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Bildende Kunst und Literatur

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Der Wahn <strong>und</strong> die Träume in W. Jensens ›Gradiva‹<br />

folgt doch der Weisung des manifesten Trauminhaltes nach Pompeji. So<br />

triumphiert der Wahn von neuem, jedesmal wenn Erotik <strong>und</strong> Wider-<br />

stand von neuem streiten.<br />

Diese Auffassung der Reise Hanolds als Flucht vor der in ihm erwa-<br />

chenden Liebessehnsucht nach der so nahen Geliebten harmoniert allein<br />

mit den bei ihm geschilderten Gemütszuständen während seines Auf-<br />

enthalts in Italien. Die ihn beherrschende Ablehnung der Erotik drückt<br />

sich dort in seiner Verabscheuung der Hochzeitsreisenden aus. Ein klei-<br />

ner Traum im albergo in Rom, veranlaßt durch die Nachbarschaft eines<br />

deutschen Liebespaares, »August <strong>und</strong> Grete«, deren Abendgespräch er<br />

durch die dünne Zwischenwand belauschen muß, wirft wie nachträglich<br />

ein Licht auf die erotischen Tendenzen seines ersten großen Traumes.<br />

Der neue Traum versetzt ihn wieder nach Pompeji, wo eben wieder der<br />

Vesuv ausbricht, <strong>und</strong> knüpft so an den während der Reise fortwirkenden<br />

Traum an. Aber unter den gefährdeten Personen gewahrt er diesmal<br />

– nicht wie früher sich <strong>und</strong> die Gradiva – sondern den Apoll von Belve-<br />

dere <strong>und</strong> die kapitolinische Venus, wohl als ironische Erhöhungen des<br />

Paares im Nachbarraum. Apoll hebt die Venus auf, trägt sie fort <strong>und</strong><br />

legt sie auf einen Gegenstand im Dunkeln hin, der ein Wagen oder<br />

Karren zu sein scheint, denn ein »knarrender Ton« schallt davon her.<br />

Der Traum bedarf sonst keiner besonderen <strong>Kunst</strong> zu seiner Deutung.<br />

(G. S. 31.)<br />

Unser Dichter, dem wir längst zutrauen, daß er auch keinen einzelnen<br />

Zug müßig <strong>und</strong> absichtslos in seiner Schilderung aufträgt, hat uns noch<br />

ein anderes Zeugnis für die Hanold auf der Reise beherrschende asexuelle<br />

Strömung gegeben. Während des st<strong>und</strong>enlangen Umherwanderns in<br />

Pompeji kommt es ihm »merkwürdigerweise nicht ein einziges Mal in<br />

Erinnerung, daß er vor einiger Zeit einmal geträumt habe, bei der Ver-<br />

schüttung Pompejis durch den Kraterausbruch im Jahre 79 zugegen ge-<br />

wesen zu sein«. (G. S. 47.) Erst beim Anblick der Gradiva besinnt er sich<br />

plötzlich dieses Traumes, wie ihm auch gleichzeitig das wahnhafte<br />

Motiv seiner rätselhaften Reise bewußt wird. Was könnte nun dies Ver-<br />

gessen des Traumes, diese Verdrängungsschranke zwischen dem Traum<br />

<strong>und</strong> dem Seelenzustand auf der Reise anderes bedeuten, als daß die<br />

Reise nicht auf direkte Anregung des Traumes erfolgt ist, sondern in<br />

der Auflehnung gegen denselben, als Ausfluß einer seelischen Macht, die<br />

vom geheimen Sinne des Traumes nichts wissen will?<br />

Anderseits aber wird Hanold dieses Sieges über seine Erotik nicht froh.<br />

Die unterdrückte seelische Regung bleibt stark genug, um sich durch<br />

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