Gruppenbezogene Menschenfeind - GEW
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RASSISMUS-ANTISEMITISMUS<br />
Antisemitismus:<br />
Juden, die als Täterwahrgenommen<br />
werden, erlauben<br />
es, Gefühle<br />
der Empathie<br />
. . . durch Parteinahme<br />
gegen die<br />
Juden zu ersetzen.<br />
14<br />
E&W 6/2005<br />
E<br />
Das alltägliche Vorurteil über „den Juden“<br />
Defekt der Mehrheitsgesellschaft<br />
Was ist Antisemitismus, Judenfeindschaft<br />
im weitesten Sinn? Das Problem,<br />
so der Antisemitismusforscher<br />
Wolfgang Benz, konfrontiere uns mit<br />
Definitions- und Wahrnehmungsproblemen.<br />
Den Nährboden für den heutigen<br />
Antisemitismus sieht Benz in<br />
der Schuldabwehr für die Nazi-Verbrechen<br />
an den Juden und in der Kritik<br />
am Staat Israel.<br />
In unserer Gesellschaft ist die Tendenz<br />
verbreitet, erst bei manifester<br />
Gewalt oder gar organisierter Verfolgung<br />
von Antisemitismus zu<br />
sprechen. Doch hartnäckig halten<br />
sich Vorbehalte und Stereotypen.<br />
Sie zählen als Alltagsformen von Judenfeindschaft,<br />
zum Kanon diskriminierenden<br />
und ausgrenzenden Verhaltens.<br />
Vorbehalte gegen Juden – und das<br />
gehört zum Begriff des Antisemitismus<br />
– richten sich immer gegen Angehörige<br />
eines Kollektivs. Sie meinen den Einzelnen<br />
ausdrücklich „als Juden“, der als<br />
Träger vermeintlicher traditioneller, religiöser<br />
und kultureller Eigenschaften negativ<br />
charakterisiert wird.<br />
Zu unterscheiden sind dabei vier<br />
Grundphänomene: Erstens der christliche<br />
Antijudaismus, die religiös motivierte,<br />
aber auch kulturell, sozial und<br />
ökonomisch determinierte Form des<br />
Ressentiments gegen Juden seit dem<br />
Mittelalter. Zweitens der scheinbar wissenschaftlich,<br />
anthropologisch und biologistisch<br />
argumentierende Rassenantisemitismus,<br />
der im 19. Jahrhundert entstand<br />
und im Holocaust mündete. Die<br />
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m<br />
dritte Version des Vorbehalts ist aktuell.<br />
Neben den Formen traditioneller Judenfeindschaft<br />
entwickelte sich nach<br />
1945 eine neue Form des Ressentiments,<br />
der sekundäre Antisemitismus. Er ist eine<br />
eigenständige Erscheinung und speist<br />
sich aus Gefühlen der Scham und<br />
Schuldabwehr: Nicht trotz, sondern wegen<br />
Auschwitz werden Ressentiments<br />
gegen Juden mobilisiert.<br />
Der sekundäre Antisemitismus ist ursprünglich<br />
ein westdeutsches Phänomen,<br />
weil er sich an Wiedergutmachungsleistungen<br />
für die Opfer des Holocaust<br />
festmacht. Diese wurden von<br />
der DDR nicht gezahlt. Dafür war eine<br />
andere Erscheinungsform antijüdischer<br />
Ressentiments, der Antizionismus – ein<br />
viertes Phänomen – entscheidender Bestandteil<br />
von Politik und Propaganda<br />
der DDR und prägte folglich auch die<br />
Sozialisation ihrer Bürger. Diese vier<br />
Grundphänomene – religiöser Antijudaismus,<br />
Rassenantisemitismus, sekundärer<br />
Antisemitismus und Antizionismus<br />
– geben den Hintergrund ab für Judenfeindschaft.<br />
Die Motive dafür, wie sie in Zuschriften<br />
an Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen,<br />
an den Zentralrat der Juden in<br />
Deutschland oder die Israelische Botschaft<br />
zum Ausdruck kommen, sind<br />
vielfältig. Anlass bietet oft der Auftritt<br />
jüdischer Prominenz, etwa des Präsidenten<br />
des Zentralrats der Juden oder seiner<br />
Stellvertreter bzw. — oft damit im Zusammenhang<br />
stehende — Presseveröffentlichungen<br />
über meist unangenehme<br />
Ereignisse wie rechtsextreme Exzesse,<br />
Synagogen- oder Friedhofschändung.<br />
Die Leserreaktionen darauf zeigen, dass<br />
die Briefschreiber sich weniger vom Ereignis<br />
als von seiner Kommentierung<br />
beschwert fühlen. Sie wollen nicht mehr<br />
identifiziert werden mit den Tätern,<br />
wollen keinem mit Argwohn beobachteten<br />
Kollektiv von mutmaßlichen<br />
Rechtsextremisten oder Neonazis oder<br />
zumindest Unbelehrbaren angehören<br />
und fühlen sich von Vertretern der Minderheit<br />
zu Unrecht gebrandmarkt. Sie<br />
wehren dies als Anmaßung ab und<br />
bemühen sich, das auslösende Ereignis<br />
als marginal und die jüdische Reaktion<br />
darauf als unverhältnismäßig darzustellen.<br />
Gekränkter Nationalstolz<br />
Nicht zu vergessen das Motiv gekränkter<br />
Nationalstolz: Viele Deutsche wollen<br />
sich nicht über die Geschichte des Nationalsozialismus<br />
definieren lassen und<br />
lehnen es vehement ab, an Ereignisse erinnert<br />
zu werden, die sie nicht mitverantworten<br />
wollen, weil sie erst eine oder<br />
zwei Generationen später geboren sind.<br />
Die Ablehnung von historischer Schuld<br />
ist vielen Nachgeborenen ein nachdrücklich<br />
artikuliertes Bedürfnis, obwohl<br />
keiner einen solchen Vorwurf, der<br />
ja nur unsinnig wäre, erhebt. Damit einher<br />
geht häufig die Ablehnung einer als<br />
Folge des Schuldvorwurfs empfundenen<br />
Erziehungsdiktatur, ausgeübt durch Repräsentanten<br />
der jüdischen Minderheit<br />
im Namen der Opfer über die nichtjüdische<br />
Mehrheit als Repräsentanten der<br />
Täter. So heißt es, man habe ja wirklich<br />
nichts mit der längst historisch gewordenen<br />
Tragödie der Juden zu tun, sei hinlänglich<br />
aufgeklärt und brauche keine<br />
weiteren Belehrungen.