Tanja Konzack. Wolfgang Horlamus: Moskau und Sankt Petersburg ...
Tanja Konzack. Wolfgang Horlamus: Moskau und Sankt Petersburg ...
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<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>:<br />
<strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> –<br />
eine Reisereportage aus Russland.<br />
5. bis 24. April 2006
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Inhalt<br />
Fakten <strong>und</strong> Eindrücke vorweg 3<br />
<strong>Moskau</strong> - Gestern <strong>und</strong> heute 7<br />
Ankunft in <strong>Moskau</strong> 8<br />
Romi hat Geburtstag 9<br />
Kolomenskoje 10<br />
Tretjakow-Galerie 11<br />
Besuch in der Staatlichen Lomonossow-Universität (MGU) 13<br />
Sergeijew Posad, einst Sagorsk 14<br />
Nowodewitschi - Moskowski dramaturgitscheski Teatr 15<br />
Neue Tretjakowgalerie - Park Kultury 16<br />
Juwelierny Salon Kronstadt / Finnischer Meerbusen 22<br />
Umtausch im Juwelierny Salon; Besuch der Eremitage; Kaffee 01; Klau der Kamera 25<br />
Peter <strong>und</strong> Paulfestung; Kasanski Sobor (Kasaner Kathedrale); Eremitagetheater 26<br />
Isaaks Kathedrale; Spaziergang im Holländischen Viertel 28<br />
Panzerkreuzer Aurora; Peterhaus; Spaziergang an der Newa; Abreise aus <strong>Petersburg</strong> 31<br />
2/33
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong><br />
<strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong><br />
<strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage<br />
aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Berlin, 05.04.06<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Heute beginnt unsere Russlandreise.<br />
Das letzte Mal war <strong>Wolfgang</strong> vor mehr<br />
als<br />
20 Jahren <strong>und</strong> ich vor 16 Jahren dort.<br />
Seither hat sich vieles verändert. Wir<br />
wollen unvoreingenommen <strong>und</strong><br />
unkompliziert herangehen. Neues<br />
kennenlernen <strong>und</strong> vielleicht ein wenig<br />
Bekanntes wiederfinden.<br />
Wir sind gut nach Schönefeld<br />
gekommen, aber der Abflug verzögert<br />
sich um<br />
ca. 40 Minuten. Roman, der uns in<br />
<strong>Moskau</strong> abholen möchte, haben wir<br />
per SMS über die Verspätung<br />
verständigt.<br />
Fakten <strong>und</strong> Eindrücke vorweg<br />
Besonders in <strong>Moskau</strong> floriert zurzeit<br />
die Wirtschaft, <strong>und</strong> die<br />
Arbeitslosenquote liegt bei 2,4%.<br />
<strong>Moskau</strong> ist das größte<br />
Industriezentrum Russlands. Der Anteil<br />
der Stadt am Bruttoinlandsprodukt des<br />
Landes (430 Mrd. USD) beträgt 30<br />
Prozent. <strong>Moskau</strong> bündelt etwa 80<br />
Prozent des Finanzpotenzials des<br />
Landes. In der Stadt befinden sich um<br />
die 18.500 Betriebe mit<br />
unterschiedlichen Eigentumsformen,<br />
Gaststätten <strong>und</strong><br />
Dienstleistungsbetriebe, 9.000<br />
Kleinhandelsobjekte <strong>und</strong> circa 150<br />
Märkte, in denen ungefähr eine Million<br />
Menschen arbeiten. Über die Hälfte<br />
der <strong>Moskau</strong>er Erwerbstätigen sind in<br />
der Schwerindustrie tätig, wie z. B. im<br />
Maschinenbau <strong>und</strong> in der Automobil-,<br />
Lkw- <strong>und</strong> Werkzeugproduktion. Der<br />
3/33<br />
zweitgrößte Arbeitgeber in der Stadt ist<br />
die Textilbranche. Die wichtigsten<br />
Geschäftszentren befinden sich r<strong>und</strong><br />
um die Tverskaja Uliza <strong>und</strong> unweit<br />
davon in zentral gelegenen<br />
Bürokomplexen, wie z. B. im World<br />
Trade Centre <strong>und</strong> in den Riverside<br />
Towers.<br />
Die ausländischen Unternehmen der<br />
Fertigungsindustrie mit Vertretungen in<br />
der Hauptstadt, u. a. General Electric,<br />
Sun Microsystems, Rank Xerox,<br />
Siemens, Peugeot, IBM <strong>und</strong> Hewlett<br />
Packard, versuchen in Russland Fuß<br />
zu fassen <strong>und</strong> ihre Marktanteile weiter<br />
auszudehnen. Einer der Gründe ist,<br />
dass man wegen der engeren<br />
Bindungen zwischen den Präsidenten<br />
Bush <strong>und</strong> Putin <strong>und</strong> Russlands hohem<br />
Erdöl- <strong>und</strong> Erdgasvorkommen sowie<br />
anderen Rohstoffen einen noch<br />
größeren Handel mit <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> die<br />
Ansiedlung von mehr<br />
Industrieunternehmen in der Stadt<br />
erwartet. Zwei Drittel des<br />
Gesamtumfangs ausländischer<br />
Investitionen in die Wirtschaft<br />
Russlands gehen heute in die<br />
Hauptstadt.<br />
<strong>Moskau</strong> hat sich in den letzten 20<br />
Jahren von einer der billigsten zu einer<br />
der teuersten Städte der Welt<br />
entwickelt. Nach dem Wert des<br />
Verbraucherkorbes, der 155<br />
Hauptwaren in sich einschließt, nimmt<br />
es den ersten Platz in Europa ein <strong>und</strong><br />
steht in der Welt lediglich den<br />
japanischen Städten Tokio <strong>und</strong> Osaka<br />
nach.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
5-10 Prozent der <strong>Moskau</strong>er<br />
Bevölkerung gehören der<br />
wohlhabenden neuen Oberschicht an.<br />
Mit anderen Worten: Etwa eine Million<br />
Menschen verfügen über eine<br />
erhebliche Kaufkraft, die bedient wird.<br />
Dennoch sind die die Grenzen<br />
zwischen neuem Wohlstand <strong>und</strong><br />
Armut sehr krass. Immerhin schätzen<br />
sich etwa 40 Prozent der Bevölkerung<br />
oder etwa vier Millionen Menschen<br />
selbst als neue Mittelschicht ein.<br />
Bettler, Hausierer <strong>und</strong> Invaliden<br />
bleiben einem aber nicht verborgen.<br />
Die Hauptstadt ist aber nicht Russland:<br />
Heute leben 20 - 25 Prozent der<br />
Bevölkerung der Russischen<br />
Föderation unter der Armutsgrenze.<br />
Dieser Anteil ist jedoch landesweit<br />
ungleich verteilt. In Tschetschenien<br />
<strong>und</strong> Dagestan leben mehr als die<br />
Hälfte der Menschen in Armut. Weitere<br />
arme Regionen sind Inguschetien (47<br />
%), Tuwa & Kabardinien-Balkarien (42<br />
%), Mari El (39 %), Kalmückien (36 %),<br />
Burjatien & Altai (32 %) <strong>und</strong><br />
Mordwinien (31 %). Nach dem Zerfall<br />
der UDSSR ist die Armut jedes Jahr<br />
erheblich gestiegen <strong>und</strong> war 1999 mit<br />
über 40 % auf dem Höhepunkt.<br />
Seitdem hat sich die Lage bis heute<br />
zwar wieder spürbar gebessert.<br />
Dennoch lebt der Großteil der Nicht-<br />
Armen Bevölkerung meistens nur<br />
knapp über der Armutsgrenze.<br />
Perestroika, Glasnost <strong>und</strong> der Weg in<br />
die Marktwirtschaft - oder sollten wir<br />
lieber sagen: "in die ursprüngliche<br />
Akkumulation englischer Prägung nach<br />
dem sozialistischen Experiment der<br />
Sowjetmacht" - haben das Land<br />
kolossal verändert. Darüber hatten wir<br />
keinen Zweifel, als wir uns auf die<br />
Reise begaben. Gerade deshalb<br />
versuchten wir zu erkennen, was sich<br />
während des Umbruchs verändert hat.<br />
Da wir sowohl in <strong>Moskau</strong> als auch in<br />
4/33<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> privat untergebracht<br />
waren <strong>und</strong> wir mit Russen über ihre<br />
persönlichen Lebensumstände<br />
sprechen konnten, wurde uns<br />
manches anschaulicher <strong>und</strong><br />
verständlicher, als dem Touristen, der<br />
vom Reisebegleiter von<br />
Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit<br />
chauffiert wird, ohne direkt mit den<br />
Lebensumständen der Landsleute auf<br />
Tuchfühlung zu kommen.<br />
Das waren unsere ersten Eindrücke:<br />
An Waren mangelt es nicht mehr.<br />
"Früher" war es ein Ereignis, wenn<br />
eine Lieferung Toilettenpapier oder<br />
Waschpulver einen Magsin (Laden)<br />
erreichte. Es bildeten sich sofort<br />
Schlangen <strong>und</strong> nach einem<br />
eigenartigen System vollzog sich dann<br />
der Verkauf dieser Begehrlichkeiten:<br />
Wenn man nach langem Warten an<br />
der Reihe war, musste man zuerst an<br />
die Kasse, um einem am Abakus (dem<br />
russischen Rechenschieber)<br />
ausgerechneten Betrag zu begleichen.<br />
Mit dem Bon rannte man dann zum<br />
Warentisch, um sich eine Papierkette<br />
Toilettenpapier um den Hals zu<br />
hängen. Ging die Ware jedoch<br />
langsam aus, begann ein "run" auf den<br />
Packtisch <strong>und</strong> wer nicht rechtzeitig<br />
genug mit Ellenbogenkraft seinen Bon<br />
auf den Tisch vor der Warenausgabe<br />
warf <strong>und</strong> eine Rolle griff, ging leer aus,<br />
obwohl er die Ware schon bezahlt<br />
hatte...
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Heute ist alles ganz anders: Es gibt<br />
alles, der Abakus ist durch den<br />
solarbetriebenen Taschenrechner<br />
ersetzt worden. Im größten <strong>Moskau</strong>er<br />
Kaufhaus GUM sind die berühmtesten<br />
Boutiquen der Welt mit Designerwaren<br />
zu gepfefferten Preisen vertreten. Man<br />
kann alles kaufen. Aber die neureichen<br />
Russen kommen inzwischen lieber<br />
nach Berlin geflogen, denn im<br />
KaDeWe kann man die Modeartikel<br />
vom gleichen Designer erheblich<br />
preiswerter erhalten.<br />
Es wird sehr viel, hoch, modern <strong>und</strong><br />
schnell gebaut. Die Satellitenstädte um<br />
<strong>Moskau</strong> wachsen <strong>und</strong> wachsen. Die<br />
Infrastruktur, wie Parks <strong>und</strong><br />
Erholungsanlagen hinken nach. Aber<br />
Großmärkte schießen wie Pilze aus<br />
dem Boden. Kauft, Leute kauft!!!<br />
Die Schaufenstergestaltung der vielen<br />
Geschäfte in den Straßen der älteren<br />
Stadteile ist für uns etwas befremdlich:<br />
Die Scheiben sind mit Postern<br />
zugeklebt, auf den Waren abgebildet<br />
sind, die technisch schnell veralten. In<br />
den 14 Tagen unseres Aufenthalts<br />
konnten wir nicht beobachten, ob die<br />
Plakatierung dem Rhythmus des<br />
technischen Fortschritts standhält.<br />
Man muss erst in den Laden gehen,<br />
um einen konkreten Eindruck vom<br />
jeweiligen Warenangebot zu<br />
bekommen. Schuhläden <strong>und</strong><br />
Apotheken sieht man am meisten.<br />
Ansonsten herrscht ein wahrer<br />
"Budenzauber". Vor den Wohnhäusern<br />
stehen Blechcontainer oder Stände,<br />
aus denen Waren des täglichen<br />
Bedarfs angeboten werden: alle<br />
möglichen Sorten Bier, eine Palette der<br />
Erfrischungsgetränke von Coca Cola.<br />
Kwas, das typische russische<br />
Erfrischungsgetränk suchen wir<br />
dagegen vergeblich. Brot gibt es <strong>und</strong><br />
Süßigkeiten, Honig, Kräuter, Handys<br />
<strong>und</strong> Digitalkameras <strong>und</strong> immer wieder<br />
Tücher. Es herrscht ein buntes<br />
Markttreiben. Verkäufer <strong>und</strong> Käufer<br />
5/33<br />
bilden eine Symbiose. Dazwischen, an<br />
den Metrostationen oder vor den<br />
Kirchen, sieht man Bettler, Alte,<br />
Invaliden oder Zigeuner. Streunende<br />
H<strong>und</strong>e begegnen einem auf Schritt <strong>und</strong><br />
Tritt, in den Wohnsiedlungen, im<br />
Alexandergarten vor dem Kreml oder<br />
in den Metrostationen auf den warmen<br />
Abluftgittern.<br />
Wer nicht läuft fährt. Von den Straßen<br />
<strong>Moskau</strong>s wurden die traditionellen<br />
russischen Automarken "Wolga",<br />
"Saporosche", "Moskwietsch" durch<br />
eine Überzahl moderner Fabrikate aus<br />
aller Welt in ein Nischendasein<br />
verdrängt. Man freut sich, wenn man<br />
hin <strong>und</strong> wieder einen "alten" Wolga<br />
sieht. Lexus <strong>und</strong> Mercedes sind die<br />
Lieblingsmarken der "Oligarchen", wie<br />
die Neureichen Russen genannt<br />
werden. Sie werden häufig chauffiert<br />
<strong>und</strong> in einem nachfolgenden edlen<br />
Jeep sitzt der Begleitschutz.<br />
Die <strong>Moskau</strong>er, die nicht zur<br />
Oberschicht gehören, leben bei einem<br />
Durchschnittseinkommen 6.800 Rubel<br />
- das sind etwa 200 - in<br />
bescheideneren Verhältnissen. Häufig<br />
wird noch über das Rentenalter hinaus<br />
gearbeitet, damit man sich etwas dazu<br />
verdient. Die Männer erreichen<br />
meistens nicht das Rentenalter. Doch<br />
genug der Einschätzung vorweg,<br />
begeben wir uns auf die gemeinsame<br />
Reise nach <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong><br />
<strong>Petersburg</strong> zu einer noch nicht so<br />
fre<strong>und</strong>lichen Jahreszeit.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Die Universität selbst wurde am 25.<br />
Januar 1755 per Erlass von Elisabeth<br />
I. auf Anregung des Universalgelehrten<br />
<strong>und</strong> Schriftstellers Michail<br />
Lomonossow durch Iwan Iwanowitsch<br />
Schuwalow gegründet. Die Gebäude<br />
der Universität lagen einst noch im<br />
Zentrum <strong>Moskau</strong>s.<br />
Anlässlich der 800-Jahr-Feier <strong>Moskau</strong>s<br />
wurde 1947 der Gr<strong>und</strong>stein für den<br />
Bau des jetzigen Gebäudekomplexes<br />
der Lomonossow-Universität gelegt.<br />
Die Universität befindet sich seitdem<br />
auf dem Leninhügel etwas außerhalb<br />
des Stadtzentrums inmitten einer<br />
riesigen Parkanlage <strong>und</strong> besitzt eine<br />
direkte Metro-Anbindung. Der moderne<br />
Gebäudekomplex der Universität<br />
wurde im stalinistischen<br />
Zuckerbäckerstil errichtet.<br />
Das Hauptgebäude ist 240 m hoch. Es<br />
nimmt im Ensemble der sieben<br />
stalinschen Repräsentationsbauten<br />
diesen Stils in <strong>Moskau</strong> eine<br />
symbolische Stellung ein. Der unter<br />
der Leitung des Architekten Lew<br />
Rudnew errichtete Universitätskomplex<br />
unterliegt einer klaren, symmetrischen<br />
Anordnung. Der Turm ist mit<br />
neoklassizistischem Dekor ausstaffiert.<br />
Zum Schmuck des<br />
Gebäudekomplexes gehören einer<br />
Reihe sozialistischer<br />
Heldenskulpturen, die<br />
denkmalgeschützt sind <strong>und</strong> als<br />
historisches Erbe gepflegt werden.<br />
Die Universität befindet sich nunmehr<br />
auf dem Leninhügel etwas außerhalb<br />
des Stadtzentrums inmitten einer<br />
riesigen Parkanlage <strong>und</strong> besitzt eine<br />
direkte Metro-Anbindung. Der moderne<br />
Gebäudekomplex der Universität<br />
wurde im stalinistischen<br />
Zuckerbäckerstil errichtet. Das<br />
Hauptgebäude ist 240 m hoch. Die<br />
Turmspitze wurde von Stalin selbst<br />
gefordert.<br />
Zu den Universitäten gehören natürlich<br />
auch viele Bibliotheken. Die größte ist<br />
6/33<br />
die Russische Staatsbibliothek, die bis<br />
1992 Leninbibliothek hieß <strong>und</strong> etwa 25<br />
Millionen Bücher besitzt. Auch für die<br />
Lomonossow-Universität ließ Putin<br />
eine neue Bibliothek bauen, die als<br />
protzig wirkender Wissenstempel<br />
unweit vom Hauptgebäude der Uni<br />
errichtet wurde.<br />
Um in das Unigebäude zu kommen,<br />
benötigtt man einen Studenten- oder<br />
Mitarbeiterausweis. Studenten können<br />
für Eltern einen Passierschein<br />
beantragen. Pförtner kontrollieren, ob<br />
der Eintretende auch die<br />
entsprechende Berichtigung zum<br />
Besuch der Uni hat.<br />
Als Romi sein Internatszimmer<br />
aufschließt, fühle ich mich - <strong>Wolfgang</strong> -<br />
dreißig Jahre zurückversetzt. 1975/76<br />
hatte ich an dieser Uni ein<br />
Zusatzstudium (Staschirowka)<br />
absolviert <strong>und</strong> das erste Kapitel meiner<br />
Dissertation geschrieben. Alles in der<br />
Unterkunft erscheint mir wie vor dreißig<br />
Jahren, die Einrichtung, Bad <strong>und</strong><br />
Toilette <strong>und</strong> auch das Fluidum. Im<br />
Internat herrscht ein munteres Treiben.<br />
Ständig klopft jemand an der Tür, um<br />
nach "Schorch" - einem Studenten aus<br />
Regensburg <strong>und</strong> Nachbarn von Romi -<br />
zu fragen, um eine Flasche geöffnet zu<br />
bekommen oder um sich einen<br />
Kochtopf zu borgen. Ich fühle micht 30<br />
Jahrte zurückversetzt, auch wenn<br />
meine Haare inzwischen grau sind.<br />
Neu ist lediglich das Netzkabel, das<br />
durch den Raum zum Notebook<br />
verläuft <strong>und</strong> dem Bewohner im<br />
Bruchteil von Sek<strong>und</strong>en die<br />
Kommunikation in die große weite Welt<br />
ermöglicht. Vor dreißig Jahren stand<br />
auf diesem Schreibtisch noch meine<br />
Erika-Reiseschreibmaschine, auf der<br />
ich mit Kohle- <strong>und</strong> Durchschlagpapier<br />
meine Manuskripte <strong>und</strong> Briefe tippte.<br />
Wenn ich jemand anrufen wollte,<br />
musste ich lange in der Post warten,<br />
bis ich aufgerufen wurde. Dann wurde
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
ich in eine der vielen Telefonkabinen<br />
verwiesen, wo ich mit<br />
Verbindungsabbrüchen kämpfend für<br />
zwei drei Minuten nach Hause<br />
telefonieren konnte. Handys gab es<br />
noch nicht. Skypen oder mailen kannte<br />
man damals noch nicht.<br />
<strong>Moskau</strong>, Donnerstag 06. 04. 2006<br />
<strong>Moskau</strong> - Gestern <strong>und</strong> heute<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Den Tag beginnen wir heute mit einem<br />
Ausflug in meine alte Wohngegend. Da<br />
diese sich im gleichen Raion<br />
(Stadtbezirk) befindet, gehen wir zu<br />
Fuß: erst ein kurzes Stück den<br />
Lomonossow-Prospekt hinunter bis<br />
zum Leninski Prospekt, dann den<br />
Leninski bis zur Abbiegung Dmitri-<br />
Uljanowna. Die Magistrale ist im<br />
Prinzip eine Parallelstraße zum<br />
Lomonossow-Prospekt. Wir halten uns<br />
immer auf der sonnenbeschienenen<br />
Seite, da es doch noch ziemlich frisch<br />
<strong>und</strong> ein Spaziergang in der Sonne uns<br />
etwas durchwärmt.<br />
Den Weg zu unserem früheren<br />
Wohnhaus in der Dmitri-Uljanowna<br />
finde ich problemlos, aber die Gegend<br />
ist fast nicht wiederzuerkennen. Das<br />
Haus, in dem immer noch Ausländer<br />
wohnen, ist saniert <strong>und</strong> eingezäumt.<br />
Doch r<strong>und</strong> herum verfällt alles. Es gibt<br />
kaum noch einen Laden, der an<br />
frühere Zeiten erinnert. Das<br />
Warensortiment in den Läden hat sich<br />
total verändert. Vor den Läden stehen<br />
kleine Buden, in denen die einfachen<br />
Dinge des täglichen Bedarfs verkauft<br />
werden, Backwaren, Obst <strong>und</strong><br />
Gemüse usw. Die Spezialitäten, die<br />
einst feil geboten wurden, gibt es nicht<br />
mehr. Nach kurzer Zeit habe ich<br />
genug gesehen <strong>und</strong> wir steigen an der<br />
Akademitscheskaja in die Metro. Adieu<br />
Vergangenheit. Das Zentrum <strong>Moskau</strong>s<br />
ist unser Ziel.<br />
7/33<br />
Wir landen direkt am roten Platz zu<br />
("rot" ist im Russischen übrigens aus<br />
dem russischen Wort "krasiwyj" - d. h.<br />
"schön" - abgeleitet). Wie alle<br />
Besuchger schlendern wir <strong>und</strong><br />
fotografieren. Die Sonne erhellt die<br />
Basiliuskathedrale in ihren strahlenden<br />
Farben. Die Glocke des Spaski-Turms<br />
läutete zum St<strong>und</strong>enwechsel.<br />
Die Basiliuskathedrale ist ein<br />
Farbtupfer auf dem Roten Platz. Sie<br />
wurde von Ivan den Schreckliche<br />
1555-1560 als Zeichen des Sieges<br />
über die Mongolen errichtet. Die<br />
Anlage ist in Kreuzform ausgerichtet,<br />
an deren Enden 4 Kirchen stehen. In<br />
der Mitte steht die höchste <strong>und</strong> größte,<br />
die 5. Kirche, dazwischen sind noch<br />
weitere 4 Gotteshäuser angeordnet.<br />
Die Kathedrale besteht insgesamt aus<br />
einem Ensemble von 9 Kirchen. Vom<br />
historischen Museum kommend liegt<br />
sie genau im Blickgfeld. Unweit der<br />
Kathedrale fließt die Moskwa.<br />
Die linke Seite des Roten Platzes<br />
säumt eines der berühmtesten<br />
Kaufhäuser Russlands, das GUM. Es<br />
wird per Reklame als das größte<br />
Kaufhaus Russlands bezeichnet.<br />
Architektonisch ist es für mich<br />
zumindest das schönste Kaufhaus. In<br />
den Läden versammeln sich die<br />
großen internationalen<br />
Designermarken. Und in den Gängen<br />
flanieren herausgeputzte Damen <strong>und</strong><br />
Dämchen <strong>und</strong> einige Männer. Eine<br />
Einkaufstüte tragen nur wenige davon.<br />
Wir haben uns auf einen<br />
Springbrunnen blickend im 1. Rang an<br />
einen Kaffeetisch gesetzt, uns<br />
ausgeruht, gestärkt <strong>und</strong> das Treiben<br />
eine Weile beobachtet.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
<strong>Moskau</strong>, Mittwoch den 5. 4. 2006<br />
Ankunft in <strong>Moskau</strong><br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Die Maschine ist bis auf den letzten<br />
Platz besetzt. Als wir <strong>Moskau</strong><br />
anfliegen, glitzert es überall weiß. Erst<br />
denke ich, ich sehe große<br />
Wasserflächen. Aber schnell stellt sich<br />
heraus: es sind die Schneereste des<br />
langen russischen Winters, die im<br />
Sonnenlicht funkeln. Der Flugkapitän<br />
vermeldet 10 Grad Celsius für <strong>Moskau</strong><br />
<strong>und</strong> anhaltenden strahlenden<br />
Sonnenschein. Vor der Passkontrolle<br />
im Flughafen Wnukowo muss ein<br />
Einreiseformular ausgefüllt werden.<br />
Wer Sachsen zu verzollen hat (Waffen,<br />
Sämereien, radioaktives Material<br />
usw.), muss ein zweites Formular<br />
ausfüllen. Nach der Pass- <strong>und</strong><br />
Visakontrolle nehmen wir unser<br />
Gepäck in Empfang. Bald entdecken<br />
wir auch unseren Anverwandten in<br />
<strong>Moskau</strong> auf Zeit, den sehr sommerlich<br />
gekleideten Romi. Es sei heute den<br />
ersten Tag hochsommerlich warm,<br />
sagt er lächelnd <strong>und</strong> nimmt uns den<br />
schweren Rucksack <strong>und</strong> die Tasche<br />
ab.<br />
Nach dem Abklingen der ersten<br />
Wiedersehensfreude begeben wir<br />
gemeinsam zum Bus. Taxifahrer bieten<br />
uns ständig ihre Dienste an.<br />
Ausländer werden mit "Sonderpreisen"<br />
geködert. Wir aber fahren mit dem Bus<br />
auf dem Autobahnring bis zur<br />
Metrostation Jugo-Sapadnoje. Durch<br />
das Menschgewühl bahnen wir uns mit<br />
dem schweren Gepäck einen Weg zur<br />
Metrostation. Jani zeigt Romi die<br />
Richtung, in der sich seine frühere<br />
Schule befinden müsste. Vor 16<br />
Jahren hat er dort die Schule besucht.<br />
Jetzt geht es erst einmal zu Julia,<br />
unserer Chosiaika. Sie, ein H<strong>und</strong><br />
Namens Modja <strong>und</strong> eine Katze<br />
8/33<br />
begrüßen uns fre<strong>und</strong>lich. Das Zimmer,<br />
in dem wir uns für eine Woche wohl<br />
fühlen sollten, ist geräumig. Im Regal<br />
stehen viele Bücher <strong>und</strong> davor ein<br />
älteres Modell eines Hometrainers. Wir<br />
haben ihn nicht benutzt <strong>und</strong> unsere<br />
Kondition trotzdem gestärkt.<br />
Beim Tschai (Tee) in der Küche<br />
machen wir uns einander bekannt.<br />
Julia ist Chemikerin <strong>und</strong> arbeitet noch,<br />
obwohl sie schon das Rentenalter<br />
überschritten hat. Sie vermietet zwei<br />
ihrer drei Zimmer, um für Reisen zu<br />
sparen. Ihr Kinder leben unbd arbeiten<br />
heute in Amsterdam <strong>und</strong> Madrid.<br />
Gegen 19.45 Uhr treffen wir uns mit<br />
Romi an der Metrostation Universität.<br />
Zunächst kaufen wir eine Sim-Karte<br />
fürs Handy mit einem <strong>Moskau</strong>er Tarif.<br />
Anschließend laufen wir zum<br />
Hauptgebäude der Lomonossow-<br />
Universität, wo Romi in einem<br />
Seitenflügel wohnt. Studentenströme<br />
kommen uns entgegen <strong>und</strong> wir<br />
passieren eines der Internetcafes, das<br />
- wie Romi erklärt - Szenetreff der<br />
betuchteren Studenten ist.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
<strong>Moskau</strong>, Freitag 7. April 2006<br />
Romi hat Geburtstag<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Wir treffen uns mit Romi um 10.00 Uhr<br />
am Zirkus gegenüber der Metrostation<br />
Universität. Abends gibt Romi noch im<br />
Wohnheim für Fre<strong>und</strong>e im Wohnheim<br />
eine Party. Zuvor wollen wir mit ihm<br />
jedoch Mittagessen gehen.<br />
Bevor es soweit ist, gibt es noch zwei<br />
wichtige Dinge zu erledigen, die uns<br />
Roman aus Erfahrung erleichtern<br />
kann: Wir müssen uns als Besucher<br />
<strong>Moskau</strong>s registrieren lassen (jeder<br />
Besucher, der länger als drei Tage in<br />
<strong>Moskau</strong> verweilt, muss sich<br />
registrieren lassen). Roman kennt ein<br />
Büro, in dem man den Stempel zu<br />
üblichen Kosten aber ohne große<br />
Wartzeit erhalten kann. Als das erledigt<br />
war, wollen wir noch Eisenbahnkarten<br />
für eine Zugfahrt nach <strong>Sankt</strong><br />
<strong>Petersburg</strong> kaufen. Der Kranaja Strela<br />
war zwar schon ausverkauft, aber<br />
unsere Reise in das Venedig des<br />
Nordens war am Schalter manifestiert.<br />
Für die nächsten St<strong>und</strong>en mussten wir<br />
uns jedoch auf oberirdische Nässe<br />
einstellen. Es regnet in Strömen. Aber<br />
der positive Nebeneffekt ist, dass die<br />
staubige trockene Luft etwas<br />
weggespült wird <strong>und</strong> man nicht ständig<br />
den sandigen Geschmack zwischen<br />
den Zähnen hat. Wir fanden ein<br />
vornehmes Lokal. Wie vornehm es<br />
war, wussten wir leider vorher nicht.<br />
Vor der Gaststätte parkten dicke Autos<br />
mit Geschäftsleuten: Lexus mit Jeep-<br />
Begleitschutz. Für uns ist auch noch<br />
Platz. Wir blicken aus dem Fenster.<br />
Eine riesige orthodoxe Kirche, die<br />
Erlöserkathedrale (auch Christ-Erlöser-<br />
Kathedrale genannt), die nach<br />
Glasnost wiedererrichtet wurde, steht<br />
gegenüber am Ufer der Moskwa. Die<br />
9/33<br />
Kirche wurde einst zu Ehren des<br />
Sieges über das napoleonische Heer<br />
vor <strong>Moskau</strong> errichtet. Während der<br />
Sowjetzeit wollte Stalin an dieser Stelle<br />
einen riesigen Palast des<br />
Kommunismus errichten. Es reichte<br />
letztlich jedoch nur zu einem<br />
Thermalschwimmbad unter freien<br />
Himmel. Hier konnte man selbst im<br />
Winter baden.<br />
Uns bedient ein persönlicher Kellner<br />
namens Viktor. Bald bekommen wir<br />
mit, dass dieses Restaurant von<br />
Leuten mit den dicken Autos bevorzugt<br />
wird, die wir eben noch vor der Tür<br />
gesehen haben. Ein Blick in die<br />
Speisekarte zeigte uns, dass wir ein für<br />
das Geburtstagessen angemessenes<br />
Lokal gef<strong>und</strong>en haben! Alles, was wir<br />
bestellen, m<strong>und</strong>et w<strong>und</strong>erbar. Beim<br />
Nachtisch gibt es ein kleines Malheur.<br />
Beim Tausch der Nachspeisen kippte<br />
uns ein Glas um. Aber Viktor nimmt<br />
das nicht so tragisch. Wir bestellen die<br />
Nachspeise ein zweites Mal. Alles in<br />
allem, war das ein fürstliches Mahl.<br />
Fürstlich................ Nach dem Essen<br />
verabschieden wir uns von Romi im<br />
Zweifel, ob er mit dem<br />
Rechnungsbetrag nicht lieber 4<br />
Wochen Holliday hätte machen sollen.<br />
Doch nunmehr - <strong>und</strong> diesmal ohne<br />
Romi - auf zum Puschkinmuseum<br />
(gleich um die Ecke). Das<br />
neoklassizistische Gebäude des<br />
Museums wurde von dem Architekten<br />
R. Klein in der Zeit von 1898 - 1911<br />
erbaut. Hier gibt es eine große<br />
Skulpturensammlung aus der Antike<br />
<strong>und</strong> der Renaissance zu besichtigen,<br />
die Skulptur des David von Michel<br />
Angelo empfängt den Besucher im<br />
ersten großen Saal. Aber es gibt auch<br />
eine Sammlung von Gemälden aus<br />
unterschiedlichen Epochen. Nach der<br />
St. <strong>Petersburg</strong>er Eremitage hat das<br />
Puschkin-Museum die größte<br />
Sammlung westeuropäischer Kunst.<br />
Die Werke so mancher berühmter
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Künstler wie van Gogh, Cezanne,<br />
Rubens, Picasso, Monet, Renoir, El<br />
Greceo, Rembrandt, Gauguin,<br />
Botticelli, Perugino, Canaletto, Van<br />
Dyck <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, <strong>und</strong>, haben hier ihren<br />
Platz gef<strong>und</strong>en.... Besonders gefallen<br />
uns die Gemälde von Picasso, Marc<br />
Chagall, Matisse, Gougan,<br />
Kandinsky...<br />
Auf dem Heimweg sind wir ziemlich<br />
erschöpft <strong>und</strong> wir wollen gleich ins<br />
Bett. In der Küche wird gebrutzelt. Da<br />
klopft es zaghaft an unserer Tür <strong>und</strong><br />
Martin fragt, ob wir nicht mit<br />
Kartoffelpuffer essen wollen. Jani<br />
möchte schlafen, doch ich schlage die<br />
Einladung nicht aus. Julia, Martin <strong>und</strong><br />
Alexander erwarten mich. Nach dem<br />
Abendbrot wollen wir noch ein Bier<br />
trinken gehen. Kitai Gorod, schlägt<br />
Martin vor. Martin nimmt nach drei<br />
Monaten Praktikum am Goetheinstitut<br />
Abschied. Schon morgen soll es - mit<br />
einem dreiwöchigen Abstecher nach<br />
Estland - wieder Richtung Heimat<br />
gehen. Ich habe jedoch keine Lust, zu<br />
später St<strong>und</strong>e noch einmal mit der<br />
Metro durch die Gegend zu sausen. So<br />
holen wir aus dem nächst Markt noch<br />
ein paar Bier <strong>und</strong> eine kleine Flasche<br />
Wodka "Standard". Zu Hause wieder<br />
angelangt, gesellt sich Jani dennoch<br />
zu uns in die Küche <strong>und</strong> Erlebnisse<br />
werden ausgetauscht..<br />
Jani, ein Nachtrag:<br />
Roman feierte seinen 27. Geburtstag<br />
mit seinen Fre<strong>und</strong>en im Wohnheim.<br />
Sie kauften 18 Brote <strong>und</strong> 24<br />
Leberwürste, dazu noch Getränke aller<br />
Art <strong>und</strong> erwarteten fast die ganze<br />
Etage <strong>und</strong> noch einige <strong>Moskau</strong>er zu<br />
Gast. Vorher hatten sie Bescheid<br />
gesagt, dass es lauter werden könnte.<br />
Trotzdem hat sich jemand bei der<br />
Wohnheimleitung beschwert. Diese<br />
informierte die Polizei <strong>und</strong> Roman<br />
wurde auf's Revier geführt. Dort hörte<br />
er sich lange Vorträge an über die<br />
Gesetze des Landes <strong>und</strong> dass man ab<br />
23. Uhr keinen ruhestörenden Lärm<br />
10/33<br />
mehr machen darf. Er achte wohl<br />
Russland nicht? Romi war verstimmt:<br />
Warum gerade er sich so einen<br />
Moralvortrag anhören müsse, wo er<br />
doch Russisch studiert <strong>und</strong> sich Land<br />
<strong>und</strong> Leuten sehr verb<strong>und</strong>en fühlt. Dann<br />
wurde er wieder zurückgefahren <strong>und</strong> in<br />
der Partyr<strong>und</strong>e wurde bis 8.00<br />
morgens leiser weitergefeiert. Noch<br />
lange wurde das nächtliche Ereignis<br />
ausgewertet. Ein Amerikaner, der<br />
nebenan wohnt, riet ihm durch den<br />
Briefschlitz der Chinesin zu pinkeln, die<br />
sich beschwert hat, aber Roman ist zu<br />
sehr Gentleman <strong>und</strong> lässt es lieber.<br />
<strong>Moskau</strong>, Sonnabend, 8. April 2006<br />
Kolomenskoje<br />
Außerhalb des Stadtzentrums liegt im<br />
Süden die Perle Kolomenskoje, eine<br />
große Parklandschaft am Hochufer der<br />
Moskwa. Hier hat die Moskwa ihren<br />
ursprünglichen Lauf <strong>und</strong> ist nicht in<br />
Stein <strong>und</strong> Beton eingezwängt.<br />
Kolomenskoje war einst der<br />
Sommersitz von Dmitrij Donskoi. Peter<br />
I hat hier einen Teil seiner Kindheit<br />
verbracht. Reiseführer berichten von<br />
der sehenswerten Steinkirche <strong>und</strong> der<br />
Kirche der Gottesmutter von Kasan mit<br />
ihren strahlend blauen Zwiebeltürmen,<br />
die mit goldenen Sternen verziert ist.<br />
Der Tourist hat für diese schöne Ecke<br />
jedoch kaum Zeit. Wir nehmen sie uns.<br />
Attraktion sind außerdem einige alte<br />
Holzhäuser, die aus verschiedenen<br />
Gegenden demontiert <strong>und</strong> wieder<br />
original aufgebaut wurden. Das<br />
Blockhaus von Zar Peter I lockt<br />
Besucher an. Die 200 Rubel Eintritt<br />
sparen wir uns, <strong>und</strong> genießen<br />
stattdessen die frische Luft <strong>und</strong> den<br />
Blick über die Moskwa.<br />
Zu dem Ausflugskomplex gehört auch<br />
ein Rummel, der vor allem viele<br />
Jugendliche anlockte, die in Scharen<br />
unterwegs waren.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Während man in Deutschland heute<br />
die jungen Leute nie ohne eine<br />
Flasche Wasser rumlaufen sieht, hat<br />
hier in <strong>Moskau</strong> fast jeder eine Flasche<br />
Bier in der Hand. Einen MP3-Player<br />
hat jeder um den Hals. Dazu ein<br />
besonders flaches Handy, das in jeder<br />
Situation auch als Fotoapparat genutzt<br />
wird. Die ganz hart gesottenen tragen<br />
in der einen Hand eine Flasche Bier<br />
<strong>und</strong> in der anderen eine Flasche<br />
Wodka. Trotzdem habe ich den<br />
Eindruck, weniger Volltrunkene zu<br />
sehen, wie zu Sowjetzeiten. Dafür<br />
gehören viele bettelnde alte Leute <strong>und</strong><br />
Krüppel zum Erscheinungsbild der<br />
Stadt. Elend <strong>und</strong> Hyperreichtum sind<br />
die Kehrseiten einer Medaille der<br />
neuen Zeit. Werte scheinen enthemmt<br />
<strong>und</strong> es scheint anachronistisch zu sein,<br />
wenn der Sprecher in der Metro<br />
einerseits die Mitfahrer in kurzen<br />
Abständen dazu auffordert, Alten,<br />
Invaliden <strong>und</strong> Passagieren mit Kindern<br />
einen Sitzplatz anzubieten (was<br />
tatsächlich noch befolgt wird), während<br />
auf der anderen Seite die Jugend<br />
ungehemmt ihren Spaß <strong>und</strong><br />
Vergnügen in den neuen Werten des<br />
Westens sucht. Das Vorbild USA war<br />
zu Sowjetzeiten da, aber versteckt.<br />
Heute gehört es zum Erscheinungsbild<br />
<strong>Moskau</strong>s. Vielleicht ist Manches, was<br />
wir beobachteten, in Deutschland nicht<br />
anders. Es fällt uns bloß in unserem<br />
Alltag nicht so auf.<br />
Abends setzen wir uns noch mit Julia<br />
zusammen. Heute soll Martins<br />
Zimmernachfolgern eintreffen. Zu<br />
später St<strong>und</strong>e kommt sie, Monika aus<br />
Heidelberg, die Russischübersetzerin<br />
ist <strong>und</strong> ein dreimonatiges Praktikum<br />
am Goetheinstitut absolvieren wird.<br />
Vorerst ist sie sehr ermüdet von der<br />
Reise. In den nächsten Tagen<br />
kommen wir näher ins Gespräch.<br />
11/33<br />
Sonntag, 9. April 2006<br />
Tretjakow-Galerie<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Ursprünglich wollten wir mit Romi nach<br />
Sergijew Possad (früher: Sagorsk),<br />
aber es regnet in Strömen <strong>und</strong> das den<br />
ganzen Tag. Also nehmen wir uns als<br />
Ausweichziel die alte Tretjakow-<br />
Galerie vor. Sie beherbergt die Malerei<br />
aller bedeutenden<br />
russischen/sowjetischen Künstler. Der<br />
Kaufmannssohn Pawel Tretjakow<br />
(1832-1898) hat diese Sammlung in<br />
jahrelanger Arbeit zusammengetragen.<br />
Der Stadt <strong>Moskau</strong> schenkte er die<br />
Sammlung dann im Jahre 1892, also<br />
wenige Jahre vor seinem Tod. Auf<br />
knapp 20.000 Quadratmetern befinden<br />
sich ca. 50.000 Exponate -<br />
überwiegend aus Russland /<br />
Sowjetunion. Einen besonderen<br />
Zugang fanden wir zu den Werken von<br />
Repin, Surikow, Lewitian <strong>und</strong> Serow<br />
gefallen. Beeindruckend fanden wir<br />
auch verschiedene Studien der Meister<br />
zu ihren Monumentalgemälden.<br />
Eigentlich ist jede Studie ist ein<br />
Gemälde für sich.<br />
Am Nachmittag haben wir genug<br />
gesehen, aber immer noch kommen<br />
Besucher in die Galerie. Russische<br />
Staatsbürge zahlen ein Zehntel des<br />
Eintrittspreises. Aber die<br />
Durchschnittsgehälter in <strong>Moskau</strong> sind<br />
niedriger als die ausländischer<br />
Touristen <strong>und</strong> insofern sind<br />
unterschiedliche Eintrittspreise für<br />
Russen <strong>und</strong> Ausländern verständlich.<br />
Bezogen auf unser Eingangsstatement<br />
ist diese Regel nur bedingt gerecht,<br />
denn wir unter Ausländern gibt es<br />
unter den Russen sehr Reiche. Die<br />
Oligarchen haben erheblich mehr<br />
Reichtum als wir in unserem<br />
arbeitsreichen Leben "akkumuliert"<br />
<strong>und</strong> zahlen dennoch die niedrigeren<br />
Eintrittpreise dank ihrer Nationalität.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Verzichten darf man auf die Tretjakow-<br />
Galerie jedoch keinesfalls!!!<br />
Nach dem Essen in einem kleinen,<br />
preiswerten Restaurant unternehmen<br />
wir noch einen Spaziergang durch die<br />
Altstadt (Kitai gorod). Zum Teil sind die<br />
Häuser aus den 20er, 30er Jahren<br />
schon renoviert oder restauriert.<br />
Dennoch gibt es einiges zu tun.<br />
Lediglich die vielen orthodoxen Kirchen<br />
sind alle frisch gestrichen. Ihre<br />
goldenen <strong>und</strong> blauen Zwiebeltürme<br />
künden von Reichtum <strong>und</strong> neu<br />
gewonnener Macht der russischorthodoxen<br />
Kirche.<br />
Den Abend wollen wir zu Hause<br />
gemütlich ausklingen lassen. Doch<br />
Julia teilt uns mit, dass wir noch Gäste<br />
bekommen. Wir sind ganz erstaunt,<br />
wer soll uns hier besuchen. Da klingelt<br />
es. Alexander aus der Wohnung unter<br />
uns steht vor der Tür. Er will sich bei<br />
uns noch einmal erk<strong>und</strong>igen, ob wir ihn<br />
- wie versprochen - in die<br />
Lomonossow-Universität mitnehmen<br />
könnten. Wir versuchen mit Romi<br />
telefonisch Kontakt aufzunehmen, um<br />
eine Verabredung zu treffen. Bei einem<br />
Glas Tee schwatzen wir etwas. Dann<br />
ruft Romi zurück <strong>und</strong> wir verabreden<br />
uns für Dienstagnachmittag.<br />
Inzwischen ist es schon wieder<br />
Mitternacht <strong>und</strong> Alexander erkennt,<br />
dass wir von den "Märschen" des<br />
Tages schon etwas müde sind <strong>und</strong><br />
beendet seinen Besuch.<br />
Montag, 10. April 2006<br />
Kreml <strong>und</strong> abends ins<br />
Konservatorium<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Die Sonne lacht. Ein schöner Tag. Wir<br />
werden zum Kreml fahren. Mit der<br />
Metro geht es bis Leninbibliothek, dann<br />
einige Fußgängertunnel durchquert<br />
<strong>und</strong> schon werden wir am<br />
Alexandergarten von zwei streunenden<br />
12/33<br />
H<strong>und</strong>en begrüßt. Für unseren<br />
Spaziergang durch den Kreml buchen<br />
wir keine Führung. Wir wissen schon<br />
einiges <strong>und</strong> wollen uns das 28 ha<br />
große Areal selbst erschließen. Der<br />
Kreml ist von einer 2235 m langen<br />
Mauer, mit 20 Festungstürmen<br />
umgeben. Jani ist das erste Mal im<br />
Kreml. Für mich ist es ein<br />
Wiederentdecken. Der Kremlpalast<br />
stand noch da, wie vor 30 Jahren. Die<br />
alten Kirchen mit ihren in der Sonne<br />
funkelnden Zwiebeltürmchen hatten<br />
dagegen schon 500 Jahre im<br />
Gemäuer.<br />
Unsere Eintrittskarten gelten für fünf<br />
Kirchen mit ihren reich bemalten<br />
Wänden, den Ikonen. Aus den Kuppeln<br />
der hohen Türmchen schaute uns<br />
immer Jesus an. Ein Teil der<br />
Waffenkammer, der gerade nicht<br />
rekonstruiert wird, ist ebenfalls für uns<br />
zugänglich. Kronen von Zaren,<br />
Schmuck <strong>und</strong> mit Edelsteinen besetzte<br />
Waffen sind zu bew<strong>und</strong>ern.<br />
Aber auch der Spaziergang in den<br />
Parkanlagen des Kremls ist bei<br />
warmen Sonnenstrahlen angenehm.<br />
Die Knospen halten sich noch zurück.<br />
Der letzte Schnee wurde gerade von<br />
vielen fleißigen Helfern weggeräumt<br />
<strong>und</strong> durch das blätterlose Gesträuch<br />
haben wir einen weiten Blick auf die<br />
Moskwa.<br />
Das Kremlgelände wirkt wie in eine<br />
kleine Stadt, die in einer großen Stadt<br />
liegt. Hier <strong>und</strong> da lugen die Türmchen<br />
der Bassilius-Kathedrale durch die<br />
Nadelbäume. Majestätisch reckt sich<br />
der Spaskiturm in der Sonne.<br />
Wir beobachten aus einiger Entfernung<br />
die Touristen. Sie hetzen durch die<br />
Museen <strong>und</strong> Kirchen. Japaner stellen<br />
sich in Gruppen vor der Zar-Kanone<br />
auf, um sich gleich danach wieder vor<br />
der Zarenglocke ablichten zu lassen.<br />
Die Zarenglocke befindet sich mitten<br />
im Kreml, vor dem Glockenturm auf
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
einem Granitsockel. Die 6 Meter hohe<br />
<strong>und</strong> 210 Tonnen schwere Glocke ist<br />
eine der größten der Welt. Sie wurde<br />
1733-1735 von Ivan Matorin <strong>und</strong><br />
seinem Sohn Michail gegossen. 1737<br />
löste sich bei einem Brand ein ca. 11<br />
Tonnen Eisenstück, welches nun<br />
neben dem Granitsockel liegt.<br />
Später, als wir dann Richtung Kitai<br />
Gorod unterwegs sind <strong>und</strong> gegenüber<br />
dem Polytechnischen Museum stehen,<br />
ruft uns Romi auf dem Handy an <strong>und</strong><br />
fragt, ob wir nicht um 19.00 Uhr ins<br />
Konservatorium gehen wollen. Wir<br />
wollen!!!, müssen aber noch kurz nach<br />
Hause, um uns konzertfein zu machen.<br />
Es wird ein Wettlauf mit der Zeit,<br />
Lützows verwegene Jagd. Es werden<br />
Stücke von Schostakowitsch,<br />
Schubert, Saint-Saint, Schumann <strong>und</strong><br />
Rimskij-Korssakow gebracht.<br />
Besonders gefällt mir das brillante<br />
"Capriccio espagnol" von Nikolaj<br />
Rimskij-Korssakow. Sowohl der Solo-<br />
Violinist als auch das Orchester<br />
müssen unter Ovationen mehrere<br />
Zugaben geben. Lange klingt der<br />
Abend in uns nach.<br />
Dienstag, 11. April 2006<br />
Besuch in der Staatlichen<br />
Lomonossow-Universität (MGU)<br />
<strong>Tanja</strong>: Den heutigen Tag wollen wir für<br />
einige Erledigungen nutzen, Geld<br />
zapfen - was nur mit Hilfe eines<br />
fre<strong>und</strong>lichen jungen Mannes gelingt,<br />
da wir die Automaten nicht verstehen,<br />
neue Metrofahrkarten <strong>und</strong><br />
Theaterkarten für die "Tri Sestry"<br />
kaufen. Den Tscherejomuschski<br />
Rynok (Markt) suchen wir<br />
anschließend auf, um noch einmal zu<br />
fotografieren. Dort herrscht eine<br />
wirklich spannende Atmosphäre,<br />
außerdem riecht es gut <strong>und</strong> alles<br />
leuchtet in schönsten Farben. Zufällig<br />
sehen wir im Außenbereich der<br />
13/33<br />
Markthalle, in dem andere Händler ihre<br />
Waren anbieten, einen kleinen<br />
Trödelstand mit alten<br />
Haushaltsgegenständen. An ihm<br />
erstehen wir silberfarbene<br />
Teeglashalter, die wir schon lange<br />
suchten, zu einem günstigen Preis<br />
(300 Rbl. je Stück, 2 bekommen wir für<br />
500 Rbl.). Sie sind eine<br />
Jubiläumsausgabe zu Ehren des<br />
Sputnikstarts im Jahre 1957. Diese<br />
Teeglashalter (mit verschiedenen<br />
Motiven) sind typisch für Russland.<br />
Früher gab es sie überall, wenn der<br />
Samowar angeheizt wurde, z.B. wenn<br />
man Gast in einer Familie war oder<br />
auch Schlafwagenwaggon. Einst<br />
kosteten die praktischen Teeglashalter<br />
2,59 Rbl. Heute sind sie selten,<br />
werden fein ziseliert als Souvenir für<br />
ca. 600 Rbl. bis 1000 Rbl. je Stück<br />
gehandelt.<br />
Unser Mittagessen, ein Gebäck mit<br />
Käsefüllung <strong>und</strong> ein Bier, nehmen wir<br />
ganz wie die <strong>Moskau</strong>er Jugendlichen<br />
im Park vor dem "modernen" Zirkus<br />
ein.<br />
Verabredungen treiben uns: Kurz vor<br />
16.00 Uhr steht bereits Alexander vor<br />
der Tür. Wir wollen zusammen in die<br />
MGU zu gehen, weil Alexander diese<br />
Universitätsstadt einmal mit eigenen<br />
Augen sehen will. Roman erwartet uns<br />
mit einem Passierschein für Eltern. Für<br />
Alexander weiß Roman eine<br />
Möglichkeit, um ihn auf anderem Wege<br />
hineinzulotsen. Wir passierten<br />
problemlos die Sperre. Wolli geht als<br />
<strong>Wolfgang</strong> <strong>Konzack</strong> durch. Alexander<br />
ist dagegen ein schwerer Fall, wie<br />
Roman später berichtete. Er wirkst<br />
kaum wie ein Student <strong>und</strong> strahlt so<br />
viel Unsicherheit aus, dass man ihm<br />
schon von Weitem anmerkt, dass er<br />
kein Student der MGU sein kann.<br />
Landesk<strong>und</strong>ig <strong>und</strong> charmant bringt<br />
Romi Alexander trotzdem ins<br />
Unigebäude. Zunächst steuern wir<br />
Romans Beahausung an. Im
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Nebenzimmer begrüßen wir Schorsch,<br />
Romans Nachbarn, mit dem er sich gut<br />
versteht. Kommunikationsbedürfnisse<br />
müssen befriedigt werden: Wir nutzten<br />
die Gelegenheit mal via Internet aufs<br />
Konto zu schauen <strong>und</strong> schreiben eine<br />
Mail an die Kollegen, auf die uns<br />
Karsten, unser Chef schon wenig<br />
später in russisch antwortet. Romi<br />
stimmt derweil seine Gitarre <strong>und</strong> spielt<br />
ein wenig darauf. Später führt er uns<br />
durch die Uni. Wir versuchen mit dem<br />
Fahrstuhl in die oberste Etage zu<br />
kommen. Doch wir gelangen nur bis<br />
zum geologischen Institut. Ein Gitter<br />
verhindert die Sicht auf die Stadt.<br />
Geabendbrotet wird in der Mensa.<br />
Jani versteht plötzlich viel besser<br />
warum Roman <strong>Moskau</strong> mag...<br />
Schlendern zur Aussichtsplattform<br />
"Sperling"("Lenin")-Berge: Leider ist<br />
die kleine Kirche auf den Gory<br />
geschlossen. An der Sprungschanze<br />
rutschen wir auf vereisten Wegen<br />
bergab. Die Uferpromenade der<br />
Moskwa ist eisfrei. Als wir bei Julia<br />
ankommen können wir ihren tollen<br />
Rote-Beete-Salat probieren. Ich werde<br />
sie morgen nach dem Rezept fragen.<br />
Mittwoch, 12. April 2006<br />
Sergeijew Posad, einst Sagorsk<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Der Wetterbericht für die nächsten<br />
Tage verheißt nichts Gutes. Wir stehen<br />
schon relativ früh auf, denn unser<br />
Tagesziel liegt anderthalb St<strong>und</strong>en vor<br />
der Stadt. Dabei sind wir uns im<br />
Klaren, dass wir uns in der Wohnung<br />
mit Julia <strong>und</strong> Monika ins Gehege<br />
kommen werden.<br />
Um 9.20 Uhr haben wir uns mit Romi<br />
am Zirkusvorplatz verabredet. Es<br />
nieselt <strong>und</strong> im Vergleich zum Vortag ist<br />
es ziemlich kühl. Zunächst geht es<br />
zum Jaroslawaer Bahnhof. Fahrkarten<br />
sind schnell gekauft <strong>und</strong> auch der Zug<br />
14/33<br />
("Elektrischka" - eine S-Bahn) steht<br />
schon am Bahnsteig. Als die<br />
Elektrischka sich in Bewegung setzt,<br />
machen wir eine ungewohnte<br />
Beobachtung. Lärmend werden durch<br />
die Prijomniki, den Lautsprechern im<br />
Zug, Fahrziel <strong>und</strong> die nächste Station<br />
angekündigt. Jedoch schon wenig<br />
später stellen sich am<br />
Waggongeingang im 5-Minuten-<br />
Rhythmus Händler auf, <strong>und</strong> bieten mit<br />
lautstarken Worten <strong>und</strong> Gesten Waren<br />
feil: Schokolade, niedliche Häschen für<br />
die Kinder zum Osterfest,<br />
Lavendelduftstoffe für die Kleidung aus<br />
Holland, Stifte, Stirnlampen,<br />
Scvhulhefte <strong>und</strong> viele andere nützliche<br />
Dinge... Man versteht bei diesem<br />
lärmenden Marketing kaum sein<br />
eigenes Wort <strong>und</strong> nur sehr selten<br />
nimmt ein Mitreisender dem fliegenden<br />
Händlern etwas von der angepriesnen<br />
Ware ab. Wir sind zufrieden, als etwa<br />
10 Händler ihr Verkaufsgebet<br />
absolviert hatten <strong>und</strong> endlich etwas<br />
Ruhe eintrat, um für Mitreisende <strong>und</strong><br />
Umgebung Zeit zu haben.<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Zunächst versperren gewellte, blauweiß<br />
gestrichene Schallwände unsere<br />
Sicht. Je mehr wir uns aber den<br />
Vorstädten entfernen, um so freier wird<br />
unser Blick in eine vermüllte<br />
Landschaft. Wir sehen jede Menge<br />
Zerfall, Müll <strong>und</strong> Provisorien jeder Art.<br />
Da es zu dieser Jahreszeit auch noch<br />
an Grün fehlt im Revier, wird nichts<br />
verdeckt oder beschönigt. Es ist<br />
einfach trostlos dreckig. Wir beginnen<br />
mit Romi eine Wertediskussion. Kann<br />
man seine Heimat lieben, wenn man<br />
sie so verunstaltet. Unser Disput führt<br />
zu keinem Ergebnis. Je länger man im<br />
Land ist, umso größer wird die<br />
Toleranz, das als gegeben<br />
hinzunehmen, was man täglich erlebt.<br />
Als wir uns Sergeijew Posad nähern,<br />
wird es ordentlicher. Die Wallfahrtstätte<br />
mit einem der bedeutendsten Klöster
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Russland - das Dreifaltigkeits-Sergios-<br />
Kloster - liegt vor uns, ein Kleinod der<br />
russisch-orthodoxen Kulturgeschichte.<br />
Das letzte Mal war ich (<strong>Wolfgang</strong>) hier<br />
vor dreißig Jahren. Romis Frage, wo<br />
es lang geht, kann ich nicht<br />
beantworten. Der erste angesprochene<br />
Passant wendet sich demonstrativ ab.<br />
Er ist nicht mehr ganz nüchtern, wie<br />
sein Gang verrät. Dann zeigt uns eine<br />
fre<strong>und</strong>lichen Frau die Richtung. De<br />
goldenen <strong>und</strong> blauen Kuppeln der<br />
Zwiebeltürme in der Ferne geben uns<br />
die Orientierung. Regengüsse der<br />
letzten Tage haben die Wege<br />
aufgeweicht. Die meisten Besucher<br />
des Klosters sind Gläubige. Touristen<br />
kommen zu einer anderen Jahreszeit.<br />
Gläubige verbeugen <strong>und</strong> bekreuzigen<br />
sich mehrfach bereits vor <strong>und</strong> beim<br />
Eintritt ins Kloster. Die gleiche<br />
Zeremonie wiederholen sie, wenn sie<br />
den Boden der heiligen Stätte<br />
verlassen.<br />
Donnerstag, 13. April 2006<br />
Nowodewitschi - Moskowski<br />
dramaturgitscheski Teatr<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Heute lacht - entgegen unseren<br />
Erwartungen - wieder die Sonne. Da<br />
muss man in die freie Natur spazieren<br />
gehen. Wir nehmen uns vor, den<br />
berühmten Friedhof am Kloster<br />
Nowodewitischi (Neujungfrauenkloster)<br />
zu besuchen. Bereits im 16.<br />
Jahrh<strong>und</strong>ert entstand auf dem Gebiet<br />
des Neujungfrauenklosters ein<br />
Kirchhof, der im Laufe der Zeit zu<br />
einem renommierten Begräbnisplatz<br />
der Oberschicht wurde, auf dem<br />
zunächst hauptsächlich der <strong>Moskau</strong>er<br />
Adel <strong>und</strong> Klerus beerdigt wurde, später<br />
zunehmend auch Kaufleute,<br />
Professoren <strong>und</strong> Künstler. 1898 wurde<br />
der Friedhof über die südliche<br />
15/33<br />
Klostermauer hinaus erweitert <strong>und</strong><br />
bekam in den nachfolgenden Jahren<br />
seine eigene Mauer. 1949 wurde der<br />
Friedhof erneut erweitert. Seit den<br />
Sowjetzeiten ist der Nowodewitschi-<br />
Friedhof ein reiner Ehrenfriedhof, auf<br />
ihm werden also nur Ehrenbürger wie<br />
beispielsweise bedeutende Politiker,<br />
Künstler oder Wissenschaftler<br />
beerdigt. Dies ist der Gr<strong>und</strong> für die<br />
Vielzahl der Grabstätten diverser<br />
prominenter Personen auf diesem<br />
Friedhof. Insgesamt liegen hier über<br />
27.000 Tote begraben. Neben Gräbern<br />
befinden sich in den alten <strong>und</strong> neuen<br />
Friedhofsmauern Columbarien. Den<br />
Weg finden wir leicht. Und<br />
Erinnerungen an einen ähnlichen<br />
Besuch vor Jahren werden wach, als<br />
mich besonders die Grabstätte Nikita<br />
Chruschtschow interessierte. Man fühlt<br />
sich wie in einer Skulpturensammlung<br />
unter freiem Himmel. Skulpturen <strong>und</strong> in<br />
Stein gemeißelten Porträts befinden<br />
sich auf den Grabstellen. Mit Kenntnis<br />
der russischen <strong>und</strong> sowjetischen<br />
Geschichte, kann man hier einen<br />
Spaziergang in <strong>und</strong> durch die<br />
Vergangenheit unternehmen.<br />
Totzdemn wirkt der anschließende<br />
Spaziergang in die Klosteranlage wie<br />
ein Kontrast zu dem soeben Erlebten<br />
<strong>und</strong> Gesehenen. Sowjetunion <strong>und</strong><br />
orthodoxe Macht trafen hier einst<br />
zusammen.<br />
In die Kirchen gehen wir nicht. Sie<br />
wirken auch von außen <strong>und</strong> wir haben<br />
in den letzten Tagen genug Paläste<br />
des Glaubens besichtigt. Vor dem<br />
Kloster liegt ein See. Er ist noch<br />
zugefroren. Aber die warmen<br />
Sonnenstrahlen laden Spaziergänger<br />
zum Verweilen ein. Wir setzen uns auf<br />
eine Parkbank <strong>und</strong> nutzen in ruhiger<br />
Umgebung die Gelegenheit, um mit<br />
dem Handy nach Berlin zu<br />
telefonieren. Unser Guthaben in<br />
<strong>Moskau</strong> ist noch riesig <strong>und</strong> er Wunsch<br />
heimatverb<strong>und</strong>en zu sein auch.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Abends sind wir mit Romi vor dem<br />
Moskowski dramaturgitscheski Teatr<br />
verabredet. Die drei Schwestern von<br />
Tschechow werden aufgeführt. Die<br />
Inszenierung gefällt uns, doch wir<br />
verstehen kaum etwas vom Text. In<br />
den Pausen muss uns Romi den Inhalt<br />
wiedergeben. <strong>Moskau</strong> ist Traum <strong>und</strong><br />
Ziel der Sehnsüchte der Hauptakteure.<br />
Doch was ist schöner, als die Illusion.<br />
Demnächst wollen wir das in einem<br />
deutschen Textbuch nachlesen.<br />
Freitag, 14. April 2006 - Karfreitag<br />
(hier jedoch kein Feiertag)<br />
Neue Tretjakowgalerie - Park<br />
Kultury<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Die neue Tretjakow Galerie, gelegen<br />
gegenüber dem Park Kultury i odycha<br />
(Kultur- <strong>und</strong> Erholungspark) am Ufer<br />
Moskwa wurde uns von unserer Wirtin<br />
Julia empfohlen. Der Museumswärter<br />
schwärmt besonders von der<br />
Ausstellung der "blauen Rose". Also<br />
beginnen wir dort unseren R<strong>und</strong>gang.<br />
Die Gemälde im Ausstellungsbereich<br />
der blauen Rose sind größtenteils in<br />
Pastellfarben gehalten. Der große Reiz<br />
dieser Gemälde will sich uns aber nicht<br />
erschließen.<br />
Erst in den Ausstellungsräumen der<br />
oberen Etage finden wir<br />
Anknüpfungspunkte für das, was uns<br />
gefällt. Hier hängen neuzeitliche<br />
Gemälde der sowjetischen<br />
Avantgarde, die schon etwas<br />
Besonderes sind.<br />
Die Monumentalbilder aus der Zeit des<br />
großen Vaterländischen Krieges<br />
dagegen erschlagen uns fast mit Ihrer<br />
Größe <strong>und</strong> machen auf uns einen<br />
plakativen, aber bedrückenden<br />
Eindruck. Zum Teil wurde hier Repin<br />
imitiert aber nicht erreicht. Wie politisch<br />
darf <strong>und</strong> muss ein Künstler sein, ist<br />
16/33<br />
die hier bewegende Frage. Als<br />
Deutscher hat man ein zwiespältiges<br />
Gefühl bei der Betrachtung der<br />
historischen Monumentalbilder aus<br />
dem zweiten Weltkrieg. Das Unheil,<br />
das die Deutschen nach Russland<br />
gebracht haben, wird monumental vor<br />
Augen geführt. Historienbilder.<br />
Als wir die Austeilungsräume verlassen<br />
haben, beobachten wir in einem Atelier<br />
Kinder, die an ihren Staffeleien Malen.<br />
Nach der Ausstellung verweilen wir am<br />
Büfett <strong>und</strong> stärken uns mit Kaffee <strong>und</strong><br />
Kuchen, um anschließend durch den<br />
"Kulturpark" zu schlendern. Die<br />
erhoffte Entspannung soll sich jedoch<br />
nicht einstellen. Aus der einstigen<br />
grünen Oase <strong>und</strong> Erholungsanlage<br />
mitten in <strong>Moskau</strong> ist heute ein<br />
schäbiger, lärmender Rummel<br />
geworden (Im Sommer wird das<br />
anders aussehen). Noch öffnen nur die<br />
Bierbuden. Riesenrad, Karusselle <strong>und</strong><br />
anderen Vergnügungsmaschinen der<br />
Schausteller halten Winterschlaf.<br />
Wahrscheinlich nur deshalb weil der<br />
Kulturpark ziemlich menschenleer ist,<br />
lugt das Morbide aus den Gemäuern<br />
einstiger Tempel der Estradenkultur.<br />
Wir sind froh nach triester Wanderung,<br />
als wir ein geöffnetes Tor finden <strong>und</strong><br />
ein Wachdienstmann uns den Weg zur<br />
nächsten Metrostation weist. Wir<br />
müssen über eine Brücke der Moskwa.<br />
Da die Brücke mit einer futuristischen<br />
Glaskuppel überdacht ist, kommen wir<br />
trockenen Fußes auf die andere Seite<br />
des Ufers der Moskwa, während der<br />
Regen gegen die Scheiben peitscht.<br />
Trotzdem können wir den weiten Blick<br />
über die Moskwa genießen. In der<br />
Ferne dominiert das Schiffsdenkmal<br />
Peter I. Die goldenen Kuppeln der<br />
Kirchen im Kreml wirken vertrauter <strong>und</strong><br />
haben ihre eigene Historie.<br />
Unterwegs kaufen wir Konfekt<br />
(Mischka, Jelenka, Trüffel) <strong>und</strong> eine<br />
Flasche Rotwein. Julia trifft mit uns<br />
zeitgleich an der Haustür ein. Sie
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
kommt mit H<strong>und</strong> Modja vom<br />
Gassigehen. Modja hat wieder seinen<br />
gescheckten Tarnanzug an <strong>und</strong> eine<br />
Mütze in Tarnfarben auf. Nur Stiefel<br />
braucht er heute nicht tragen, da der<br />
Winter in <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> endgültig<br />
vorbei ist. Als wir in der Wohnung sind,<br />
lädt uns Julia zum Abendbrot ein. Sie<br />
hat morgens am Markt Hering gekauft<br />
<strong>und</strong> zaubert daraus einen feinen Salat,<br />
zu dem es Salzkartoffeln, saure<br />
Gurken <strong>und</strong> Rohkostsalat gibt.<br />
Unser Abendbrot geht nahtlos in ein<br />
Plauderstündchen bei Wein <strong>und</strong><br />
Konfekt über. Monika - die Praktikantin<br />
am <strong>Moskau</strong>er Goethe-Institut -<br />
versucht Julia in die Kunst des Origami<br />
einzuführen. Ich falte Papiertauben<br />
<strong>und</strong> lass sie in der Küche fliegen.<br />
Sonntag, 15. April 2006<br />
Vorbereitungen für die Abreise<br />
nach <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong><br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Als wir erwachen, regnet es wieder in<br />
Strömen. Wir können uns also Zeit<br />
nehmen, um unsere Sachen für die<br />
Abreise zu packen. Gemütlich<br />
frühstücken wir <strong>und</strong> schreiben noch<br />
etwas Tagebuch. Als der Regen<br />
nachlässt, verabreden uns mit Romi an<br />
der MGU. Wir übergeben ihm eine<br />
Reisetasche zur Aufbewahrung, um<br />
unser Gepäck etwas zu reduzieren.<br />
Anschließend fahren wir gemeinsam<br />
Richtung Tretjakow Galerie, um von<br />
dort aus einen Spazierung auf einer<br />
nahe gelegenen Insel in der Moskwa<br />
zu machen. Hier treffen sich<br />
Hochzeitspaare, die mit Stretch-<br />
Limousinen vorgefahren kommen, um<br />
hier am Ufer der Moskwa Champagner<br />
zu trinken. Auf der Insel gibt es auch<br />
eine relativ neue Skulpturengruppe<br />
vom Bildhauer Mikhail Schemyakin<br />
über die Sünden der Menschen <strong>und</strong><br />
ihren verderblichen Einfluss auf die<br />
17/33<br />
Kinder. Der Künstler zeigt Laster der<br />
Menschen in allegorischen Skulpturen.<br />
Die Skulpturen verkörpern Arroganz,<br />
Gewaltverherrlichung, Sadismus,<br />
Maßlosigkeit, Kinderarbeit, Armut,<br />
Krieg, Drogensucht, Prostitution,<br />
Diebstahl.<br />
Nach der Betrachtung der Skulpturen<br />
schlendern wir weiter am Ufer der<br />
Moskwa entlang, um den<br />
Schokoladenladen der Konfekt- <strong>und</strong><br />
Schokoladenfabrik Krassny Okktjabr<br />
(Roter Oktober) aufzusuchen. Hier<br />
kann man günstig <strong>und</strong> frisch das<br />
beliebte, eingewickelte <strong>Moskau</strong>er<br />
Konfekt kaufen. Kurz nachdem wir den<br />
Laden betreten haben, stürzt eine<br />
Truppe Chinesen im Anzug (vermutlich<br />
Manager) in den Laden <strong>und</strong> drängelt<br />
uns rüpelhaft bei Seite. Doch haben<br />
wir unsere Einkäufe bereits getätigt<br />
<strong>und</strong> lassen die Geschäftsleute zurück.<br />
Am Ufer der Moskwa haben wir eine<br />
schöne Aussicht auf den Kreml. Am<br />
Kempenski-Hotel überqueren wir die<br />
Moskwa, um uns an der Basilika vorbei<br />
Richtung Kitai gorod zu bewegen. Hier<br />
kennt Romi ein Szenecafe, in dem<br />
viele junge Leute verkehren. Wir finden<br />
noch einen freien Tisch. Nachdem wir<br />
etwas zum Essen bestellt haben,<br />
korrigiert Jani eine Hausarbeit von<br />
Romi. Sie behandelt Georg Büchner<br />
<strong>und</strong> das Langeweile-Moment in seinen<br />
Arbeiten. Lange Weile tritt beim lesen<br />
des Manuskripts nicht auf. Man<br />
braucht jedoch gute Nerven, um bei<br />
der Techno-Musik den nicht ganz<br />
einfachen Text zu lesen. Als wir<br />
zahlen, ist es bereits Abend <strong>und</strong> Zeit,<br />
unser Gepäck von Julia zu holen. Wir<br />
erleben noch die Badezeremonie:<br />
Modja in der Badwanne <strong>und</strong> die Katze<br />
schaut vom Rand der Wanne zu.<br />
Abschiednehmen fällt Julia <strong>und</strong> uns<br />
sehr schwer...<br />
Romi bringt uns zum Leningradskij<br />
Woksal (Bahnhof). Unser Zug ist schon
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
eingefahren. Das Zugabteil teilen wir<br />
mit einer fre<strong>und</strong>lichen Leningraderin,<br />
die in <strong>Moskau</strong> zur Dienstreise war. In<br />
der Nacht machen wir allerdings kaum<br />
ein Auge zu, da das Abteil vollkommen<br />
überheizt ist.<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong>, Sonntag, 16. April<br />
2006<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Pünktlich um 6.38 Uhr treffen wir in<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> ein. Es ist etwas<br />
früh, um unser Quartier aufzusuchen.<br />
Deshalb frühstücken wir erst in Ruhe,<br />
holen Geld vom Automaten, besorgen<br />
uns Metrofahrkarten <strong>und</strong><br />
vervollständigen in einem kleinen<br />
Bahnhofskaffee unser Tagebuch.<br />
Vorweg etwas zur Geschichte der<br />
Stadt:<br />
Am 16. Mai 1703 beschloss der<br />
russische Zar Peter I an der schönen<br />
Newa die Errichtung einer Stadt. Er<br />
wollte eine neue Hauptstadt<br />
Russlands, nach westlichem Vorbild,<br />
schaffen. Sein Werk wurde auch nach<br />
seinem Tode fortgesetzt. Mit dem<br />
barock-klassizistischen Zentrum gehört<br />
das "Venedig des Nordens", wie St.<br />
<strong>Petersburg</strong> häufig genannt wird, zu<br />
den schönsten Städten Europas.<br />
Heute leben mehr als 5 Millionen<br />
Menschen in St. <strong>Petersburg</strong>. Diese<br />
Stadt ist die nördlichste<br />
Millionenmetropole der Welt, die<br />
jüngste ihrer Größe weltweit. In Europa<br />
ist sie die 4. größte Stadt <strong>und</strong> hat<br />
soviel Einwohnern, wie Berlin,<br />
Frankfurt <strong>und</strong> München zusammen<br />
aufbringen. Obwohl erst vor 303<br />
Jahren gegründet (da gab es New<br />
York schon über 80 Jahre), ist die<br />
Innenstadt ein bewohntes, lebendiges<br />
architektonisches Kleinod <strong>und</strong><br />
Weltkulturerbe. Die Museen <strong>und</strong><br />
Bühnen der Stadt sind weltberühmt...<br />
18/33<br />
Gegen 8.30 Uhr machen wir uns auf<br />
den Weg. Wir müssen bis zur<br />
Metrostation Udelnaja. Aus der<br />
Bahnhofshalle führt ein direkter Weg<br />
zur Metrostation. Unser erster Eindruck<br />
ist, hier in <strong>Sankt</strong> Peterburg ist alles<br />
etwas ruhiger. Die Menschen rennen<br />
nicht kreuz <strong>und</strong> quer. Die Jugendlichen<br />
sind nicht so aufgestylt <strong>und</strong> das<br />
Bierflaschentrageritual scheint nicht so<br />
verbreitet zu sein. Ob es am<br />
Sonntagmorgen liegt, oder ob <strong>Sankt</strong><br />
<strong>Petersburg</strong> einen anderen<br />
Lebensrhythmus als <strong>Moskau</strong> hat,<br />
wollen wir in den nächsten Tagen<br />
herausfinden. Bald werden wir merken,<br />
dass uns unser erster Eindruck trügt.<br />
Die Ruhe ist eher der sonntäglichen<br />
Frühe zuzuschreiben. Trotzdem ist<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> nicht <strong>Moskau</strong>. Jeder<br />
<strong>Petersburg</strong>er <strong>und</strong> <strong>Moskau</strong>er wird das<br />
bereitwillig bestätigen: heimliche <strong>und</strong><br />
echte Hauptstadt Russlands wetteifern<br />
miteinander.<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Udelnaja ist ein nördlicher Vorort von<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong>. Wir orientieren uns<br />
am Engels-Prospekt <strong>und</strong> finden das<br />
Haus, in dem wir wohnen sollten<br />
problemlos. Romi hatte uns aus dem<br />
Internet eine Anfahrtsskizze erstellt.<br />
Doch als wir vor dem Haus stehen gibt<br />
es die Wohnungsnummer, Quartier<br />
167, die uns Alexander Vinokurov<br />
aufgeschrieben hatte, nicht. An den<br />
Hauseingängen stehen keine Namen,<br />
sondern nur Nummern, so dass die<br />
Suche nach einem bestimmten<br />
Bewohner aussichtslos ist. Auch die<br />
Telefonnummer, die uns Alexander,<br />
mein Klarinettenlehrer, aufgeschrieben<br />
hatte, stimmte nicht mehr. Zwei Ziffern<br />
haben sich verändert. Wir verstehen in<br />
der telefonischen Ansage nur nicht, an<br />
welcher Stelle die Änderung der<br />
Telefonnummer erfolgen muss.<br />
Oben angekommen öffnet uns eine<br />
sehr kleine, kugelr<strong>und</strong>e, aufgeregte
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Frau die Tür. In russisch überfällt sie<br />
uns mit ihrem Redeschwall: "Kommen<br />
Sie herein, kommen Sie herein. Wann<br />
sind Sie angekommen? Ich warte<br />
schon seit heut morgen. Mit welchem<br />
Zug sind Sie gekommen <strong>und</strong> warum<br />
kommen Sie erst jetzt hier?." Wir<br />
versuchen zu erklären, dass wir wegen<br />
der frühen Morgenst<strong>und</strong>e <strong>und</strong> der<br />
Tatsache, dass schließlich Sonntag<br />
sei, auf dem Bahnhof gefrühstückt <strong>und</strong><br />
etwas gewartet hatten, um sie nicht so<br />
früh zu stören. Dann hatten wir einige<br />
Schwierigkeiten die richtige Wohnung<br />
zu finden - aber schließlich seien wir ja<br />
nun angekommen. Marina stellt fest,<br />
dass zwei Ziffern der von Alexander<br />
aufgeschriebenen Telefonnummer<br />
falsch sind <strong>und</strong> die Quartiernummer<br />
stimmt auch nicht. Das wussten wir<br />
inzwischen aus eigenem Erleben.<br />
Trotzdem ebbt ihre Aufregung lange<br />
nicht ab.<br />
"Setzen Sie sich. Erholen sie sich!" Wir<br />
setzen uns ins Wohnzimmer. "Erholen<br />
Sie sich! Erholen Sie sich! Sind Sie<br />
müde? Was kann ich Ihnen anbieten?<br />
Möchten Sie Tee?" Wir bejahen die<br />
letzte Frage, betonen aber noch<br />
einmal, dass wir schon gefrühstückt<br />
haben. Marina saust in die Küche,<br />
kocht Tee <strong>und</strong> deckt den Tisch.<br />
Zwischendurch ruft sie immer: "Was<br />
habe ich jetzt noch vergessen? Ah, die<br />
Butter." Und schon wieder rennt sie<br />
los. Wir fragen, ob wir helfen können.<br />
"Nein, nein erholen Sie sich!" Dann<br />
bringt Marina, Brot mit Butter, Käse<br />
<strong>und</strong> Wurst, Tee <strong>und</strong> Warenie<br />
(Marmelade für den Tee). Sie läuft wie<br />
ein Wiesel, aber mit jedem Teller <strong>und</strong><br />
jeder Tasse einzeln. Früher hatte<br />
immer ihr Mann alles vorbereitet, wenn<br />
Gäste kamen, aber er ist vor einem<br />
Jahr verstorben, erklärt sie uns. Wir<br />
frühstücken ein zweites Mal. Und sie<br />
feuert uns dabei an, "Essen Sie, essen<br />
sie: Nehmen Sie noch Butter, nehmen<br />
Sie Wurst!!! Was möchten Sie zum<br />
Abend essen?" Eine unerwartete<br />
19/33<br />
Herzlichkeit wird uns<br />
entgegengebracht.<br />
Wir äußern erst mal den Wunsch, eine<br />
Weile auszuruhen <strong>und</strong> zu schlafen,<br />
<strong>und</strong> dass wir die Suppe, die sie<br />
gekocht hat später essen würden.<br />
Darauf hin beginnt Marina unser<br />
Zimmer vorzubereiten. Wir sehen sie<br />
laufen <strong>und</strong> schwitzen. Sie läuft mit<br />
einem Kissen fort <strong>und</strong> kommt mit einer<br />
Decke zurück. Dann flitzt sie wieder<br />
aus dem Zimmer <strong>und</strong> holt einen<br />
Bezug. Es rumpelt <strong>und</strong> stöhnt. Marina<br />
taucht wieder auf <strong>und</strong> kramt in einem<br />
Schrank. Wieder ein Kissen, wieder<br />
rumpeln, rascheln <strong>und</strong> stöhnen. Dann<br />
kam sie wieder zu uns sagte, "Uh ist<br />
mir heiß, ihnen nicht?" Ich frage<br />
wieder, ob ich helfen könne. "Erholen<br />
Sie sich, Erholen Sie sich.", war die<br />
Antwort. Die kleine, recht stämmige<br />
Marina holt einen Hocker <strong>und</strong> klettert<br />
darauf, stellt sich auf die Zehen <strong>und</strong><br />
wühlt im obersten Schrankfach. Uns<br />
wird ganz angst <strong>und</strong> bange. Ich<br />
versuche ihr etwas abzunehmen, denn<br />
ich komme auch ohne Hocker an die<br />
verstauten Kissen <strong>und</strong> Decken heran,<br />
aber das lässt sie nicht zu. Wir atmen<br />
auf, als sie endlich heil vom Hocker<br />
kommt <strong>und</strong> zur weiteren Vorbereitung<br />
wieder im Zimmer verschwindet.<br />
Dann ist es soweit. Wir können in<br />
unser Reich einziehen. Noch müde<br />
von der kurzen Nacht legen wir uns<br />
sofort schlafen. Die Couch ist gut<br />
gepolstert. Wir kommen uns vor wie<br />
Prinzessin <strong>und</strong> Prinz auf der Erbse <strong>und</strong><br />
schlafen auch bald ein.<br />
Als wir wieder munter werden, hören<br />
wir leise Geräusche aus dem Priomnik,<br />
das ist ein russischer<br />
Drahtfunkempfänger mit einem<br />
Sender. Früher war so ein Gerät in<br />
allen Wohnungen installiert <strong>und</strong> lief von<br />
morgens 6 bis 24 Uhr. Die<br />
Tagessendungen wurden um<br />
Mitternacht mit der Nationalhymne
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
beendet <strong>und</strong> begannen früh wieder mit<br />
ihr.<br />
Wenn man das Gedudel nicht mehr<br />
hören will, kann man nur den Stecker<br />
zu ziehen. Sonst bleibt selbst bei<br />
leisester Stellung des Drehknopfes<br />
immer noch ein Hintergr<strong>und</strong>geräusch.<br />
Nach zwei St<strong>und</strong>en Schlaf stehen wir<br />
auf <strong>und</strong> beschließen, noch einmal in<br />
die Stadt zu fahren. Aber bevor wir<br />
können, hat Marina schon begonnen,<br />
Wasser in Wanne zu lassen, damit wir<br />
uns frisch machen können. Sie ist eine<br />
wirklich liebenswürdige Gastgeberin.<br />
Ich wasche mir bei der Gelegenheit<br />
gleich die Haare. <strong>Wolfgang</strong> muss auch<br />
gleich noch in die Wanne <strong>und</strong> danach<br />
gibt es schon wieder etwas zu essen.<br />
Das zuvor erlebt Ritual des<br />
Tischdeckens wiederholt sich.<br />
Zwischendurch werde ich gründlich in<br />
die Geheimnisse <strong>und</strong><br />
Erforderlichkeiten des Haushaltes<br />
eingeweiht. Mir wurde haargenau<br />
erklärt, wo was liegt, wie das Gas an-<br />
<strong>und</strong> abgestellt <strong>und</strong> die Tür geschlossen<br />
<strong>und</strong> geöffnet wird. Jeder Handgriff<br />
muss durch mich mehrmals verrichtet<br />
werden, bis Marina von meiner<br />
Kompetenz überzeugt ist. Dann meint<br />
sie: "Molodez", was so viel wie<br />
"Prachtkerl" heißt, <strong>und</strong> sie geht zur<br />
nächsten Einweisung über.<br />
Das Essen ist reichlich <strong>und</strong> sehr gut.<br />
Dazu gibt es selbstgemachten Wein<br />
aus der Zweiliter Cola-Flasche.<br />
Gesättigt haben wir nur noch das<br />
dringende Bedürfnis, ein wenig an die<br />
Luft zu kommen <strong>und</strong> spazieren zu<br />
gehen. Marina will uns gleich begleiten<br />
<strong>und</strong> die Wohnumgebung erklären. Sie<br />
kennt zwei Gaststätten gleich um die<br />
Ecke, wo man gut <strong>und</strong> preiswert essen<br />
kann. Doch wir reden ihr zu, dass sie<br />
sich erst einmal erholen soll. Wir<br />
werden schon alles selber finden.<br />
20/33<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Gegen 16.00 Uhr kommen wir dann<br />
endlich los <strong>und</strong> fahren gleich mit der<br />
Metro zum Newskiprospekt. Der<br />
"Newski" ist die Hauptstraße von <strong>Sankt</strong><br />
<strong>Petersburg</strong>, eine sehr belebte<br />
Magistrale. Menschenmassen sind hier<br />
unterwegs <strong>und</strong> ständig in Bewegung.<br />
Aber nicht nur Touristen <strong>und</strong><br />
Passanten tummeln sich hier. Der<br />
Neweski ist ebenfalls ein Eldorado für<br />
Taschendiebe, wie wir noch hören<br />
werden <strong>und</strong> leider auch selbst erlebt<br />
haben. Die Großstädte der Welt<br />
unterscheiden sich in dieser Beziehung<br />
wohl kaum.<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> ist im Herzen der<br />
Stadt eine lebendiges<br />
Architekturdenkmal. Mit seinen vielen<br />
gut erhaltenen Jugendstielbauten <strong>und</strong><br />
Palästen ist der Neski nicht nur eine<br />
interessante Einkaufsmeile, sondern<br />
für den Besucher mit seiner gepflegten<br />
Bausubstanz ein äußerst imposantes<br />
Erlebnis. Die Prachtstraße führt, wie<br />
die anderen Hauptmagistralen auch,<br />
direkt auf die Admiralität zu.<br />
<strong>Petersburg</strong> wurde einst nach einem<br />
Gesamtplan konzipiert <strong>und</strong> die<br />
Hauptverkehrsachsen laufen auf einen<br />
zentralen Punkt, den <strong>Sankt</strong> Isaak-Platz<br />
zu. Am Newski gibt es, wie schon zu<br />
Zarenzeiten, viele Nobelgeschäfte für<br />
Gutbetuchte.<br />
Aus der Metro kommend sieht man<br />
zuerst die Kasaner Kathedrale. Sie<br />
wurde 1801 - 1811 im klassizistischen<br />
Stil erbaut. Zar Paul I. hatte dem<br />
Baumeister den Auftrag gegeben, den<br />
Petersdom zu kopieren. Hier, lgeich<br />
neben der Kasaner Kathedrale,<br />
unterquert der Kanal Gribojedowa den<br />
Newski. Entlag des Kanals spazieren<br />
wir nunmehr ein Stück. In Höhe des<br />
einstigen Leningrader Finanz- <strong>und</strong><br />
ingenieurökonomischen Instituts<br />
"Palmiro Togliatti", der heutigen<br />
Staatlichen Universität für Ökonomie
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
<strong>und</strong> Finanzen, wird der Kanal von einer<br />
sehr schmuckvollen Fußgängerbrücke<br />
überspannt. Links <strong>und</strong> rechts der<br />
Brücke halten jeweils zwei Löwen mit<br />
goldenen Flügeln in ihren Mäulern die<br />
stählernen Trosse der Hängebrücke.<br />
In dem Institut hatte ich vor dreißig<br />
Jahren zur Zeit der weißen Nächte im<br />
Internat gewohnt. Erika Siegamann,<br />
eine Studienfre<strong>und</strong>in, die<br />
Preisökonomie studierte <strong>und</strong> die ich<br />
aus der HfÖ kannte, bestach die<br />
Diensthabende des Internats mit einen<br />
Büstenhalter aus DDR-Produktion,<br />
damit ich unangemeldet während<br />
meines Leningrader Aufenthalts im<br />
Internat unterkommen konnte...<br />
Mitte April ist der Gribojedowakanal<br />
noch weitestgehend zugefroren. Auf<br />
dem Eis liegen massenweise leere<br />
Flaschen <strong>und</strong> anderer Müll. Leider<br />
gehen die <strong>Petersburg</strong>er <strong>und</strong> ihre Gäste<br />
nicht ordentlicher mit ihrer Stadt als<br />
die <strong>Moskau</strong>er mit ihrer Umwelt um.<br />
Dort wo kein Reinigungskommando<br />
hinkommt, bleibt der Müll liegen.<br />
Immerhin gibt es hier <strong>und</strong> da einen<br />
Papierkorb, der aber meist überquillt.<br />
Nachdem wir die Gorochowaja Straße<br />
hochspaziert sind, wieder den Newski<br />
überquert haben, liegt der Schlossplatz<br />
in seiner vollen Pracht im Licht der<br />
Abendsonne vor uns. In der Mitte steht<br />
die Alexandersäule. Sie wurde von<br />
Auguste Ricard de Montferrand 1829-<br />
34 zum Gedenken an den Sieg<br />
Alexanders über Napoleon <strong>und</strong> die<br />
französische Armee aus einem<br />
einzigen Granitblock mit einer Höhe<br />
von 47,5 m errichtet.<br />
Montferrand (1786-1858) knüpft dabei<br />
an römische Traditionen an <strong>und</strong><br />
gestaltet eine dorische Säule, an deren<br />
Spitze das Sinnbild für den Sieg<br />
Russlands thront: Eine Engelsfigur, die<br />
eine Schlange zertritt. Der Monolith mit<br />
einem Eigengewicht von ca. 650 t ruht<br />
21/33<br />
ohne Verankerung auf einem<br />
Bronzesockel, der auf Reliefs<br />
Ereignisse aus dem Krieg gegen<br />
Napoleon in allegorischer Umsetzung<br />
trägt. Allein die Aufstellung der Säule,<br />
bei der mit Antonio Adamini ein<br />
weiterer Tessiner Baufachmann<br />
maßgeblich beteiligt war, stellt eine<br />
Meisterleistung der Ingenieure dar.<br />
Vom Schlossplatz hat man einen<br />
w<strong>und</strong>erschönen Blick auf das<br />
Winterpalais <strong>und</strong> auf das<br />
Generalstabsgebäude. Auf dem Platz<br />
sausen Jugendliche mit ihren<br />
Rollerplaids, Skateboards oder<br />
Kunsträdern umher. Ein quäkender<br />
Lautsprecher lädt ununterbrochen<br />
Touristen zu Stadtr<strong>und</strong>fahrten ein. Da<br />
wir nun schon ziemlich ermüdet sind,<br />
nehmen wir das Angebot nicht an,<br />
schlagen einen Bogen <strong>und</strong> wandern<br />
wieder in Richtung unserer<br />
Metrostation.<br />
Nach Hause zurückgekehrt gelingt es<br />
uns wieder nicht, die Haustür zu<br />
öffnen. Wir klingeln <strong>und</strong> werden<br />
eingelassen. Wie sich herausstellt,<br />
braucht man außer dem Zahlencode<br />
noch ein löffelförmiges Instrument, um<br />
die Tür zu öffnen. Am Abend<br />
unterhalten wir uns noch ein Weilchen<br />
mit Marina <strong>und</strong> trinken Wodka. Da uns<br />
die Müdigkeit immer noch in den<br />
Knochen steckt, verabschieden wir uns<br />
jedoch bald zur guten Nacht <strong>und</strong><br />
gehen schlafen.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Montag, 17. April 2006<br />
Juwelierny Salon<br />
Kronstadt / Finnischer<br />
Meerbusen<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Als wir kurz vor 10 Uhr erwachen,<br />
freuen wir uns über das schöne<br />
Wetter. Marina ist schon zur Arbeit <strong>und</strong><br />
so können wir uns in gewohnter Ruhe<br />
auf den Tag vorbereiten. So lieb<br />
Marina ist, so ist doch etwas<br />
anstrengend, da sie ununterbrochen<br />
mit einer etwas hochtonig, krächzender<br />
Stimme etwas erklären oder erzählen<br />
muss. Manchmal sehnen wir uns da<br />
nach Julias zurückhaltende Art <strong>und</strong><br />
Gelassenheit.<br />
Das Handy klingelt. Roman rät uns,<br />
ans Meer zu fahren, der Finnische<br />
Meerbusen sei noch zugefroren <strong>und</strong><br />
gebe ein sehr schönes Bild ab.<br />
Außerdem warnt er uns vor<br />
Taschendieben, die hier noch drei mal<br />
schlimmer seien als in <strong>Moskau</strong>. Der<br />
Mutter seines Fre<strong>und</strong>es sei in einem<br />
kurzen Moment der Unaufmerksamkeit<br />
die Handtasche ausgeräumt worden...<br />
Wir studieren die Karte <strong>und</strong><br />
beschließen nach Kronstadt, einer<br />
kleinen Stadt auf der Insel Kotlin zu<br />
fahren. Die Insel war lange Zeit<br />
unbesiedeltes Grenzland zwischen<br />
Russland <strong>und</strong> Schweden. Erst Anfang<br />
des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts begann durch<br />
Peter I. der Aufbau Kronstadts. Die<br />
Festungsstadt wurde zunächst<br />
errichtet, um St. <strong>Petersburg</strong> vor<br />
Angriffen der schwedischen Flotten zu<br />
schützen. Nach dem Krieg blieb<br />
Kronstadt der Sitz der Admiralität <strong>und</strong><br />
der sowjetischen bzw. russischen<br />
Baltikflotte. Bis 1997 konnte die Stadt<br />
nur mit einem offiziellen Passierschein<br />
betreten werden, sie blieb bis dahin<br />
eine geschlossene Militärstadt. Heute<br />
leben etwa 45.000 Menschen auf der<br />
22/33<br />
nur 15 km² große Insel. Die einzige<br />
Straßenverbindung mit dem Festland<br />
ist der 1984 eröffnete Damm über den<br />
Nördlichen Kanal. Übrigens ist seit<br />
März 1995 Kronstadt eine Partnerstadt<br />
von Mühlhausen (Thüringen).<br />
Bevor wir uns auf den Weg begeben<br />
werden wir an der Metrostation<br />
Udelnaja noch einen Blick in einen<br />
Juwelierny Salon. Bereits in <strong>Moskau</strong><br />
war ich in einigen Läden <strong>und</strong><br />
enttäuscht darüber, wie mager das<br />
Angebot gegenüber früheren Zeiten<br />
ausfiel. Trotzdem wollte ich mir eine<br />
goldene Kette kaufen, da mir das<br />
russische Rotgold wesentlich besser<br />
gefällt als das in Deutschland übliche<br />
Gelbgold.<br />
Welch eine Überraschung, gerade<br />
dieser kleine Laden am Stadtrand von<br />
<strong>Petersburg</strong> entsprach wesentlich eher<br />
meiner Vorstellung <strong>und</strong> Erfahrung von<br />
einem russischen Juwelier, als die<br />
großen Läden in <strong>Moskau</strong>. Schnell finde<br />
ich die richtige Kette für mich. Ein paar<br />
kleine, relativ preiswerte goldene<br />
Ohrringe gefallen mir außerdem. Wer<br />
weiß ob ich noch einmal nach<br />
Russland komme. Ich schiebe<br />
zunächst das Kaufvorhaben auf den<br />
letzten Tag unserer Reise, aber Wolli<br />
meint, das können wir gleich erledigen.<br />
Also kaufen wir beides <strong>und</strong> ich erhalte<br />
eine Rabattkarte für weitere Gold-<br />
Großeinkäufe.<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Dann geht es mit der Metro zur Station<br />
Staraja Derewnija (altes Dorf), einer<br />
der typischen, doch recht staubigen<br />
Neubausiedlungen. Von hier nehmen<br />
wir ein Marschrutny Taxi (Kleinbus)<br />
nach Kronstadt. Die Anfahrt erfolgt<br />
über den schmalen Hochwasserdamm.<br />
Schon von weitem sieht man die 70<br />
Meter hohe Kuppel der<br />
Marienkathedrale. Sie wurde Anfang
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts im Stil der<br />
Konstantinopler Hagia Sophia errichtet.<br />
Doch wir wollen zunächst das<br />
zugefrorene Meer sehen. Wir laufen<br />
den Leninprospekt entlang <strong>und</strong> fragen<br />
eine ältere Dame, wo es zum Meer<br />
geht. Es geht durch einen Durchbruch<br />
der vom Zahn der Zeit angenagten<br />
roten Festungsmauer. Doch plötzlich<br />
stehen wir vor einem Zauntor, an dem<br />
steht, dass es nur mit einem Propusk<br />
(Ausweis) zu passieren ist. Also<br />
fragen wir den Wachhabenden, ob wir<br />
auf dem Gelände ein wenig spazieren<br />
gehen könnten. Zunächst will er das<br />
seinen Vorgesetzen entscheiden<br />
lassen, der jedoch gerade nicht in der<br />
Nähe ist. Er lässt uns passieren.<br />
Es stellt sich heraus, dass wir auf<br />
einem Gelände eines Bootshauses für<br />
Angler gelangt sind. Bootshaus ist<br />
vielleicht nicht der richtige Begriff, denn<br />
jeder Angler hat nach seinen<br />
Vorstellungen einen kleinen<br />
verschließbaren Verschlag aus Blech<br />
<strong>und</strong> Holz. gebaut. Diese Verschläge<br />
reihen sich meterweit aneinander <strong>und</strong><br />
machen, teilweise verrostet, teilweise<br />
gestrichen einen etwas provisorischen<br />
Eindruck. Links <strong>und</strong> rechts liegen<br />
Boote, zum Teil am Boden zum teil auf<br />
Böcken. Der Pfad ist etwas<br />
aufgeweicht <strong>und</strong> Jani will wieder<br />
umkehren. Ich dagegen möchte das<br />
Meer sehen. Also wagen wir uns noch<br />
ein Stück vor, bis wir die Eisfläche vor<br />
uns sehen. In der Ferne kann man den<br />
Hochwasserdamm erkennen, den wir<br />
vor kurzer Zeit mit der Marschrutka<br />
überquert hatten.<br />
Jetzt wollen wir aber den "richtigen"<br />
Strand von Kronstadt kennen lernen.<br />
Und wir kehren wieder um. Am Tor<br />
fragen wir nochmals den Wachmann,<br />
wie es zum Strand geht. Er weist uns<br />
den Weg, der aber zu Fuß ziemlich<br />
lang ist. Der Strand befinde sich am<br />
äußersten östlichen Zipfel der Insel...<br />
23/33<br />
Wir lassen uns nicht beirren <strong>und</strong><br />
marschieren los. An einer<br />
Straßenecke sehen wir einen großen<br />
schwarzen Klumpen. Als wir näher<br />
kommen, erkennen wir, dass hier ein<br />
technischen Denkmal der Kriegsflotte,<br />
ein Unterseeboot, an Land liegt. Es<br />
wirkt auf uns nicht sehr<br />
vertrauenserweckend, doch die<br />
Dienstjahre dieses Bootes, die an einer<br />
Schautafel notiert sind, belegen, dass<br />
es wohl einmal schwimm- <strong>und</strong><br />
tauchfähig gewesen sein muss.<br />
Unser weiterer Sparziergang bestätige,<br />
was im Reiseführer geschrieben steht.<br />
Kronstadt ist eine provinziell<br />
anmutende aber auch erholsame<br />
Kleinstadt. Viele Häuser stehen<br />
verlassen <strong>und</strong> dem Zerfall<br />
preisgegeben da oder werden zum<br />
Kauf angeboten. Durch eine schmale<br />
Pappelallee, auf der Mütter ihre<br />
Kinderwagen hin- <strong>und</strong> herschieben,<br />
gelangen wir zu einer Mole <strong>und</strong> dem<br />
Strand der Stadt. Die Mole mag im<br />
Sommer als Anlegstelle für<br />
Ausflugsboote dienen. Jetzt macht sie<br />
einen ziemlich verlassenen Eindruck.<br />
Auch die beiden Wachtürme, die hier<br />
an der Mole stehen, sind verlassen<br />
<strong>und</strong> ragen wie Zinken in den Himmel.<br />
Der "Strand" entspricht unseren<br />
Erwartungen: Eine etwa 1000 - 2000<br />
Quadratmeter große Fläche ist mit<br />
Kies aufgefüllt. Für den Saisonstart<br />
sind schon neue Kiesberge angefahren<br />
worden, die nur noch verteilt werden<br />
müssen. Die öffentliche Toilette hat<br />
schon geöffnet. Die Klofrau fegt den<br />
Weg, doch keiner der wenigen hier<br />
vorbeikommenden Passanten hat ein<br />
öffentliches Bedürfnis. Zumindest ist<br />
diese beschauliche Ecke mit Mole,<br />
Strand <strong>und</strong> Ausblick zur Fahrrinne der<br />
Hochseeschiffe ein lohnendes<br />
Ambiente für photo shoots.<br />
Danach begeben wir uns auf den<br />
Rückweg, laufen vorbei an der
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Marienkathedrale. Das bekannteste<br />
Denkmal von Kronstadt befindet sich<br />
auf dem Jakornaja-Platz vor der<br />
Kathedrale. Es ist zum Gedenken an<br />
Admiral Makarow errichtet worden. Er<br />
nahm an verschiedenen Weltreisen<br />
statt <strong>und</strong> wurde mit der Gold-Medaille<br />
der russischen Geographischen<br />
Gesellschaft ausgezeichnet. In<br />
Kronstadt hatte er fünf Jahre das<br />
Kommando über den Hafen, ehe er<br />
1904 die Stadt verließ, um am<br />
russisch-japanischen Krieg<br />
teilzunehmen. Dort fiel er am 13. April<br />
1904. Der anschließende Streit<br />
zwischen St. <strong>Petersburg</strong> <strong>und</strong><br />
Kronstadt, in welcher Stadt ein<br />
Denkmal für den Admiral aufgestellt<br />
werden sollte, endete zugunsten<br />
Kronstadts.<br />
Wir lassen uns nicht beirren <strong>und</strong><br />
marschieren los. An einer<br />
Straßenecke sehen wir einen großen<br />
schwarzen Klumpen. Als wir näher<br />
kommen, erkennen wir, dass hier ein<br />
technischen Denkmal der Kriegsflotte,<br />
ein Unterseeboot, an Land liegt. Es<br />
wirkt auf uns nicht sehr<br />
vertrauenserweckend, doch die<br />
Dienstjahre dieses Bootes, die an einer<br />
Schautafel notiert sind, belegen, dass<br />
es wohl einmal schwimm- <strong>und</strong><br />
tauchfähig gewesen sein muss.<br />
Unser weiterer Sparziergang bestätige,<br />
was im Reiseführer geschrieben steht.<br />
Kronstadt ist eine provinziell<br />
anmutende aber auch erholsame<br />
Kleinstadt. Viele Häuser stehen<br />
verlassen <strong>und</strong> dem Zerfall<br />
preisgegeben da oder werden zum<br />
Kauf angeboten. Durch eine schmale<br />
Pappelallee, auf der Mütter ihre<br />
Kinderwagen hin- <strong>und</strong> herschieben,<br />
gelangen wir zu einer Mole <strong>und</strong> dem<br />
Strand der Stadt. Die Mole mag im<br />
Sommer als Anlegstelle für<br />
Ausflugsboote dienen. Jetzt macht sie<br />
einen ziemlich verlassenen Eindruck.<br />
Auch die beiden Wachtürme, die hier<br />
24/33<br />
an der Mole stehen, sind verlassen<br />
<strong>und</strong> ragen wie Zinken in den Himmel.<br />
Der "Strand" entspricht unseren<br />
Erwartungen: Eine etwa 1000 - 2000<br />
Quadratmeter große Fläche ist mit<br />
Kies aufgefüllt. Für den Saisonstart<br />
sind schon neue Kiesberge angefahren<br />
worden, die nur noch verteilt werden<br />
müssen. Die öffentliche Toilette hat<br />
schon geöffnet. Die Klofrau fegt den<br />
Weg, doch keiner der wenigen hier<br />
vorbeikommenden Passanten hat ein<br />
öffentliches Bedürfnis. Zumindest ist<br />
diese beschauliche Ecke mit Mole,<br />
Strand <strong>und</strong> Ausblick zur Fahrrinne der<br />
Hochseeschiffe ein lohnendes<br />
Ambiente für photo shoots.<br />
Danach begeben wir uns auf den<br />
Rückweg, laufen vorbei an der<br />
Marienkathedrale. Das bekannteste<br />
Denkmal von Kronstadt befindet sich<br />
auf dem Jakornaja-Platz vor der<br />
Kathedrale. Es ist zum Gedenken an<br />
Admiral Makarow errichtet worden. Er<br />
nahm an verschiedenen Weltreisen<br />
statt <strong>und</strong> wurde mit der Gold-Medaille<br />
der russischen Geographischen<br />
Gesellschaft ausgezeichnet. In<br />
Kronstadt hatte er fünf Jahre das<br />
Kommando über den Hafen, ehe er<br />
1904 die Stadt verließ, um am<br />
russisch-japanischen Krieg<br />
teilzunehmen. Dort fiel er am 13. April<br />
1904. Der anschließende Streit<br />
zwischen St. <strong>Petersburg</strong> <strong>und</strong><br />
Kronstadt, in welcher Stadt ein<br />
Denkmal für den Admiral aufgestellt<br />
werden sollte, endete zugunsten<br />
Kronstadts.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Dienstag, 18. April 2006<br />
Umtausch im Juwelierny Salon;<br />
Besuch der Eremitage; Kaffee 01;<br />
Klau der Kamera<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Heute morgen unternehme ich ganz in<br />
Ruhe einen erneuten Versuch, um den<br />
Verschluss meiner neuen Ohrringe zu<br />
schießen. Wollis Hilfe lehne ich ab,<br />
denn mir tut bereits das linke<br />
Ohrläppchen sehr weh vom vielen<br />
Ziehen <strong>und</strong> Quetschen, dem<br />
vorabendlichen Bemühen Wollis,<br />
meine Ohrringe zu befestigen.<br />
Auch der erneute Versuch misslingt.<br />
Daher beschließen wir, noch einmal<br />
zum Juwelier zu gehen <strong>und</strong> einen<br />
Umtausch zu versuchen. Wir erkennen<br />
sofort unsere Verkäuferin. Noch strahlt<br />
sie. Als wir jedoch unsere Bitte<br />
vortragen, sagt sie, dass ein Umtausch<br />
der Ohrringe wegen der Hygiene nicht<br />
möglich sei. Wir bleiben aber<br />
hartnäckig <strong>und</strong> schauen uns schon mal<br />
nach anderen Ohrringen um. Nachdem<br />
auch das Argument, dass der<br />
Natschalnik (Geschäftsführer) noch<br />
nicht im Laden ist, bei uns nicht zieht,<br />
beginnt eine Prozedur, die wir nicht<br />
erwartet haben, die aber die<br />
Ablehnung unseres<br />
Umtauschansinnens verständlich<br />
erscheinen lässt. Zunächst werden die<br />
zurückgegebenen Ohrringe eingehend<br />
auf Beschädigungen geprüft. Dann<br />
dürfen wir uns in den Vitrinen nach<br />
neuen Ohrringen umschauen. Relativ<br />
schnell finde ich andere schöne<br />
Ohrringe, die gut passen. Immer<br />
wieder werde ich befragt, ob es nun<br />
diesmal die richtigen sind <strong>und</strong> ob sie<br />
auch passen. Als ich das mehrfach<br />
bestätigt habe, beginnt der<br />
Schreibkram, Umtauschformulare<br />
müssen ausgefüllt werden. Auch beim<br />
dritten Formular werde ich noch<br />
befragt, warum ich keinen<br />
25/33<br />
Vatersnamen habe. Insgesamt musst<br />
ich 5 verschiedene Formulare<br />
unterschreiben. Das alles dauerte etwa<br />
eine halbe St<strong>und</strong>e. Doch diese<br />
Prozedur hatte letztlich für uns auch<br />
einen Vorteil. Wir konnten den Bonus<br />
der Rabattkarte in Anspruch nehmen,<br />
den ich Tags zuvor als "Geschenk"<br />
bekam.<br />
Nach diesem erfolgreichen Handel<br />
geht es mit der Metro zum Newski<br />
Prospekt. Die Station ist sehr zentral<br />
gelegen. Vor hier erreicht man viele<br />
Sehenswürdigkeiten der Stadt zu Fuß.<br />
Unser Ziel ist die Eremitage. Ein<br />
Großteil der Sammlungen der<br />
Eremitage befindet sich im<br />
Winterpalais. Schon der Eingang von<br />
der Seite des Schlossplatzes in das<br />
Winterpalais ist ein Blickfang. Ein<br />
schmiedeisernes Tor mit Vergoldungen<br />
gibt den Weg in einen schönen Hof<br />
des Palastes frei.<br />
Der von Rastrelli entworfene<br />
Winterpalast gehört zu den<br />
hervorragendsten Gebäuden seiner<br />
Zeit. Die Einrichtung des ehemaligen<br />
Zarenpalastes <strong>und</strong> Zentrums des<br />
russischen Reiches ist eine<br />
Ansammlung kleiner W<strong>und</strong>erwerke. Es<br />
gibt wohl nur noch 2 vergleichbare<br />
Museen auf der Welt: Den Louvre in<br />
Paris <strong>und</strong> das Metropolitan Museum in<br />
New York. Die Eremitage ist mit 3<br />
MILLIONEN Exponaten <strong>und</strong> über 300<br />
Sälen ein Gigant unter den<br />
Sammelstätten menschlichen<br />
Schaffens. Sie ist selbst ein<br />
Kunstwerk. Die Kunstschätze der<br />
Eremitage können weder an einem<br />
Tag besichtigt noch hier beschrieben<br />
werden. Wir interessieren uns<br />
besonders für die westeuropäischen<br />
Meister - von Leonardo da Vinci bis<br />
Pablo Picasso.<br />
Darüber hinaus sind wir von den<br />
Werken Rembrands, Renoairs, Goyas,<br />
<strong>und</strong> Kandinskis besonders angetan.
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Jeder Saal des Winterpalais ist bereits<br />
für sich ein architektonisches Kleinod.<br />
Die prunkvollen Decken,<br />
Seidentapeten, Stuckverzierungen <strong>und</strong><br />
vor allem die Intarsien im Parkett<br />
beeindrucken die Besucher.<br />
Marmorvasen <strong>und</strong> Stielmöbel<br />
schmücken die Säle des Palastes. Hin<br />
<strong>und</strong> wieder hat man aus den Fenstern<br />
schöne Ansichten auf den<br />
Schlossplatz oder auf die Newa <strong>und</strong><br />
die gegenüberliegend Peter-Paul-<br />
Festung.<br />
Wir verlassen die Eremitage erst, als<br />
bereits das Aufsichtspersonal zum<br />
Aufbruch drängt. Um uns zu stärken,<br />
gehen wir anschließend in der Nähe<br />
des Newski Prospektes in ein kleines<br />
gemütliches Kaffee.<br />
Als wir das Kaffee verlassen, ist der<br />
Newski Prospekt vom spätabendlichen<br />
Sonnenlicht durchflutet. Wolli nimmt<br />
noch eine Filmsequenz vom dichten<br />
Passantenstrom auf, um diese<br />
Stimmung festzuhalten. Nur wenige<br />
Schritte weiter sitzen zwei junge<br />
Frauen auf einem Fenstersims <strong>und</strong><br />
trommeln, um ihr Budget mit einigen<br />
Rubeln aufzubessern. Wolli hat schon<br />
ein 10-Rubel-Schein in der Hand, um<br />
die Musikanten zu belohen.<br />
Als er jedoch diese Szene mit der<br />
Videokamera festhalten will <strong>und</strong> seine<br />
Hand ins Nichts der Jackentasche<br />
greift, ist die Stimmung dahin. Die<br />
rechte Jackentasche, wo sich vor 2<br />
Minuten noch die Kamera befand, ist<br />
unbeschädigt aber leer. Ist Romi nun<br />
ein Hellseher, wenn er uns noch kurz<br />
zuvor per Handy vor den gefährlichen<br />
Taschendieben in St. <strong>Petersburg</strong> warnt<br />
oder bestätigt sich der Aberglaube im<br />
Zusammenhang mit den schwarzen<br />
Katzen? Wir erinnern uns nämlich,<br />
dass uns heute morgen eine schwarze<br />
Katze von links nach rechts über den<br />
Weg lief <strong>und</strong> "von links nach rechts,<br />
26/33<br />
bringt Schlecht's.", heißt es doch im<br />
Volksm<strong>und</strong>.<br />
Mittwoch, 19. April 2006<br />
Peter <strong>und</strong> Paulfestung; Kasanski<br />
Sobor (Kasaner Kathedrale);<br />
Eremitagetheater<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Eines der ältesten Bauwerke von<br />
<strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> ist die Peter-Paul-<br />
Festung. Sie liegt auf einer kleinen<br />
Insel im Newa-Delta. Am 16. Mai 1703<br />
soll hier der erste Spatenstich erfolgt<br />
sein, im Herbst desselben Jahres<br />
arbeiteten ca. 20 000 Männer an der<br />
Errichtung des Bollwerks. 1706 wurden<br />
die Erdwälle durch eine dicke<br />
Steinummauerung in der Form eines<br />
unregelmäßigen Sechsecks ersetzt.<br />
Die Eckpunkte sicherten Bastionen, die<br />
nach den Adligen benannt sind, die<br />
den Bau leiteten. Der Bau aller<br />
Befestigungsanlagen war in der ersten<br />
Hälfte des 18. Jahrh<strong>und</strong>erts vollendet.<br />
Seiner Funktion als<br />
Befestigungsanlage musste das<br />
Bauwerk allerdings nie gerecht<br />
werden. Seit 1717 nutzte man einen<br />
Teil des Komplexes als Gefängnis. So<br />
wurde beispielsweise Dostojewski hier<br />
inhaftiert, bevor man ihn nach Sibirien<br />
deportierte <strong>und</strong> der Bruder Lenins<br />
verbrachte in der Festung nach seinem<br />
Attentatsversuch auf den Zaren die<br />
letzten Tage vor seiner Hinrichtung.<br />
Die Peter-Paul-Festung sollte man<br />
schon gesehen haben, aber vielleicht<br />
nicht in der Vorsaison, wenn fast alle<br />
Gebäude mit Schutznetzen umhüllt<br />
sind, <strong>und</strong> Bauarbeiter wie Spechte,<br />
den Putz von den<br />
renovierungsbedürftigen Fassaden<br />
abklopfen. Wir lassen den Spaziergang<br />
trotzdem nicht vermiesen <strong>und</strong> werden<br />
im Licht einer Gewitterstimmung mit<br />
vielen Motiven zum Fotografieren<br />
entschädigt. Der Engel, der als
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Wetterfahne auf der Peter-Paul-<br />
Kathedrale (gebaut 1712-1733) thront,<br />
glitzert im Sonnenlicht vor dem düstren<br />
Himmel. Am Newator sehen wir, wie<br />
sich Enten auf Eisschollen im<br />
Sonnenlicht rekeln.<br />
Anschließend überqueren wir bei<br />
Hagelschauer <strong>und</strong> Sonnenschein die<br />
berühmte Troiskibrücke. Sie ist die<br />
zweitlängste Brücke der Stadt (582 m)<br />
<strong>und</strong> Dank ihres Jugendstieldekors eine<br />
der schönsten. Besonders bekannt<br />
sind Ansichten ihrer nächtlichen<br />
Öffnung während der weißen Nächte<br />
zwischen 2 Uhr <strong>und</strong> 4.40 Uhr.<br />
Für den Abend wollen wir dann noch<br />
Karten für das Ballett Schwanensee<br />
von Peter Tschaikowski besorgen.<br />
Aus der <strong>Petersburg</strong>er Times hatten wir<br />
erfahren, dass heute dies Aufführung<br />
im Eremitagetheater stattfindet. Die<br />
Suche des Eremitagetheaters erweist<br />
sich als äußerst schwierig, denn kaum<br />
einer der vielen Passanten, die wir<br />
nach dem Weg dorthin befragen, weist<br />
uns den richten Weg. So irren wir<br />
umher <strong>und</strong> bleiben in ständiger<br />
Bewegung. Durch den Hinweise zweier<br />
älterer Damen finden wir schließlich<br />
den Theatereingang am Newa-Ufer<br />
<strong>und</strong> erfahren vom Wachhabenden,<br />
dass es die Karten für den Abend an<br />
einer Kasse in der Eremitage zu<br />
kaufen gibt.<br />
Erneut umr<strong>und</strong>en wir also das<br />
Winterpalais, denn der Eingang<br />
befindet sich genau auf der Rückseite<br />
des Palastes. An der Kasse<br />
angekommen, müssen wir uns den<br />
Preis von 2.100 Rubel erst einmal<br />
überdenken. Mit diesem fürstlichen<br />
Preis pro Karte haben wir nicht<br />
gerechnet.<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Also gehen wir erst einmal eine<br />
Kleinigkeit essen <strong>und</strong> nutzen die<br />
Gelegenheit, ein paar Kartengrüße zu<br />
schreiben. Dann besichtigen wir die<br />
27/33<br />
Kasaner Kathedrale, die im Stil des<br />
Peterdorms in Rom erbaut wurde. Am<br />
Eingang der Kirche zählen wir 8 Bettler<br />
(Invaliden, Alte <strong>und</strong> Frauen mit<br />
Kindern). Gerade an den Kirchen <strong>und</strong><br />
in den Gängen der Metro sind häufig<br />
Bettler zu sehen. Diesen Widerspruch<br />
zwischen bettelarm <strong>und</strong> reich<br />
begegnen wir nicht zum ersten Mal.<br />
Erst kürzlich beobachteten wir einen<br />
jungen Mann, der mit einem siebener<br />
BMW im Halteverbot vor einem Kaffee<br />
parkte, um dann in einem noblen Kaffe<br />
mit seiner Fre<strong>und</strong>in zu dinieren.<br />
Als wir die Kirche betreten, kommen<br />
wir gerade zu einem Gottesdienst.<br />
Etwas abseits stehend verfolgen wir<br />
die Zeremonie des Gottesdienstes. Wir<br />
entfernen uns, schützen uns am<br />
Ausgang unter dem Kolonnadengang<br />
vor einem Regenschauer <strong>und</strong><br />
überlegen, ob wir den Nachhausweg<br />
antreten. Doch der Metroeingang ist für<br />
1 ½ St<strong>und</strong>en aus uns nicht erklärlichen<br />
Gründen geschlossen. Wolli schlägt<br />
vor, noch einmal direkt zum<br />
Eremitagetheater zu gehen, um nach<br />
Eintrittskarten für das Ballett zu fragen.<br />
Karten sind noch zu haben, allerdings<br />
zum gleichen Preis wie - schon zuvor -<br />
an der Theaterkasse. Wir entschließen<br />
uns trotzdem zwei Karten zu kaufen,<br />
denn 65 kann bei uns auch eine<br />
Ballettkarte kosten <strong>und</strong> hier erwartet<br />
uns ein authentisches Musik- <strong>und</strong><br />
Tanzerlebnis. Wir haben es nicht<br />
bereut. Dank der frühen St<strong>und</strong>e<br />
können wir bei freier Platzwahl die<br />
besten Plätze ausprobieren, bevor wir<br />
uns entscheiden, wo wir Platz nehmen.<br />
Die für russische Verhältnisse<br />
gehobenen Preise sorgen dafür, dass<br />
vor allem Ausländer das Theater<br />
besuchen. Sie fotografieren <strong>und</strong> filmen<br />
beeindruckt vom Amphitheater <strong>und</strong> der<br />
überwältigenden Ballettaufführung<br />
sogar während der Vorstellung<br />
hemmungslos. Erst der beherzte<br />
Auftritt der Administratorin des
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Eremitagetheaters, übrigens unter<br />
Beifall der Mehrzahl der Gäste, bietet<br />
diesem Treiben ein Ende.<br />
Das Orchester spielt ausdrucksvoll<br />
Tschaikowskis Musik. Es wird dirigiert<br />
vom Ehrentitelträger <strong>und</strong><br />
"Volksschauspieler Russlands"<br />
Stanislaw Gorkowjenko. Besonders<br />
beeindruckt uns der Tanz der Königin<br />
der Schwäne Odette. Auch der<br />
Hofnarr bekommt großen Beifall. Seine<br />
Sprünge sind besonders kraftvoll <strong>und</strong><br />
hoch.<br />
Während der Pause sitzen wir bei<br />
einem Glas Sekt zusammen mit den<br />
Tänzern <strong>und</strong> Musikern im<br />
Theaterkaffee.<br />
Donnerstag, 20. April 2006<br />
Isaaks Kathedrale; Spaziergang<br />
im Holländischen Viertel<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
An einem für April ungewöhnlich<br />
schönem Tag in St. <strong>Petersburg</strong> (die<br />
Niederschlagshäufigkeit des Monats<br />
liegt bei durchschnittlich 8 Tagen)<br />
besuchen wir die Isaaks Kathedrale.<br />
Im Volksm<strong>und</strong> wird die Kathedrale das<br />
"Tintenfass Gottes" genannt. Nach<br />
dem Petersdom in Rom <strong>und</strong> der St.<br />
'Cathedral in London ist sie der<br />
drittgrößte Kuppelbau der Welt. Die<br />
jetzt zu besichtigende Kirche ist bereits<br />
die vierte, die an gleicher Stelle erbaut<br />
wurde. Schon 1710 ließ Peter I. hier<br />
eine hölzerne Kirche errichten, die dem<br />
Hl. Isaak von Dalmatien geweiht war -<br />
der Geburttag Peters ist nach dem<br />
orthodoxen Kalender der Namenstag<br />
dieses Heiligen. Mit dem Bau der<br />
Kathedrale wurde der erst kurz zuvor<br />
aus Paris in <strong>Petersburg</strong> eingetroffene<br />
Baumeister A. Montferrand beauftragt.<br />
Paris ist jedoch nicht <strong>Petersburg</strong>.<br />
28/33<br />
Der Bau bereitete ungeheure<br />
Probleme - die Kirche steht am<br />
sumpfigen Ufer der Newa. Es gab nur<br />
eine Lösung zur Befestigung des<br />
Untergr<strong>und</strong>es: Tausende von<br />
Holzpfähle bilden das F<strong>und</strong>ament.<br />
Noch bevor die Außenwände errichtet<br />
wurden, stellte man die 48 Säulen auf,<br />
jede aus einem Monolithen gehauen<br />
<strong>und</strong> 110 t schwer. Der Ingenieur A.<br />
Berancourt ersann das Verfahren, um<br />
die Säulen aufzustellen, die die Kuppel<br />
tragen. Jede der Säulen wiegt 67 t <strong>und</strong><br />
musste in 40 m Höhe aufgestellt<br />
werden. Das Modell der<br />
ingenieurtechnischen Leistung kann<br />
man heute im Inneren der Kathedrale<br />
besichtigen.<br />
1842 war der Bau beendet, aber es<br />
dauerte noch 16 Jahre, bis auch die<br />
prunkvolle Innenausstattung fertig war.<br />
Über 200 Künstler waren<br />
Ausgestaltung beteiligt, die edelsten<br />
Materialien wurden verwendet -<br />
Malachit, Lazurit, Porphyr, alle<br />
möglichen Sorten Marmor, Malereien,<br />
Mosaike <strong>und</strong> natürlich jede Menge<br />
Gold. Die überreiche Verwendung<br />
verschiedener Gesteinsarten trug der<br />
Kirche bald den Spitznamen<br />
"Geologisches Museum Russlands"<br />
ein. Heute freuen wir uns über diese<br />
Vielfalt der künstlerischen Ideen.<br />
Doch wir beginnen mit der Außenfade.<br />
Zuerst erreichen wir über eine<br />
Wendeltreppe mit 562 Stufen die<br />
Kolonnaden. Wir sind 43 Meter über<br />
der Stadt. Ein beeindruckender<br />
R<strong>und</strong>blick! Man erkennt heute sogar<br />
deutlich den Stadtrand <strong>und</strong> die Newa-<br />
Bucht.<br />
In luftiger Höhe kann man sich gar<br />
nicht satt sehen. Andauernd<br />
versuchen wir den einen oder anderen<br />
Blick mit dem Fotoapparat<br />
einzufangen. Hier oben entdecken wir,<br />
dass in <strong>Petersburg</strong> die Dächer der<br />
Stadt fast ausschließlich mit
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
Blechplatten gedeckt sind. Nur ein<br />
neuer großer Palast hat ein Glasdach.<br />
Fensterputzer sind mit Eimer <strong>und</strong><br />
Besen unterwegs, um ihn zu säubern.<br />
Als wir lange genug die Aussicht<br />
genossen haben, erobern wir das<br />
Innere der Kathedrale. Wir sind sofort<br />
von ihrer Größe beeindruckt. Der<br />
Raum der Kathedrale kann 10.000 bis<br />
12.000 Personen fassen. Die Wände<br />
<strong>und</strong> Säulen der Kathedrale sind mit<br />
Halbedelsteinen <strong>und</strong> Marmor<br />
verkleidet. Die Kuppel ist mit<br />
Gemälden von Karl Pullow <strong>und</strong> Fedor<br />
Bruni verziert. Das in Purpur gehaltene<br />
Jesusbild im Fenster der Kathedrale<br />
leuchtet uns entgegen. Im Inneren des<br />
Sakralbaus darf gegen eine Gebühr<br />
von 50 Rubel fotografiert werden.<br />
Unsere Apparate klicken<br />
ununterbrochen. Und das in einem<br />
Sakralbau. Das ist ungewöhnlich, da in<br />
Kirchen meist nicht fotografiert werden<br />
darf.<br />
Zu Sowjetzeiten war diese Kathedrale -<br />
wie viele andere Kirchen auch - ein<br />
Museum. Besonders interessant war<br />
ein weltliches Experiment, dass<br />
bewies, das sich die Erde um die<br />
Sonne bewegte: in der Kuppel hing ein<br />
Foucault'sches Pendel mit dem die<br />
Drehung der Erde nachgewiesen<br />
wurde. Der französische Physiker Jean<br />
Bernard Foucault (1819 - 1868) hat in<br />
den Jahren 1850 <strong>und</strong> 1851 mit Hilfe<br />
eines Fadenpendels nachgewiesen,<br />
dass die Erde um ihre Polachse rotiert.<br />
Eine nach dem gleichen Prinzip<br />
arbeitende Versuchsanordnung nennt<br />
man Foucault'sches Pendel.<br />
Bekanntlich schwingen Pendel immer<br />
in derselben Ebene, je länger der<br />
Pendelarm ist, desto schwerer lässt er<br />
sich ablenken.<br />
Um das zu zeigen wurde ein kleiner<br />
Holzklotz aufgestellt. Es dauerte nicht<br />
lange, bis das an einem 100 Meter<br />
langen Stahlseil hängende Pendel den<br />
29/33<br />
Klotz auf Gr<strong>und</strong> der physikalischen<br />
Gesetze umwarf. Die Erde mit der<br />
Kathedrale darauf hat sich nämlich in<br />
dieser Zeit unter dem gleichmäßig in<br />
seiner Ebene schwingenden Pendel<br />
hinweggedreht. Dieses Pendel gibt es<br />
heute in der Kathedrale nicht mehr,<br />
obwohl noch immer auf mancher<br />
Internetseite oder wissenschaftlichen<br />
Abhandlung über dieses Experiment in<br />
der Isaak-Kathedrale berichtet wird.<br />
Nach meinen Raserchen soll es noch<br />
bis 1991 zu besichtigen gewesen sein.<br />
Nach dem Besuch der Kathedrale<br />
laufen wir Richtung Newa-Ufer zum<br />
Denkmal Peter des Ersten. Es steht in<br />
der Mitte des Dekabristenplatzes. Es<br />
ist <strong>Petersburg</strong>s berühmtestes <strong>und</strong><br />
schönstes Denkmal - der "Eherne<br />
Reiter". Gleich drei Hochzeitspaare<br />
geben sich hier zum Fototermin ein<br />
Stelldichein. Als es uns an der Newa<br />
zu turbulent wird, spazieren wir an der<br />
dem Flüsschen Moika entlang, das<br />
parallel zum Gribojedowa Kanal<br />
verläuft. Das Kaffee "Art deco" lädt uns<br />
zum Verweilen ein. Es ist ein<br />
Treffpunkt für gut betuchte junge<br />
Leute. Es unterscheidet sich von<br />
anderen Kaffees durch sein<br />
angenehmes Ambiente, das unseren<br />
Vorstellungen von ein Kaffee nahe<br />
kommt. Jani hat außerdem ihr eigenes<br />
Qualitätskriterium: das Kaffee hat wohl<br />
die beste Toilette von ganz <strong>Petersburg</strong><br />
(im Kempinski Hotel waren wir<br />
natürlich noch nicht).<br />
Freitag 21. April 2006<br />
Russisches Museum<br />
Piskarowskoje Kladbische<br />
(Friedof)<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Unser Tagesziel ist das Russische<br />
Museum. Meine ursprüngliche<br />
Annahme, dass sich das Museum<br />
direkt neben der Eremitage befindet<br />
(das Gebäude mit dem imposanten
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
von übergroßen Statuen getragenem<br />
Eingang), bestätigt sich nicht. Über die<br />
Jahre geht doch einiges in<br />
Vergessenheit, auch wenn die<br />
Orientierung ohne Stadtplan noch<br />
weitestgehend funktioniert.<br />
Stattdessen müssen wir zurück zum<br />
Gribojedowa Kanal.<br />
Das Museum befindet sich kurz hinter<br />
der Christi Auferstehungs-Kirche.<br />
Bevor wir den R<strong>und</strong>gang beginnen,<br />
stärkten wir uns mit einem Kaffee.<br />
Dann kann der spannende<br />
Spaziergang durch die Jahrh<strong>und</strong>erte<br />
Russischer Malerei beginnen.<br />
Den künstlerischen Zugang zu den<br />
Holzmalereien <strong>und</strong> Ikonen finden wir<br />
beide nicht, da wir mit der Mythologie<br />
der russisch orthodoxen Kirche kaum<br />
vertraut sind. Die Heiligenbilder sagen<br />
uns wenig. Ikonen werden aber hier<br />
besonders verehrt. Ikonen sind<br />
kirchlich geweihte Bilder <strong>und</strong> haben für<br />
die Theologie <strong>und</strong> Spiritualität der<br />
Ostkirchen eine sehr große<br />
Bedeutung. Der Zweck der Ikonen ist,<br />
Ehrfurcht zu erwecken <strong>und</strong> eine<br />
existenzielle Verbindung zwischen<br />
dem Betrachter <strong>und</strong> dem Dargestellten<br />
zu sein, indirekt auch zwischen dem<br />
Betrachter <strong>und</strong> Gott. Ikonen werden in<br />
der Orthodoxen Kirche weder als<br />
Kunstgegenstände noch als<br />
Dekoration angesehen. Sie sind<br />
Bestandteil des geistlichen Lebens der<br />
Gläubigen.<br />
Das Museum zeigt weitere Werke der<br />
russischen Malerei. Uns beeindruckt<br />
vor allem das Schaffen von Repin, die<br />
Bilder von Serov, Kranskoi <strong>und</strong> vor<br />
allem die russische Avantgarde, wie<br />
zum Beispiel Malejew <strong>und</strong> Kandinsky.<br />
Repins Wolgatreidler sind zur Zeit in<br />
Spanien als Leihgabe auf Reisen.<br />
Trotzdem beeindruckt das Museum mit<br />
der Vielfalt <strong>und</strong> Reichhaltigkeit seiner<br />
Exponate. Diesen Reichtum behalten<br />
wir in Erinnerung. Als Andenken<br />
30/33<br />
erwerben wir einen sehr schönen<br />
Kunstband mit dem Werk von Serov.<br />
Als wir gegen 16 Uhr das Haus<br />
verlassen, beschließen wir noch den<br />
Friedhof Piskarowskoje Kladbisch im<br />
Norden der Wyborger Seite<br />
aufzusuchen. Hier befinden sich<br />
Massengräber von fast 500Tausend<br />
Menschen, die während der knapp 900<br />
Tage dauernden Blockade Leningrads<br />
durch die deutsche Wehrmacht<br />
verhungert sind. Der Friedhof wird<br />
heute noch genutzt. Die vielen<br />
eingezäumten Gräber sind typisch für<br />
die Begräbniskultur in Russland.<br />
Sonnabend, 22. April 2006<br />
Zarskoe Selo<br />
Ehrenmal an der <strong>Moskau</strong>er<br />
Chaussee<br />
<strong>Tanja</strong>:<br />
Die Sommerresidenz Katharina der I.,<br />
die später auch von anderen Zaren<br />
genutzt wurde, beeindruckt durch ihre<br />
prachtvolle Fassade in Weiß,<br />
Königsblau <strong>und</strong> Gold. Ein Flötenspieler<br />
am Eingang des Palastes, stimmt uns<br />
auf den Besuch ein. Wir haben Glück<br />
<strong>und</strong> müssen nicht lange nach Karten<br />
anstehen. Füßlinge werden über die<br />
Schuhe gestreift <strong>und</strong> die Führung<br />
durch den Palast kann beginnen. Wir<br />
sind überrascht, dass es hier so viele<br />
individuell gestaltete Räume gibt. Das<br />
Schloss Sanssouci, die<br />
Sommerresidenz Friedrichs des<br />
Großen, das von dem Fre<strong>und</strong> <strong>und</strong><br />
Architekten Georg Wenzeslaus von<br />
Knobelsdorff (1699 bis 1753) nach den<br />
Vorstellungen des Königs in Potsdam<br />
erbaut wurde, erscheint dagegen wie<br />
ein winziges Sommerhaus.<br />
<strong>Wolfgang</strong> gefällt besonders das<br />
Kabinett von Peter I, das mit Malachit<br />
verkleidet ist. Auch das seit kurzem<br />
wieder originalgetreu rekonstruierte<br />
Bernsteinzimmer können wir
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
bew<strong>und</strong>ern. Wir haben schon vorher<br />
Fotos von dem originalgetreu<br />
rekonstruierten Kunstwerk gesehen.<br />
Aber die Fotos können, wie wir selbst<br />
feststellen, den Originaleindruck nicht<br />
wiedergeben. Je nachdem von welcher<br />
Seite man schaut, reflektieren die<br />
Bernsteine funkelnd das einfallende<br />
Licht. Die Farbenpracht reicht von<br />
zartgelb, über ocker bis zum tiefen rot.<br />
Ein eindruckvolles Farbenspiel.<br />
Fotografieren Verboten!<br />
Der prächtige Spiegelsaal ist leider<br />
wegen eines abendlichen Konzertes<br />
gesperrt. Auch die Gemäldesammlung<br />
im Bildersaal ist nicht zugänglich, da<br />
hier Restaurationsarbeiten<br />
durchgeführt werden.<br />
Nach der Führung spazieren wir noch<br />
bei Temperaturen um die Null Grad<br />
durch die Parkanlage. Bäche <strong>und</strong> ein<br />
größerer künstlicher See wurden hier<br />
angelegt, da Peter I Paläste am<br />
Wasser liebte. Im Frühling, Sommer<br />
<strong>und</strong> Herbst mag der Park besonders<br />
beeindrucken. Noch pfeift uns aber ein<br />
eiskalter Wind um die Ohren. Ein<br />
Eisangler sitzt mitten auf dem noch<br />
zugefrorenen See, auf dem im<br />
Sommer kleine Boote fahren. Der<br />
Winter verabschiedet sich mit eisigen<br />
Winden.<br />
An der Haltestelle der Marschrutka<br />
treffen wir ein deutsches Ehepaar, mit<br />
dem wir schon auf der Hinreise kurz<br />
gesprochen hatten. Gemeinsam<br />
begeben wir uns im Marschrutny-Taxi<br />
Richtung <strong>Moskau</strong>er Chaussee. Hier<br />
am Ausgang der Stadt steht ein<br />
riesiges Memorial zu Ehren der<br />
Verteidiger Leningrads <strong>und</strong> der Opfer<br />
der Blockade. Im Rondell mit den<br />
ewigen Flammen wird über<br />
Lautsprecher im Hintergr<strong>und</strong> die 7.<br />
Sinfonie von Dmitri Schostakowitsch<br />
eingespielt, die auch die Leningrader<br />
Sinfonie genannt wird. Die Geschichte<br />
der Uraufführung dieser Sinfonie<br />
31/33<br />
beschreibt das ganze Ausmaß der<br />
Schrecken, die den Leningradern<br />
widerfahren ist. Bei amazon.de kann<br />
man die Symphonie leider nicht ordern.<br />
Wir gehen eine Treppe hinab. Im<br />
unterirdischen Museum des Memorials<br />
ist unter anderem ein Manuskript der<br />
Sinfonie <strong>und</strong> die Geige von<br />
Schostakowitsch ausgestellt. In<br />
anderen Vitrinen sind Gegenstände,<br />
Briefe <strong>und</strong> andere Dokumente aus der<br />
Zeit der Blockade zu sehen, unter<br />
anderem eine Tagesration Brot (120g),<br />
die es damals nur auf Karten gab, wie<br />
wir von Marina schon wussten.<br />
Sonntag, 23. April 2006<br />
Panzerkreuzer Aurora;<br />
Peterhaus; Spaziergang an der<br />
Newa; Abreise aus <strong>Petersburg</strong><br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
An unserem letzten Tag in St.<br />
<strong>Petersburg</strong> unternehmen wir noch<br />
einmal einen ausgedehnten<br />
Stadtspaziergang. Entlang dem Newa-<br />
Ufer laufen wir in Richtung<br />
Panzerkreuzer Aurora. Auf dem Weg<br />
dorthin entdeckten wir - vor einem<br />
großen Wohnblock - ein kleines<br />
Häuschen in einem Park. Jani ist sich<br />
unsicher, ob es das Haus Peter des<br />
Ersten ist. Sie hat es anders in<br />
Erinnerung. Vor wenigen Jahren hat<br />
sie gegenüber dem Haus gewohnt.<br />
Doch die Verunsicherung klärt sich auf.<br />
Die Holzblockhütte Peter I. wurde zum<br />
Schutz vor den Wettereinflüssen mit<br />
einem Steinhaus umbaut, <strong>und</strong> Jani<br />
kannte noch das ursprüngliche<br />
Holzhaus. In dem gegenüber<br />
liegenden Wohnblock hat sie vor mehr<br />
als 15 Jahren einige Tage mit ihrer<br />
Oma bei Bekannten verbracht.<br />
Die Sonne scheint <strong>und</strong> wir spazieren<br />
weiter am Ufer der Newa entlang. Die<br />
Aurora ankert noch immer an
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
traditioneller Stelle. Anders, als viele<br />
andere historische<br />
Sehenswürdigkeiten, kann die Aurora<br />
kostenlos besichtigt werden. Viele<br />
Menschen nutzten die Gelegenheit,<br />
das Schiff zu besichtigen, welches am<br />
25. 0ktober 1917 mit einem<br />
Kanonenschuss das Zeichen für den<br />
Beginn der Oktoberrevolution <strong>und</strong> den<br />
Sturm aufs Winterpalais setzte. Das ist<br />
noch immer ein Symbol, denn mit<br />
diesem Schuss wurde das Ende des<br />
Zarenreiches besiegelt. Revolution <strong>und</strong><br />
Religion scheinen jedoch wieder<br />
vereint, denn auf der Aurora gibt es<br />
heute eine kleine Andachtsstelle mit<br />
Ikonen, an die ich mich nicht erinnern<br />
kann. Bei meinem ersten Besuch zu<br />
Sowjetzeiten gab des dies<br />
Andachtstelle nicht.<br />
Als wir zurück Richtung Peter-Pauls-<br />
Festung laufen, trauen wir unseren<br />
Augen nicht. Auf der Newa sind zwar<br />
noch vereinzelt Eisschollen zu sehen,<br />
aber auf der windgeschützten Seite der<br />
Festung sonnen sich bereits die ersten<br />
<strong>Petersburg</strong>er in Badesachen.<br />
Nachdem wir die Festung umr<strong>und</strong>et<br />
haben überqueren wir einige Brücken,<br />
um zur Börse zu gelangen. Unser<br />
Spaziergang führt uns weiter zum<br />
Newskiprospekt bis hin zur Fontanka,<br />
die an dieser Stelle von einer<br />
besonders schönen Brücke überspannt<br />
wird.<br />
Gegen 18 Uhr erwartet uns Marina mit<br />
einem köstlichen Borsch, Kartoffeln<br />
<strong>und</strong> Hering <strong>und</strong> verschiedenen<br />
Süßigkeiten. Es ist unsere<br />
"Henkersmahlzeit" <strong>und</strong> es wird ein<br />
herzlicher Abschied. Wir haben uns an<br />
einander gewöhnt <strong>und</strong> da fällt<br />
Abschied nehmen besonders schwer.<br />
Noch einmal begeben wir uns in das<br />
Getümmel der Metro. Unser<br />
ursprünglicher Eindruck, dass es in<br />
<strong>Petersburg</strong> ruhiger zugeht, als in<br />
<strong>Moskau</strong>, hatte sich im Laufe der<br />
vergangenen Woche nicht bestätigt.<br />
32/33<br />
Das Zugabteil teilen wir uns mit einem<br />
jungen Paar. Schnell werden die<br />
Liegen hergerichtet. Diesmal ist es<br />
kühl im Abteil <strong>und</strong> wir schlafen relativ<br />
schnell im Rhythmus des<br />
Schiengeratters ein...<br />
Montag, 24. April 2006<br />
Ankunft in <strong>Moskau</strong><br />
Rückflug nach Berlin<br />
<strong>Wolfgang</strong>:<br />
Pünktlich um 5.38 Uhr rollt der Zug in<br />
den Bahnhof. Wir schnappen unser<br />
Gepäck <strong>und</strong> suchen ein offenes<br />
Kaffee.<br />
Wir wollen es wie bei unserer Ankunft<br />
in <strong>Petersburg</strong> handhaben. In dieser<br />
Herrgottsfrühe wollen wir Romi nicht<br />
heimsuchen, sondern zunächst eine<br />
kleine Ankunftspause einlegen. Also<br />
frühstücken wir wie zunächst<br />
ausgiebig, führen unser Tagebuch<br />
weiter, um uns dann mit dem Gepäck<br />
in die von der Rushhour überfüllte<br />
Metro zu drängeln.<br />
Wir freuen uns, Romi noch einmal vor<br />
unserer Abreise zu sehen. Auf einen<br />
weiteren Ausflug in die Stadt<br />
verzichten wir, denn nachmittags geht<br />
unser Flieger <strong>und</strong> wir haben einige<br />
Eindrücke zu verarbeiten, die wir mit<br />
Romi teilen wollen. So ist es uns recht,<br />
dass er für uns einen Passierschein<br />
besorgen kann <strong>und</strong> wir in seinem<br />
Zimmer noch etwas über die<br />
vergangenen Tage plauschen können.<br />
Auf dem Notebook sehen wir uns<br />
Fotos aus <strong>Petersburg</strong> an <strong>und</strong> die Zeit<br />
bis zum Aufbruch vergeht schnell.<br />
Nach dem Mittagessen in der Mensa,<br />
bringt uns Romi nach zum Flughafen<br />
Wnukowo. Schon beim Eintritt in das<br />
Vestibül wird unser Gepäck<br />
durchleuchtet. Der Sicherheitsdienst<br />
entdeckt Janis handgeschmiedetes<br />
Messer im Koffer. Sie hatte es im
<strong>Tanja</strong> <strong>Konzack</strong>. <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong>: <strong>Moskau</strong> <strong>und</strong> <strong>Sankt</strong> <strong>Petersburg</strong> - eine Reisereportage aus Russland. 5. bis 24. April 2006<br />
vorigen Jahr in der Slowakei von<br />
einem Schmied gekauft <strong>und</strong> es sieht<br />
sehr gefährlich aus. Ein Milizionär wird<br />
gerufen <strong>und</strong> das Messer noch einmal<br />
gesondert durchleuchtet.<br />
Erleichterung: Wir dürfen das Messer<br />
wieder im Koffer verstauen. Als wir<br />
dann zur Abfertigung gehen, gibt es<br />
eine erneute Sicherheitssperre. Wir<br />
müssen die Schuhe ausziehen, damit<br />
sie geröntgt werden können. Dann<br />
werfen wir einen Blick zurück, aber<br />
Romi ist schon nicht mehr zu sehen.<br />
Als wir mit der Rolltreppe zum Gate<br />
hochfahren, entdecken wir ihn doch<br />
noch plötzlich doch. Er steht mit einem<br />
Taschentuch winkend auf einer<br />
Empore. Abschied von <strong>Moskau</strong> für<br />
uns! Romi hat noch eine spannende<br />
Zeit vor sich. Er will noch nach Sibirien<br />
reisen.<br />
Das Flugzeug startet etwas verspätet.<br />
Wir haben aber Rückenwind <strong>und</strong><br />
landen pünktlich in Berlin-Schönefeld.<br />
Zu Hause empfangen uns Anja <strong>und</strong><br />
Schäferhündin Bella fröhlich. Zum<br />
Abendbrot gibt es einen frischen Salat<br />
für uns <strong>und</strong> Trockenfutter für Bella.<br />
Internet: www.konzack-horlamus.de<br />
E-Mail: konzack@horlamus.de<br />
Fotos: <strong>Wolfgang</strong> <strong>Horlamus</strong> & Tatjana<br />
<strong>Konzack</strong><br />
Produziert 2006. Alle Rechte liegen bei<br />
den Autoren<br />
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