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Materialien zur Vorlesung "Öffentliche und private Sphäre"

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PD Dr. Wolfgang Fuhrmann, Institut für Musikwissenschaft der Universität Wien<br />

<strong>Vorlesung</strong> „<strong>Öffentliche</strong> <strong>und</strong> <strong>private</strong> Sphäre in der Musik des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts“, SoSe 2011<br />

2. Intimität <strong>und</strong> Massenöffentlichkeit (1): Das Musikfest<br />

Die Verbreitung musikalischer Interessen <strong>und</strong> Aktivitäten über deren traditionelle<br />

Sphäre in Aristokratie <strong>und</strong> Kirche hinaus wird zu Beginn des 19. Jahrh<strong>und</strong>erts<br />

vielfach bemerkt <strong>und</strong> auch bemängelt. Das wirtschaftlich im Aufstieg begriffene<br />

Bürgertum, das in mehreren Revolutionen (1789, 1830, 1848) nach politischer<br />

Macht <strong>und</strong> Repräsentation strebt, schreibt sich zugleich die Kultur auf die Fahnen.<br />

Drastisch formuliert diesen Zusammenhang 1825 ein Autor aus Würzburg in der<br />

Musikzeitschrift Cäcilia, in einem Artikel mit dem schönen Titel „Ein unvorgreifliches<br />

Bedenken über die itzige musikalische Kultur à la mode“:<br />

„Auf dem Angesichte unserer Zeit kokettiren zwei grelle Schönpflästerchen,<br />

nämlich das papierene in Bezug auf Staats- <strong>und</strong> Geschäftsleben, <strong>und</strong>, was die<br />

ästhetische Bildung belangt, das musikalische. Weil nun weder der Land- noch<br />

Gottesfrieden je das Reich der Töne in seine Huth genommen, so ist uns dadurch<br />

freie Fug <strong>und</strong> Macht gegeben, eben dieses letztere zu lüften, um etwa die verdeckte<br />

Pocke zu erk<strong>und</strong>en, die darunter liegen mag.“<br />

Die umfassendste Form, in der sich Bürgertum <strong>und</strong> Nation musikalisch selbst<br />

repräsentieren, zugleich die Form mit dem höchsten Grad an sozialer Inklusivität,<br />

ist das Musikfest.<br />

Definition des deutschen Musikfests: zwei- bis dreitägige musikalische<br />

Veranstaltungen an einem Ort mit regionalen Kräften (im Unterschied zum<br />

Schweizer Musikfest, dem Ursprung der gesamten Musikfestbewegung, an dem die<br />

ganze Nation teilnahm, oder zum österreichischen, das zumindest in Wien große<br />

Oratorien auch mit lokaler Besetzung aufführen konnte). Zunächst durch<br />

Personen, dann durch Vereine organisiert, in der Regel ein- bis zweijährig<br />

wiederkehrend, wobei Ort zyklisch wechselt (z. B. im Niederrheinischen Musikfest:<br />

Elberfeld, Düsseldorf, Köln, Aachen). Kein äußerer Anlass, Aufführungen meist<br />

Pfingsten oder September.<br />

Teilnehmerschaft: gemischter ad-hoc Chor, Orchester manchmal professionell,<br />

Solisten Dilettanten (später Profis), keine Teilnehmerrestriktionen (nach<br />

Vereinszugehörigkeit, Begabung, Sozialstatus, Einkommen o. ä.). Ab den 1840er<br />

Jahren zunehmende Tendenz <strong>zur</strong> Professionalisierung (Berufsmusiker) <strong>und</strong> damit<br />

auch <strong>zur</strong> Kommerzialisierung.<br />

Konzertprogramm: geistliche & weltliche Musik, insbesondere großes Chor-<br />

Orchesterwerk: zunächst bevorzugt Haydns Oratorien, ab 1820/30 Händel.<br />

Daneben effektvoll-triviale Musik wie Friedrich Schneiders – nicht ursprünglich für<br />

ein Musikfest komponiertes – Das Weltgericht. Ausdrücklich für Musikfeste<br />

entstanden Beethovens Christus am Ölberg, Louis Spohrs Das jüngste Gericht, die<br />

Oratorien von Mendelssohn: Elias, Paulus. Als wenig erfolgreich, da zu zart-<br />

© 2011 by Wolfgang Fuhrmann 5

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