Deutsch-polnische kontrastive Grammatik - Humboldt-Universität zu ...
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Abstract<br />
Ulrich Engel<br />
<strong>Deutsch</strong>-<strong>polnische</strong> <strong>kontrastive</strong> <strong>Grammatik</strong>: dpg – der dritte Band<br />
Als Ergän<strong>zu</strong>ng und im Interesse eines erleichterten Zugangs wird <strong>zu</strong> der zweibändigen deutsch-<strong>polnische</strong>n<br />
<strong>kontrastive</strong>n <strong>Grammatik</strong> ein dritter, kommunikativer Band erarbeitet. Nach der Prüfung einiger mehr oder<br />
weniger gescheiterten „kommunikativen“ <strong>Grammatik</strong>en wird der Aufbau des Bandes geschildert und die<br />
Konzeption an Beispielen erläutert: Die Hauptteile REDEN, ARGUMENTIEREN, PRÄZISIEREN und<br />
KOMPRIMIEREN führen <strong>zu</strong> den verschiedenen Möglichkeiten verbaler Kommunikation.<br />
1. Das Ziel<br />
Die deutsch-<strong>polnische</strong> <strong>kontrastive</strong> <strong>Grammatik</strong> (dpg) ist 1999 in zwei Bänden erschienen. In<br />
dem Forschungsplan, den ich seinerzeit bei der <strong>Deutsch</strong>en Forschungsgemeinschaft eingereicht<br />
hatte, war aber noch ein weiterer, kommunikativ angelegter Band vorgesehen. An<br />
dem arbeitet die Autorengruppe 1 seither, und über ihn wird im Folgenden berichtet.<br />
Dieser dritte Band war, als Parallelband <strong>zu</strong> den beiden „normalen“ grammatischen Bänden,<br />
für diejenigen gedacht, die mit <strong>Grammatik</strong> wenig anfangen können, die eine <strong>Grammatik</strong> nicht<br />
recht verstehen können oder auch wollen, die <strong>Grammatik</strong> nicht mögen, sie vielleicht sogar<br />
hassen – also für die überwiegende Mehrheit unserer Zeitgenossen, für Leute, die <strong>Grammatik</strong><br />
als lästiges und im Grunde unnützes Beiwerk <strong>zu</strong>m Sprachunterricht ansehen. Solche freudlosen<br />
Menschen findet man nicht nur unter den Lernenden, sondern durchaus auch unter den<br />
Lehrern bis hin <strong>zu</strong> den <strong>Universität</strong>sprofessoren.<br />
Im Gegensatz <strong>zu</strong> diesen Leuten sind wir jedoch der Überzeugung, dass <strong>Grammatik</strong> unersetzlich<br />
ist für den Spracherwerb und dass sie auch Freude machen kann. Genau da<strong>zu</strong> wollen wir<br />
mit dem dritten Band beitragen. Wir wollen mit ihm also zeigen, dass und warum grammatische<br />
Strukturen für den Spracherwerb wichtig sind, dass sie sinnvoll sind und dass man sie<br />
auch mit Vergnügen erwerben kann. Denn es geht, das soll damit demonstriert werden, um<br />
die Optimierung der verbalen Kommunikation, und alles, was diese Kommunikation fördert,<br />
soll verstärkt eingesetzt und vermittelt werden. Dies ist der Grund dafür, dass wir unseren<br />
dritten Band eine „kommunikative <strong>Grammatik</strong>“ nennen.<br />
Da es aber letztlich bei jeder <strong>Grammatik</strong> einer natürlichen Sprache um die interhumane<br />
Kommunikation geht und der Terminus „kommunikativ“ in den vergangenen Jahrzehnten<br />
auch von vielen <strong>zu</strong>m Modebegriff abgewertet wurde, ist nun genauer <strong>zu</strong> beschreiben, was bei<br />
uns unter kommunikativ verstanden wird. Und es ist in diesem Zusammenhang sorgsam <strong>zu</strong><br />
prüfen, was <strong>zu</strong> diesem Begriff in der Forschung schon gesagt worden ist.<br />
2. Wege <strong>zu</strong>r kommunikativen <strong>Grammatik</strong><br />
Dies sind die Fragen, die uns bewegen:<br />
Was ist unter „kommunikativ“ eigentlich <strong>zu</strong> verstehen?<br />
Wo<strong>zu</strong> benötigt man eine kommunikative <strong>Grammatik</strong>?<br />
Wie müsste eine solche <strong>Grammatik</strong> aufgebaut sein?<br />
Zu diesen Fragen ist seit den siebziger Jahren viel geschrieben worden, Programmatisches<br />
und Spekulatives, Panegyrisches und Kritisches, Ernst<strong>zu</strong>nehmendes und natürlich auch<br />
Unsinniges. Berichte über Fakten gibt es kaum. Ich selbst habe mich ebenfalls mit dem<br />
1 Die Autoren der dpg sind: Lesław CIRKO, Antoni DĘBSKI, Ulrich ENGEL, Alicja GACA†, Alina JURASZ,<br />
Andrzej KĄTNY, Paweł MECNER, Izabela PROKOP, Danuta RYTEL-KUC, Roman SADZIŃSKI, Christoph SCHATTE,<br />
Czesława SCHATTE, Eugeniusz TOMICZEK, Daniel WEISS. Beim dritten Band kommen hin<strong>zu</strong>: Zofia<br />
BERDYCHOWSKA, Edyta BŁACHUT, Joanna GOLONKA, Mariola WIERZBICKA.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 1
Problem beschäftigt 2 , aber nichts von dem, was ich früher <strong>zu</strong>m Thema geschrieben habe, ist<br />
von einer Art, dass ich es heute als Leitfaden bezeichnen könnte.<br />
Stark angeregt wurde ich durch die 1975 erstmals erschienene Communicative Grammar of<br />
English des englischen Semantikers Geoffrey LEECH und des schwedischen Anglisten Jan<br />
SVARTVIK. Das Buch erlebte 1994 eine zweite, stark veränderte Auflage. Die beiden Autoren<br />
hatten sich vorgenommen, „eine <strong>Grammatik</strong> aus der Sicht des Sprechers“ <strong>zu</strong> schreiben, und<br />
der Ausgangspunkt dabei sollte die Frage sein:<br />
„Wenn ich etwas Bestimmtes sagen will – welche sprachlichen Mittel stehen mir dafür<br />
<strong>zu</strong>r Verfügung?“<br />
Dies müsste in der Tat die Perspektive sein, die „kommunikativ“ genannt <strong>zu</strong> werden verdient:<br />
von den Inhalten aus<strong>zu</strong>gehen und die Ausdrucksmittel dafür <strong>zu</strong> suchen.<br />
Dieses Buch verdient also eine nähere Betrachtung. Kommunikation hat man sich nach dieser<br />
Konzeption in vier konzentrischen Kreisen vorstellen, deren innerster Begriffe enthält, deren<br />
zweitinnerster sich mit der Wahrheit von Äußerungen beschäftigt, deren dritter mit sozialen<br />
Handlungen und deren äußerster mit Bedeutungen im <strong>zu</strong>sammenhängenden Text <strong>zu</strong> tun hat.<br />
In der Legende <strong>zu</strong> der entsprechenden graphischen Darstellung, die einem Teich ähnelt, in<br />
den man einen Stein hinein geworfen hat, werden diesen konzentrisch angeordneten Inhalten<br />
spezielle Ausdrucksmittel <strong>zu</strong>geordnet: Zu den Begriffen gehören Wörter und Wortgruppen,<br />
<strong>zu</strong>r Wahrheit Sätze, <strong>zu</strong> den sozialen Handlungen Äußerungen und <strong>zu</strong> den übergreifenden<br />
Bedeutungen der Text. Diese Zuordnungen erscheinen <strong>zu</strong>nächst einleuchtend. Aber kritisches<br />
Hinterfragen bringt Risse in diesem Gedankengebäude <strong>zu</strong>tage: Erfolgt nicht, streng genommen,<br />
jegliches Reden, jegliches sprachlichen Kommunizieren in Äußerungen? Und steht<br />
nicht jede Äußerung ohnehin in übergreifenden Text<strong>zu</strong>sammenhängen?<br />
Prüft man die Details der gelieferten Erklärung, so mehren sich die Zweifel. Unter den<br />
„Begriffen“ des innersten Kreises finden wir<br />
das Referieren auf Sachen, also eine spezielle Identifikationsfunktion;<br />
das Gegensatzpaar konkret-abstrakt (eigentlich: materiell-immateriell), also ein Paar<br />
semantischer Kategorien;<br />
den Komplex aus Zeit, Tempus und Aspekt, mithin ein Konglomerat aus völlig disparaten<br />
Bereichen;<br />
die räumliche Situierung, die ja im Allgemeinen als Prädikat (über Sätze) erklärt und<br />
verstanden wird;<br />
Grund und Zweck, die eigentlich nur als Relationierung zweier Sachverhalte verstanden<br />
werden können.<br />
Wir finden noch verschiedene andere Teile, die für sich genommen plausibel sind, <strong>zu</strong> denen<br />
uns aber das einigende Band fehlt. Dieser Eindruck verstärkt sich bei der Betrachtung der<br />
weiteren Kreise. Im zweiten Kreis etwa, bei dem es um Wahrheit und Glauben geht, erscheinen<br />
als geeignete oder prototypische Ausdrucksmittel die Sprechakte Aussage, Frage und<br />
Antwort, im dritten Kreis, dem der sozialen Handlungen, erscheinen weitere Sprechakte, ohne<br />
dass diese Zuordnungen als zwingend erscheinen würden. Es mag an der Praxisorientierung<br />
des Buches liegen, dass die theoretische Begründung des Modells so dürftig und defektiv<br />
erscheint, aber der Theoretiker vermisst sie eben.<br />
Etwas anderes verstärkt die Skepsis. Der Hauptteil des Buches ist „Grammar in use“ überschrieben,<br />
also eine praktische <strong>Grammatik</strong>, eine <strong>Grammatik</strong> der Sprachpraxis – die eigentliche<br />
kommunikative <strong>Grammatik</strong>. Diesem Hauptteil ist ein völlig traditionell fundierter Teil<br />
beigegeben, der in alphabetischer Anordnung unser grammatisches Schulwissen enthält.<br />
2 Vgl. ENGEL/HAYAKAWA (1986); ENGEL (1986); ENGEL (1990); ENGEL/TERTEL (1993); ENGEL/RYTEL-KUC<br />
(1995).<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 2
Warum diese Zweigliederung? Man kann es nur vermuten: Die Autoren trauen ihrem<br />
kommunikativen Impetus nicht völlig, noch weniger wohl dem der avisierten Jünger, sie<br />
lassen dem Leser/Lerner eine Hintertür offen, wo er nachschlagen kann, was er im kommunikativen<br />
Teil nicht verstanden hat. Dieser „traditionelle“ Teil ist erheblich umfangreicher als<br />
der kommunikative Hauptteil.<br />
Damit sind die Gründe dargelegt, warum wir dieses gleichwohl Epoche machende Werk nicht<br />
<strong>zu</strong>m Vorbild für unseren kommunikativen Einstieg in die <strong>Grammatik</strong> akzeptieren konnten.<br />
Am nächsten stehen wir, von Anfang an und immer noch, dem Ansatz der Gruppe um Hans<br />
BARKOWSKI. 3 Da dessen aus der Alltagspraxis entstandene Konzeption immer wieder auf<br />
konkrete Unterrichtserfahrungen reagieren musste, liegt heute kein starres und kein bis in alle<br />
Verästelungen ausgearbeitetes System vor (am ehesten in der Dissertation, wesentlich<br />
<strong>zu</strong>rückhaltender im Handbuch). Was wir erkennen können, ist allenfalls eine Systemskizze,<br />
die jedoch immer wieder in konkreten Einzelheiten <strong>zu</strong> überzeugen vermag. Es kann hier auf<br />
die Wiedergabe der pädagogischen und der didaktischen Positionen der Autoren verzichtet<br />
werden. Und auch dass bei ihrer kritischen Sichtung wissenschaftlicher <strong>Grammatik</strong>en als<br />
Grundlage für eine pädagogische <strong>Grammatik</strong> mit der Vierteilung in Valenzgrammatik, Transformationsgrammatik,<br />
Dudengrammatik und funktionalistische <strong>Grammatik</strong>en ein seltsam<br />
schlichtes Weltbild <strong>zu</strong>m Vorschein kommt, sollte uns weder hochmütige noch spöttische<br />
Reaktionen abnötigen.<br />
Entscheidend war für uns der kommunikative Zugriff. Die Autoren gehen davon aus, dass<br />
Sprache, da sie <strong>zu</strong>r Wirklichkeitsbewältigung dient, im Wesentlichen Mitteilungen über diese<br />
Wirklichkeit produzieren muss. Diese Mitteilungen erfolgen auf Grund bestimmter Funktionen,<br />
die die Sprecher übernehmen (sollen). Sie erscheinen in dem skizzierten System in<br />
„Mitteilungsbereichen“, denen jeweils prototypische Ausdrucksmittel <strong>zu</strong>geordnet werden<br />
können. Die elf Mitteilungsbereiche (im Handbuch) lassen sich leicht auf sechs reduzieren:<br />
Identifizieren, qualifizieren, quantifizieren, räumlich oder zeitlich situieren, kausale Verbindungen<br />
herstellen, Text einbetten (zitieren). Natürlich handelt es sich hierbei immer noch um<br />
sehr abstrakte Kategorien, die, wenn es um die Zuordnung sprachlicher Ausdrucksformen<br />
geht, stark untergliedert werden müssen. So kann man etwa, wie im Handbuch geschrieben<br />
steht, nicht nur „Gegenstände“, sondern auch Sachverhalte identifizieren und damit entweder<br />
auf Nominal-/Pronominalphrasen oder auf Verben <strong>zu</strong>greifen. Mit derlei Problemen müssen<br />
indessen alle Entwürfe leben. Uns hat jedenfalls überzeugt, dass auf diese Art Kategorien der<br />
Wirklichkeitsbewältigung mit konkreten sprachlichen Formen korrelieren oder sich koordinieren<br />
lassen nach dem Prinzip: Willst du A ausdrücken, so empfehlen wir dir, <strong>zu</strong>m sprachlichen<br />
Mittel B <strong>zu</strong> greifen usw. Diese Zuordnungen dürfen willkürlich sein, sie sollten nur<br />
nicht im Widerspruch <strong>zu</strong> gängigen und bekannten Gepflogenheiten stehen. Dieses Prinzip<br />
haben wir uns im Laufe der Jahre <strong>zu</strong> Eigen gemacht.<br />
3. Der eigene Ansatz<br />
Wir sind nicht wie BARKOWSKI von den Problemen der ausländischen Arbeitnehmer ausgegangen,<br />
sondern von der Situation der quasi freiwilligen Fremdsprachenlerner, die schon eine<br />
sprachorientierte Ausbildung hinter sich haben, aber entweder die <strong>Grammatik</strong> einfach nicht<br />
mögen oder aber die „falsche“ <strong>Grammatik</strong> gelernt haben, die sich nun partout nicht mit der<br />
neu <strong>zu</strong> lernenden Fremdsprachengrammatik homogenisieren lässt. Wir gehen davon aus, dass<br />
– oder tun so, als ob – diese Lerner nichts von <strong>Grammatik</strong> wissen. Wir gehen von dem aus,<br />
was sie zweifelsfrei wissen. Auf dieser Basis beruht unser Modell.<br />
Jeder, der sprachlich kommunizieren will, trägt etwas in sich, das er ausdrücken will: Er meint<br />
etwas; oder er will aus dem, was der Kommunikationspartner ausgedrückt hat, ergründen, was<br />
3 Man vergleiche vor allem BARKOWSKIS Dissertation von 1982 Kommunikative <strong>Grammatik</strong> und <strong>Deutsch</strong>lernen<br />
mit ausländischen Arbeitern sowie BARKOWSKI et al.: Handbuch für den <strong>Deutsch</strong>unterricht mit ausländischen<br />
Arbeitern von 1980.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 3
dieser meint. Das Gemeinte ist die erste Instanz. Sprachlich ausformuliert ergibt es eine<br />
Äußerung, unabhängig von ihrer Form: ein Wort, eine Wortgruppe, ein Satz…<br />
Jede Äußerung aber hat <strong>zu</strong>m Inhalt einen Sachverhalt. Wir teilen also beim Reden Sachverhalte<br />
mit, wir fragen nach Sachverhalten, wir bestreiten Sachverhalte, wir schimpfen über<br />
Sachverhalte usw. Diese Sachverhalte versuchen wir redend <strong>zu</strong> übermitteln, und oft übermitteln<br />
wir sie nicht nur, sondern geben <strong>zu</strong>gleich unsere Einstellung <strong>zu</strong> ihnen wieder,<br />
bezeichnen sie als sicher, als nur wahrscheinlich, als unabänderlich, als erwünscht usw.: Wir<br />
bewerten häufig die Sachverhalte <strong>zu</strong>gleich mit dem Übermitteln.<br />
Was hat man sich aber unter einem Sachverhalt vor<strong>zu</strong>stellen? Woraus besteht ein<br />
Sachverhalt?<br />
Es geht bei Sachverhalten immer um eine Sache oder um Sachen, die sich auf eine bestimmte<br />
Weise verhalten, denen also ein Verhalten oder eine Eigenschaft <strong>zu</strong>geschrieben wird, man<br />
kann kurz sagen: über die etwas prädiziert wird. Man kann das Ganze in folgendem<br />
Diagramm darstellen:<br />
Gemeintes<br />
Äußerung<br />
Sachverhalt wird übermittelt und evtl. bewertet<br />
Sachen verhalten sich<br />
Dieses Modell der Kommunikation, ausgehend vom Kommunikat, liegt unserem Band<br />
<strong>zu</strong>grunde.<br />
Es ist die Frage an<strong>zu</strong>schließen, wie in Äußerungen über Sachverhalte geredet wird. Wir haben<br />
diese Möglichkeiten so geordnet, dass sich eine Vergliederung ergibt:<br />
1. Reden betrifft die grundlegenden Möglichkeiten des Kommunizierens. Hier werden die<br />
einzelnen Sprechakttypen behandelt.<br />
2. Unter Argumentieren fassen wir die komplizierteren Arten <strong>zu</strong> reden <strong>zu</strong>sammen.<br />
3. Das Präzisieren umfasst die Möglichkeiten, Beschreibungen von Sachen oder auch von<br />
deren Verhalten so exakt wie möglich <strong>zu</strong> formulieren.<br />
4. Als Komprimieren bezeichnen wir die verschiedenen Verfahren, Beschreibungen vor<br />
allem (aber keineswegs nur!) im Falle der Wiederaufnahme verkürzt wieder<strong>zu</strong>geben,<br />
ohne dass dadurch ein Informationsverlust entsteht.<br />
Wie wir im Einzelnen vorgehen, wird nun an ausgewählten Beispielen gezeigt.<br />
4. Reden<br />
Die Sprechakte gehören zweifellos <strong>zu</strong>m elementaren Handwerkszeug des Kommunikators.<br />
Wer reden will, muss auch Bescheid darüber wissen, wie man sich äußern kann.<br />
Bis hierhin lässt sich leicht und allenthalben Einigung erzielen. Schwierigkeiten treten aber<br />
auf, wenn man danach fragt, was für Typen von Sprechakten es überhaupt gibt. Wir haben die<br />
bislang vorgelegten Sprechakt-Typiken geprüft, nicht nur die von SEARLE, WUNDERLICH,<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 4
BALLMER/BRENNENSTUHL. Wir haben gefunden, dass sie alle irgendwie einleuchtend und<br />
anwendbar sind. Wir haben aber in keinem Fall gefunden, warum es gerade diese und warum<br />
es gerade so viele (<strong>zu</strong>m Beispiel fünf) und nicht andere, mehr oder weniger, sein müssen. Wir<br />
haben auch nicht gefunden, warum die Sprechakte gerade auf die jeweils empfohlene Art<br />
gegliedert werden sollen. Was wir gesucht und schmerzlich vermisst haben, das waren<br />
Begründungen für die vom Autor getroffenen Entscheidungen.<br />
Schon in der dpg haben wir uns dann für eine sehr detaillierte Typik entschieden, die primär<br />
nach partneradressierten und sprecherorientierten Typen gliedert, dann die weit häufigeren<br />
partneradressierten Akte unterteilt nach dem Kommunikationsziel, also danach, ob man nur<br />
Informationen übermitteln will, ob man aufgetretene Spannungen ausgleichen oder jemanden<br />
<strong>zu</strong> einem bestimmten Verhalten bewegen will.<br />
Angehängt an die erschöpfende Beschreibung jedes einzelnen Sprechakts haben wir dann ein<br />
<strong>zu</strong>sammenfassendes Kapitel, das die Grade und die Formen der Höflichkeit beim Sprechen<br />
schildert.<br />
Wie wir im Einzelnen vorgehen, will ich beschreiben am Beispiel der Frage, die eine Sonderform<br />
der Aufforderung ist (wer fragt, fordert den Partner <strong>zu</strong>m Antworten auf). Hier kommen<br />
6 Subtypen in Frage:<br />
Entscheidungsfrage (Ja-Nein-Frage)<br />
Sachfrage (w-Frage)<br />
Alternativfrage<br />
Rückfrage<br />
Kontaktfrage<br />
Gegenfrage<br />
Die Entscheidungsfragen stellen einen Sachverhalt in Frage und bitten um Bestätigung bzw.<br />
Ablehnung. Sie haben, wie man weiß, häufig Satzform. Dabei steht im <strong>Deutsch</strong>en das finite<br />
Verb, im Polnischen die Fragepartikel czy an erster Stelle. Die Entscheidungsfrage endet<br />
immer mit steigender Kadenz:<br />
Waren Sie gestern Abend <strong>zu</strong> Hause?<br />
Czy był pan/była pani wczoraj wieczorem w domu?<br />
In besonderen Fällen aber haben solche Fragen Hauptsatzform, nämlich wenn der Sprecher<br />
<strong>zu</strong>gleich eine starke Vermutung ausdrücken will:<br />
Sie waren gestern Abend <strong>zu</strong> Hause?<br />
Pan był/pani była wczoraj wieczorem w domu?<br />
Hier zeigt nur die Intonation an, dass es sich um eine Frage handelt, dass also eine sprachliche<br />
Reaktion des Partners erwartet wird. Und wenn der Sachverhalt im Wesentlichen bekannt ist<br />
und nur ein Teil des Sachverhalts in Frage steht, sind auch Kurzformen möglich:<br />
Gestern Abend?<br />
Wczoraj wieczorem?<br />
Dann erst recht weist nur die Intonation solche Äußerungen als Fragen aus.<br />
Die Sachfragen stellen immer nur einen Teil des Sachverhalts in Frage, den Rest weisen sie<br />
als Faktum aus. Sie enthalten immer ein Fragewort, das meist am Anfang steht:<br />
Wohin fahren Sie morgen?<br />
Dokąd pan(i) jutro jedzie?<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 5
Oder Kurzformen:<br />
Wohin?<br />
Dokąd?<br />
Sachfragen enden meist mit fallender Kadenz, weil schon das Fragewort sie als Fragen<br />
kenntlich macht.<br />
Alternativfragen sind so<strong>zu</strong>sagen ein Verschnitt aus Entscheidungs- und Sachfrage: Sie stellen<br />
zwei gegensätzliche Sachverhalte <strong>zu</strong>r Entscheidung und fordern auf, einen davon <strong>zu</strong><br />
bestätigen. Gewöhnlich haben sie die Form von Entscheidungsfragen, enthalten also kein<br />
Fragewort:<br />
Trinken Sie Kaffe oder Tee?<br />
Pije pan(i) kawę czy herbatę?<br />
Von den beiden Teilen der Alternativfrage hat gewöhnlich der erste eine steigende, der zweite<br />
eine fallende Kadenz.<br />
Auch hier gibt es Kurzformen, die aber nicht sehr höflich klingen:<br />
Kaffee oder Tee?<br />
Kawę czy herbatę?<br />
Rückfragen werden immer dann eingesetzt, wenn man eine Äußerung (jedoch nicht eine<br />
Frage) des Partners nicht verstanden hat. Dabei wird mindestens ein Teil der Partneräußerung<br />
wiederholt, wobei aber deiktische Elemente verändert werden. Der Fragecharakter wird im<br />
<strong>Deutsch</strong>en nur durch die Intonation deutlich:<br />
(Ich kann Sie nicht verstehen.) Sie können mich nicht verstehen?<br />
(Nie mogę pana/pani zro<strong>zu</strong>mieć.) Czy nie może mnie pan/pani zro<strong>zu</strong>mieć?<br />
Es gibt noch viele weitere Formen der Rückfrage, die hier aber nicht alle aufgeführt werden<br />
müssen.<br />
Die Kontaktfrage schließlich dient dem Sprecher da<strong>zu</strong>, die Aufmerksamkeit des Partners<br />
wach<strong>zu</strong>halten bzw. sich dieser Aufmerksamkeit <strong>zu</strong> versichern. Es handelt sich meist um<br />
Floskeln wie<br />
Nicht wahr? Nicht?<br />
Prawda? Nie?<br />
Besonders interessant ist die Gegenfrage, die immer dann eingesetzt wird, wenn man eine<br />
Frage nicht verstanden hat:<br />
(Wer hat die Fensterscheibe zerbrochen?) Wer die Fensterscheibe zerbrochen hat?<br />
(Kto stłukł szybę?) Kto stłukł szybę?<br />
Die Beispiele offenbaren einen wichtigen Unterschied zwischen den beiden Sprachen: Im<br />
<strong>Deutsch</strong>en hat die Gegenfrage immer Nebensatzform, im Polnischen gibt es eine spezifische<br />
Form für Nebensätze nicht, die Gegenfrage sieht also wie eine normale Frage, die gleicht der<br />
vorangegangenen und nicht verstandenen Partnerfrage. Und weil das deutsche Verfahren in<br />
der Tat ungewöhnlich ist und darum auch typische „Ausländerfehler” hervorruft, besteht<br />
Anlass, hierauf besonders hin<strong>zu</strong>weisen. Es empfiehlt sich sogar, die Behandlung des<br />
deutschen Nebensatzes, der für ausländische <strong>Deutsch</strong>lerner gerade<strong>zu</strong> unbegreifliche<br />
Besonderheiten aufweist, an diesem Phänomen der Gegenfrage auf<strong>zu</strong>hängen. So verfahren<br />
wir übrigens mit Vorliebe in unserer kommunikativen <strong>Grammatik</strong>: Wir behandeln das in<br />
Frage stehende Phänomen, nämlich ein bestimmtes kommunikatives Bedürfnis, so, dass<br />
<strong>zu</strong>nächst sämtliche Ausdrucksformen aufgezählt und in ihrem Gebrauch gezeigt werden,<br />
lassen die Beschreibung aber schließlich in eine einzige systemgrammatische Kategorie<br />
münden, die für dieses kommunikative Anliegen besonders typisch ist.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 6
Und damit der Lerner sich bei etwa auftretender Unsicherheit (Vergesslichkeit nicht<br />
ausgeschlossen) wieder auf den rechten Pfad <strong>zu</strong>rückhangeln kann, gibt es auch bei uns einen<br />
„systemgrammatischen” Teil: In insgesamt 39 <strong>zu</strong>sätzlichen Kapiteln haben wir<br />
<strong>zu</strong>sammengepresst, was wir an schulgrammatischem Wissen für nötig halten. Dieser Teil ist<br />
bei uns unvergleichlich viel kleiner als der kommunikative.<br />
5. Argumentieren<br />
Will man sich nicht einfach bloß unterhalten, will man ein Problem lösen, den anderen<br />
überzeugen, Missverständnisse ausräumen, kurz: in komplizierter Weise über komplexere<br />
Sachverhalte reden, so spielt <strong>zu</strong>nächst das Wenn und das Weil eine wichtige Rolle. Wenn und<br />
weil sind Verbindungsstücke, Gelenke zwischen zwei oder mehr Sachverhalten, die<br />
<strong>zu</strong>einander in Beziehung gesetzt werden. So steht das Relationieren am Anfang dieses<br />
zweiten Hauptteils, und dies legt auf der Ausdrucksseite nahe, <strong>zu</strong> komplexen Sätzen<br />
über<strong>zu</strong>leiten, also <strong>zu</strong> Satzgefügen und <strong>zu</strong> nebengeordneten, durch Konjunktoren verbundenen<br />
Satzfolgen.<br />
Zum Argumentieren gehört auch, dass man sorgsam zwischen wichtigeren und weniger<br />
wichtigen Sachverhalten bzw. Bestandteilen von Sachverhalten unterscheidet. Es geht um das<br />
Hervorheben von Redestücken und um die vielfältigen Mittel der Hervorhebung. Zu deren<br />
meistgebrauchten Ausdrucksformen gehört die Stellung, gar nicht nur (und meistens gar<br />
nicht) die „Wortstellung“, sondern die Abfolge der Teile im Satz, in Satzgefügen, im Text.<br />
Was in der traditionellen <strong>Grammatik</strong> unter „Wortstellung“ läuft, sollte neben Intonation,<br />
Stress und weiteren paralinguistischen Erscheinungen hier seinen Platz finden.<br />
Ein anderer Aspekt ist wichtig: Wer argumentieren will, muss ehrlich sein. Das bedeutet auch,<br />
dass er alles, was nicht auf seinem eigenen Mist gewachsen ist, was andere schon vor ihm<br />
gedacht und <strong>zu</strong>m aktuell behandelten Sachverhalt gesagt haben, als fremdes Gut ausweist. Er<br />
muss zitieren können. Philologen, die ihr Geschäft ernst nehmen, sind gute Argumentierer,<br />
weil sie sich nicht mit fremden Federn schmücken.<br />
Dieses Sich-Berufen auf andere ist ein wesentlicher Teil des Argumentierens. Es hat in beiden<br />
Sprachen mehrere Ausdrucksmöglichkeiten. Für das <strong>Deutsch</strong>e ist hier besonders der<br />
Konjunktiv (I) <strong>zu</strong> nennen, aber auch übergeordnete Ausdrücke des Sagens, des Sich-Äußerns:<br />
Dieses Mittel sei noch nicht ausreichend erprobt, erklärte Dr. Nowak.<br />
Dr Nowak oswiadczyl, ze ten srodek nie jest jeszcze wystarczajaco wypróbowany.<br />
In diesem Beispiel wird sehr schön deutlich, dass die Stellung des Nebensatzes und die<br />
Gefügebildung mit Hilfe eines Subjunktors im Polnischen einen völlig anderen Satz<br />
erzwingen als im <strong>Deutsch</strong>en.<br />
Wer um Ehrlichkeit bemüht ist, der sollte auch deutlich machen, wenn ein Sachverhalt noch<br />
ungesichert ist, wenn Teilsachverhalte nur auf Vermutungen gründen usw. Deshalb haben wir<br />
ein kommunikatives Kapitel Einschätzen eingefügt, das den Einsatz gewisser sprecherpräsentischer<br />
Kautelen behandelt. An Ausdrucksmitteln stehen hier Abtönungspartikeln <strong>zu</strong>r<br />
Verfügung, überhaupt Partikeln mit modaler Bedeutung, da<strong>zu</strong> die Modalverben, wenn sie,<br />
wie wir sagen, sprecherorientiert verwendet werden, also die Haltung des Sprechers<br />
dokumentieren 4 . Dies gilt namentlich für das <strong>Deutsch</strong>e:<br />
Sie soll verheiratet sein.<br />
Podobno jest zamezna.<br />
4 Mit dem Ausdruck „sprecherorientiert“ bezeichnen wir das, was die traditionelle Schulgrammatik den<br />
„subjektiven Gebrauch“ der Modalverben nannte (übrigens verfahren modernere <strong>Grammatik</strong>en, die auch in<br />
Polen eifrig verwendet werden, ebenso), was wir für schlimm halten, weil es in der <strong>Grammatik</strong>, speziell der<br />
Satzgrammatik, eben auch ein Subjekt gibt und weil dieser Gebrauch der Modalverben mit dem grammatischen<br />
Subjekt überhaupt nichts <strong>zu</strong> tun hat.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 7
Zum Einschätzen kommt das Negieren, das manche als Extremform des Einschätzens<br />
betrachten wollen. Jedenfalls haben Negation und Ästimation gemeinsam, dass sie nicht<br />
Eigenschaften von Sachen oder Sachverhalten sind, wie viele meinen, sondern Bewertungen<br />
von Sachen oder Sachverhalten. Es gibt keine negativen Sachen oder Sachverhalte, man kann<br />
sie allenfalls negativ beschreiben. Deshalb sind die beiden folgenden Sätze gleichwertig:<br />
Sie sollten nicht so langsam gehen. und: Sie sollten etwas schneller gehen.<br />
Nie powinien pan/powinna pani isc tak wolno. und: Niech pan/pani idzie troche<br />
szybciej.<br />
Abgeschlossen wird der Teil über das Argumentieren durch ein weiteres, umfangreiches<br />
Kapitel, das lehrt, wie man reden soll, vor allem wie man argumentieren soll. Dieses Kapitel<br />
Sachlich reden ist nötig, weil man im Grunde immer nur über Verstöße gegen das<br />
Sachlichkeitsgebot schreibt und liest, aber kaum einmal Auskünfte darüber erteilt oder erhält,<br />
wie denn eigentlich Sinn und Ziel solcher Kritik <strong>zu</strong> verstehen sind.<br />
6. Präzisieren<br />
Man kann Beschreibungen umschweifig und detailbesessen gestalten, man kann sie auch<br />
pauschal und kompakt ausführen. Die unterschiedlichen Möglichkeiten sind weithin bekannt.<br />
Dass Präzision besonders beim Argumentieren wichtig ist, braucht nicht betont <strong>zu</strong> werden.<br />
Zum Beispiel bringt es im Allgemeinen wenig <strong>zu</strong> sagen, eine Sache verhalte sich eben auf<br />
eine bestimmte Weise. Meist wird konkret verdeutlicht, dass sich etwas bewegt oder dass man<br />
etwas bewegt, dass sich etwas in einem Zustand befindet oder dass man etwas in einen<br />
Zustand bringt, dass man etwas erzeugt oder vernichtet usw. Und jedes Mal, wenn er auf<br />
solche Art einen Sachverhalt konkreter darstellt, muss der Sprecher <strong>zu</strong> einem speziellen<br />
Muster greifen, muss er einen bestimmten Satzbauplan auswählen. Man kann daraus, wenn<br />
man unser Verfahren aufgeschlossen prüft, leicht ersehen, warum wir statt der klassischen<br />
drei oder vier Objekte elf Ergän<strong>zu</strong>ngen haben müssen, die eine entsprechend hohe Zahl von<br />
Satzmustern und Satzbauplänen ergeben. Was wir mit diesem satzsyntaktischen Instrumentarium<br />
den Lesern und den Lernern <strong>zu</strong>muten, ist keine Folge von Eigensinn oder Eitelkeit<br />
oder theoretischer Verstiegenheit, sondern der Niederschlag unseres Bemühens, wirklich alle<br />
Möglichkeiten der Kommunikation <strong>zu</strong> erfassen und so das geeignete Baumaterial für ihre<br />
Versprachlichung bereit <strong>zu</strong> stellen.<br />
Spontan denkt man beim Präzisieren freilich eher an die Beschreibung von Sachen als von<br />
Sachverhalten. Für diesen Zweck werden am ehesten Nominalphrasen verwendet. Die<br />
Struktur der Nominalphrase spiegelt verschiedene Teilfunktionen des Beschreibens wider. So<br />
kann man die Sachen auf unterschiedliche Arten identifizieren, ja man muss es tun, man muss<br />
also in der Regel eine Entscheidung für die eine oder die andere Alternative treffen. Man kann<br />
also <strong>zu</strong>m Beispiel Sachen als „definit“ identifizieren und verwendet dafür im <strong>Deutsch</strong>en den<br />
definiten Artikel, im Polnischen, sofern es nötig ist, ein demonstratives Determinativ. Man<br />
kann eine Sache auch als definit und gleichzeitig einer anderen Sache „<strong>zu</strong>gehörig“<br />
identifizieren, dann benützt man das possessive Determinativ, das im Polnischen häufig durch<br />
ein Reflexivum belegt ist:<br />
Adam verkauft sein Haus.<br />
Adam sprzedaje swój dom.<br />
Zusätzlich <strong>zu</strong>r Identifikation müssen die Sachen aber häufig auch charakterisiert werden –<br />
durch Adjektive, Relativsätze und anderes.<br />
Dies alles gibt uns Anlass, dem kommunikativen Text eine Reihe von „Systemkapiteln“ <strong>zu</strong>r<br />
Deklination der Nomina, der Determinative und der Adjektive, ebenso <strong>zu</strong>r Struktur der<br />
Nominalphrase an die Seite <strong>zu</strong> stellen. Es geht hier um Kapitel, die <strong>zu</strong>m Teil Geläufiges<br />
bringen, <strong>zu</strong>m Teil aber erst ganz neu geschrieben werden müssen, weil die alten <strong>Grammatik</strong>en<br />
viel Geläufiges im Zusammenhang der Nominalphrasen und anderer häufig benötigter<br />
Strukturen einfach vergessen <strong>zu</strong> haben scheinen.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 8
Daneben gibt es viele weitere Anlässe <strong>zu</strong>r Präzisierung, etwa durch Angabe von Umständen,<br />
in die Sachverhalte eingebettet werden. Sie müssen hier nicht alle im Einzelnen erwähnt<br />
werden. Von Interesse dürfte aber noch das quasi umgekehrte Verfahren sein, das<br />
Komprimieren.<br />
7. Komprimieren<br />
Hierbei geht es darum, Sachen und Sachverhalte knapper dar<strong>zu</strong>stellen, als es möglich und oft<br />
auch als es nötig ist. Ich will das Phänomen an einem grammatischen Prozess schildern, der in<br />
der Literatur oft genug diskutiert wurde.<br />
Sachverhalte, wie man weiß, werden in der Regel durch Sätze versprachlicht:<br />
Anton kritisierte Manfred wegen etwas. Manfred ging in den Zirkus.<br />
Anton (s)krytykowal Manfreda z jakegos powodu. Manfred poszedl do cyrku.<br />
Diese beiden Sachverhalte kann man <strong>zu</strong>sammen bringen, wenn der zweite als Grund des<br />
ersten Sachverhalts fungiert. Ein probates Ausdrucksmittel hierfür ist, den zweiten<br />
Sachverhalt als Nebensatz wieder<strong>zu</strong>geben<br />
Anton kritisierte Manfred, weil der in den Zirkus ging.<br />
Anton (s)krytykowal Manfreda, poniewaz/za to ze (ten) poszedl do cyrku.<br />
Und diesen ganzen komplexen Satz kann man verkürzen, indem man den <strong>zu</strong>grunde liegenden<br />
Sachverhalt wie eine Sache behandelt – und Sachen, so erinnert man sich, werden bevor<strong>zu</strong>gt<br />
durch Nominalphrasen wiedergegeben – und ihn dann in einen weiteren, „höheren“ Satz<br />
einbaut:<br />
Antons Kritik an Manfred, weil der in den Zirkus ging(, rief bei den Anwesenden<br />
Unverständnis hervor.)<br />
Krytyka Manfred przez Antona, poniewaz poszedl do cyrku(, nie znalazla zro<strong>zu</strong>mienia<br />
u obecnych.)<br />
Bei derlei Nominalisierungen ist es wichtig <strong>zu</strong> wissen, ob sich die Valenz des Verbs auf das<br />
abgeleitete Nomen „vererbt“ und was sich bei der Vererbung gegebenenfalls ändert. Dafür<br />
gibt es Regeln, die erst in den vergangenen Jahren erforscht und dargelegt wurden, und auf<br />
diese Regeln muss man <strong>zu</strong>rückgreifen.<br />
Das Beispiel zeigt, dass Komprimieren keineswegs nur dann erfolgt, wenn ein Thema wieder<br />
aufgenommen wird und eine verkürzte Wiedergabe Zeit und Energie spart. Oft komprimiert<br />
man eben auch, um ein Thema in ein anderes Thema ein<strong>zu</strong>bauen. Damit dient das<br />
Komprimieren nicht nur der Verkür<strong>zu</strong>ng, der Ersparnis im Redeprozess, sondern oft auch der<br />
Gewinnung größerer Zusammenhänge, und damit der besseren Übersichtlichkeit. Aus diesem<br />
Grund wird etwa in der Zeitungssprache besonders häufig vom Komprimieren durch<br />
Nominalisieren Gebrauch gemacht.<br />
8. Der Stand der Dinge<br />
Es wurde versucht <strong>zu</strong> zeigen, wie die kommunikative <strong>Grammatik</strong> – unser dritter Band –<br />
aufgebaut ist, wo Schwerpunkte liegen, wie wir die Hinführung <strong>zu</strong>r „Systemgrammatik“<br />
handhaben. An diesem Band arbeiten außer mir 5 Kolleginnen und Kollegen aus ganz Polen,<br />
konkret von den <strong>Universität</strong>en Gdańsk, Kraków, Łódź, Poznań, Rzeszów, Szczecin und<br />
Wrocław, eine Mitarbeiterin ist an der <strong>Universität</strong> Leipzig, ein deutschsprachiger (faktisch<br />
zweisprachiger) Mitarbeiter lebt und lehrt in Zürich. Konsultanten, die unsere Manuskripte<br />
prüfen und dadurch mitverantworten, sind Alicja NAGÓRKO (Berlin), Krystyna PISARKOWA<br />
(Kraków) und Heinz VATER (Köln).<br />
5 Der Autor war von 1965 bis 1991 wissenschaftlicher Mitarbeiter, zeitweise Direktor des Instituts für deutsche<br />
Sprache in Mannheim. Von 1971 bis 1999 war er außerdem an der <strong>Universität</strong> Bonn, zeitweise auch an der<br />
<strong>Universität</strong> Mannheim tätig.<br />
Ulrich Engel – <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 9
Und soweit sind wir heute: 6<br />
Teil 1 („Reden“) ist, mit einer kleinen Ausnahme, fertig gestellt, ebenso eine ausführliche,<br />
sehr lesbare, aber gleichwohl theoretische Einführung in den ganzen dritten Band.<br />
Teil 2 („Argumentieren“) ist im Wesentlichen fertig gestellt.<br />
Teil 3 („Präzisieren“) ist <strong>zu</strong>r Hälfte fertig, der Rest folgt in im Frühjahr 2007.<br />
Teil 4 („Komprimieren“) ist <strong>zu</strong> drei Vierteln in Erstfassung fertig, Überarbeitung und<br />
restliche Kapitel folgen bis <strong>zu</strong>r Jahresmitte 2007.<br />
Die im Wesentlichen traditionell organisierten „Systemkapitel“ liegen vollzählig vor.<br />
Was nach erfolgtem Eingang der genannten Teile, Kapitel, Abschnitte folgt (Korrigieren,<br />
Homogenisieren, Lücken füllen), ist notwendigerweise Knochenarbeit, verteilt auf die<br />
Schultern weniger Kärrner. Die werden in der zweiten Hälfte des Jahres 2007 das druckfertige<br />
Skript vorlegen.<br />
Literatur<br />
BARKOWSKI, H. et al. (1980): Handbuch für den <strong>Deutsch</strong>unterricht mit ausländischen Arbeitern,<br />
Königstein/Ts.<br />
BARKOWSKI, H. (1982): Kommunikative <strong>Grammatik</strong> und <strong>Deutsch</strong>lernen mit ausländischen Arbeitern.<br />
Königstein/Ts.<br />
BALLMER, T. / BRENNENSTUHL, W. (1981): Speech Act Classification. New York.<br />
ENGEL, U. (1986): Kommunikative Kategorien im Fremdsprachenunterricht. Neue Wege <strong>zu</strong>r<br />
Vermittlung von <strong>Grammatik</strong>kenntnissen. In: M. CANDELIER (Hg.): Confronter nos approches.<br />
Journées d’études de l’APLV. Vol. II (Allemand). Paris, S. 29-36.<br />
ENGEL, U. (1990): „Kommunikative“ <strong>Grammatik</strong>? In memoriam Hugo Moser. In: Muttersprache 100,<br />
S. 99-115.<br />
ENGEL, U. et al. (1999): <strong>Deutsch</strong>-<strong>polnische</strong> <strong>kontrastive</strong> <strong>Grammatik</strong>. 2 Bände, Heidelberg.<br />
ENGEL, U. / HAYAKAWA, T. (1986): <strong>Deutsch</strong>e <strong>Grammatik</strong> auf kommunikativer Grundlage. Übersetzt<br />
von K. KODA. In japan. Sprache. Tokyo.<br />
ENGEL, U. / TERTEL, R. K. (1993): Kommunikative <strong>Grammatik</strong> <strong>Deutsch</strong> als Fremdsprache. München.<br />
ENGEL, U. / RYTEL-KUC, D. (1995): Etwas tun. Der kommunikative Weg <strong>zu</strong>r <strong>Grammatik</strong>. In: POPP, H.<br />
(Hg.): An den Quellen eines Faches. Festschrift für Gerhard Helbig <strong>zu</strong>m 65. Geburtstag. München,<br />
S. 23-40.<br />
LEECH, G. / SVARTVIK, J. (1975, 2 1994): A Communicative Grammar of English. London.<br />
SEARLE, J. R. (1969): Speech Acts. Cambridge.<br />
WUNDERLICH, D. (1976): Studien <strong>zu</strong>r Sprechakttheorie. Frankfurt/M.<br />
6 Der Vortrag fand im September 2006 statt. Der Fortschritt bis <strong>zu</strong>m Januar 2007 ist in den folgenden Angaben<br />
berücksichtigt.<br />
Ulrich Engel<br />
ehem. Rheinische Friedrich-Wilhelms-<strong>Universität</strong> Bonn, <strong>Deutsch</strong>land<br />
dr.u.engel-heppenheim@t-online.de<br />
http://www1.uni-bonn.de/startseite/jsp/index.jsp<br />
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