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report Salzburg 2012 - Neustart

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SALZBURG <strong>2012</strong><br />

Schulsozialarbeit im Aufwind?<br />

NEUSTART begann im Sommersemester 1999 nach eineinhalbjähriger<br />

Konzeptarbeit an der Polytechnischen Schu le<br />

<strong>Salzburg</strong> mit dem Schulsozialarbeitsprojekt face2face. Die<br />

Ausrichtung war damals wie heute primär eine Präventionsmaßnahme<br />

gegen Gewalt und Kriminalität. NEUSTART<br />

(damals Verein für Bewährungshilfe und Soziale Arbeit)<br />

brachte jahrzehntelange Erfahrung im sozialarbeiterischen<br />

Umgang mit Kriminalität und deren Folgen für Täter und<br />

Opfer, mit Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht mit.<br />

Unsere Mitarbeiter hatten daher ausgezeichnete Voraussetzungen<br />

für präventive Schulsozialarbeit, weil sie die Arbeit<br />

in schwierigem sozialem Umfeld gewöhnt waren, weil<br />

sie das Zusammenspiel der Ämter und Behörden ebenso<br />

kannten wie die gesetzlichen Bestimmungen. Als Mediatoren<br />

und Bewährungshelfer konnten sie offene und versteckte<br />

Konflikte erkennen und waren erfahren darin, mit<br />

den Schülern konstruktive Lösungen daraus zu erarbeiten.<br />

An den zentralen Zielen hat sich seither nicht viel verändert:<br />

Prävention durch Hilfen zur sozialen, schulischen und<br />

familiären Integration von verhaltensauffälligen Schülern;<br />

Unterstützung des Lehrkörpers bei der Bewältigung von<br />

problematischen Situationen; Verminderung beziehungsweise<br />

Beseitigung von Beeinträchtigungen des Schulbetriebs<br />

durch verhaltensauffällige Schüler.<br />

Spätestens seit dem Jahr 2010 mit Start der vom Bundesministerium<br />

für Unterricht, Kunst und Kultur geförderten<br />

Pilotprojekte ist die Schulsozialarbeit österreichweit im<br />

Blickpunkt und wird vom Ludwig Boltzmann Institut beforscht.<br />

Bei der Tagung „Schulsozialarbeit in Österreich“ am<br />

9. Mai <strong>2012</strong> zeigte sich ein buntes und vielschichtiges Bild<br />

unterschiedlichster Formen, Organisationen, Methoden und<br />

Schwerpunkte mit großen regionalen Variationen.<br />

Die Schulsozialarbeiter privater Träger wie NEUSTART<br />

haben gegenüber behördlichen Sozialarbeitern einen großen<br />

Vorteil. Sie werden von den Schülern nicht als Teil der<br />

Schule erlebt, mit der sie oft in Konflikt liegen, was ihnen<br />

einen vertrauensvollen und direkten Zugang zu den Sozialarbeitern<br />

erleichtert.<br />

Team der <strong>Salzburg</strong>er Schulsozialarbeit<br />

v.l.n.r.: Leopold Schilcher, Josef Meidl, Mag. Peter Wieser,<br />

Raimund Kainz, Mag. Martin Steger, Roland Baldauf,<br />

Klaus Tesch, Dr. Johannes Bernegger<br />

International ist der Trend zur Schulsozialarbeit stark ausgeprägt,<br />

vor allem in den Niederlanden und der Schweiz,<br />

auch in Schweden und Deutschland. Die EU hat das große<br />

Potenzial von Früherkennung und Prävention anstatt späterer<br />

Schadensbehebung erkannt. NEUSTART verfügt als<br />

einziger Bundesländer übergreifender Anbieter der ersten<br />

Stunde über ausreichend Ressourcen, um sich dieser Entwicklung<br />

zu stellen.<br />

In diesem <strong>report</strong> finden sie noch Artikel und Interviews zur<br />

Online-Beratung, Fußfessel, Vermittlung gemeinnütziger<br />

Leistung sowie weitere Beiträge zur Schulsozialarbeit. Ich<br />

wünsche Ihnen interessante Lektüre.<br />

Dr. Johannes Bernegger<br />

Leiter NEUSTART <strong>Salzburg</strong><br />

Schallmooser Hauptstraße 38<br />

5020 <strong>Salzburg</strong><br />

TEL 0662 I 65 04 36-213<br />

johannes.bernegger@neustart.at


eport<br />

2 |<br />

Ein Schultag<br />

Leopold Schilcher, gelernter Pädagoge und Absolvent des Lehrgangs für Sozialmanagement arbeitet<br />

seit vielen Jahren in unterschiedlichen Leistungsbereichen als Sozialarbeiter bei NEUSTART.<br />

Seit zwei Jahren ist er auch in der Schulsozialarbeit tätig. Er berichtet von einem Vormittag<br />

an einer seiner Schulen.<br />

Angekommen in der Schule werde ich Zeuge bei der „Bändigung“<br />

eines siebenjährigen Mädchens, das laut über den<br />

Gang tobt und Türen zuschlägt. Von der Direktorin erfahre<br />

ich, dass zwei Schüler nicht mehr an der Schule sind. Einer<br />

ist wegen massiven Drogenkonsums in eine betreute Unterbringung<br />

nach Bayern „verbracht“ worden. Der zweite Schüler<br />

– mit dem ich in der letzten Zeit intensiver gearbeitet habe<br />

– ist von der Jugendwohlfahrt entweder in eine andere Schule<br />

oder in ein anderes Bundesland gebracht worden. Detailinformationen<br />

stehen der Direktorin nicht zur Verfügung.<br />

Ich suche einen Schüler auf, den ich seit einem massiven<br />

innerfamiliären Vorfall intensiv betreue. Seine Familie hat sich<br />

wieder stabilisiert, aber sein exzessives Spielen am PC ist<br />

als Problem akut geworden. Nach Abstimmung mit der Lehrerin<br />

nehme ich den Schüler zu einem Einzelgespräch aus<br />

der Klasse. Er ist froh, dass er Mathematik gegen einen Spaziergang<br />

mit mir tauschen kann. Ich lasse mich von ihm wieder<br />

einmal in seine lebenswichtige Parallelwelt der MOBs<br />

(mother of all bombs), Snippers, Gangleaders und Highscores<br />

entführen. Weil er durch mein Bemühen um ihn Vertrauen<br />

gefasst hat, ist es gelungen, dass er seine Sucht und seine<br />

Flucht erkannt hat. Dadurch konnte er mit der Suchtambulanz<br />

in Kontakt gebracht werden, wo er eine Therapie begonnen<br />

hat.<br />

Zurück im Schulgebäude bleibe ich im Pausenraum und<br />

nehme mit den Schülern, die ich schon aus Einzel- oder<br />

Gruppensituationen kenne, Kontakt auf. Kurze Fragen und<br />

Austausch über das aktuelle Befinden, Angebot zu Einzelgesprächen,<br />

wenn notwendig. Ich beobachte auch die Dynamik<br />

unter den Schülern um Informationen über das soziale<br />

Gefüge in der Gruppe zu sammeln.<br />

Gerade als ich mit der Direktorin bespreche ob meine Anwesenheit<br />

an diesem Tag noch erforderlich ist gibt es einen<br />

Alarm. Das Mädchen, das in der Früh bereits auffällig war,<br />

hat ihre Lehrerin gebissen. Ich folge der Direktorin in die<br />

Klasse, das Kind (ich nenne sie hier Anna) rennt aus der<br />

Klasse und verschwindet am Klo. Ich folge ihr und nachdem<br />

Anna durch die versperrte Türe meldet, dass sie sich jetzt<br />

töten wird öffne ich die Türe und kann sie gerade noch vom<br />

Fensterbrett herunterziehen. Wir befinden uns zwar im ersten<br />

Stock, aber mindestens fünf Meter über dem Boden.<br />

Anna rennt weg und ich bin unversehens in der Rolle des<br />

Aufpassers. Sie läuft ins Erdgeschoss und von dort über das<br />

Fenstersims ins Freie auf den Innenhof der Schule. Ich folge<br />

ihr. Im Bereich des Fußballplatzes des Dorfes verliere ich sie,<br />

gehe in die Schule zurück und überlege, dass die Polizei zu<br />

informieren sein wird. Als ich zurückkomme ist Anna bereits<br />

wieder da und klettert erneut im ersten Stock unter der Drohung,<br />

Selbstmord zu begehen, auf ein Fensterbrett und öffnet<br />

das Fenster. Ich hole sie erneut von dort herunter um<br />

größeren Schaden von ihr abzuwenden.<br />

Annas Eltern leben getrennt, sie lebt beim Vater. Die Mutter,<br />

die laut Direktorin einen unsteten Lebenswandel hat (immer<br />

wieder übernachten bei ihr verschiedene Personen) hat sie<br />

zum Vater abgeschoben. Anna ist seit zwei Monaten an der<br />

Schule. Sie will nicht mehr in diese Schule gehen – die Direktorin<br />

kommt dem nach, Anna packt ihre Sachen zusammen<br />

und verlässt „triumphierend“ die Klasse. Der Vater des<br />

Kindes ist verständigt, er wird Anna abholen. Bis er kommt<br />

bleibe ich bei ihr im Pausenraum. Irgendwann kommt sie zu<br />

mir her und fragt mich wer ich eigentlich bin und warum ich<br />

da bin. Ich erzähle ihr von Schulsozialarbeit. Sie hört zu, führt<br />

mir dann ein paar Kopfstände vor und redet mit mir darüber,<br />

dass sie lieber in eine andere Schule gehen möchte, da sie<br />

dort mehr Freiraum hat, den sie ja braucht. Sie erzählt von<br />

den Pferden am Hof des Vaters und wir spielen noch etwas<br />

Tischfußball, bis ihr Vater kommt.<br />

In dieser Schule bin ich in zwei Wochen wieder. Anna hat<br />

sich heute mir gegenüber geöffnet – daran werde ich beim<br />

nächsten Mal anknüpfen um sie besser verstehen zu können,<br />

damit ich das richtige Angebot für sie finden kann.<br />

– leopold.schilcher@neustart.at –


... Bewährungshilfe<br />

Zum Ende des Jahres 2011 wurden 678 Klienten (davon<br />

192 ehrenamtlich) von 21 hauptamtlichen und 69 ehrenamtlichen<br />

Bewährungshelfern betreut. 25 Klienten absolvierten<br />

im Rahmen der Bewährungshilfe ein Anti-<br />

Gewalt-Training.<br />

... Elektronisch überwachter Hausarrest<br />

Im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests<br />

wurden 57 Erhebungen durchgeführt, die zu ebenso<br />

vielen Betreuungen führten. 3.485 Hafttage konnten<br />

dadurch vermieden werden. Wer in Österreich eine Fußfessel<br />

erhält – und wer nicht – erfahren sie in diesem<br />

<strong>report</strong> auf Seite 6.<br />

... Haftentlassenenhilfe<br />

249 beratene und betreute Klienten in der Haftentlassenenhilfe<br />

bedeuteten eine sichtbare Steigerung der Inanspruchnahme<br />

gegenüber 2010.<br />

... Tatausgleich<br />

522 Klienten (davon 196 Jugendliche und junge Erwachsene)<br />

wurden zugewiesen. Dadurch war nach dem<br />

schwachen Jahr 2010 wieder eine nennenswerte<br />

Steigerung zu verzeichnen. 73 Prozent wurden insgesamt<br />

positiv erledigt, bei Jugendlichen waren es<br />

sogar 86 Prozent.<br />

... Prozessbegleitung<br />

Nach Wiederaufnahme der Prozessbegleitung wurden<br />

15 Beratungen und Betreuungen von Opfern durchgeführt<br />

oder begonnen.<br />

... Vermittlung gemeinnütziger Leistungen<br />

Die Zuweisungen blieben mit 256 (davon 211 Jugendliche<br />

und junge Erwachsene) etwas hinter den Erwartungen<br />

zurück. Den Bericht einer gemeinnützigen<br />

Einrichtung finden Sie in diesem <strong>report</strong> auf Seite 7.<br />

SALZBURG <strong>2012</strong><br />

2011<br />

NEUSTART <strong>Salzburg</strong><br />

... Vermittlung gemeinnütziger Leistung<br />

statt Ersatzfreiheitsstrafe<br />

Auch hier gingen die Zuweisungen mit 304 etwas zurück.<br />

Der Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen<br />

betrug nur 34. Insgesamt wurden 95 Vermittlungen<br />

angenommen.<br />

... SAFTLADEN<br />

Die Anzahl der Besuche im SAFTLADEN stieg gegenüber<br />

dem Vorjahr um 835 kräftig: wir konnten 27.025<br />

Besuche verzeichnen.<br />

... Schulsozialarbeit<br />

An <strong>Salzburg</strong>er Schulen wurden in 1.246 persönlichen<br />

Kontakten Schüler beraten und betreut. Weiters gab<br />

es 1.299 Kontakte im schulischen und familiären Umfeld.<br />

Inhalte, Geschichte und aktuelle Entwicklung der<br />

Schulsozialarbeit behandelt dieser <strong>report</strong>.<br />

... Online-Beratung<br />

591 Anfragen wurden an die Online-Beratung gerichtet.<br />

Das sind um fast 100 Anfragen oder 20 Prozent<br />

mehr als im Vorjahr. Auch dazu gibt es einen informativen<br />

Artikel auf Seite 5 dieser Ausgabe des <strong>report</strong><br />

<strong>Salzburg</strong> <strong>2012</strong>.<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

www.neustart.at<br />

bei NEUSTART arbeiten mehr Frauen als Männer.<br />

Bei den betreuten Menschen sind die Männer in<br />

der Mehrheit. Im <strong>report</strong> <strong>Salzburg</strong> wird die (kürzere)<br />

männliche Schreibweise nur aus Gründen der<br />

kompakten Lesbarkeit verwendet und ist als geschlechts<br />

neutral zu verstehen. Danke für Ihr Verständnis!<br />

| 3


eport<br />

Der Anstoß zur Schulsozialarbeit kam von der Beratungslehrerin<br />

Hannelore Fiedler. Im September 1997 warb sie bei<br />

Georg Zwinger (dem damaligen Regionalkoordinator von<br />

NEUSTART) um sozialarbeiterische Unterstützung an der<br />

Polytechnischen Schule <strong>Salzburg</strong>. Die Ausgangslage war,<br />

dass sich die Lehrer dieser Schule seit Jahren mit einer<br />

wachsenden Anzahl von Schülern (vor allem Burschen) mit<br />

erheblichen psychosozialen Problemlagen und Verhaltensauffälligkeiten<br />

konfrontiert sahen – bis hin zu Kriminalität,<br />

Drogenmissbrauch und Aggressionshandlungen.<br />

Die Anfrage des damaligen Schuldirektors Veit Österreicher<br />

bewirkte dann die Beschäftigung mit einem neuen Schulprojekt.<br />

Es wurde ein zweijähriger Modellversuch ab Herbst<br />

1998 angedacht. Ein Konfliktregler und ein Bewährungshelfer<br />

wurden als Projektbeauftragte entsandt, um in enger Zusammenarbeit<br />

mit Beratungslehrern Ideen zu sammeln und<br />

eine Projektbeschreibung zu formulieren. Im März 1998 war<br />

das Konzept „Modellversuch Kriminalitätsprävention in der<br />

Polytechnischen Schule <strong>Salzburg</strong>“ ausformuliert. Während<br />

der Finanzierungsverhandlungen wurden die Vorbereitungen<br />

intern fortgeführt. Der Start des Pilotprojekts unter der Leitung<br />

von Georg Zwinger erfolgte am 15.2.1999 und war vorerst<br />

mit Juni 2000 befristet.<br />

Mit zehn Wochenstunden betraten die beiden Sozialarbeiter<br />

das Neuland Schule und boten den rund 250 Schülern<br />

niederschwellige professionelle Hilfe in schwierigen Lebenssituationen<br />

an. Von Anfang an wurde das Angebot, das<br />

von Einzel- und Konfliktberatungen bis zur Gruppenarbeit<br />

reicht, von den Schülern rege in Anspruch genommen. Im<br />

zweiten Projektjahr wurden fast 50 Schüler im Rahmen von<br />

face2face betreut.<br />

Der Projektverlauf wurde laufend evaluiert und die Methoden<br />

weiterentwickelt. Aus dem sogenannten „Burschenprojekt“<br />

wurde ein Angebot für alle Schülerinnen und Schüler.<br />

„Das Projekt nützt nicht nur den Schülern, sondern auch den<br />

Lehrern. Wir können dadurch auf die Schüler ganz anders<br />

4 |<br />

face2face hat Schule gemacht<br />

Raimund Kainz ist Schulsozialarbeiter der ersten Stunde und verfügt über umfassendes methodisches<br />

und historisches Wissen auf diesem Gebiet. Er schildert hier die Anfänge und die<br />

Etablierung dieser Methode der Sozialarbeit in <strong>Salzburg</strong>.<br />

eingehen und das Schulklima hat sich ganz wesentlich verbessert“<br />

stellte Direktor Veit Österreicher im Juli 2000 im<br />

ORF zur erfolgreichen Zusammenarbeit zwischen Schule<br />

und Sozialarbeit fest.<br />

Quelle: <strong>Salzburg</strong>er Nachrichten, 22.6.1999, Seite 3<br />

Die Fortsetzung des Vorzeigeprojekts mit neuen Projektbeauftragten<br />

erfolgte unter Kostenteilung von Stadt und Land<br />

<strong>Salzburg</strong>. Ab 2001 kam es zu einer Ausweitung auf die Polytechnischen<br />

Schulen an den Standorten Hallein und<br />

Oberndorf und ab 2002 Neumarkt. Abgesehen von einer Unterbrechung<br />

in Hallein hat sich die Schulsozialarbeit von<br />

NEUSTART durchgängig etabliert. Ab dem Schuljahr 2009 /<br />

2010 wurde eine spezifische Form der Schulsozialarbeit in<br />

den Sonderpädagogische Zentren Köstendorf, Oberndorf<br />

und Thalgau verankert.<br />

Damit ist NEUSTART mit Ausnahme eines Trägers in Niederösterreich<br />

der älteste Anbieter von Schulsozialarbeit in<br />

Österreich.<br />

– raimund.kainz@neustart.at –


Online-Beratung<br />

Der Verein NEUSTART bietet seit dem Jahr 2002 auf seiner Website (www.neustart.at) Online-Beratung<br />

an. Diese wird von <strong>Salzburg</strong> aus für ganz Österreich durchgeführt. Genaue statistische Aufzeichnungen<br />

werden seit dem Jahr 2005 geführt. Mag. Renate Ince ist von Beginn an unsere Online-Beraterin.<br />

Sie hat umfassende Kenntnis über die Anliegen der anonym anfragenden Menschen.<br />

Neben vielen vordergründig rechtlichen Anfragen, die alle<br />

möglichen Themenbereiche berühren, geht es bei der Online-Beratung<br />

sehr oft um zutiefst menschliche Probleme,<br />

Ängste und Befürchtungen in Verbindung mit einer Straftat.<br />

Die Täter schämen sich oft und haben große Angst vor den<br />

Folgen der Tat. Sie haben auf diesem virtuellen Weg eine<br />

Möglichkeit, anonym „vorzufühlen“. Anfragen betreffen sehr<br />

oft den Bereich Haft, Verhandlung und Verurteilung. Angehörige<br />

von Tätern fragen nach den Möglichkeiten der Hilfe<br />

für den Angehörigen, wobei hier immer wieder Fragen zur<br />

Haft oder den Besuchsmöglichkeiten auftreten. Oft sind Angehörige<br />

auch besorgt, wie es denn nach der Haft weitergehen<br />

kann und sind sehr erleichtert, dass es in Österreich das<br />

Instrument der NEUSTART Haftentlassenenhilfe gibt. Auch<br />

Opfer fragen an und vertrauen der Beraterin anonym ihr Problem<br />

an. Circa dreizehn Prozent der Anfragen haben einen<br />

Bezug auf Opfer von Straftaten. Auf dem Gebiet der Straffälligen-<br />

und Opferhilfe hat sich das Online-Beratungs-Angebot<br />

von NEUSTART Österreich auch 2011 wieder sehr gut<br />

Anfragen pro Jahr<br />

2005 391<br />

2006<br />

2007<br />

2008<br />

2009<br />

2010<br />

2011<br />

SALZBURG <strong>2012</strong><br />

bewährt. Es langten um 110 Anfragen mehr ein als im Jahr<br />

2010. Es handelt sich daher um das anfragestärkste Jahr<br />

der Online-Beratung seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr<br />

2005. Von den gesamt 591 Anfragen im Jahr 2011 wurden<br />

circa 46 Prozent von Frauen gestellt und 52 Prozent von<br />

Männern. Bei circa zwei Prozent der Anfragen war es nicht<br />

möglich, das Geschlecht des Anfragenden zu erkennen.<br />

Auch 2011 haben mehr Männer als Frauen die NEUSTART<br />

Online-Beratung genutzt. In den Jahren 2005 bis 2008 lagen<br />

die Frauen bei den Anfragenden immer weit vorne. 79 Prozent<br />

fragten für eigene Themen an, 21 Prozent der Anfragen<br />

erfolgten für andere Personen als den Absender selbst. Es<br />

zeigt sich auch, dass andere Sozialeinrichtungen (zum Beispiel<br />

Sozialprojekte finanziert über das Arbeitsmarktservice,<br />

Jugendzentren) immer wieder Fragen zu verschiedenen Themen<br />

haben. Hier steht vor allem die Tilgung von Vorstrafen<br />

im Vordergrund.<br />

– renate.ince@neustart.at –<br />

482<br />

504<br />

570<br />

572<br />

590<br />

591<br />

| 5


eport<br />

6 |<br />

Häf’n für Reiche?<br />

Ein Gegenbeispiel<br />

Mag. Anton Urthaler arbeitet bei NEUSTART in den Bereichen Haftentlassenenhilfe, Bewährungshilfe und<br />

Tatausgleich. Seit der Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests macht er auch Erhebungen und<br />

Betreuungen im Rahmen des elektronisch überwachten Hausarrests.<br />

Bei Einführung des elektronisch überwachten Hausarrests<br />

im September 2010 beschäftigte die Medien die Frage, ob<br />

damit in erster Linie einigen prominenten Verurteilten der<br />

Aufenthalt in der Justizanstalt erspart werden sollte. Ehemalige<br />

Bankdirektoren oder Manager könnten – so wurde<br />

spekuliert – die Strafe in ihrem Penthouse „verbüßen“ statt<br />

in einer engen Gefängniszelle. Haben sich diese Spekulationen<br />

nach bald zwei Jahren erfüllt?<br />

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass der typische Fußfesselträger<br />

keineswegs ein prominenter Ersttäter ist. Nur etwa ein<br />

Fünftel der Absolventen des elektronisch überwachten<br />

Hausarrests hat keine Vorstrafe, ein weiteres Fünftel hat eine<br />

Vorstrafe. Ein Drittel hat zwischen zwei und fünf Verurteilungen<br />

und immerhin ein Viertel hat mehr als fünf Vorstrafen.<br />

Mehr als die Hälfte der Klienten war vor dem elektronisch<br />

überwachten Hausarrest bereits einmal in Strafhaft. In<br />

dieser Hinsicht ist das Klientel des elektronisch überwachten<br />

Hausarrests durchaus mit jenem der Bewährungshilfe<br />

vergleichbar.<br />

Was der elektronisch überwachte Hausarrest für einen Bewährungshilfe-Klienten<br />

bedeuten kann, zeigt das Beispiel von<br />

Herrn K. Der 25-Jährige wurde wegen eines Körperverletzungsdelikts<br />

zu einer fünfmonatigen unbedingten Freiheitsstrafe<br />

verurteilt. Er hatte vom elektronisch überwachten<br />

Hausarrest gehört und erkundigte sich bei seiner Bewährungshelferin<br />

nach den Voraussetzungen. Bislang eher sporadisch<br />

beschäftigt, fand er nach intensiver Suche Arbeit<br />

und beantragte den Strafvollzug im Rahmen des elektronisch<br />

überwachten Hausarrests.<br />

Die Erhebung ergab, dass die Unterkunft, ein winziges Zimmer<br />

in einer Billigpension, nicht geeignet war, zumal es laufend<br />

Konflikte mit Mitbewohnern gab und der Alkoholkonsum<br />

im Haus beträchtlich war. Da er zusätzlich die Arbeit<br />

verlor, wurde sein Antrag abgelehnt.<br />

Herr K. erhob dagegen Beschwerde und fand in der Frist<br />

eine Anstellung bei einem Personalbereitstellungsunternehmen.<br />

Der zuständige Sachbearbeiter sicherte durchgehende<br />

Beschäftigung zu, sofern Herr K. bereit sei, jede ihm zugewiesene<br />

Tätigkeit anzunehmen. Außerdem zog er für die Zeit<br />

des Hausarrests zu seinen Eltern, was ihn einige Überwindung<br />

kostete. Die Voraussetzungen für den elektronisch<br />

überwachten Hausarrest lagen nun vor und seiner Beschwerde<br />

wurde stattgegeben. Mit seinem Einverständnis<br />

wurde per Weisung ein absolutes Alkoholverbot verhängt,<br />

das mittels Alkomat mehrmals pro Tag kontrolliert wurde.<br />

Um die Erfolgschancen zu erhöhen, wurde in Absprache mit<br />

der Bewährungshelferin eine dichte Kontaktfrequenz vereinbart<br />

(regelmäßig ausführliche Betreuungsgespräche, häufige<br />

Telefonkontakte).<br />

Der Hausarrest verlief dennoch nicht ganz ohne Zwischenfälle.<br />

Einmal erhielt Herr K. eine Verwarnung, weil er sich in<br />

seinen Ausgangszeiten geirrt hatte und telefonisch für die<br />

Überwachungszentrale nicht erreichbar war. In seiner Unbekümmertheit<br />

hatte er das Handy zu Hause vergessen. Insgesamt<br />

absolvierte er den elektronisch überwachten Hausarrest<br />

aber erfolgreich und wurde nach Verbüßung von zwei<br />

Dritteln der Strafe bedingt entlassen. Noch während des<br />

elektronisch überwachten Hausarrests übersiedelte er in<br />

eine eigene Wohnung.<br />

Herr K. konnte im elektronisch überwachten Hausarrest<br />

Erfahrungen machen, die das Vertrauen in seine eigenen<br />

Fähigkeiten stärkten. Er schaffte es, über mehrere Monate<br />

regelmäßig und pünktlich am Arbeitsplatz zu erscheinen –<br />

für ihn vorher keine Selbstverständlichkeit. Es gelang ihm,<br />

sein Kommunikationsverhalten so zu kontrollieren, dass er<br />

nicht ständig befürchten musste, seine Beschäftigung zu<br />

verlieren. Und er stellte fest, dass er nicht jeden Tag ein paar<br />

Bier trinken muss. Die dadurch gewonnene Klarheit ermöglichte<br />

es ihm, in den Gesprächen sein bisheriges Leben,<br />

seine nicht unproblematische Beziehung und sein Deliktverhalten<br />

zu reflektieren.<br />

Zu Beginn herrschte durchaus Skepsis, dass Herr K. den<br />

elektronisch überwachten Hausarrest erfolgreich hinter sich<br />

bringen könnte. Entscheidend zum Erfolg beigetragen hat<br />

neben der Motivation des Klienten sicher auch die gute Kooperation<br />

mit der Justizanstalt und der Bewährungshelferin.<br />

– anton.urthaler@neustart.at –


Klienten machen viele<br />

positive Erfahrungen<br />

Sabine Muhr ist Fachschlüsselkraft im sozialökonomischen Beschäftigungsbetrieb<br />

Schmankerl und erste Ansprechpartnerin für NEUSTART <strong>Salzburg</strong>.<br />

Im Rahmen der Vermittlung gemeinnütziger Leistungen besteht<br />

ein sehr gutes, enges Kooperationsverhältnis zum Restaurant<br />

Schmankerl; dieses bietet einkommensschwachen<br />

Menschen günstige, qualitativ hochwertige Mahlzeiten. Das<br />

Schmankerl ist eine Einrichtung der es’age (Soziale Arbeit<br />

GmbH, Gesellschaft mit Gemeinnützigkeitsstatus), deren<br />

Ziel es ist, die Reintegration von arbeitslosen Menschen in<br />

den Arbeitsmarkt zu vermitteln. Wir fragten Sabine Muhr<br />

nach ihren Erfahrungen mit den vermittelten Klienten.<br />

NEUSTART: Welche Tätigkeiten verrichten die von uns an<br />

Ihre Einrichtung zugewiesenen Klienten? Brauchen die<br />

Klienten dabei ein großes Maß an Unterstützung oder verrichten<br />

sie auch selbständig die zugewiesenen Tätigkeiten,<br />

sodass dem Schmankerl damit auch geholfen ist?<br />

Sabine Muhr: Je nach Fähigkeiten der Klienten werden sie<br />

entweder in der Abwäsche zur Unterstützung unseres Mitarbeiters<br />

oder in der Küche zur Unterstützung der Fachschlüsselkraft<br />

eingesetzt. Unser Eindruck ist, dass Klienten,<br />

die bereits im Berufsleben stehen, weniger Unterstützung<br />

brauchen, als diejenigen, die noch nicht erwerbstätig sind.<br />

Das Alter spielt dabei auch eine große Rolle. Man muss aber<br />

dazu sagen, dass wir es gewohnt sind, mit berufsfremden<br />

Personen zu arbeiten.<br />

Ist die Zuweisung der Klienten durch NEUSTART in der<br />

Regel für Ihre Einrichtung passend oder stellt sich im Verlauf<br />

der Ableistung der gemeinnützigen Leistung heraus,<br />

dass einzelne Klienten für die Tätigkeiten im Schmankerl<br />

ungeeignet sind? Wenn das passiert, wie wird dann weiter<br />

vorgegangen? Gibt es Ausschließungsgründe?<br />

Wenn sie erst einmal die erste Hürde geschafft haben und<br />

bei uns zu arbeiten anfangen, fühlen sie sich meist nach kurzer<br />

Zeit sehr wohl, da wir ein sehr gutes Betriebsklima haben<br />

und wir als Team jeden als vollen Mitarbeiter annehmen.<br />

Sollten sie es trotzdem nicht schaffen ihre Termine einzuhalten,<br />

liegt es meist an ihren privaten Problemen beziehungsweise<br />

ihrem zu geringen Verantwortungsbewusstsein.<br />

Ausschließungsgründe sind: ein positiver Bazillen-Ausscheider<br />

zu sein, mangelnde Hygiene, Alkohol- bezie-<br />

SALZBURG <strong>2012</strong><br />

hungsweise Drogenkonsum, sich nicht abzumelden oder<br />

nicht zu erscheinen bei einem ausgemachten Termin.<br />

Sind die zugrundeliegenden Delikte der Klienten Thema und<br />

wenn ja, wie wird damit umgegangen? Erfahren die Kollegen<br />

den Hintergrund, warum Klienten für eine bestimmte<br />

Stundenanzahl bei Ihnen arbeiten?<br />

Direkt Thema ist es nicht, da auch wir mit Menschen arbeiten,<br />

die in schwierigen Lebenssituationen sind. Die Herangehensweise<br />

der Thematik ist ähnlich. Wir suchen natürlich<br />

das Gespräch mit dem Klienten, um ihm eine gewisse<br />

Sicherheit zu geben, da er ja auch für kurze Zeit ein Teammitglied<br />

ist.<br />

Würden Sie nach Ihren langjährigen Erfahrungen sagen,<br />

dass die Bereitschaft vom Schmankerl, Klienten für gemeinnützige<br />

Leistungen zu übernehmen, für Ihre Einrichtung<br />

im Alltag positive Auswirkungen hat? Oder ist die Teilnahme<br />

an dieser Form der Diversion aus Ihrer Sicht vor allem eine<br />

Unterstützung einer sinnvollen strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeit?<br />

Der Mehraufwand aufgrund der großen Fluktuation ist oft<br />

nicht zu unterschätzen, jedoch wollen wir jedem die Möglichkeit<br />

bieten, den Ausgleich einer Straftat bei uns abzuarbeiten.<br />

Unsere Erfahrungen haben auch gezeigt, dass sich<br />

die Klienten aufgrund unserer Struktur viel positive Erfahrung<br />

für ihren weiteren Lebensweg mitnehmen konnten.<br />

– Sabine Muhr –<br />

| 7


www.neustart.at<br />

Großspende von<br />

dm drogerie markt<br />

Groß war die Überraschung, als uns mitgeteilt wurde, dass<br />

die Mitarbeiter von dm bei ihrer Weihnachtsfeier 2011<br />

knapp 6.000,- Euro gesammelt haben und diesen Betrag<br />

NEUSTART <strong>Salzburg</strong> spenden wollen. Hintergrund war die<br />

Aktion „dm Mehr-vom-Leben-Mitarbeiter-Tag 2011“. Sechs<br />

Mitarbeiter von dm haben im SAFTLADEN für unsere Gäste<br />

ein dreigängiges Menü gekocht und dafür von ihrer Firma<br />

einen Urlaubstag extra bekommen. Weil sie sich dabei von<br />

der Bedeutung unserer Einrichtung überzeugen und sich<br />

punktuell mit der Bedürftigkeit unserer Klientel auseinandersetzen<br />

konnten fiel die Wahl auf NEUSTART <strong>Salzburg</strong>.<br />

Erni Auer (dm) übergibt Mag. Peter Wieser und Dr. Johannes<br />

Bernegger von NEUSTART <strong>Salzburg</strong> gemeinsam mit Simone<br />

Wolfger (dm) den Spendenscheck für den SAFTLADEN<br />

Wir werden den Betrag für den jährlichen Ausflug des<br />

SAFTLADEN, für Anschaffungen, die wir uns sonst nicht leisten<br />

könnten und für die Besucher verwenden. Konkret für<br />

den Erwerb von Material für die Gruppenarbeit und ein Teil<br />

geht an die Entschuldungshilfe Straffälliger zur Kapitalaufstockung.<br />

Auf diesem Weg noch einmal ein herzlicher Dank<br />

an die Akteure und Spender! – peter.wieser@neustart.at –<br />

Impressum<br />

Medieninhaber, Hersteller:<br />

NEUSTART, Castelligasse 17, 1050 Wien<br />

Redaktion: Dr. Johannes Bernegger<br />

Endredaktion und Produktion: Mag. Dorit Bruckdorfer<br />

Fotos: NEUSTART<br />

Gestaltung und Grafik: Wolfgang Grollnigg, 1210 Wien<br />

Druck: GröbnerDruck, 7400 Oberwart<br />

Positionen <strong>Salzburg</strong> <strong>2012</strong><br />

Am 8. November <strong>2012</strong> werden die diesjährigen NEUSTART<br />

Positionen in <strong>Salzburg</strong> im Literaturhaus Eizenbergerhof<br />

stattfinden. Experten, Zeitzeugen und Praktiker werden<br />

über geänderte Anforderungen und Haltungen sowie über<br />

alte und neue Methoden der Bewährungshilfe diskutieren<br />

und sich mit gegenwärtigen und künftigen Entwicklungen<br />

auseinandersetzen.<br />

Dank<br />

Wir bedanken uns bei allen Zuweisern und Kooperationspartnern<br />

sowie Subventions- und Fördergebern für die gute<br />

Zusammenarbeit und das uns entgegengebrachte Vertrauen,<br />

sowie bei allen Spendern für ihre großzügige Unterstützung.<br />

Die Spenden kamen, wie jedes Jahr, ausschließlich<br />

hilfsbedürftigen Klienten von NEUSTART zugute. Diesem<br />

<strong>report</strong> <strong>Salzburg</strong> liegt auch heuer wieder ein Spendenerlagschein<br />

bei. Wir danken Ihnen im Voraus für Ihre Unterstützung!<br />

Spenden: PSK 90.101.500<br />

IBAN: AT06 6000 0000 9010 1500 BIC: OPSKATWW

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