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Bildende Kunst und Literatur

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Der Wahn <strong>und</strong> die Träume in W. Jensens ›Gradiva‹<br />

zählung bisher niemals geglaubt, wird jetzt durch eine ihm unbekannte<br />

Macht genötigt, an die Wahrheit dieser rührenden Geschichte <strong>und</strong> an die<br />

Echtheit des F<strong>und</strong>stückes zu glauben, erwirbt die Fibula <strong>und</strong> verläßt<br />

mit seinem Erwerb den Gasthof. Im Fortgehen sieht er an einem der<br />

Fenster einen in ein Wasserglas gestellten, mit weißen Blüten behängten<br />

Asphodelosschaft herabnicken <strong>und</strong> empfindet diesen Anblick als eine<br />

Beglaubigung der Echtheit seines neuen Besitztums. Die wahnhafte<br />

Überzeugung durchdringt ihn jetzt, die grüne Spange habe der Gradiva<br />

angehört, <strong>und</strong> sie sei das Mädchen gewesen, das in der Umarmung ihres<br />

Geliebten gestorben sei. Die quälende Eifersucht, die ihn dabei erfaßt,<br />

beschwichtigt er durch den Vorsatz, sich am nächsten Tage bei der Gra-<br />

diva selbst durch das Vorzeigen der Spange Sicherheit wegen seines<br />

Argwohns zu holen. Dies ist doch ein sonderbares Stück neuer Wahn-<br />

bildung, <strong>und</strong> es sollte keine Spur im Traume der nächstfolgenden Nacht<br />

darauf hinweisen!<br />

Es wird uns wohl der Mühe wert sein, uns die Entstehung dieses Wahn-<br />

zuwachses verständlich zu machen, das neue Stück unbewußter Einsicht<br />

aufzusuchen, das sich durch das neue Stück Wahn ersetzt. Der Wahn<br />

entsteht unter dem Einfluß des Wirtes vom Sonnenwirtshaus, gegen den<br />

sich Hanold so merkwürdig leichtgläubig benimmt, als hätte er eine<br />

Suggestion von ihm empfangen. Der Wirt zeigt ihm eine metallene Ge-<br />

wandfibel als echt <strong>und</strong> als Besitztum jenes Mädchens, das in den Armen<br />

seines Geliebten verschüttet aufgef<strong>und</strong>en wurde, <strong>und</strong> Hanold, der kri-<br />

tisch genug sein könnte, um die Wahrheit der Geschichte sowie die Echt-<br />

heit der Spange zu bezweifeln, ist sofort gläubig gefangen <strong>und</strong> erwirbt<br />

die mehr als zweifelhafte Antiquität. Es ist ganz unverständlich, warum<br />

er sich so benehmen sollte, <strong>und</strong> es deutet nichts darauf, daß die Persön-<br />

lichkeit des Wirtes selbst uns dieses Rätsel lösen könnte. Es ist aber noch<br />

ein anderes Rätsel in dem Vorfall, <strong>und</strong> zwei Rätsel lösen sich gern mit-<br />

einander. Beim Verlassen des albergo erblickt er einen Asphodelosschaft<br />

im Glase an einem Fenster <strong>und</strong> findet in ihm eine Beglaubigung für die<br />

Echtheit der Metallspange. Wie kann das nur zugehen? Dieser letzte<br />

Zug ist zum Glück der Lösung leicht zugänglich. Die weiße Blume ist<br />

wohl dieselbe, die er zu Mittag der Gradiva geschenkt, <strong>und</strong> es ist ganz<br />

richtig, daß durch ihren Anblick an einem der Fenster dieses Gasthofes<br />

etwas bekräftigt wird. Freilich nicht die Echtheit der Spange, aber etwas<br />

anderes, was ihm schon bei der Entdeckung dieses bisher übersehenen<br />

albergo klar geworden. Er hatte bereits am Vortage sich so benommen,<br />

als suchte er in den beiden Gasthöfen Pompejis, wo die Person wohne,<br />

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