SELTENE SCHLANGEN AUS MADAGASKAR
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<strong>SELTENE</strong> <strong>SCHLANGEN</strong> <strong>AUS</strong> <strong>MADAGASKAR</strong><br />
Eine aktuelle Übersicht<br />
Text und Fotos: Frank GLAW und Miguel VENCES<br />
-,<br />
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W<br />
ie lückenhaft unsere<br />
Kenntnisse über die Artenvielfalt<br />
der Tropen<br />
sind, zeigt sich eindrucksvoll auch anhand<br />
ihrer Herpetofaunen: Beginnen in<br />
einem Gebiet intensive Untersuchungen,<br />
so fordern diese oft überraschende<br />
Beobachtungen und eine unerwartete<br />
Anzahl neuer Arten zutage. Ein besonders<br />
gutes Beispiel hierfür ist Madagaskar:<br />
Seit Beginn der 90er Jahre sind von<br />
diesem einzigartigen „Mikrokontinent"<br />
37 neue Reptilien- und 35 neue Froscharten<br />
beschrieben worden, und inzwischen<br />
kommen fast monatlich weitere<br />
hinzu. Selbst in der eher artenarmen<br />
Stenophis citrinus (Kopf) aus Kirindiy<br />
Süßwasser-Fischfauna wird noch so<br />
manche neue Spezies an Land gezogen.<br />
Ein Ende der Neuentdeckungen ist<br />
nicht abzusehen, im Gegenteil: Je intensiver<br />
die Untersuchungen durchgeführt<br />
werden, desto mehr stellt sich heraus,<br />
daß viele „Arten" in Wirklichkeit Artenkomplexe<br />
aus nahe verwandten, sogenannten<br />
Zwillingsarten darstellen.<br />
Die Schlangenfauna Madagaskars besteht<br />
im wesentlichen aus drei Familien,<br />
den Boas (Boidae), den Nattern (Colu-<br />
Seite 41: Pseudoxyrhopus heterurus<br />
von der Insel Nosy Boralia<br />
42<br />
TERRARISTIK<br />
bridae) sowie den Blindschlangen<br />
(Typhlopidae). Hinzu kommen noch<br />
zwei marine Schlangenarten aus der Familie<br />
Hydrophiidae, die gelegentlich<br />
über Flußmündungen ins Süßwasser<br />
vordringen. Im Gegensatz zu den landbewohnenden<br />
Schlangen Madagaskars<br />
können die Seeschlangen auch für Menschen<br />
tödliche Giftbisse austeilen, tun<br />
dies zum Glück jedoch nur sehr selten.<br />
Die Riesenschlangen<br />
Die Boas der Gattungen Sanzinia und<br />
Acrantophis sind zweifellos die bekanntesten<br />
madagassischen Schlangen. Vor<br />
kurzem wurde allerdings von KLUGE<br />
Stenophis tulearensis (KopO aus Kirindiy<br />
(1991) die Auflösung der beiden Gattungen<br />
vorgeschlagen. Nach diesem Autor<br />
sollten alle drei Arten aus Madagaskar<br />
in die Gattung Boa überführt werden.<br />
Weil dadurch jedoch der Name Boa ma-<br />
Sanzinia madagascariensis), was nach den<br />
Regeln der zoologischen Nomenklatur<br />
nicht erlaubt ist, wurde für Sanzinia madagascariensis<br />
der neue (Ersatz-) Name<br />
Boa manditra geschaffen. Ob sich diese<br />
Klassifizierung durchsetzen wird, bleibt<br />
allerdings abzuwarten. Sanzinia madagascariensis<br />
ist auf Madagaskar noch weit<br />
verbreitet und recht häufig anzutreffen.<br />
Man findet sie sowohl im trockenen<br />
West-Madagaskar als auch tief im Regenwald,<br />
in Kaffee-Plantagen und degradierter<br />
Sekundärvegetation. Selbst<br />
am Rand größerer Ortschaften, wie Maroantsetra<br />
oder Andapa, konnten wir<br />
ausgewachsene Tiere beobachten.<br />
Die Vielfalt<br />
der Eigentlichen Nattern<br />
Die artenreichste Schlangenfamilie auf<br />
Madagaskar sind die Nattern (Colubridae).<br />
Zur Zeit werden offiziell 17 Gattungen<br />
und 70 Arten unterschieden;<br />
hinzu kommen neuentdeckte, wissen-<br />
schaftlich noch nicht beschriebene Arten.<br />
Im folgenden wollen wir einige<br />
Schlangenarten aus den Gattungen Ste-<br />
nophis, Pseudoxyrhopus und Geodipsas vorstellen,<br />
die zum größten Teil noch nie in<br />
dagascariensis für zwei Arten stehen wür- Form von Farbabbildungen gezeigt worde<br />
(für Acrantophis madagascariensis und den sind. Schwarz-Weiß-Bilder von einigen<br />
dieser Schlangen sowie Farbfotos<br />
von 160 Amphibien- und 180 Reptilientaxa<br />
aus Madagaskar finden sich in<br />
GLAW & VENCES (1994).<br />
Die Gattung Stenophis ist bislang völlig<br />
unzureichend erforscht. Dies liegt<br />
wahrscheinlich auch an der versteckten,<br />
nächtlichen Lebensweise dieser über-
wiegend baumbewohnenden Schlangen.<br />
Die meisten Arten scheinen recht<br />
selten zu sein -jedenfalls kann man sie<br />
kaum gezielt suchen. Stattdessen muß<br />
man sich nachts in ihren Lebensraum<br />
begeben und dort lange genug mit einer<br />
starken Taschenlampe umherleuchten,<br />
bis man ihnen - mehr oder weniger zufällig<br />
- begegnet.<br />
Kürzlich wurden von DOMERGUE<br />
(1995) acht neue Stenophis-Anen beschrieben.<br />
Dennoch sind auch weiterhin<br />
von vielen Arten nur wenige, oder gar<br />
nur einzelne Exemplare bekannt, was<br />
Aussagen über ihre Verbreitung und Variabilität<br />
stark erschwert.<br />
Zwei der von DOMERGUE (1995) beschriebenen<br />
Arten konnten wir im<br />
Trockenwald von Kirindy in Westmadagaskar<br />
beobachten. Während Stenophis<br />
tulearensis eine eher einfarbig beige<br />
Schlange mit einem schwachen dunklen<br />
Halsband ist, deren Färbung stark an Ste-<br />
nophis arctifasciatus erinnert, gehört Steno-<br />
TERRARISTIK<br />
zeigte sich das Tier überhaupt nicht aggressiv,<br />
ganz im Gegensatz zu manch anderer<br />
madagassischer Schlange.<br />
Stenophis betsileanus lebt in den Regen-<br />
wäldern Ostmadagaskars, bislang sind<br />
Stenophis cf. betsileanus<br />
phis citrinus zweifellos zu den schönsten<br />
Schlangen Madagaskars. Auf dem zitronengelben<br />
Körper befinden sich 49-58<br />
tiefschwarze Querbänder. Die Augen<br />
sind ebenfalls schwarz. Eine derartig<br />
kontrastreiche Gelb-Schwarz-Zeichnung<br />
gilt im Tierreich als Warnfärbung und<br />
findet sich normalerweise bei solchen<br />
Arten, die potentielle Freßfeinde auf ihre<br />
Giftigkeit aufmerksam machen wollen.<br />
In Europa führt dies zum Beispiel<br />
der Feuersalamander (Salamandra salamandra)<br />
vor. Es gibt aber auch ungiftige<br />
Arten, die das Farbkleid einer giftigen<br />
Art imitieren und auf diese Weise den<br />
Freßfeinden ihre Ungenießbarkeit vortäuschen,<br />
ein Phänomen, das als Mimikry<br />
weithin bekannt ist. Stenophis citrinus<br />
scheint jedoch weder giftig zu sein noch<br />
nur wenige Exemplare bekannt (siehe<br />
eine giftige Art zu imitieren. Wie sollte<br />
Tabelle). Einige Tiere sind relativ klein<br />
sie auch, denn schließlich gibt es auf<br />
(364-401 mm Gesamtlänge), zeigen eine<br />
Madagaskar keine (echten) Giftschlan-<br />
dunkelbraune bis schwarze Grundfärgen.<br />
Oder etwa doch? Auf jeden Fall<br />
Pseudoxyrhopus tritaeniatus aus dem Marojezy-Gebirgc<br />
dem Körper, 14-19 Querbändern auf<br />
dem Schwanz und 6-7 Supralabialia<br />
(Schuppen entlang der Oberlippe), von<br />
denen das dritte und vierte Kontakt mit<br />
dem Auge haben. Andere Exemplare<br />
sind fast dreimal so lang (bis 1180 mm<br />
Gesamtlänge) und die Körperfarbung<br />
ist hellbraun mit weißen Querbändern.<br />
Ein großes Weibchen aus dem Maroje-<br />
bung mit 31-35 weißen Querbändern auf zy-Gebirge (700 m über Meereshöhe)<br />
43
zeigt sogar eine fast einfarbig hellbraune<br />
Färbung. Nur bei genauem Hinsehen<br />
lassen sich ansatzweise 32 helle Querbänder<br />
auf dem Körper und 15 weitere<br />
auf dem Schwanz erkennen. Trotz des<br />
enormen Größenunterschieds stimmen<br />
die Schuppenmcrkmale der großen und<br />
kleinen Form weitgehend überein, allerdings<br />
hat das Marojezy-Wcibchen 8<br />
Supralabialia, von denen das vierte und<br />
fünfte Kontakt mit dem Auge haben. Es<br />
ist sehr wahrscheinlich, daß es sich bei<br />
der großen Form um eine neue Art handelt.<br />
Nicht völlig auszuschließen ist allerdings<br />
die Möglichkeit, daß der Größen-<br />
Stenophis c£gaimardi aus dem Marojezy-Gebirge<br />
unterschied auf einen extremen Geschlechtsdimorphismus<br />
zurückzuführen<br />
ist: Während die bisher bekannten kleinen<br />
S. betsileanus vermutlich Männchen<br />
waren, erwiesen sich zumindest zwei<br />
der großen Exemplare als Weibchen.<br />
Unerwartet waren auch die Fundumstände<br />
des Marojezy-Tieres: Es hing<br />
nicht etwa zwischen den Ästen eines<br />
Baumes, sondern kreuzte nachts auf<br />
dem Boden einen kleinen Trampelpfad.<br />
Ein weiteres großes S. betsileanus-Wcibchen<br />
mit weißer Querbänderung fanden<br />
wir in der Nähe des Ranomafana-<br />
Nationalparks. Es lag nachts bei starkem<br />
44<br />
TERRARISTIK<br />
Regen auf der Straße und war gerade dabei,<br />
ein ausgewachsenes Weibchen des<br />
Chamäleons Furcifer balteatus zu verschlingen.<br />
Der gestörten Schlange verging<br />
jedoch schnell der Appetit, und sie<br />
begann, das Chamäleon auszuwürgen.<br />
Es ist immer wieder erstaunlich, welch<br />
riesige und wehrhafte Beutetiere viele<br />
Schlangenarten bewältigen können. Auf<br />
Nosy Be sahen wir einmal, wie eine<br />
Bodenbewohnende Schlangen<br />
erstmals lebend fotografiert<br />
Pseudoxyrhopus erweist sich als eine weitere<br />
Schlangengattung, über die nur wenig<br />
bekannt ist. Es handelt sich um bodenlebende,<br />
oft nachtaktive Schlangen<br />
mit kleinen Augen und einem nur<br />
schwach vom Rumpf abgesetzten Kopf.<br />
Während die Ostküstenart Pseudoxyrhopus<br />
heterurus einen einfarbig glänzend<br />
Madagascarophis colubrinus ein weibliches schwarzen Körper hat, ist P. tritaeniatus<br />
Pantherchamäleon (Furciferpardalis) er- besonders attraktiv: Der Rücken ist<br />
beutete. Es dauerte über eine halbe Stun- orange bis leuchtend rot mit vier bis<br />
de, bis das Chamäleon tot war; dann fünf schwarzen Längsstreifen. Die Art<br />
wurde es binnen weniger Minuten ver- lebt im Regenwald und kann über einen<br />
schlungen.<br />
Meter lang werden. Noch größer (bishe-<br />
Geodipsas heimi aus Andasibe<br />
Ebenfalls im Marojezy-Gebirge, jedoch<br />
auf nur 300 m über Meereshöhe,<br />
lebt eine weitere Stenophis-An, von der<br />
wir ein Exemplar fangen konnten, das<br />
nachts auf über 3 Meter Höhe im Geäst<br />
des Urwaldes aktiv war. Wahrscheinlich<br />
handelt es sich dabei um Stenophisgai-<br />
mardi.<br />
Über die Fortpflanzung der Gattung<br />
Stenophis ist nur wenig bekannt. Für einige<br />
Arten ist belegt, daß sie Eier legen,<br />
andere bringen lebende Junge zur Welt.<br />
Für die hier vorgestellten Arten liegen<br />
noch keine Informationen über den Reproduktionsmodus<br />
vor.<br />
rige Maximallänge: 132,5 cm) wird P.<br />
microps. Dieser einfarbig dunklen<br />
Schlange begegneten wir nach Einbruch<br />
der Dunkelheit auf der Straße zwischen<br />
Sambava und Andapa im Nordosten<br />
Madagaskars. Die Fortpflanzung von<br />
Pseudoxyrhopus und den nahe verwand-<br />
ten Gattungen Pararhadinaea und Heteroliodon<br />
ist noch weitgehend unbekannt.<br />
Bislang fehlt leider eine Revision der<br />
Gattung Geodipsas, weswegen sowohl<br />
die Bestimmung der einzelnen Arten als<br />
auch ihr taxonomischer Status zum Teil<br />
ungeklärt sind. Auffällig ist, daß Geodipsas,<br />
im Gegensatz zu allen anderen ma-
dagassischen Colubridengattungen,<br />
auch auf dem afrikanischen Kontinent<br />
vertreten ist. Die genauen Beziehungen<br />
zwischen den madagassischen und den<br />
drei afrikanischen Arten müssenjedoch<br />
noch eingehend untersucht werden, anscheinend<br />
handelt es sich hier nicht um<br />
echte Verwandtschaft, sondern um konvergente<br />
Ähnlichkeiten.<br />
Ebenso unklar sind die Beziehungen<br />
zwischen Geodipsas und der monotypischen<br />
Gattung Compsophis: Letztere ist<br />
nur durch ein einziges, sehr wahrscheinlich<br />
juveniles Exemplar aus Nord-Madagaskar<br />
bekannt, das nach der Beschreibung<br />
große Ähnlichkeiten zu Geodipsas-<br />
Arten (etwa G. heimi) aufweist (siehe<br />
GLAW & VENCES 1994). Wie unzulänglich<br />
die bisherigen Beschreibungen von<br />
Geodipsas sind, läßt sich an der Art G. heimi<br />
darstellen: GUIBE (1958) beschrieb die<br />
Färbung der Bauchseite als ein brillantes<br />
Gelb mit einer Mittellinie aus feinen<br />
schwarzen Punkten. Diese Angaben beziehen<br />
sich jedoch vermutlich auf Exemplare,<br />
die in Alkohol verblichen sind. Im<br />
Leben kann diese Schlange, die uns in<br />
Andasibe buchstäblich über den Weg lief,<br />
eine rote Unterseite aufweisen.<br />
Eine zweite Geodipsas aus der Nähe<br />
von Andasibe zeigte in der Zeichnung<br />
große Ähnlichkeiten zu G. vinckei, die<br />
bisher nur von einem einzigen Typus-<br />
Exemplar her bekannt ist. Das nur 20,3<br />
cm lange (Jung-)Tier fand sich tagsüber<br />
nur wenige Meter von unseren Zelten<br />
entfernt am Ufer eines kleinen Baches<br />
im Urwald.<br />
Geodipsas cf. vinckei aus An'Ala<br />
TERRARISTIK<br />
Tabelle: Pholidosemerkmale einiger Stenophis-Arten<br />
Art Beleg<br />
S.ätrinus ZFMK 59794<br />
S. tulearensis nicht gesammelt<br />
S.cf.betsileams ZFMK 60500<br />
S. cf. betsiletmus nicht gesammelt<br />
S.betsikanus MRSN R1145<br />
S.betsikanus BMNH 1946.1.2.51<br />
S.betshmu! MNHN 1978-1423<br />
S.betsik