Vortrag - Humboldt-Universität zu Berlin
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Abstract<br />
Ildikó Szoboszlai<br />
Zum Ausdruck der Aspektualität im gegenwärtigen Deutsch<br />
Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, wie die Funktionen des russischen Verbalaspekts in der deutschen<br />
Sprache <strong>zu</strong>m Ausdruck kommen. Es werden Sätze verglichen wie z.B. Das Kind trinkt Milch (jetzt/gerade/im<br />
allgemeinen).Das Kind trinkt die Milch, (alles, was die Mutti will.) und Das Kind trinkt ein Glas Milch in fünf<br />
Minuten. Hier kommt die aspektuale Bedeutung im Zusammenspiel von Verb, Adverbialbestimmung und Objekt<br />
<strong>zu</strong> Stande. Im Weiteren wird untersucht, welche deutschen Vergangenheitstempora dem Ausdruck eines<br />
konkreten Prozesses, einer Wiederholung der Handlung, eines verallgemeinerten Faktes und eines konkreten<br />
Faktes dienen. Ebenfalls werden die perfektivierenden und aoristischen Funktionen von Verben in<br />
Vergangenheitstempora unter kontrastivem Aspekt <strong>zu</strong>m Russischen untersucht.<br />
1 Aspekt, Aspektualität und Aktionsart<br />
Über Verbalaspekte verfügen nur die sogenannten Aspektsprachen (z.B. die slawischen). Nur<br />
dort bilden die Aspekte echte morphologische und syntaktische Oppositionen. Viele<br />
Untersuchungen kommen aber mehr und mehr <strong>zu</strong> der Auffassung, dass die Aspektualität in<br />
der Tiefenstruktur einer jeden Sprache verankert ist (MASLOV 1984). Dementsprechend gilt<br />
die Unterscheidung zwischen dem Aspekt im engeren Sinne für Aspektsprachen und der<br />
Aspektualität im weiteren Sinne für andere Sprachen, auch für die deutsche.<br />
Im Russischen haben fast alle Verben zwei Formen für die Bezeichnung ein und derselben<br />
Handlung, die sich voneinander nur durch Präfixe oder Suffixe unterscheiden. Das eine der<br />
Verbpaare ist perfektiv, das andere ist imperfektiv. Diese Opposition wird in der Fachliteratur<br />
als eine Unterscheidung der Abgeschlossenheit/Nicht-Abgeschlossenheit der Handlung<br />
bezeichnet. In neueren Arbeiten wird sie als eine Unterscheidung von „Grenzbezogenheit/Nicht-Grenzbezogenheit“<br />
(oder „Terminativität/Aterminativität“ einerseits, sowie<br />
„Erreichung/Nichterreichung der Grenze der Handlung“ andererseits) erklärt (HENTSCHEL/<br />
WEYDT 1990: 40).<br />
Es gibt im Deutschen Verben, die eine bestimmte Aktionsart haben und infolge ihrer<br />
Bedeutung ebenfalls die obigen Unterschiede ausdrücken können. Dies hat in der<br />
Fachliteratur oft <strong>zu</strong> terminologischer Konfusion geführt. Deshalb muss zwischen Aspekt und<br />
Aktionsart unterschieden werden. „Unter Aktionsart versteht man meist eine rein semantische<br />
Kategorie, die dem Verb schon lexikalisch <strong>zu</strong>kommt“ (HENTSCHEL/WEYDT 1990: 35). Der<br />
Aspekt ist grammatikalisiert und systemhaft, die Aktionsart der Verben ist demgegenüber<br />
lexikalisiert und nicht systemhaft. In der russischen Sprache gibt es außer dem Verbalaspekt<br />
auch die Aktionsart von Verben. Die Aktionsart ist auch im Russischen lexikalisiert und die<br />
Verben, die einer bestimmten Aktionsart <strong>zu</strong>geordnet werden können, haben keine<br />
Aspektpaare. Weil sie wegen der Bedeutung des Verbs entweder nur imperfektiv (z.B.<br />
присутствовать = anwesend sein), oder nur perfektiv sein können (z.B. набегаться = sich<br />
todmüde laufen).<br />
Der Aspekt im Russischen ist eine grammatische Kategorie, die als solche für jedes Element<br />
der Wortklasse Verb obligatorisch ist. Die Unterschiede der Verbpaare sind zwar<br />
morphologisch (z.B. писать/написать: schreiben, рассказывать/рассказать: erzählen),<br />
selten lexikalisch (z.B. говорить/сказать: sprechen/sagen), bilden jedoch nicht nur<br />
morphologische, sondern auch syntaktische Oppositionen.
2 Modalitätsbedeutungen, mit Verbalaspekt ausgedrückt<br />
Mit den Aspektpaaren von russischen Verben können auch verschiedene Bedeutungen der<br />
Modalität ausgedrückt werden: z.B. das russische Adverb нельзя drückt in Verbindung mit<br />
dem Infinitiv eines imperfektiven Verbs ein Verbot aus, mit dem Infinitiv eines perfektiven<br />
Verbs drückt es dagegen aus, dass die Ausführung der Handlung nicht möglich ist:<br />
нельзя + Infinitiv eines imperfektiven Verbs = es ist verboten, etw. <strong>zu</strong> machen<br />
нельзя + Infinitiv eines perfektiven Verbs = es ist unmöglich, etwas <strong>zu</strong> machen<br />
3 Die Rolle des Verbalaspekts im Ausdruck der verschiedenen Sprechakttypen der<br />
Aufforderung<br />
Eine sehr wichtige Rolle spielt der russische Verbalaspekt im Ausdruck der verschiedenen<br />
Sprechakttypen der Aufforderung.<br />
Der Imperativ der perfektiven Verben bezeichnet die Aufforderung <strong>zu</strong>r Ausführung einer<br />
einmaligen Handlung in der Bedeutung einer Bitte, Forderung, eines Befehls und Ratschlags:<br />
Ответьте на мои вопросы!<br />
Antwortet auf meine Fragen!<br />
Wenn wir aber in einer solchen Situation eine imperfektive Form benutzen, bedeutet sie<br />
entweder eine nachdrückliche Bitte oder kann als eine grobe Aufforderung aufgefasst werden:<br />
Встань, ну вставай же! Давайте мне вашу ручку!<br />
Steh auf, nun steh doch mal auf! Geben Sie mir Ihren Kuli!<br />
Im ersten Fall kann die Nachdrücklichkeit durch die Partikeln doch mal gekennzeichnet<br />
werden. Im zweiten Fall ist die Aufforderung im Deutschen sehr brüsk, was mit Partikeln<br />
abgemildert oder umschrieben werden kann:<br />
Geben Sie mir bitte Ihren Kuli!<br />
Würden Sie mir bitte mal Ihren Kuli geben?<br />
Die perfektive Verbform benutzt man dann, wenn die Aufforderung auf das Ergebnis der<br />
Handlung gerichtet ist:<br />
Ax, … замолчите!<br />
Ach, … seid still!<br />
Die imperfektiven Verben betrachten dagegen die Handlung in ihrem Ablauf. Im Russischen<br />
benutzt man ihren Imperativ, wenn man jemanden auffordert mit der Handlung <strong>zu</strong> beginnen<br />
oder diese fort<strong>zu</strong>setzen. Das kann im Deutschen nur mit einer Umschreibung wiedergegeben<br />
werden:<br />
Теперь пишите незнакомые слова в тетради!<br />
Und jetzt fangt an, die unbekannten Wörter ins Heft <strong>zu</strong> schreiben!<br />
Man benutzt die imperfektiven Verben in Aufforderungen <strong>zu</strong> <strong>zu</strong> wiederholenden Handlungen:<br />
Перед каждым уроком проветривайте класс.<br />
Lüftet bitte vor jeder Stunde das Klassenzimmer.<br />
Mit dem imperfektiven Verb kann man den Gesprächspartner da<strong>zu</strong> auffordern, etwas anders<br />
<strong>zu</strong> machen:<br />
Говорите по-тише!/Sprecht etwas leiser!<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 2
Das imperfektive Verb benutzt man bei einer Einladung, beim Anbieten, und wenn man<br />
jemandem etwas Gutes wünscht oder jemanden um Erlaubnis bittet:<br />
Приходи к нам в субботу! Выздоравливайте скорее!<br />
Komm <strong>zu</strong> uns am Samstag! Erholen Sie sich schnell!<br />
- Можно включить телевизор? - Включайте!<br />
- Darf ich den Fernseher einschalten? - Schalte ihn ein!<br />
Wenn die beiden Verbformen in einem verneinten Satz stehen, haben sie unterschiedliche<br />
Bedeutungen. Die imperfektiven Verben benutzt man in einem negierten Satz, wenn man<br />
jemandem etwas verbietet (a) oder jemandem rät, etwas nicht <strong>zu</strong> tun (b):<br />
(a) Не переходи улицу на красный свет!<br />
Überquere die Strasse nicht bei Rot!<br />
(b) Не выходи на улицу, там холодно!<br />
Geh nicht auf die Strasse hinaus, da ist es kalt.<br />
Die perfektiven Verben benutzt man in einem verneinten Aufforderungssatz, wenn man<br />
jemanden vor etwas bewahren will, ihn auf etwas aufmerksam machen will.<br />
Смотри, не упади!<br />
Pass auf, dass du nicht hinfällst!<br />
Die deutschen Verben verfügen nur über eine Form, die ein relativ kleines Bedeutungsfeld<br />
tragen kann. Die komplexere Bedeutung der russischen Verben kann manchmal im Deutschen<br />
nur mit <strong>zu</strong>sätzlichen Partikeln ausgedrückt werden.<br />
Входите, раздевайтесь.<br />
Aber kommen Sie doch herein und legen Sie bitte ab!<br />
Nur der Aspektunterschied ist in den folgenden zwei russischen Sätzen <strong>zu</strong> beobachten:<br />
Не роняй тарелку! : Lass den Teller nicht fallen!<br />
↓ ↓<br />
Negation Objekt<br />
Imperativ des imperfektiven Verbs<br />
Не урони тарелку! : Dass du (mir) den Teller nicht fallen lässt!<br />
↓ ↓<br />
Negation Objekt<br />
Imperativ des perfektiven Verbs<br />
Die stärkere Warnung, d.h. die Mahnung wird im Russischen nur mit dem Aspektunterschied<br />
der Verbpaare ausgedrückt, im Deutschen aber mit der Nebensatzwortfolge und mit der<br />
Intonation, manchmal auch mit dem ethischen Dativ mir, der in solchen Sätzen als Partikel<br />
gilt (THURMAIR 1989: 195-199).<br />
4 Zusammenhang zwischen Aspekt und Tempus<br />
Dass der Aspekt eine grammatische Erscheinung ist, kann auch damit erklärt werden, dass der<br />
Verbalaspekt für die Bedeutung und den Gebrauch der Tempusformen ausschlaggebend ist.<br />
Im Serbokroatischen können beispielsweise perfektive Verben im Präsens nur in Sätzen<br />
verwendet werden, die durch einen Subjunktor eingeleitet sind, und im Russischen drückt die<br />
Präsensform der perfektiven Verben <strong>zu</strong>künftige abgeschlossene Sachverhalte aus.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 3
4.1 Abgeschlossenheit in der Zukunft<br />
Die Abgeschlossenheit der Handlung in der Zukunft kann im Deutschen mit dem Futur II<br />
oder in der Umgangssprache mit dem Perfekt, in Verbindung mit Temporalangaben<br />
ausgedrückt werden:<br />
Bis Sonnabend werde ich das Buch sicher gelesen haben.<br />
Bis Sonnabend habe ich das Buch sicher gelesen.<br />
Die obigen zwei Sätze sind austauschbar. In der Umgangssprache wird das einfachere Perfekt<br />
bevor<strong>zu</strong>gt (HELBIG/BUSCHA 1999: 152-153).<br />
4.2 Aspektualität im Präsens<br />
Des Weiteren interessiert uns, was für eine Aspektualität die deutschen Verben im Präsens<br />
ausdrücken können:<br />
Das Kind trinkt gerade/jetzt/im allgemeinen Milch. – imperfektive Lesart<br />
Das Kind trinkt die Milch, alles, was die Mutti will. – perfektive Lesart<br />
Das Kind trinkt ein Glas Milch in 5 Minuten. – perfektive Lesart<br />
Für die perfektive Lesart kann im Russischen nur das perfektive Verb stehen.<br />
Das durativeVerb trinken kann im Deutschen sowohl die imperfektive als auch die perfektive<br />
Aspektualität ausdrücken. Hier kommt aber die aspektuale Bedeutung im Zusammenspiel von<br />
Verb, Adverbialbestimmung und Objekt <strong>zu</strong> Stande. KIEFER betrachtet den Aspekt in den<br />
Nicht-Aspektsprachen, z.B. auch im Ungarischen, nicht als eine Eigenschaft des Verbs,<br />
sondern als eine des Satzes. Seines Erachtens tragen die folgenden Faktoren <strong>zu</strong>m Aspekt des<br />
Satzes in entscheidendem Maße bei: a) Temporalbestimmungen, b) Lokalbestimmungen, c)<br />
Valenzstruktur des Verbs, d) Struktur der substantivischen Gruppe (bestimmter, unbestimmter,<br />
Null-Artikel) (KIEFER 1983: 149-150).<br />
Man kann sich dem Wesen der Aspektualität über die inneren Gesetzmäßigkeiten einer<br />
einzelnen Verbhandlung nähern und über andere Spezifikatoren, in die die Aussage<br />
eingebunden ist. MASLOV (1962) versuchte, innerhalb der Grundbedeutungen des russischen<br />
Verbalaspekts die von der Position des Verbs im Kontext abhängigen Bedeutungen <strong>zu</strong> fassen.<br />
Später hat auch POSPELOV (1966) dieses Thema untersucht, aber erforschte vorwiegend die<br />
temporalen Probleme der Handlung. Sehr gute Ergebnisse in der Forschung des russischen<br />
Verbalaspekts haben BONDARKO (1975, 1976), RASSUDOVA (1968, 1982), ČERTKOVA (1996),<br />
ZALIZNAK/ŠMELËV (1997) und JÁSZAI (2005) erreicht, die ein detailliertes, theoretisches<br />
System der Bedeutungspositionen der perfektiven und imperfektiven Verben in der russischen<br />
Gegenwartssprache ausgearbeitet haben. Es gibt auch wissenschaftliche Arbeiten, in denen<br />
die Autoren die Fragen des russischen Verbalaspekts unter kontrastivem Aspekt <strong>zu</strong> anderen<br />
Sprachen untersuchen ANDERSSON 1972, 1978, PETRUHINA 2000 und PÁTROVICS 2004). Auf<br />
der Basis der Fachliteratur kann die Grundbedeutung des perfektiven Gliedes der<br />
Aspektopposition als die Erreichung einer inneren Grenze der Handlung oder als<br />
Terminativität definiert werden, und die Grundbedeutung des imperfektiven Gliedes der<br />
Aspektopposition als die Nichterreichung einer inneren Grenze oder als Aterminativität.<br />
Neben der Grundbedeutung der Terminativität/Aterminativität haben die Glieder der<br />
Aspektopposition von dem Text abhängige Positionsbedeutungen. So können die Verben des<br />
imperfektiven Aspekts eine verallgemeinernd-faktische, prozessuale und iterative Funktion,<br />
die Verben des perfektiven Aspekts eine aoristische, perfektische und <strong>zu</strong>sammengefasste<br />
Funktion ausdrücken.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 4
4.3 Vergangenheitstempora in aspektualen Funktionen<br />
Im Weiteren wird untersucht, welche deutschen Vergangenheitstempora dem Ausdruck eines<br />
konkreten Prozesses, einer Wiederholung der Handlung, eines verallgemeinerten Faktes und<br />
eines konkreten Faktes dienen. Ebenfalls werden die perfektivierenden und aoristischen<br />
Funktionen von Verben in Vergangenheitstempora untersucht. Das empirische Belegmaterial<br />
stammt aus der deutschen Überset<strong>zu</strong>ng von Scholochows Novelle „Ein Schicksal“ und aus<br />
dem Roman von Thomas Mann „Lotte in Weimar“ und dessen russischer Überset<strong>zu</strong>ng.<br />
4.3.1 Prozessuale Funktion<br />
In den nachstehenden Beispielsätzen der prozessualen Funktion werden einzelne,<br />
monotemporale Handlungen dargestellt, in denen der Verlauf der Verbalhandlung vom<br />
Sprecher hervorgehoben ist. Bei diesen Verben fehlt die Erreichung der inneren Grenze der<br />
Handlung. Diese Handlungen können im Verhältnis <strong>zu</strong>r Sprechzeit und <strong>zu</strong>r objektiven<br />
Zeitlinie folgenderweise dargestellt werden:<br />
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 1: Prozessuale Funktion<br />
(1) „Мы закурили крепчайшего самосада и долго молчали“ ( ШОЛОХОВ: Судьба<br />
человека, 14).<br />
(1’) „Wir setzten das beizende Kraut in Brand und schwiegen“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN,<br />
11).<br />
(2) „А тут вот она, война. На второй день повестка из военкомата, а на третий –<br />
пожалуйте в эшелон. Провожали меня все четверо моих: Ирина, Анатолий и<br />
дочери – Настенька и Алюшка. Все ребята держались молодцом“ ( ШОЛОХОВ:<br />
Судьба человека, 19).<br />
(2’) „Und da kam der Krieg. Am zweiten Tag bekam ich den Gestellungsbefehl, am dritten<br />
ging’s ins Feld. Alle vier brachten mich <strong>zu</strong>r Bahn: Irina, Anatoli und meine Töchter<br />
Nastja und Olga. Die Kinder hielten sich großartig“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 17).<br />
(3) „… немец тогда здорово наступал …“( ШОЛОХОВ: Судьба человека, 25).<br />
(3’) „Der Deutsche griff mächtig an …“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 22).<br />
(4) „Надо было сильно спешить, потому что бой приближался к нам“(ШОЛОХОВ:<br />
Судьба человека, 25).<br />
(4’) „Es war höchste Eisenbahn, die Schlacht kam immer näher“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN,<br />
22).<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 5
(5) „Когда сердце разжалось и в ушах зашумела кровь, я вспомнил как тяжело<br />
расставалась со мной моя Ирина на вокзале“ ( ШОЛОХОВ: Судьба человека, 55).<br />
(5’) „Als die Faust mein Herz losließ und ich das Blut in den Ohren rauschen hörte, kam mir<br />
die Erinnerung, wie schwer Irina der Abschied von mir geworden war damals, auf dem<br />
Bahnhof“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 52).<br />
(6) „Жена воспитывалась в детском доме. Сиротка“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 16).<br />
(6’) „Meine Frau war in einem Waisenhaus aufgezogen worden“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN,<br />
13).<br />
(7) „Формировали нас под Белой Церковью, на Украине“ (ШОЛОХОВ: Судьба<br />
человека, 24).<br />
(7’) „Unsere Division wurde bei Belaja Zerkow in der Ukraine aufgestellt“ (Überset<strong>zu</strong>ng<br />
von Elperin, 19).<br />
(8) „Долго они молчали, потом, по голосу, взводный тихо так и говорит“ (ШОЛОХОВ:<br />
Судьба человека, 34).<br />
(8’) „Ein langes Schweigen, dann hörte ich den Zugführer leise sagen“ (Überset<strong>zu</strong>ng von<br />
ELPERIN, 29).<br />
In den folgenden Beispielen finden sich deutsche Sätze und ihre russischen Äquivalente:<br />
(9) „Der Mann sah sie lächelnd von der Seite an, wahrscheinlich im Gedanken an den<br />
auswärtigen Dialekt, den die Reisende gesprochen hat, und folgte ihr noch in einer Art<br />
von spöttischer Versonnenheit mit den Augen, indes sie, nicht ohne unnötige<br />
Windungen, Raffungen und Zierlichkeiten, sich vom hohen Sitze hinunterfand“<br />
(THOMAS MANN: Lotte in Weimar, 7).<br />
(9’) „Тот, искоса поглядывая на нее, улыбался – вероятно, при воспоминании о<br />
своеобразном наречии, на котором болтала путешественница, - и с насмешливым<br />
вниманием следил, как она кокетливо изгибаясь и не без жеманства подирая юбки,<br />
слезала с высоких козел“ (Перевод MAНA, 28).<br />
(10) „Mager, der <strong>zu</strong> Willkommensbücklingen bereit, im Eingangsbogen stand, hatte<br />
<strong>zu</strong>gesehen, wie [.....]die Kammerkatze, Klärchen gerufen, sich von dem Schwager<br />
verabschiedete“ (THOMAS MANN: Lotte in Weimar, 7).<br />
(10’) „Магер, уже приготовившийся к приветственным поклонам, стоял у сводчатого<br />
входа и смотрел, кaк ,[.....] служанка, по имени Клерхен, прощалась с<br />
почтальоном“ (Перевод МАНА, 28).<br />
Alle russischen Verben dieser Beispielsätze sind imperfektive Verben. Die prozessuale<br />
Funktion wird also im Russischen immer mit den imperfektiven Verben ausgedrückt. Im<br />
Deutschen kommt diese Bedeutung mit Hilfe des Präteritums <strong>zu</strong>m Ausdruck. In 80% der<br />
Belege steht das Präteritum, in 20% der Sätze aber das Plusquamperfekt, vor allem das<br />
Vorgangspassiv Plusquamperfekt. Mit diesen Tempusformen wird die Prozessualität der<br />
Handlung betont. Das Perfekt kommt in den Belegen nie vor.<br />
ANDERSSONs Meinung nach spielen nicht nur Verben, sondern auch andere lexikalische Mittel<br />
eine bedeutende Rolle bei der Wiedergabe der aspektualen Bedeutungen (ANDERSSON 1978:<br />
163). Nach der Analyse unserer Belege kann festgestellt werden, dass das Verb selbst außer<br />
dem Kontext nur die Grundbedeutung der Aspektopposition, d.h. in diesem Fall der<br />
Aterminativität ausdrücken kann. Die prozessuale Funktion kann nur durch Wortgruppen,<br />
Sätze und durch den Kontext realisiert werden. Das bestätigen die folgenden Syntagmen:<br />
долго молчали: ein langes Schweigen<br />
здорово наступал: griff mächtig an<br />
молодцом держались: hielten sich großartig<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 6
4.3.2 Verallgemeinernd – faktische Funktion<br />
Die verallgemeinernd faktische Funktion des imperfektiven Aspekts der russischen Verben in<br />
der Vergangenheit drückt aus, ob die Handlung in der Vergangenheit abgelaufen ist oder<br />
nicht. Den Sprecher interessiert also nicht die Abgeschlossenheit der Handlung, sondern nur<br />
die Tatsache, ob diese Handlung existierte oder nicht. Für den Sprecher ist nur ihre<br />
Benennung wichtig. Mit Hilfe des Kontextes ist nicht fest<strong>zu</strong>stellen, ob der Sprecher den<br />
Verlauf hervorheben will, ob es um monotemporale oder polytemporale Handlung geht.<br />
Deshalb ist diese Funktion folgenderweise dar<strong>zu</strong>stellen:<br />
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 2: Verallgemeinernd-faktische Funktion<br />
(11) „Видали вы когда–нибудь глаза, словно присыпанные пеплом, наполненные такой<br />
неизбывной смертной тоской, что в них трудно смотреть?“ (ШОЛОХОВ: Судьба<br />
человека, 14).<br />
(11’) „Nur wer solche Augen gesehen hat, in denen alles Leben <strong>zu</strong> Asche geworden scheint,<br />
aus denen dir ein so unsäglicher Jammer entgegenstarrt, daß du den Blick abwenden<br />
möchtest, der weiß, was ich meine“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 11).<br />
(12) „Анатолий оказался таким способным к математике, что про него даже в<br />
центральной газете писали“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 19).<br />
(12’) „Anatoli, mein Ältester, aber war so begabt für Mathematik, daß man sogar in der<br />
Lokalzeitung über ihn schrieb“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 16).<br />
(13) „Вспомнил, что в Урюпинске живет мой дружок, демобилизованный ещё зимой<br />
по ранению, - он когда – то приглашал меня к себе, …“ (ШОЛОХОВ: Судьба<br />
человека, 61).<br />
(13’) „Da fiel mir ein, daß ein Kamerad, der schon im Winter wegen seiner Verwundung<br />
entlassen worden war, in Urjupinsk lebte und mich <strong>zu</strong> sich eingeladen hatte“<br />
(Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 55).<br />
In deutschen Äquivalenten dieser Sätze kommen alle drei Tempusformen vor. In 40% der<br />
Belege steht das Prädikat im Präteritum, in 40% im Perfekt und in 20% im Plusquamperfekt.<br />
Diese Funktion der russischen imperfektiven Verben ist also durch die deutschen Tempora<br />
nicht exakt aus<strong>zu</strong>drücken.<br />
4.3.3 Iterative Funktion<br />
Die dritte kontextuelle Positionsbedeutung der aterminativen Verben ist die iterative<br />
Funktion. Die Verben dieser Funktion drücken solche Handlungen aus, die sich mehrmals<br />
wiederholen. Diese Verben stellen also keine einzelnen Handlungen dar, sie können also nicht<br />
nur <strong>zu</strong> irgendeinem einzigen Zeitpunkt auf der Linie der objektiven Zeit ausgeführt werden,<br />
d.h. sie sind polytemporale Handlungen. Im Verhältnis <strong>zu</strong>r objektiven Zeitlinie und der<br />
Sprechzeit können sie folgenderweise dargestellt werden:<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 7
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 3: Iterative Funktion<br />
(14) „Однако ночью раза четыре вставал“ ( ШОЛОХОВ: Судьба человека, 66).<br />
(14’) „Stand aber trotzdem ein paar Mal in dieser Nacht auf“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 62).<br />
(15) „Там, где было особенно трудно лошадям, мы слезали с брички, шли пешком“<br />
(ШОЛОХОВ: Судьба человека, 8).<br />
(15’) „Wenn die Pferde besonders schwer <strong>zu</strong> ziehen hatten, sprangen wir ab und gingen <strong>zu</strong><br />
Fuß nebenher“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 8).<br />
(16) „От своих письма получал часто, а сам крылатки посылал редко“ (ШОЛОХОВ:<br />
Судьба человека, 19).<br />
(16’) „Von <strong>zu</strong> Hause bekam ich oft Nachricht, ich aber ließ nur selten von mir hören“<br />
(Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 19).<br />
(17) „Парень я был тогда здоровый и сильный, как дьявол, выпить мог много, а до<br />
дому всегда добирался на своих ногах“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 17).<br />
(17’) „Damals war ich ein gesunder, bärenstarker Kerl und konnte viel vertragen, <strong>zu</strong> Hause<br />
langte ich immer auf eigenen Füßen an” (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 15).<br />
(18) „Мне даже часто казалось что жизнь, полная самопожертвования“ (Перевод МАНА<br />
40).<br />
(18’) „Sogar schien es mir oft, als ob ein Leben des Opfers und des Dienstes an anderen eine<br />
gewisse Herbigkeit …” (THOMAS MANN: Lotte in Weimar, 20).<br />
Auf Grund der Belege kann festgestellt werden, dass die iterative Funktion der russischen<br />
imperfektiven Verben im Deutschen mit dem Präteritum <strong>zu</strong> realisieren ist. Hundertprozentig<br />
wird in Belegen die Wiederholung der Handlung in der Vergangenheit mit dem Präteritum<br />
ausgedrückt. In beiden Sprachen wird dies auch mit lexikalischen Mitteln ausgedrückt (z.B.<br />
четыре раза, где-где, каждый день, часто bzw. ein paarmal, überall, tagtäglich, oft,<br />
immer usw.). Man muss aber in Betracht ziehen, dass die Belege aus literarischen<br />
Erzähltexten stammen. Deshalb dominieren im Deutschen die Präteritalformen. In der<br />
mündlichen Kommunikation wird meistens das Perfekt <strong>zu</strong>m Ausdruck der Wiederholung der<br />
Handlung verwendet (z.B. Ich habe dich gestern dreimal angerufen.).<br />
4.3.4 Perfektische Funktion<br />
Das perfektive Glied der Aspektopposition der russischen Sprache in der Vergangenheit<br />
drückt in dieser Bedeutungsposition eine einzelne, monotemporale Handlung aus, die ihre<br />
innere Grenze erreicht hat und auch ein im Moment der Sprechzeit gültiges Resultat hat.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 8
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 4: Perfektische Funktion<br />
(19) „За что же ты, жизнь, меня так покалечила?“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 15).<br />
(19’) „Warum hat mir das Leben so übel mitgespielt? „(Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 11).<br />
(20) „К тому же сегодня наши доблестные войска вышли к Волге и целиком овладели<br />
Сталинградом“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 48).<br />
(20’) „Um so mehr, da unsere glorreichen Truppen heute <strong>zu</strong>r Wolga durchgestoßen sind und<br />
Stalingrad besetzt haben“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 43).<br />
Nach diesen Beispielen kann festgestellt werden, dass die in Perfektform stehenden deutschen<br />
Überset<strong>zu</strong>ngsäquivalente den russischen perfektiven Verben entsprechen.<br />
Zur Erklärung dieser Koinzidenz der Bedeutungspositionen und ihrer verbalen<br />
Ausdrucksmittel kann die folgende Feststellung dienen: „Das Perfekt drückt in dieser<br />
Bedeutungsvariante vergangene Sachverhalte aus, die einen für die Sprechzeit relevanten<br />
Zustand implizieren, der für die Kommunikation wesentlicher ist als die in der Vergangenheit<br />
liegende Aktzeit“ (HELBIG/BUSCHA 1999: 151-152). Diese Koinzidenz kann ebenfalls<br />
beobachtet werden, wenn man von deutschen Sätzen ausgeht, deren verbale Prädikate diese<br />
perfektive Bedeutungsposition haben. In ihren russischen Überset<strong>zu</strong>ngen stehen immer<br />
perfektive Glieder der Aspektopposition.<br />
(21) „Dein Onkel Ridel hat sein Auskommen als Beamter, aber es haben ihn schwere<br />
Schläge getroffen, anno sechs hat er alles verloren“ (THOMAS MANN: Lotte in Weimar,<br />
39).<br />
(21’) „Твой дядя Ридель имеет определенный доход в качестве чиновника, но его<br />
постигли тяжёлые удары, в шестом году он все потерял“ (Перевод МАНА, 39).<br />
(22) „… ich habe ihm elf Kinder geboren und neun aufgezogen <strong>zu</strong> ehrbaren Menschen“<br />
(THOMAS MANN: Lotte in Weimar, 21).<br />
(22’) „Я родила ему одиннадцать детей и девятерых вырастила честными людьми …“<br />
(Перевод МАНА, 41).<br />
In dieser Bedeutungsposition kann das Perfekt nicht mit Präteritum ersetzt werden, und im<br />
Russischen kann nie das imperfektive Verb stehen. Das deutsche Perfekt drückt also dieselbe<br />
aspektuale Bedeutung aus, wie der perfektive Verbalaspekt im Russischen.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 9
4.3.5 Aoristische Funktion<br />
Innerhalb der Grundbedeutung von Terminativität drückt die aoristische Funktion im<br />
Russischen die einzelnen, monotemporalen Handlungen, die in der Vergangenheit<br />
nacheinanderfolgen.<br />
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 5: Aoristische Funktion<br />
(23) „Шофёр пригнал из хутора машину, подошёл к лодке и сказал, берясь за весло<br />
…“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 9).<br />
(23’) „Bald darauf kam der Fahrer mit dem ‚Jeep’ aus dem Dorf, trat ans Boot und sagte,<br />
während er nach dem Ruder griff“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 8).<br />
(24) „С тем взял стакан и в два глотка вылил его в себя“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека,<br />
47).<br />
(24’) „Damit griff ich nach dem Glas und goß es in zwei Zügen herunter“ (Überset<strong>zu</strong>ng von<br />
ELPERIN, 42).<br />
(25) „Вскорости перебросили нас, человек триста самых крепких, на осушку болот,<br />
потом – в Рурскую область на шахты“(ШОЛОХОВ: Судьба человека, 49).<br />
(25’) „Bald darauf wurden dreihundert der Kräftigsten von uns <strong>zu</strong>r Trockenlegung von<br />
Sümpfen abtransportiert“ (Überset<strong>zu</strong>ng von ELPERIN, 44).<br />
(26) „Шарлотта старшая хотела ещё что – то возразить, но ей помешало возвращене<br />
Клерхен, которая принесла горячую воду“ (Перевод МАНА, 412).<br />
(26’) „Charlotte, die Ältere, wollte noch etwas <strong>zu</strong>rückgeben, aber ihr Gespräch wurde durch<br />
die Rückkunft Klärchens unterbrochen, die heißes Wasser brachte und munter<br />
berichtete“ (THOMAS MANN: Lotte in Weimar, 23).<br />
Bei diesen Handlungen können im Russischen nur perfektive Verben stehen, denn ein<br />
Verbalakt kann nur in dem Fall beginnen, wenn die vorangehende Handlung schon beendet ist<br />
bzw. ihre innere Grenze erreicht hat. Demgegenüber werden die nacheinanderfolgenden<br />
Verbalakte im Deutschen mit Präteritum ausgedrückt. Die Perfektform kommt in diesen<br />
Belegen nicht vor.<br />
4.3.6 Zusammengefasste Iterativität<br />
In dieser Funktion geht es um eine Handlung, die ihre innere Grenze erreicht hat, sich jedoch<br />
einmal oder mehrmals wiederholt. Das Intervall ist zwischen den wiederholten Akten so kurz,<br />
dass die Handlung vom Sprecher als ein einzelner, einheitlicher Akt in seiner Totalität<br />
betrachtet wird.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 10
Beispiele:<br />
Sprechzeit Zeitlinie<br />
Grafik 6: Zusammengefasste Iterativität<br />
(27) „Только этот чернявый пока дошел до дороги раза три оглянулся на меня, глазами<br />
сверкает“ (ШОЛОХОВ: Судьба человека, 30).<br />
(27’) „Bloß der Schwarze sah sich noch ein paar Mal nach mir um …“ (Überset<strong>zu</strong>ng von<br />
ELPERIN, 26).<br />
(28) „И вернувшись в себе, она, …, а несколько раз повторила в душе: Господи<br />
помилуй, господи помилуй, господи помилуй “ (ANDERSSON 1978: 115).<br />
(28’) „… und als sie in ihr Zimmer <strong>zu</strong>rückgekehrt war, wiederholte sie mehrmals die Worte:<br />
O Herr, sei mir gnädig, o Herr, sei mir gnädig, o Herr, sei mir gnädig“ (ANDERSSON<br />
1978: 115).<br />
Die Iterativität wird in beiden Sprachen durch lexikalische Mittel <strong>zu</strong>m Ausdruck gebracht. Im<br />
Russischen werden wegen der Totalität perfektive Verben verwendet (im Gegenteil <strong>zu</strong>r<br />
iterativen Funktion des imperfektiven Glieds der Aspektopposition).<br />
Die Verben im Deutschen stehen unabhängig von der Zeitdauer zwischen den Akten auch<br />
jetzt im Präteritum, ebenso wie in der iterativen Funktion.<br />
5 Fazit<br />
Obwohl die deutschen Verben nicht über Aspektoppositionen verfügen, können die<br />
aspektualen Bedeutungen auch im Deutschen ausgedrückt werden. Dabei spielt auch das<br />
deutsche Tempussystem eine bedeutende Rolle.<br />
Im Präsens kommt die aspektuale Bedeutung im Zusammenspiel von Verb, Adverbialbestimmung<br />
und Objekt <strong>zu</strong> Stande.<br />
Die Abgeschlossenheit in der Zukunft wird mit dem Futur II oder mit dem Perfekt in<br />
Verbindung mit Adverbialbestimmungen ausgedrückt.<br />
Die komparative Analyse der deutschen Vergangenheitstempora und der russischen<br />
Aspektpaare zeigt folgendes Ergebnis: Die prozessuale, die verallgemeinernd-faktische und<br />
die iterative Funktion wird im Russischen immer mit imperfektiven Verben ausgedrückt. Zur<br />
Bezeichnung der prozessualen Funktion dient im Deutschen vor allem das Präteritum und<br />
manchmal auch das Plusquamperfekt, <strong>zu</strong>m Ausdruck der iterativen Funktion in Erzählungen<br />
das Präteritum, in Gesprächen das Perfekt. Bei der Überset<strong>zu</strong>ng der sog. verallgemeinerndfaktischen<br />
Bedeutung wurden alle drei Vergangenheitstempora verwendet.<br />
Die perfektische, die aoristische und die sog. <strong>zu</strong>sammengefasste – iterative Funktion werden<br />
im Russischen immer mit den perfektiven Verben ausgedrückt. Eine Eins-<strong>zu</strong>-eins-<br />
Entsprechung ist nur in der perfektischen Funktion <strong>zu</strong> beobachten. In dieser Funktion kann<br />
nur das Perfekt für das russische perfektive Verb stehen, beide drücken nämlich aus, dass das<br />
Resultat oder die Folge der Handlung in der Gegenwart noch vorhanden ist.<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 11
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russischen Aspektsystem. 2. Teil. Korpusanalyse. Uppsala.<br />
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ШОЛОХОВ, М.: Судьба человека. Рассказы. Изд. „Советская Россия”, Москва 1974.<br />
ŠOLOHOV, M.: Ein Schicksal. Deutsch von Juri ELPERIN, Verlag „Progress”, Moskau 1965.<br />
Prof. Dr. Ildikó Szoboszlai<br />
<strong>Universität</strong> Szeged Hochschulfakultät für Lehrerausbildung „Gyula Juhász”, Szeged, Ungarn<br />
szoboi@jgytf.u-szeged.hu<br />
http://www.jgytf.u-szeged.hu/de/index.html<br />
Ildikó Szoboszlai – Deutsche Grammatik im europäischen Dialog (Krakau 2006) - 12