Reportage: Zwischen Tradition und Aufbruch - CARITAS - Schweiz
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<strong>Reportage</strong>: Roma im Kosovo<br />
aber auch ihre Umgebung mit anderen Augen<br />
wahr: Eine Fre<strong>und</strong>in von ihr habe die<br />
Schule mit 15 beenden wollen. Sie habe<br />
aber rechtzeitig gemerkt, dass sie einen Fehler<br />
mache, <strong>und</strong> kehrte wieder zurück. «Das<br />
Leben wäre langweilig ohne Schule», stellt<br />
Senada nüchtern fest. Entsprechend zählt<br />
Heiraten auch nicht zu ihren vordinglichen<br />
Zielen.<br />
Integration fördern<br />
«Wir versuchen ganz gezielt, die Mädchen<br />
zu stärken», sagt Besnik Avdosoji, der im<br />
Auftrag der Initiative 6 das Quartierzentrum<br />
leitet. «Wir haben sehr viele Elterngespräche<br />
geführt. Häufig ist es uns gelungen,<br />
«DIE SITUATION IST UNHALTBAR»<br />
Viele der 40 000 Angehörigen der<br />
RAE-Gemeinschaft im Kosovo (Roma,<br />
Ashkali <strong>und</strong> Egyptians) leben in prekärsten<br />
Verhältnissen. Dies zeigt ein<br />
Besuch in der illegalen Siedlung Ali Ibra<br />
in Gjakova.<br />
Sie sind arbeitslos, leben vom Abfallsam-<br />
meln <strong>und</strong> wohnen in notdürftigsten Behausungen<br />
ohne sanitäre Anlagen. «Die Situation der<br />
Menschen hier ist unhaltbar», sagt Kapllan Hasan,<br />
der Vorsteher der Siedlung. Die praktisch<br />
einzige Möglichkeit, Geld zu verdienen, bietet<br />
die nahegelegene Mülldeponie. Mit Handkar-<br />
12 Caritas «Menschen» 1/10<br />
die Eltern davon zu überzeugen, wie wichtig<br />
eine gute Ausbildung für ihre Töchter ist»,<br />
erzählt er <strong>und</strong> weist aber gleichzeitig darauf<br />
hin, dass noch vieles im Argen liege. «Der<br />
Ausbildungsstand in der RAE-Gemeinschaft<br />
ist noch immer sehr tief.» Das drückt sich<br />
«Das Leben wäre langweilig ohne Schule.»<br />
zum Beispiel darin aus, dass 90 Prozent der<br />
Menschen hier keine geregelte Arbeit haben.<br />
Viele seien von der Sozialhilfe abhängig,<br />
<strong>und</strong> dass diese nur an Familien ausbezahlt<br />
werde, die ein Kind unter fünf Jahren<br />
haben, sei ein komplett falscher Anreiz.<br />
«Wir Roma wollen nicht nur Unterstützung<br />
ren schleppen Erwachsene <strong>und</strong> Kinder Abfall<br />
<strong>und</strong> sortieren diesen in ihren Höfen. Was noch<br />
Materialwert hat, wird verkauft. «Sieben unserer<br />
Kinder sind an Infektionen oder Vergiftungen<br />
gestorben», erzählt Kapllan Hasan. Er setzt<br />
sich vehement dafür ein, dass die Deponie geschlossen<br />
wird. «Sie zerstört unsere Ges<strong>und</strong>heit.»<br />
Das Ende der Tabakindustrie<br />
Zu jugoslawischen Zeiten bot die Tabakproduktion<br />
in Gjakova <strong>und</strong> Umgebung tausend<br />
Menschen eine Arbeit. Die hier wohnenden<br />
Egyptians hatten einen Job in der Fabrik ne-<br />
bekommen, wir wollen auch Steuern zahlen<br />
<strong>und</strong> unseren Beitrag zur Entwicklung dieses<br />
Landes leisten», sagt Besnik Avdosoji mit<br />
Nachdruck.<br />
Das Gemeinschaftszentrum ist Kernstück<br />
eines umfassenden Engagements der<br />
Caritas zur Integration von Minderheiten<br />
im Kosovo. «Unser wichtigstes Anliegen ist<br />
es, dass wir die Gemeinschaft nachhaltig<br />
<strong>und</strong> verlässlich dort unterstützen, wo sie<br />
selbst den grössten Bedarf sieht», sagt Gerhard<br />
Meili, Projektleiter der Caritas<br />
<strong>Schweiz</strong>. Daher arbeitet Caritas auch eng<br />
benan. Aber wie bei vielen staatlichen Unternehmen<br />
ging es nach dem Ende Jugoslawiens<br />
ungebremst bergab. Mit der Schliessung der<br />
Fabrik im Jahr 1998 verloren alle ihre Existenzgr<strong>und</strong>lage.<br />
Und dann kam der Krieg. Die Menschen<br />
in der Siedlung fielen durch alle Netze.<br />
Es kam auch zu gewaltsamen Übergriffen. Die<br />
Sicherheitslage hat sich in den letzten Jahren<br />
wieder verbessert, auch dank dem wachsamen<br />
Auge der Polizei, sagt Kapllan Hasan.<br />
Heute leben r<strong>und</strong> 700 Personen in dieser illegalen<br />
Siedlung.<br />
Caritas unterstützt die Gemeinschaft seit<br />
mehreren Jahren mit humanitärer Hilfe <strong>und</strong> gemeinschaftsfördernden<br />
Aktivitäten. 2007 hat<br />
sich Caritas an der Einrichtung eines Kindergartens<br />
beteiligt. Seither werden deutlich mehr<br />
Kinder in die Primarschulen der Gemeinde<br />
Gjakova eingeschult.<br />
Caritas baut neue Häuser<br />
Im letzten Herbst gab es einen grossen Durchbruch:<br />
Nach intensiven Verhandlungen konnte<br />
Caritas <strong>Schweiz</strong> mit den örtlichen Behörden<br />
<strong>und</strong> der RAE-Gemeinschaft eine Vereinbarung<br />
über ein vollständige Umsiedlung abschliessen.<br />
Die Stadt stellt ganz in der Nähe Land zur<br />
Verfügung, auf dem Caritas noch dieses Jahr<br />
h<strong>und</strong>ert Wohneinheiten bauen wird. «Wir wissen,<br />
dass sich nicht alles über Nacht ändern<br />
kann. Aber die Menschen hier sind glücklich<br />
über diese Entwicklung <strong>und</strong> haben wieder Vertrauen<br />
in die Zukunft geschöpft», sagt Kapllan<br />
Hasan.