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theorie des hörspiels und seiner mittel - Mediaculture online

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Was hat Ehrenstein daraus gemacht? Auf einmal ist etwas wie Schillersches,<br />

schicksalsdramatisches Pathos in den Vorgängen. Andererseits werden sie durch die<br />

formelhaft-starre Sprache ganz aus dem Pathos herausgehoben in eine seltsam<br />

opernhafte Naivität, die mit ihren solistisch-ariosen Deklamationen zugleich etwas<br />

Statuarisch-Tragisches hat: jeder vollzieht sein Schicksal – nicht weil er will, sondern weil<br />

er muß. Über dem Ganzen aber liegt, obwohl zum Schluß fast nur Leichen übrig sind, die<br />

Heiterkeit einer Welt, in der alle Taten <strong>und</strong> Untaten – nicht dank einer menschlichen,<br />

sondern dank einer gleichsam natürlichen Gerechtigkeit – sich aufheben. Die<br />

mitschuldigen, bestechlichen Richter empfehlen dem Militärgericht, das demnächst<br />

zusammentritt, gegenüber dem Mörder aus Gerechtigkeit Milde, ohne zu ahnen, wozu er<br />

bereits fest entschlossen ist: er wird, wenn er loskommt, den Rest der Rache auch noch<br />

an den Richtern vollziehen.<br />

Es ist schwer zu erklären, was an Ehrensteins Stück hörspieltypisch ist, beim Hören aber<br />

wird es sofort deutlich. Die Nähe dieser gleichnishaften Vorgänge ist gerade durch die<br />

planvolle Distanzierung spürbar, mehr als sie es durch direkte Identifizierung <strong>und</strong> durch<br />

sentimentale Einfühlung wäre. Die Figuren sind ohne Realität, bloß Schicksal, ähnlich wie<br />

bei den südostasiatischen Schattenspielen – aber gerade <strong>des</strong>halb wird die Leinwand,<br />

über die die Schatten gleiten, identisch mit unserem Gewissen.<br />

An Reinachers Narr mit der Hacke ist das noch leichter zu demonstrieren. Die »Moral«<br />

dieses Stückes scheint von geradezu simpler Direktheit zu sein. Doch nicht darin liegt<br />

seine Wirkung, es müßte sonst je<strong>des</strong> moralische Kindermärchen, das dem Guten zum<br />

Siege verhilft, ähnliche Erschütterungen hervorbringen. Der außerordentliche Eindruck,<br />

der damals von diesem Hörspiel ausging, läßt sich in allen Publikationen der Zeit<br />

feststellen, die sich mit Hörspieldramaturgie befassen. Es gibt wohl keine theoretische<br />

Schrift nach 1930, keinen einschlägigen Aufsatz, der nicht seine Belege immerfort diesem<br />

Werk entnähme. Richard Kolbs vortreffliches Büchlein Das Horoskop <strong>des</strong> Hörspiels<br />

argumentiert fast ausschließlich mit Reinacher-Beispielen. Man war sich schon damals<br />

einig, daß dieser Dichter der Idee <strong>des</strong> Hörspiels nähergekommen war als irgendein<br />

anderer bis dahin, <strong>und</strong> wir können dem heute nur beipflichten.<br />

Die Bewohner eines Dorfs an einer granitenen Felsenküste müssen alle ihre Lasten auf<br />

gefährlich schmalem Pfad, fast über dem Meer schwebend, herantragen. Gleich zu<br />

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