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Noch immer hatte sie Teds Satz von vorhin im Kopf. Er hatte gesagt,<br />
<strong>das</strong>s man nicht aufpassen musste, wenn man bei den Weasleys<br />
wohnte. Dann mussten die beiden also etwas mit ihren Großeltern zu<br />
tun haben.<br />
191
„Wie soll ich <strong>das</strong> erklären?“, fragte Ted. „Ach ja. George muss<br />
dann wohl euer Onkel sein… Und Lee ist sein bester Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
Geschäftspartner. Sie leiten ‚Weasleys Zauberhafte Zauberscherze’.“<br />
„Das Geschäft in der Winkelgasse?“, fragte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> erinnerte<br />
sich daran, wie sie einkaufen gewesen waren <strong>und</strong> keine Zeit mehr für<br />
dieses Geschäft gehabt hatten.<br />
„Ja, genau <strong>das</strong>“, antwortete Ted. „Allerdings müsstet ihr schon<br />
Glück haben, George oder Lee dort zu treffen. Sie reisen in der ganzen<br />
Welt umher, denn inzwischen ist ‚Weasleys Zauberhafte Zauberscherze’<br />
auf der ganzen Welt zu finden. In China, in Frankreich, in<br />
Amerika <strong>und</strong> in vielen anderen Ländern.“<br />
„Wow“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Wir scheinen echt bekannte Verwandte<br />
zu haben <strong>und</strong> ziemlich gut zaubern müssen die auch können!“<br />
Sie blickte bew<strong>und</strong>ernd hinab auf den Boden, wo sich nun schon<br />
zwei Federn einen Wettkampf lieferten.<br />
„Ja, <strong>und</strong> weißt du, was <strong>das</strong> Beste an denen da ist?“, fragte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Wenn Binns uns heute aufgibt, einen Aufsatz über die Anfänge<br />
der Zauberei zu schreiben, dann kannst du ihm gleich diese Mitschrift<br />
hier abgeben, denn jede Feder schreibt unterschiedliche Zusammenfassungen<br />
von dem, was gesagt wird. Auf Fehler solltest du<br />
den Text noch überprüfen, aber sonst ist er perfekt. Das sagt zumindest<br />
George!“, meinte Ted.<br />
„Aber trotzdem hättest du es gleich sagen können!“<br />
Ted grinste <strong>und</strong> lehnte sich wieder zurück <strong>und</strong> schloss die Augen.<br />
Leise begann er irgendein Lied zu summen. Die anderen drei schüttelten<br />
ihre Köpfe, machten es ihm dann aber nach <strong>und</strong> am Ende der<br />
St<strong>und</strong>e kamen sie w<strong>und</strong>erbar erholt aus dem Klassenzimmer, während<br />
viele andere sich die Augen rieben oder gähnten. Tatsächlich<br />
hatte ihnen Pr<strong>of</strong>essor Binns ganz zum Ende der St<strong>und</strong>e aufgetragen,<br />
<strong>das</strong>s sie eineinhalb Rollen Pergament über die Anfänge der Zauberei<br />
schreiben sollen. <strong>Lily</strong> hatte nun sogar zweieinhalb <strong>und</strong> Ted über drei.<br />
192
Sie wollten gerade eine Treppe betreten, als <strong>Dora</strong> Peeves um eine<br />
Ecke biegen sah. Sein Gesicht wirkte seltsam griesgrämig. Mit gesenktem<br />
Kopf schwebte er auf die Zwillinge, Ted <strong>und</strong> Scott zu.<br />
<strong>Lily</strong> zog <strong>Dora</strong> hinter die Statue eines Zwerges, die in etwa die<br />
Größe von Hagrid hatte, um neuen Gesängen über sie <strong>und</strong> ihre Eltern<br />
zu entgehen, doch Peeves machte nicht den Anschein, als hätte er<br />
wieder losgebrüllt. Er schwebte einfach so durch die Menge der<br />
Schüler hindurch, an der Statue vorbei <strong>und</strong> alle mussten ihm aus dem<br />
Weg gehen, da er nicht einmal aufblickte.<br />
Erleichtert machten sie sich wieder auf den Weg nach unten zu den<br />
Kerkern, wo Zaubertränke stattfinden sollte. Scott schien ziemlich<br />
aufgeregt. Immerhin war dies die erste St<strong>und</strong>e, die sein Vater unterrichten<br />
würde.<br />
Als sie in den Kerker eintraten, blendete sie erstmal <strong>das</strong> Licht. Pr<strong>of</strong>essor<br />
Mason war gerade dabei, auch noch die letzten Fackeln an den<br />
Wänden zwischen den zahlreichen Fenstern anzuzünden <strong>und</strong> auf der<br />
Decke schien derselbe Zauber zu liegen, wie auf der der großen Halle,<br />
nur mit dem Unterschied, <strong>das</strong>s hier die Sonne schien <strong>und</strong> in der<br />
Halle an diesem Tag nicht. Durch die Fenster, von denen sich <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sicher waren, <strong>das</strong>s sie da eigentlich nicht sein konnten,<br />
weil sie mitten im Schloss waren, konnte man strahlend blauen<br />
Himmel sehen, auf den sich hie <strong>und</strong> da eine kleine Wolke verirrte.<br />
Es war, als wären sie auf dem höchsten <strong>und</strong> sonnigsten Turm des<br />
Schlosses, obwohl sie ganz sicher unten in den Kerkern waren.<br />
„Haltet mir einen Platz frei!“, sagte Scott <strong>und</strong> ging danach auf seinen<br />
Vater zu, welcher ihn freudig begrüßte <strong>und</strong> einige Worte mit<br />
ihm redete. Die Ähnlichkeit war deutlich zu erkennen. Sein Dad hatte<br />
ebenso strohblonde Haare, die er ordentlich zurückgekämmt hatte,<br />
<strong>und</strong> er war mit Sicherheit noch nicht über dreißig Jahre alt.<br />
Währenddessen suchten sich die anderen drei einen Platz, wie gewohnt<br />
ganz hinten im Klassenzimmer. Die ersten beiden Zaubertrankst<strong>und</strong>en<br />
verbrachten sie damit, einen Trank zu mischen, dessen<br />
193
Wirkung es sein sollte, die Hautfarbe eines jeden, der ihn trank, in<br />
ein mittleres Braun zu verwandeln.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Mason ging von einem Kessel zum anderen <strong>und</strong> gab<br />
Tipps, wie sie ihre Tränke verbessern konnten <strong>und</strong> nach eineinhalb<br />
St<strong>und</strong>en mussten sie dann selbst einen kleinen Schluck nehmen, um<br />
zu testen, ob sie alles richtig gemacht hatten. Während Scott giftgrün<br />
<strong>und</strong> Ted strahlendrot wurde, schafften es <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> zumindest<br />
ein bisschen näher an die Farbe braun heran. Beide wurden pechschwarz.<br />
Ihr Können beim Ausführen verschiedener Hexerein schien ihnen<br />
beim genauen Mischen von Zutaten nicht wirklich zu helfen, denn<br />
bis jetzt fanden sie dieses Fach am anstrengendsten <strong>und</strong> es war <strong>das</strong><br />
Einzige, in dem sie nicht s<strong>of</strong>ort die Besten waren. Ein paar andere<br />
schafften es auf dunkle Brauntöne.<br />
Jason Kirke, dessen Hautfarbe von vorn herein halbschwarz war,<br />
ging am Ende der St<strong>und</strong>e mit der besten Wertung aus dem Raum,<br />
obwohl sein Trank ganz anders aussah, als er sollte. Er war sogar<br />
noch viel schlimmer als der von <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>. Doch jedes Mal<br />
wenn Pr<strong>of</strong>essor Mason an ihm vorbeikam, beugte er sich so tief über<br />
seinen Kessel, damit er den misslungenen Trank nicht sehen konnte<br />
<strong>und</strong> als er ihn kosten sollte, beobachtete <strong>Lily</strong> ihn dabei, wie er <strong>das</strong><br />
kleine Glasfläschchen unbemerkt wieder zurückkippte, anstatt es zu<br />
trinken. Pr<strong>of</strong>essor Mason schien zu denken, <strong>das</strong>s sein Trank so gut<br />
war <strong>und</strong> er genau <strong>das</strong> richtige Braun erwischt hatte <strong>und</strong> somit bekam<br />
er alle Punkte.<br />
„Wir hätten uns in eine Katze verwandeln sollen, nachdem wir dieses<br />
Zeug hier getrunken haben“, flüsterte <strong>Lily</strong> zu der immer noch<br />
schwarzen <strong>Dora</strong>. „Ich frage mich, wie viele Punkte er uns dann gegeben<br />
hätte!“<br />
Als wenige Minuten später alle wieder ihre ursprüngliche Hautfarbe<br />
zurückhatten, durften sie zum Mittagessen gehen. Widerwillig<br />
gaben auch <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ihrem knurrenden Magen nach, obwohl<br />
194
sie sich schöneres vorstellen konnten, als in die überfüllte Halle mit<br />
den vielen Schaulustigen zu kommen.<br />
„Und <strong>das</strong> Beste daran ist, <strong>das</strong>s ihr beide diesmal nicht die Besten<br />
wart!“, sagte Ted, als sie in die Halle kamen. „Aber ihr werdet schon<br />
noch sehen! Wenn wir erstmal in Verwandlung damit beginnen, uns<br />
selbst zu verwandeln, oder Teile von uns, dann übertreffe ich euch<br />
um Längen!“<br />
„Man kann nicht alles haben!“, antwortete <strong>Lily</strong>, während sie durch<br />
die Tür traten <strong>und</strong> auf ihren Tisch zugingen.<br />
Wenn Ted wüsste, <strong>das</strong>s sie sich in Tiere verwandeln konnte…<br />
„Aber <strong>das</strong> hier könnt ihr haben!“<br />
Die vier blickten sich um <strong>und</strong> sahen Pr<strong>of</strong>essor Granger auf sich<br />
zukommen. Sie trug eine große Schachtel in ihren Händen, welche<br />
sie <strong>Lily</strong> in die Hand drückte.<br />
„Viele Briefe!“, antwortete sie. „Ich h<strong>of</strong>fe, ihr seid mir nicht böse,<br />
<strong>das</strong>s ich sie abfange, bevor sie zu euch kommen, aber es ist mir lieber,<br />
wenn ich sie überprüfe, denn nicht jeder mochte eure Eltern.<br />
Versteht ihr?“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickten.<br />
„Und der hier dürfte euch interessieren. Ich habe ihn nicht gelesen,<br />
aber er ist von der Person mit dem Umhang <strong>und</strong> der Karte!“<br />
Sie zog einen weiteren Umschlag aus ihrem Umhang hervor <strong>und</strong><br />
legte ihn oben auf die Schachtel.<br />
„Den Rest lasse ich euch am Abend bringen <strong>und</strong> wenn noch mehr<br />
kommen, dann bekommt ihr die natürlich auch!“<br />
Schon jetzt waren sich <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sicher, <strong>das</strong>s sie nicht einen<br />
der Briefe lesen würden. Nachdem Pr<strong>of</strong>essor Granger gesagt hatte,<br />
<strong>das</strong>s nicht alle ihre Eltern mochten, waren sich die beiden sicher,<br />
<strong>das</strong>s sie von Lesern des Tagespropheten waren <strong>und</strong> nach den neugierigen<br />
Schülern waren sie wirklich alles andere als an dem Inhalt dieser<br />
Briefe interessiert. Doch sie nickten ihrer Lehrerin zu, welche<br />
sich gleich darauf auf den Weg zum Lehrertisch machte.<br />
195
<strong>Lily</strong> stellte die Schachtel neben sich auf den Boden, als sie sich an<br />
den Tisch setzten. Wieder wurden die beiden von allen Seiten begrüßt<br />
<strong>und</strong> angestarrt. Sie versuchten so gut wie möglich alle anderen<br />
zu ignorieren <strong>und</strong> noch bevor sie sich von dem köstlichen Essen<br />
nahmen, <strong>das</strong> ihnen geboten wurde, öffnete <strong>Lily</strong> den Briefumschlag<br />
des Unbekannten <strong>und</strong> zog <strong>das</strong> zusammengefaltete Blatt heraus. Die<br />
Mädchen begannen die paar Zeilen zu lesen.<br />
Hallo <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>!<br />
Es ist also an die Öffentlichkeit gekommen, wer euer<br />
Dad <strong>und</strong> eure Mum sind. Es tut mir leid, ich wollte <strong>das</strong><br />
nicht.<br />
Es wäre besser gewesen, wenn ihr es selbst nie erfahren<br />
hättet, aber jetzt ist es zu spät. Ich werde mein Bestes<br />
geben, damit euch beiden nichts passiert.<br />
Bitte tut mir den Gefallen <strong>und</strong> behaltet diese Eule. Ich<br />
habe ihr aufgetragen, s<strong>of</strong>ort in die Eulerei zu fliegen,<br />
wenn sie euch den Brief überbracht hat. Keine Sorge,<br />
auch wenn ihr euch nicht gemerkt habt, wie sie aussieht,<br />
wird sie euch erkennen!<br />
Wenn euch irgendetwas seltsam vorkommt oder euch<br />
irgendjemand etwas Böses will, dann schickt sie zurück<br />
zu mir. Sie wird den Weg finden!<br />
Haltet diesen Brief wieder geheim, ich bitte euch!<br />
Und passt auf euch auf!<br />
<strong>Lily</strong> wartete, bis <strong>Dora</strong> den Brief ebenfalls fertig gelesen hatte. Diese<br />
schaute sie nur verwirrt an <strong>und</strong> zuckte mit ihren Schultern. Danach<br />
schmiss <strong>Lily</strong> den Brief auf die Schachtel <strong>und</strong> die beiden begannen zu<br />
essen.<br />
196
197<br />
Weasleys Zauberhafte Tagträume<br />
Die nächsten paar Wochen vergingen nur schleichend. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
kannten plötzlich Schüler, von denen sie gar nicht glaubten, sie<br />
schon irgendwo einmal gesehen zu haben, doch jeder wollte mit ihnen<br />
sprechen <strong>und</strong> wenn möglich sogar mit ihnen befre<strong>und</strong>et sein.<br />
Im Gemeinschaftsraum <strong>und</strong> in der großen Halle wurden ihnen<br />
Plätze von Leuten freigehalten, von denen sie nur wenige vom Sehen<br />
her kannten <strong>und</strong> plötzlich war es ganz einfach, Bekanntschaften zu<br />
knüpfen.<br />
Unter normalen Umständen, so dachte <strong>Lily</strong>, wäre <strong>das</strong> sicher eine<br />
mehr als positive Entwicklung gewesen, doch in dieser Situation<br />
wünschte sie sich nur, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Auf<br />
einmal von allen erkannt zu werden, nur weil ihr Dad berühmt gewesen<br />
war, gefiel ihr nicht. Vor allem, weil dieser, da waren sich die<br />
Zwillinge ganz sicher, zumindest entfernt wegen seines Sieges über<br />
Voldemort schließlich getötet worden war.<br />
Nicht alle hatten ihn gemocht, <strong>das</strong> hatte Pr<strong>of</strong>essor Granger ihnen ja<br />
gesagt, <strong>und</strong> welchen anderen Gr<strong>und</strong> hätte es geben können, <strong>das</strong>s jemand<br />
ihn ermordet hatte? Ein Anhänger Voldemorts musste etwas<br />
damit zu tun gehabt haben.<br />
Harry Potter hatte also nach Meinung der Zwillinge für seine berühmteste<br />
Tat schwer bezahlen müssen, nämlich mit seinem Leben.<br />
Sie versuchten, nicht <strong>of</strong>t darüber zu sprechen, aber manchmal ließ es<br />
sich nicht vermeiden. Es gab einfach zu viele Fragen, von denen sie<br />
sich wünschten, nur eine davon beantworten zu können.<br />
„Ted, warum trinkst du eigentlich immer dieses Zeug?“, fragte <strong>Lily</strong><br />
eines Morgens beim Frühstück in der großen Halle.<br />
Wie immer hatten die beiden alle Angebote anderer abgeschlagen<br />
<strong>und</strong> sich am Ende wieder zu Scott <strong>und</strong> Ted gesetzt. Schon von Anfang<br />
an hatte <strong>Lily</strong> Ted beobachtet, wie er aus einer Glasflasche, die<br />
er in seiner Schultasche umherschleppte, trank. Noch nie hatte sie<br />
ihn etwas vom Tisch trinken sehen.
„Was?“, fragte er <strong>und</strong> stellte seine Flasche neben sich auf den<br />
Tisch.<br />
<strong>Lily</strong> deutete darauf.<br />
„Ach, <strong>das</strong> schmeckt einfach besser“, meinte er. „Und außerdem<br />
vertrag ich dieses Kürbiszeugs da nicht!“<br />
Sie zog die Augenbrauen hoch <strong>und</strong> nahm einen Schluck von ihrem<br />
Kürbissaft. Ihrer Meinung nach schmeckte er sogar sehr gut. Besser<br />
als alle Getränke, die sie zu Hause im Ligusterweg zu trinken bekamen.<br />
Vielleicht lag <strong>das</strong> aber auch nur daran, <strong>das</strong>s unterwegs <strong>das</strong> Essen<br />
immer besser schmeckt…<br />
Plötzlich kam ein Schwall Eulen durch eines der Fenster der Halle.<br />
Da Pr<strong>of</strong>essor Granger darauf achtete, <strong>das</strong>s sie sämtliche Post für <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> abfing, blickten die beiden gar nicht auf. Sie wussten genau,<br />
<strong>das</strong>s sie heute Abend, wie jeden anderen Tag, eine volle<br />
Schachtel mit Briefen bekommen würden. Doch plötzlich landete<br />
eine Eule genau vor ihnen <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> konnte gerade noch eine Schale<br />
mit Brötchen beiseite schieben, so<strong>das</strong>s die Eule nicht darauf landete.<br />
Sie streckte <strong>Lily</strong> ihren Fuß hin, so<strong>das</strong>s diese <strong>das</strong> kleine Paket, <strong>das</strong><br />
daran geb<strong>und</strong>en war, abnehmen konnte. Schon Sek<strong>und</strong>en später war<br />
der Vogel wieder mit schweren Flügelschlägen davongeflogen.<br />
<strong>Dora</strong> fasste hinüber zu dem Paket <strong>und</strong> riss den Brief ab, der mit<br />
Klebeband daran befestigt war. In großen bunten Lettern stand darauf<br />
geschrieben ‚Weasleys Zauberhafte Zauberscherze’ <strong>und</strong> darunter<br />
standen unverkennbar die Namen der Zwillinge <strong>und</strong> der Hinweis,<br />
<strong>das</strong>s sie sich in der großen Halle der Hogwarts-Schule für Hexerei<br />
<strong>und</strong> Zauberei befanden.<br />
„Ah, George war gerade noch rechtzeitig“, sagte Ted, der ebenfalls<br />
ein ähnliches Paket erhalten hatte. „Das müssen die beiden Federn<br />
sein, um die ich ihn gebeten habe!“<br />
Dann schaute er zu den Zwillingen.<br />
„Ach, er hat euch auch etwas geschickt? Hätte ich mir denken<br />
können. Hab' ihm nämlich erzählt, <strong>das</strong>s ihr begeistert von seiner Feder<br />
seid <strong>und</strong> natürlich wurde ihm schon gesagt, wer ihr seid.“<br />
198
Während <strong>Dora</strong> den Brief auseinanderfaltete, machte <strong>Lily</strong> sich<br />
schon am Geschenkpapier der Schachtel zu schaffen. Doch bevor sie<br />
es völlig abgestreift hatte, tupfte <strong>Dora</strong> sie an <strong>und</strong> die beiden begannen<br />
den Brief zu lesen.<br />
199<br />
Liebe <strong>Lily</strong>, liebe <strong>Dora</strong>!<br />
Ich war sehr erfreut als meine Mum, also eure<br />
Großmutter, mir von euch erzählt hat. Ich freue mich<br />
darauf, euch zu Weihnachten kennen zu lernen <strong>und</strong> es tut<br />
mir leid, <strong>das</strong>s ich euch nicht schon früher geschrieben<br />
habe, aber es gab eine kleine Auseinandersetzung<br />
zwischen eurer Großmutter <strong>und</strong> mir. Sie war nämlich der<br />
Meinung, <strong>das</strong>s ich euch diese kleine Aufmerksamkeit<br />
nicht schicken darf. Sie meinte, <strong>das</strong>s ich euch nicht auch<br />
noch auf dumme Gedanken bringen soll. Deshalb bitte<br />
ich euch, die Sachen im Paket niemals vor ihr zu<br />
erwähnen.<br />
Trotzdem bin ich mir sicher, <strong>das</strong>s ihr sie weise benutzen<br />
werdet, zum Beispiel, um in Zaubereigeschichte besser<br />
schlafen <strong>und</strong> trotzdem mitschreiben zu können oder um<br />
eine Prüfung zu verpassen, von der ihr sowieso sicher<br />
seid, sie nicht bestehen zu können. Ihr seht also, diese<br />
Dinge sind nur für gute Zwecke geeignet. Ted wird euch<br />
<strong>das</strong> bestätigen können.<br />
Wenn ihr mit etwas besonders zufrieden seid oder etwas<br />
nicht funktioniert, dann teilt mir <strong>das</strong> bitte mit. Viele<br />
Sachen davon sind nämlich noch in der<br />
Entwicklungsphase.<br />
Ich wünschte euch noch viel Spaß in der Schule <strong>und</strong>,<br />
wenn ihr Nachschub von irgendetwas braucht, dann lasst<br />
mich <strong>das</strong> wissen. Und nicht vergessen: In Gegenwart<br />
eurer Großmutter ist diese Sache streng vertraulich zu<br />
behandeln.
Ich kann es gar nicht mehr erwarten, bis endlich<br />
Weihnachten ist <strong>und</strong> ich euch endlich kennen lernen<br />
kann.<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />
George Weasley<br />
„Nett von ihm, neue Familienmitglieder so zu begrüßen, oder?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja, ziemlich nett“, nickte <strong>Dora</strong>. „Packen wir <strong>das</strong> gleich aus?“<br />
Schon bevor sie diesen Satz beendet hatte, hatte <strong>Lily</strong> schon damit<br />
begonnen, <strong>das</strong> Papier endgültig abzureißen <strong>und</strong> den Inhalt der kleinen<br />
Pappschachtel auf den Tisch zu kippen. Alles in allem konnten<br />
sie lauter bunte Verpackungen erkennen.<br />
Ted beugte sich herüber <strong>und</strong> betrachtete die Geschenke, die die<br />
Zwillinge von George bekommen hatten. Dann blickte er auf <strong>und</strong><br />
überreichte sowohl Scott als auch <strong>Dora</strong> eine Feder in einer <strong>durchsichtige</strong>n<br />
Plastikverpackung. Scott bekam eine in der Farbe gelb <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> eine in rot.<br />
„Was ist <strong>das</strong>?“, fragte <strong>Lily</strong>, als <strong>Dora</strong> gerade ihre Feder entgegen<br />
nahm.<br />
Sie hielt eine <strong>durchsichtige</strong> Verpackung mit allerhand bunten Süßigkeiten<br />
in die Höhe. Ted betrachtete sie <strong>und</strong> runzelte die Stirn.<br />
„George denkt wohl auch nicht mit. Er hätte euch wenigstens einen<br />
Zettel mitschicken können, auf dem steht, w<strong>of</strong>ür diese Süßigkeiten<br />
zuständig sind. Aber okay, die meisten hier drinnen wissen es sowieso<br />
auswendig <strong>und</strong> er dachte wohl, <strong>das</strong>s ich es euch sowieso erkläre“,<br />
meinte er. „Also <strong>das</strong> ist der Klassiker schlecht hin im Geschäft von<br />
George. Man nennt sie ‚Nasch- <strong>und</strong> Schwänzleckereien’. Es gibt sie<br />
in verschiedenen Sorten. Meine Lieblingssorte ist <strong>das</strong> Nasblutnougart.<br />
Das tut am wenigsten weh. Wenn ihr eine Seite davon esst,<br />
dann bekommt ihr furchtbares Nasenbluten <strong>und</strong> ihr könnt sagen, ihr<br />
wollt in den Krankenflügel. Wenn euch die Lehrer entlassen haben,<br />
dann schluckt ihr die nächste Hälfte <strong>und</strong> es verschwindet augenblick-<br />
200
lich. Der Tag gehört dann euch <strong>und</strong> ihr könnt machen, was ihr wollt.<br />
Es gibt auch noch Kotzpastillen <strong>und</strong> einiges anderes. Probiert es einfach<br />
mal aus!“<br />
<strong>Lily</strong> betrachtete anerkennend die Verpackung in ihren Händen <strong>und</strong><br />
drehte sie hin <strong>und</strong> her um die verschiedenen Süßigkeiten darin zu<br />
erkennen. Dann schmiss sie sie zurück in die Box.<br />
Währenddessen schnappte sich <strong>Lily</strong> eine bunte, dünne Kunstst<strong>of</strong>fverpackung.<br />
Es fühlte sich an, als würde sie nur ein wenig Staub oder<br />
Pulver enthalten. Auf der Rückseite las sie den Text, der umrahmt<br />
war von einem Muster aus Herzchen <strong>und</strong> Blümchen.<br />
201<br />
Ihr wollt mal so richtig abschalten können <strong>und</strong> noch<br />
dazu schön träumen? Dann habt ihr hier <strong>das</strong> richtige<br />
Mittel in Händen. Einfach die Verpackung aufreißen <strong>und</strong><br />
losträumen. Eure größten Wünsche erfüllen sich<br />
(natürlich nur im Traum). Die ideale Dosis für eine<br />
Schulst<strong>und</strong>e. Dauer genau eine dreiviertel St<strong>und</strong>e <strong>und</strong><br />
wenn der Lehrer euch etwas fragt, dann antwortet ihr<br />
mit Sicherheit richtig. Außerdem schreibt ihr wie durch<br />
Zauberhand von alleine <strong>das</strong> mit, was euch der Lehrer<br />
erzählt. Niemandem wird etwas auffallen <strong>und</strong> es werden<br />
die schönsten Schulst<strong>und</strong>en eures Lebens werden.<br />
Einzige Nebenwirkung: Anschließende Deprimiertheit,<br />
weil ihr bemerkt, <strong>das</strong>s sämtliche Träume nur im Schlaf<br />
zur Realität geworden sind.<br />
<strong>Dora</strong> drehte <strong>das</strong> Päckchen noch mal um <strong>und</strong> schaute ein paar Sek<strong>und</strong>en<br />
auf <strong>das</strong> blonde Mädchen auf der Vorderseite, <strong>das</strong> mit einem Lächeln<br />
auf den Lippen schrieb, während der Zauberer neben ihr, vermutlich<br />
ein Lehrer, unablässig stumme Worte von sich gab. Dann<br />
legte <strong>Dora</strong> es zurück auf den Stapel der anderen, gleichen Päckchen.<br />
Insgesamt fünf davon hatten sie bekommen.
Es waren noch mehr Sachen auf dem Tisch, doch sie waren nun<br />
ziemlich die letzten in der großen Halle <strong>und</strong> so packten sie alles zurück<br />
in die Schachtel <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> stopfte sie in ihren Rucksack, bevor<br />
sie sich auf den Weg zu Zaubereigeschichte machten.<br />
„Sag mal Ted, klappt <strong>das</strong> wirklich, was da auf den Päckchen gestanden<br />
hat? Ich meine, <strong>das</strong>s man alles von selbst mitschreibt, was<br />
der Lehrer sagt <strong>und</strong> alle Fragen richtig beantwortet, obwohl man überhaupt<br />
nichts davon mitkriegt, weil man eigentlich träumt?“<br />
Ted überlegte einen Moment lang. Er schien nicht so recht zu wissen,<br />
was <strong>Dora</strong> meinte, doch dann nickte er.<br />
„Du meinst die Tagträume? Oh ja, die klappen perfekt! Ich hab sie<br />
einmal daheim ausprobiert. Na ja, <strong>das</strong> ging in die Hose, weil ich alles<br />
aufgeschrieben habe, was die Leute um mich herum gesprochen<br />
haben. Aber immer wenn sie mich etwas gefragt haben, habe ich ihnen<br />
geantwortet… Also für Zaubereigeschichte genau <strong>das</strong> richtige,<br />
falls du darauf hinauswolltest!“<br />
„Na ja, ich weiß nicht“, antwortete <strong>Dora</strong>. „Was ist, wenn es dann<br />
doch nicht klappt <strong>und</strong> Binns etwas merkt?“<br />
Sie setzten sich gerade wieder an ihrem Stammplatz.<br />
„Ach komm schon. Binns ist <strong>das</strong> doch so was von egal. Wenn du<br />
laut zu schnarchen beginnst merkt er auch nichts!“, antwortete Ted.<br />
„Weißt du was? Ich hab auch noch ein paar davon übrig. Was haltet<br />
ihr davon, wenn wir uns abwechseln <strong>und</strong> jede St<strong>und</strong>e zwei von uns<br />
ins Land der Träume abtauchen <strong>und</strong> die anderen beiden aufpassen?<br />
Dann haben wir immer zweimal die komplette Mitschrift der St<strong>und</strong>e<br />
<strong>und</strong> viermal eine Zusammenfassung.“<br />
„Ich bin dabei!“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
Alle vier waren gerade dabei, ihre Federn hinter sich auf dem Boden<br />
zu platzieren, um sie vor den anderen zu verstecken <strong>und</strong> trotzdem<br />
an ihre Hausaufgaben zu kommen.<br />
„Also versuchen wir beide es heute?“, fragte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> auch die anderen beiden stimmten zu. Als Pr<strong>of</strong>essor<br />
Binns schließlich in die Klasse kam, diesmal durch die Decke<br />
202
von oben herab, vergrub <strong>Dora</strong> ihr Gesicht in ihren Händen auf dem<br />
Tisch, während sich Scott zurücklehnte <strong>und</strong> die Augen schloss. <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> Ted nahmen beide ein Päckchen heraus <strong>und</strong> öffneten es. S<strong>of</strong>ort<br />
kam eine kleine Wolke von silbernem Pulver heraus, welche eigenständig<br />
auf ihr Gesicht zukam.<br />
Einen Moment noch war <strong>Lily</strong> neugierig, was gleich passieren würde,<br />
doch schneller als geplant merkte sie nur mehr, wie sie gegen<br />
ihren Willen ein Blatt Pergament <strong>und</strong> ihren Kugelschreiber hervorholte<br />
<strong>und</strong> Wörter zu schreiben begann, die sie gar nicht hörte <strong>und</strong> an<br />
die sie gar nicht dachte, während <strong>Dora</strong> sie aufmerksam beobachtete.<br />
Ein bunter Schwall aus Lichtern überwältigte sie <strong>und</strong> schon wenig<br />
später war sie in einem dunklen Raum.<br />
Sie wusste genau, <strong>das</strong>s sie träumte, <strong>und</strong> es war, als wäre es Realität.<br />
Nur kannte sie den Raum nicht. Er war voll gestellt mit alten Regalen.<br />
Einige davon schienen von irgendetwas ziemlich schwer beschädigt<br />
worden zu sein. Tiefe Spuren von Gewalt waren darauf zu<br />
erkennen. Waren es Menschen gewesen? Oder eher Tiere? Nach den<br />
Abdrücken der Klauen im Holz zu schließen, war es wohl eher die<br />
zweite Möglichkeit.<br />
<strong>Lily</strong> blickte sich um. Sollte <strong>das</strong> Pulver nicht bewirken, <strong>das</strong>s ihre<br />
größten Träume Wahrheit wurden? Eigentlich schon. Aber sie war<br />
sich sicher, <strong>das</strong>s ein dunkler, zerstörter Raum nicht ihr größter<br />
Traum war.<br />
Plötzlich hörte sie Schritte. Instinktiv versteckte sie sich hinter einem<br />
der Regale, vor einem zugenagelten Fenster. Dann öffnete sich<br />
eine Tür, nicht weit von ihr entfernt, <strong>und</strong> eine abgemagerte Hexe<br />
kam in den Raum. Sie wirkte seltsam mitgenommen. Einen Menschen<br />
von so erbärmlichem Aussehen hatte <strong>Lily</strong> noch nie gesehen.<br />
Ihre Wangen waren eingefallen <strong>und</strong> ihre Augen traten merkwürdig<br />
weit hervor. Jeder Teil ihres Körpers, der nicht aus Haut <strong>und</strong> Knochen<br />
bestanden hatte, schien entfernt geworden zu sein <strong>und</strong> ihr Anblick<br />
erinnerte <strong>Lily</strong> mehr an eine Leiche als an eine lebendige Frau.<br />
203
Sie schwankte schwer atmend, aber trotzdem mit einem zufriedenen<br />
Lächeln auf den Lippen auf einen Tisch zu, der mit einem<br />
schmutzigen, weißen Tischtuch überdeckt war.<br />
<strong>Lily</strong> stockte der Atmen. Die Decke hob <strong>und</strong> senkte sich langsam.<br />
Lag darunter etwa ein Mensch? Ohne darüber nachzudenken verkroch<br />
sie sich noch weiter hinter dem Regal. Sie wagte es kaum zu<br />
atmen. Was, wenn man sie hier erblicken würde? Es war nur ein<br />
Traum, <strong>das</strong> wusste <strong>Lily</strong>, aber es war alles zu echt, um leichtsinnig zu<br />
werden.<br />
Vorsichtig hob die Frau anschließend <strong>das</strong> Tuch in die Höhe <strong>und</strong> ihr<br />
Grinsen wurde noch breiter, als sie es ganz vom Tisch zog <strong>und</strong> hinunter<br />
auf den Boden warf. Zum Vorschein kamen eine spitze Nase<br />
<strong>und</strong> blonde, etwas längere Haare. Dann, mit einem Ruck, öffnete der<br />
Mann seine Augen.<br />
„Lucius, wie geht es dir?“, fragte die Frau <strong>und</strong> trat ein paar Schritte<br />
zurück.<br />
Der Mann namens Lucius setzte sich langsam auf. Irgendetwas<br />
schien ihm furchtbare Qualen zu bereiten, denn sein Gesicht war<br />
plötzlich verzerrt vor Schmerzen.<br />
„Was ist los? Lucius, du bist zu schwach, leg dich wieder hin!“,<br />
keuchte die Frau.<br />
Doch Lucius winkte mit gequältem Gesichtsausdruck ab.<br />
„Nein, keine Sorge, mir geht es gut. Aber er ist zu schwach. Das<br />
Buch <strong>und</strong> der Ring waren nicht genug. Du musst mehr besorgen“,<br />
keuchte er. „Tut mir leid, ich kann dir dabei nicht helfen. Er ist zu<br />
schwach!“<br />
Die Frau trat wieder etwas näher. Erst jetzt fiel <strong>Lily</strong> auf, <strong>das</strong>s auch<br />
der Mann genauso ausgezehrt wirkte wie die Frau an seiner Seite. So<br />
als hätte er monate-, oder besser: jahrelang nichts zu essen bekommen.<br />
„Aber woher denn? Ich weiß nicht, wo ich sie finden kann! Diese<br />
beiden hatte der Geist. Aber die anderen fünf könnten überall sein!“,<br />
204
sagte die Frau. „Und vielleicht sind einige davon zerstört. Ich weiß<br />
es nicht!“<br />
Lucius stemmte beide Hände gegen seine Stirn <strong>und</strong> atmete ein paar<br />
Mal tief durch.<br />
„Er braucht sie aber. Ich denke nicht, <strong>das</strong>s es alle sein müssen.<br />
Finde wenigstens ein oder zwei weitere, dann wird er stark genug<br />
sein <strong>und</strong> ich kann dir bei der Suche helfen!“<br />
Die Frau nickte.<br />
„Okay, ich gebe mein Bestes“, antwortete sie. „Aber jetzt leg dich<br />
hin <strong>und</strong> ruh dich aus!“<br />
Lucius tat, wie ihm befohlen wurde <strong>und</strong> er legte sich wieder zurück<br />
auf den Tisch. Die Frau hob zögernd <strong>das</strong> Tischtuch auf.<br />
„Wir werden sie rächen, <strong>das</strong> verspreche ich dir, Narzissa!“, sagte<br />
er, bevor die Frau ihn wieder komplett zudeckte.<br />
Einige Sek<strong>und</strong>en blieb sie noch reglos vor dem Tuch stehen, dann<br />
wandte sie sich um <strong>und</strong> verließ den Traum wieder.<br />
<strong>Lily</strong> ließ sich langsam zu Boden sinken. Obwohl sie sich sicher<br />
war, <strong>das</strong>s ihr Umhang, der an der rauen Wand streifte, eigentlich Geräusche<br />
von sich hätte geben müssen, herrschte weiterhin Grabesstille<br />
im Raum. Auch die Schritte dieser Narzissa, die eben aus dem<br />
Raum gegangen war, waren verklungen.<br />
Von wegen, ihre größten Träume würden <strong>Lily</strong> erfüllt werden. Alles,<br />
was sie fühlte, war Angst. Große Angst. Was würden sich die<br />
anderen denken? Sie saß sicher nicht lächelnd im Klassenzimmer,<br />
wie <strong>das</strong> Mädchen auf der Verpackung. Ihr Gesicht hatte sicher einen<br />
Ausdruck tiefster Angst angenommen. Was würde sich <strong>Dora</strong> denken?<br />
Sie hatte es sicher schon bemerkt.<br />
<strong>Lily</strong> streckte ihren Arm aus, um eine Dose zu nehmen. Der verblichenen<br />
Aufschrift nach zu urteilen, war darin mal Farbe gewesen.<br />
Doch die Dose ließ sich keinen Millimeter weit anheben <strong>und</strong> auch<br />
nicht verschieben, obwohl sich <strong>Lily</strong> sicher war, <strong>das</strong>s sie nicht schwer<br />
war.<br />
205
Sie versuchte es noch bei einigen anderen Gegenständen, doch<br />
auch diese ließen sich nicht verschieben. Sogar ein Spinnennetz neben<br />
ihr schien hart wie Stahl zu sein. Selbst mit aller Kraft konnte<br />
<strong>Lily</strong> die dünnen Fäden nicht zerstören <strong>und</strong> auch die Spinne, die weiter<br />
weg darin saß, schien sich nicht von ihr ablenken zu lassen.<br />
Sie versuchte, mit ihren Fingernägeln auf dem Boden ein leises<br />
Geräusch zu machen, doch sie hörte nichts. Auch nicht, als sie mit<br />
einem Fuß ziemlich fest auf den Boden trat. Es war, als würde sie<br />
hier für die Umgebung um sie herum gar nicht existieren.<br />
Die Spinne kletterte ein paar Zentimeter weiter hinauf <strong>und</strong> versetzte<br />
ihr Netz in Schwingung. <strong>Lily</strong> versuchte, es ruhig zu halten, doch<br />
<strong>das</strong> Netz war stärker. Wenn es zurück schwang, konnte <strong>Lily</strong> es nicht<br />
aufhalten, egal wie sehr sie sich anstrengte.<br />
Langsam stand sie auf <strong>und</strong> trat lautlos hinter dem Regal hervor. Sie<br />
wusste zwar, <strong>das</strong>s es ihr im Notfall nichts helfen würde, aber instinktiv<br />
umklammerte sie ihren Zauberstab im Umhang, als sie an dem<br />
zugedeckten Tisch vorbeiging, auf dem unter der Decke der Mann<br />
lag. Das Tischtuch hob sich unablässig alle paar Sek<strong>und</strong>en an, wenn<br />
er einatmete <strong>und</strong> doch schien auch er <strong>Lily</strong> nicht zu hören.<br />
Die Tür war einen Spaltbreit <strong>of</strong>fen. Zu wenig, als <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong> hätte<br />
hindurch treten können. Sie versuchte die Tür weiter aufzumachen,<br />
doch auch diese bewegte sich keinen Millimeter.<br />
Der nächste Raum war genauso schwarz, nur etwas kleiner. <strong>Lily</strong><br />
konnte nicht viel erkennen, außer ein paar weiteren Regalen, die ebenso<br />
zerstört wirkten wie die in ihrem Raum.<br />
Lange Zeit tat sich gar nichts. <strong>Lily</strong> versuchte immer wieder die Tür<br />
zu bewegen, denn es war der einzige Ausgang aus diesem Raum.<br />
Alle Fenster waren vernagelt <strong>und</strong> es gab keine andere Türe. Doch sie<br />
hatte keine Chance.<br />
Würde sie wirklich nach einer Dreiviertelst<strong>und</strong>e wieder aufwachen?<br />
Sie h<strong>of</strong>fte es mehr als alles andere, denn einen anderen Ausweg<br />
wusste sie nicht.<br />
206
Minuten waren vergangen, als sie plötzlich ein leises Geräusch<br />
durch den Spalt in der Tür hörte. Sie lief hin <strong>und</strong> blickte hindurch.<br />
Eine weitere Türe im anderen Raum war aufgegangen <strong>und</strong> fahles<br />
Licht fiel herein <strong>und</strong> blendete sie. Als dieses wieder verschw<strong>und</strong>en<br />
war, sah sie eine Gestalt. Sie wollte sich gerade wieder hinter dem<br />
Regal verstecken, als sie bemerkte, <strong>das</strong>s die Frau im anderen Raum<br />
stehen blieb.<br />
Es war wieder diese Narzissa <strong>und</strong> bei genauerem Hinschauen<br />
konnte <strong>Lily</strong> noch jemanden erkennen. Es war Peeves, der in der<br />
Dunkelheit nur sehr schwer zu erkennen war.<br />
„Sie haben mich herbestellt?“, fragte er.<br />
„Ja, ich habe einen Auftrag. Du erinnerst dich doch an <strong>das</strong> Buch<br />
<strong>und</strong> an den Ring?“<br />
„Das waren meine Trophäen. Die will ich wieder haben!“, sagte er.<br />
„Die wirst du nie wieder bekommen <strong>und</strong> wenn du nicht deinen<br />
M<strong>und</strong> hältst <strong>und</strong> meine Befehle befolgst, dann warst du einmal!<br />
Glaub mir, aber es gibt Möglichkeiten für eine Hexe wie mich, um<br />
einen Poltergeist ein für alle Mal zu zerstören! Du magst zwar nie<br />
lebendig gewesen sein, aber nach meiner Behandlung wirst du fähig<br />
sein zu spüren, wie sich der Tod anfühlt!“, drohte Narzissa Peeves.<br />
Dieser schien noch ein wenig <strong>durchsichtige</strong>r zu werden <strong>und</strong> sein<br />
Gesicht verfinsterte sich noch mehr, als es <strong>das</strong> schon in den letzten<br />
Wochen getan hatte. Nicht einmal hatte <strong>Lily</strong> ihn seit jenem Tag in<br />
der großen Halle lachen oder spotten gesehen. Er war nur mehr mit<br />
gesenktem Kopf durch die Schule geflogen.<br />
„Zu Befehl! Ich gebe mein Bestes. Was für einen Auftrag haben<br />
Sie?“, fragte er.<br />
Ein zufriedenes Grinsen trat auf <strong>das</strong> dürre Gesicht von Narzissa.<br />
„Ein paar davon müssten in der Schule zu finden sein. Fürs erste<br />
genügen mir ein oder zwei Dinge. Sie sind aber mit Sicherheit alle<br />
kaputt, genau wie <strong>das</strong> Tagebuch <strong>und</strong> der Ring. Ich brauche den Becher<br />
von Hufflepuff, <strong>das</strong> Medaillon von Slytherin, <strong>das</strong> Diadem von<br />
Ravenclaw oder einen Teil von Nagini, der Schlange Lord Volde-<br />
207
morts. Letzteres wird allerdings sehr schwer zu finden sein!“, meinte<br />
sie.<br />
„Und wo soll ich diese Dinge finden?“, fragte Peeves, noch immer<br />
mit einem Ausdruck tiefsten Entsetzens auf dem Gesicht.<br />
„Das ist mir ziemlich egal, deshalb beauftrage ich dich, mir diese<br />
Dinge zu besorgen. Es ist in deinem Interesse, glaub mir!“<br />
Mit einem hämischen Grinsen wandte sich die Hexe anschließend<br />
von Peeves ab <strong>und</strong> ging wieder hinaus ins Tageslicht. Peeves<br />
schwebte noch einige Minuten still in der Luft. Seinen Kopf stützte<br />
er auf seine weißen Arme. So verzweifelt hatte <strong>Lily</strong> ihn noch nie gesehen<br />
<strong>und</strong> allmählich tat sie ihm sogar leid.<br />
Es war <strong>of</strong>fensichtlich, <strong>das</strong>s die Drohungen von Narzissa ernst gemeint<br />
waren <strong>und</strong> Peeves keine Wahl hatte. Er musste diese Gegenstände<br />
finden, sonst würde es ihn bald nicht mehr geben.<br />
Peeves blickte auf <strong>und</strong> plötzlich verschwamm wieder alles r<strong>und</strong><br />
um <strong>Lily</strong> in bunte Farben. Ein H<strong>of</strong>fnungsschimmer machte sich in<br />
<strong>Lily</strong> breit <strong>und</strong> schon wenige Augenblicke später erblickte sie <strong>das</strong><br />
Klassenzimmer vor sich.<br />
„Und als Hausaufgabe liefern Sie mir bitte eine Rolle Pergament<br />
über den Untergang von Rubutas, dem ersten König der Trolle.“<br />
Alle standen auf <strong>und</strong> auch <strong>Lily</strong> packte <strong>das</strong> voll geschriebene Blatt<br />
Pergament ein. Sie überflog es noch kurz <strong>und</strong> sah, <strong>das</strong>s sie wirklich<br />
wortwörtlich die ganze St<strong>und</strong>e aufgeschrieben hatte. Fünf Rollen<br />
Pergament hatte sie dafür benötigt. Außerdem nahm sie noch ihre<br />
zweieinhalb Rollen Hausübung vom Boden <strong>und</strong> stopfte sie dazu in<br />
den Rucksack.<br />
„Und, wie war’s?“, fragte <strong>Dora</strong>, als Pr<strong>of</strong>essor Binns durch die<br />
Wand <strong>das</strong> Klassenzimmer verlassen hatte.<br />
<strong>Lily</strong> schaute <strong>das</strong> erste Mal auf.<br />
„Ich schreib George gleich, <strong>das</strong>s sein Tagtraumpulver Mist ist. Okay,<br />
ich bin zwar sauer auf Peeves, wegen seinem Auftritt am ersten<br />
Schultag, aber mein größter Wunsch ist es sicher nicht, <strong>das</strong>s er von<br />
208
einer durch geknallten Hexe bedroht wird!“, zischte sie <strong>und</strong> warf<br />
sich den Rucksack über ihre Schulter.<br />
Ted schaute ebenfalls alles andere als glücklich aus, als <strong>Lily</strong> sich<br />
zu ihm umwandte, um zu fragen, ob er auch so einen Mist geträumt<br />
hatte.<br />
„Was für einen Alptraum hattest du denn?“, fragte sie missgelaunt.<br />
„Alptraum? Wovon redest du?“, antwortete er.<br />
„Na, so wie du ausschaust, wurden dir auch nicht deine größten<br />
Träume erfüllt in diesem Tagtraum, oder?“<br />
„Und ob“, meinte Ted. „Ich bin nur traurig, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht die Realität<br />
war. Mann, wäre mein Leben perfekt, wenn dieser Traum Wirklichkeit<br />
würde…“<br />
Sie blieben an einer Ecke im Schulh<strong>of</strong> stehen, denn sie hatten noch<br />
einige Minuten übrig bis zum Beginn der nächsten St<strong>und</strong>e. Und diese<br />
wollten sie im Freien verbringen, denn vermutlich war es einer<br />
der letzten zumindest halbwegs warmen Tage dieses Jahres.<br />
„Was hast du denn geträumt?“, fragte Scott.<br />
Ted blickte ihn an <strong>und</strong> begann plötzlich zu lachen.<br />
„Wenn ich euch <strong>das</strong> erzähle, dann lauft ihr weg <strong>und</strong> wollt nie wieder<br />
etwas mit mir zu tun haben, <strong>das</strong> verspreche ich euch!“, antwortete<br />
er. „Und warum meintest du, <strong>das</strong>s es ein Alptraum war?“<br />
<strong>Lily</strong> zuckte mit ihren Schultern. Alles was in der letzten Dreiviertelst<strong>und</strong>e<br />
in Echtzeit in ihrem Kopf abgelaufen war, hatte sich dort<br />
eingeprägt <strong>und</strong> sie schaffte es nicht, auch nur Teile davon zu verbannen.<br />
Sie konnte nicht anders, als die ganze Zeit darüber nachzudenken<br />
<strong>und</strong> aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> wünschte sie sich, Peeves zu sehen.<br />
Sie wusste zwar, <strong>das</strong>s es nur ein Traum gewesen war, aber sie wollte<br />
sicher gehen, <strong>das</strong>s es ihm gut ging, egal was für ein Ekel er manchmal<br />
war. So eine Drohung hatte nicht mal er verdient.<br />
„Keine Ahnung, ich kann mich nicht mehr so gut daran erinnern“,<br />
log sie, doch sie war sich sicher, <strong>das</strong>s ihre Schwester ihre Lüge<br />
durchschaute <strong>und</strong> sie ihr bei der erstbesten Möglichkeit alles erzählen<br />
musste.<br />
209
Schon ein paar St<strong>und</strong>en später sah <strong>Lily</strong> Peeves wieder. Er schwebte<br />
einen Gang entlang <strong>und</strong> würdigte sie <strong>und</strong> die anderen drei keines<br />
Blickes. Er schaute schlimmer aus denn je. Fast so schlimm sogar<br />
wie in <strong>Lily</strong>s Traum. Sie wollte den Gedanken aus ihrem Kopf vertreiben,<br />
aber konnte es wirklich sein, <strong>das</strong>s ihr Traum etwas mit der<br />
Realität zutun hatte? War es möglich, <strong>das</strong>s Peeves nur wegen ihr so<br />
leiden musste? Vielleicht war es wirklich ein Wunsch von ihr gewesen,<br />
Peeves loszuwerden <strong>und</strong> möglicherweise hatte sie <strong>das</strong> Ganze<br />
deswegen geträumt <strong>und</strong> nun musste Peeves darunter leiden.<br />
„Was ist los?“, fragte <strong>Dora</strong>, als sie ein paar Schritte hinter die<br />
Jungs zurückgefallen <strong>und</strong> somit außer Hörweite waren.<br />
„Es geht um meinen Traum von heute. Den aus der Packung von<br />
den Weasleys. Irgendetwas ist da falsch gelaufen“, erklärte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Dachte ich mir schon. Du bist nämlich viel ruhiger als normalerweise,<br />
seit Zaubereigeschichte!“, meinte sie. „Gehen wir nach draußen<br />
zum See? Da können wir reden!“<br />
<strong>Dora</strong> machte Scott <strong>und</strong> Ted schnell klar, <strong>das</strong>s sie sich erst zum Abendessen<br />
wieder sehen würden, weil sie nach draußen gehen wollten<br />
<strong>und</strong> diese mussten zustimmen, da sie beide noch massenhaft<br />
Hausaufgaben zu erledigen hatten, die die Zwillinge nicht machen<br />
mussten, weil sie alle Flüche <strong>und</strong> Gegenflüche auf Anhieb ausführen<br />
konnten, ohne lange zu üben.<br />
Draußen setzten sich die beiden unter eine große Eiche, in der Nähe<br />
des Sees. <strong>Lily</strong> begann s<strong>of</strong>ort, ihren Traum in allen Einzelheiten zu<br />
erzählen.<br />
„Aber <strong>das</strong> beweist doch, <strong>das</strong>s es wirklich nur ein Traum war, auf<br />
den du keinen Einfluss hattest“, meinte <strong>Dora</strong>, als <strong>Lily</strong> gerade dabei<br />
war zu erzählen, <strong>das</strong>s sie nichts bewegen konnte.<br />
„Ja schon, aber eigentlich hätten mir doch alle meine Wünsche erfüllt<br />
werden sollen“, meinte sie.<br />
<strong>Dora</strong> überlegte einen Moment.<br />
210
„Ich weiß auch nicht, aber vielleicht war einfach <strong>das</strong> Verfallsdatum<br />
der Packung abgelaufen oder sonst was. Möglicherweise lag es daran,<br />
<strong>das</strong>s du einen Alptraum hattest <strong>und</strong> dir nichts Gutes passiert ist“,<br />
antwortete sie.<br />
„Ja, möglicherweise. Aber schau dir mal Peeves an. Der schaut<br />
aus, als würde ihn wirklich ernsthaft etwas bedrücken. Was ist, wenn<br />
mein Traum für ihn Wahrheit wird <strong>und</strong> ich ihn somit vielleicht sogar<br />
umbringe, oder wie man <strong>das</strong> bei einem Geist nennt?“<br />
<strong>Dora</strong> ließ ihren Blick über den See schweifen, hinüber zum verbotenen<br />
Wald, aus dem ab <strong>und</strong> zu unidentifizierbare Geräusche zu vernehmen<br />
waren.<br />
„Ich weiß nicht. Aber ich denke, du solltest dir nicht zu viele Gedanken<br />
darüber machen. Wahrscheinlich war wirklich nur etwas Falsches<br />
in der Packung. In der nächsten Zaubereigeschichtsst<strong>und</strong>e bin<br />
sowieso ich dran <strong>und</strong> dann sehen wir es!“<br />
„Willst du <strong>das</strong> wirklich machen?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>Dora</strong>.<br />
Diese nickte.<br />
„Na klar! Wenn Ted so etwas Tolles träumt, <strong>das</strong>s er dann den ganzen<br />
Tag traurig rum läuft, weil es nicht wahr ist, dann möchte ich <strong>das</strong><br />
auch probieren“, lachte sie.<br />
„Na gut. Wenn du meinst… Dann warte ich eben bis nächste Woche<br />
<strong>und</strong> mache mir dann weiter Sorgen darüber, wenn ich mir sicher<br />
bin, <strong>das</strong>s es kein Fehler an der Packung war!“<br />
Die beiden lachten <strong>und</strong> blieben noch eine Weile in der warmen<br />
Abenddämmerung sitzen, während sie beobachteten, wie die Sonne<br />
immer weiter hinüber zum verbotenen Wald wanderte.<br />
Eine Woche später war es wieder soweit. Zaubereigeschichte stand<br />
auf dem St<strong>und</strong>enplan. Obwohl Peeves von Tag zu Tag deprimierter<br />
ausschaute, zwang sich <strong>Lily</strong> dazu, nicht mehr über ihren Traum<br />
nachzudenken. Es hatte sie auch ein bisschen beruhigt, <strong>das</strong>s sie in<br />
der Nacht nie in diesen dunklen Raum zurückgekehrt war, sondern<br />
nur schöne Träume hatte.<br />
211
Man konnte erst einen Teil der Hand von Pr<strong>of</strong>essor Binns sehen,<br />
welcher es an diesem Tag vorzog, durch die Tafel mit ihrer verzauberten<br />
Kreide zu schweben, als <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott gleichzeitig ihr Päckchen<br />
an Traumpulver aufrissen.<br />
Von Ted hatte sie erfahren, <strong>das</strong>s auch dieses neue Pulver noch in<br />
der Entwicklungsphase steckte. Es gab zwar einen Vorgänger davon,<br />
aber bei diesem waren die Schüler weder ansprechbar noch schrieben<br />
sie <strong>das</strong> Gesprochene mit.<br />
<strong>Lily</strong> beobachtete <strong>Dora</strong> dabei, wie sie schon wenige Sek<strong>und</strong>en später<br />
zu schreiben begann, während diese nur mehr buntes Licht sah<br />
<strong>und</strong> wenige Augenblicke später ihre Augen öffnete.<br />
<strong>Dora</strong> kannte diesen Ort. Sie war noch nie da gewesen, doch <strong>Lily</strong><br />
hatte ihr ausgiebig von den zerstörten Regalen <strong>und</strong> den vernagelten<br />
Fenstern erzählt. Ebenso von dem Mann unter der weißen Tischdecke,<br />
der den Namen Lucius trug.<br />
Sie atmete tief durch <strong>und</strong> ging dann zur Tür, welche diesmal geschlossen<br />
war. Genau wie sie geahnt hatte, konnte sie nicht mal die<br />
Klinke hinunterdrücken.<br />
<strong>Dora</strong> hatte vorher extra die Packung mit dem Traumpulver auf ein<br />
Verfallsdatum überprüft, doch sie hatte keines gef<strong>und</strong>en, was soviel<br />
bedeuten musste, wie <strong>das</strong>s dieses Zeug ewig hielt. Trotzdem war sie<br />
jetzt hier.<br />
Sie ging von einer Ecke des Raumes zur anderen, doch sie fand<br />
nichts Interessantes oder gar Wichtiges. Dann bemerkte sie, wie jemand<br />
die Tür öffnete. Kurz überlegte sie, ob sie einfach stehen bleiben<br />
sollte, denn sie war sich sicher, <strong>das</strong>s niemand sie würde sehen<br />
können, doch zur Sicherheit versteckte auch sie sich hinter dem Regal,<br />
<strong>das</strong> ihr <strong>Lily</strong> beschrieben hatte.<br />
<strong>Dora</strong> erkannte die Frau s<strong>of</strong>ort. <strong>Lily</strong> hatte sie gut beschrieben <strong>und</strong><br />
trotzdem erschütterte <strong>Dora</strong> dieser Anblick. Etwas so Erbärmliches<br />
hatte sie lange nicht mehr gesehen.<br />
Die Frau stellte einen alten Sessel neben den bedeckten Tisch <strong>und</strong><br />
hob anschließend die Decke nur ein bisschen an <strong>und</strong> schlug sie so-<br />
212
weit zurück, <strong>das</strong>s <strong>Dora</strong> gerade noch den Kopf des Mannes erblicken<br />
konnte.<br />
„Hast du etwas?“, fragte er die Frau.<br />
„Nein, dieser blöde Geist ist nicht in der Lage dazu, noch mehr zu<br />
finden. Aber er gibt sich alle Mühe <strong>und</strong> ich habe ihm gedroht, <strong>das</strong>s<br />
er nicht mehr lange auf dieser Welt sein wird, wenn er mir nicht zumindest<br />
einen der ehemaligen Horkruxe bringt!“, erzählte sie ihm.<br />
„Okay, <strong>das</strong> ist gut. Bitte beeil dich. Ich kann nichts machen, bevor<br />
er wieder genug Kraft hat, außer hier zu liegen. Ich würde dir gerne<br />
helfen, aber <strong>das</strong> geht in diesem Zustand nicht. Hast du eigentlich<br />
schon etwas über die Sicherheitsmaßnahmen im Schloss herausgef<strong>und</strong>en?“<br />
Die Frau schüttelte den Kopf.<br />
„Unmöglich. Es war Glück, <strong>das</strong>s ich es einmal hinein geschafft<br />
habe. Die einzige Verbindung zum Inneren ist Peeves“, sagte sie.<br />
„Granger?“, fragte er.<br />
„Ja. Und Longbottom <strong>und</strong> auch.... Was haben wir nur falsch gemacht?<br />
Es ist, als würden sie etwas ahnen. Ich weiß nicht, warum sie<br />
plötzlich so vorsichtig sind!“, antwortete sie.<br />
„Die haben die Potterkinder, <strong>das</strong> heißt sie müssen vorsichtig sein.<br />
Es gibt noch andere Anhänger Lord Voldemorts da draußen <strong>und</strong> <strong>das</strong><br />
wissen die. Die Kinder wären mit Sicherheit schon seit dem ersten<br />
Tag tot, wenn sie nicht beschützt werden würden! Mach dich aber<br />
jetzt bitte wieder auf die Suche, ich will so schnell wie möglich hier<br />
raus. Wir beide gemeinsam mit ihm sind stark genug um auch die<br />
stärksten Abwehrflüche zu umgehen <strong>und</strong> <strong>das</strong> auszuführen, was sich<br />
so viele von uns wünschen!“<br />
Die Frau nickte <strong>und</strong> deckte Lucius dann wieder komplett zu, bevor<br />
sie den Raum verließ. <strong>Dora</strong> wagte erst jetzt wieder, zu atmen.<br />
Schutzmaßnahmen waren ihretwegen aufgebaut worden?<br />
Sie musste sich mehr als nur einmal dazu zwingen, daran zu denken,<br />
<strong>das</strong>s dies alles nur ein Traum war, aber es war einfach zu echt<br />
<strong>und</strong> jetzt wusste sie auch, warum <strong>Lily</strong> die letzte Woche über so ko-<br />
213
misch gewesen war. Es war unmöglich, <strong>das</strong> alles einfach so als<br />
Traum abzustempeln.<br />
Die Tatsache, <strong>das</strong>s sie selbst jetzt diesen Traum von <strong>Lily</strong> weiterträumte,<br />
machte den Versuch, alles als Einbildung durchgehen zu<br />
lassen, auch nicht einfacher.<br />
Sie lehnte sich an eine Wand des Raumes <strong>und</strong> wartete. Wenn sie<br />
nicht gewusst hätte, <strong>das</strong> nach einer dreiviertel St<strong>und</strong>e alles zu Ende<br />
sein würde, hätte sie jetzt wahrscheinlich Panik bekommen, aber so<br />
dachte sie einfach verbissen daran, <strong>das</strong>s sie bald wieder im Klassenzimmer<br />
sein würde.<br />
Doch der Satz von Lucius, <strong>das</strong>s sie mit Sicherheit schon seit dem<br />
ersten Tag tot wären, wenn sie nicht beschützt worden wären, hatte<br />
sich in ihr Gehirn gebrannt. Gab es wirklich so viele Zauberer da<br />
draußen, die sie hassten? Nur deswegen, weil ihr Dad den bösesten<br />
aller Zauberer vernichtet hatte?<br />
Und warum musste Peeves diese Gegenstände suchen? Diese<br />
Horkruxe, wie Narzissa sie heute genannt hatte. Sie mussten etwas<br />
sein, <strong>das</strong> Lucius stärken konnte. Etwas, <strong>das</strong> ihm die Qualen nehmen<br />
konnte, welchen er im Moment ausgesetzt war. Und wenn dies geschehen<br />
war, dann wollten sie die Flüche durchbrechen <strong>und</strong> in die<br />
Schule einbrechen um…<br />
<strong>Dora</strong> wagte es nicht, daran zu denken. Wenn er erst stark genug<br />
war, wollte er sie <strong>und</strong> ihre Schwester dann wirklich töten? Es hatte<br />
sich zumindest so angehört, als wäre <strong>das</strong> die Tat, die sich so viele<br />
wünschten.<br />
Lange Zeit saß sie einfach so da <strong>und</strong> dachte über <strong>das</strong> nach, was gerade<br />
eben geredet worden war. Es war nicht viel gewesen, aber einiges,<br />
über <strong>das</strong> sie sich klar werden musste. Oder nicht? Es war doch<br />
nur ein Traum.<br />
Hatte sich George mit seiner neuen Verwandtschaft einen Scherz<br />
erlauben wollen <strong>und</strong> ihnen anstatt schöner Träume Alpträume zugeschickt?<br />
<strong>Dora</strong> kannte ihn zwar nicht, aber sie konnte sich nicht vorstellen,<br />
warum er <strong>das</strong> hätte machen sollen.<br />
214
Sie war heilfroh, als bunte Lichter sie anschließend in die Realität<br />
zurückholten, wo Pr<strong>of</strong>essor Binns gerade wieder die heutigen<br />
Hausaufgaben verkündete, die die verzauberte Feder schon lange für<br />
sie erledigt hatte.<br />
Sie packte alles ein, während <strong>Lily</strong> sie fragend anstarrte.<br />
„Ich bin wieder da“, meinte <strong>Dora</strong>, „<strong>und</strong> wir müssen reden!“<br />
„Was gibt’s neues im Traumland?“, fragte Ted <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott, als<br />
sie die Klasse verließen.<br />
„Frag nicht, ich muss mir erstmal drüber klar werden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> alles<br />
nicht echt ist“, meinte Scott traurig.<br />
Dann wandte sich Ted an <strong>Dora</strong>.<br />
„Und bei dir? Doch keine Alpträume wie bei deiner Schwester,<br />
oder?“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, ganz <strong>und</strong> gar nicht“, antwortete sie <strong>und</strong> dann fügte sie leise<br />
an <strong>Lily</strong> gewandt hinzu, „wenn man mal davon absieht, <strong>das</strong>s Lucius<br />
vorhat, uns mit der Hilfe der Dinge, die Peeves finden soll, zu ermorden!“<br />
<strong>Lily</strong> machte große Augen.<br />
„Du hast Recht, wir müssen reden! Hast du dieses Nasenblutzeugs<br />
da?“, fragte sie <strong>Dora</strong>.<br />
„Nein, auf keinen Fall! Ich schlucke auf keinen Fall etwas von dem<br />
Zeug! Schau mal, was <strong>das</strong> Traumpulver angerichtet hat! Da warte<br />
ich lieber noch die nächsten zwei St<strong>und</strong>en!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> schaute etwas enttäuscht aus, doch dann erinnerte sie sich daran,<br />
wie Ted vor kurzer Zeit einmal zwei Tage lang nicht aufgetaucht<br />
war, weil er zuviel von einer der Leckerein gegessen hatte <strong>und</strong> ihn<br />
Madam Pomfrey, die Schulkrankenschwester, nicht mehr aus dem<br />
Krankenflügel gelassen hatte. Nicht mal Besuch durfte er empfangen.<br />
Also nickte sie <strong>und</strong> die beiden machten sich auf den Weg zu<br />
den Kerkern.<br />
Die beiden beschlossen, <strong>das</strong> Mittagessen heute ausfallen zu lassen,<br />
<strong>und</strong> liefen s<strong>of</strong>ort nach Zaubertränke wieder hinaus zur großen Eiche<br />
215
eim See, um sich unter ihre weit verzweigten Äste zu setzen, damit<br />
der leichte Nieselregen ihnen nichts anhaben konnte.<br />
„Also, was ist passiert?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> erzählte ihr alles, was sie gesehen <strong>und</strong> gehört hatte. Anschließend<br />
dachten beide angestrengt nach.<br />
„Glaubst du noch immer, <strong>das</strong>s alles ein Traum war?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit ihren Schultern.<br />
„Keine Ahnung“, antwortete sie. „Irgendwie kann ich mir <strong>das</strong> nicht<br />
vorstellen. Es ist schon komisch, <strong>das</strong> wir <strong>das</strong> Gleiche geträumt haben,<br />
oder?“<br />
„Ja, <strong>das</strong> stimmt! Aber mich würde es interessieren, was es mit diesen<br />
Horkruxen oder so auf sich hat!“, meinte <strong>Lily</strong>. „Wie können<br />
Dinge wie ein Buch, ein Ring oder ein Teil einer Schlange einen<br />
Zauberer stark machen?“<br />
Sie schauten sich ratlos an, dann nickten sie gleichzeitig, standen<br />
auf <strong>und</strong> liefen hinter zu der Hütte von Hagrid. Bis jetzt waren sie nur<br />
am ersten Freitag des Schuljahres bei ihm gewesen <strong>und</strong> mit Sicherheit<br />
würde er sich freuen, wenn sie ihn endlich wieder besuchen kamen.<br />
Sie erblickten ihn schon von weitem, wie er hinter seiner Hütte mit<br />
einer großen Schaufel in der Erde stocherte. Als er ihre schnellen<br />
Schritte hören konnte, wandte er sich s<strong>of</strong>ort zu ihnen um.<br />
„Hallo Hagrid“, riefen die beiden wie aus einem M<strong>und</strong>e.<br />
Er begann s<strong>of</strong>ort zu grinsen <strong>und</strong> warf die Schaufel in hohem Bogen<br />
beiseite.<br />
„Aber hallo!“, sagte er. „’ne Tasse Tee gefällig?“<br />
Die Zwillinge nickten. Noch vor ihnen war Hagrid bei der Eingangstür<br />
angekommen <strong>und</strong> hielt sie auf, damit die Zwillinge eintreten<br />
konnten. Ein großer Kessel köchelte über dem Feuer im Kamin<br />
vor sich hin. Hagrids Hütte bestand aus genau einem Raum, dessen<br />
gesamter Platz von einem riesigen Bett, einem Tisch <strong>und</strong> ein paar<br />
überdimensionalen Sesseln beansprucht wurde. An den Wänden hin-<br />
216
gen Kochtöpfe <strong>und</strong> Felle von Tieren. Auch ein weißes Horn <strong>und</strong> lange,<br />
silberne Haare gehörten zum Schmuck dieses Raumes.<br />
Die Mädchen setzten sich zu zweit auf einen der Stühle <strong>und</strong> hatten<br />
Mühe damit, im Sitzen auf den Tisch zu sehen, so hoch war dieser.<br />
Im Vergleich zu Hagrid wirkte er aber immer noch mickrig.<br />
„Erzählt mal, wie geht’s euch? Was macht die Schule <strong>und</strong> die Lehrer?<br />
Ihr stellt euch ja nich’ blöd an, hab' ich gehört!“, meinte er, während<br />
er heißes Wasser in drei riesige Becher kippte <strong>und</strong> diese anschließend<br />
auf den Tisch vor <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> stellte.<br />
Einen behielt er für sich.<br />
„Ähm… Alles okay“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
Hagrid lächelte <strong>und</strong> schnappte sich drei große Teebeutel, die er in<br />
die Becher gab. Dann stellte er ein paar von den Keksen auf den<br />
Tisch, die <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schon bei ihrem ersten Besuch hier bekommen<br />
hatten. Damals hatte nicht viel gefehlt, <strong>das</strong>s die beiden<br />
sämtliche Zähne verloren hätten, so hart waren diese Kekse. Deshalb<br />
ließen sie es diesmal lieber gleich bleiben.<br />
„Is’ es noch immer so schlimm da ob’n? Oder hab’n sich schon alle<br />
an euch gewöhnt?“, fragte Hagrid.<br />
„Na ja, sie schauen nicht mehr so blöd, aber sonst hat sich nicht<br />
viel verändert“, erklärte <strong>Dora</strong>.<br />
Wieder nickte er.<br />
„Dauert noch, dauert noch!“, antwortete er. „Aber warum seid ihr<br />
denn gekomm’n? Ich weiß noch genau, Harry hatte immer ’nen<br />
Gr<strong>und</strong> für seine Besuche!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schauten sich kurz an, dann nickte <strong>Lily</strong>.<br />
„Wir wollten dich fragen, was Horkurxe sind <strong>und</strong> wie die einen<br />
Zauberer stark machen können“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
Hagrids Gesichts verfinsterte sich augenblicklich <strong>und</strong> es nahm s<strong>of</strong>ort<br />
einen Ausdruck größter Abscheu an. Die Zwillinge schauten ihn<br />
gespannt an.<br />
„Egal woher ihr dies’n Unsinn habt, vergesst ihn ganz schnell wieder.<br />
Das ist nichts für euch!“, schnaube er. „Und jetzt trinkt!“<br />
217
S<strong>of</strong>ort nahmen die Zwillinge große Schlucke aus ihren vollen Bechern<br />
mit heißem Tee. Dass Hagrid ihnen darauf keine Antwort<br />
mehr geben würde, hatte er ihnen mit seinem Gesichtsausdruck mehr<br />
als klar gemacht.<br />
218
219<br />
Briefe an Unbekannt<br />
Die ganze Schule war in Aufruhr. Es war Samstag <strong>und</strong> <strong>das</strong> große<br />
Quidditch-Spiel zwischen Gryffindor <strong>und</strong> Slytherin sollte an diesem<br />
Tag stattfinden. Zwar regnete es draußen in Strömen, aber dennoch<br />
ließ sich die Stimmung dadurch kein bisschen senken.<br />
Auch <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> waren gespannt darauf, ihr erstes Quidditch-<br />
Spiel zu sehen. Schon bei ihrer dritten Flugst<strong>und</strong>e in diesem Jahr<br />
hatten ein paar Gryffindorspieler sie gesehen <strong>und</strong> ihnen versprochen,<br />
<strong>das</strong>s ab dem nächsten Jahr die beiden die Positionen der beiden<br />
Siebtklässler einnehmen würden, egal ob sie wollten oder nicht, <strong>und</strong><br />
es interessierte die beiden, was dann auf sie zukommen würde.<br />
Gleich nach dem Frühstück machten sich alle Schüler auf den Weg<br />
nach draußen zum Spielfeld, von dem sechs große Torstangen weit<br />
in den Himmel ragten. Die Zwillinge quetschten sich zwischen Ted,<br />
Scott <strong>und</strong> den anderen Gryffindormädchen aus ihrem Jahrgang auf<br />
die überfüllten Bänke.<br />
Lautes Gejohle kam von allen Ecken des großen Stadions <strong>und</strong> der<br />
Stadionsprecher, bei diesem Spiel ein Ravenclaw aus dem fünften<br />
Jahrgang, testete lautstark sein Mikr<strong>of</strong>on.<br />
Ted begann s<strong>of</strong>ort damit, den Gryffindors bei ihren Schlachtgesängen<br />
zu helfen <strong>und</strong> allmählich wurde die Lautstärke im Stadion unerträglich,<br />
doch ihren Höhepunkt erreichte sie, als Madam Hooch gefolgt<br />
von den beiden Teams in die Mitte des Rasens Schritt.<br />
Die Gryffindors waren komplett in rot-goldene Umhänge gekleidet,<br />
während die Slytherins grün-silberne trugen. Die Kapitäne der<br />
beiden Mannschaften schüttelten sich die Hände.<br />
„GRYFFINDOR GEGEN SLYTHERIN!“, bellte der Stadionsprecher.<br />
„DIE ABSCHEU ZWISCHEN ANTHONY HANSON, DEM<br />
SLYTHERIN-KAPITÄN UND AMANDA MELORE, DER KAPI-<br />
TÄNIN VON GRYFFINDOR IST KLAR ZU ERKENNEN, SO-<br />
GAR NOCH VON HIER OBEN!“
Dann war kurze Zeit ein leises Rascheln durch <strong>das</strong> Mikr<strong>of</strong>on zu<br />
hören.<br />
„JA, PROFESSOR GRANGER, ICH HABE MICH GEIRRT. DIE<br />
BEIDEN WERDEN SICHER NOCH EIN LIEBESPAAR! UND<br />
SIE SIND IN DER LUFT.“<br />
Alle vierzehn Spieler schossen gleichzeitig in die Luft <strong>und</strong> kurze<br />
Zeit später ließ Madam Hooch die Bälle frei. Nicht mal einige Sek<strong>und</strong>en<br />
lang konnten die Zwillinge den goldenen Schnatz erkennen,<br />
dann war er verschw<strong>und</strong>en. Direkt vor ihnen lieferten sich die sechs<br />
Jäger einen verbitterten Kampf um den Quaffel, während die Treiber<br />
mit all ihrer Kraft auf die Klatscher einschlugen. Etwas weiter oben<br />
konnten die Zwillinge Jeff Dorian <strong>und</strong> einen anderen Sucher erkennen.<br />
Die beiden hatten den Schnatz wohl genauso schnell aus den<br />
Augen verloren wie die Zwillinge.<br />
„DER QUAFFEL IST IM BESITZ DER SLYTHERINS UND SIE<br />
VERTEIDIGEN IHN MIT ALLEN MITTELN. HALT DICH FEST,<br />
SHEENA! OH MANN, DIE LASSEN WIRKLICH NICHTS AN-<br />
BRENNEN! ABER NEIN, GRYFFINDOR! LOS, MACH SCHON<br />
TREWHELLA!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> kamen gar nicht dazu dem Ball mit ihrem Blick überall<br />
hin zu folgen, so schnell war er unterwegs. Er flog von einer<br />
der Gryffindorjägerinnen zu den anderen, während die Jäger der<br />
Slytherins mit der Ellbogentaktik versuchten, den Quaffel wieder<br />
zurückzuholen.<br />
„UND EIN KLATSCH VON KENT TRIFFT SHEENA!“, keifte<br />
der Ravenclaw ins Mikr<strong>of</strong>on. „SIE VERLIERT DEN QUAFFEL,<br />
ABER HALT… MELORE FÄNGT IHN AUF. UND SIE WEICHT<br />
KENTS KLATSCHER AUS! GUT GEMACHT, AMANDA, DAS<br />
WAR KNAPP! UND… JA, DER QUAFFEL IST VORBEI AN<br />
PARKER! WAS FÜR EIN TOR!“<br />
Der Quaffel war gerade durch den mittleren Ring der Slytherins<br />
geflogen, nur haarscharf an den Händen des Hüters vorbei. Tosender<br />
Lärm brach im Stadion aus, unterbrochen von den Buuhrufen der<br />
220
Slytherins. Doch es dauerte keine zwei Sek<strong>und</strong>en <strong>und</strong> die Slytherinjäger<br />
hatten den Ball schon wieder in die Mitte des Feldes gebracht.<br />
„SLYTHERIN IM QUAFFELBESITZ! CAMPBELL SAUST<br />
VORBEI AN ALLEN ANDEREN UND ER IST DIREKT VOR<br />
MILANO, DEM GRYFFINDOR-HÜTER. HALT IHN AUF, ED-<br />
WARD! NEIN! TOR FÜR SLYTHERIN. DAS WAR WOHL ZU<br />
FRÜH GEFREUT!“<br />
Vor, hinter <strong>und</strong> neben <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> begannen alle enttäuscht zu<br />
schreien <strong>und</strong> die Slytherins johlten vor Freude.<br />
„JA, ICH WERDE MICH ZUSAMMENREISSEN UND UN-<br />
PARTEIISCH SEIN, PROFESSOR GRANGER. HAST DU GANZ<br />
TOLL GEMACHT, CAMPBELL, ABER MACH DAS JA NICHT<br />
NOCH MAL!“<br />
Ein Mädchen mit rotem Umhang hatte den Quaffel an sich genommen.<br />
Elegant flog es um einen Klatscher herum, welcher s<strong>of</strong>ort<br />
wieder von einem der Treiber der Slytherins auf es zurückgefeuert<br />
wurde, doch es schaffte es ein zweites Mal auszuweichen.<br />
„JA, ICH WILL MEINE STELLE ALS STADIONSPRECHER<br />
BEHALTEN, PROFESSOR GRANGER. UND TREWHELLA IST<br />
NAHE AM TOR DER SLYTHERINS!“<br />
Über zwei St<strong>und</strong>en dauerte <strong>das</strong> Spektakel an <strong>und</strong> obwohl sie nicht<br />
gedacht hatten, <strong>das</strong>s sie an einem Spiel solange hätten interessiert<br />
sein können, wurde ihnen nicht langweilig. Die spektakulären Flugmanöver<br />
der Spieler beider Mannschaften waren atemberaubend anzusehen,<br />
auch wenn manche Taktiken der Slytherins ein wenig gewalttätig<br />
erschienen.<br />
Plötzlich sahen sie Jeff quer über <strong>das</strong> Spielfeld hinweg fliegen <strong>und</strong><br />
dann schnell zum Boden sinken. Kurz bevor er auf den Boden knallte,<br />
schloss <strong>Dora</strong> die Augen <strong>und</strong> Sek<strong>und</strong>en später brachen alle um sie<br />
herum in Jubelgeschrei aus.<br />
„HANSON WAR ZU LANGSAM! JEFF DORIAN HAT DEN<br />
SCHNATZ! WIE SPANNEND ER ES IMMER MACHT, WENN<br />
ER IHN ENTDECKT, IST ATEMBERAUBEND! GRYFFINDOR<br />
221
GEWINNT! TOLLES SPIEL! DREIHUNDERTZWANZIG ZU<br />
HUNDERTVIERZIG! DAS WAR’S! DAS SPIEL IST AUS!“<br />
<strong>Dora</strong> öffnete ihre Augen wieder <strong>und</strong> blickte hinab. Alle um sie<br />
herum waren aufgesprungen <strong>und</strong> feierten den Sieg der Gryffindors.<br />
Jeff saß nun, den wild flatternden Schnatz in den vom Regen nassen<br />
Händen, auf den Schultern seiner Teamkameraden <strong>und</strong> ließ sich vom<br />
Publikum feiern, während die Slytherins die Köpfe hängen ließen<br />
<strong>und</strong> vom Spielfeld gingen.<br />
„Also die können lange warten, bis ich da mitspiele“, sagte <strong>Dora</strong><br />
auf dem Weg zurück ins Schloss.<br />
„Wieso denn? Wird doch lustig <strong>und</strong> <strong>das</strong> Fliegen dürfte bei uns<br />
auch nicht <strong>das</strong> Problem sein, oder?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Nein, <strong>das</strong> nicht, aber trotzdem. Stell dir mal vor, wenn du so einen<br />
Klatscher übersiehst. Ist da eigentlich schon mal wer gestorben?“<br />
<strong>Lily</strong> blickte <strong>Dora</strong> ungläubig an.<br />
„Schon lange nicht mehr, aber ja, es gab schon welche“, antwortete<br />
Ted, der sich von hinten neben die Zwillinge gesellte.<br />
„Na gute Aussichten“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Mach dir keine Gedanken darüber, die lassen uns sowieso keine<br />
andere Wahl. Du warst ja dabei, als sie <strong>das</strong> gesagt haben“, meinte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Na dann können wir Pr<strong>of</strong>essor Granger gleich sagen, sie soll die<br />
Sicherheitsmaßnahmen hier wegnehmen. Wenn wir sowieso sterben…“,<br />
murmelte <strong>Dora</strong> leise, doch nicht leise genug, denn Ted<br />
schaute sie s<strong>of</strong>ort fragend an.<br />
„Wovon redest du?“, fragte er <strong>und</strong> musterte sie misstrauisch.<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
„Davon, <strong>das</strong>s sie lange warten können, bis ich da mitspiele“, antwortete<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
„Nein, du hast was von Sicherheitsmaßnahmen gesagt!“<br />
„Hab ich nicht!“<br />
222
„Doch, hast du! Ich hab’s gehört. Was für Sicherheitsmaßnahmen<br />
betreibt Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> was will sie schützen?“, fragte Ted.<br />
„Uns vor dir“, meinte <strong>Lily</strong> zum Spaß <strong>und</strong> ging ein wenig schneller,<br />
um so zu tun, als hätte sie Angst vor Ted.<br />
<strong>Dora</strong> folgte ihrem Beispiel <strong>und</strong> auch Scott lachte mit den beiden,<br />
doch Ted blieb stehen. <strong>Lily</strong> zuckte mit ihren Schultern <strong>und</strong> die drei<br />
gingen ohne Ted durch <strong>das</strong> große Tor, zurück ins Schloss <strong>und</strong> hinauf<br />
in den Gemeinschaftsraum der Gryffindors.<br />
„Hab' ich ihn jetzt beleidigt?“, fragte <strong>Lily</strong>, als sie sich mit <strong>Dora</strong><br />
<strong>und</strong> Scott auf den Boden vor dem Kamin gesetzt hatten, um ihre vor<br />
Kälte schlotternden Körper zu wärmen.<br />
„Weiß nicht, keine Ahnung“, antwortete Scott. „Ich glaube es aber<br />
nicht. An ihm ist doch noch jede Beleidigung spurlos abgeprallt!“<br />
„Da hast du Recht“, überlegte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
Wenige Tage später waren die drei, gemeinsam mit Ted, der sich<br />
auch wieder beruhigt hatte, auf dem Weg zu Zaubereigeschichte.<br />
„Darf ich mal dein Pulver probieren <strong>und</strong> du meins? Ich will schauen,<br />
ob ich von deinem auch Alpträume kriege“, fragte <strong>Lily</strong> kurz vor<br />
dem Klassenzimmer.<br />
Ted zuckte mit seinen Schultern <strong>und</strong> sie tauschten die bunten,<br />
gleich aussehenden Kunstst<strong>of</strong>fbeutel aus.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> hatten beschlossen, <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong> dieses Mal mit Ted ihr<br />
Traumpulver tauschen sollte, damit die beiden einen Serienfehler,<br />
der nur ihre Päckchen betraf, ausschließen konnten. Bei Ted hatte<br />
<strong>das</strong> Pulver schließlich immer funktioniert <strong>und</strong> bei den Zwillingen<br />
noch nie.<br />
Wie sie erwartet hatten, machte es keinen Unterschied, <strong>das</strong>s <strong>Lily</strong><br />
Teds Pulver verwendet hatte, <strong>und</strong> so befand sie sich kurz nach Beginn<br />
der St<strong>und</strong>e in dem finsteren Raum. Es gab nur einen Unterschied:<br />
Lucius lag nicht in seinem Bett, sondern er stand bei einem<br />
der zugenagelten Fenster <strong>und</strong> hatte ein Brett ein wenig zur Seite geschoben,<br />
um hindurchspähen zu können.<br />
223
<strong>Lily</strong> trat etwas näher an ihn heran, doch alles, was sie erkennen<br />
konnte, war ein Wald, der ein Stückchen entfernt lag. Sonst war auch<br />
draußen nichts, durch <strong>das</strong> sie hätte erfahren können, wo sie war.<br />
Sie ging um Lucius herum <strong>und</strong> plötzlich fiel ihr auf, <strong>das</strong>s er ein<br />
Buch in einer seiner Hände hielt. Es schienen viele Seiten zu fehlen<br />
<strong>und</strong> genau wie der ganze Raum war auch <strong>das</strong> Buch seltsam zerstört.<br />
Ob <strong>das</strong> alles etwas miteinander zutun hatte?<br />
Auf derselben Hand, in der er es trug, sah sie auch einen Ring.<br />
Einst schien er kunstvoll verziert gewesen zu sein, doch der Stein in<br />
ihm war bis zur Unkenntlichkeit zerstört worden. Über seine andere<br />
Hand hatte er etwas wie einen verkohlen Haarreif gehängt. Ravenclaws<br />
Diadem, kam es <strong>Lily</strong> schlagartig in den Sinn.<br />
Sie schaute sich um, ob sie noch andere Dinge finden konnte, doch<br />
es waren nur diese drei. Kein Anzeichen von einem Becher, einer<br />
Schlange oder einem Medaillon.<br />
Bei genauerem Betrachten viel ihr auf, <strong>das</strong>s sämtlicher gequälter<br />
Ausdruck auf dem Gesicht von Lucius verschw<strong>und</strong>en war <strong>und</strong> sie<br />
stolperte ein paar Schritte von ihm weg. Er grinste hämisch hinaus<br />
zum Wald, so, als könne er es gar nicht mehr erwarten, endlich hinaus<br />
zu können.<br />
Das hieß also, <strong>das</strong>s er stärker geworden war. Es musste tatsächlich<br />
<strong>das</strong> Diadem sein. Einer dieser Horkruxe, die er so dringend benötigte<br />
<strong>und</strong> es musste ihn tatsächlich gestärkt haben. Auch wenn <strong>Lily</strong> nicht<br />
wusste, wie ein verkohltes Stück Metall es anstellte, jemandem zu<br />
Kraft zu verhelfen <strong>und</strong> schreckliche Qualen von einem zu nehmen.<br />
<strong>Lily</strong> lehnte sich zurück an eine Wand <strong>und</strong> beobachtete Lucius aufmerksam.<br />
Nach fast einer Dreiviertelst<strong>und</strong>e dachte sie, <strong>das</strong>s heute<br />
wohl nichts Interessantes mehr passieren würde, als plötzlich wieder<br />
Narzissa in den Raum kam.<br />
„Mach schnell, Lucius, wir müssen hier weg“, keuchte sie <strong>und</strong><br />
stützte sich mit ihren Händen auf den Knien ab.<br />
„Was ist passiert?“, fragte der Mann.<br />
224
Er hörte sich anders an, als noch <strong>das</strong> letzte Mal. Irgendetwas in<br />
seiner Stimme hatte sich verändert.<br />
„Granger kommt. Sie benötigt diese Hütte wohl für irgendetwas,<br />
ich weiß nicht. Auf jeden Fall ist sie in wenigen Minuten hier!“<br />
Sie blickte ihn flehend an.<br />
„Aber wohin soll ich? Er ist noch nicht so weit!“, antwortete Lucius.<br />
„Egal, wir müssen einfach nur weg. Lass uns erstmal in den Wald<br />
gehen, dann müssen wir nicht zu weit weg vom Schloss“, meinte sie<br />
<strong>und</strong> nach einer kurzen Pause nickte Lucius.<br />
„Okay, lass uns los. Wir können nicht riskieren, <strong>das</strong>s sie uns hier<br />
findet! Dieses Schlammblut wird die dritte im B<strong>und</strong>e sein, die ihr<br />
Leben lassen muss!“, höhnte er, dann ging er auf Narzissa zu, welche<br />
sich wieder zur Tür umwandte <strong>und</strong> sie öffnete.<br />
Die beiden verließen den Raum <strong>und</strong> plötzlich wurde <strong>Lily</strong> ebenfalls<br />
aus dem Raum gezogen. Ihre Füße bewegten sich von selbst <strong>und</strong> sie<br />
konnte nicht hier bleiben, obwohl sie es wollte. Mit aller Kraft versuchte<br />
sie, ihre Füße zum Stehen zu bringen, doch sie schaffte es<br />
nicht. Sie ging, einige Meter hinter Narzissa <strong>und</strong> Lucius, durch den<br />
Raum, den sie bis jetzt nur durch den Türspalt gesehen hatte <strong>und</strong><br />
dann öffnete Narzissa eine weitere Türe nach draußen. Lucius folgte<br />
ihr wankend, aber dennoch nicht mehr schwach aussehend.<br />
Gerade als auch <strong>Lily</strong> durch die Tür trat <strong>und</strong> in der Ferne <strong>das</strong><br />
Schloss erkennen konnte, begannen bunte Farben um sie herum zu<br />
wirbeln <strong>und</strong> plötzlich stand sie nicht mehr draußen im Regen, sondern<br />
saß im warmen Klassenzimmer, den Kugelschreiber noch immer<br />
in der Hand.<br />
Sie blickte zu <strong>Dora</strong>.<br />
„Er hat <strong>das</strong> Diadem“, flüsterte sie ihr zu.<br />
<strong>Dora</strong> öffnete die Augen <strong>und</strong> starrte <strong>Lily</strong> ängstlich an.<br />
„Was heißt <strong>das</strong>?“, fragte sie.<br />
„Das heißt, <strong>das</strong>s er stark genug ist, um zu gehen. Und sie befinden<br />
sich nicht weit weg von uns. Von der Hütte aus konnte ich <strong>das</strong><br />
225
Schloss erkennen. Lucius <strong>und</strong> Narzissa haben vor, in den Wald zu<br />
gehen, weil sie sich vor Pr<strong>of</strong>essor Granger verstecken sollen. Sie soll<br />
angeblich die dritte sein, die er ermorden will. Aber er ist noch nicht<br />
soweit, er braucht noch mehr von diesen Gegenständen“, erzählte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
Kurz darauf läutete es zum Ende der St<strong>und</strong>e <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> sammelte<br />
noch all ihre Pergamentblätter <strong>und</strong> ihre verhexte Feder ein <strong>und</strong> dann<br />
stand dann auf.<br />
„Wo ist eigentlich Ted?“, fragte sie.<br />
Es war ihr noch gar nicht aufgefallen, <strong>das</strong>s der Platz links neben<br />
ihr nicht besetzt war, als sie aufgewacht war, so verbissen hatte sie<br />
über den Traum nachgedacht.<br />
„Der wollte mal ausprobieren, wie die Kotzpastillen wirken, anstatt<br />
wieder irgendetwas zu träumen“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
„Jetzt ist er im Krankenflügel, denn er hat es nicht geschafft, die<br />
zweite Hälfte hinunterzuwürgen, als ich mit ihm hochgegangen bin.<br />
Dieser Plan ist wohl daneben gegangen!“, erzählte Scott weiter.<br />
<strong>Lily</strong> runzelte die Stirn.<br />
„Na dann, es ist ja nicht <strong>das</strong> erste Mal schief gelaufen. Schön langsam<br />
sollte er wissen, <strong>das</strong>s dieses Zeug nichts für ihn ist!“, meinte sie.<br />
Die anderen beiden nickten ihr zustimmend zu, als sie die Klasse<br />
verließen.<br />
Nach dem Mittagessen ließen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> Scott alleine im Gemeinschaftsraum<br />
mit seinen Hausaufgaben zurück <strong>und</strong> gingen in eine<br />
überdachte Ecke des Pausenh<strong>of</strong>es.<br />
<strong>Lily</strong> erzählte <strong>Dora</strong> genau, was sie dieses Mal gesehen hatte <strong>und</strong><br />
nachdem auch dieses Mal dieser Traum fortgesetzt worden war, waren<br />
sich die beiden sicher, <strong>das</strong>s es kein Zufall sein konnte.<br />
„Was hältst du davon, wenn wir einfach mal Peeves fragen, ob er<br />
schon <strong>das</strong> Medaillon gef<strong>und</strong>en hat? Wenn es alles nur ein Traum ist,<br />
dann würde er es als Scherz oder so auffassen, wenn wir ihm nach<br />
einem Medaillon fragen…“, schlug <strong>Dora</strong> vor.<br />
226
„…<strong>und</strong> wenn nicht, dann verrät er sich sicher irgendwie. Guter<br />
Plan! Lass ihn uns suchen! Ich habe ihn jetzt öfters im siebten Stock<br />
bei diesem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten gesehen.<br />
Vielleicht finden wir ihn dort!“<br />
Die beiden machten sich auf den Weg nach oben, doch sie waren<br />
noch nicht mal im vierten Stock, als Peeves, der nicht <strong>das</strong> kleinste<br />
bisschen Interesse an ihnen zeigte, auf sie zukam.<br />
Sie stellten sich genau in seinen Weg, doch er machte nicht den<br />
Eindruck, <strong>das</strong>s er sie überhaupt bemerkt hatte, <strong>und</strong> flog einfach weiter<br />
auf sie zu.<br />
„Hey, Peeves“, rief <strong>Lily</strong>, als er nur mehr wenige Zentimeter von<br />
ihrem Gesicht entfernt war.<br />
Er blieb stehen <strong>und</strong> schüttelte den Kopf, dann schlug er ein paar<br />
Mal die Augen auf <strong>und</strong> zu <strong>und</strong> blickte zuerst <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> dann <strong>Dora</strong> an.<br />
„Ihr beiden… Als wenn ich nicht schon genug Ärger hätte wegen<br />
euch“, murmelte er <strong>und</strong> wollte in einem Bogen um die Zwillinge herumfliegen,<br />
doch diese versperrten ihm wieder den Weg.<br />
„Wir wollten dich was fragen“, begann <strong>Dora</strong>.<br />
Er runzelte seine <strong>durchsichtige</strong> Stirn <strong>und</strong> zog sich die orangefarbene<br />
Fliege fester um den Hals.<br />
„Aber ich will nicht, <strong>das</strong>s ihr mich etwas fragt!“, keifte er zurück.<br />
Peeves flog einen größeren Bogen <strong>und</strong> schaffte es schließlich um<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> herum.<br />
„Hey, hast du <strong>das</strong> Medaillon schon gef<strong>und</strong>en?“, rief <strong>Lily</strong> ihm nach,<br />
als er schon einige Meter von ihnen entfernt war.<br />
Eine Gruppe neugieriger Hufflepuffs drehte sich um, um den Herd<br />
des Lärmes zu sehen, <strong>und</strong> blieb interessiert stehen, als sie <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> erkennen konnte.<br />
Peeves drehte sich wider Erwarten zu den beiden zurück <strong>und</strong><br />
schaute sie misstrauisch an.<br />
„Was hast du gefragt?“, sagte er <strong>und</strong> kam einige Meter zurück zu<br />
den Mädchen.<br />
„Ob du <strong>das</strong> Medaillon schon gef<strong>und</strong>en hast“, wiederholte sich <strong>Lily</strong>.<br />
227
„Woher wisst ihr… Ach, ich habe keine Ahnung, wovon ihr redet!“,<br />
sagte Peeves <strong>und</strong> schneller als die beiden schauen konnten,<br />
war er dann um die nächste Ecke verschw<strong>und</strong>en.<br />
<strong>Lily</strong> schaute <strong>Dora</strong> triumphierend an.<br />
„Okay, er hat sich verraten <strong>und</strong> er weiß sogar sehr wohl, wovon<br />
wir reden!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Das heißt, <strong>das</strong>s nichts davon geträumt war <strong>und</strong> <strong>das</strong>s wir <strong>und</strong> auch<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger in ziemlich großer Gefahr sind.“<br />
S<strong>of</strong>ort verschwand <strong>Lily</strong>s triumphierender Gesichtsausdruck <strong>und</strong> sie<br />
nickte ebenfalls.<br />
„Ja, ich schätze mal, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> heißt. Aber er hat erst drei Sachen.<br />
Wenn wir nur wüssten, wo wir die Schlange, den Becher oder <strong>das</strong><br />
Medaillon finden können… Wir müssen irgendetwas unternehmen!“<br />
„Erinnerst du dich an den Brief, den wir vor ein paar Wochen bekommen<br />
haben?“, fragte <strong>Dora</strong> plötzlich.<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Das müssen tausende gewesen sein. Vielleicht findest du ja einen<br />
Weg, ihn noch ungenauer zu beschreiben!“<br />
„Du weißt schon… Den von diesem einen, der uns den Umhang<br />
<strong>und</strong> die Karte geschickt hat!“, erklärte <strong>Dora</strong>. „In dem er uns geschrieben<br />
hat, <strong>das</strong>s wir seine Eule verwenden sollen, um ihm zu<br />
schreiben, wenn uns irgendetwas Merkwürdiges passiert!“<br />
„Du willst ihm schreiben?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Immer wieder schaute sie nervös im Gang auf <strong>und</strong> ab, um sicher zu<br />
gehen, <strong>das</strong>s sie auch niemand belauschte.<br />
„Genau <strong>das</strong> habe ich vor“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber glaubst du, <strong>das</strong>s die Eule immer noch da ist?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit ihren Schultern.<br />
„Keine Ahnung, lass uns schnell den Brief schreiben <strong>und</strong> dann<br />
nachschauen!“, meinte sie.<br />
Da <strong>Lily</strong> auch keine bessere Idee hatte, stimmte sie zu <strong>und</strong> sie liefen<br />
gemeinsam zurück in den Schlafsaal.<br />
228
„Aber was ist, wenn <strong>das</strong> eine Falle ist?“, fragte <strong>Lily</strong>, als <strong>Dora</strong> sich<br />
gerade <strong>Lily</strong>s Kugelschreiber aus ihrem Rucksack schnappte <strong>und</strong> ein<br />
Stück leeres Pergament suchte.<br />
„Ach, du hast zu viele schlechte Horrorfilme gekuckt. Glaubst du<br />
etwa, einer, der uns töten will, schenkt uns einen Mantel, damit wir<br />
uns unsichtbar machen <strong>und</strong> vor ihm verstecken können?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Nein, du hast ja Recht. Aber jetzt schreib endlich mal Onkel Dudley,<br />
<strong>das</strong>s er dir einen eigenen Kugelschreiber schicken soll!“<br />
<strong>Dora</strong> ignorierte den letzten Satz ihrer Schwester.<br />
„Was soll ich ihm schreiben?“, fragte sie.<br />
„Weiß nicht. Aber du bist besser im Briefeschreiben, also vertrau<br />
ich dir ausnahmsweise“, grinste <strong>Lily</strong>.<br />
„Wo du Recht hast…“<br />
<strong>Dora</strong> überlegte kurz, dann begann sie zu schreiben.<br />
229<br />
Hallo!<br />
Sie wissen nicht zufällig, was Horkruxe sind, oder?<br />
Wenn ja, dann erzählen Sie uns bitte davon. In welcher<br />
Weise können Dinge wie ein Becher, ein Diadem, eine<br />
Schlange oder ein Buch einen Menschen stärker<br />
machen?<br />
Bitte antworten Sie so schnell wie möglich.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
<strong>Lily</strong> las noch ein paar Mal ihren Brief durch <strong>und</strong> rollte <strong>das</strong> Stück<br />
Pergament dann zusammen. Sie wollte diesem Fremden nichts von<br />
ihren Träumen erzählen, geschweige denn davon, <strong>das</strong>s jemand vorhatte,<br />
sie zu töten. <strong>Lily</strong> hatte ja in gewisser Weise Recht <strong>und</strong> sie<br />
wussten nichts über den Fremden <strong>und</strong> auch nicht, ob er ihnen seine<br />
Nettigkeit nur vorspielte.<br />
Aber aus der Frage nach den Horkruxen konnte er ja schlecht alle<br />
diese Informationen ablesen <strong>und</strong> schließlich war die Information, die
die Zwillinge benötigten, die, was es mit diesen Horkruxen, diesen<br />
komischen alten Gegenständen, auf sich hatte. Sie wussten nicht,<br />
was sie sonst unternehmen konnten, <strong>und</strong> dies war <strong>das</strong> Einzige, worauf<br />
sie sich im Moment konzentrieren konnten. Die Frage nach den<br />
Horkruxen.<br />
„Okay, lass uns in die Eulerei gehen“, sagte <strong>Dora</strong> schließlich, als<br />
sie ein Band r<strong>und</strong> um die Pergamentrolle gewickelt hatte, mit dem<br />
sie sie am Fuß der Eule befestigen konnte.<br />
<strong>Lily</strong> sprang von ihrem Bett <strong>und</strong> die beiden machten sich auf den<br />
Weg. Es war <strong>das</strong> erste Mal, <strong>das</strong>s sie dorthin gingen, <strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort, als<br />
sie die Tür öffneten, kam ihnen Hedwig entgegen. Sie setzte sich auf<br />
<strong>Dora</strong>s Schulter <strong>und</strong> schmiegte sich an sie.<br />
<strong>Dora</strong> streichelte ihr vorsichtig über den Kopf. Währenddessen kam<br />
aus dem dunklen Raum mit den vielen kleinen Fenstern auch eine<br />
zweite Eule auf sie zugeflogen. Sie war etwas kleiner als die<br />
Schneeeule auf <strong>Dora</strong>s Schulter <strong>und</strong> schien schon etwas älter zu sein.<br />
<strong>Lily</strong> streckte ihre Hand aus <strong>und</strong> sie ließ sich darauf nieder.<br />
„Kannst du unseren Brief an wen auch immer übergeben?“, fragte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
Der Vogel machte ein Geräusch, welches sich stark nach einem Ja<br />
in der Sprache der Eulen anhörte. Auch wenn sich <strong>Lily</strong> alles andere<br />
als sicher war, band sie die Pergamentrolle am Fuß der fremden Eule<br />
fest <strong>und</strong> schon kurz später war sie durch eines der Fenster davongeflogen.<br />
„Tut mir leid, Hedwig, aber du bekommst heute keine Arbeit. Wir<br />
wussten nämlich nicht, wer derjenige ist, dem dieser Brief gehört. Ist<br />
eine lange Geschichte, aber <strong>das</strong> nächste Mal darfst du fliegen!“<br />
Die Eule wirkte etwas enttäuscht <strong>und</strong> flog s<strong>of</strong>ort von <strong>Dora</strong>s Schulter,<br />
zurück auf die vielen Stangen, auf denen noch zahlreiche andere<br />
Eulen ruhten.<br />
„Glaubst du, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> die Richtige war?“, fragte <strong>Dora</strong>, auf dem<br />
Weg zurück in den Gemeinschaftsraum.<br />
„Sie hat uns auf jeden Fall erkannt“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
230
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Wir werden ja sehen“, meinte sie.<br />
Für Zaubertränke hatten die Mädchen noch einen zwei Pergamentrollen<br />
langen Aufsatz über die Bedeutung von Nieswurz zu schreiben<br />
<strong>und</strong> da ihre Zauberfeder leider nicht dazu in der Lage war, ihre<br />
Informationen selbst nachzuschlagen, mussten sie sich selbst an die<br />
Arbeit machen, auch wenn sie nicht wussten, wie sie sich konzentrieren<br />
sollten, beim Gedanken, <strong>das</strong>s da draußen im verbotenen Wald<br />
jemand nur darauf wartete, <strong>das</strong>s sie ihm in die Quere kamen. Eigentlich<br />
wären sie in dieser Situation wieder zu Hagrid gegangen, denn<br />
er war derjenige, dem sie von allen Lehrern am meisten vertrauten,<br />
doch seine Hütte war direkt neben dem Wald <strong>und</strong> keine der beiden<br />
traute sich dort hin, auch nicht mit Hilfe des Umhanges.<br />
„Ist Ted noch immer nicht zurück?“, fragte <strong>Dora</strong>, als sie sich zu<br />
Scott an den Tisch im Gemeinschaftraum setzten.<br />
Er schüttelte den Kopf.<br />
„Der sollte sich mal auf eine Allergie gegen dieses Nasch- <strong>und</strong><br />
Schwänzzeug testen lassen“, meinte er.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nickten zustimmend, bevor sie sich an ihre<br />
Hausaufgaben machten. Sie hatten noch nicht mal einen Satz fertig<br />
geschrieben, als Jeff durch <strong>das</strong> Porträtloch kletterte <strong>und</strong> auf die beiden<br />
zukam.<br />
„<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, ihr sollt euch auf der Stelle bei Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
melden. Sie ist in ihrem Büro!“, sagte er.<br />
„Wir?“, fragten die beiden gleichzeitig.<br />
„Na ja, wenn ihr noch zwei andere Mädchen kennt, die sie als die<br />
‚Dursley-Zwillinge’ bezeichnet haben könnte, dann könnte es sein,<br />
<strong>das</strong>s ich euch verwechsle. Nein, im Ernst. Was habt ihr angestellt?<br />
Sie wirkte irgendwie aufgeregt!“, meinte Jeff.<br />
„Keine Ahnung“, sagten die Zwillinge gleichzeitig <strong>und</strong> packten ihre<br />
Pergamentblätter wieder zusammen.<br />
„Dann erzählt es mir später. Wenn Granger jemanden zu sich ruft,<br />
dann muss er schon echt was angestellt haben! Ich musste erst<br />
231
zweimal in meinen zwei vergangenen Jahren zu ihr, obwohl ihr euch<br />
sicher sein könnt, <strong>das</strong>s meine Liste an Regelverstößen mehr als zwei<br />
Punkte enthält!“, meinte Jeff.<br />
Ja, <strong>das</strong>s diese Liste länger war, war gar keine Frage. So wie <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> <strong>Dora</strong> Jeff kannten, hätte er wohl für jede Woche hier eine neue<br />
Liste benötigt, um alle Regelverstöße festhalten zu können.<br />
Sie kletterten wieder hinaus auf den Gang <strong>und</strong> ein Stockwerk hinunter,<br />
zum Büro von Pr<strong>of</strong>essor Granger. Vorsichtig klopfte <strong>Lily</strong> an<br />
<strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort wurde die Tür von innen geöffnet <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
hieß sie willkommen.<br />
Sie deutete ihnen, auf dem blassgelben S<strong>of</strong>a in der Mitte des Raumes<br />
Platz zu nehmen, <strong>und</strong> setzte sich anschließend selbst auf den<br />
Stuhl hinter ihrem Lehrertisch.<br />
„Erstmal wollte ich euch sagen, <strong>das</strong>s Rita Kimmkorn, diejenige,<br />
die den Bericht im Tagespropheten geschrieben hat, dafür verantwortlich<br />
ist, <strong>das</strong>s jeder euer <strong>Geheimnis</strong> erfahren hat. Sie war zu der<br />
Zeit im Büro von Mr. Weasley, als ich ihn abholen ließ. Sie hat eine<br />
gute Story gewittert <strong>und</strong> sich in einen Käfer verwandelt.“<br />
Die Mädchen schauten sie fragend an.<br />
„Ja, sie ist ein Animagus, <strong>das</strong> heißt sie kann sich in ein gewisses<br />
Tier verwandeln, <strong>das</strong> ihrem Charakter entspricht. Bei ihr ist es ein<br />
Käfer, vermutlich deswegen, weil ihr Charakter oder vielleicht auch<br />
ihr Gehirn die Größe eines solchen hat… Aber egal, auf jeden Fall<br />
hat sie sich im Mantel von Mr. Weasley verkrochen <strong>und</strong> ist mit ihm<br />
hierher gekommen. Nun ja, <strong>und</strong> hier hat sie alles gehört. Allerdings<br />
hat sie sich als Animagus nie beim Ministerium registrieren lassen,<br />
was soviel heißt, wie <strong>das</strong>s sie nach Askaban kommt, falls es jemand<br />
der zuständigen Behörde sagt. Sollte sie noch einmal eine derartige<br />
Show abziehen, dann kommt sie aus diesem Gefängnis nicht mehr<br />
raus, <strong>das</strong> verspreche ich euch! Aber <strong>das</strong> war nicht der Gr<strong>und</strong>, warum<br />
ich euch hierher bestellt habe!“, meinte sie.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Hagrid war gerade eben bei mir <strong>und</strong> er hat mir erzählt,<br />
<strong>das</strong>s ihr vor einiger Zeit bei ihm wart <strong>und</strong> ihn etwas gefragt habt. Er<br />
232
wusste nicht so richtig, ob es wichtig genug sei, um mir davon zu<br />
erzählen, aber Gott sei Dank hat er es am Ende doch gemacht“,<br />
meinte sie <strong>und</strong> musterte die Stelle, von der die Zwillinge wussten,<br />
<strong>das</strong> dort <strong>das</strong> Bild von ihr <strong>und</strong> ihren beiden besten ehemaligen Fre<strong>und</strong>en<br />
hing. „Also, wer hat euch von den Horkruxen erzählt?“<br />
Die Zwillinge schauten sich an <strong>und</strong> zuckten nervös mit den Schultern.<br />
„Hab ich gelesen“, meinte <strong>Dora</strong> schließlich, wenig überzeugend.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger blickte sie mit hochgezogener Augenbraue an.<br />
„Wo hast du <strong>das</strong> gelesen?“, fragte sie.<br />
„In einem Buch in der Bibliothek“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
„Das kann aber nicht sein. Ich habe vor Jahren selbst danach gesucht<br />
<strong>und</strong> in der Bibliothek war nur ein Buch, in dem die Horkruxe<br />
namentlich erwähnt wurden <strong>und</strong> selbst dort stand keine Beschreibung<br />
davon. Sämtliche Bücher an der Schule, die dieses <strong>The</strong>ma behandeln<br />
<strong>und</strong> auch <strong>das</strong> Buch, welches ich gerade eben erwähnt habe,<br />
befinden sich jetzt hier in diesem Raum. Also bitte sagt mir die<br />
Wahrheit. Ihr müsst wissen, Horkruxe sind wirklich mächtige<br />
schwarzmagische Objekte <strong>und</strong> die meisten, die von ihnen wissen,<br />
sind selbst keine gutartigen Zauberer, also wer hat euch von ihnen<br />
erzählt?“<br />
„Keine Ahnung“, sagte <strong>Lily</strong> schnell. „Die hat jemand in der Winkelgasse<br />
erwähnt, als wir dort waren. Wir kennen aber seinen Namen<br />
nicht!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger blickte von einem Mädchen zum anderen <strong>und</strong><br />
zurück, während sie tief durchatmete.<br />
„Okay, ich verstehe, <strong>und</strong> glaubt mir, ich weiß, <strong>das</strong>s ihr lügt. Ich<br />
war lange genug mit eurem Dad befre<strong>und</strong>et <strong>und</strong> er hat auch immer<br />
versucht, alles selbst zu lösen, bevor er Hilfe angenommen hat, <strong>und</strong><br />
eure Mum war da nicht viel anders. Aber manchmal ist es besser,<br />
Hilfe anzunehmen, versteht ihr?“, fragte sie.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger wirkte nicht etwa sauer, sondern total fre<strong>und</strong>lich<br />
<strong>und</strong> sie lächelte die Zwillinge an, die zur Antwort nickten.<br />
233
„Harry – euer Dad – hatte damals <strong>of</strong>t Angst, <strong>das</strong>s ihm niemand<br />
glauben würde <strong>und</strong> <strong>of</strong>t war <strong>das</strong> auch der Fall, aber davor braucht ihr<br />
keine Angst zu haben. Alle Lehrer an dieser Schule kannten euren<br />
Vater <strong>und</strong> alle hier wollen euch nur helfen, insbesondere ich. Ich habe<br />
nicht nur einmal gesehen, wie sich Harry verhalten hat, wenn ihn<br />
etwas bedrückt hat, <strong>und</strong> ich beobachte euch nun schon seit einiger<br />
Zeit <strong>und</strong> irgendetwas stimmt nicht. Wenn ihr also denkt, <strong>das</strong>s ihr mir<br />
vertrauen könnt, dann kommt bitte zu mir. Egal, was es ist, ich werde<br />
mein Bestes tun, um euch zu helfen!“<br />
Wieder nickten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>.<br />
„Okay, ihr dürft gehen“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger nach einer kurzen<br />
Pause. „Wenn ihr mich braucht, dann findest ihr mich hier!“<br />
Ohne zu zögern standen die beiden auf <strong>und</strong> verließen den Raum,<br />
ohne sich noch einmal zu ihrer Lehrerin umzudrehen. Sie wussten ja,<br />
<strong>das</strong>s sie es nur gut meinte, aber wie sollten sie ihr <strong>das</strong> mit den Träumen<br />
erklären? Auch wenn sie jetzt sagte, <strong>das</strong>s sie ihnen alles glauben<br />
würde, so war es doch ziemlich unglaubwürdig, wenn sie ihr von<br />
einem Traum erzählten, den sie während der Geschichtsst<strong>und</strong>e gehabt<br />
hatten <strong>und</strong> in dem jemand gesagt hatte, <strong>das</strong>s er sie <strong>und</strong> auch<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger töten wolle. Auch wenn die beiden wussten, <strong>das</strong>s<br />
es wahr war, würde sie ihnen <strong>das</strong> nie glauben, da waren sich die beiden<br />
sicher. Sie wussten nicht viel von dem, was ihr Dad einst erlebt<br />
hatte, doch sie konnten sich nicht vorstellen, <strong>das</strong>s es etwas derartig<br />
Unglaubwürdiges war, <strong>das</strong> er seinen Lehrern nicht hatte erzählen<br />
wollen.<br />
„Was hältst du davon, wenn wir mit Ted <strong>und</strong> Scott darüber reden?“,<br />
schlug <strong>Lily</strong> vor, als sie nicht mehr weit vom Portrait der fetten<br />
Dame entfernt waren. „Die würden uns glauben <strong>und</strong> vielleicht<br />
wissen die was über Horkruxe. Immerhin leben sie schon ihr ganzes<br />
Leben lang bei Zauberern <strong>und</strong> Hexen.“<br />
<strong>Dora</strong> überlegte <strong>und</strong> nickte dann.<br />
„Was glaubst du, wie die beiden darauf reagieren würden?“, fragte<br />
sie.<br />
234
„Ich denke, sie würden uns nicht im Stich lassen <strong>und</strong> uns dabei<br />
helfen, etwas über die Horkruxe herauszufinden!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Und du denkst nicht, <strong>das</strong>s sie uns Abstand von uns halten werden,<br />
wenn wir ihnen von den komischen Träumen erzählen?“<br />
„Nein, so sind die beiden nicht <strong>und</strong> Ted steht sowieso darauf, mysteriöse<br />
Sachen aufzudecken <strong>und</strong> überall Verschwörungen zu sehen<br />
wo keine sind, <strong>das</strong> hab' ich schon bemerkt!“<br />
Die Mädchen lachten <strong>und</strong> setzten sich wieder zu Scott, welcher<br />
noch immer nicht mit seiner Hausübung fertig war. Er hatte erst eine<br />
halbe Rolle Pergament voll geschrieben <strong>und</strong> brauchte noch mindestens<br />
eineinhalb. Wahrscheinlich strengte er sich einfach doppelt soviel<br />
an wie die Zwillinge, weil er seinem Dad, dem Zaubertrankmeister<br />
an der Schule, alle Ehre machen wollte, denn als die beiden<br />
ihre zwei Rollen geschrieben haben, kauerte er noch immer über<br />
dem letzten Viertel.<br />
„Was habt ihr beiden bitte über Nieswurz geschrieben?“, fragte er,<br />
als er sah, <strong>das</strong>s die Zwillinge damit begannen, ihre Hausaufgaben<br />
einzuräumen.<br />
<strong>Dora</strong> zog ihre s<strong>of</strong>ort wieder aus dem Rucksack <strong>und</strong> legte sie vor<br />
Scott.<br />
„Kannst du gerne alles abschreiben, was nicht vollkommener Mist<br />
ist. Ich hab alles doppelt <strong>und</strong> dreifach <strong>und</strong> in riesiger Schrift geschrieben!“,<br />
lachte sie.<br />
„Hätte ich auch mal dran denken sollen“, meinte Scott <strong>und</strong> blickte<br />
hinab auf seine winzige Schreibschrift <strong>und</strong> dann versuchte er die<br />
Klaue zu entziffern, die <strong>Dora</strong> mit ihrer Feder zu Papier gebracht hatte.<br />
Sie nahm sich fest vor, zu Weihnachten ein paar Kugelschreiber<br />
von zu Hause mitgehen zu lassen.<br />
„Also ich versteh ja nicht, wie du mit diesem Ding so schön<br />
schreiben kannst“, meinte sie <strong>und</strong> kniete sich auf ihren Sessel, um<br />
Scott beim Schreiben zusehen zu können.<br />
„Jahrelange Übung“, meinte er.<br />
235
„Oder einfach nie gelernt, mit normalen Geräten zu schreiben“,<br />
meinte <strong>Lily</strong>, während sie ihren Kugelschreiber zwischen ihren Fingern<br />
drehte.<br />
„Mann, hat Ted sich vergiftet mit dem Zeug, oder was?“, seufzte<br />
sie nach einiger Zeit.<br />
Die Zwillinge hatten sich vorgenommen, den Jungs von ihren<br />
Träumen zu erzählen, sobald Ted wieder anwesend war, doch der<br />
ließ auf sich warten. Langsam wurde es draußen schon dunkel <strong>und</strong><br />
sie mussten sich gleich auf den Weg zum Abendessen machen. Ein<br />
Ereignis, zu dem man Ted normalerweise nicht zweimal einladen<br />
musste, doch heute schien er es nicht für so wichtig zu halten. Oder<br />
ging es ihm wirklich so schlecht? Wenn er bis morgen nicht da war,<br />
würden sie ihn besuchen gehen, egal, was Madam Pomfrey dazu<br />
sagte.<br />
Als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> vom Abendessen zurückkamen, beschlossen sie,<br />
ziemlich bald schlafen zu gehen. Ted war noch immer nicht da <strong>und</strong><br />
es hatte auch keinen Sinn mehr, noch auf ihn zu warten, da waren<br />
sich die beiden sicher <strong>und</strong> außerdem waren sie müde.<br />
„Sag mal, denkst du nicht auch <strong>of</strong>t, <strong>das</strong>s es besser gewesen wäre,<br />
wenn wir einfach im Ligusterweg geblieben <strong>und</strong> in eine andere<br />
Schule gegangen wären?“, fragte <strong>Dora</strong>, als sie im noch leeren<br />
Schlafsaal ankamen.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Ja, sogar ziemlich <strong>of</strong>t. Fast jeden Tag. Dann hätten wir vermutlich<br />
nie erfahren, <strong>das</strong>s unsere Eltern nicht mehr am Leben sind <strong>und</strong> es<br />
würde auch da draußen im Wald gerade niemand sein, der uns aus<br />
irgendeinem Gr<strong>und</strong> nicht leiden kann. Es war doch alles so einfach,<br />
bevor wir hierher gekommen sind, oder?“<br />
„Ja, <strong>das</strong> war es, aber ich schätze mal, <strong>das</strong>s es jetzt zu spät ist. Wenn<br />
wir nur wüssten, wo die restlichen drei Horkruxe sind. In seinem jetzigen<br />
Zustand kann uns dieser Lucius nichts anhaben <strong>und</strong> Narzissa<br />
alleine kommt hier nicht rein. Aber was ist, wenn er auch noch die<br />
restlichen drei findet?“<br />
236
<strong>Lily</strong> zuckte mit ihren Schultern.<br />
„Dann haben wir wohl keine Chance“, seufzte sie.<br />
Plötzlich klopfte etwas am Fenster. Die Mädchen wandten sich um<br />
<strong>und</strong> sahen ein paar leuchtende Augen. Sie wichen zurück, doch dann<br />
erkannten sie, <strong>das</strong>s es sich um dieselbe Eule handelte, die sie noch<br />
nicht lange zuvor mit dem Brief an den Unbekannten weggeschickt<br />
hatten.<br />
<strong>Dora</strong> öffnete <strong>das</strong> Fenster <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nahm ihr den Brief ab. Die Eule<br />
setzte sich oben auf einen der Kleiderkästen <strong>und</strong> vergrub ihren Kopf<br />
in ihren Flügeln.<br />
„Sie soll vermutlich auf eine Antwort warten“, meinte <strong>Dora</strong>, als sie<br />
<strong>und</strong> <strong>Lily</strong> dem Tier zuschauten. „Na komm, mach auf“, drängte sie<br />
ihre Schwester.<br />
237<br />
Hallo <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>!<br />
Eine Schlange, ein Becher, ein Diadem <strong>und</strong> ein Buch.<br />
Das waren die Horkruxe von Voldemort. Sie wurden<br />
zerstört <strong>und</strong> existieren nicht mehr. Wer hat euch davon<br />
erzählt? Nicht viele wussten davon <strong>und</strong> keine guten<br />
Hexen oder Zauberer hätten euch davon erzählt. Ihr<br />
müsst also irgendwo an die falsche Sorte von Magiern<br />
gekommen sein!<br />
Was meint ihr damit, wenn ihr sagt, <strong>das</strong>s sie jemanden<br />
stark machen können? Sie können jemanden sozusagen<br />
unsterblich machen, aber stärker nicht. Zumindest nicht,<br />
soweit ich weiß.<br />
Bitte erzählt mir alles darüber, es ist wichtig! Seid<br />
Jahren tue ich mein Bestes, damit ihr beiden sicher seid,<br />
<strong>und</strong> um <strong>das</strong> weiterhin machen zu können, müsst ihr mal<br />
alles erzählen, was ihr wisst.<br />
Und macht schnell, sonst könnte es zu spät sein.<br />
Wieder keine Unterschrift.
<strong>Dora</strong> schaute <strong>Lily</strong> an <strong>und</strong> diese nickte. Daraufhin holte sie ein neues<br />
Blatt Pergament aus ihrem Rucksack <strong>und</strong> begann eine Antwort zu<br />
schreiben. Diesmal beschloss sie, alles zu erzählen, was sie wusste.<br />
Schlimmer konnte es nicht mehr werden <strong>und</strong> dieser Unbekannte<br />
wusste anscheinend ziemlich viel über die sechs Horkruxe <strong>und</strong> somit<br />
hatten sie eine große Chance, <strong>das</strong>s er ihnen etwas darüber erzählte<br />
<strong>und</strong> ihnen womöglich sogar sagen konnte, wo sich einer davon befand.<br />
Sie mussten diesen kleinen H<strong>of</strong>fnungsschimmer einfach ergreifen.<br />
Hallo!<br />
Wir haben vor einigen Wochen im Fach<br />
Zaubereigeschichte ein Tagtraumpulver namens<br />
„Weasleys Zauberhafte Tagträume“ ausprobiert.<br />
Eigentlich sollten uns in diesen Träumen sämtliche<br />
Wünsche erfüllt werden, doch wir landeten in einem<br />
dunklen Raum. Bei allen anderen funktioniert <strong>das</strong> Pulver<br />
richtig, nur bei mir <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nicht. Dreimal haben wir es<br />
bis jetzt benutzt <strong>und</strong> immer wieder sind wir dort<br />
gelandet. Dieser Raum befindet sich in einer kleinen<br />
Hütte irgendwo in der Nähe vom Schloss Hogwarts. Man<br />
kann es nämlich von der Vordertür aus sehen.<br />
Darin lag ein Mann namens Lucius auf einem Tisch <strong>und</strong><br />
eine Frau namens Narzissa drohte Peeves, dem<br />
Poltergeist. Er sollte ihr den Becher von Hufflepuff,<br />
einen Teil von der Schlange Nagini, <strong>das</strong> Diadem von<br />
Ravenclaw oder <strong>das</strong> Medaillon von Slytherin bringen,<br />
sonst würde sie ihn töten.<br />
Die ersten beiden Male lag der Mann auf seinem Tisch<br />
<strong>und</strong> er konnte sich kaum bewegen. Er hatte zu wenige<br />
von diesen ehemaligen Horkruxen. So hat die Frau diese<br />
Dinge genannt. Beim dritten Mal aber hatte er außer<br />
dem Buch <strong>und</strong> dem Ring auch schon <strong>das</strong> Diadem von<br />
238
239<br />
Ravenclaw <strong>und</strong> er war stärker. Er stand vor einem<br />
vernagelten Fenster <strong>und</strong> schaute hinaus zum verbotenen<br />
Wald.<br />
Dann kam wieder diese Frau <strong>und</strong> sie sagte ihm, <strong>das</strong>s sie<br />
s<strong>of</strong>ort aus der Hütte mussten, weil Pr<strong>of</strong>essor Granger sie<br />
sonst finden würde. Der Mann hat gesagt, <strong>das</strong>s sie die<br />
dritte sein wird, die sterben wird, wenn er erstmal noch<br />
mehr von diesen Horkruxen hat. Die ersten beiden sollen<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> ich sein. Er sagte, <strong>das</strong>s er, mit der Hilfe von der<br />
Frau <strong>und</strong> irgendjemand anderem, stark genug sei, um<br />
sämtliche Flüche zu durchbrechen, durch die Hogwarts<br />
geschützt ist <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> erledigen würde, was sich<br />
so viele wünschen. Nämlich uns beide zu töten.<br />
Anschließend sind die beiden in den verbotenen Wald<br />
gegangen, um sich dort vor Pr<strong>of</strong>essor Granger zu<br />
verstecken.<br />
Also, was genau sind die Horkruxe <strong>und</strong> wissen Sie<br />
womöglich, wo wir sie finden können? Wenn er noch<br />
eins oder zwei davon findet, dann schätzen wir, <strong>das</strong>s es<br />
zu spät sein wird. Das darf nicht geschehen, wir müssen<br />
schneller sein!<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
So schnell wie <strong>Dora</strong> den Brief geschrieben hatte, rollte sie ihn zusammen<br />
<strong>und</strong> rief die Eule vom Schrank zu sich herunter. Diese ließ<br />
sich ohne Probleme den Brief an den Fuß binden <strong>und</strong> schon war sie<br />
wieder auf <strong>und</strong> davon.<br />
„Hast du ihm alles erzählt?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> überlegte <strong>und</strong> nickte dann.<br />
„Ich denke ja“, meinte sie <strong>und</strong> überflog den Brief im Gedächtnis<br />
noch einmal. „Aber mich interessiert es, warum alle so auf <strong>das</strong> <strong>The</strong>-
ma Horkruxe reagieren. Zuerst Hagrid, dann Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong><br />
jetzt auch noch der da!“<br />
<strong>Dora</strong> zeigte auf den Brief, den sie gerade eben erhalten hatten.<br />
„Ja, die müssen schon was Besonderes sein!“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
Mit einem komischen Gefühl im Bauch schloss <strong>Lily</strong> schließlich<br />
wieder <strong>das</strong> Fenster, durch welches die Eule gerade eben den Raum<br />
verlassen hatte, <strong>und</strong> setzte sich auf ihr Bett.<br />
„Ich denke, wir sollten besser schlafen gehen. Wir haben Ted <strong>und</strong><br />
Scott morgen viel zu erklären!“, meinte sie.<br />
„Falls Madam Pomfrey ihn nicht noch einen Tag mehr einsperrt!“,<br />
sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nickte.<br />
„H<strong>of</strong>fentlich nicht. So gefährlich können die Dinger ja nicht sein!“<br />
240
241<br />
Geständnisse<br />
Als die Mädchen am nächsten Morgen zum Frühstück gingen, saßen<br />
Ted <strong>und</strong> Scott bereits am Gryffindortisch. Beide waren schon halb<br />
fertig mit dem Essen, als sich <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> zu ihnen setzten.<br />
„Na, hast du dieses Gift wieder aus dir 'raus gebracht?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Oh ja, hat aber auch lang genug gedauert. Madam Pomfrey hat<br />
sich echt angestrengt <strong>und</strong> mir die halbe Nacht lang versucht ein Gegenmittel<br />
zu verabreichen!“, erzählte er grinsend. „Aber George <strong>und</strong><br />
Lee versprechen echt nicht zu viel von dem Zeug <strong>und</strong> eigentlich sollten<br />
die <strong>das</strong> Doppelte verlangen, denn wenn heute nicht Samstag wäre,<br />
dürfte ich noch mal einen Tag lang schwänzen <strong>und</strong> mich ausschlafen!“<br />
Er schaute zufrieden <strong>und</strong> nahm sich ein weiteres Marmeladebrötchen.<br />
„Dann hast du ja auch sicher nichts dagegen, heute einen zwei Seiten<br />
langen Aufsatz über Nieswurz zu schreiben <strong>und</strong> den Aufsatz für<br />
Geschichte brauchst du ja auch noch!“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> s<strong>of</strong>ort verschwand<br />
<strong>das</strong> Grinsen von Teds Gesicht.<br />
„Ja, somit wäre auch dieser Samstag dann wieder gelaufen. Danke<br />
auch!“<br />
„Aber bevor du dich an die Arbeit machst, brauchen wir dich <strong>und</strong><br />
Scott noch. Lasst uns nach oben in den Gemeinschaftsraum gehen.<br />
Der sollte sowieso fast leer sein, weil die Älteren heute in Hogsmeade<br />
sind!“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
Scott schaute neugierig von seinem Frühstück auf.<br />
„Für was braucht ihr uns?“, fragte er.<br />
„Wir haben beschlossen, <strong>das</strong>s wir keine Angst davor haben, <strong>das</strong>s<br />
ihr nichts mehr mit uns zu tun haben wollt, wenn wir euch von unseren<br />
Träumen in Zaubereigeschichte erzählen!“, meine <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
machte eine spöttische Grimasse in Richtung Ted, doch dieser begann<br />
nur zu lachen.
„Na dann wird’s ja jetzt endlich mal interessant hier, wenn ihr uns<br />
von euren Alpträumen erzählt!“, spottete er zurück. „Da werden wir<br />
ja ein Gruselmärchen zu hören bekommen.“<br />
„Ja, wenn’s ein Märchen wäre, dann wäre es gruselig“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber leider ist es <strong>das</strong> nicht!“<br />
„Was meinst du damit?“, fragte Ted.<br />
„Hier hören zu viele zu“, antwortete <strong>Lily</strong>.<br />
„Also von mir aus können wir s<strong>of</strong>ort wieder hoch gehen, ich bin<br />
fertig!“, sagte Ted s<strong>of</strong>ort <strong>und</strong> sprang auf.<br />
„Aber wir noch nicht. Fünf Minuten noch!“<br />
Nachdem auch die Zwillinge fertig gegessen hatten, setzten sie<br />
sich wieder vor den Kamin im Gemeinschaftsraum. Es war bis jetzt<br />
der kälteste Tag in diesem Herbst <strong>und</strong> die meisten der Zuhausegebliebenen<br />
hatten sich in ihre Schlafsäle zurückgezogen. Nur eine andere<br />
Gruppe Erstklässler stand neben einem der Fenster <strong>und</strong> diskutierte<br />
über irgendetwas.<br />
„Okay, aber jetzt los. Wir sind gespannt, oder Scott?“, fragte Ted<br />
neugierig.<br />
Scott nickte aufgeregt.<br />
„Okay, zu allererst wollten wir euch fragen, ob ihr wisst, was<br />
Horkruxe sind“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
Die Jungs schüttelten den Kopf.<br />
„Okay, <strong>das</strong> dachten wir uns. Du erinnerst dich doch daran, <strong>das</strong>s<br />
<strong>Dora</strong> Sicherheitsmaßnahmen erwähnt hat. Diese waren allerdings<br />
nicht, um uns vor dir zu schützen, wie du sicher weißt, denn vor dir<br />
hat niemand hier Angst.“<br />
Ted streckte <strong>Lily</strong> die Zunge entgegen, doch diese fuhr fort, ohne<br />
darauf einzugehen.<br />
„Also Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Longbottom müssen irgendetwas<br />
unternommen haben, um uns hier drinnen zu schützen,<br />
weil es wohl einigen da draußen lieber wäre, wenn unser Dad keine<br />
Kinder gehabt hätte, <strong>und</strong> zwei von denen namens Narzissa <strong>und</strong> Lucius<br />
sind im Moment draußen im Wald <strong>und</strong> warten darauf, bis Peeves<br />
242
ihnen ein weiteres dieser Horkruxe bringt, damit sie stark genug<br />
werden, um hier einzudringen <strong>und</strong>… Ja, was sie dann vorhaben, <strong>das</strong><br />
könnt ihr euch da denken!“<br />
Scott <strong>und</strong> Ted machten große Augen.<br />
„Woher wisst ihr <strong>das</strong>?“, fragte Scott.<br />
„Zaubereigeschichte. Wir haben beide immer von diesen beiden<br />
geträumt <strong>und</strong> gestern sind sie dann aus dieser Hütte draußen verschw<strong>und</strong>en<br />
<strong>und</strong> in den Wald gegangen, weil Pr<strong>of</strong>essor Granger sie<br />
für irgendetwas benötigt hat. Sie war schon auf dem Weg zu ihr!“<br />
„Das war gestern?“, fragte Ted. „Wo war diese Hütte <strong>und</strong> wie habt<br />
ihr sie gesehen? Wart ihr dort?“<br />
„Ja, gestern in der Geschichtsst<strong>und</strong>e. Die Hütte ist ganz in der Nähe<br />
des Schlosses. Man kann es vom Eingang aus sehen <strong>und</strong> sie ist<br />
auch nicht weit entfernt vom verbotenen Wald! Ja, zumindest haben<br />
wir geträumt, <strong>das</strong>s wir dort waren. Aber es war nicht nur ein Traum,<br />
Peeves hat uns alles bestätigt.“<br />
Ted überlegte einen Moment.<br />
„Wie hat es dort drinnen ausgesehen? Ich denke nämlich, ich weiß,<br />
was ihr meint“, fragte er.<br />
„Vernagelte Fenster, viele Regale <strong>und</strong> es war ziemlich dunkel!“,<br />
überlegte <strong>Lily</strong>.<br />
„Meine Großmutter hat mir davon erzählt. Mein Dad ist früher <strong>of</strong>t<br />
mit seinen Fre<strong>und</strong>en dort gewesen. Man nennt sie die heulende Hütte!“,<br />
erklärte er.<br />
„Und ihr beiden versucht nicht uns einzureden, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> alles nur<br />
Einbildung ist?“, fragte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> betrachtete die Jungs.<br />
Scott schien wenig überzeugt zu sein, doch Ted schüttelte den<br />
Kopf.<br />
„Wie soll es Einbildung sein, wenn ihr eine Hütte beschreibt, die<br />
ihr noch nie gesehen habt <strong>und</strong> die es tatsächlich gibt?“, fragte er.<br />
„Und die Namen Lucius <strong>und</strong> Narzissa kenne ich auch von irgendwo.<br />
Wenn sie mit Nachnamen Malfoy heißen, dann waren es früher mal<br />
berüchtigte Todesser!“<br />
243
„Keine Ahnung, ich glaube sie haben ihren Nachnamen nie erwähnt“,<br />
sagte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> auch <strong>Dora</strong> schüttelte ihren Kopf.<br />
„Und es passt zusammen“, meinte Ted. „Sie waren volle zehn Jahre<br />
in Askaban <strong>und</strong> da sie viele andere Todesser verraten haben, wurde<br />
ihnen versprochen, <strong>das</strong>s sie wieder freikommen würden, wenn sie<br />
zehn Jahre überlebten. Das stand vor einem Jahr oder so im Tagespropheten.<br />
Gab große Aufregung bei meiner Grandma <strong>und</strong> den<br />
Weasleys. Die mochten die Malfoys nämlich nie!“<br />
„Ja, ich denke, <strong>das</strong>s ich diesen Bericht damals auch gelesen habe.<br />
Die waren anscheinend nicht wirklich beliebt. Mein Dad <strong>und</strong> meine<br />
Mum haben sich auch total drüber aufgeregt! Haben die nicht mal<br />
Voldemort bei sich wohnen lassen?“, fragte Scott.<br />
Ted nickte.<br />
„Ja, <strong>das</strong> haben sie. Waren echte Mistkerle! Damals hatte diese<br />
Narzissa sogar noch eine Schwester namens Bellatrix. Schien ziemlich<br />
verknallt in Voldemort oder zumindest seine Macht zu sein!“,<br />
sagte er.<br />
„Welche Haarfarbe hatte Lucius?“, fragte <strong>Dora</strong> um ganz sicher zu<br />
gehen, <strong>das</strong>s sie auch denselben meinten.<br />
Ted runzelte die Stirn.<br />
„Die Malfoys sind blond, wenn mich nicht alles täuscht!“<br />
„Ja, unser Lucius war auch blond.“<br />
„So, <strong>und</strong> jetzt erzählt uns alles noch mal von vorne. Was sind diese<br />
Horkruxe genau, nach denen du uns vorher gefragt hast <strong>und</strong> warum<br />
brauchen die Malfoys sie?“, fragte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> erzählen ihnen die Geschichte in allen Einzelheiten<br />
noch mal.<br />
„Slytherins Medaillon?“, fragte Scott plötzlich, als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
bei den Horkruxen angekommen waren.<br />
Die Mädchen nickten.<br />
„Wir haben ein altes, kaputtes Medaillon mit dem Wappen von<br />
Slytherin drauf zu Hause. Man kann es nicht mehr gut erkennen, aber<br />
Mum hat mir mal erklärt, was es einst darstellen sollte. Das ist<br />
244
sicher <strong>das</strong>, was ihr meint <strong>und</strong> jetzt liegt es zu Hause in einer Kiste<br />
auf dem Dachboden. Ich weiß nicht mehr, woher wir es haben!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> machten große Augen.<br />
„Kannst du uns <strong>das</strong> besorgen?“, fragte sie. „Es darf auf keinen Fall<br />
in die Hände von den beiden kommen <strong>und</strong> die würden alles dafür<br />
geben!“<br />
Scott nickte.<br />
„Ich kann Mum heute noch eine Eule schicken <strong>und</strong> morgen in der<br />
Früh können wir es haben. Ich denke nämlich nicht, <strong>das</strong>s sie in<br />
nächster Zeit irgendwann vorhat, sich dieses alte Ding um den Hals<br />
zu hängen!“<br />
Die vier lachten.<br />
„Okay, ich würde sagen, <strong>das</strong>s du dann den Brief schreibst, während<br />
wir diese Eule dort versorgen!“<br />
<strong>Dora</strong> zeigte auf <strong>das</strong> Fenster, vor dem noch immer die anderen<br />
Erstklässler standen. Sie schauten alle zu der Eule, die gerade damit<br />
begonnen hatte, anzuklopfen, doch niemand machte den Anschein,<br />
als würde er sie heute noch von alleine reinlassen.<br />
„Hey, Alice, könntest du mal aufmachen?“, rief <strong>Lily</strong> quer durch<br />
den Raum.<br />
Alice nickte <strong>und</strong> ließ die Eule herein, welche gleich auf die Zwillinge<br />
zuflog <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ihr Bein hinstreckte. Danach setzte sie sich<br />
auf den Vorsprung des Kamins <strong>und</strong> begann wie schon am Vortag zu<br />
warten.<br />
„Von wem ist die?“, fragte Ted, der die Eule ausgiebig betrachtete.<br />
„Von dem, von dem wir den Umhang haben. Wir haben ihm gestern<br />
die ganze Geschichte geschrieben“, erklärte <strong>Lily</strong>.<br />
„Seid ihr verrückt? Was ist, wenn der euch vorher mit Geschenken<br />
von seiner Gutmütigkeit überzeugen will <strong>und</strong> euch jetzt fertig<br />
macht?“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> zuckten mit den Schultern.<br />
„Wir haben keine andere Wahl. Wir können nichts machen!“,<br />
meinte <strong>Dora</strong>.<br />
245
„Und außerdem: was wäre, wenn du jetzt s<strong>of</strong>ort eine Eule an die<br />
Malfoys schickst <strong>und</strong> uns deine Nettigkeit nur vorgespielt hast, damit<br />
wir dir vertrauen? Das ist <strong>das</strong>selbe. Wir wissen nicht, wem wir<br />
vertrauen können, es bleibt uns aber nichts anderes übrig. Was sollen<br />
wir zwei alleine machen?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Ted zuckte mit den Schultern.<br />
„Ja okay, ihr habt Recht. Aber ich bezweifle stark, <strong>das</strong>s jemals irgendjemand<br />
hier reinkommen wird ins Schloss. Ihr seid erst in Gefahr,<br />
sobald ihr alleine rausgeht oder Ferien habt!“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, Lucius hörte sich zu zuversichtlich an <strong>und</strong> er meinte, <strong>das</strong>s<br />
er mit Narzissa <strong>und</strong> der Hilfe von irgendjemand anderem stark genug<br />
ist, um hier rein zu kommen. Er ist sich ganz sicher!“<br />
„Wollt ihr mitlesen?“, fragte <strong>Dora</strong> Ted <strong>und</strong> <strong>Lily</strong>.<br />
Scott war nämlich noch immer damit beschäftigt, den Brief an seine<br />
Mutter zu senden. Die beiden nickten <strong>und</strong> setzten sich auf beide<br />
Seiten neben <strong>Dora</strong>, die den Brief in ihren Händen hielt. Schnell begannen<br />
sie die hastig geschriebenen Worte zu lesen.<br />
Hallo <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>!<br />
Geht s<strong>of</strong>ort ins Büro von Pr<strong>of</strong>essor Granger. Ich bin<br />
davon ausgegangen, <strong>das</strong>s ihr es ihr nicht erzählt habt<br />
<strong>und</strong> deswegen habe ich <strong>das</strong> übernommen. Seid mir nicht<br />
böse, aber ihr könnt ihr vertrauen. Sie wird nur ihr<br />
Bestes tun, um euch zu helfen.<br />
Doch macht euch keine Sorgen. Darüber, <strong>das</strong>s ihr diese<br />
Tagträume in Zaubereigeschichte verwendet habt, werde<br />
ich ihr nichts erzählen, denn <strong>das</strong> würde sie nur aufregen.<br />
Über die Horkruxe kann ich euch nicht mehr sagen, tut<br />
mir leid. Ich weiß selbst nicht, wie sie jemanden stärken<br />
können. Vielleicht weiß Pr<strong>of</strong>essor Granger mehr<br />
darüber.<br />
246
247<br />
Was die restlichen drei Horkruxe angeht, so kann ich<br />
wenigstens dafür garantieren, <strong>das</strong>s den beiden die<br />
Schlange nicht in die Hände fällt. Zufällig weiß ich<br />
nämlich wo sie ist <strong>und</strong> ich werde sie noch heute<br />
bekommen <strong>und</strong> sicher aufbewahren.<br />
Mit den anderen beiden werde ich mir alle Mühe geben,<br />
um sie ebenfalls sicher zu stellen, doch leider weiß ich<br />
nicht, wo sie sich befinden.<br />
Tut mir leid, <strong>das</strong>s ich euch keine positiveren Nachrichten<br />
übermitteln kann. Aber versprecht mir bitte, <strong>das</strong>s ihr<br />
euch vom verbotenen Wald fernhaltet. Geht nicht raus<br />
aufs Gelände, egal was passiert. Auch nicht zum Fliegen.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger wird sich eine Entschuldigung für<br />
euch überlegen.<br />
Passt auf euch auf <strong>und</strong> behaltet diese Eule wieder. Sie<br />
wird bei euch im Schlafsaal wohnen, da ihr die Eulerei<br />
nicht gefällt.<br />
<strong>Dora</strong> schrieb schnell in ein paar Sätzen zurück, <strong>das</strong>s sie mit großer<br />
Wahrscheinlichkeit morgen früh schon <strong>das</strong> Medaillon haben würden,<br />
<strong>und</strong> schickte die Eule zurück.<br />
Dann standen die Zwillinge auf.<br />
„Wo geht ihr hin?“, fragte Scott, der eben auch seinen Brief an seine<br />
Mum abgeschickt hatte.<br />
„Zu Pr<strong>of</strong>essor Granger!“, antwortete <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> gab ihm den Brief<br />
des Unbekannten in die Hand, damit auch er ihn lesen konnte. „Wir<br />
erzählen euch dann alles!“<br />
Dann machten sie sich auf den Weg nach unten zu Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Zweimal in zwei Tagen. Dass sie es so <strong>of</strong>t schaffen würden, ins<br />
Büro ihres Hauslehrers bestellt zu werden, hätten die beiden auch<br />
nicht geglaubt. (nd dann noch von jemandem, den sie nicht kannten!<br />
<strong>Lily</strong> klopfte an <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger rief sie s<strong>of</strong>ort herein. Sie<br />
hatte ihren Kopf auf die Hände gestützt <strong>und</strong> las einen Brief, von dem
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> annahmen, <strong>das</strong>s es der war, von dem ihnen geschrieben<br />
worden war.<br />
Die beiden setzten sich, während ihre Lehrerin die Zeilen hastig<br />
überflog. Schließlich blickte sie auf. Es schien, als hätte sie Tränen<br />
in den Augen.<br />
„Ich dachte, es wäre vorbei“, meinte sie leise <strong>und</strong> schüttelte den<br />
Kopf.<br />
Eine kurze Pause trat ein, doch dann veränderte sich ihre Stimme<br />
<strong>und</strong> plötzlich klang sie wieder geschäftsmäßig ruhig.<br />
„Wenn so etwas passiert, dann sagt es mir bitte“, meinte sie.<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Sie glauben es also?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja, ich habe euch doch gestern gesagt, <strong>das</strong>s ihr euch darüber keine<br />
Sorgen machen müsst. Glaubt mir, zwar gab es bei eurem Dad einen<br />
Gr<strong>und</strong>, warum er viele außergewöhnliche Sachen gesehen oder erlebt<br />
hat, <strong>und</strong> bei euch sehe ich im Moment noch keinen, aber trotzdem<br />
habe ich in den Jahren, in denen ich mit ihm befre<strong>und</strong>et war,<br />
gelernt, <strong>das</strong>s nicht alles in Büchern steht, was man wissen <strong>und</strong> glauben<br />
muss, <strong>und</strong> wenn insbesondere ihr, als seine Töchter, zu mir<br />
kommt <strong>und</strong> mir irgendwelche noch so unglaublichen Geschichten<br />
erzählt, wo werde ich sie zumindest nachprüfen <strong>und</strong> mir nicht denken,<br />
<strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht sein kann. Diese Sache hier ist dieselbe <strong>und</strong> ich<br />
brauche gar nicht zu überlegen, ob es einfach nur normale Träume<br />
gewesen sind. Wenn woher hättet ihr wissen sollen, <strong>das</strong>s ich gestern<br />
in die Heulende Hütte gegangen bin? Es wussten nämlich nur insgesamt<br />
fünf Leute davon <strong>und</strong> keiner von ihnen hätte euch etwas davon<br />
erzählt!“, meinte sie.<br />
Wieder nickten die Zwillinge. Es war einleuchtend, <strong>das</strong>s sie ihnen<br />
aufgr<strong>und</strong> dieser Tatsache glaubte.<br />
„Aber denkt darüber nicht weiter nach. Ich werde s<strong>of</strong>ort Pr<strong>of</strong>essor<br />
Longbottom <strong>und</strong> einige andere Lehrer <strong>und</strong> ein paar befre<strong>und</strong>ete Auroren<br />
damit beauftragen, den Wald zu durchsuchen, <strong>und</strong> wenn sie<br />
248
sich noch dort aufhalten, dann werden wir die beiden finden. Deshalb<br />
hattet ihr auch die Frage wegen den Horkruxen, stimmt’s?“<br />
„Ja“, antwortete <strong>Lily</strong>. „Wir wollten wissen, wo wir die finden können!“<br />
„Nun ja, ich schätze, die meisten, die noch auf dem Schulgelände<br />
waren, haben sie inzwischen. Das Tagebuch, den Ring <strong>und</strong> <strong>das</strong> Diadem!<br />
Nach diesem Ring habe ich den ganzen Wald durchsucht, denn<br />
euer Dad hat ihn einst dort gelassen, aber ich habe ihn niemals gef<strong>und</strong>en.<br />
Mich würde interessieren, wer ihn die ganzen Jahre über hatte,<br />
denn die Malfoys waren bis vor kurzem in Askaban. Ich schätze<br />
mal, <strong>das</strong>s diese Narzissa, von der ihr ihm geschrieben habt, Mrs.<br />
Malfoy war, oder?“<br />
Die Zwillinge nickten.<br />
„Wir glauben schon!“, antwortete <strong>Dora</strong>. „Haben Sie eigentlich<br />
schon mehr über den oder die herausgef<strong>und</strong>en, der uns diese Briefe<br />
schreibt?“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger schüttelte den Kopf <strong>und</strong> starrte aus dem Fenster.<br />
„Glaubt mir, wenn ich es wüsste, wäre ich mehr als glücklich darüber.<br />
Ich habe schon versucht, eine Eule hinter einem seiner oder<br />
ihrer Vögel herzuschicken, doch sie wurde abgehängt. Diese Person<br />
hat alles sorgfältig geplant, damit niemand ihre Identität herausfindet!“<br />
„Wir haben gehört, wie Lucius etwas von Sicherheitsmaßnahmen<br />
im Schloss erzählt hat, ohne die wir schon längst nicht mehr hier wären,<br />
<strong>und</strong> er meinte, <strong>das</strong>s Sie <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Longbottom diese errichtet<br />
hatten. Aber warum denn? Haben Sie etwas von dem Plan der<br />
Malfoys geahnt?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Wieder schüttelte die Lehrerin ihren Kopf.<br />
„Ihr müsst wissen, <strong>das</strong>s einige Lehrer hier ebenfalls mit dem Briefeschreiber<br />
in Verbindung stehen. Als Pr<strong>of</strong>essor Longbottom mir in<br />
der letzen Augustwoche erzählt hat, <strong>das</strong>s er einen Brief erhalten habe,<br />
in dem er darauf hingewiesen wurde, <strong>das</strong>s er s<strong>of</strong>ort damit beginnen<br />
sollte, Defensivzauber <strong>und</strong> –flüche zu unterrichten, dachte ich<br />
249
mir schon, <strong>das</strong>s irgendetwas nicht stimmt“, erzählte sie. „Ich habe<br />
ihn dann darum gebeten, <strong>das</strong> zu tun. Schaden kann es ja niemandem<br />
<strong>und</strong> er war sowieso von Anfang an der Meinung, <strong>das</strong>s Verteidigung<br />
gegen die dunklen Künste bis jetzt nie richtig unterrichtet wurde,<br />
<strong>und</strong> so hat er gleich damit begonnen. Noch am selben Tag, in dem<br />
dann der Artikel im Tagespropheten erschienen ist, habe auch ich<br />
einen Brief von ihm oder ihr bekommen. Ich wurde darauf hingewiesen,<br />
<strong>das</strong>s ihr nicht mehr in Sicherheit seid, hier in der Schule <strong>und</strong><br />
auch sonst nirgendwo <strong>und</strong> <strong>das</strong>s ich <strong>das</strong> ganze Schloss so gut wie<br />
möglich abriegeln solle, damit niemand hier reinkommt. Doch anscheinend<br />
haben sich die beiden noch am selben Tag auf dem<br />
Schlossgr<strong>und</strong> eingenistet <strong>und</strong> zumindest <strong>das</strong> Tagebuch gestohlen. Ich<br />
war zu langsam damit, <strong>das</strong> Schloss abzusichern.“<br />
Sie atmete tief durch.<br />
„Macht euch bitte keine Sorgen, euch wird nichts passieren, dafür<br />
sorge ich, auch wenn ich nicht weiß, womit wir es eigentlich zu tun<br />
haben! Ihr werdet erstmal im Schloss bleiben. Flugunterricht braucht<br />
ihr beiden sowieso nicht <strong>und</strong> Kräuterk<strong>und</strong>e ist ebenfalls entschuldigt.<br />
Ich erzähle Pr<strong>of</strong>essor Sprout schon irgendeine Geschichte, damit ihr<br />
nicht hinaus müsst. Ted <strong>und</strong> Scott, von denen ich annehme, <strong>das</strong>s sie<br />
davon wissen, werden ebenfalls <strong>das</strong> Schulgebäude nicht mehr verlassen.“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger fasste sich an den Kopf <strong>und</strong> überlegte.<br />
„Aber warum denn? Sie sind doch nicht in Gefahr, oder?“, fragte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Wahrscheinlich nicht, aber wie gesagt, ich weiß nicht, womit wir<br />
es zu tun haben. Euer Dad konnte früher manchmal in den Kopf von<br />
Lord Voldemort schauen <strong>und</strong> umgekehrt konnte dieser ihn schon fast<br />
kontrollieren. Wenn wir es wieder mit ihm zu tun haben, was ich<br />
aufgr<strong>und</strong> der Horkruxe vermute, dann wäre es möglich, <strong>das</strong>s er sich<br />
Zugang zu euren Gedanken verschaffen kann <strong>und</strong> schon weiß, <strong>das</strong>s<br />
die beiden etwas davon wissen. Das sind allerdings nur Möglichkeiten<br />
<strong>und</strong> ich weiß nicht, ob überhaupt etwas davon zutrifft. Vielleicht<br />
250
will Malfoy auch nur eine Sammlung der Horkruxe aufmachen. Allerdings<br />
ist <strong>das</strong> auch eher unwahrscheinlich, da er dadurch nicht<br />
stärker würde. Niemand weiß genügend über diese Objekte, um sagen<br />
zu können, welche Kräfte sie haben. Ich weiß nur sicher, <strong>das</strong>s<br />
euer Dad, sein bester Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong> ich alle zerstört haben, <strong>und</strong> kann<br />
mir nicht vorstellen, <strong>das</strong>s sie in diesem Zustand noch jemandem nützen…“<br />
„Aber warum haben Sie sie zerstört? Waren sie gefährlich?“<br />
„Das ist nicht wichtig <strong>und</strong> ich werde euch zu diesem <strong>The</strong>ma auch<br />
nichts Weiteres sagen. Außerdem ist es sowieso egal, da sie kaputt<br />
sind, <strong>und</strong> nach meinem Wissen sind Horkruxe sowieso nur für etwas<br />
gut, wenn sie unversehrt sind. Also vergesst dieses <strong>The</strong>ma einfach!“<br />
Warum wollte den beiden niemand etwas darüber erzählen? Es waren<br />
doch nur normale Gegenstände, hinter denen die Malfoys her<br />
waren, <strong>und</strong> trotzdem schienen sich alle vor ihnen zu fürchten. Zumindest<br />
alle jene, die schon einmal etwas von diesen Gegenständen<br />
gehört hatten.<br />
Doch gefährlich schienen sie nicht zu sein. Scott hatte schließlich<br />
schon lange eines bei sich auf dem Dachboden deponiert <strong>und</strong> er war<br />
noch am Leben <strong>und</strong> es schien ihm auch gut zu gehen.<br />
„Und was sollen wir jetzt machen? Wir können doch nicht den<br />
ganzen Tag 'rumsitzen <strong>und</strong> nichts gegen die Malfoys machen, oder?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger musterte sie mit hochgezogener Augenbraue.<br />
„Und ob ihr <strong>das</strong> könnt <strong>und</strong> genauso werdet ihr <strong>das</strong> auch machen.<br />
Wir kümmern uns darum. Auch wenn wir alle hier wissen, <strong>das</strong>s ihr<br />
beide außergewöhnliches Talent habt, wissen wir auch, <strong>das</strong>s ihr noch<br />
viel zu lernen habt, <strong>und</strong> ihr könntet es nicht mit ihnen aufnehmen.<br />
Das muss euch klar sein. Deshalb bitte ich euch, mir alles zu erzählen,<br />
was ihr erfahrt, <strong>und</strong> ich bitte euch auch darum, <strong>das</strong>s ihr nichts<br />
macht <strong>und</strong> auf keinen Fall <strong>das</strong> Gebäude verlasst. Hab ich mich klar<br />
ausgedrückt?“<br />
Plötzlich wirkte sie viel strenger als sonst.<br />
251
„Ja, verstanden“, meinten die beiden gleichzeitig.<br />
„Okay, dann dürft ihr jetzt gehen <strong>und</strong> Ted <strong>und</strong> Scott sagen, <strong>das</strong>s sie<br />
auf keinen Fall hinaus dürfen! Und bitte kommt s<strong>of</strong>ort zu mir, wenn<br />
ihr etwas erfahrt! Ich werde jetzt erstmal alles für die Durchsuchung<br />
des Waldes vorbereiten! Passt auf euch auf!“<br />
Die beiden nickten <strong>und</strong> gingen so schnell sie konnten wieder nach<br />
oben in den Gemeinschaftsraum.<br />
„Na toll, wie sollen wir es dann anstellen, <strong>das</strong>s wir an <strong>das</strong> letzte<br />
Horkrux kommen? Wir können es doch nicht einfach so irgendwo<br />
vor sich hin gammeln lassen, oder? Früher oder später wird Peeves<br />
es für die beiden auftreiben!“, meinte <strong>Lily</strong> sauer, als sie zurück durch<br />
<strong>das</strong> Portraitloch kletterten.<br />
Der Gemeinschaftsraum war jetzt komplett leer <strong>und</strong> düsteres, Licht<br />
fiel durch die großen Fenster herein. Die Lampe an der Decke war<br />
hell erleuchtet, obwohl es erst knapp vor dem Mittagessen war, doch<br />
die dichten Wolken draußen machten es der Sonne schier unmöglich,<br />
ihre Strahlen zur Erde zu schicken.<br />
„Und?“, fragte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> zuckten mit ihren Schultern.<br />
„Wir dürfen alle vier <strong>das</strong> Schloss nicht mehr verlassen. Nicht mal<br />
für Kräuterk<strong>und</strong>e <strong>und</strong> für die Flugst<strong>und</strong>en!“, erklärte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> setzte<br />
sich mit verschränkten Armen auf einen Sessel.<br />
„Was?“, fragte Ted. „Das ist doch nicht ihr Ernst, oder?“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Doch, ihr voller Ernst!“<br />
„Aber was haben wir damit zu tun? Ich meine, warum sollen auch<br />
wir hier drinnen bleiben? Niemand will Scott <strong>und</strong> mich umbringen,<br />
oder habe ich da etwas Wichtiges übersehen?“<br />
„Mit allergrößter Wahrscheinlichkeit nicht“, erklärte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong><br />
starrte zum Fenster hinaus in Richtung des verbotenen Waldes.<br />
Hagrid ging gerade aus seiner Hütte <strong>und</strong> direkt dorthin, wo die<br />
Malfoys vielleicht gerade auf ein Opfer warteten. Wenn irgendjemandem<br />
etwas passieren würde, dann wäre es die Schuld von ihr<br />
252
<strong>und</strong> <strong>Lily</strong>. Die beiden waren schließlich der Gr<strong>und</strong>, aus dem sich die<br />
Malfoys in der Nähe der Schule eingenistet hatten.<br />
„Aber Pr<strong>of</strong>essor Granger ist trotzdem der Meinung, <strong>das</strong>s es sicherer<br />
für euch beide ist, wenn auch ihr nicht mehr hinaus geht“, meinte<br />
<strong>Lily</strong>. „Sie sagt, <strong>das</strong>s sie auch nicht genau weiß, womit wir es zu tun<br />
haben <strong>und</strong> wir müssten auf alles gefasst sein. Oder besser: sie müsste<br />
auf alles gefasst sein, weil wir dürften ja, wenn es nach ihr ginge,<br />
nicht mal mehr aus unseren Schlafsälen!“<br />
„Und sie glaubt tatsächlich, <strong>das</strong>s wir uns auch daran halten?“, fragte<br />
Ted ungläubig.<br />
„Nein, ich schätze eher, <strong>das</strong>s sie h<strong>of</strong>ft, <strong>das</strong>s wir uns daran halten.<br />
Nicht mehr <strong>und</strong> nicht weniger!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Ted setzte ein breites Lächeln auf.<br />
„Wusste ich es doch, <strong>das</strong>s es hier nicht <strong>das</strong> ganze Jahr so langweilig<br />
sein wird. Gott sei Dank haben wir euch beide getr<strong>of</strong>fen, denn<br />
mit euch ist wenigstens was los hier!“<br />
„Haha, du bist ja so was von witzig, Ted!“, meinte <strong>Lily</strong> missgelaunt.<br />
Die Tatsache, <strong>das</strong>s sie hier darauf warten sollten, bis die Malfoys<br />
einen Weg in die Schule zu ihnen gef<strong>und</strong>en hatten, war für sie alles<br />
andere als eine willkommene Abwechslung.<br />
„Hey, wir schaffen <strong>das</strong> schon! Immerhin hat Scotty ja bei sich zu<br />
Hause eines der Horkruxe liegen <strong>und</strong> jetzt müssen wir nur noch <strong>das</strong><br />
letzte finden“, versuchte Ted sie aufzumuntern, was allerdings<br />
gründlich fehlschlug.<br />
„Hey, ich bin kein H<strong>und</strong> <strong>und</strong> habe auch keinen H<strong>und</strong>enamen!“,<br />
zischte Scott, doch die anderen ignorierten ihn.<br />
„Und wenn man dann noch die Tatsache berücksichtigt, <strong>das</strong>s die<br />
Malfoys Peeves haben <strong>und</strong> sich frei bewegen können <strong>und</strong> wir nicht<br />
hinaus dürfen, dann sieht auch alles mehr als rosig für uns aus!“,<br />
entgegnete sie.<br />
253
„Der Optimismus, wie er leibt <strong>und</strong> lebt“, murmelte Ted. „Also, an<br />
alle hier, die noch nicht aufgegeben haben: Habt ihr eine Ahnung,<br />
wo <strong>das</strong> letzte Horkrux sein könnte?“<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott schüttelten ihre Köpfe.<br />
Inzwischen war es kurz vor Weihnachten. Pr<strong>of</strong>essor Granger erzählte<br />
den Zwillingen, <strong>das</strong>s sie alles Erdenkliche unternommen hatte, doch<br />
die Suche nach Lucius <strong>und</strong> Narzissa Malfoy war vergeblich gewesen.<br />
Sie mussten ihr Versteck gewechselt haben <strong>und</strong> waren jetzt auf<br />
keinen Fall mehr irgendwo auf den Schlossgründen. Auch im<br />
Schloss selbst konnten sie sich nicht aufhalten, da <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> die<br />
Karte des Rumtreibers alle paar Tage genau absuchten.<br />
Auch von Hufflepuffs Becher hatten die beiden nichts gehört, geschweige<br />
denn ihn in die Finger bekommen. Das einzig Positive war,<br />
<strong>das</strong>s Scotts Mum ihm <strong>das</strong> Medaillon s<strong>of</strong>ort geschickt hatte ohne groß<br />
nachzufragen, w<strong>of</strong>ür er es benötigte. Er trug es nun immer bei sich,<br />
da ihnen der Fremde in einem Brief geschrieben hatte, <strong>das</strong>s sie es nie<br />
aus den Augen lassen sollten. Ihm wäre es am liebsten gewesen,<br />
wenn er selbst darauf Acht geben könnte, doch er hatte noch keine<br />
Möglichkeit gef<strong>und</strong>en, wie sie es ihm übergeben konnten, denn ein<br />
Transport per Eule wäre zu riskant. Die Malfoys könnten den Vogel<br />
abfangen. Er hatte ihnen nur geraten, <strong>das</strong> Medaillon nie aus den Augen<br />
zu lassen <strong>und</strong> aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> sollten sie auch Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger nichts davon erzählen, <strong>das</strong>s es im Besitz der vier war.<br />
Die Zeit schleppte sich nur so dahin. Vorher hatten sich die Mädchen<br />
<strong>und</strong> auch Ted <strong>und</strong> Scott immer auf die Flugst<strong>und</strong>en gefreut,<br />
doch in den letzten Wochen wollte man sie nicht mal in die Nähe<br />
von Besen lassen. Es sei zu ihrem eigenen Besten, hieß es nur immer,<br />
wenn sie fragten, ob sie nicht doch einmal raus dürften. Nicht<br />
mal zu Hagrid durften sie gehen, auch wenn dieser Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
versicherte, <strong>das</strong>s er sie abholen <strong>und</strong> zurückbringen würde.<br />
Harry verbrachte unterdessen fast jeden seiner freien Abende bei<br />
ihm, denn Hagrid schien lange auf jemanden gewartet zu haben, der<br />
254
die gleiche Vorliebe für gefährliche Tiere hatte. So erzählte Harry<br />
den Zwillingen bei jeder Gelegenheit von neuen, ihnen unbekannten<br />
Lebewesen, die überall auf der Erde verstreut lebten. Viele von ihnen<br />
sogar im verbotenen Wald.<br />
Zwar war bekannt, <strong>das</strong>s auch Harry ein Verwandter von Harry Potter<br />
war, aber Pr<strong>of</strong>essor Granger sah aus irgendeinem Gr<strong>und</strong> keine<br />
Notwendigkeit, auch ihn im Schloss einzusperren. Vermutlich, weil<br />
er keine Ahnung von den Träumen der Zwillinge hatte <strong>und</strong> somit<br />
keine Gefahr für die Malfoys darstellte. Allmählich hatten <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong>,<br />
Scott <strong>und</strong> Ted sogar die Vermutung, <strong>das</strong>s die Suche nach den<br />
beiden komplett aufgegeben worden war, denn die Versorgung mit<br />
Informationen über den Fortschritt der Verfolgung oder eben nicht<br />
hatte mit der Zeit fast komplett aufgehört. Jeder Tag, an dem sie<br />
nichts von Pr<strong>of</strong>essor Granger hörten, brachte ihnen diese Vermutung<br />
nur noch näher.<br />
Harry machte sich ebenfalls ziemlich gut in den Fächern, in denen<br />
Zauberei gefragt war, <strong>und</strong> seine anfänglichen Zweifel, <strong>das</strong>s er gar<br />
nicht zum Zaubern geschaffen war, waren schnell vergessen. Er war<br />
immer einer der ersten, die es schafften, irgendetwas richtig zu verwandeln.<br />
Mit Ausnahme der Zwillinge natürlich. Die beiden konnte<br />
niemand schlagen.<br />
In Zaubertränke waren sie zwar nicht zusammen in einer Gruppe,<br />
aber dennoch bekam er auf alle Aufsätze bessere Benotungen. Die<br />
einzigen Fächer, die er gar nicht beherrschte, waren Zaubereigeschichte<br />
<strong>und</strong> Kräuterk<strong>und</strong>e. Immer wenn er eine Hausaufgabe<br />
schreiben musste, kam er zu den Zwillingen <strong>und</strong> bat sie um deren<br />
Aufgaben, die die verzauberte Feder geschrieben hatte. Er bew<strong>und</strong>erte<br />
sie dafür, <strong>das</strong>s sie alles so genau mitschrieben, denn sie hatten<br />
ihm nichts davon erzählt, <strong>das</strong>s sie eine derartige Feder besaßen. Astronomie<br />
war ebenfalls keine seiner Stärken, genauso wenig wie von<br />
den Zwillingen. Sternbilder erkennen gehörte einfach nicht zu ihren<br />
Hobbys.<br />
255
Es freute die vier, <strong>das</strong>s die letzten beiden Flugst<strong>und</strong>en vor Weihnachten<br />
abgeblasen worden waren, weil es bei diesem Wetter zu gefährlich<br />
war, Erstklässler in die Luft zu lassen. Deshalb hatten sie<br />
drinnen im warmen Klassenzimmer <strong>The</strong>oriest<strong>und</strong>en über die Entwicklung<br />
von Besen <strong>und</strong> die Quidditch-Nationalmannschaften. So<br />
konnten die Zwillinge <strong>und</strong> ihre beiden Fre<strong>und</strong>e wenigstens daran<br />
teilnehmen, auch wenn es keine angemessene Entschädigung war.<br />
„Sagt mal, was haltet ihr davon, wenn wir Peeves mal einen Besuch<br />
abstatten?“, fragte Ted, als sie von der letzten Flugst<strong>und</strong>e im<br />
Klassenzimmer zurück zum Gemeinschaftsraum der Gryffindors<br />
spazierten.<br />
„Was willst du ihn fragen?“, fragte Scott.<br />
„Na ja, es ist doch zum Verrücktwerden, <strong>das</strong>s wir hier gar nichts<br />
erfahren. Der ist so verzweifelt, <strong>das</strong>s er uns vielleicht sogar etwas<br />
sagt!“, meinte Ted.<br />
Die Zwillinge <strong>und</strong> Scott nickten.<br />
„Zu verlieren haben wir doch nichts, oder?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Also los, wo finden wir ihn?“, meinte <strong>Lily</strong>, sichtlich froh darüber,<br />
<strong>das</strong>s endlich einmal jemand etwas vorgeschlagen hatte, was sie unternehmen<br />
konnten.<br />
Die anderen drei überlegten.<br />
„Der hängt noch immer auffällig <strong>of</strong>t mit Barnabas rum“, stellte<br />
<strong>Dora</strong> schließlich fest. „Wir müssen doch auch mal Glück haben, oder?“<br />
Sie nickten <strong>und</strong> machten sich auf den Weg in den siebten Stock.<br />
Gerade, als sie die Treppe hochstiegen, wollte Peeves einen anderen<br />
Gang nehmen, doch sie sahen ihn noch rechtzeitig <strong>und</strong> Ted rief ihm<br />
hinterher.<br />
„Hey Peevsy“, schrie er <strong>und</strong> einige verw<strong>und</strong>erte Augenpaare wanden<br />
sich zu ihm.<br />
Das von Peeves war ebenfalls darunter.<br />
256
„Mach keine Witze mit ihm“, mahnte ihn <strong>Dora</strong>. „Er hat auch im<br />
Moment ein ziemlich schweres… ähm… eine ziemlich schwere Existenz<br />
hier im Schloss!“<br />
Ted verdrehte die Augen <strong>und</strong> die vier gingen auf den verdattert<br />
aussehenden Poltergeist zu.<br />
„Na, wie geht’s, alter Kumpel?“, fragte er grinsend.<br />
Peeves warf ihm einen finsteren Blick zu <strong>und</strong> wandte sich von den<br />
Vieren ab, um davon zu schweben.<br />
„Was machst du eigentlich immer hier?“, fragte Ted.<br />
„Ich?“, fragte Peeves <strong>und</strong> drehte sich wieder zurück. „Ich wüsste<br />
nicht, was dich <strong>das</strong> angeht!“<br />
Er zog sich seine Fliege enger um den Hals <strong>und</strong> machte ein ernst<br />
aussehendes <strong>und</strong> wichtigtuerisches Gesicht.<br />
„Hast du schon <strong>das</strong> Medaillon, die Schlange oder den Becher gef<strong>und</strong>en?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Der Geist wandte seinen Blick von Ted ab <strong>und</strong> schaute plötzlich<br />
<strong>Lily</strong> an. Er schien kurz zu überlegen, was er am besten antworten<br />
sollte.<br />
„Wovon redest du?“, zischte er mit schmalen Lippen <strong>und</strong> zusammengezogenen<br />
Augenbrauen.<br />
„Ach, von gar nichts“, sagte <strong>Dora</strong> schnell. „Wir wollten dich nur<br />
mal fragen, was du immer hier treibst <strong>und</strong> warum du uns jetzt ignorierst,<br />
wo du doch am Anfang des Jahres soviel Spaß daran hattest,<br />
Lieder über uns zu singen!“<br />
„Das geht dich genauso wenig an wie den da!“, sagte Peeves zickig<br />
<strong>und</strong> deutete auf Ted.<br />
„Aber du hast keines dieser drei Dinge gef<strong>und</strong>en, oder?“, fragte<br />
dieser ihn.<br />
„Was wollt ihr von mir?“<br />
Plötzlich wirkte der Geist ziemlich aufgelöst.<br />
„Lasst mich doch in Ruhe. Wenn ich welche gef<strong>und</strong>en hätte, würde<br />
ich euch <strong>das</strong> auch nicht verraten. Das geht niemanden etwas an!“<br />
257
Er drehte sich ruckartig von den Vieren weg <strong>und</strong> schwebte seitlich<br />
ins nächste Klassenzimmer, dessen Tür <strong>of</strong>fen war. Da die vier hören<br />
konnten, <strong>das</strong>s darin Leute waren, konnten sie ihm unmöglich folgen<br />
<strong>und</strong> so blieb ihnen nicht anderes übrig, als es für den heutigen Tag<br />
bleiben zu lassen. Dennoch waren sie alle vier beruhigt.<br />
„Er hat den Hufflepuffbecher also nicht gef<strong>und</strong>en!“, meinte Ted<br />
triumphierend.<br />
„Nein, ganz sicher nicht, <strong>das</strong> hätten wir bemerkt! Der war zu deprimiert“,<br />
antwortete <strong>Lily</strong>, ebenfalls lächelnd.<br />
Scott blickte die beiden böse an, während sie der fetten Dame <strong>das</strong><br />
Passwort sagten <strong>und</strong> zurück in den Gemeinschaftsraum kletterten.<br />
„Tut der euch gar nicht leid?“, fragte er. „Er wird ermordet, wenn<br />
er ihnen diese Gegenstände nicht bringt. Die Malfoys waren nicht<br />
umsonst zehn Jahre lang in Askaban. Die machen keine Witze!“<br />
Doch Ted zuckte nur mit den Schultern.<br />
„Was ich bis jetzt über diesen Geist gehört habe, so hätte er es nur<br />
verdient!“, meinte er.<br />
„Aber weil wir hier in Gryffindor <strong>und</strong> nicht in Slytherin sind, sollten<br />
wir ihm eigentlich helfen, oder nicht?“, versuchte Scott weiterhin<br />
Peeves zu verteidigen.<br />
„Da hat er Recht“, meinte auch <strong>Dora</strong>.<br />
„Na ja, vielleicht irgendwann mal, wenn er netter zu uns wird“,<br />
gab Ted missmutig nach. „Ach, wie ist <strong>das</strong> jetzt eigentlich wegen<br />
Weihnachten?“<br />
Ted schaute <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> an. Die beiden hatten keine Ahnung,<br />
was er mit dieser plötzlichen Frage meinte.<br />
„Wir kommen die erste Woche zu euch <strong>und</strong> die zweite nach Hause!“,<br />
wiederholte <strong>Lily</strong> <strong>das</strong>, was sie schon so <strong>of</strong>t besprochen hatten.<br />
„Das war doch so ausgemacht!“<br />
„Ja, schon klar!“, meinte Ted. „Aber lässt Pr<strong>of</strong>essor Granger überhaupt<br />
jemanden von uns hier weg?“<br />
Die anderen drei schauten sich fragend an <strong>und</strong> überlegten. So, wie<br />
sie derzeit von der stellvertretenden Schulleiterin behandelt wurden,<br />
258
konnten sie sich gut vorstellen, die nächsten beiden Wochen im Gemeinschaftsraum<br />
verbringen zu müssen, weil nicht mal genug Leute<br />
im Schloss waren, um sie auf den Gängen vor möglicher Gefahr zu<br />
schützen. Wie würde es dann erst außerhalb der Schule oder gar bei<br />
Muggeln aussehen?<br />
„Also mein Dad hat gestern noch gesagt, <strong>das</strong>s wir über Weihnachten<br />
zu unseren Großeltern fahren <strong>und</strong> die beiden Wochen dort<br />
verbringen!“, sagte Scott schließlich. „Er nimmt mit mir gleich <strong>das</strong><br />
Flohnetzwerk von der Schule, zu ihr.“<br />
„Was, wenn Pr<strong>of</strong>essor Granger ihm gar nichts davon erzählt hat,<br />
<strong>das</strong>s sie uns hier einsperrt? Vielleicht weiß er gar nichts davon!“,<br />
meinte Ted.<br />
„Ach quatsch“, winkte Scott ab. „Der weiß von dieser Horkrux-<br />
Geschichte. Er will mir zwar nichts erzählen, aber er sagte, <strong>das</strong>s er es<br />
auch besser findet, <strong>das</strong>s wir erstmal im Haus bleiben. Das heißt, sie<br />
müsste ihm alles erzählt haben, außer <strong>das</strong>s sie uns zu Weihnachten<br />
hier lassen will, <strong>und</strong> <strong>das</strong> glaube ich nicht. Die lassen sich schon was<br />
einfallen. Wir waren über Weihnachten noch nie unterwegs, sondern<br />
immer zu Hause. Ich denke, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> kein Zufall ist. Dad will mich<br />
nicht dort haben, wo jeder mich vermutet!“<br />
Die anderen drei nickten. Es stimmte allerdings, <strong>das</strong>s es komisch<br />
gewesen wäre, wenn Pr<strong>of</strong>essor Granger Scotts Dad alles erzählt hätte,<br />
nur nicht, <strong>das</strong>s sein Sohn zu Weihnachten besser in der Schule<br />
bleiben sollte. Außerdem war sie wahrscheinlich selbst auch nicht<br />
anwesend, wie die meisten anderen Lehrer.<br />
„Dann h<strong>of</strong>fen wir mal, <strong>das</strong>s sie uns anderen dreien auch unsere<br />
Freiheit lässt!“, meinte <strong>Lily</strong>. „Könnte ja sein, <strong>das</strong>s du so was wie einen<br />
Lehrer-Sohn-Bonus bekommst!“<br />
Doch Scott schüttelte den Kopf.<br />
„Nein, <strong>das</strong> glaube ich nicht“, antwortete er. „Die lässt sich schon<br />
was einfallen. Wollt ihr sie nicht mal fragen gehen? Immerhin reisen<br />
wir übermorgen früh ab!“<br />
259
Die Zwillinge, welche es sich gerade vor dem Kamin gemütlich<br />
gemacht hatten, standen wieder auf <strong>und</strong> nickten.<br />
„Dann werden wir <strong>das</strong> wohl mal machen“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger kam gerade aus ihrem Büro, als die vor ihrer<br />
Tür ankamen. Sie schaute sie fragend an.<br />
„Wolltet ihr zu mir?“, wollte sie von den beiden wissen.<br />
Sie nickten.<br />
„Ja, wir wollten Sie fragen, ob wir über Weihnachten zu den<br />
Weasleys <strong>und</strong> danach nach Hause dürfen!“, fragten sie.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger begann zu lächeln.<br />
„Aber sicher, ich kann euch ja schlecht hier einsperren!“, meinte<br />
sie <strong>und</strong> die Zwillinge atmeten erleichtert aus. „Allerdings dürft ihr<br />
die Gr<strong>und</strong>stücke der Häuser nicht verlassen. Ich wollte mich gerade<br />
auf den Weg zu den Weasleys machen. Wir werden nämlich ein paar<br />
Schutzmaßnahmen ergreifen. Mit eurem Onkel ist bereits alles abgesprochen.<br />
Er hat ebenfalls nichts dagegen, wenn wir ein paar Zaubersprüche<br />
<strong>und</strong> Flüche aussprechen, damit niemand hineinkommt.<br />
Aber darüber macht euch keine Sorgen. Ich kenne einige Auroren,<br />
die froh sind, wenn sie wieder mal ein paar Flüche aussprechen dürfen,<br />
<strong>und</strong> die werden auch während der Ferien anwesend sein! Also<br />
bringt euch in Weihnachtsstimmung <strong>und</strong> packt alles zusammen, was<br />
ihr mitnehmen wollt.“<br />
„Danke!“, meinten die Zwillinge gleichzeitig <strong>und</strong> sie wollten gerade<br />
gehen, als Pr<strong>of</strong>essor Granger sie zurückrief.<br />
„Wartet noch, ich habe etwas vergessen. Ihr beide <strong>und</strong> Ted werdet<br />
nicht wie üblich mit dem Hogwarts-Express zurück nach King’s<br />
Cross fahren, sondern ihr werdet <strong>das</strong> Flohnetzwerk benutzen <strong>und</strong><br />
schon morgen Abend abreisen. Wir verwenden den Kamin im Büro<br />
von Pr<strong>of</strong>essor Longbottom. Bitte sagt auch Ted, <strong>das</strong>s er morgen<br />
gleich nach dem Abendessen seine Sachen holen <strong>und</strong> dorthin kommen<br />
soll, einverstanden?“<br />
„Machen wir“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
260
„So, aber jetzt muss ich erstmal los. Es muss noch so einiges vorbereitet<br />
werden bis morgen!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger winkte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> noch zu, bevor sie über<br />
eine Treppe am Ende des Flures verschwand.<br />
„Na toll, jetzt haben wir auch noch Auroren am Hals während der<br />
Ferien“, stöhnte <strong>Lily</strong>. „Unsere eigene Leibgarde für die Weihnachtsferien<br />
<strong>und</strong> komplettes Ausgehverbot. Ich frage mich, wie die uns<br />
dann vom Haus der Weasleys zu uns nach Hause bringen wollen.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger erlaubt uns doch sicher nicht, mit der Bahn zu<br />
fahren…“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte wild ihren Kopf.<br />
„Nein, ganz sicher nicht. Aber ist nicht <strong>das</strong> Flohnetzwerk <strong>das</strong> mit<br />
den Kaminen? Vielleicht schicken die uns ja über den Kamin nach<br />
Hause!“, grinste sie.<br />
Bei diesem Gedanken musste auch <strong>Lily</strong> lachen. Sie dachte an <strong>das</strong><br />
Gesicht von Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily, wenn sie plötzlich wie<br />
aus dem Nichts, kohlschwarz <strong>und</strong> staubig im Kamin auftauchten.<br />
„Nein!“, sagten sie dann beide gleichzeitig.<br />
Vor allem Ted war ziemlich glücklich über die Neuigkeit, <strong>das</strong>s er<br />
Weihnachten nicht in der Schule verbringen musste, <strong>und</strong> noch mehr<br />
darüber, <strong>das</strong>s er schon einen halben Tag vor seinen Mitschülern abreisen<br />
durfte.<br />
„Aber dafür haben wir Auroren <strong>und</strong> wir dürfen <strong>das</strong> Haus nicht verlassen!“,<br />
wollte <strong>Lily</strong> ihn zurück aus seinem Freudentanz holen, doch<br />
er ließ sich nicht beirren.<br />
„Ihr dürft vielleicht nicht raus, aber die kriegen es mit meiner Oma<br />
zu tun, wenn die uns nicht am vier<strong>und</strong>zwanzigsten Dezember wegfahren<br />
lassen“, meinte er. „An diesem Tag fahren wir nämlich jedes<br />
Jahr am Morgen gemeinsam weg <strong>und</strong> kommen irgendwann in der<br />
Nacht zurück. Meine Grandma regelt <strong>das</strong> schon!“<br />
„Dann viel Glück“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Da darf sie sich aber lange mit Pr<strong>of</strong>essor Granger zusammensetzen“,<br />
stimmte auch <strong>Lily</strong> ihrer Schwester zu. „Jetzt, nachdem wir mit<br />
261
ihr gesprochen haben, finde ich es noch ungewöhnlicher, <strong>das</strong>s sie<br />
uns überhaupt aus der Schule lässt. Ich finde ihr Verhalten etwas zu<br />
übervorsichtig. Wir haben ihr doch gesagt, <strong>das</strong>s Lucius oder sein<br />
Helfer nicht stark genug ist, um uns anzugreifen, wenn er nicht mehr<br />
dieser Dinge findet!“<br />
Doch Ted zuckte gelassen mit seinen Schultern.<br />
„Die gibt schon nach“, meinte er nur. „Sie kennt meine Grandma<br />
schon lang genug, um zu wissen, was gut für sie ist!“<br />
„Na toll, <strong>das</strong> heißt dann, <strong>das</strong>s ich alleine bei meinen Großeltern<br />
<strong>und</strong> meinen Eltern sitzen darf, während ihr drei euren Spaß habt!“,<br />
murmelte Scott <strong>und</strong> legte seine Stirn in Falten, während er seine freien<br />
Tage zu überdenken schien.<br />
„So in etwa“, meinte Ted. „Zumindest wenn du annimmst, <strong>das</strong>s<br />
man mit denen beiden da Spaß haben kann.“<br />
Er grinste den Zwillingen selbstsicher zu. <strong>Lily</strong> schnitt eine Grimasse.<br />
„Die Frage ist hier, mit wem man keinen Spaß haben kann!“<br />
Sie diskutierten noch eine Zeit lang weiter über die bevorstehenden<br />
Weihnachtsferien, bevor sie ihre Aufsätze über die Herstellung der<br />
ersten Besen zu schreiben begannen. Über zwei St<strong>und</strong>en saßen sie<br />
daran, da Madam Hooch für je zwei der Schüler nur ein Buch hatte<br />
<strong>und</strong> sie sich darum streiten mussten, wer es als nächstes haben konnte.<br />
<strong>The</strong>oriest<strong>und</strong>en in diesem Fach hatten also auch ihre Nachteile.<br />
Madam Hooch schien nämlich darauf gekommen zu sein, was den<br />
anderen Lehrern so am Stellen der Hausaufgaben gefiel, so<strong>das</strong>s sie<br />
es jetzt auch selbst machte.<br />
262
263<br />
Ein ZW als Weihnachtsgeschenk<br />
„Schöne Ferien, Kumpel“, meinte Ted zu Scott, als er gemeinsam<br />
mit <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> durch <strong>das</strong> Portraitloch kletterte.<br />
Der Gemeinschaftsraum war voll mit Schülern, die den Zwillingen<br />
zuwinkten <strong>und</strong> ihnen schöne Ferien wünschten. Die meisten waren<br />
aber einfach nur verw<strong>und</strong>ert, warum die drei Erstklässler schon einen<br />
Tag früher abreisen durften, doch der einzige, der sich zu fragen<br />
getraut hatte, war Jeff <strong>und</strong> dem hatten sie nur gesagt, <strong>das</strong>s ihre Großeltern<br />
mit ihnen schon früh am Morgen des nächsten Tages in Urlaub<br />
fahren wollten.<br />
Scott winkte den dreien noch nach, dann schloss sich <strong>das</strong> Loch<br />
wieder <strong>und</strong> <strong>das</strong> Portrait der fetten Dame, die anscheinend aufgr<strong>und</strong><br />
der Feiertage eine weitere fette Dame zu sich eingeladen hatte, versperrte<br />
Ihnen die Sicht. Die beiden Frauen hatten große goldene Becher<br />
in ihren Händen <strong>und</strong> waren seltsam rot im Gesicht. Die Tatsache,<br />
<strong>das</strong>s sie lautstark Weihnachtslieder sangen, bestärkte die Zwillinge<br />
nur in dem Verdacht, <strong>das</strong>s die beiden alle sechs Weinflaschen,<br />
die im Bild lagen, alleine getrunken hatten.<br />
Ted schaute die beiden ungläubig an, kratzte sich ziemlich auffällig<br />
am Kopf <strong>und</strong> wandte sich dann ab.<br />
„Kommt, sonst schickt die Granger noch ein paar Auroren hier<br />
rauf, weil sie glaubt, <strong>das</strong>s man uns entführt hat!“, meinte er.<br />
Die Zwillinge drehten sich ebenfalls vom Portrait weg <strong>und</strong> nickten.<br />
„Nein, die stehen schon um euer Haus versammelt, da bin ich mir<br />
sicher“, entgegnete <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> verdrehte die Augen. „Frohe Weihnachten<br />
sag' ich da nur!“<br />
„Ja, frohe Weihnachten… <strong>und</strong> <strong>das</strong> alles nur wegen euch“, grinste<br />
Ted.<br />
„Tu nicht so, als ob dir <strong>das</strong> Ganze nicht gefallen würde“, meinte<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> Ted zuckte mit den Schultern, als sie mit ihren K<strong>of</strong>fern die<br />
Treppe hinunter kletterten.
Von allen Wänden wurden ihnen Weihnachtsgrüße nachgerufen.<br />
So gut gelaunt hatten die Mädchen <strong>und</strong> Ted die Bilder noch nie erlebt.<br />
Jedes Einzelne war weihnachtlich geschmückt. Ein paar Trolle<br />
schmückten einen Weihnachtsbaum, der auch nicht viel hübscher zu<br />
werden schien, als sie selbst waren, <strong>und</strong> ein Einhorn hatte eine<br />
Christbaumspitze an seinem Horn, als es ihnen glücklich entgegen<br />
wieherte.<br />
„Also, diese Bilder werde ich in der Woche bei uns daheim ziemlich<br />
vermissen“, meinte <strong>Dora</strong> lächelnd, während sie einen Zwerg dabei<br />
beobachtete, wie er ins Bild der Trolle schlich, um eine<br />
Christbaumkugel zu stehlen.<br />
Diese waren aber zu sehr mit ihrem Meisterwerk beschäftigt <strong>und</strong><br />
bemerkten ihn nicht. Im Nachbarbild führte er einen Siegestanz auf,<br />
bei dem ihm die Kugel auf den Boden fiel <strong>und</strong> zerbrach. Dann<br />
schmollte er kurz, bevor er sich die nächste Kugel stahl.<br />
„Ach ja, Muggelbilder sind ja so schön unbeweglich“, sagte Ted<br />
<strong>und</strong> schüttelte den Kopf. „Diese Menschen sind so was von langweilig.<br />
Ich versteh überhaupt nicht, wie Muggel leben können!“<br />
„Die schaffen <strong>das</strong> besser, als du glaubst“, meinte <strong>Lily</strong>. „Uns hat<br />
zumindest nie etwas gefehlt, als wir noch nichts von Zauberern<br />
wussten. Jetzt ist <strong>das</strong> natürlich schon ein wenig anders! Ohne Zauberei<br />
könnte ich mir <strong>das</strong> Leben jetzt schon nicht mehr vorstellen! Wo<br />
wir gerade davon reden: Locomotor K<strong>of</strong>fer!“<br />
<strong>Lily</strong> hatte ihren Zauberstab hervorgezogen <strong>und</strong> ihn auf den K<strong>of</strong>fer<br />
gerichtet, welcher jetzt mühelos vor ihr her schwebte. <strong>Dora</strong> machte<br />
es ihrer Schwester nach, nur Ted mühte sich lieber weiter ohne Zauberkraft<br />
die Stufen hinunter. Inzwischen hatte er kapiert, <strong>das</strong>s er gar<br />
nicht zu versuchen brauchte, den Zwillingen in Sachen Zauberei etwas<br />
nachzumachen, denn <strong>das</strong> ging sowieso immer schief.<br />
„Ach, da seid ihr ja schon!“, hörten die drei plötzlich eine Stimme<br />
hinter sich.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger kam lächelnd zu ihnen geeilt <strong>und</strong> führte denselben<br />
Zauberspruch bei Teds K<strong>of</strong>fer aus, den eben die Zwillinge an-<br />
264
gewendet hatten. Der Junge nickte ihr dankbar zu <strong>und</strong> streckte sich<br />
erst einmal, nachdem er von dieser Last befreit worden war.<br />
„Ich war gerade auf dem Weg nach unten in Pr<strong>of</strong>essor Longbottoms<br />
Büro. Er wartet bereits!“, informierte die Lehrerin die drei Kinder.<br />
Sie nickten <strong>und</strong> folgten ihr schweigend nach unten, wo ihr Lehrer<br />
für Verteidigung gegen die dunklen Künste bereits in der Tür auf sie<br />
wartete.<br />
„Die Verbindung zum Haus der Weasleys wurde genehmigt“, sagte<br />
er zu Pr<strong>of</strong>essor Granger, bevor er den Zwillingen zuzwinkerte.<br />
„Sehr gut, dann müssen wir <strong>das</strong> nicht mal illegal machen!“, antwortete<br />
sie. „Und die Auroren?“<br />
„…sind froh, <strong>das</strong>s sie mal was Vernünftiges zu tun bekommen. Gute<br />
Idee, beim Zaubereiministerium fünf von ihnen zu bestellen <strong>und</strong><br />
zu sagen, du bräuchtest sie für einen Transport von trolligen Torfschnüfflern<br />
für Hagrid. Die sind so froh, endlich mal jemanden beschützen<br />
zu können, <strong>das</strong>s sie sich gar nicht dafür interessieren, wovor<br />
eigentlich!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lachte.<br />
„Dachte ich mir schon! Das letzte Mal, als ich mit Dean <strong>und</strong> Cho<br />
gesprochen habe, meinten die beiden, <strong>das</strong>s sie gerade aus einem Frisiersalon<br />
kämen. War natürlich ein riesiges Desaster, vor allem für<br />
die K<strong>und</strong>en!“<br />
„Cho Chang?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Als sie den Namen Cho hörte, musste sie unwillkürlich an ihren<br />
Besuch bei Madame Malkins denken. Also gab es schon zwei Sachen,<br />
die Ms. Chang nicht wirklich konnte. Nämlich Schneidern <strong>und</strong><br />
Haareschneiden. Aber <strong>das</strong> gehörte vermutlich auch nicht zur Ausbildung,<br />
geschweige denn zu den Interessen eines Aurors.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
„Kennst du sie?“, fragte sie.<br />
„Ja, wir haben sie bei Madame Malkins getr<strong>of</strong>fen! Sie schien ganz<br />
nett zu sein, aber ziemlich genervt von ihrem Job!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
265
Ihre Lehrerin nickte wieder.<br />
„Ist sie auch eine von denen, die auf uns aufpassen sollen?“, fragte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Ja, sie wird die zweite Woche bei euch sein, also im Ligusterweg!<br />
Stellt jetzt eure K<strong>of</strong>fer dahin, die werden Pr<strong>of</strong>essor Longbottom <strong>und</strong><br />
ich nachbringen, damit ihr nicht mehr daran denken müsst. Ihr habt<br />
noch nie Flohpulver benutzt, schätze ich mal!“<br />
Die Zwillinge schüttelten den Kopf.<br />
„Ich schon“, meinte Ted.<br />
„Ja, du wohnst bei den Weasleys, da ist mir <strong>das</strong> klar! Du darfst es<br />
den beiden vormachen!“<br />
Ted grinste zufrieden, da er den Zwillingen endlich etwas voraushatte.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Longbottom hielt ihm eine kleine Schüssel hin. Die<br />
Zwillinge konnten noch nicht sehen, was sich darin befand, doch<br />
Ted griff zielsicher hinein.<br />
„Darf ich?“, fragte er <strong>und</strong> als die beiden Lehrer nickten, trat Ted<br />
näher an den großen Kamin <strong>und</strong> warf <strong>das</strong> Pulver, welches er sich gerade<br />
eben aus der Schüssel genommen hatte, in die Flammen.<br />
Augenblicklich färbten sich diese grün <strong>und</strong> die Zwillinge staunten<br />
nicht schlecht, als er einfach so ins Feuer trat <strong>und</strong> es aussah, als würde<br />
er die Flammen gar nicht spüren. Auch seine Kleider bekamen<br />
nichts ab.<br />
„Fuchsbau“, sagte Ted laut <strong>und</strong> schon einige wenige Augenblicke<br />
später waren die Flammen wieder rot <strong>und</strong> Ted verschw<strong>und</strong>en.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> machten große Augen, während Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
nur lächelte.<br />
„Ihr braucht nur etwas Flohpulver ins Feuer zu streuen, bevor ihr<br />
den Kamin betretet, <strong>und</strong> dann sagt ihr laut <strong>und</strong> deutlich ‚Fuchsbau’!“,<br />
erklärte Pr<strong>of</strong>essor Longbottom, welcher ebenfalls mit einem<br />
Lächeln auf den Lippen die Zwillinge beobachtete.<br />
„Und sagt es wirklich deutlich. Euer Dad ist mal in einer ziemlich<br />
unschönen Gegend angekommen, nur weil er etwas zu viel Asche in<br />
den M<strong>und</strong> bekommen hat!“, meinte die Lehrerin.<br />
266
Augenblicklich legte sich ein Schleier von Traurigkeit über Pr<strong>of</strong>essor<br />
Grangers Lächeln <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> ging schnell auf ihren Lehrer zu, um<br />
sich ein wenig von dem Pulver zu nehmen, damit sie nicht mehr über<br />
ihren Vater hören musste. Noch immer war es einfacher für beide,<br />
wenn sie nichts über ihre Eltern hören mussten. Es interessierte sie<br />
schon sehr, aber immer wenn sie daran dachten oder darüber redeten,<br />
wurden sie vor eine Tatsache gestellt. Nämlich die, <strong>das</strong>s beide Eltern<br />
tot waren. Was hatte es also für einen Sinn, über sie zu reden? Es tat<br />
nur weh.<br />
„Zum ‚Fuchsbau’?“, fragte <strong>Lily</strong> schnell <strong>und</strong> als die Lehrer nickten,<br />
trat sie an den Kamin. „Warum wollen wir in einen Fuchsbau?“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte mit den Schultern, während Pr<strong>of</strong>essor Longbottom es<br />
zu erklären begann.<br />
„So wird <strong>das</strong> Haus der Weasleys genannt. Keine Sorge, ihr landet<br />
nicht irgendwo im Wald!“, meinte er.<br />
<strong>Lily</strong> deutete ihm, <strong>das</strong>s sie verstand, <strong>und</strong> obwohl ihr nicht ganz wohl<br />
bei der Sache war, warf sie <strong>das</strong> leicht grünliche Pulver in den Kamin<br />
<strong>und</strong> wartete kurz. Schon wenige Momente später war die Feuerstelle<br />
voll von grünen Flammen <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nahm all ihren Mut zusammen<br />
<strong>und</strong> trat hinein.<br />
Sie erschrak fast. Das Feuer war wirklich überhaupt nicht heiß,<br />
sondern es war angenehm warm. <strong>Lily</strong> sah <strong>Dora</strong> noch einmal hilfesuchend<br />
an, bevor sie laut „Fuchsbau“ sagte.<br />
Sie konnte gerade noch <strong>Dora</strong>s ängstlichen Gesichtsausdruck sehen<br />
<strong>und</strong> schon war der Boden unter ihren Füßen verschw<strong>und</strong>en. Obwohl<br />
sie merkte, <strong>das</strong>s sie sich nicht von selbst bewegte, schwirrten h<strong>und</strong>erte<br />
von Kaminen am ihren Augen vorbei.<br />
Sie hatte mit dem Schwindel zu kämpfen, so schnell drehten sich<br />
die Lichter, die von den hell erleuchtenden Zimmern außerhalb der<br />
Kamine zu kommen schienen.<br />
Doch <strong>das</strong> Ganze kam <strong>Lily</strong> länger vor als es eigentlich war, denn<br />
schon kurze Zeit später stand sie plötzlich wieder sicher am Boden<br />
<strong>und</strong> trat schnell aus dem Kamin, als sie Ted erkennen konnte.<br />
267
Noch etwas schwindlig <strong>und</strong> unsicher auf den Beinen trat sie neben<br />
ihn. Andere Personen waren ihr in der Hektik noch gar nicht aufgefallen,<br />
doch noch bevor sie mehr als zwei Schritte aus dem Kamin<br />
gemacht hatte, spürte sie, wie sie von zwei Armen umschlungen<br />
wurde.<br />
Mrs. Weasley war auf sie zugestürzt <strong>und</strong> hatte sie s<strong>of</strong>ort in ihre<br />
Arme geschlossen. <strong>Lily</strong> musste regelrecht um Luft kämpfen, doch<br />
ihre Großmutter hatte keine Zeit, um sie zu zerquetschen, denn<br />
schon ließ sie los <strong>und</strong> rannte auf <strong>Dora</strong> zu, die hinter <strong>Lily</strong> aus dem<br />
Kamin gewackelt kam.<br />
Ted hatte ein Grinsen auf den Lippen <strong>und</strong> formte lautlos die Worte<br />
„Ha ha!“ <strong>Lily</strong> verdrehte die Augen <strong>und</strong> wandte sich von ihm ab. Erst<br />
jetzt merkte sie, wie viele Leute in dem kleinen Raum standen.<br />
S<strong>of</strong>ort erkannte sie Mr. Weasley wieder, der ihr freudig zuwinkte<br />
<strong>und</strong> dann auf sie zukam <strong>und</strong> ihr die Hand reichte. Hinter ihr kamen<br />
jetzt auch noch Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Longbottom aus<br />
dem Kamin <strong>und</strong> allmählich wurde es richtig eng im Raum.<br />
„Hallo, freut mich, <strong>das</strong>s ihr hier seid!“, sagte ihr Großvater zu den<br />
Zwillingen.<br />
Nach ihm begrüßte sie noch ein lächelnder Mann, der noch roteres<br />
Haar hatte als Mr. Weasleys. Dessen Haare waren nämlich inzwischen<br />
ein wenig angegraut. Dieser Mann stellte sich mit „Percy<br />
Weasley“ vor <strong>und</strong> gab an, <strong>das</strong>s er Stellvertretender Zaubereiminister<br />
<strong>und</strong> ganz nebenbei noch ein Onkel der Zwillinge war. Nach ihm kam<br />
ein Charlie, ebenfalls ein Onkel, <strong>und</strong> als Letztes George, der die beiden<br />
mit einem breiten Lächeln begrüßte.<br />
Außer ihnen winkte den beiden noch eine ältere Frau von einem<br />
Stuhl am Tisch zu, von der die Zwillinge annahmen, <strong>das</strong>s es sich um<br />
Teds Großmutter handelte. Neben ihr saß eine junge Frau, die sich<br />
mit dem Namen Conny vorstellte <strong>und</strong> Charlies Frau war, soweit die<br />
Zwillinge <strong>das</strong> alles in der kurzen Zeit <strong>und</strong> durch all den Lärm hindurch<br />
mitbekommen konnten.<br />
268
„So, <strong>und</strong> jetzt alle hinaus! Hinaus, hinaus!“, schrie Mrs. Weasley<br />
plötzlich <strong>und</strong> der gesamte Lärm verstummte augenblicklich <strong>und</strong> alle<br />
wandten sich s<strong>of</strong>ort der Tür zu.<br />
Auch die Zwillinge <strong>und</strong> Ted wollten sich umdrehen <strong>und</strong> hinausgehen,<br />
doch Mrs. Weasley hielt sie zurück.<br />
„Ihr doch nicht“, lächelte sie. „Ihr habt eine weite Reise hinter euch<br />
<strong>und</strong> ihr habt sicher Hunger!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> dachten an <strong>das</strong> großartige Abendessen, <strong>das</strong> sie noch<br />
vor einer halben St<strong>und</strong>e gierig verschlungen hatten, <strong>und</strong> konnten sich<br />
nicht vorstellen, wie sie noch etwas in ihren Magen bekommen sollten,<br />
doch ihre Großmutter war schneller <strong>und</strong> mit einem geschickten<br />
Schwenker mit ihrem Zauberstab war der Tisch vollkommen bedeckt<br />
mit köstlich aussehenden Speisen <strong>und</strong> drei Tellern.<br />
„Setzt euch, setzt euch“, meinte sie mit Tränen in den Augen. „Genau<br />
wie euer Vater. Ihr seht aus, als würdet ihr mir gleich auf der<br />
Stelle verhungern!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sahen sich an <strong>und</strong> zuckten mit den Schultern. Dann<br />
kletterten sie hinter Ted an den Tisch. Er setzte sich neben seine<br />
Großmutter <strong>und</strong> begann mit ihr zu sprechen.<br />
„Ihr glaubt ja gar nicht, wie sehr wir uns freuen!“, fuhr sie fort <strong>und</strong><br />
wuselte um den Tisch herum, um jedem der drei Kinder etwas von<br />
ihrem Essen zu geben.<br />
Ted langte gleich auch selbst kräftig zu.<br />
„Wir uns auch“, sagte <strong>Dora</strong>, während sie mit großen Augen ihren<br />
Teller anstarrte, welcher sich wie von alleine immer mehr füllte.<br />
Mrs. Weasley strahlte den Zwillingen noch mal zu, dann ging sie<br />
zum Kamin, um noch mehr Holz in <strong>das</strong> Feuer zu legen, welches sowieso<br />
schon viel zu heiß brannte <strong>und</strong> den kleinen Raum schon fast<br />
stickig machte.<br />
Die Mädchen schauten sich um <strong>und</strong> bemerkten, <strong>das</strong>s die Möbel<br />
ziemlich alt sein mussten. Überhaupt schien die ganze Einrichtung<br />
schon bessere Tage erlebt zu haben, denn alles wies grobe Spuren<br />
von Gewalteinwirkung auf.<br />
269
Ecken von den Tischen waren abgeschlagen, tiefe Furchen hatten<br />
sich auf der Tischplatte gebildet <strong>und</strong> einige Sesselbeine waren abgebrochen<br />
<strong>und</strong> einfach mit einem weiteren Holzstück wieder repariert<br />
worden.<br />
Doch auf der anderen Seite hatten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> noch nie ein Haus<br />
gesehen, in dem man sich gleich so gut zu Hause fühlen konnte, wie<br />
in diesem. Sie wussten nicht, woran es lag, doch es gefiel ihnen auf<br />
Anhieb.<br />
„Oma, hast du schon mit Pr<strong>of</strong>essor Granger geredet, wegen dem<br />
vier<strong>und</strong>zwanzigsten?“, fragte Ted seine Großmutter, als er einen<br />
großen Bissen hinuntergeschluckt hatte.<br />
Die Zwillinge wussten noch immer keine Möglichkeit, um auch<br />
nur ansatzweise aufessen zu können. Sie kauten minutenlang am selben<br />
Bissen des köstlichen Essens herum <strong>und</strong> schauten aufmerksam<br />
um sich.<br />
„Ihr wird nichts anderes übrig bleiben“, meinte die alte Frau.<br />
Ted nickte <strong>und</strong> stopfte sich einen weiteren Bissen in den M<strong>und</strong>.<br />
Den ganzen Abend lang mussten die Zwillinge Antworten auf die<br />
verschiedensten Fragen geben <strong>und</strong> immer wieder von vorne erzählen,<br />
wie es ihnen in der Schule denn gefiel <strong>und</strong> wie sie sich anstellten.<br />
Die beiden erwähnten dann meistens ihre mittelmäßigen Erfolge<br />
in den Fächern, in denen sie nicht zaubern mussten, statt ihrer außergewöhnlichen<br />
Leistungen, über die vermutlich sowieso alle schon<br />
längst Bescheid wussten.<br />
Mrs. Weasley stand nicht einmal vom Tisch auf <strong>und</strong> hörte sich jede<br />
Geschichte auch noch zum elften oder zum zwölften Mal an, während<br />
sich die anderen Leute um den Tisch abwechselten.<br />
Es war schon fast Mitternacht, als sich die beiden Pr<strong>of</strong>essoren wieder<br />
verabschiedeten. Sie hatten die meiste Zeit bei George gestanden<br />
oder gesessen <strong>und</strong> mit ihm gesprochen, wenn er nicht gerade bei den<br />
Zwillingen gewesen war.<br />
Doch schließlich verscheuchte Mrs. Weasley alle in ihre Schlafräume<br />
<strong>und</strong> deutete auch <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>, ihr zu folgen.<br />
270
„Tut mir leid“, meinte sie auf dem Weg nach oben, in eine der<br />
zahlreichen oberen Etagen, „aber ihr wisst ja, wie <strong>das</strong> ist. Alle wollen<br />
natürlich alles wissen. Es war ein ziemlicher Schock, als wir alle<br />
von euch erfahren haben. Ihr wisst ja gar nicht, wie es hier drunter<br />
<strong>und</strong> drüber gegangen ist! Und dann wollte die ganze Familie schon<br />
heute hierher kommen, weil sie euch alle kennen lernen wollten, aber<br />
<strong>das</strong> ging natürlich nicht <strong>und</strong> so haben wir dann entschieden, <strong>das</strong>s<br />
ein paar unserer, also auch eurer, Verwandten erst morgen anreisen.<br />
Sonst wärt ihr wohl heute gar nicht mehr ins Bett gekommen! Also<br />
hier ist euer Zimmer!“<br />
Sie deutete auf eine Tür <strong>und</strong> blieb ein wenig entfernt stehen.<br />
„Was, es gibt noch mehr Verwandte?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Mrs. Weasley lächelte <strong>und</strong> nickte.<br />
Die beiden schüttelten ihre Köpfe <strong>und</strong> Mrs. Weasley nickte.<br />
„Aber jetzt ins Bett, sonst verschlaft ihr morgen den ganzen Tag.<br />
Eure K<strong>of</strong>fer hat euer Großvater bereits hoch getragen. Ich h<strong>of</strong>fe, ihr<br />
fühlt euch wohl bei uns!“, meinte sie. „Gute Nacht!“<br />
Sie drückte noch mal beide Mädchen gleichzeitig an sich <strong>und</strong><br />
wandte sich dann wieder der Treppe zu, während <strong>Lily</strong> die Zimmertür<br />
öffnete.<br />
Der kleine Raum wirkte, als ob er sehr lange nicht genutzt worden<br />
wäre, denn auf den Regalen konnte man dicke Staubschichten erkennen.<br />
Doch im Gegensatz zu den anderen Räumen, die die beiden<br />
bis jetzt gesehen hatten, war er überhaupt nicht kaputt. Das Bett<br />
wirkte sogar noch ziemlich neu.<br />
Außer diesem Bett waren noch zwei Matratzen auf dem Boden, ein<br />
Schreibtisch unter dem etwas staubigen Fenster <strong>und</strong> ein großer<br />
Schrank hinter der Tür. Obwohl durch all diese Gegenstände kaum<br />
Platz war, wirkte der Raum ziemlich gemütlich.<br />
An der Wand über dem Bett konnte man ein Poster erkennen mit<br />
einer Gruppe singenden Hexen. Laute waren allerdings nicht zu vernehmen<br />
<strong>und</strong> der Titel des Posters war ‚Schicksalsschwestern’. An<br />
271
der gegenüberliegenden Seite des Zimmers hing ein zweites Poster,<br />
dieses Mal mit einem Quidditch-Kapitän.<br />
Die Mädchen schlossen die Türe <strong>und</strong> hüpften über die Matratzen<br />
auf den Schreibtisch zu. Noch mitten auf dem Weg verwandelte sich<br />
<strong>Lily</strong> plötzlich in <strong>das</strong> kleine rote Kätzchen, <strong>das</strong> sie jetzt schon so lange<br />
nicht mehr gewesen war, <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> machte es ihr nach. Doch<br />
während sich <strong>Dora</strong> auf einer Decke zusammenrollte, sprang <strong>Lily</strong> im<br />
Raum umher. Nach einer Weile verwandelte sich <strong>Dora</strong> wieder zurück<br />
<strong>und</strong> stand auf.<br />
„Das hab ich vermisst!“, seufzte sie.<br />
Kurze Zeit später stand auch <strong>Lily</strong> wieder vor ihr, doch sie wandte<br />
sich s<strong>of</strong>ort ab <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> meinte in dem kurzen Moment, in dem sie<br />
sie angesehen hatte, einen alles anderen als zufriedenen Gesichtsausdruck<br />
bei ihrer Schwester gesehen zu haben.<br />
„Was ist?“, fragte sie, doch <strong>Lily</strong> schob den Schreibtisch ein wenig<br />
zur Seite <strong>und</strong> hob etwas auf, <strong>das</strong> <strong>Dora</strong> im ersten Moment nicht erkennen<br />
konnte. „Was hast du da?“<br />
<strong>Lily</strong> wischte mit dem Ärmel ihres Pullovers über <strong>das</strong> viereckige<br />
Etwas in ihren Händen.<br />
„Ein Bild“, meinte sie schließlich <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> stellte sich neben sie,<br />
um es auch sehen zu können. „Das hab ich gerade gesehen!“<br />
<strong>Lily</strong> hielt <strong>das</strong> Bild so, <strong>das</strong>s <strong>Dora</strong> es ebenfalls anschauen konnte <strong>und</strong><br />
s<strong>of</strong>ort fiel ihr <strong>das</strong> zerbrochene Glas auf. Es schaute nicht aus, als ob<br />
es beim Hinunterfallen zerbrochen wäre. Mehr sah es aus, als ob es<br />
mutwillig zerstört worden war.<br />
Doch viel mehr Aufmerksamkeit wandten die beiden dem Foto unter<br />
dem Glas zu. Es zeigte unverkennbar die Eltern der Zwillinge,<br />
von denen sie sich, wenn auch unfreiwillig, inzwischen einige Fotos<br />
hatten anschauen müssen <strong>und</strong> sie so natürlich s<strong>of</strong>ort erkannten.<br />
Die beiden umarmten sich <strong>und</strong> lachten zufrieden <strong>und</strong> glücklich. <strong>Lily</strong><br />
wollte gerade die Schublade öffnen, um <strong>das</strong> Bild darin verschwinden<br />
zu lassen, als ihr ein Zeitungsbericht auffiel, der zerknittert darin<br />
lag. <strong>Lily</strong> wollte <strong>das</strong> Bild einfach darauf fallen lassen <strong>und</strong> die riesige<br />
272
Schlagzeile <strong>und</strong> <strong>das</strong> Bild ignorieren, doch <strong>Dora</strong> war schneller <strong>und</strong> sie<br />
zog <strong>das</strong> alte Blatt Papier heraus.<br />
Der Junge der lebte wurde ermordet<br />
Unter mysteriösen Umständen kam Harry Potter, der Retter der<br />
Welt der Zauberer, letzte Nacht ums Leben!<br />
273<br />
Harry Potter, der Junge, der überlebte, der Junge, der<br />
im Alter von nur siebzehn Jahren den, dessen Name nicht<br />
genannt werden darf, besiegte, ist tot.<br />
Gestern, genau vor einer Woche rettete Harry Potter die<br />
Welt der Zauberer, aber darüber wurde in den letzten<br />
Tagen genug berichtet. Er wurde <strong>und</strong> wird gefeiert wie<br />
ein Held <strong>und</strong> <strong>das</strong> vollkommen zu Recht, doch er wollte<br />
sich nicht auf seinem Sieg ausruhen.<br />
Wie seine Fre<strong>und</strong>in Ginny Weasley erzählte, hatte er<br />
gestern Morgen <strong>das</strong> Haus verlassen, um seine Muggel-<br />
Verwandtschaft, die ihn Jahre lang unerträglich<br />
behandelt hatte, zu besuchen <strong>und</strong> er wollte versuchen,<br />
mit seinem Cousin Dudley Dursley Frieden zu schließen<br />
oder wenigstens mit ihm zu reden.<br />
Niemand weiß, warum <strong>und</strong> von wem, doch Harry Potter<br />
wurde noch im Haus seiner Verwandten ermordet.<br />
Nachdem sein Cousin die Zaubererschaft benachrichtigt<br />
hatte, wurden natürlich alle möglichen Untersuchungen<br />
durchgeführt <strong>und</strong> alle Personen, die sich zum<br />
Tatzeitpunkt im Haus bef<strong>und</strong>en hatten, wurden unter<br />
Einfluss von Veritaserum befragt.<br />
Es kann ausgeschlossen werden, <strong>das</strong>s die Dursleys mit<br />
dem plötzlichen Tod Harry Potters zu tun hatten. Onkel<br />
<strong>und</strong> Tante konnten nichts aussagen, da sie sich beim<br />
Besuch ihres Neffen in einem kleinen Schrank unter der<br />
Treppe eingeschlossen hatten, doch Dudley Dursleys
Aussage gibt allen Gr<strong>und</strong> zur Annahme, <strong>das</strong>s es sich um<br />
Todesser handelte.<br />
Er beschrieb zwei Menschen mit dunklen Masken,<br />
höhnischem Gelächter <strong>und</strong> alles, was er sonst noch hatte<br />
erkennen können, war ein grüner Blitz. Er sagte, <strong>das</strong><br />
alles sei von einem Moment auf den anderen passiert. Sie<br />
hätten sich gerade über persönliche Dinge unterhalten,<br />
als die beiden Eindringlinge plötzlich da waren.<br />
Sek<strong>und</strong>en später seinen die Personen auch schon wieder<br />
verschw<strong>und</strong>en gewesen, mit einem lauten Knall, <strong>und</strong><br />
Harry Potter habe tot am Boden gelegen.<br />
Dudley Dursley war nicht in der Lage gewesen, auch nur<br />
ein einziges sinnvolles Wort über seine Lippen zu<br />
bekommen, bevor er von den Auroren den<br />
Wahrheitstrank eingeflößt bekommen hatte.<br />
Er <strong>und</strong> seine Eltern befinden sich zurzeit an einem<br />
geheimen Ort, wo sie von den besten Heilern seelisch<br />
versorgt werden.<br />
Obwohl die Ermittlungen auf Hochtouren laufen, konnte<br />
man noch keine Hinweise auf die möglichen Täter<br />
finden. Wer ist nur so grausam <strong>und</strong> tötet den Menschen,<br />
der uns <strong>das</strong> Leben erst wieder lebenswert gemacht hat?<br />
Wer weiß, vielleicht wären wir inzwischen alle tot, wenn<br />
er nicht gewesen wäre.<br />
Es ist eine Tragödie. Anhänger Harry Potters sind am<br />
Boden zerstört <strong>und</strong> inzwischen laufen Trauerzeremonien<br />
im ganzen Land, ja auf der ganzen Welt. Wir halten Sie<br />
auf dem Laufenden!<br />
Als <strong>Dora</strong> fertig gelesen hatte, wollte sie <strong>Lily</strong> den Zeitungsartikel in<br />
die Hand geben, doch diese lehnte ab.<br />
„Komm, lies <strong>das</strong>! Onkel Dudley war dabei, als Dad gestorben ist!“,<br />
meinte <strong>Dora</strong>.<br />
274
Widerwillig nahm dann auch <strong>Lily</strong> den Ausschnitt <strong>und</strong> begann ihn<br />
zu lesen. Sie bemühte sich, nicht auf <strong>das</strong> Bild der weinenden Ginny<br />
zu blicken, welches ihr groß entgegenschaute.<br />
<strong>Dora</strong> beobachtete ihre Schwester mit großen Augen <strong>und</strong> begann<br />
erst wieder zu sprechen, als diese <strong>das</strong> Blatt sinken ließ.<br />
„Sie haben sich gehasst <strong>und</strong> wollten sich versöhnen“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Und plötzlich waren die zwei Todesser da, nur eine Woche nachdem<br />
er Voldemort getötet hatte.“<br />
Die beiden Mädchen ließen sich auf eine der beiden Matratzen nieder<br />
<strong>und</strong> schauten sich an.<br />
„Warum hat er uns nie etwas davon erzählt?“, fragte <strong>Lily</strong>. „Es muss<br />
ihn doch selbst völlig fertig gemacht haben!“<br />
„Wer weiß“, murmelte <strong>Dora</strong>. „Vielleicht hat er es gerade deswegen<br />
niemals erzählt. Weil er einfach nicht wollte, <strong>das</strong>s wir es wissen! Das<br />
könnte ich sogar verstehen!“<br />
Eine Weile waren die Mädchen still <strong>und</strong> sie überlegten. Ihre Eule<br />
Hedwig, die Pr<strong>of</strong>essor Granger ebenfalls mit in den Fuchsbau genommen<br />
hatte, scharrte unruhig auf dem Boden des Käfigs, in dem<br />
sie gefangen war.<br />
„Es war ihr Zimmer, oder?“, fragte <strong>Dora</strong> schließlich.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Ja, <strong>und</strong> ich glaube, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> einzige Zimmer ist, in dem Grandma<br />
nie staubgewischt oder zusammengeräumt hat. Es ist, als wäre<br />
sie gerade eben noch hier gewesen!“<br />
„Weißt du was?“, fragte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> stand auf. „Ich will <strong>das</strong> Bett<br />
nicht haben, überlassen wir es Victoire, oder?“<br />
<strong>Lily</strong> stimmte ihrer Schwester s<strong>of</strong>ort zu, bevor die beiden <strong>das</strong> alte<br />
Zeitungsblatt wieder zurück in die Schublade gleiten ließen <strong>und</strong> sich<br />
ihr Schlafgewand aus den K<strong>of</strong>fern holten.<br />
Am nächsten Morgen war es <strong>Dora</strong>, die als erste aufwachte. Sie<br />
blinzelte verschlafen zu dem Fenster, durch <strong>das</strong> die Sonne schon einen<br />
breiten Streifen Licht ins Zimmer warf. Es musste also schon<br />
ziemlich spät am Morgen sein.<br />
275
Sie blieb eine Weile sitzen, dann stand sie auf <strong>und</strong> ging leise nach<br />
draußen auf den Gang <strong>und</strong> die Stufen hinunter, um zum Badezimmer<br />
zu kommen, welches ihre Großeltern den beiden am Abend noch gezeigt<br />
hatten, doch ein paar Meter vor der Tür blieb sie stehen <strong>und</strong><br />
lauschte. <strong>Dora</strong> war sich sicher, <strong>das</strong>s sie ihre Ohren nicht täuschten.<br />
Es war eindeutig die Stimme von Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Sie trat etwas näher ans Treppengeländer <strong>und</strong> spähte einen Stock<br />
hinunter. Und wirklich stand ihre Lehrerin da <strong>und</strong> redete leise, aber<br />
aufgebracht mit einem schwarzen Mann, der etwa in ihrem Alter zu<br />
sein schien, obwohl <strong>Dora</strong> <strong>das</strong> sehr schwer einschätzen konnte. Sie<br />
wollte sich gerade umdrehen, <strong>und</strong> ins Bad gehen, als sie plötzlich<br />
den Namen Malfoy vernehmen konnte.<br />
Schnell drehte sie sich wieder zurück <strong>und</strong> beugte sich ein wenig<br />
über <strong>das</strong> Geländer der Treppe hinunter, um <strong>das</strong> Gespräch besser verstehen<br />
zu können. Sie hatte Glück, denn ein alter Schrank versperrte<br />
den beiden den Blick <strong>und</strong> sie konnten <strong>Dora</strong> nicht erkennen.<br />
„Sie waren am Bahnh<strong>of</strong>?“, war <strong>das</strong> erste, <strong>das</strong> <strong>Dora</strong> richtig verstehen<br />
konnte.<br />
„Ja, genau. Sie sahen viel älter aus als damals <strong>und</strong> sie wirkten mehr<br />
tot als lebendig, aber es waren die Malfoys“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
Der schwarze Mann überlegte kurz, bevor er wieder antwortete. Er<br />
zuckte mit den Schultern.<br />
„Glaubst du wirklich, <strong>das</strong>s wir soviel in diese Geschichte reininterpretieren<br />
sollten? Es deutet nichts außer einem übergeschnappten<br />
Geist darauf hin, <strong>das</strong>s die Malfoys wirklich einen Plan aushecken!<br />
Außerdem kann ich mir nicht denken, was sie davon hätten, wenn<br />
sie <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> etwas tun.“<br />
Wieder trat eine kurze Stille ein. Pr<strong>of</strong>essor Granger trat unruhig<br />
von einem Bein aufs andere <strong>und</strong> blickte in alle möglichen Richtungen.<br />
Es sah so aus, als würde sie h<strong>of</strong>fen, irgendwo im Vorhaus eine<br />
passende Antwort zu finden.<br />
276
„Dean… Ich weiß es nicht <strong>und</strong> ich weiß auch nicht, was ich glauben<br />
soll. Es ist ziemlich unglaubwürdig… Aber es gab früher <strong>of</strong>t<br />
Momente, in denen ich <strong>und</strong> Ron…“<br />
<strong>Dora</strong> sah, wie die Lehrerin zusammenzuckte <strong>und</strong> sich dann von ihrem<br />
Gegenüber abwandte.<br />
„Es gab eben <strong>of</strong>t Momente, in denen ich Harry nicht geglaubt habe.<br />
Es war alles zu unglaubwürdig <strong>und</strong> er hatte zu wenige Beweise, um<br />
eine handfeste <strong>The</strong>orie aufzustellen, doch meistens behielt er Recht.<br />
Ich habe einfach Angst, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> nicht zu glauben, weil es viel<br />
zu sehr wie damals ist. Auch Harry konnte immer wieder in die Gedanken<br />
von Voldemort blicken, wenn auch nicht so wie die Zwillinge!<br />
Und außerdem…“<br />
Wieder stockte die Lehrerin.<br />
„Was <strong>und</strong> außerdem?“, fragte der Mann namens Dean.<br />
„Und außerdem warnt er uns immer wieder davor!“<br />
Dean trat zurück <strong>und</strong> lehnte sich gegen den Türrahmen.<br />
„Du meinst den, von dem du mir gestern erzählt hast?“, fragte er.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
„Aber du hast doch noch nicht mal eine Ahnung, von wo er all <strong>das</strong><br />
weiß, geschweige denn, wer er ist, ob du ihn kennst <strong>und</strong> vor allem,<br />
ob du ihm vertrauen kannst!“<br />
„Ja, <strong>das</strong> weiß ich, aber ich habe einfach <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s er niemandem<br />
etwas Böses will. Vor allem nicht den Zwillingen. Warum<br />
hätte er ihnen sonst den Tarnumhang geschickt?“<br />
Dean warf seinen Kopf in den Nacken <strong>und</strong> überlegte eifrig.<br />
„Okay, okay. Aber warum kommt er dann nicht einfach <strong>und</strong> erzählt<br />
alles, was er weiß? Mit seiner Hilfe hättet ihr die Malfoys womöglich<br />
schon lange <strong>und</strong> es wäre erst gar nicht so weit gekommen!“<br />
„Ja, <strong>das</strong> stimmt. Ich weiß es ja auch nicht, was sich er oder sie dabei<br />
denkt! Er scheint soviel zu wissen <strong>und</strong> ich habe keine Ahnung,<br />
warum er sein Wissen nicht mit uns teilen will! Es würde sicher einiges<br />
erklären!“<br />
277
„Na gut, danke <strong>das</strong>s du mir davon erzählt hast. Ich werde aufpassen!“,<br />
meinte Dean <strong>und</strong> stellte sich wieder gerade hin.<br />
„Danke“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger. „Natürlich könnten die Malfoys<br />
am Bahnh<strong>of</strong> in Hogsmeade auch etwas anderes erledigt haben, aber<br />
sicher ist sicher. Und vergiss nicht, <strong>das</strong>s du niemandem etwas sagst!<br />
Cho verständige ich persönlich, alle anderen brauchen nichts davon<br />
zu erfahren!“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger ging an dem Fremden vorbei, indem sie ihm<br />
noch mal zulächelte. Er lachte zurück <strong>und</strong> ging in Richtung Küche<br />
davon, während die Lehrerin <strong>das</strong> Haus durch die Haustür verließ.<br />
<strong>Dora</strong> ging ein paar Schritte zurück <strong>und</strong> überlegte eifrig. Die Malfoys<br />
waren am Bahnh<strong>of</strong> in Hogsmeade gewesen? Wollten sie die<br />
Mädchen etwa dort erwischen? Oder waren sie vielleicht doch nur<br />
zufällig dort gewesen? Aber <strong>das</strong> Schlimmste war, <strong>das</strong>s Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger selbst nicht genau wusste, ob sie die ganze Geschichte, die<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> erzählten, glauben sollte.<br />
Langsam schlich <strong>Dora</strong> wieder nach oben um <strong>Lily</strong> zu wecken. Mitten<br />
auf der Treppe kam ihr Ted entgegen.<br />
„Morgen“, murmelte er verschlafen <strong>und</strong> wollte an <strong>Dora</strong> vorbeigehen,<br />
doch diese hielt ihn zurück.<br />
„Komm mit“, meinte sie.<br />
Ted blickte sie fragend mit großen Augen an.<br />
„Aber ich hab Hunger“, sagte er.<br />
„Der läuft dir nicht davon. Ich muss euch was erzählen“, forderte<br />
<strong>Dora</strong> ihn auf. „Es ist wichtig!“<br />
Ted verdrehte die Augen <strong>und</strong> kam wieder auf <strong>Dora</strong>s Höhe.<br />
„Aber wenn ich verhungere, bist du schuld“, murmelte er, noch etwas<br />
verschlafen.<br />
„Das Risiko gehe ich ein“, sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> die beiden machten sich<br />
auf den Weg nach oben in <strong>das</strong> Zimmer, in dem sich <strong>Lily</strong> befand.<br />
<strong>Dora</strong> öffnete die Tür <strong>und</strong> trat, dicht gefolgt von Ted, ein. Ihre<br />
Schwester war inzwischen wach <strong>und</strong> sie drehte sich zur Tür um, als<br />
sie die beiden kommen hörte.<br />
278
„Guten Morgen!“, seufzte sie. „Oh Mann, da beginnt der Tag doch<br />
gleich mal schön, wenn man dich gleich als ersten sieht!“<br />
Ted streckte ihr die Zunge entgegen <strong>und</strong> die beiden lachten, nur<br />
<strong>Dora</strong> hielt sich aus ihren Zankereien vollkommen heraus. Sie dachte<br />
nach.<br />
„Daran wirst du dich hier wohl gewöhnen müssen <strong>und</strong> glaub mir,<br />
es ist nicht meine Schuld, <strong>das</strong>s ich hier bin. Eigentlich sollte ich jetzt<br />
beim Frühstück sitzen, wenn deine Schwester mich nicht geholt hätte!“,<br />
gab er zurück.<br />
Jetzt war es <strong>Lily</strong>, die <strong>Dora</strong> fragend anblickte.<br />
„Warum hast du ihn geholt? Stimmt was nicht?“, fügte sie hinzu,<br />
als sie <strong>Dora</strong>s besorgtes Gesicht sah.<br />
Ted ging um die Matratzen herum <strong>und</strong> setzte sich auf den Stuhl,<br />
der vor dem Schreibtisch stand, während sich <strong>Dora</strong> neben <strong>Lily</strong> auf<br />
den Boden setzte.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Granger war hier <strong>und</strong> sie hat mit einem Dean gesprochen.<br />
Ich vermute, <strong>das</strong>s es ein Auror war, der hier auf uns aufpassen<br />
soll!“, begann <strong>Dora</strong> zu erzählen.<br />
„Was hat sie gesagt?“, fragte <strong>Lily</strong> neugierig.<br />
„Eigentlich nur, <strong>das</strong>s die Malfoys am Bahnh<strong>of</strong> in Hogsmeade waren<br />
<strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie nicht weiß, ob sie uns glauben soll“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> machte große Augen <strong>und</strong> Ted ließ die Feder sinken, die er gerade<br />
eben vom Schreibtisch genommen hatte.<br />
„Was?“, fragte <strong>Lily</strong>. „Sie waren in Hogsmeade? Heute bei der Abreise<br />
der anderen?“<br />
„Sie haben nicht gesagt, wann, aber ich schätze ja“, nickte <strong>Dora</strong>.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Granger macht sich zwar ziemliche Sorgen, aber sie ist<br />
sich nicht sicher, ob die beiden auch wirklich wegen uns dort waren<br />
<strong>und</strong> der Auror machte auch keinen überzeugten Eindruck. Aber okay,<br />
wir wissen ja nicht, wie viel er weiß. Aber zumindest Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger sollte sich sicher sein!“<br />
Einen Moment lang war es still im Raum, bevor Ted <strong>das</strong> Schweigen<br />
unterbrach.<br />
279
„Es ist doch klar, <strong>das</strong>s sie euch dort auflauern wollten. Alles andere<br />
wäre ein zu großer Zufall!“, sagte er.<br />
Die Mädchen nickten.<br />
„Aber <strong>das</strong> ist es gar nicht, was mir Sorgen macht, denn wir wissen<br />
ja schon, <strong>das</strong>s sie uns nicht gerade mögen. Sorgen macht mir, <strong>das</strong>s<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger uns nicht glaubt. Sie hat immer gesagt, wir sollen<br />
ihr alles erzählen, denn sie würde uns glauben, egal wie unglaubwürdig<br />
alles sei. Und jetzt auf einmal weiß sie nicht mehr, was wahr<br />
ist <strong>und</strong> was nicht!“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
„Aber warum sperrt sie uns dann ein <strong>und</strong> will nicht mal, <strong>das</strong>s wir<br />
Hagrid besuchen gehen?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> überlegte, doch ihr fiel keine Antwort auf diese Frage ein.<br />
„Das ist doch klar! Sie will, <strong>das</strong>s ihr glaubt, sie würde euch glauben!“,<br />
sagte Ted. „Sie weiß zwar nicht, ob es stimmt, will aber kein<br />
Risiko eingehen. Deshalb auch die Auroren hier im Haus! Du sagst,<br />
sie hätte mit einem Dean gesprochen? Ich schätze, <strong>das</strong>s es Mr. Thomas<br />
war. Er ist ein Auror aus ihrem Jahrgang früher in Hogwarts!<br />
Was hat er gesagt?“<br />
„Er hat gesagt, <strong>das</strong>s er es nicht für sehr glaubwürdig hält!“, meinte<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
„Also eins weiß ich ganz genau“, meldete sich <strong>Lily</strong> plötzlich zu<br />
Wort. „Und zwar, <strong>das</strong>s ich es mir jetzt gut überlege, was ich der<br />
Granger erzähle <strong>und</strong> was nicht!“<br />
Sie blickte wütend zwischen Ted <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> hin <strong>und</strong> her.<br />
„Ja, ich auch“, stimmte <strong>Dora</strong> ihr zu.<br />
Die drei standen kurze Zeit später auf <strong>und</strong> machten sich auf den<br />
Weg nach unten, wo Mrs. Weasley schon mit einem riesigen Frühstück<br />
auf sie wartete.<br />
Gleich danach kam Teds Großmutter aus dem Wohnzimmer <strong>und</strong><br />
holte Ted für ihren Ausflug ab. Sie meinten, <strong>das</strong>s sie am nächsten<br />
Morgen wohl wieder da sein würden. Mrs. Weasley <strong>und</strong> die Zwillinge<br />
wünschten den beiden noch viel Spaß für ihren Ausflug <strong>und</strong> erzählte<br />
den Mädchen, <strong>das</strong>s Ted <strong>und</strong> seine Grandma jedes Jahr zu<br />
280
Weihnachten den Friedh<strong>of</strong> besuchten, auf dem seine Eltern begraben<br />
worden waren, als Ted noch ganz klein war.<br />
Den ganzen restlichen Tag verbrachten die Zwillinge damit, gemeinsam<br />
mit ihren Großeltern, ihren Onkeln <strong>und</strong> den anderen Verwandten<br />
den Christbaum <strong>und</strong> <strong>das</strong> ganze Haus weihnachtlich zu<br />
schmücken. Auch der Auror vom Morgen, Dean Thomas, wie er sich<br />
vorstellte, half tatkräftig mit <strong>und</strong> bis auf die schlechte Stimmung, die<br />
zwischen <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> wegen ihrer Erkenntnis am Morgen herrschte,<br />
wurde es ein lustiger Tag.<br />
Am Abend kamen dann auch noch Bill, ein weiterer Onkel der<br />
Zwillinge, seine Frau Fleur <strong>und</strong> ihre Tochter Victoire. Sie war ein<br />
Jahr jünger als die Zwillinge <strong>und</strong> sie erzählte s<strong>of</strong>ort, <strong>das</strong>s sie nächstes<br />
Jahr in Hogwarts beginnen wollte <strong>und</strong> hatte tausend Fragen an<br />
die Zwillinge.<br />
Die fragte sie über die Lehrer aus <strong>und</strong> welche Unterrichtsfächer die<br />
beiden am interessantesten fanden, wollte sie auch wissen. Die drei<br />
verstanden sich s<strong>of</strong>ort ziemlich gut <strong>und</strong> die Zwillinge waren s<strong>of</strong>ort<br />
beeindruckt vom Aussehen ihrer Cousine <strong>und</strong> noch mehr von dem<br />
ihrer Mutter. Als sie Bill <strong>das</strong> erste Mal erblickten, mussten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> s<strong>of</strong>ort daran denken, was ihnen Hagrid einst in der Winkelgasse<br />
erzählt hatte: Eins der Weasleykinder war von einem Werwolf<br />
angegriffen worden. Damit musste Hagrid wohl Bill gemeint haben.<br />
Sein Gesicht wies tiefgehende Verletzungen auf, deren Verursachung<br />
schon viele Jahre zurückliegen musste.<br />
An diesem Tag wurden <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Victoire ziemlich früh ins<br />
Bett geschickt, damit sie am nächsten Tag ausgeschlafen waren. Sie<br />
befolgten diese Aufforderung <strong>und</strong> schon um halb neun Uhr abends<br />
lagen die beiden auf ihren Matratzen, während es sich Victoire im<br />
Bett bequem gemacht hatte.<br />
Schon kurze Zeit später war sie eingeschlafen <strong>und</strong> die Zwillinge<br />
unterhielten sich noch eine Weile über <strong>das</strong> Gespräch, <strong>das</strong> <strong>Dora</strong> in der<br />
Früh belauscht hatte.<br />
281
„Aber ich dachte, <strong>das</strong>s er noch zu schwach wäre, um uns etwas antun<br />
zu können“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Na ja, vielleicht haben sie den Becher von Hufflepuff ja inzwischen<br />
auch schon“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Wenn wir <strong>das</strong> nur wüssten. Sobald die ihn haben, können sie womöglich<br />
auch in die Schule oder vielleicht sogar hier rein, egal wie<br />
viele Auroren Pr<strong>of</strong>essor Granger positioniert hat! Warte mal… Hast<br />
du noch was von diesem Tagtraumpulver?“<br />
„Du willst doch nicht etwa“, flüsterte <strong>Dora</strong>.<br />
„Oh doch, genau. Also hast du noch was?“<br />
<strong>Dora</strong> schüttelte den Kopf in der Dunkelheit.<br />
„Ja, in Hogwarts habe ich noch was, aber hier nicht“, meinte sie.<br />
„Okay, dann müssen wir bis dahin warten. Man, warum sind wir da<br />
nicht früher draufgekommen? Wir könnten doch alles wissen, was<br />
die planen <strong>und</strong> statt Peeves auszufragen hätten wir einfach nachschauen<br />
können, ganz ohne Gefahr!“<br />
„Stimmt eigentlich“, stimmte <strong>Dora</strong> ihrer Schwester zu.<br />
Am nächsten Morgen wurden die drei Mädchen wach, als jemand<br />
lautstark gegen ihre Zimmertüre hämmerte <strong>und</strong> sie s<strong>of</strong>ort aufriss. Es<br />
war Ted, der ziemlich müde, aber trotzdem sehr aufgeregt wirkte.<br />
„Aufwachen, es gibt Geschenke“, rief er.<br />
„Du schon wieder“, zischte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> öffnete langsam die Augen.<br />
„Sagte ich doch, <strong>das</strong>s du dich daran gewöhnen musst!“<br />
Ted setzte sich auf den Sessel beim Schreibtisch <strong>und</strong> wartete. In<br />
seiner Hand hielt er etwas, <strong>das</strong> aussah, wie eine schwarze Platte mit<br />
goldenen Verzierungen auf der Rückseite. Er legte es vor sich auf<br />
den Tisch <strong>und</strong> tupfte mit dem Finger ab <strong>und</strong> zu drauf.<br />
„Was hast du da?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Ein Geschenk von Pr<strong>of</strong>essor Granger“, meinte er abwesend, ohne<br />
auch nur von der Platte aufzublicken.<br />
Erst jetzt sahen <strong>Lily</strong> die großen Geschenkstapel, die neben ihren<br />
Füßen auf den Matratzen lagen. Die beiden blickten auf zu Victoire,<br />
282
die schon kräftig mit dem Zerreißen des Geschenkpapiers beschäftigt<br />
war.<br />
<strong>Lily</strong> kletterte auch s<strong>of</strong>ort auf ihren Stapel zu <strong>und</strong> begann die Geschenke<br />
zu öffnen. Das erste war groß <strong>und</strong> weich <strong>und</strong> wie es sich<br />
herausstellte, war es ein selbst gestrickter Pullover von ihrer Grandma.<br />
Auf dem von <strong>Lily</strong> war ein großes L <strong>und</strong> auf dem von <strong>Dora</strong> ein<br />
D. Erst jetzt sahen die beiden, <strong>das</strong>s auch Ted den gleichen trug, nur<br />
mit einem T <strong>und</strong> Victoire hatten neben ihr einen auf dem sich vermutlich<br />
ein V befand.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> grinsten sich an <strong>und</strong> legten die Pullover beiseite. Sie<br />
hatten zu Weihnachten noch nie etwas selbst Gemachtes bekommen,<br />
da Tante Emily nicht wirklich gut handarbeiten konnte.<br />
Von Tante Emily <strong>und</strong> Onkel Dudley hatten die beiden ein riesiges<br />
Federpennal mit allerhand verschiedenen Muggelstiften bekommen.<br />
Vermutlich hatten sie einmal zu <strong>of</strong>t erwähnt, <strong>das</strong>s sie Federn hassten,<br />
oder es war ihrem Onkel <strong>und</strong> ihrer Tante einfach zu anstrengend, die<br />
Tintenkleckse auf den Pergamentblättern zu entziffern. Außerdem<br />
hatten sie noch normale Blöcke bekommen, da sie auch erwähnt hatten,<br />
wie sehr sie Pergament hassten. Für jede gab es noch ein Paar<br />
neue Handschuhe <strong>und</strong> eine Schachtel voller Süßigkeiten.<br />
„Hey, guck mal“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> hielt eine Packung mit Tagtraumpulver<br />
in die Luft.<br />
„Onkel George hat wirklich ein Händchen für richtige Geschenke<br />
zum richtigen Zeitpunkt“, antwortete <strong>Dora</strong>, die ebenfalls gerade drei<br />
oder vier neue Packungen des Traumpulvers aus dem Geschenkspapier<br />
befreite.<br />
„Ted, hast du Hunger? Hier sind ein paar Kotzpastillen, die verträgst<br />
du doch so super!“, grinste <strong>Lily</strong>.<br />
Onkel George hatte ihnen eine ganze Box voll Nasch- <strong>und</strong><br />
Schwänzleckerein zukommen lassen. Von Bill <strong>und</strong> Fleur bekamen<br />
beide ein Parfüm, von Charlie ein Buch, wie man am besten mit<br />
Drachen kämpfte, <strong>und</strong> von Percy bekamen sie noch mal eine Schach-<br />
283
tel von Naschsachen, von denen man aber nicht s<strong>of</strong>ort Nasenbluten<br />
oder sonstige Beschwerden bekam.<br />
Auch von Hagrid hatten die beiden noch etwas zu Essen bekommen,<br />
<strong>das</strong> verdächtig nach seinen Steinplätzchen aussah. Die Mädchen<br />
grinsten <strong>und</strong> legten es weg, bevor sie <strong>das</strong> letzte Päckchen öffneten.<br />
Als sie sahen, <strong>das</strong>s es von Pr<strong>of</strong>essor Granger war, waren sie sich<br />
schon fast sicher, <strong>das</strong>s es <strong>das</strong> Selbe war, <strong>das</strong> Ted so aufmerksam anstarrte.<br />
Sie öffneten die flachen Geschenke <strong>und</strong> zogen anschließend<br />
aus einer weiteren Verpackung dieselben schwarzen Bretter wie Ted.<br />
<strong>Lily</strong> drehte es hin <strong>und</strong> her <strong>und</strong> untersuchte auch die Schachtel, fand<br />
aber nichts, <strong>das</strong> darauf hinwies, was es war. Auf der Verpackung<br />
standen nur die Buchstaben ZW <strong>und</strong> es war ein Zauberer zu sehen,<br />
der <strong>das</strong>selbe machte wie Ted. Nämlich mit den Fingern auf <strong>das</strong> Brett<br />
zu klopfen.<br />
„Ted?“, fragte <strong>Lily</strong>, doch dieser gab nur ein leises Grunzen von<br />
sich. „TED!“<br />
Widerwillig drehte sich Ted zu <strong>Lily</strong> um <strong>und</strong> schaute sie mit gerunzelter<br />
Stirn an.<br />
„Was ist?“, fragte er. „Ich bin beschäftigt!“<br />
„Womit?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> schaute von ihm zu dem Brett.<br />
„Geht dich nichts an“, murmelte er.<br />
„Nein, sie meint, was <strong>das</strong> hier ist!“, sagte <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> hielt ihr eigenes,<br />
schwarzes, verziertes Brett in die Luft.<br />
„Ach so, ihr wisst <strong>das</strong> gar nicht?“, fragte er.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schüttelten ihre Köpfe.<br />
„Das nennt man Zauberweb. Pr<strong>of</strong>essor Granger ist eine der Hexen,<br />
die seit Jahren daran mitarbeiten <strong>und</strong> es ist gerade erst auf dem<br />
Markt erschienen. Es ist aber so teuer, <strong>das</strong>s es sich noch fast niemand<br />
leisten kann, aber man liest inzwischen in jeder Zeitung davon!“,<br />
erklärte Ted.<br />
„Und was ist es jetzt genau? Was macht man damit?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
„Na ja, in der Zeitung meinten sie immer, <strong>das</strong>s die Muggel schon<br />
lang so etwas hätten. Sie nennen es Internet. Pr<strong>of</strong>essor Granger, die<br />
284
selbst von Muggeln abstammt, kannte es natürlich <strong>und</strong> setzte sich<br />
dafür ein, <strong>das</strong>s auch Zauberer auf dieses Internet zugreifen können.<br />
Natürlich führte sie die Zauber so aus, <strong>das</strong>s die Muggel nichts sehen<br />
können, was wir Zauberer im Zauberweb veröffentlichen, aber wir<br />
können alles anschauen, <strong>das</strong> die Muggel machen. Mr. Weasley war<br />
von Anfang an begeistert <strong>und</strong> er war auch der erste, dem Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger eines geschenkt hat!“<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> machten große Augen. Mit Internet waren die beiden<br />
ja aufgewachsen, aber in der Zaubererwelt hatten sie es nun wirklich<br />
nicht vermutet. Die beiden betrachteten die schwarze Platte <strong>und</strong><br />
drehten sie hin <strong>und</strong> her.<br />
„Ah, okay. Und wie starte ich die?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Starten?“, fragte Ted. „Ach so, du nimmst den Zauberstab <strong>und</strong><br />
klopfst dreimal drauf!“<br />
<strong>Lily</strong> machte s<strong>of</strong>ort was Ted ihr sagte <strong>und</strong> tatsächlich verwandelte<br />
sich die Seite, die nicht von dem Muster bedeckt war, in ein buntes<br />
Gemisch aus sich bewegenden Bildern <strong>und</strong> Wörtern.<br />
Außerdem formte sich am unteren Rand noch so etwas, wie eine<br />
Tastatur. Die Mädchen tippten mit ihren Fingern auf die vielen Wörter<br />
<strong>und</strong> sie fanden heraus, <strong>das</strong>s es sich eigentlich um gar nichts vom<br />
Muggelinternet unterschied. Die einzige Ausnahme war, <strong>das</strong>s sie<br />
nicht in Muggelforen oder -chats gelangen konnten, dafür gab es aber<br />
umso mehr Seiten von Zauberern.<br />
Sie drückten lange Zeit auf dem Zauberweb herum, bis sie schließlich,<br />
kurz vor Mittag, von ihrer Großmutter zum Frühstück gerufen<br />
wurden, <strong>das</strong>s sie auf keinen Fall ausfallen lassen wollte.<br />
Widerwillig rissen sich die drei von ihrem ZW los <strong>und</strong> gingen,<br />
dicht gefolgt von Victoire, die ihnen aufgeregt zugesehen hatte, die<br />
Treppe hinab.<br />
285
Zauberschule vs. Muggelschule<br />
Die Tage vergingen wie im Flug <strong>und</strong> es dauerte nicht lange, bis sich<br />
die Mädchen so fühlten, als würden sie schon ewig zur Familie<br />
Weasley gehören. Ihre zahlreichen neuen Verwandten machten es<br />
ihnen aber auch nicht allzu schwer, sich einzugewöhnen, denn die<br />
beiden wurden von Anfang an so behandelt, als wären sie schon immer<br />
da gewesen.<br />
Gleich am Tag nach Weihnachten hatten sich die beiden zusammen<br />
mit Ted in ihrem Zimmer eingeschlossen <strong>und</strong> <strong>das</strong> Tagtraumpulver<br />
ein weiteres Mal benutzt, allerdings hatte sich nicht wirklich viel geändert.<br />
Die Malfoys hatten mitten im Wald gestanden <strong>und</strong> über irgendjemanden<br />
geredet, den die Zwillinge nicht kannten. Auch Ted<br />
hatte den Namen noch nie gehört <strong>und</strong> die drei waren sich einig, <strong>das</strong>s<br />
es nichts mit ihnen zu tun hatte.<br />
Allerdings schien es, als wäre er wieder ein bisschen mehr zu Kräften<br />
gekommen. Ob er den Becher von Hufflepuff gef<strong>und</strong>en hatte?<br />
<strong>Dora</strong> hatte schon daran gedacht, als sie Pr<strong>of</strong>essor Granger belauscht<br />
<strong>und</strong> dabei gehört hatte, <strong>das</strong>s die beiden am Bahnh<strong>of</strong> gesichtet worden<br />
waren. Ohne einen weiteren dieser Horkruxe, da waren sich alle<br />
drei sicher, hätte er sich nicht so weit von seinem Versteck entfernen<br />
können.<br />
Das machte den Zwillingen die meisten Sorgen. Doch sie wollten<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nichts davon sagen, obwohl sie ziemlich <strong>of</strong>t zu<br />
Besuch kam. Sie wussten ja jetzt, <strong>das</strong>s sie sowieso nicht wusste, wie<br />
viel sie den Zwillingen glauben sollte <strong>und</strong> ob sie sich ernsthaft Sorgen<br />
machen musste. Das einzige, was sie taten, war, dem Unbekannten<br />
zu schreiben, <strong>das</strong>s der Becher wahrscheinlich schon im Besitz<br />
der Malfoys war. Über <strong>das</strong> ZW sendeten die beiden gemeinsam mit<br />
Ted s<strong>of</strong>ort eine Nachricht an Scott, damit dieser <strong>das</strong> Medaillon ja<br />
nicht aus den Augen ließ. Aber mehr konnten sie nicht unternehmen.<br />
Eigentlich, <strong>das</strong> war ihnen klar, konnten sie gar nichts machen außer<br />
abzuwarten. Egal ob sie hier, bei den Dursleys oder in Hogwarts wa-<br />
286
en. Sie mussten sich auf ihre Beschützer verlassen <strong>und</strong> durften sich<br />
ja nicht aus deren Schutzbereich bewegen. Tag für Tag überlegten<br />
die drei, was sie unternehmen konnten. Einfallen wollte ihnen jedoch<br />
nichts.<br />
Viel zu schnell war die Woche auch schon wieder um <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger stand ein weiteres Mal vor der Haustüre der Weasleys.<br />
Sie sagte, <strong>das</strong>s bei den Dursleys alles für ihre Ankunft vorbereitet<br />
sei.<br />
„Wie kommen wir eigentlich zu den Dursleys?“, fragte <strong>Dora</strong>, als<br />
sie sich um den Küchentisch versammelt hatten <strong>und</strong> vor ihnen ein<br />
letztes Festmahl von Mrs. Weasley aufgetischt wurde.<br />
„Über <strong>das</strong> Flohnetzwerk“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger. „Wir haben<br />
den Kamin kurzfristig angeschlossen <strong>und</strong> werden die Verbindung<br />
s<strong>of</strong>ort wieder aufheben, wenn ihr dort seid. Nur der Sicherheit zuliebe,<br />
damit keine ungebetenen Gäste auftauchen können!“<br />
Die Zwillinge nickten, doch beide runzelten die Stirn <strong>und</strong> sahen<br />
sich an. Pr<strong>of</strong>essor Granger gab sich alle Mühe, damit die Zwillinge<br />
dachten, sie würde sich Sorgen um sie machen. Das Vertrauen der<br />
beiden schien ihr ziemlich wichtig zu sein.<br />
Doch schon Sek<strong>und</strong>en später grinsten die beiden. Also doch über<br />
<strong>das</strong> Flohnetzwerk. Ob Tante Emily <strong>und</strong> Onkel Vernon wohl Bescheid<br />
wussten, <strong>das</strong>s in Kürze Leute aus ihrem Kamin gekrochen<br />
kommen würden?<br />
„Wissen Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily <strong>das</strong>?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
„Ja, wir haben alles mit ihnen abgesprochen“, antwortete sie.<br />
„Schade“, lachte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> die Erwachsenen <strong>und</strong> Ted blickten sie<br />
fragend an, doch sie schüttelte nur den Kopf.<br />
„Hat mich gefreut, <strong>das</strong>s ihr hier wart <strong>und</strong> ich finde es schade, <strong>das</strong>s<br />
ihr schon wieder weg müsst!“, meinte Mrs. Weasley, als sich alle<br />
vom Tisch erhoben <strong>und</strong> in Richtung Kamin gingen. „Aber ihr müsst<br />
mir versprechen, im Sommer wieder zu kommen! Und Harry soll<br />
auch mit, wenn er Lust hat! Scheint ja ein lustiger kleiner Kerl zu<br />
287
sein <strong>und</strong> außerdem gehört er auch zur Familie! Immerhin ist er auch<br />
mit unserem Harry verwandt gewesen…“<br />
Ihre Großmutter blickte kurz abwesend aus dem Fenster, bevor sie<br />
sich wieder an die Zwillinge wandte <strong>und</strong> versuchte, ein Lächeln über<br />
die Lippen zu bringen.<br />
„Versprecht ihr mir <strong>das</strong>?“, fragte sie.<br />
„Aber klar“, antworteten die Zwillinge wie aus einem M<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
kaum hatten sie ausgesprochen, da wurden sie auch schon beide auf<br />
einmal von Mrs. Weasley umarmt.<br />
„Und ihr versprecht mir auch, <strong>das</strong>s ihr mir viele Briefe schreibt?<br />
Ihr müsst mir <strong>und</strong> eurem Großvater alles erzählen! Wir haben ja soviel<br />
nachzuholen!“<br />
Sie lockerte ihre Umarmung kurz <strong>und</strong> schaute die Zwillinge fragend<br />
an. Doch als diese nickten, wurden sie s<strong>of</strong>ort wieder fest umschlungen.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lächelte den Zwillingen zu, die kaum<br />
Luft bekamen.<br />
Mrs. Weasley drückte sie unendliche Sek<strong>und</strong>en, bis sich Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger kurz räusperte. Die Zwillinge blickten sie erleichtert an <strong>und</strong><br />
tatsächlich ließ ihre Großmutter sie los, stürzte sich aber gleich auf<br />
die Lehrerin.<br />
„Pass mir ja auf die beiden auf“, meinte sie streng. „Und du versprich<br />
mir auch, <strong>das</strong>s du dich wieder öfter meldest.“<br />
Sie sprach plötzlich ein wenig leiser, doch die Zwillinge konnten<br />
sie gerade noch verstehen.<br />
„Auch für uns ist es nicht leicht, nach dem, was mit… mit Ron passiert<br />
ist, aber <strong>das</strong> ist elf Jahre her…“<br />
Sie wischte sich mit dem Ärmel ihres Pullovers über die nassen<br />
Augen.<br />
„Und insbesondere du solltest nach vorne blicken. Auch wenn er<br />
nicht mehr da ist, so haben wir dich trotzdem gern <strong>und</strong> Arthur <strong>und</strong><br />
ich würden uns freuen, dich öfter zu Gesicht zu bekommen!“<br />
Die beiden Frauen ließen sich los <strong>und</strong> Pr<strong>of</strong>essor Granger nickte.<br />
288
„Ich werde mein Bestes geben!“, sagte sie, dann war es einige Sek<strong>und</strong>en<br />
still, während die beiden sich anschauten. „Ja, also habt ihr<br />
alles?“, fragte die Lehrerin dann in einem unnatürlich hohen Ton.<br />
<strong>Dora</strong> deutete auf die gepackten K<strong>of</strong>fer <strong>und</strong> auf den Käfig mit Hedwig.<br />
„Alles da“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
„Okay, dann los. Bis bald, Mrs. Weasley!“, verabschiedete sich<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong> die Zwillinge nickten ihrer Großmutter zu,<br />
welche sich jetzt mit einem Taschentuch die Tränen aus den Augen<br />
wischte.<br />
„Ich werde euch vermissen!“, sagte sie.<br />
„Ich euch nicht“, meinte Ted lächelnd. „Wir sehen uns ja eh schon<br />
in nicht mal eine Woche wieder!“<br />
„Dir auch noch schöne Ferien“, spottete <strong>Lily</strong>.<br />
„Bis bald“, verabschiedete sich auch <strong>Dora</strong>, dann nahmen zuerst <strong>Lily</strong>,<br />
dann <strong>Dora</strong> ein wenig von dem Flohpulver, bevor sie in den Kamin<br />
traten <strong>und</strong> in den grünen Flammen laut „Ligusterweg Nummer<br />
4“ sagten.<br />
„<strong>Lily</strong>!“, war <strong>das</strong> erste, was diese hören konnte, als sie aus dem<br />
Kamin gestiegen kam.<br />
Sam stürzte s<strong>of</strong>ort auf sie zu <strong>und</strong> umarmte sie stürmisch. <strong>Lily</strong> hatte<br />
Mühe, sich auf den Beinen zu halten <strong>und</strong> als sie sich wieder gefangen<br />
hatte, zog sie ihre kleine Schwester schnell weg vom Kamin, in<br />
dem gerade <strong>Dora</strong> zum Vorschein kam.<br />
S<strong>of</strong>ort ließ Sam <strong>Lily</strong> los <strong>und</strong> rannte zu <strong>Dora</strong>. <strong>Lily</strong> nutzt die freie<br />
Zeit, um sich umzusehen. Die gesamte Familie Dursley hatte sich im<br />
Wohnzimmer versammelt <strong>und</strong> vor allem James schaute die Zwillinge<br />
unsicher an <strong>und</strong> als dann noch Pr<strong>of</strong>essor Granger aus dem Kamin<br />
kam, sprang er schnell zu seinen Vater auf den Schoß.<br />
Doch <strong>das</strong> waren nicht alle. Im Türrahmen lehnte noch eine weitere<br />
Person, die <strong>Dora</strong> s<strong>of</strong>ort erkannte. Es war Cho Chang, die Aurorin,<br />
die im Sommer bei Madame Malkins, aufgr<strong>und</strong> des Arbeitsmangels<br />
im Zaubereiministerium, ausgeholfen hatte.<br />
289
<strong>Dora</strong> winkte ihr zu <strong>und</strong> sie zwinkerte.<br />
„Hallo ihr beiden! Toller Auftritt übrigens!“, begrüßte Onkel Dudley<br />
seine beiden Adoptivtöchter lächelnd <strong>und</strong> betrachtete dabei abwechselnd<br />
die beiden <strong>und</strong> dann die Rußflecken auf dem Teppich, die<br />
sie mit jedem Schritt hinterließen.<br />
„Das ist kein Problem!“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger, die Onkel Dudleys<br />
Blicken gefolgt war, <strong>und</strong> sie machte eine knappe Bewegung mit<br />
ihrem Zauberstab, woraufhin alle Flecken verschwanden.<br />
„Das hätte ich auch gekonnt!“, meinte Harry, der die großen Augen<br />
seiner Mutter sah.<br />
„Aber du darfst in den Ferien nun mal nicht zaubern!“, erinnerte<br />
ihn Pr<strong>of</strong>essor Granger.<br />
„Weiß ich“, meinte Harry. „Meine Eltern erinnern mich ja <strong>of</strong>t genug<br />
daran!“<br />
Er schaute seinen Vater mit bösen Augen an, musste dabei aber ein<br />
Grinsen unterdrücken.<br />
„Tja, ich erinnere mich noch gut an die Eulen, die man bekommt,<br />
wenn man sich nicht daran hält!“, meinte Onkel Dudley.<br />
Ein paar Sek<strong>und</strong>en wusste niemand wovon er sprach.<br />
„Dad?“, fragte <strong>Dora</strong> plötzlich.<br />
Onkel Dudley nickte. Pr<strong>of</strong>essor Granger, die die K<strong>of</strong>fer <strong>und</strong> die<br />
Eule der Zwillinge mitgebracht hatte, stellte alles ab <strong>und</strong> drehte sich<br />
schnell wieder um.<br />
„Cho, übernimmst du?“, fragte sie knapp.<br />
Ms. Chang nickte.<br />
„Okay, dann sehen wir uns in zwei Tagen. Ich schau dann hier mal<br />
nach dem Rechten! Auf Wiedersehen!“<br />
„Warten Sie“, hielt Dudley sie zurück. „Wir haben etwas vergessen!“<br />
Er zeigte auf die Eule, die neben dem S<strong>of</strong>a auf dem Boden in ihrem<br />
Käfig schlief.<br />
290
„Die gehört nach Hogwarts. Sie war verletzt, als sie im Sommer<br />
den Brief brachte! Sah ziemlich schlimm aus, aber inzwischen geht<br />
es ihr wieder gut“, sagte er.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger betrachtete <strong>das</strong> schlafende Tier.<br />
„Ach, hier ist sie also geblieben“, sagte Pr<strong>of</strong>essor Granger nachdenklich.<br />
„Aber wir haben inzwischen Ersatz <strong>und</strong> ihr hattet wahrscheinlich<br />
genug Arbeit damit, sie wieder ges<strong>und</strong> zu pflegen. Also<br />
falls James oder Sam sie wollen, dann sollen sie sie haben. Immerhin<br />
ist die Wahrscheinlichkeit groß, <strong>das</strong>s mindestens einer der beiden<br />
nach Hogwarts kommt!“<br />
Die Augen der beiden Kleinen begannen zu leuchten. Wie <strong>Lily</strong> <strong>und</strong><br />
<strong>Dora</strong> wussten, hatten sich hauptsächlich die beiden die letzten Monate<br />
über um <strong>das</strong> kranke Tier gekümmert <strong>und</strong> es schien ihnen richtig<br />
ans Herz gewachsen zu sein.<br />
„Was sagt man da?“, fragte Tante Emily.<br />
„Danke!“, sagten James <strong>und</strong> Sam gleichzeitig.<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger lachte <strong>und</strong> drehte sich um.<br />
„Also bis übermorgen!“<br />
Kurz nachdem sie ausgesprochen hatte, war sie auch schon verschw<strong>und</strong>en.<br />
Die gesamte Familie Dursley blickte ihr fragend hinterher.<br />
„Die hatte es aber eilig!“, meinte Emily nachdenklich. „So war sie<br />
doch normalerweise nicht!“<br />
Die anderen zuckten mit den Schultern <strong>und</strong> Cho Chang war die erste,<br />
die etwas dazu sagte.<br />
„Ich denke, sie mag es einfach nicht, wenn jemand vor ihr über<br />
Harry redet!“, meinte sie an Onkel Dudley gewandt. „Sie hat <strong>das</strong> alles<br />
immer noch nicht verkraftet. Es ist zwar lange her, aber sie hat<br />
gleich ihre drei besten Fre<strong>und</strong>e auf einmal verloren!“<br />
Als am Abend Onkel Dursley <strong>und</strong> Tante Emily zusammen mit den<br />
beiden Kleinen zu den Nachbarn gingen, schien für <strong>Dora</strong> die richtige<br />
Zeit gekommen zu sein. Sie hatte schon den ganzen Tag darauf gewartet,<br />
endlich mit Cho reden zu können. Sie wollte wissen, was die-<br />
291
se Aurorin alles wusste, denn Dean Thomas schien ja ziemlich in<br />
alles eingeweiht gewesen zu sein, doch mit ihm hatten die Zwillinge<br />
nicht reden wollen. Bei Ms. Chang fühlten sich die beiden einfach<br />
wohler <strong>und</strong> vor allem <strong>Dora</strong> hatte sie von Anfang an gemocht.<br />
Die Zwillinge saßen gemeinsam mit Harry <strong>und</strong> Ms. Chang auf der<br />
Couch <strong>und</strong> sahen fern. Als Harry den Raum verließ, drehte <strong>Dora</strong> den<br />
Fernseher leiser <strong>und</strong> schaute ihre Aufpasserin an.<br />
„Wir müssen Sie etwas fragen!“, sagte <strong>Dora</strong> leise, damit Harry<br />
auch sicher nichts hören konnte.<br />
Ms. Chang konnte sich nur schwer vom Fernseher losreißen. Die<br />
Zwillinge hatten <strong>das</strong> Gefühl, <strong>das</strong>s sie wohl noch nicht <strong>of</strong>t ein solches<br />
Muggelgerät gesehen haben musste.<br />
„Ja, natürlich!“, sagte sie abwesend, während sie immer wieder<br />
zwischen den Zwillingen <strong>und</strong> dem Fernseher hin <strong>und</strong> her blickte.<br />
„Würden Sie uns sagen, warum man Sie hierher bestellt hat?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Ms. Chang schaute sie an <strong>und</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
„Damit ich aufpasse, falls die Malfoys hier auftauchen sollten!“,<br />
sagte sie. „Ich dachte, ihr wisst <strong>das</strong>!?“<br />
„Ja, schon! Aber was genau wurde Ihnen erzählt?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Ms. Chang runzelte die Stirn.<br />
„Hermine, also Pr<strong>of</strong>essor Granger, hat Mr. Thomas <strong>und</strong> mir nur gesagt,<br />
<strong>das</strong>s die Malfoys wohl irgendwas im Schilde führen, Peeves<br />
etwas damit zu tun haben scheint <strong>und</strong> <strong>das</strong>s wir uns keine Sorgen machen<br />
sollen, wenn ihr Post von irgendeinem Fremden bekommt,<br />
denn dieser scheint vertrauenswürdig zu sein. Aber wieso wollt ihr<br />
<strong>das</strong> wissen?“, fragte sie.<br />
Die Zwillinge überlegten kurz.<br />
„Das ist wirklich alles?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Ms. Chang nickte.<br />
„Ja, <strong>das</strong> ist alles. Ich weiß auch nicht wirklich, was <strong>das</strong> soll, denn<br />
die Malfoys würden euch nie im Leben etwas antun. Die waren jahrelang<br />
in Askaban <strong>und</strong> können sich doch mit Sicherheit kaum aus<br />
292
ihrem Wohnzimmer bewegen, aber Pr<strong>of</strong>essor Granger meinte, <strong>das</strong>s<br />
sie sich besser fühlt, wenn jemand bei euch ist <strong>und</strong> ihr müsst verstehen,<br />
<strong>das</strong>s ich diese Arbeit anderen Beschäftigungen vorziehe! Als sie<br />
ins Ministerium gekommen ist <strong>und</strong> meinte, <strong>das</strong>s sie Mr. Thomas <strong>und</strong><br />
mich braucht, um trollige Torfschnüffler für Pr<strong>of</strong>essor Hagrid zu<br />
transportieren, da waren wir schon ganz aus dem Häuschen. Aber als<br />
sie dann erzählt hat, worum es wirklich geht, da wären wir am liebsten<br />
feiern gegangen. So eine spannende Aufgabe hatten wir noch<br />
nie!“<br />
Die Zwillinge begannen zu lächeln.<br />
„Und Sie haben nicht nachgefragt, wie Pr<strong>of</strong>essor Granger überhaupt<br />
auf die Idee kommt, <strong>das</strong>s die Malfoys hinter uns her sind?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Nein. Das Risiko, <strong>das</strong>s ich diesen Job verliere, gehe ich nicht ein!“<br />
„Wer ist hinter euch her?“, fragte plötzlich jemand. „Wusste ich es<br />
doch, <strong>das</strong>s da etwas nicht stimmt!“<br />
Harry tauchte plötzlich in der Wohnzimmertür auf <strong>und</strong> schaute die<br />
Zwillinge fragend an. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schauten sich erschrocken an.<br />
Sie konnten nicht auch noch ihm davon erzählen, wo sie doch schon<br />
dafür verantwortlich waren, <strong>das</strong>s Ted <strong>und</strong> Scott ebenfalls eingesperrt<br />
wurden.<br />
Er trat zur Couch <strong>und</strong> stellte sich vor die Zwillinge.<br />
„Jetzt kommt schon! Es hat doch sicher etwas damit zu tun, <strong>das</strong>s<br />
ihr in Hogwarts nicht aus dem Schloss dürft! Nicht mal zu den Flugst<strong>und</strong>en<br />
dürft ihr!“<br />
Harry schaute die beiden böse an.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Granger… sie meinte, <strong>das</strong>s… <strong>das</strong>s…“, begann <strong>Dora</strong>.<br />
Er zog eine Augenbraue hoch <strong>und</strong> sah <strong>Dora</strong> fragend an.<br />
„Sie meinte, <strong>das</strong>s ihr jemand einen Brief geschrieben hat, indem<br />
stand, <strong>das</strong>s er unseren Dad nicht gemocht hatte <strong>und</strong> <strong>das</strong>s sie besser<br />
auf uns aufpassen soll!“, erzählte <strong>Lily</strong> schnell.<br />
„Ja genau. So war es!“, stimmte auch <strong>Dora</strong> zu.<br />
293
Harry ging zum Fenster, schaute kurz nach draußen <strong>und</strong> drehte sich<br />
dann wieder zu den Zwillingen um.<br />
„Also ich bin zwar nicht in Ravenclaw, aber blöd bin ich auch<br />
nicht!“, sagte er. „Wenn es so wäre, dann würden die nicht auch<br />
noch eure beiden Fre<strong>und</strong>e, Ted <strong>und</strong> Scott, einsperren, oder?“<br />
<strong>Lily</strong> überlegte kurz.<br />
„Ähm… die beiden werden nicht eingesperrt. Die weigern sich nur<br />
aus dem Schulgebäude zu gehen, solang sie nicht wissen, warum wir<br />
nicht raus dürfen!“<br />
Harry zog seine Augenbrauen hoch.<br />
„Wer’s glaubt!“, meinte er. „Ich finde es schon noch raus, <strong>und</strong><br />
wenn ich Hagrid bestechen muss. Der sagt es mir schon irgendwann!“<br />
Er drehte sich um <strong>und</strong> stapfte wütend aus dem Wohnzimmer. Einen<br />
Moment lang sagte niemand etwas <strong>und</strong> nur die gedämpften Stimmen<br />
aus dem Fernseher durchbrachen die drückende Stille, die zwischen<br />
den Zwillingen herrschte. Sie sahen sich nur schuldig an.<br />
„Pr<strong>of</strong>essor Granger lässt euch nicht aus dem Schloss?“, fragte Ms.<br />
Chang nach eine Weile ungläubig.<br />
Die Zwillinge schüttelten ihre Köpfe.<br />
„Wir müssen schon froh sein, wenn sie uns allein nach unten zu<br />
den Kerkern gehen lässt!“, meinte <strong>Lily</strong> missgelaunt.<br />
„Ach, übertreib nicht!“, forderte ihre Schwester sie auf.<br />
„Dann scheint sie sich wirklich Sorgen zu machen“, meinte Ms.<br />
Chang. „Sonst würde sie euch nie eine St<strong>und</strong>e verpassen lassen, egal<br />
ob es eine Flugst<strong>und</strong>e oder etwas anderes ist. So ist sie nicht!“<br />
„Oder aber sie will nur unser Vertrauen nicht verlieren oder später<br />
nicht daran schuld sein, wenn uns was passiert!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja, daran will sie sicher nicht schuld sein“, meinte Ms. Chang.<br />
„Sie würde nie wollen, <strong>das</strong>s den Töchtern ihrer beiden besten Fre<strong>und</strong>e<br />
etwas zustößt! Sie tut mit Sicherheit alles, damit es euch gut geht<br />
<strong>und</strong> damit ihr euch wohl fühlt, also bitte verzeiht ihr <strong>das</strong>. Pr<strong>of</strong>essor<br />
Granger wollte noch nie jemandem etwas Böses!“<br />
294
Die Zwillinge nickten. Es schien ja alles einleuchtend, was Ms.<br />
Chang sagte, aber wenn in den Augen von Pr<strong>of</strong>essor Granger doch<br />
sowieso keine Gefahr bestand, wovor wollte sie sie dann schützen?<br />
Sie wollte anscheinend wirklich nur auf Nummer sicher gehen.<br />
„Wir sind wieder da!“, schrie plötzlich jemand, als die Zwillinge<br />
die Haustüre aufgehen hörten.<br />
Sam kam hereingestürzt <strong>und</strong> sie zwängte sich auf der Couch zwischen<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>. Sie schaute fragend von einem Mädchen zum<br />
anderen.<br />
„Also was wollt ihr spielen?“, fragte sie, als die beiden nichts sagten.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> schauten sich leicht genervt an, dann standen sie auf<br />
<strong>und</strong> folgten ihrer kleinen Cousine, die Treppe hoch in ihr Zimmer.<br />
„Habt ihr wirklich gezaubert?“, fragte Sam, als sie aus ihrer Truhe<br />
Spielzeug kramte. „Harry erzählt immer, <strong>das</strong>s er mit einem Zauberstab<br />
zaubern kann <strong>und</strong> <strong>das</strong>s er <strong>das</strong> in der Schule lernt. Ist <strong>das</strong> wahr?“<br />
Sam drehte sich wieder zu den Zwillingen um <strong>und</strong> diese nickten.<br />
„Aber er sagt immer, <strong>das</strong>s ich es niemandem in meiner Schule erzählen<br />
darf. Warum muss ich dann schreiben <strong>und</strong> rechnen lernen,<br />
wenn ihr zaubern dürft?“, fragte sie <strong>und</strong> machte einen Schmollm<strong>und</strong>.<br />
„Weil wir älter sind als du. Wir mussten auch erstmal schreiben<br />
<strong>und</strong> rechnen lernen. Wenn du so alt bist wie wir, dann darfst du<br />
wahrscheinlich auch zaubern lernen!“, erklärte <strong>Dora</strong> ihrer kleinen<br />
Cousine.<br />
„Aber <strong>das</strong> dauert ja noch sooo lange“, beschwerte sich Sam. „Und<br />
warum konntet ihr dann <strong>das</strong> schon vorher? Ich meine <strong>das</strong>s ihr Kätzchen<br />
werden konntet <strong>und</strong> <strong>das</strong>s ihr Dinge durch die Luft fliegen lassen<br />
könnt. Warum musstet ihr <strong>das</strong> nicht in der Schule lernen <strong>und</strong><br />
wieso kann ich <strong>das</strong> nicht?“<br />
„Glaub mir, <strong>das</strong> wüssten wir selbst gern“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
Sam drückte beiden einen Würfel in die Hand <strong>und</strong> stellte <strong>das</strong><br />
Mensch-Ärgere-Dich-Nicht-Spiel vor den Zwillingen auf.<br />
295
„Mami hat auch gesagt, <strong>das</strong>s sie nicht weiß, warum ihr <strong>das</strong> könnt!“,<br />
sagte sie, während sie von jeder Farbe vier Spielfiguren aus der Box<br />
sortierte. „Aber ich will <strong>das</strong> auch gerne können!“<br />
„Das lernst du dann schon in der Schule. Du musst nur noch ein<br />
bisschen warten! Schau, James kann ja auch nicht zaubern!“<br />
„Ja, aber er darf schon nächstes Jahr. Er ist ja dann schon elf Jahre<br />
alt <strong>und</strong> ich bin dann erst acht!“, meinte Sam.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> lächelten sich an.<br />
„Wer beginnt?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Sam war inzwischen fertig damit, alles auf den Boden ihres Zimmers<br />
zu räumen <strong>und</strong> die drei setzten sich ebenfalls dorthin <strong>und</strong> Sam<br />
begann zu würfeln.<br />
„Ich!“, sagte sie <strong>und</strong> schon war ihre Trauer darüber, <strong>das</strong>s sie noch<br />
nicht zaubern durfte, verflogen.<br />
Die Tage vergingen schnell <strong>und</strong> bald war auch schon wieder der<br />
letzte Abend angebrochen. Sam versuchte jeden Tag wieder, die<br />
Zwillinge zu überreden, nicht wieder zurück nach Hogwarts zu gehen.<br />
Sie sagte, <strong>das</strong>s es einfach schrecklich sei hier, ohne sie <strong>und</strong> <strong>das</strong>s<br />
James alleine nicht auszuhalten wäre, denn wenn dieser Harry nicht<br />
hatte, dann wollte er den ganzen Tag mit ihr streiten.<br />
Die Zwillinge lächelten <strong>und</strong> erklärten ihr, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> nicht ging. Aber<br />
sie versprachen ihr, den ersten Monat in den Sommerferien sicher<br />
jeden Tag mit ihr zu spielen. Dieser Vorschlag zauberte ein Lächeln<br />
auf <strong>das</strong> Gesicht ihrer Cousine.<br />
Emily brachte gerade Sam zu Bett, während sich die anderen Familienmitglieder<br />
um den großen Tisch versammelt hatten, wo sie gerade<br />
eben zu Abend gegessen hatten.<br />
„Onkel Dudley, wir wissen, <strong>das</strong>s Dad hier gelebt hat früher“, sagte<br />
<strong>Dora</strong> plötzlich. „Aber warum erzählst du nie etwas davon?“<br />
Onkel Dudley schloss die Augen <strong>und</strong> legte Gabel <strong>und</strong> Messer weg.<br />
Dann schaute er die Zwillinge abwechselnd an. In den letzten Wochen<br />
waren sie neugierig geworden. Sie wollten wissen, wer <strong>und</strong> vor<br />
allem wie ihre Eltern gewesen waren.<br />
296
Es dauerte eine Weile, bis Onkel Dudley zu sprechen begann.<br />
„Ihr wollt also etwas über ihn wissen? Ich wusste nicht, ob ich etwas<br />
sagen sollte oder nicht… Wisst ihr, damals war alles nicht ganz<br />
einfach!“<br />
Er machte eine kurze Pause.<br />
„Was war nicht einfach?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ich nehme an, <strong>das</strong>s ihr gehört habt, <strong>das</strong>s es ihm hier nicht besonders<br />
gut ging, oder?“<br />
Die Zwillinge nickten. Es war kein großes <strong>Geheimnis</strong>, <strong>das</strong>s er es<br />
nie leicht gehabt hatte bei den Dursleys. Aber wie genau es dazu gekommen<br />
war wussten die beiden nicht.<br />
„Aber wieso?“, antworteten ihm beide gleichzeitig.<br />
„Na ja, ihr kennt doch meine Eltern. Erinnert ihr euch noch daran,<br />
wie sie eure Briefe gesehen haben? Genauso haben sie damals auch<br />
bei Harry reagiert. Mein Dad hat uns sogar auf eine Insel verschleppt,<br />
damit sie euren Vater nicht finden konnten. Er war immer<br />
für alles, was normal ist. Und dann meine Mum. Sie war nie gut auf<br />
ihre Schwester zu sprechen, weil diese eine Hexe war, sie selbst aber<br />
nicht. Als sie Harry dann bekommen haben, hat sich ihr Hass von<br />
ihrer Schwester praktisch auf ihn übertragen <strong>und</strong> als dann immer<br />
mehr zum Vorschein kam, <strong>das</strong>s auch er ein Zauberer war, dann war<br />
es endgültig vorbei. Sie wollten auf keinen Fall, <strong>das</strong>s jemand mitbekommt,<br />
wen sie da bei sich zu Hause versteckten <strong>und</strong> so behandelten<br />
sie ihn schlecht. Ich frage mich jetzt noch immer, wie er <strong>das</strong> ausgehalten<br />
hat…“<br />
Wieder machte Onkel Dudley eine kurze Pause, diesmal aber sagte<br />
niemand etwas. Auch Harry <strong>und</strong> James hörten gespannt zu.<br />
„Ich will aber jetzt nicht den beiden die ganze Schuld geben… Ich<br />
habe schon ganz früh festgestellt, <strong>das</strong>s ich besser behandelt worden<br />
bin, wenn ich Harry entweder ignoriert oder gequält habe. Damals<br />
war ich ein verwöhntes Kind <strong>und</strong> habe <strong>das</strong> gemacht, was mir selbst<br />
geholfen hat. An andere gedacht habe ich nie bis… bis er mir <strong>das</strong><br />
Leben gerettet hat. Erst dann habe ich zu denken begonnen. Ich habe<br />
297
darüber nachgedacht, ob ich mich wohl an seiner Stelle auch gerettet<br />
hätte <strong>und</strong> bin zu dem Entschluss gekommen, <strong>das</strong>s ich jemanden, der<br />
mich über Jahre hinweg so behandelt hätte, nie geholfen hätte. Ich<br />
habe es gerade noch geschafft, ihm zu sagen, <strong>das</strong>s es mir leid tut <strong>und</strong><br />
<strong>das</strong>s ich ein egoistischer Mistkerl war, als…“<br />
Er stoppte seine Erzählung <strong>und</strong> stand auf. Auf dem Fensterbrett<br />
stützte er sich mit beiden Armen ab <strong>und</strong> sah hinaus in die Dunkelheit,<br />
zu den hell erleuchteten Fenstern der Nachbarn. Dann wandte er<br />
sich ab <strong>und</strong> ging zur Tür.<br />
„Kinder, es ist spät. Ihr solltet jetzt ins Bett!“<br />
Onkel Dudley drehte sich nicht mehr um, sondern stieg die Treppe<br />
hinauf, vermutlich in sein Schlafzimmer. Die Kinder blieben um den<br />
Tisch herum sitzen.<br />
„Ich hab <strong>das</strong> gar nicht gewusst, <strong>das</strong>s unser Dad euren Dad nicht<br />
gemocht hat“, sagte James nach einer kurzen Stille.<br />
„Hab ihm alles erzählt, was wir in Hogwarts so erfahren haben. Er<br />
weiß also alles“, grinste Harry.<br />
Die Zwillinge lächelten.<br />
„Ja, aber er hat nur getan, was gut für ihn war, also ich verstehe ihn<br />
schon!“, sagte <strong>Dora</strong> nachdenklich. „Aber es w<strong>und</strong>ert mich, <strong>das</strong>s er<br />
uns beide dann aufgenommen hat, obwohl ihm über Jahre hinweg<br />
immer gesagt wurde, <strong>das</strong>s alles Magische verboten gehört.“<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Irgendwann werden wir es schon erfahren. Wir wissen ja nicht<br />
mal, wie genau wir überhaupt hier her gekommen sind <strong>und</strong> vor allem<br />
aus welchem Gr<strong>und</strong>!“, sagte sie.<br />
„Er wird es euch erzählen. Aber es scheint auch für ihn nicht leicht<br />
zu sein, also lasst ihm Zeit“, meinte Harry.<br />
Es gab soviel herauszufinden über die ersten Lebensmonate der<br />
Zwillinge <strong>und</strong> über deren Eltern. Es bestand also kein Gr<strong>und</strong>, Onkel<br />
Dudley etwas zu fragen, was noch Zeit hatte <strong>und</strong> ihm nur <strong>das</strong> Leben<br />
schwer machen würde.<br />
298
„<strong>Lily</strong>, wir gehen jetzt besser auch schlafen, wir werden morgen<br />
sehr früh abgeholt. Wie kommt es eigentlich, <strong>das</strong>s du heute nicht mit<br />
dem Hogwarts-Express gefahren bist?“, fragte <strong>Dora</strong> ihren Cousin.<br />
„Na glaubst du, ich geh einen Tag früher wieder zur Schule? Da<br />
kennst du mich schlecht! Komm mit, James, wir gehen schlafen“,<br />
sagte Harry.<br />
„Ich dachte, dir gefällt es in Hogwarts!“, überlegte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja, tut es ja auch, aber <strong>das</strong> heißt nicht, <strong>das</strong>s ich mich wie ein Streber<br />
verhalten <strong>und</strong> früher da sein muss, wenn es nicht sein muss! Außerdem<br />
möchte ich auch mal so eine Extrabehandlung wie ihr bekommen<br />
<strong>und</strong> mit Flohpulver bin ich auch noch nie gereist!“<br />
„Wer als erstes oben ist!“, rief James.<br />
Augenblicklich rannten alle los <strong>und</strong> es gab lautes Getrampel im<br />
Treppenhaus. <strong>Lily</strong> war die erste, die oben angekommen war. Gr<strong>und</strong><br />
dafür war, <strong>das</strong>s sie sich wieder in <strong>das</strong> rote Kätzchen verwandelt hatte.<br />
Harry schaute sie böse an.<br />
„Hast du wohl sehr vermisst in Hogwarts, oder?“, fragte er.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Und wie!“, sagte sie.<br />
„Darfst du <strong>das</strong> überhaupt? Ich dachte zaubern ist verboten!“, sagte<br />
Harry mit einem siegessicheren Grinsen auf den Lippen.<br />
„Ach, die schmeißen mich schon nicht gleich raus beim ersten Mal<br />
<strong>und</strong> wenn die mich ermahnen, dann mach ich es eben nicht mehr.<br />
Wenn nicht, dann ist alles gut!“, erwiderte <strong>Lily</strong>.<br />
Dann verabschiedeten sich die Mädchen von James (Harry redete<br />
sowieso nicht mehr mit ihnen) <strong>und</strong> gingen in ihr Schlafzimmer. Das<br />
Fenster war den ganzen Tag über <strong>of</strong>fen gewesen <strong>und</strong> auf dem Fensterbrett<br />
saß die Eule des Unbekannten mit einem Brief <strong>und</strong> einem<br />
Paket, welches in braunes Papier eingewickelt war.<br />
<strong>Lily</strong> nahm den Brief, während <strong>Dora</strong> den leeren Käfig von Hedwig<br />
öffnete <strong>und</strong> die andere Eule hineinließ, damit diese an Wasser <strong>und</strong><br />
Futter kam.<br />
„Komm, lies mit!“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
299
<strong>Dora</strong> stellte sich neben ihre Schwester <strong>und</strong> begann ebenfalls zu lesen.<br />
Liebe <strong>Lily</strong>, liebe <strong>Dora</strong>!<br />
Es tut mir leid, <strong>das</strong>s ich euch erst jetzt antworte! Aus<br />
Gründen, die ich euch jetzt nicht nennen kann, konnte ich<br />
euch nicht früher eine Eule schicken.<br />
Danke, <strong>das</strong>s ihr mir so schnell von den Malfoys <strong>und</strong> dem<br />
vierten Horkrux berichtet habt. Ehrlich gesagt habe ich<br />
mich schon gew<strong>und</strong>ert, <strong>das</strong>s sie den Becher solange nicht<br />
gef<strong>und</strong>en haben, denn sie haben viel Macht, vor allem<br />
über Peeves, <strong>und</strong> vermutlich haben sie inzwischen alles<br />
durchsucht <strong>und</strong> auf den Kopf gestellt, woran sie kommen<br />
konnten. Ihr müsst vorsichtig sein. Geht nicht aus dem<br />
Haus oder aus dem Schloss!<br />
Doch seid beruhigt, die anderen beiden Gegenstände<br />
scheinen für den Moment sicher zu sein! Doch schon<br />
alleine der Becher in ihren Händen wäre vernichtend.<br />
Inzwischen wissen wir ja, <strong>das</strong>s Lucius immer stärker<br />
wird, wenn er einen Horkrux bekommt <strong>und</strong> er konnte<br />
schon nach dem letzten Horkrux in den Wald flüchten.<br />
Das heißt, <strong>das</strong>s er, als er am Bahnh<strong>of</strong> war, wohl den<br />
Becher schon hatte.<br />
Die beiden werden euch nichts tun, <strong>das</strong> verspreche ich<br />
euch! Ich tue alles, damit ihr sicher seid, egal wo ihr<br />
euch aufhaltet! Ich bin in eurer Nähe <strong>und</strong> passe auf!<br />
Besorgt euch viel von diesem Tagtraumpulver <strong>und</strong> schaut<br />
so <strong>of</strong>t wie möglich bei den Malfoys vorbei. Wenn<br />
irgendetwas Besonderes vorfällt, dann richtet mir <strong>das</strong><br />
bitte s<strong>of</strong>ort aus! Ich will auf der Stelle einen Brief<br />
erhalten, verstanden?<br />
Keine Sorge, wenn ihr wollt, <strong>das</strong>s ich Pr<strong>of</strong>essor Granger<br />
nichts sage, dann mache ich <strong>das</strong> auch nicht. Ich dachte<br />
300
301<br />
eigentlich, <strong>das</strong>s sie euch glauben wird, egal wie<br />
unglaublich eure Geschichte scheint. Ich werde wohl<br />
noch etwas Überzeugungsarbeit leisten müssen!<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, euch geht es gut! Wie war euer Weihnachtsfest<br />
bei den Weasleys? Erzählt mir davon!<br />
Wie schon gesagt konnte ich euch nicht früher schreiben,<br />
doch hier habe ich noch ein kleines Weihnachtsgeschenk<br />
für euch! Viel Spaß damit!<br />
<strong>Lily</strong> drückte <strong>Dora</strong> den Brief in die Hand <strong>und</strong> öffnete <strong>das</strong> Geschenk.<br />
Es kam ein Buch zum Vorschein. In großen Lettern wurde auf dem<br />
Umschlag „Quidditch im Wandel der Zeiten“ verkündet. Autor des<br />
Werkes war Kennilworthy Whisp <strong>und</strong> innen im Umschlag stand in<br />
schnörkeliger Schrift der Name „Harry Potter“.<br />
„Das hat Dad gehört“, meinte <strong>Lily</strong> leise.<br />
„Und er scheint es ziemlich <strong>of</strong>t gelesen zu haben“, antwortete <strong>Dora</strong>,<br />
die <strong>das</strong> Weihnachtsgeschenk des Unbekannten genau betrachtete.<br />
Man erkannte genau, <strong>das</strong>s es <strong>of</strong>t durchgeblättert worden war <strong>und</strong><br />
einige Ecken von Seiten waren umgebogen.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> blätterten die Seiten durch <strong>und</strong> betrachteten die Bilder<br />
mit den Menschen, die durch die Lüfte sausten. Anfangs auf Besen<br />
aus dem Mittelalter, mit denen sie um Kirchturmspitzen flogen<br />
<strong>und</strong> dann auf modernen Rennbesen, auf denen sie dem kleinen, goldenen<br />
Schnatz hinterher jagten.<br />
„Na dann sind wir ja gut gerüstet, wenn die uns nächstes Jahr spielen<br />
sehen wollen!“, stellte <strong>Lily</strong> fest. „Schön langsam glaube ich sogar,<br />
<strong>das</strong>s wir <strong>das</strong> schaffen könnten!“<br />
„S<strong>of</strong>ern wir dann aus dem Schloss dürfen“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Ja, <strong>das</strong> ist die Gr<strong>und</strong>voraussetzung! Schreibst du ihm noch schnell<br />
zurück?“<br />
Während sich <strong>Lily</strong> in ihr neues altes Buch vertiefte, schrieb <strong>Dora</strong><br />
ein paar Sätze auf ein neues Blatt Papier.
Hallo!<br />
Uns geht es sehr gut, danke!<br />
Danke für <strong>das</strong> Weihnachtsgeschenk. <strong>Lily</strong> beginnt gerade<br />
damit es zu lesen, während ich hier schreibe. Nachdem<br />
die anderen uns sowieso schon gesagt haben, <strong>das</strong>s wir<br />
nächstes Jahr Quidditch spielen müssen, schadet es uns<br />
wohl nicht, <strong>das</strong> Buch zu lesen.<br />
Nach dem Aussehen des Buches zu urteilen, muss Dad es<br />
<strong>of</strong>t gelesen haben, stimmt’s?<br />
Weihnachten mit den Weasleys war große Klasse. Die<br />
sind alle total nett <strong>und</strong> von Onkel George haben wir<br />
auch großen Nachschub an Tagtraumpulver bekommen.<br />
Wir können die Malfoys also noch ein paar Mal<br />
beobachten.<br />
Wenn wir etwas herausfinden, dann teilen wir es Ihnen<br />
natürlich so schnell wie möglich mit <strong>und</strong> wir werden<br />
versuchen, vorsichtig zu sein.<br />
<strong>Lily</strong>, Ted <strong>und</strong> ich überlegen schon die ganzen Ferien,<br />
was wir unternehmen können, doch uns fällt nichts ein.<br />
Die Malfoys sind da draußen <strong>und</strong> werden immer stärker.<br />
Was können wir machen?<br />
Danke nochmals für <strong>das</strong> Buch!<br />
Liebe Grüße,<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
„Okay, ich bin fertig, lass mich mitlesen!“, sagte <strong>Dora</strong>, während sie<br />
den Brief am Bein der Eule befestigte.<br />
Diese machte sich s<strong>of</strong>ort auf den Weg aus dem Fenster. <strong>Dora</strong> blickte<br />
ihr noch hinterher.<br />
„Mich würde interessieren, wo die hinfliegt <strong>und</strong> vor allem, zu wem<br />
sie fliegt!“, meinte sie, in Gedanken versunken. „Mach Platz!“<br />
302
<strong>Dora</strong> legte sich neben <strong>Lily</strong> ins Bett <strong>und</strong> begann ebenfalls zu lesen.<br />
Doch <strong>das</strong> taten die beiden nicht mehr lange, denn es war inzwischen<br />
fast zehn Uhr <strong>und</strong> wenn sie morgen schon um sechs Uhr abreisen<br />
mussten, dann war es höchste Zeit, um schlafen zu gehen.<br />
Nachdem <strong>Dora</strong> in ihr Bett gegangen war <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> <strong>das</strong> Licht ausgeschaltet<br />
hatte, dauerte es nicht lange, bis die beiden tief <strong>und</strong> fest eingeschlafen<br />
waren.<br />
Am nächsten Morgen wurden <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> bereits kurz nach fünf<br />
ziemlich unsanft geweckt. Sam war ins Zimmer gelaufen <strong>und</strong> hatte<br />
sich einen Spaß daraus gemacht, auf den Betten der Zwillinge herum<br />
zu hüpfen.<br />
„Ihr sollt aufstehen, hat Mami gesagt!“, schrie sie.<br />
„Sam“, murmelte <strong>Dora</strong>. „Geh runter von meinem Fuß!“<br />
„Und halt deinen M<strong>und</strong>“, fügte <strong>Lily</strong> hinzu.<br />
„Nein, eure Lehrerin kommt bald <strong>und</strong> holt euch ab! Ihr müsst wieder<br />
mit dem Kamin fahren! Also steht auf!“, brüllte <strong>das</strong> kleine Mädchen<br />
fröhlich.<br />
„Ja“, keuchte <strong>Lily</strong>, die Augen immer noch geschlossen. „Wir kommen<br />
schon!“<br />
„Aber Mami sagt, ich soll euch solange aufwecken, bis ihr wirklich<br />
aufsteht!“, jammerte Sam <strong>und</strong> hüpfte wieder auf <strong>Lily</strong>s Bett.<br />
„Aua, <strong>das</strong> war meine Hand!“, schrie diese <strong>und</strong> riss die Augen auf.<br />
„Was tust du eigentlich um so eine Zeit schon hier? Du solltest doch<br />
eigentlich schlafen!“<br />
Sam hüpfte auf <strong>Lily</strong>s Bett wie auf einem Trampolin, dann sprang<br />
sie auf den Boden <strong>und</strong> drehte <strong>das</strong> Licht auf.<br />
„Nein! Gestern beim Schlafengehen hat mir Mami gesagt, <strong>das</strong>s sie<br />
mich heute aufweckt, damit ich euch <strong>und</strong> Harry noch sehen kann,<br />
bevor ihr wieder weggeht!“<br />
„Das ist aber nett von Tante Emily“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> setzte sich<br />
langsam auf.<br />
Etwa fünf Minuten später waren die Zwillinge aus ihren Betten gekommen<br />
<strong>und</strong> packten, mit Sams Hilfe, noch ihre restlichen Sachen in<br />
303
ihre K<strong>of</strong>fer. Ihre Hilfe war jedoch nicht von langer Dauer, denn als<br />
sie <strong>das</strong> Buch des Unbekannten sah, nahm sie es s<strong>of</strong>ort an sich <strong>und</strong><br />
blätterte die Seiten durch, welche sie mit großen Augen anstarrten.<br />
„Warum bewegen sich die Fotos da?“, fragte sie kurze Zeit später.<br />
„Das ist ein Zauberbuch. Da bewegen sich alle Bilder!“, erklärte<br />
<strong>Dora</strong> ihrer kleinen Cousine.<br />
„Krieg ich so ein Buch dann auch mal?“, fragte diese.<br />
„Aber klar doch! Du kriegst sogar viele, wo sich die Bilder bewegen!“,<br />
meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Cool“, antwortete Sam <strong>und</strong> starrte weiter in <strong>das</strong> Buch.<br />
„Darf ich es jetzt haben? Ich will es mitnehmen?“<br />
Sam stand vom Boden auf <strong>und</strong> reichte <strong>das</strong> Buch an <strong>Lily</strong>, welche es<br />
vorsichtig mit in ihren K<strong>of</strong>fer packte.<br />
„Ach ja, ihr sollt euch beeilen, weil <strong>das</strong> Frühstück schon fertig<br />
ist!“, meinte Sam dann. „Ich geh jetzt zu Harry <strong>und</strong> sag dem, <strong>das</strong>s er<br />
aufstehen soll!“<br />
Sie winkte den beiden noch zu, dann lief sie aus dem Zimmer.<br />
„Klar, <strong>das</strong>s sie ihn wieder länger schlafen gelassen hat!“, meinte<br />
<strong>Lily</strong>.<br />
„Sie wollte uns eben vorher sehen“, antwortete <strong>Dora</strong> grinsend.<br />
„Ja, schon klar! Ich werde sie auch furchtbar vermissen!“, sagte <strong>Lily</strong><br />
<strong>und</strong> gähnte. „Wir hätten früher schlafen gehen sollen!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Der Fremde ist schuld, der hat uns mit seinem Brief <strong>und</strong> dem<br />
Buch wach gehalten! Es gehört ihm mal gesagt, <strong>das</strong>s er am Tag<br />
schreiben soll! Bist du fertig?“<br />
Auch <strong>Lily</strong> hatte alles eingepackt <strong>und</strong> so machten sich die beiden<br />
auf den Weg nach unten, obwohl sie nicht wussten, w<strong>of</strong>ür es jetzt<br />
extra für sie um solch eine Zeit Frühstück gab. In Hogwarts hätten<br />
sie sowieso etwas bekommen.<br />
Harry kam etwa zwanzig Minuten nach den Zwillingen die Treppe<br />
hinab. Sam hatte es nicht geschafft ihn zu wecken <strong>und</strong> so musste<br />
Tante Emily ihn holen. Gähnend betrat er <strong>das</strong> Wohnzimmer.<br />
304
„Mann, sie ist doch noch gar nicht da! Warum musste ich dann<br />
schon aufstehen?“, murmelte er <strong>und</strong> legte sich auf die Couch, wo er<br />
gleich wieder die Augen schloss.<br />
Kurz nach ihm kam auch James ins Wohnzimmer gestürzt.<br />
„Ich geh heute nicht in die Schule“, verkündete er lautstark.<br />
Tante Emily blickte durch die Tür aus der Küche zu ihm<br />
„Warum willst du denn schon wieder nicht zur Schule?“, fragte sie<br />
gelangweilt.<br />
„Weil Harry, <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> in eine Schule gehen, in der es lustig<br />
ist <strong>und</strong> die brauchen nicht so einen Blödsinn zu lernen wie ich!“,<br />
meckerte er <strong>und</strong> setzte sich vor Harrys Beine auf <strong>das</strong> S<strong>of</strong>a. „Er hat<br />
mir gestern Abend alles erzählt, was die dort machen dürfen <strong>und</strong> ich<br />
will da auch s<strong>of</strong>ort hin! Immerhin bin ich nur ein Jahr jünger als<br />
Harry <strong>und</strong> warum darf ich dann nicht?“<br />
Tante Emily lächelte <strong>und</strong> trat ins Wohnzimmer.<br />
„Warte noch zirka neun Monate, dann darfst du auch dorthin. Aber<br />
wenn du heute nicht in die Schule gehst <strong>und</strong> sitzen bleibst, dann<br />
musst du noch ein Jahr länger auf diese Schule, also überlege es dir<br />
gut!“, meinte sie.<br />
„Immer <strong>das</strong>selbe! Harry hat es sowieso immer besser als ich!“<br />
James stand auf <strong>und</strong> verließ sauer den Raum. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> lachten<br />
<strong>und</strong> sogar Harry auf dem S<strong>of</strong>a hob die M<strong>und</strong>winkel an, während<br />
Tante Emily nur die Augen verdrehte.<br />
„Harry, ich hab dir doch gesagt, du sollst ihm nicht so vorschwärmen.<br />
Du siehst ja, was dabei rauskommt!“, meinte sie.<br />
„Tut mir leid, Mum. Ich konnte nicht anders. Du glaubst ja gar<br />
nicht, wie neidisch der war!“, lachte Harry, der plötzlich hellwach<br />
war. „Es musste einfach sein!“<br />
Tante Emily schüttelte den Kopf <strong>und</strong> ging wieder zurück in die<br />
Küche, während <strong>Lily</strong> den Fernseher aufdrehte.<br />
„Willst du auch noch was essen, Harry?“, kam wenig später eine<br />
Stimme aus der Küche, doch niemand achtete weiter darauf, weil<br />
305
genau in diesem Moment die Flammen im Kamin grün wurden <strong>und</strong><br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger auftauchte.<br />
Sek<strong>und</strong>en später erschien auch Ms. Chang im Wohnzimmer.<br />
„Hallo Kinder!“, begrüßte Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong>, Harry <strong>und</strong><br />
Sam, welche schnell zu ihrer Mutter in die Küche gelaufen war.<br />
„Seid ihr soweit?“<br />
Die Zwillinge nickten <strong>und</strong> Harry sprang auf.<br />
„Ich muss noch schnell meinen K<strong>of</strong>fer holen!“, rief er.<br />
Wie der Krach wenige Augenblicke später bestätigte, hatte Harry<br />
seinen K<strong>of</strong>fer noch nicht mal gepackt. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> lächelten <strong>und</strong><br />
holten ihre K<strong>of</strong>fer, welche sie vorher schon am Treppenabsatz platziert<br />
hatten, gemeinsam mit dem Eulenkäfig, in dem Hedwig ruhig<br />
schlummerte, ins Wohnzimmer.<br />
Kurze Zeit danach kam auch Harry völlig außer Puste wieder herab,<br />
James im Schlepptau.<br />
„Gut, dann wären wir ja soweit!“, meinte Pr<strong>of</strong>essor Granger, welche<br />
sich in der Zwischenzeit mit Ms. Chang <strong>und</strong> mit Tante Emily<br />
unterhalten hatte. „Wir müssen uns sowieso beeilen, da ich noch etwas<br />
für Hagrid zu erledigen habe. Der hat sich wieder mit ein paar<br />
Tieren abgegeben, die nicht aufs Schlossgelände gehören!“<br />
Die Lehrerin verdrehte genervt aber lächelnd die Augen.<br />
„Trollige Torfschnüffler?“, fragte Ms. Chang.<br />
„Nein, die gibt es doch gar nicht… Obwohl… für die Viecher, die<br />
Hagrid jetzt züchten wollte, war mir auch noch kein Name bekannt!“<br />
Die drei Frauen lachten.<br />
„Danke für deine Hilfe Cho! Und Emily, danke, <strong>das</strong>s wir hier so<br />
ein Durcheinander verursachen durften. War sicher nicht so einfach,<br />
wenn wir hier einfach fremde Leute im Haus platzieren! Wir hören<br />
voneinander!“<br />
„Schon okay!“, meinte Tante Emily. „Mit Cho kamen hier, denke<br />
ich, alle gut klar! Du kannst uns gerne wieder einmal besuchen,<br />
wenn du willst!“, fügte sie an Ms. Chang gewandt hinzu.<br />
Diese nickte.<br />
306
„Das werde ich ganz bestimmt tun! Hermine, ist eigentlich der Apparierschutz<br />
bereits aufgehoben?“<br />
Pr<strong>of</strong>essor Granger bejahte <strong>und</strong> Ms. Chang winkte den Kindern <strong>und</strong><br />
Emily noch schnell zu, bevor sie mit einem ohrenbetäubenden Knall<br />
verschwand.<br />
„Wo ist Ms. Chang hin?“, fragte Sam kleinlaut <strong>und</strong> kam hinter dem<br />
Rücken ihrer Mutter hervor.<br />
„Sie hat sich weggezaubert!“, antwortete Pr<strong>of</strong>essor Granger ihr.<br />
„Das wirst du auch mal lernen, wenn du nach Hogwarts kommst!“<br />
Sams Augen begannen zu strahlen.<br />
„Das ist cooler als euer Buch!“, sagte sie zu <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>.<br />
„Also, dann werden wir jetzt wirklich gehen! Harry, mach es einfach<br />
so wie <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong>. Die wissen schon, wie <strong>das</strong> geht mit dem<br />
Flohpulver!“<br />
„Auf Wiedersehen!“, verabschiedete sich Pr<strong>of</strong>essor Granger <strong>und</strong><br />
winkte den zwei Kleinen zu.<br />
Nachdem sich auch die drei Kinder von Tante Emily, James <strong>und</strong><br />
Sam verabschiedet hatten, traten sie nacheinander in den Kamin <strong>und</strong><br />
schon wenige Sek<strong>und</strong>en später standen sie in Pr<strong>of</strong>essor Longbottoms<br />
Büro im meilenweit entfernten Schloss Hogwarts.<br />
307
Wenn Peeves zuschlägt<br />
„So sieht man sich wieder“, hörte <strong>Lily</strong> s<strong>of</strong>ort, als sie die Augen öffnete<br />
<strong>und</strong> aus dem Kamin trat.<br />
Es war nicht etwa Pr<strong>of</strong>essor Longbottom, der sie in seinem Büro<br />
erwartete, sondern Ted <strong>und</strong> Scott.<br />
„Ebenfalls erfreut“, meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> schüttelte genervt ihren Kopf,<br />
bevor sie zur Seite trat, um Platz zu machen, für <strong>Dora</strong>, die bald auftauchen<br />
sollte.<br />
„Ha, Scott, ich hab es dir doch gesagt! Jetzt weiß ich, wie man die<br />
beiden auseinander halten kann! Wenn ich <strong>Lily</strong> so begrüße, dann<br />
regt sie sich auf. <strong>Dora</strong> würde nichts sagen!“, triumphierte Ted.<br />
<strong>Lily</strong> zog eine Augenbraue hoch <strong>und</strong> schaute Ted fragend an.<br />
„Glaubst du mir nicht? Warte!“<br />
Hinter <strong>Lily</strong> kam gerade <strong>Dora</strong> zum Vorschein.<br />
„So sieht man sich wieder“, wiederholte Ted seine Begrüßung.<br />
<strong>Dora</strong> klopfte sich den Staub vom Umhang <strong>und</strong> lächelte.<br />
„Hallo!“, antwortete sie.<br />
„Schau, sagte ich doch! <strong>Dora</strong> ist nicht so gemein wie du. Die begrüßt<br />
mich fre<strong>und</strong>lich, während du in diesem neuen Jahr noch nicht<br />
ein nettes Wort mit mir gewechselt hast!“, meinte Ted, stolz aufgr<strong>und</strong><br />
seiner neuen Entdeckung.<br />
„Du hast es auch nicht verdient!“, erwiderte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> tat, als wäre<br />
sie sauer.<br />
Inzwischen war auch Harry, dicht gefolgt von Pr<strong>of</strong>essor Granger,<br />
aus dem Kamin getreten <strong>und</strong> die Lehrerin bedeutete ihnen, <strong>das</strong>s sie<br />
den Raum verlassen durften.<br />
„Scott, <strong>Dora</strong>, Harry, gehen wir!“<br />
Scott <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sahen sich an <strong>und</strong> zuckten mit den Schultern, dann<br />
warfen sie Ted einen entschuldigenden Blick zu.<br />
„Und was mach ich?“, rief Ted den vieren hinterher, nachdem sie<br />
aus dem aus dem Büro gegangen waren.<br />
Er lief ihnen hinterher, bis er <strong>Dora</strong> eingeholt hatte.<br />
308
„Was hat deine Schwester gegen mich?“, fragte er mit gerunzelter<br />
Stirn, während sie den langen Gang entlang liefen.<br />
„Ihr beide habt genau den gleich Charakter <strong>und</strong> <strong>das</strong> verträgt sich<br />
anscheinend nicht“, antwortete sie.<br />
Ted schaute sie verwirrt an <strong>und</strong> zuckte mit den Schultern.<br />
„Versteh ich nicht“, meinte er.<br />
„Meine Schwester versteht es auch nicht, aber Scott stimmt mir zu,<br />
stimmt’s?“<br />
Scott nickte.<br />
„Wie, du verstehst <strong>das</strong>?“, fragte Ted.<br />
„Ihr wollt beide immer Recht haben <strong>und</strong> ihr redet beide gerne <strong>und</strong><br />
wenn beide Recht haben wollen <strong>und</strong> beide zur gleichen Zeit reden<br />
wollen, dann kann <strong>das</strong> nicht gut gehen!“, meinte Scott.<br />
Ted kratzte sich demonstrativ am Kopf <strong>und</strong> ging einige Schritte<br />
voraus.<br />
„Ihr habt sie doch beide nicht alle!“, rief er ihnen noch zu, bevor er<br />
sich zu <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> Harry gesellte, die gerade miteinander über die<br />
ständig betrunkene Fre<strong>und</strong>in der fetten Dame sprachen, die sich heute<br />
im Gemälde eines ebenso betrunkenen Ritters aufhielt.<br />
S<strong>of</strong>ort war er mitten im Gespräch mit den beiden <strong>und</strong> die Begrüßung<br />
von eben schien vergessen zu sein.<br />
„Okay, <strong>das</strong> müssen wir noch analysieren“, meinte Scott zu <strong>Dora</strong>.<br />
„Immerhin haben wir ja schon darüber diskutiert, warum die beiden<br />
immer streiten. Aber warum sie sich gleich danach wieder verstehen<br />
<strong>und</strong> nett zueinander sind, <strong>das</strong> wissen wir nicht!“<br />
„Gute Idee. Da haben wir wenigstens wieder Gesprächsst<strong>of</strong>f für die<br />
nächsten drei Monate!“, grinste <strong>Dora</strong>.<br />
„Find ich gut“, meinte Scott ebenfalls lächelnd.<br />
Harry musste sich relativ bald von den anderen verabschieden, da<br />
sein Gemeinschaftsraum im Keller lag <strong>und</strong> er einen anderen Weg<br />
gehen musste. So machten sie sich allein auf den Weg nach oben.<br />
Die Schule war um diese Tageszeit noch wie ausgestorben <strong>und</strong> niemand<br />
außer ein paar Geistern <strong>und</strong> den Bewohnern der verschiedenen<br />
309
Gemälde war zu sehen. Auch der Gemeinschaftsraum war noch<br />
vollkommen leer, als die Zwillinge <strong>und</strong> ihre Fre<strong>und</strong>e ihn betraten.<br />
Das Auspacken der K<strong>of</strong>fer war schnell geschehen <strong>und</strong> als sie dies<br />
so leise wie möglich erledigt hatten, um die anderen Mädchen im<br />
Schlafsaal nicht zu wecken, kehrte auch in den Gemeinschaftsraum<br />
der Gryffindors langsam Leben ein.<br />
Die beiden stiegen also langsam wieder die Wendeltreppe hinab,<br />
um dort auf Ted <strong>und</strong> Scott zu warten. Sie setzten sich zu den anderen<br />
Jungs aus ihrem Jahrgang, die inzwischen aufgestanden waren <strong>und</strong><br />
sich hier versammelt hatten.<br />
„Wann seid ihr denn angekommen?“, fragte Ryan Valley, ein ziemlich<br />
großer, etwas stärker gebauter Junge mit schwarzen, halblangen<br />
Haaren. „Wir haben gerade Ted <strong>und</strong> Scott vorbeilaufen sehen, sind<br />
aber nicht dazu gekommen, die beiden zu fragen!“<br />
„Wir sind eben erst angekommen“, meinte <strong>Dora</strong>. „Vor etwa einer<br />
Viertelst<strong>und</strong>e.“<br />
„Und wieso?“, wollte Josh Taylor, ein etwas kleiner Junge mit<br />
Brille <strong>und</strong> blonden Haaren, wissen.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sahen sich kurz an. Allmählich hatten sie diese ewigen<br />
Ausreden satt.<br />
„Weil Ted <strong>und</strong> wir beide den Hogwarts-Express verpasst haben, zu<br />
dem uns eigentlich unsere Großeltern, bei denen Ted ja wohnt, hätten<br />
bringen sollen“, erklärte <strong>Lily</strong>.<br />
„Genau, <strong>und</strong> Scott ist vermutlich mit seinem Dad hier angekommen!“,<br />
setzte <strong>Dora</strong> die Lüge fort.<br />
Die vier Jungs schienen <strong>das</strong> einleuchtend zu finden <strong>und</strong> sie nickten.<br />
„Wie war’s im Hogwarts-Express?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Sie zuckten mit den Schultern.<br />
„In etwa genauso wie zu Schulbeginn, nur <strong>das</strong>s wir uns jetzt bereits<br />
kannten <strong>und</strong> wussten, wohin wir uns setzen sollten“, meinte Josh.<br />
„Und wie war’s die Ferien über mit Ted?“<br />
„Anstrengend“, presste <strong>Lily</strong> hervor.<br />
„War ganz lustig“, widersprach <strong>Dora</strong> ihrer Schwester.<br />
310
Josh wollte gerade noch etwas sagen, als alle aufblickten. Jemand<br />
in den Jungenschlafsälen hatte laut geschrieen <strong>und</strong> jetzt hörte man<br />
lautes Getrampel auf der Treppe <strong>und</strong> jemand schimpfte laut.<br />
„Ted!“, stellten <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gleichzeitig fest.<br />
Plötzlich ging die Tür auf <strong>und</strong> Peeves schwebte so schnell an den<br />
Schaulustigen vorbei, wie sie es überhaupt noch nie erlebt hatten.<br />
Zwei Gryffindors, die gerade durch <strong>das</strong> Portraitloch in den Gemeinschaftsraum<br />
geklettert kamen, mussten zur Seite springen, damit der<br />
Poltergeist nicht direkt in sie hineinkrachte.<br />
Sek<strong>und</strong>en später kamen Ted <strong>und</strong> Scott in den Raum gestürmt.<br />
„Dieser verdammte Geist hat es!“, rief Ted den Zwillingen im Vorbeilaufen<br />
zu.<br />
„Das Medaillon“, keuchte Scott.<br />
Die Zwillinge rissen ihre Augen auf, sprangen aus ihren Stühlen<br />
<strong>und</strong> liefen hinter den beiden Jungen her, welche immer noch versuchten,<br />
dem Geist zu folgen, welcher allerdings längst aus ihrer<br />
Sicht verschw<strong>und</strong>en war.<br />
Sie liefen einige Stockwerke abwärts, doch es hatte keinen Sinn.<br />
Peeves, der nicht den lästigen Umweg über die Treppen nehmen<br />
musste, sondern direkt im Treppenhaus nach unten schweben konnte,<br />
war schneller. Vor dem Wandteppich von Barnabas dem Bekloppten<br />
stoppte Ted <strong>und</strong> die anderen drei blieben ebenfalls stehen.<br />
„Wo ist dieses Mistvieh?“, schrie Ted wütend.<br />
Eine Gruppe Hufflepuffs drehte sich aufgeschreckt zu ihm um.<br />
„Wie war <strong>das</strong> möglich?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Tausend Gedanken machten sich in ihrem Kopf breit. Was würde<br />
geschehen, wenn sie <strong>das</strong> Medaillon nicht zurück bekamen? Dann<br />
fehlte den Malfoys nur mehr ein einziger Horkrux.<br />
„Ich wollte mich umziehen <strong>und</strong> habe es weggelegt, als er hinter<br />
dem Vorhang hervorkam <strong>und</strong> es genommen hat! Ich weiß nicht, warum<br />
er davon wusste, <strong>und</strong> ich habe nicht daran gedacht, <strong>das</strong>s er im<br />
Schlafsaal sein könnte, sonst hätte ich besser aufgepasst“, sagte Scott<br />
leise. „Tut mir leid.“<br />
311
„Das braucht dir nicht Leid zu tun. Du kannst nichts dafür!“, überlegte<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
„Wir müssen ihn finden“, sagte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> schaute sich um. „Tagtraumpulver?<br />
Er will es doch sicher den Malfoys geben.“<br />
Doch Scott schüttelte seinen Kopf.<br />
„Was hätte <strong>das</strong> für einen Sinn? Auch wenn wir dann wüssten, wo<br />
die beiden sind, so wäre es schon zu spät. Wir müssen den Geist<br />
noch finden, bevor er es ihnen geben kann!“, meinte er.<br />
Die anderen stimmten ihm zu. Scott hatte Recht, es war egal, wo<br />
die Malfoys waren. Wenn sie den Horkrux hatten, war es zu spät. Es<br />
wäre nur Zeitverschwendung.<br />
„Aber wo sollen wir dieses miese Ding auftreiben? Der Geist wird<br />
<strong>das</strong> Medaillon s<strong>of</strong>ort den Malfoys übergeben wollen“, meinte Ted,<br />
noch immer schnaubend vor Wut.<br />
„Ja, davon kannst du ausgehen“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
Ted begann, auf <strong>und</strong> ab zu gehen, während <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong> <strong>und</strong> Scott<br />
sich schweigend anstarrten.<br />
„Wo ist dieser miese Poltergeist?“, fragte Ted laut. „Wo könnte er<br />
hin sein? Und was macht er immer auf diesem Gang? Das hat doch<br />
sicher auch irgendetwas damit zu tun. Und gerade jetzt ist er natürlich<br />
nicht hier. Verdammt, ich will wissen, wo er ist!“<br />
„Ted, leise! Da kommt Filch!“, zischte <strong>Lily</strong>.<br />
„Schnell, da rein!“, meinte Ted <strong>und</strong> zeigte auf eine Tür, gegenüber<br />
dem Wandteppich.<br />
Die vier hatten inzwischen gelernt, nie darauf zu warten, bis Filch<br />
ihnen zu nahe kam, denn sogar, wenn sie nichts gemacht hatten,<br />
setzte es immer minutenlange Vorträge oder Strafarbeiten. Also versteckten<br />
sie sich in dem dunklen Raum <strong>und</strong> warteten etwa eine Minute,<br />
bis er nicht mehr in Sicht war.<br />
„Kommt, lasst uns wieder von hier verschwinden <strong>und</strong> Peeves suchen“,<br />
meinte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> wollte gerade die Tür nach draußen wieder<br />
öffnen, doch <strong>Dora</strong> hielt sie zurück.<br />
„Warte“, meinte sie. „Schau dich hier um!“<br />
312
<strong>Lily</strong> blickte sich um. Der Raum war voll mit verstaubten Regalen,<br />
auf denen viele kleinere oder größere Gegenständen standen. Die<br />
meisten schienen ziemlich alt zu sein, doch hin <strong>und</strong> wieder konnte<br />
man auch etwas erkennen, auf dem die Staubschicht sich noch nicht<br />
zentimeterdick abgesetzt hatte. Ein Tafelschwamm schien noch<br />
ziemlich neu hier zu sein <strong>und</strong> einige Pokale glänzten ebenfalls noch.<br />
Ted zog seinen Zauberstab aus seinem Schulumhang <strong>und</strong> murmelte<br />
‚Lumos’. Augenblicklich begann die Spitze zu leuchten <strong>und</strong> die vier<br />
konnten sich besser umsehen.<br />
Vor einem großen Schreibtisch, auf dem nur eine Feder, ein Tintenfass<br />
<strong>und</strong> ein dickes Buch lagen, blieben sie stehen. <strong>Dora</strong> las die<br />
oberste Seite. Es schien eine Art Tagebuch zu sein, jedoch gab es zu<br />
jedem Tag mehrere Einträge.<br />
<strong>Dora</strong> las einige der Einträge, während sich die anderen drei weiter<br />
umsahen.<br />
313<br />
345.303<br />
Filchs Katzenfutterdosen versteckt. Ist an die Decke<br />
gegangen, dieser alte Trottel! Was wird nur sein kleines<br />
mieses Kätzchen sagen, wenn sie nichts mehr zu fressen<br />
bekommt?<br />
Souvenirs: Fünf Dosen mit Katzenfutter<br />
345.304<br />
Tonvase aus dem obersten Stockwerk nach unten<br />
geworfen! Hätte mehr Spaß gemacht, wenn Schüler ganz<br />
unten gestanden hätten! Dann hätte es wohl ein paar<br />
Geister mehr gegeben hier in Hogwarts. Aber <strong>das</strong><br />
Gesicht von Filch war es wert, als er die Sauerei<br />
aufräumen musste.<br />
Souvenir: Wischmob von Filch
„Hey Leute!“, flüsterte <strong>Dora</strong> gerade so laut, <strong>das</strong>s die anderen sie verstehen<br />
konnten.<br />
Sie kamen s<strong>of</strong>ort zurück.<br />
„Jetzt wissen wir, was unser <strong>durchsichtige</strong>r Fre<strong>und</strong> immer hier<br />
macht! Das ist sein Souvenirraum! Er lässt bei jedem seiner Streiche<br />
irgendetwas mitgehen <strong>und</strong> <strong>das</strong> alles schreibt er hier hinein!“, erklärte<br />
<strong>Dora</strong> <strong>und</strong> hielt <strong>das</strong> Buch hoch.<br />
„Dieses verdammte Vieh“, fluchte Ted.<br />
„Ted beruhige dich, <strong>das</strong> bringt nichts“, sagte Scott.<br />
„Aber er ist nicht hier. Wir müssen ihn jetzt finden. Nimm <strong>das</strong><br />
Buch mit, <strong>Dora</strong>. Vielleicht finden wir darin was. Wir kommen einfach<br />
noch mal wieder, wenn wir ihn haben! Jetzt ist <strong>das</strong> hier nicht so<br />
wichtig“, sagte <strong>Lily</strong>.<br />
Die anderen nickten <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> versteckte <strong>das</strong> Buch unter ihrem<br />
Umhang. Sie schaute sich noch ein letztes Mal um. Über wie viele<br />
Jahre hatte er hier wohl Souvenirs gesammelt? Der Zahl im Buch<br />
nach zu urteilen, mussten es schon einige sein.<br />
Dann verließen die drei den Raum wieder. Sie liefen die ganze<br />
Schule ab, doch es hatte keinen Sinn. Peeves musste <strong>das</strong> Schulgebäude<br />
inzwischen verlassen haben <strong>und</strong> dieser Verdacht bestätigte<br />
sich, als sie den Fast Kopflosen Nick nach dem Poltergeist fragten.<br />
Nick antwortete ihnen, <strong>das</strong>s dieser gerade an ihm vorbei aus dem<br />
Schloss geschwebt sei <strong>und</strong> sich ziemlich komisch verhalten habe,<br />
denn er hatte den Hausgeist der Gryffindors überhaupt nicht beachtet,<br />
was normalerweise sonst nie vorkam. Irgendeinen Gr<strong>und</strong> für eine<br />
Auseinandersetzung fand er für gewöhnlich immer.<br />
„Mist! Das war’s also! Es hat auch keinen Sinn, ihm in den Wald<br />
zu folgen, denn er wäre sowieso schneller bei den Malfoys als wir!“,<br />
sagte Ted.<br />
„Und jetzt?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> Scott sahen sich hilflos an, während Ted mit seinem Fuß<br />
gegen die riesige Statue eines Kobolds trat <strong>und</strong> nur um Haaresbreite<br />
Nick verpasste.<br />
314
„Pass gefälligst auf, wo du hintrittst!“, schrie dieser auf.<br />
„Als ob dir <strong>das</strong> wehtun würde“, murmelte Ted.<br />
Nick warf ihm noch einen vernichtenden Blick zu <strong>und</strong> schwebte<br />
dann durch den Boden ins nächstgelegene untere Stockwerk. Nicht<br />
mal <strong>Dora</strong> sagte etwas zu Teds Unhöflichkeit dem Geist gegenüber,<br />
was sie normalerweise immer tat. Sie überlegten alle vier fieberhaft.<br />
„Es hat keinen Sinn. Das Einzige, was wir machen können, ist, die<br />
Malfoys zu beobachten! Kommt mit hoch!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
Die anderen folgten ihr stumm nach oben, zurück zum Gemeinschaftsraum.<br />
Während Ted <strong>und</strong> Scott dort warteten <strong>und</strong> den anderen<br />
Gryffindors irgendwelche Erklärungen aufzutischen versuchten, zogen<br />
sich <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> in ihren Schlafsaal zurück, in dem Gott sei<br />
Dank niemand mehr war.<br />
Jetzt kam es ihnen zu Gute, <strong>das</strong>s Pr<strong>of</strong>essor Granger sie schon kurz<br />
vor sechs Uhr morgens abgeholt hatte, denn so hatten sie noch ein<br />
wenig über eine St<strong>und</strong>e Zeit, also genau richtig für <strong>das</strong> Tagtraumpulver.<br />
„Wer geht?“, fragte <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ging s<strong>of</strong>ort zum Schrank, um<br />
sich eine Türe mit dem Pulver, <strong>das</strong> sie zu Weihnachten bekommen<br />
hatten, zu nehmen.<br />
„Ich will“, sagte sie <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Okay, dann passe ich auf, falls die anderen kommen sollten“, antwortete<br />
sie.<br />
Ein paar Sek<strong>und</strong>en später öffnete <strong>Dora</strong> ihre Augen <strong>und</strong> fand sich<br />
mitten im Wald wieder. Nur ein paar Meter von ihr entfernt saß Lucius<br />
Malfoy auf dem Stamm eines umgefallenen Baumes. Er blickte<br />
erwartungsvoll durch die mit Schnee bedeckten Bäume nach oben in<br />
den Himmel. Irgendetwas schien ihn nervös zu machen.<br />
Wenig später kam seine Frau aus dem Dickicht. <strong>Dora</strong> setzte sich<br />
ein Stück entfernt neben den Mann <strong>und</strong> wartete.<br />
„Was wollte der Geist?“, fragte er laut, stand auf <strong>und</strong> ging auf Mrs.<br />
Malfoy zu.<br />
315
„Er hat <strong>das</strong> Amulett! Der ist doch zu mehr zu gebrauchen, als wir<br />
dachten!“, meinte sie, zog <strong>das</strong> goldene, kaputte Schmuckstück aus<br />
einer Tasche ihres abgenutzten Umhangs <strong>und</strong> drückte es ihrem Mann<br />
in die Hand.<br />
„Gute Arbeit, Narzissa! Jetzt brauchen wir nur noch diese Schlange,<br />
aber <strong>das</strong> ist erstmal nicht so wichtig. Ich schätze, <strong>das</strong>s ich mithilfe<br />
des Amuletts stark genug bin!“<br />
Er nahm <strong>das</strong> Amulett <strong>und</strong> hängte es sich selbst um den Hals. Dann<br />
schloss er die Augen <strong>und</strong> es sah aus, als würde er warten, <strong>das</strong>s etwas<br />
mit ihm geschieht, doch zumindest äußerlich konnte man nichts erkennen.<br />
„Lucius?“, fragte Mrs. Malfoy, plötzlich etwas leiser als zuvor.<br />
Er öffnete seine Augen wieder <strong>und</strong> schaute sie an.<br />
„Was ist?“<br />
„Wir haben ein Problem!“, sagte sie <strong>und</strong> druckste in wenig herum.<br />
Ihr Mann bedeutete ihr weiterzureden.<br />
„Der Geist sagt, <strong>das</strong>s diese Gören Bescheid wissen. Er meinte, sie<br />
hätten ihn schon <strong>of</strong>t nach den Horkruxen gefragt <strong>und</strong> dieses Amulett<br />
hatte ein Erstklässler, vermutlich ein Fre<strong>und</strong> der beiden, um den<br />
Hals. Sie müssen einen furchtbaren Aufstand gemacht haben, als er<br />
es gerade eben gestohlen hat. Sie scheinen also von uns zu wissen<br />
<strong>und</strong> auch davon, <strong>das</strong>s wir diese Gegenstände suchen!“, berichtete<br />
Mrs. Malfoy.<br />
Er überlegte kurz.<br />
„Aber woher sollten die von uns wissen? Niemand hat uns gesehen!“,<br />
zischte Lucius Malfoy <strong>und</strong> sah sich dabei um, so als ob er irgendwo<br />
Spione vermutete.<br />
<strong>Dora</strong> zuckte unwillkürlich zusammen, als er sich in ihre Richtung<br />
drehte, obwohl sie genau wusste, <strong>das</strong>s er ihre Anwesenheit nicht ahnen<br />
konnte.<br />
„Das ist keine gute Nachricht“, meinte er nach einer Weile. „Was<br />
wissen die Lehrer? Vor allem dieses Schlammblut Granger?“<br />
Ms. Malfoy zuckte mit ihren Schultern.<br />
316
„Ich weiß es nicht. Der Geist konnte mir dazu nichts sagen. Aber<br />
ich habe eben nachgedacht <strong>und</strong> ich glaube, <strong>das</strong>s sie etwas davon<br />
weiß. Die zwei waren ja auch nicht am Bahnh<strong>of</strong> in Hogsmeade vor<br />
Weihnachten <strong>und</strong> gestern auch nicht. Die Lehrerin passt auf!“<br />
„Das heißt, sie wissen es. Aber wie?“, fragte Mr. Malfoy laut.<br />
Seine Frau wich ein paar Schritte zurück. Beim ersten Besuch hatte<br />
sie noch besorgt um ihren Mann gewirkt, doch von Mal zu Mal<br />
schien ihre Angst vor ihm größer zu werden.<br />
„Ich weiß es nicht Lucius! Tut mir leid!“, antwortete sie ehrfürchtig.<br />
„Der Geist hat sicher niemandem etwas verraten, der hat zu viel<br />
Angst <strong>und</strong> uns kann auch niemand gesehen haben, dafür habe ich<br />
gesorgt!“<br />
Die beiden überlegten eine Weile, dann durchbrach Mr. Malfoy die<br />
Stille.<br />
„Ist doch egal, bald kann uns sowieso niemand mehr aufhalten <strong>und</strong><br />
bis jetzt sucht doch auch noch niemand nach uns! Wir haben also<br />
noch genügend Zeit! Wir kriegen diese zwei Gören <strong>und</strong> wenn die<br />
erstmal erledigt sind, dann werden die Todesser freiwillig zurückkommen,<br />
wenn sie sehen, wozu ich fähig bin!“<br />
<strong>Dora</strong> zuckte zusammen <strong>und</strong> sprang auf, als plötzlich aus Malfoys<br />
Kehle ein viel zu hohes, ohrenbetäubendes Lachen kam. Sogar die<br />
Tiere flüchteten eilig aus ihren Verstecken zwischen den Bäumen<br />
<strong>und</strong> überall um sie herum begann es furchtbar zu rascheln. <strong>Dora</strong> lief<br />
ein kalter Schauer über den Rücken <strong>und</strong> sie ging langsam um Malfoy<br />
herum, um sein Gesicht sehen zu können. Dieser Mensch konnte<br />
doch eben unmöglich so gelacht haben! Oder doch?<br />
Narzissa Malfoys Augen hatten sich geweitet, als sie <strong>das</strong> unmenschlich<br />
hohe Gelächter gehört hatte <strong>und</strong> sie wich noch ein paar<br />
Schritte weiter zurück.<br />
Ihr Mann legte seinen Kopf schief <strong>und</strong> betrachtete sie lachend.<br />
„Was hast du, Liebling?“, fragte er.<br />
Mrs. Malfoy stolperte rückwärts über einen Ast, konnte sich jedoch<br />
gerade noch aufrecht halten.<br />
317
„Was … was war <strong>das</strong> gerade eben?“, fragte sie.<br />
Die Angst stand der Frau ins Gesicht geschrieben.<br />
„Das war er“, sagte Mr. Malfoy mit einem Strahlen in den Augen.<br />
„Ich merke es schon seit dem Becher, <strong>das</strong>s er immer stärker zurückkommt!<br />
Es klappt! Alles funktioniert genauso, wie wir es uns in den<br />
vergangenen zehn Jahren in Askaban überlegt haben! Nun dauert es<br />
nicht mehr lange!“<br />
Narzissa Malfoy konnte sich nicht mehr auf ihren Beinen halten<br />
<strong>und</strong> fiel rücklings zu Boden <strong>und</strong> auch <strong>Dora</strong> wich erneut zurück, als<br />
ein bunter Wirbel aus Farben sie plötzlich zurück in die Realität holte.<br />
<strong>Lily</strong> hatte sich über sie gebeugt <strong>und</strong> starrte ihre Schwester fragend<br />
an.<br />
„Ist die St<strong>und</strong>e schon um?“, war <strong>das</strong> erste, <strong>das</strong> <strong>Dora</strong> fragte.<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte ihren Kopf.<br />
„Nein! Schnell, setz dich auf, da kommt jemand! Ich hab <strong>das</strong> Aufwachpulver<br />
von George benutzt, <strong>das</strong>s er uns beim Abschied noch in<br />
die Hand gedrückt hat!“, erklärte <strong>Lily</strong>.<br />
<strong>Dora</strong> setzte sich schnell gerade auf ihr Bett, als sich auch schon die<br />
Türe öffnete <strong>und</strong> die anderen drei Mädchen hereinkamen.<br />
„Stimmt es? Peeves hat Scott ein Erbstück gestohlen?“, fragte Julie<br />
Davis aufgebracht <strong>und</strong> starrte die Zwillinge an.<br />
Diese nickten.<br />
„Komisch, denn ein Dieb war er bis jetzt noch nie, oder?“, meinte<br />
Laura Attkins.<br />
Die Mädchen überlegten kurz.<br />
„Habt ihr etwas gef<strong>und</strong>en, als ihr ihm nachgelaufen seid?“<br />
Alle drei standen jetzt um <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> herum <strong>und</strong> schauten sie<br />
fragend an, doch die Zwillinge schüttelten nur ihre Köpfe.<br />
„Nein, leider nicht. Er ist verschw<strong>und</strong>en!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Schreckliches Biest. Kein W<strong>und</strong>er, <strong>das</strong>s Filch den nicht mag“,<br />
zischte <strong>Lily</strong>.<br />
„Was war es eigentlich genau, <strong>das</strong> er gestohlen hat?“, meldete sich<br />
jetzt auch Alice Summer zu Wort.<br />
318
„Ein Medaillon“, erklärten ihr <strong>Lily</strong>.<br />
„Ein einfaches, aber wertvolles Medaillon!“, fügte <strong>Dora</strong> hinzu.<br />
„War Scott schon bei Pr<strong>of</strong>essor Granger?“, fragte Laura. „Die<br />
nimmt es doch sicher nicht so einfach hin, wenn einem ihrer Schüler<br />
etwas von diesem verkorksten Poltergeist gestohlen wird. Sie mag<br />
ihn doch selbst nicht, wie alle anderen Lehrer hier auch!“<br />
„Nein, aber ich schätze, <strong>das</strong>s er es noch tun wird!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
„Komm, wir gehen wieder nach unten <strong>und</strong> fragen ihn, was er macht,<br />
ja?“<br />
<strong>Dora</strong> bedeutete ihrer Schwester, <strong>das</strong>s sie ihr folgen sollte <strong>und</strong> diese<br />
tat <strong>das</strong> auch.<br />
„Sagt uns dann, ob er <strong>das</strong> Medaillon wiederbekommen hat, okay?“,<br />
rief Laura noch hinterher.<br />
Die Zwillinge lächelten <strong>und</strong> nickten, dann gingen sie aus dem<br />
Schlafsaal nach unten.<br />
„Was hast du gesehen?“, fragte <strong>Lily</strong>, mitten auf der Wendeltreppe.<br />
„Erzähle ich dir, wenn wir Scott <strong>und</strong> Ted gef<strong>und</strong>en haben! Ich will<br />
es nicht zweimal sagen!“, meinte <strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> die beiden liefen nach unten, wo die Jungs schon<br />
auf sie warteten.<br />
„Habt ihr zu Hause noch gefrühstückt?“, fragte <strong>Dora</strong>.<br />
Die beiden bejahten ihre Frage.<br />
„Okay, dann kommt mit. Flitwicks Klassenzimmer ist sicher noch<br />
leer, wir warten darin auf die anderen!“<br />
Ted <strong>und</strong> Scott nickten <strong>und</strong> dann gingen sie, so schnell sie, ohne<br />
Aufmerksamkeit zu erregen, konnten nach unten ins Klassenzimmer<br />
für Zauberkunst, welches tatsächlich noch leer war. Kein W<strong>und</strong>er,<br />
die meisten anderen mussten in der Zwischenzeit beim Frühstück<br />
sitzen <strong>und</strong> niemand kam freiwillig eine halbe St<strong>und</strong>e vor Beginn des<br />
Unterrichts in die Klasse.<br />
„Also erzähl!“, drängte <strong>Lily</strong> ihre Schwester, als diese die Tür hinter<br />
sich schloss <strong>und</strong> sich vergewisserte, <strong>das</strong>s ihnen auch niemand zuhörte.<br />
319
<strong>Dora</strong> zögerte nicht lange, sondern beschloss, nur die wichtigsten<br />
Dinge zu erzählen. Wer wusste, wie viel Zeit die vier noch alleine<br />
hatten.<br />
„Die Malfoys haben <strong>das</strong> Medaillon <strong>und</strong> sie wissen, <strong>das</strong>s wir ahnen,<br />
<strong>das</strong>s sie etwas vorhaben!“, meinte sie.<br />
„Wie kommst du darauf?“, fragte Ted.<br />
„Sie haben es gesagt, deshalb komme ich darauf!“, antwortete <strong>Dora</strong>.<br />
„Die beiden haben aber keine Ahnung, woher wir davon wissen!“<br />
„Das ist gut“, meinte Scott.<br />
„Sehr gut sogar“, stimmte ihm <strong>Lily</strong> zu. „Wie sieht Malfoy aus?“<br />
<strong>Dora</strong> zog eine Augenbraue in die Höhe.<br />
„Keine Ahnung“, antwortete sie, <strong>und</strong> setzte sich auf den Tisch neben<br />
ihre Schwester, während die beiden Jungs vor ihnen stehen blieben.<br />
„Irgendetwas stimmt mit ihm nicht!“<br />
„Was heißt <strong>das</strong>?“, fragte Ted.<br />
<strong>Dora</strong> überlegte.<br />
„Keine Ahnung, sagte ich doch schon. Er meinte, <strong>das</strong>s irgendwer<br />
immer stärker wird. Aber er sprach dabei nicht von sich. Und dann<br />
hat er so komisch gelacht. Sein Lachen hörte sich nicht an wie <strong>das</strong><br />
eines Menschen Es war grauenhaft hoch!“, erzählte sie.<br />
Die anderen drei rissen ihre Augen auf <strong>und</strong> starrten sie entsetzt an.<br />
„Und du bist sicher, <strong>das</strong>s er so gelacht hat <strong>und</strong> <strong>das</strong>s es nicht jemand<br />
anderer war?“, fragte Scott.<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Ganz sicher sogar!“, antwortete sie. „Das ist es ja, was mir Angst<br />
macht! Einmal redet er von jemand anderem, der stärker wird <strong>und</strong> im<br />
nächsten Moment sagt er, <strong>das</strong>s er selbst bald unbesiegbar sein wird.<br />
Was hat <strong>das</strong> zu bedeuten?“<br />
Auf diese Frage wusste niemand eine Antwort.<br />
„Ich weiß es nicht, aber wir müssen auf jedem Fall dem Unbekannten<br />
mitteilen, was passiert ist“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Aber wie? Wir haben ja noch nicht mal seine Eule zurück. Und<br />
ich bezweifle stark, <strong>das</strong>s Hedwig ihn finden würde! Wenn es so ein-<br />
320
fach wäre, wüsste Pr<strong>of</strong>essor Granger schon lange, wer er ist“, überlegte<br />
<strong>Dora</strong>.<br />
<strong>Lily</strong> nickte.<br />
„Okay, dann können wir gar nichts machen im Moment, oder?“,<br />
fragte Scott. „Hat er sonst noch etwas gesagt? Oder seine Frau?“<br />
„Nein, zumindest nichts, <strong>das</strong> jetzt für uns wichtig wäre. Oder doch!<br />
Nachdem die Malfoys <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> mich umgebracht haben, wollen sie<br />
die Todesser wieder zusammentrommeln. Oder besser gesagt: Die<br />
Todesser werden von alleine auf sie zukommen, wenn sie sehen, was<br />
die Malfoys für eine Macht haben!“<br />
„Aber da werden sie nicht viel Glück haben“, stellte Ted fest. „Soweit<br />
ich weiß, sitzen die meisten von ihnen, die noch am Leben sind,<br />
sowieso noch in Askaban. Die Malfoys sind doch nur nach zehn Jahren<br />
schon freigekommen, weil alle anderen sie als Schwächlinge <strong>und</strong><br />
Nichtsnutze bezeichnet haben! Das stand im Tagespropheten!“<br />
„Und Askaban ist sicher, schätze ich mal, oder?“, fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Ted <strong>und</strong> Scott nickten.<br />
„Es ist <strong>das</strong> sicherste Gefängnis der Welt! Es wird von Dementoren<br />
bewacht <strong>und</strong> diese gehorchen nur dem Ministerium!“, meinte Ted.<br />
„Aber es ist bereits zweimal passiert, <strong>das</strong>s sie sich Voldemort angeschlossen<br />
haben. Das war die beiden Male, als Voldemort auf dem<br />
Höhepunkt seiner Macht war.“<br />
„Das ist allerdings wahr“, meinte Ted.<br />
„Und warum verwenden die diese Dementoren dann noch als Wachen?“,<br />
fragte <strong>Lily</strong>.<br />
Ted zuckte mit seinen Schultern.<br />
„Weil es nichts Sichereres gibt! Jede Wache hat ihre Schwachstelle<br />
<strong>und</strong> die Dementoren sind verlässlich! Meine Grandma sagt immer,<br />
<strong>das</strong>s sie so etwas wie machtbesessen sind“, erklärte Ted. „Sie befolgen<br />
immer nur die Anweisungen, die von der Quelle mit der größten<br />
Macht kommen, <strong>und</strong> diese Quelle ist nun mal <strong>das</strong> Ministerium!“<br />
„Aber als Voldemort an der Macht war, hatte er noch viel mehr<br />
Einfluss“, sagte Scott. „Alle hatten Angst oder Ehrfurcht vor ihm<br />
321
<strong>und</strong> die Dementoren spürten <strong>das</strong> <strong>und</strong> somit sind sie auf seine Seite<br />
gewechselt. Aber ich bezweifle stark, <strong>das</strong>s es die Malfoys jemals<br />
soweit bringen werden, <strong>das</strong>s selbst Dementoren zu ihnen gehören!“<br />
Die Zwillinge atmeten durch.<br />
„Das ist gut, dann brauchen wir uns wenigstens um Todesser keine<br />
Sorgen zu machen <strong>und</strong> außerdem wollen sie die sowieso erst wieder<br />
versammeln, wenn wir tot sind <strong>und</strong> <strong>das</strong> müssen sie erstmal schaffen!“,<br />
meinte <strong>Lily</strong> triumphierend. „Sie trauen sich doch sicher nicht<br />
ins Schloss, oder?“<br />
„Nein, ganz sicher nicht“, stimmte <strong>Dora</strong> ihr zu. „Und um den letzten<br />
Horkrux müssen wir uns auch keine Sorgen machen. Der Unbekannte<br />
meinte, <strong>das</strong>s er sicher ist … Obwohl, wenn er so sicher ist<br />
wie <strong>das</strong> Medaillon, dann sind wir in ernsthafter Gefahr! Dem Optimismus<br />
nach zu schließen, welchen Malfoy an den Tag legt, wären<br />
wir dann nicht mal mehr hier drin sicher!“<br />
Jemand drückte die Türklinge nach unten <strong>und</strong> eine ganze Schar<br />
Schüler trat ein. Es waren die Ravenclaws aus ihrem Jahrgang, die<br />
mit ihnen in Zauberkunst unterrichtet wurden. <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sprangen<br />
vom Tisch <strong>und</strong> die vier setzten sich auf ihre Plätze ganz hinten.<br />
„Das heißt, wir warten solange ab, bis wir die Eule wieder haben,<br />
<strong>und</strong> dann schreiben wir dem Unbekannten. Er sagte doch, wir sollen<br />
uns keine Sorgen machen! Er wird <strong>und</strong> schon helfen <strong>und</strong> außerdem<br />
ist er irgendwo in unserer Nähe!“, flüsterte <strong>Lily</strong>.<br />
„Du hast Recht!“, antwortete <strong>Dora</strong>. „Wenn wir uns hier verrückt<br />
machen, dann bringt <strong>das</strong> auch niemandem etwas <strong>und</strong> vor allem tun<br />
wir den Malfoys nur einen Gefallen, wenn wir aus Angst irgendeinen<br />
Fehler begehen!“<br />
<strong>Lily</strong> nickte <strong>und</strong> grinste.<br />
„Wird schon gut gehen“, meinte sie.<br />
<strong>Dora</strong> lächelte zurück.<br />
„Aber sicher doch. Leise jetzt, Flitwick ist da!“<br />
Der kleine Pr<strong>of</strong>essor Flitwick betrat die Klasse <strong>und</strong> die Zwillinge<br />
hatten Mühe damit, ihn überhaupt erkennen zu können, denn sein<br />
322
Kopf überragte nur um einige Zentimeter die Tische der ersten Reihe.<br />
Doch dieser Umstand schien ihm überhaupt nichts auszumachen,<br />
denn ohne mit der Wimper zu zucken kletterte er auf seinen Sessel<br />
<strong>und</strong> stellte sich auf den Stapel mit Büchern, der darauf aufgebaut<br />
war.<br />
„Sehr geehrte Gryffindors, liebe Ravenclaws! Wir setzen den Unterricht<br />
fort. Vor sich finden Sie jetzt…“<br />
Flitwick wedelte mit seinem Zauberstab, woraufhin vor den Schülern<br />
winzige Behälter mit Stecknadeln auftauchten.<br />
„… eine kleine Menge von Stecknadeln, mit denen Sie mit Hilfe<br />
des Wingardium-Leviosa-Zaubers Ihren Namen in die Luft vor sich<br />
schreiben sollen!“, verkündete er.<br />
Ein verzweifeltes Raunen ging durch die Klasse <strong>und</strong> die anderen<br />
Schüler schauten sich fragend an, während <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> gleichzeitig<br />
grinsend ihre Zauberstäbe hoben, die Zauberformel murmelten<br />
<strong>und</strong> sich wie aus dem Nichts vor ihnen in der Luft ihr Name, bestehend<br />
aus lauter Stecknadeln, bildete.<br />
Die vier Unterrichtsst<strong>und</strong>en an diesem Tag vergingen wie im Flug<br />
<strong>und</strong> während sich die anderen Erstklässler aus Gryffindor über die<br />
Flugst<strong>und</strong>en aufregten, die ihnen Madame Hooch aufgebrummt hatte,<br />
weil die Schüler über Weihnachten so lange nicht geflogen waren,<br />
machten es sich <strong>Lily</strong>, <strong>Dora</strong>, Ted <strong>und</strong> Scott im Gemeinschaftsraum<br />
bequem.<br />
Ted <strong>und</strong> Scott diskutierten wieder einmal über ihre Lieblingsmannschaften<br />
in Quidditch, während <strong>Lily</strong> <strong>das</strong> Buch las, welches ihnen der<br />
Unbekannte am Vortag geschickt hatte. <strong>Dora</strong> hielt Peeves’ Tagebuch<br />
in der Hand, welches aus dem Schlafsaal geholt hatte <strong>und</strong> nun war<br />
sie in seine Streiche vertieft.<br />
Die Sonne löste sich inzwischen wieder vom ihrem Mittelpunkt am<br />
Himmel <strong>und</strong> wanderte langsam, aber sicher in Richtung Westen.<br />
„Hey, hört mal zu“, sagte <strong>Dora</strong> plötzlich.<br />
323
Ted, der gerade einen Vortrag über die letzten Weltmeisterschaften<br />
in Quidditch gehalten hatte, stoppte seine Erzählung <strong>und</strong> <strong>Lily</strong> blickte<br />
aus ihrem Buch auf.<br />
„Ich hab was gef<strong>und</strong>en“, sagte <strong>Dora</strong> leise, damit nur ihre Fre<strong>und</strong>e<br />
sie hören konnten. „Hier steht, <strong>das</strong>s Peeves den Ring einst im verbotenen<br />
Wald entdeckt hatte, als er einem Einhorn eine Stinkbombe<br />
hinterher warf <strong>und</strong> <strong>das</strong> Tagebuch hat er in irgendeiner Kammer gef<strong>und</strong>en,<br />
in der er einer Riesenschlange einen Giftzahn gezogen hat!<br />
Allerdings hat eine Schreckschraube namens Narzissa Malfoy sie<br />
ihm gestohlen!“<br />
Sie machte eine kurze Pause.<br />
„Ach ja, hier geht’s weiter. Dann hat die Alte ihm aufgetragen <strong>das</strong><br />
Diadem <strong>und</strong> die anderen unnützen Mistdinge zu finden. Das Diadem<br />
hatte er auch relativ bald gef<strong>und</strong>en. Es war in seiner Souvenirkammer,<br />
auch wenn es nicht seine Souvenirkammer war!“<br />
<strong>Dora</strong> runzelte ihre Stirn <strong>und</strong> las den Absatz noch mal durch. Doch<br />
es stimmte, was sie da gerade erzählt hatte.<br />
„Er hat es in seiner Kammer gef<strong>und</strong>en, obwohl es nicht seine<br />
Kammer war?“, wiederholte Ted mit hochgezogener Augenbraue.<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Das hat er geschrieben“, meinte sie.<br />
„Der hat sie wohl nicht mehr alle! Filch hat ihn wohl zu <strong>of</strong>t mit<br />
seinem Wassereimer erwischt!“, sagte Ted kopfschüttelnd. „Aber<br />
jetzt wissen wir wenigstens genau, woher sie die ersten drei Horkruxe<br />
hatten, auch wenn uns <strong>das</strong> keinen großen Vorteil einbringt!“<br />
„Da hat er Recht“, meinte auch <strong>Lily</strong>.<br />
„Na ja, mal schauen, vielleicht finde ich noch etwas!“, sagte <strong>Dora</strong>.<br />
So lange, bis auch die anderen Erstklässler schließlich halb erfroren<br />
wieder in den Gemeinschaftsraum kamen, gingen die vier wieder<br />
ihren ursprünglichen Beschäftigungen nach. Dann ließen sie es gut<br />
sein <strong>und</strong> machten sich über ihre Hausaufgaben in Zaubereigeschichte<br />
<strong>und</strong> Zaubertränke her.<br />
324
<strong>Dora</strong> hatte, außer ein paar besonders witzigen Streichen, nichts<br />
Wichtiges mehr in Peeves Tagebuch finden können, doch sie hatte<br />
erst ein paar Seiten durch <strong>und</strong> <strong>das</strong> Buch war lange. Sie war froh, <strong>das</strong>s<br />
es wenigstens nie langweilig wurde, sonst hätte sie es wohl bald aufgegeben,<br />
<strong>das</strong> alte Buch zu durchsuchen, doch Peeves schien ein<br />
wirklich heiteres ‚Leben’ in Hogwarts verbracht zu haben, zumindest<br />
bis die Malfoys plötzlich ohne Vorwarnung aufgetaucht waren. So<br />
fiel es <strong>Dora</strong> nicht wirklich schwer, nach Informationen zu suchen.<br />
Etwa eine halbe St<strong>und</strong>e vor dem Abendessen verabschiedeten sich<br />
die Mädchen von Ted <strong>und</strong> Scott <strong>und</strong> gingen hoch in den Schlafsaal.<br />
Eigentlich wollten sie sich noch ein wenig ausruhen, denn die Aufgaben<br />
in Zaubereigeschichte, die sie diesmal nicht nur aus ihren geschummelten<br />
Mitschriften übernehmen konnten, hatten sie schrecklich<br />
ermüdet, doch schon als sie die Tür öffneten, waren sie wieder<br />
hellwach.<br />
So schnell wie möglich liefen die beiden zum Fenster <strong>und</strong> öffneten<br />
es, damit die Eule, die davor saß, herein konnte. Wie immer in Hogwarts<br />
flatterte <strong>das</strong> Tier s<strong>of</strong>ort auf den Schrank, als <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> ihr<br />
den Brief abgenommen hatten, <strong>und</strong> dort wartete es dann, bis die<br />
Zwillinge den Brief gelesen <strong>und</strong> ihre Antwort an den Unbekannten<br />
fertiggestellt hatten.<br />
<strong>Lily</strong> faltete den Brief auseinander <strong>und</strong> beide begannen zu lesen.<br />
325<br />
Liebe <strong>Lily</strong>, liebe <strong>Dora</strong>!<br />
Freut mich, <strong>das</strong>s euer Weihnachten ein Erfolg war!<br />
Wusste ich es doch, <strong>das</strong>s ich euch mit dem Buch eine<br />
Freude machen kann. Ja, ihr habt Recht! Ich denke, <strong>das</strong>s<br />
dieses Buch euren Dad länger beschäftigt hat, als alle<br />
anderen Schulbücher zusammen! Passt also gut darauf<br />
auf!<br />
Tut mir leid, aber ihr könnt gar nichts machen. Seid einfach<br />
nur vorsichtig! Das ist wohl <strong>das</strong> Sinnvollste, <strong>das</strong> ihr
vier machen könnt! Und natürlich die Malfoys beobachten<br />
<strong>und</strong> mir alles erzählen! Das ist wichtig!<br />
Ich h<strong>of</strong>fe, in Hogwarts ist alles klar!?<br />
Meldet euch bei mir!<br />
Bis bald!<br />
„Du darfst wieder antworten“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
„Ja ja, ich weiß, <strong>das</strong>s ich <strong>das</strong> besser kann“, antwortete <strong>Dora</strong> <strong>und</strong><br />
nahm einen der zahlreichen neuen Kugelschreiber aus ihrem Rucksack,<br />
die sie aus der Muggelwelt mitgebracht hatte.<br />
Statt Pergament verwendete sie auch normales Muggelpapier. Davon<br />
hatte sie ebenfalls mehrere Blöcke dabei <strong>und</strong> außerdem hatten<br />
ihr Onkel Dudley <strong>und</strong> Tante Emily versprochen, <strong>das</strong>s sie s<strong>of</strong>ort<br />
Nachschub schicken würden, wenn sie danach fragte.<br />
Wenige Minuten später hatte <strong>Dora</strong> den Brief fertig gestellt <strong>und</strong> sie<br />
reichte ihn <strong>Lily</strong>, damit diese ihn sich noch durchlesen konnte, bevor<br />
er an den unbekannten Empfänger geschickt wurde.<br />
Guten Abend!<br />
Ja, in Hogwarts ist soweit alles klar, allerdings gibt es<br />
Probleme mit den Malfoys. Das Medaillon ist in ihrem<br />
Besitz. Peeves hat es Scott heute in seinem Schlafsaal<br />
gestohlen <strong>und</strong> wir konnten den Geist nicht aufhalten. Es<br />
tut uns leid!<br />
Ich (<strong>Dora</strong>) habe gleich darauf <strong>das</strong> Tagtraumpulver<br />
verwendet <strong>und</strong> wieder die Malfoys gesehen. Narzissa<br />
Malfoy hat ihrem Mann gerade <strong>das</strong> Medaillon von<br />
Slytherin übergeben <strong>und</strong> daraufhin hat dieser total<br />
komisch gelacht. Das Lachen klang auf keinen Fall<br />
menschlich. Es war eine komische hohe Stimme, die aber<br />
sicher von Malfoy kam. Wie ist <strong>das</strong> möglich? Wissen Sie<br />
dafür eine Erklärung?<br />
326
327<br />
Außerdem meinte Mr. Malfoy, <strong>das</strong>s er bald stark genug<br />
sein würde, <strong>und</strong> wenn sie uns erst umgebracht haben,<br />
dann werden sie die Todesser wieder<br />
zusammentrommeln. Das ist sein Plan.<br />
Jetzt fehlt den beiden also nur noch die Schlange, dann<br />
haben sie alle Horkruxe. Wie gesagt, es tut uns leid. Wir<br />
konnten nichts dagegen unternehmen. Peeves war zu<br />
schnell.<br />
Wir haben allerdings Peeves’ Kammer gef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ich<br />
habe sein Tagebuch mitgenommen. Darin steht, <strong>das</strong>s die<br />
Malfoys ihre ersten beiden Horkruxe, also <strong>das</strong> Tagebuch<br />
<strong>und</strong> den Ring, von Peeves gestohlen haben. Der hatte<br />
diese beiden Dinge als Souvenirs von irgendwelchen<br />
Streichen mitgehen lassen <strong>und</strong> in seiner Kammer<br />
versteckt. Die Malfoys müssen irgendwie dorthinein<br />
gekommen sein <strong>und</strong> sie haben sie sich geholt. Danach<br />
haben sie Peeves aufgetragen, auch die anderen Dinge<br />
zu suchen.<br />
Das ist alles, was wir im Moment wissen. Bitte antworten<br />
Sie schnell!<br />
Mit fre<strong>und</strong>lichen Grüßen,<br />
<strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong><br />
„Gut gemacht, können wir so abschicken“, meinte <strong>Lily</strong>.<br />
Die fremde Eule war inzwischen eingeschlafen <strong>und</strong> es dauerte einige<br />
Zeit, bis <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> sie wach bekommen hatten. Sie klopften<br />
einfach so lang an den Schrank, bis selbst die anscheinend halb taube<br />
Eule nicht mehr schlafen konnte. Anschließend lockten die beiden<br />
sie vom Schrank <strong>und</strong> schickten sie mit dem neuen Brief wieder weg.<br />
Sie schauten ihr noch nach, wie sie über den verbotenen Wald davonflog.<br />
„Aber wenn sie über den Wald fliegt, dann ist er anscheinend doch<br />
nicht in der Nähe, oder?“, fragte <strong>Dora</strong>.
„Keine Ahnung, aber ich fände es toll, zu wissen, wo er sich aufhält!“,<br />
antwortete ihre Zwillingsschwester.<br />
Sie warteten noch einige Minuten <strong>und</strong> betrachteten den Mond, der<br />
sich langsam über dem Wald blicken ließ, dann gingen sie langsam<br />
hinunter zum Abendessen, um Ted <strong>und</strong> Scott zu erzählen, <strong>das</strong>s sie<br />
den Brief an den Unbekannten abgeschickt hatten.<br />
Spät in der Nacht, als die anderen drei Mädchen bereits tief schliefen,<br />
waren <strong>Lily</strong> <strong>und</strong> <strong>Dora</strong> noch immer wach. <strong>Dora</strong> hatte es aufgegeben,<br />
sämtliche Einträge in Peeves Buch in umgekehrter Reihenfolge<br />
durchzulesen, sondern sie beschlossen, nur noch nach wichtigen Einträgen<br />
Ausschau zu halten. Dazu hatte sie die erste Seite aufgeschlagen.<br />
Der Eintrag mit der Nummer eins hatte nur den Inhalt, <strong>das</strong>s Peeves<br />
es endlich geschafft hatte, einen passenden Raum für seine Habseligkeiten<br />
zu finden, doch dann erblickte <strong>Dora</strong> ein Gedicht, auf der<br />
Innenseite des Einbandes, <strong>das</strong>s ihre Aufmerksamkeit auf sich lenkte.<br />
Der siebte Tag, des siebten Monates,<br />
Des siebten Jahres von Hogwarts einst war,<br />
Als ein schreckliches Ereignis dem Hausmeister sich bot dar.<br />
Sieben Schüler auf der siebten Treppe standen,<br />
Was er jedoch nicht konnt’ ahnden.<br />
So blieb er stehen <strong>und</strong> wartete,<br />
Worin dieses Treffen wohl ausartete.<br />
Plötzlich packten Schüler Eins <strong>und</strong> Zwei<br />
Einen Sack Federn so schwer wie Blei.<br />
Schüler Drei <strong>und</strong> Vier<br />
Nahmen eine Kiste mit Butterbier.<br />
Schüler Fünf <strong>und</strong> Sechs<br />
Ergriffen ein ihm unbekanntes Gewächs.<br />
Der Schüler Sieben machte nichts dergleichen,<br />
Sondern er versuchte den anderen auszuweichen.<br />
Er stellte sich hinter sie <strong>und</strong> zählte Eins, zwei, drei,<br />
328
329<br />
Als wäre ihm alles einerlei.<br />
Als er war angekommen bei der Zahl Sieben,<br />
Da verhielten sich die anderen ganz durchtrieben.<br />
Blei, Butterbier <strong>und</strong> Gewächs, alle drei flogen,<br />
Auf den Hausmeister <strong>und</strong> rissen ihn zu Boden.<br />
Sieben Minuten vergingen, er rührte sich kaum,<br />
Dann kam es ihm vor, als sei es ein Traum.<br />
Er lebte, doch neben ihm, gebrechlich <strong>und</strong> weiß,<br />
Erhob sich ein zwielichtiger Poltergeist.<br />
Als verkörperlichtes Unheil wurde er geboren,<br />
Ewige Rache dem Hausmeister: Das hat er geschworen!<br />
„<strong>Lily</strong>?“, fragte <strong>Dora</strong>. „Weißt du eigentlich, wie Poltergeister geschaffen<br />
werden?“<br />
<strong>Lily</strong> blickte auf <strong>und</strong> schaute ihre Schwester an.<br />
„Geister sind tote Menschen, die nicht mit ihrem Leben abschließen<br />
konnten, oder?“, fragte sie.<br />
„Eigentlich ja!“, stimmte <strong>Dora</strong> ihrer Schwester zu. „Aber Peeves’<br />
Tagebuch nach zu urteilen, sind Poltergeister keine richtigen Geister.<br />
Hast du dich niemals gefragt, wieso Peeves nicht durch Wände gehen<br />
kann? Und warum Dinge anfassen <strong>und</strong> sie uns nachschmeißen<br />
kann?“<br />
<strong>Lily</strong> schüttelte den Kopf.<br />
„Um ehrlich zu sein nicht!“, sagte sie.<br />
<strong>Dora</strong> lachte.<br />
„Ja, ich mich vorher auch nicht. Aber jetzt schon. Poltergeister wie<br />
Peeves sind sozusagen <strong>das</strong> Unheil in Geisterform <strong>und</strong> Peeves hat es<br />
einem Hausmeister von Hogwarts zu verdanken, <strong>das</strong>s es ihn überhaupt<br />
gibt! Ich denke, <strong>das</strong>s <strong>das</strong> der Gr<strong>und</strong> ist, warum er ihn so hasst!<br />
Aber lies selbst! Bringt uns zwar nicht weiter, ist aber trotzdem interessant!“<br />
<strong>Lily</strong> stand auf <strong>und</strong> setzte sich zu ihrer Schwester ins Bett, wo diese<br />
ihr <strong>das</strong> Gedicht zeigte.
„Ist ja cool!“, meinte <strong>Lily</strong>, als sie es fertig gelesen hatte. „Ich dachte<br />
gar nicht, <strong>das</strong>s dieser Geist eine Geschichte hat! Aber wenn man<br />
genau darüber nachdenkt, dann ist dieses Gedicht einleuchtend! Das<br />
würde erklären, warum er anders als die anderen Geister hier ist!“<br />
<strong>Dora</strong> nickte.<br />
„Okay, aber jetzt ist genug. Ich geh jetzt schlafen!“, meinte sie kurze<br />
Zeit später.<br />
Ihre Schwester stimmte ihr zu <strong>und</strong> so machten sich die beiden fertig<br />
für die Nacht <strong>und</strong> es dauerte nicht lange, bis alle fünf Mädchen<br />
im Schlafsaal tief <strong>und</strong> fest schliefen.<br />
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