Das Pferd in der Kunst Abb. 1: Reitergruppe, Fries des Parthenons Mehr als jedes andere Tier steht das Pferd, attri buiert mit Anmut, Treue und Stärke, dem Men schen wohl am nächsten. Diese jahrtausendealte, sich stets verändernde Beziehung zwischen Mensch und Pferd findet kontinuierlich Ausdruck in künstlerischen Darstellungen. So reicht die gemeinsame Geschichte von Mensch und Pferd von den Höhlenbewohnern, deren geheimnisvolle Malerei den Beginn einer Tradition des Pferdes in der Kunst markiert, bis zum heutigen Tag, da das Pferd nicht mehr wie in den vergangenen Jahrhunderten elementarer Bestandteil der Alltagskultur ist. Das Pferd ist integraler Aspekt beinahe jeder großen Kultur und Gesellschaft und wird als Ausdruck von tiefem Respekt und Bewunderung in der Kunst verewigt. Die beeindruckenden Wandbilder einiger südfranzösischer Höhlen entstehen vor etwa 30 000 Jahren und zeigen ausdrucksstarke Jagddarstellungen, bei denen das wilde und ungezähmte Pferd das am meisten abgebildete Tier inmitten einer Vielzahl anderer Wildtiere 1 ist. Das frei lebende Steppentier wird im Zusammenhang mit kultischer Jagdmagie auch in Kleinplastiken aus Knochen und Geweih spirituelles Symbol für die Symbiose von Natur und Mensch. Zwar ist das Pferd primär Jagdwild, aber die Sinnlichkeit dieser flüchtigen Tierdarstellungen der Stein und Bronzezeit spiegelt die Faszination 1 Schmalenbach, Werner: Kleiner Galopp durch die Kunstgeschichte, Köln 2002, S. 13ff. für das Lebewesen und die immense Bedeutung der Jagd für das Überleben wider. Die Änderung der Lebensbedingungen für den Menschen führt später zu einer divergenten Wahrnehmung des wilden Pferdes, da die Kultivierung des Bodens letztlich auch die Domestizierung der ehemals gejagten Tiere und deren Verwendung als Nutztier erfordert. Nur selten taucht in der Kunst der Naturvölker das Pferd auf, da es zu diesem Zeitpunkt zu wenig individuelle Bedeutung hat. Erst als das Pferd zum selbstverständlichen Begleiter des Menschen wird und es dessen Lebensstil und Kultur maßgeblich beeinflusst, tritt es als künstlerisches Motiv in Erscheinung. 2 Der Vieh und Pferdebesitz definiert nun in großem Maße die gesellschaftliche Stellung und deutet den Wandel von gewöhnlichem Bauern zu landbesitzendem Adel, von einfachem Reiter zu edlem Ritter an. Die Errungenschaft der Erfindung des Rades, auch in Hinsicht auf dessen symbolische Bedeutung, ist eng verknüpft mit dieser frühen Kulturgeschichte des Pferdes und bildet sich besonders in kultischen Motiven ab. 3 In den erhabenen Pferdedarstellungen der großen Feudalkulturen, wie in Ur, Assur oder Persien, wird dem Pferd eine signifikante und privilegierte Rolle zugewiesen. 4 Seite an Seite mit den mächtigen Großkönigen jener sagenumwobenen Reiche wird das Pferd in Motiven mit größter Symbolkraft zur Glorifizierung der Macht abgebildet. Dies ist der Beginn der enormen Repräsentationsbedeutung des Pferdes für den Menschen, die sich in den folgenden Jahrhunderten zwar modifiziert, aber letztlich bis in die Gegenwart andauert. Von nun an beflügelt das Pferd den Menschen, ist sein edelster und vornehmster Besitz und begleitet ihn bei der Jagd ebenso wie im Kampf. Die Pferde auf Friesen des alten Orients sind stolze und repräsentative Tiere und zeugen als beeindruckende Statussymbole von Macht und Einfluss der herrschenden Elite. Während jedoch die 2 Schmalenbach, Werner: Kleiner Galopp durch die Kunstgeschichte, Köln 2002, S. 18ff. 3 Imhof, Michael: Pferde. Kunst von der Antike bis heute, Petersberg 2010, S. 3ff. 4 Schmalenbach, Werner, a. a. O. 2002, S. 29ff. kraftvollen Tiere der Assyrer in dramatischer Souveränität und Stärke kreativen Ausdruck finden, verharren die stolzen Rösser ägyptischer Reliefs zumeist in eleganter, jedoch statischer Schönheit als Requisite herrschaftlichen Machtanspruchs. 5 Die abstrakten, formelhaften Pferdedarstellungen auf frühgriechischen Terrakotten vermitteln hingegen in ihrer rhythmischgeometrischen Strenge einen zwar ausgesprochen zeremoniellen, aber auch ungemein freien und leichten Charakter, der die Noblesse des Pferdes thematisiert und sich von der offensiven Ikonografie des Orients löst. 6 Von den stilisierten Rössern jener frühen Periode ist es jedoch ein langer Weg zu den faszinierenden Pferden der griechischen Klassik, die in den erhabenen Motiven der epischen Friesdekorationen des Parthenons (Abb. 1) den Höhepunkt künstlerischen Ausdrucks jener Epoche darstellen. Ebenso bedeutend, sowohl hinsichtlich der kulturellen als auch der künstlerischen Wertschätzung, jedoch mittels vollkommen unterschiedlicher künstlerischer Aussagen erscheint das Pferd in der Kunst der ostasiatischen Völker. Die zahlreichen kleinplastischen Preziosen, filigranen Darstellungen auf Keramiken und eine unvorstellbare Fülle von Tuschezeichnungen und Holzschnitten zeigen in einzigartiger Vielfalt das Pferd, oftmals in einfachster Formsprache, jedoch in seiner reinsten Natur voll unabhängigem Stolz und beeindruckender Lebendigkeit. Die über sechshundert Pferde umfassende Terrakottaarmee als Grabbeigabe des ersten chinesischen Kaisers Qin Shihuangdi stammt aus einer Zeit, die wie auch die nachfolgende HanDynastie und TangDynastie mit ihren kraftvoll modellierten Tonfiguren als Blütezeit der Pferdedarstellung in China gilt. 7, 8 Das künstlerische Motiv des Pferdes in der römischen Antike knüpft an die monumentale und vor allem naturalistische Abbildung spätgriechischer Werke an und entwickelt in einer bis dahin einmaligen Intensität eine vollkommen auf Pathos 5 Schmalenbach, Werner, a. a. O. 2002, S. 34ff. 6 Imhof, Michael, a. a. O., 2010, S. 6. 7 Pickeral, Tasmin: Das Pferd. 30 000 Jahre Pferde in der Kunst, Köln 2007, S. 42ff. 8 Harrison, Lorraine: Pferde in Kunst, Fotografie und Literatur, Köln 2000, S. 348. und politische Aussage fokussierte Bildsprache, in der sich das römische Weltreich widerspiegelt. Diese Pferde sind zwar in höchstem Maße idealisiert – sind Staatsrösser und Paradepferde – jedoch in ihrer Detailliertheit und Individualität nicht mehr nur gebändigte Überwesen, sondern kraftvolle Geschöpfe der Natur. Die erlesene Qualität der herrlichen Quadriga von San Marco, deren Haltung, Würde und muskulöse Körperlichkeit noch jahrhundertelang Künstlern als Vorbild dient, lässt erahnen, welche qualitative Fülle die klassische Antike hervorgebracht hat. 9 Während im Römischen Reich noch eine Vielzahl feinster, erhabener Pferde und bedeutender Reiterdarstellungen wie die des Kaisers Mark Aurel (Abb. 2) auf dem Kapitol aus dem Kontext langer kultureller Tradition entsteht, geht dieses hohe künstlerische Wissen im frühen Mittelalter fast gänzlich verloren. 10 Abb. 2: Reiterstatue Mark Aurel, Kapitol, Rom Die christliche Kirche als Erbe des römischen Imperiums ist der Hauptauftraggeber für künstlerisches Schaffen, in dem sich kein Zeichen weltlicher Herrschaft und weltlichen Prestiges widerspiegeln darf. Zwar ist das Mittelalter geprägt von Reiterschlachten und Ritterturnieren, jedoch findet sich das Pferd in der Kunst der höfischen Kultur nur sehr selten oder in wenigen, zumeist stilisierten Abbildungen im biblischen Kontext. 11 9 Schmalenbach, Werner, a. a. O. 2002, S. 62ff. 10 Imhof, Michael, a. a. O., 2010, S. 7. 11 Schmalenbach, Werner, a. a. O. 2002, S. 63ff. 6 7