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Die Zeitschrift für stud. iur. und junge Juristen - Iurratio

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6<br />

Titelthema<br />

der Rechtsstaat in der Strafrechtspraxis<br />

von Rechtsanwalt Dr. Christian Pelz (München)<br />

Das in Art. 20 Abs. 3 GG niedergelegte Rechtsstaatsprinzip, wonach die Exe-<br />

kutive <strong>und</strong> die Judikative an Gesetz <strong>und</strong> Recht geb<strong>und</strong>en sind, wird gerade in<br />

der Strafrechtspflege auf eine besondere Bewährungsprobe gestellt. Kein<br />

Rechtsbereich ist derart eingriffsintensiv wie das Strafrecht. <strong>Die</strong>s gilt nicht nur<br />

<strong>für</strong> die Vollstreckung von Untersuchungs- <strong>und</strong> Strafhaft, sondern auch <strong>für</strong><br />

sonstige Zwangsmittel <strong>und</strong> (verdeckte) Ermittlungsmaßnahmen <strong>und</strong> Sankti-<br />

onen. Auch Geldstrafen, Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG oder die<br />

Verhängung eines dinglichen Arrests in das gesamte Vermögen eines Ver-<br />

dächtigen nach § 111d StPO können erdrosselnde Wirkung haben.<br />

Anhand einiger ausgewählter Beispiele, die keinen Anspruch auf Vollständig-<br />

keit erheben, soll der Versuch unternommen werden, zu skizzieren, inwieweit<br />

die Strafrechtswirklichkeit den hohen Ansprüchen von Rechtsstaatlichkeit<br />

Genüge tut.<br />

Dr. Christian Pelz <strong>stud</strong>ierte Rechtswissenschaften an der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität München. Er ist Partner in der<br />

internationalen Sozietät Noerr LLP <strong>und</strong> leitet den Bereich<br />

Wirtschafts- <strong>und</strong> Steuerstrafrecht. Seine Schwerpunkte liegen<br />

in der Verteidigung von Unternehmen <strong>und</strong> Unternehmensleitern<br />

sowie auf dem Gebiet der Compliance.<br />

A. KLASSENSTRAFRECHT<br />

Ein wesentlicher Gr<strong>und</strong>satz rechtsstaatlicher Strafrechtspflege ist das in § 152<br />

Abs. 2 StPO niedergelegte Legalitätsprinzip. Danach ist die Staatsanwaltschaft<br />

verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern tat-<br />

sächliche Anhaltspunkte hier<strong>für</strong> vorliegen. Nicht selten wird der Strafjustiz<br />

der Vorwurf gemacht, Strafverfolgung sei auch heute noch im Wesentlichen<br />

durch Repression gegen die Kriminalität der Unter- <strong>und</strong> Mittelschicht gekennzeichnet,<br />

während eine Strafverfolgung von Wirtschaftskriminalität als<br />

die Oberschicht prägende Kriminalitätsform nicht mit derselben Intensität<br />

erfolge. 1 <strong>Die</strong>ses Phänomen hat verschiedene Facetten. So ist zum einen zu<br />

konstatieren, dass Täter der Oberschicht bei vergleichbarer Deliktsschwere<br />

erheblich milder bestraft werden. 2 Es ist ein bekanntes Phänomen, dass in der<br />

Rechtswirklichkeit Straftaten mit kleinem Schaden verhältnismäßig härter<br />

sanktioniert werden als solche mit großen oder sehr großen Schäden. Sehr<br />

gut dokumentiert ist dieses Phänomen in den veröffentlichten Strafmaßtabellen<br />

zur Steuerhinterziehung. 3 Gegen die Privilegierung von vornehmlich aus<br />

der Oberschicht stammenden Tätern mit hohen Schadensfolgen ist der erste<br />

Strafsenat des BGH mit aufsehenerregenden Ausführungen zur Strafzumes-<br />

1 Neškovic, ZRP 2010, 70.<br />

2 Jahn, ZRP 2009, 247; 2007, 130.<br />

3 Statt vieler vgl. Webel, Steuerfahndung – Steuerstrafverteidigung, S. 323 ff.<br />

Zur Unzulässigkeit einer rein tarifmäßigen Straffestsetzung vgl. BGH NStZ<br />

2009, 271, 272.<br />

<strong>Iurratio</strong><br />

Ausgabe 1 / 2011<br />

sung bei Steuerstraftaten4 zu Felde gezogen. So fordert er, dass bei Schadenssummen<br />

im Millionenbereich eine zur Bewährung ausgesetzte Freiheitsstrafe<br />

nur noch in Ausnahmefällen in Betracht kommen soll. 5 Obgleich diese Entscheidung<br />

zu Recht zum Teil heftiger Kritik ausgesetzt ist6 , so legt sie doch<br />

den Finger in die W<strong>und</strong>e der zu beobachtenden Sanktionsungleichheit.<br />

Verstärkt wird dieses Phänomen noch dadurch, dass eine Verfolgung von<br />

Wirtschaftskriminalität wegen der ungenügenden Ausstattung von Justiz <strong>und</strong><br />

Ermittlungsbehörden durch personelle <strong>und</strong> sachliche Ressourcen nur unzureichend<br />

stattfindet; 7 anders als bei der Alltagskriminalität. Da der Bereich<br />

des Wirtschaftsstrafrechts sowohl durch ein hochkomplexes normatives Regelungsgefüge,<br />

8 das manchmal nur noch von Experten durchdrungen werden<br />

kann, <strong>und</strong> durch schwierige tatsächliche Sachverhaltsgegebenheiten gekennzeichnet<br />

ist, ist der Ermittlungsaufwand hoch. <strong>Die</strong> Staatsanwaltschaften sind<br />

zwar bemüht, ihren Verpflichtungen aus dem Legalitätsprinzip Genüge zu<br />

tun, so dass sich mit spektakulären Großverfahren vielfach ganze Abteilungen,<br />

zum Teil verstärkt durch Staatsanwälte aus anderen Abteilungen, befassen.<br />

Andererseits bedeutet dies aber, dass <strong>für</strong> Monate oder Jahre die Strafverfolgung<br />

in anderen Bereichen faktisch weitgehend zum Erliegen kommt.<br />

B. DER DEAL<br />

Eines der umstrittensten Problembereiche des Strafprozessrechts waren <strong>und</strong><br />

sind verfahrensbeendende Absprachen, auch als Deal bezeichnet. Dabei sichert<br />

das Gericht zu, dass im Gegenzug gegen eine ganz oder teilweise geständige<br />

Einlassung des Angeklagten, eine zu verhängende Strafe eine bestimmte<br />

Höhe nicht überschreiten wird. In der Praxis waren derartige Absprachen<br />

schon lange gang <strong>und</strong> gäbe, haben sie doch erhebliche Vorteile <strong>für</strong> beide Seiten:<br />

Angesichts der oftmals sehr weiten Strafrahmen kann der Angeklagte mit<br />

einer klaren <strong>und</strong> oftmals milderen Strafe rechnen, die ihm frühzeitig eine<br />

weitere Lebensplanung ermöglicht. Für die Strafjustiz bedeutet dies einen<br />

schnelleren Verfahrensabschluss bei geringerem Verfahrensaufwand. Angesichts<br />

der überlasteten Justiz ist der Deal in der Praxis unverzichtbar, soll ein<br />

Kollaps des Gesamtsystems vermieden werden. Trotz der Vorbehalte, die gerade<br />

seitens des BGH gegen diesen Handel mit Gerechtigkeit vorgebracht<br />

worden sind, hat sich wohl vornehmlich aus dem letzten Gr<strong>und</strong> der Gesetzgeber<br />

dazu durchgerungen, den Deal zumindest gesetzlich zu regeln <strong>und</strong> ihm<br />

Grenzen zu setzen. Nach § 257c StPO kann Gegenstand einer Verständigung<br />

lediglich das Strafmaß sein, aber nicht der Schuldspruch, d.h. wegen welcher<br />

Straftaten eine Verurteilung erfolgt, <strong>und</strong> auch nicht Maßnahmen der Besserung<br />

<strong>und</strong> Sicherung (z.B. Dauer des Entzugs der Fahrerlaubnis, Unterbringung,<br />

etc.). Das Gericht kann eine Strafober- <strong>und</strong> -untergrenze <strong>für</strong> den Fall<br />

4 BGH NStZ 2009, 271.<br />

5 BGH NStZ 2009, 271, 273.<br />

6 Spatscheck/Zumwinkel, StraFo 2009, 361; Wulf, DStR 2009, 459; Flore,<br />

HRRS 2009, 493; Salditt, PStR 2009, 15.<br />

7 BGH NStZ 2006, 925, 929.<br />

8 Beispielsweise sind Wertpapierhandelsdelikte oder Außenwirtschafts-<br />

delikte als Blanketttatbestände ausgestaltet <strong>und</strong> nehmen im Rahmen einer<br />

Verweisungskette auf eine große Zahl weiterer Bestimmungen Bezug, die<br />

ihrerseits wiederum durch eine Vielzahl auslegungsbedürftiger <strong>und</strong> unbestimmter<br />

Rechtsbegriffe geprägt sind.

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