festivalzeitung nr. 05 / 20.06.2007 - Schillertage
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BESTIE MENSCH 14. INTERNATIONALE SCHILLERTAGE / NATIONALTHEATER MANNHEIM MORALISCHE ANSTALT FESTIVALZEITUNG <strong>20.06.2007</strong><br />
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DES WEISSEN MANNES REGIETANZ<br />
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Wie tanzend. Luis Ureta hat die Probe gestoppt, ist aufgestanden,<br />
steht auf dem schwarzen Parkett, ganz in weiß, die Fenster<br />
sind offen, Vogelgesang weht herein, spielt mit Uretas weißem<br />
Hemd, und dann entwickelt er die Gesten.<br />
Am Anfang nur die Finger der<br />
rechten Hand, die er langsam<br />
auseinander bewegt, er hebt den<br />
rechten Arm, den linken, sagt etwas auf<br />
Spanisch, links und rechts am Bühne<strong>nr</strong>and<br />
stehen dunkelhaarige Schönheiten,<br />
Ureta dirigiert sie, rechte Hand, die<br />
rechte Schönheit singsangt auf Spanisch<br />
über Schönheit, linke Hand, die linke<br />
Frau, nicht weniger schön, antwortet mit<br />
nicht weniger Verve, die Schönheiten<br />
spielen Ping Pong mit Schillers Worten<br />
durch den Raum. Der Wind plustert Uretas<br />
schwarzgraues Haar auf, seine<br />
Hände wandern nach hinten, als würde<br />
er die beiden Schönheiten ziehen, sie bewegen<br />
sich auf ihn zu, als würde er sie<br />
tatsächlich ziehen können.<br />
Ureta beendet seinen Regietanz,<br />
zieht sich hinter sein Mischpult zurück,<br />
neben dem eine Riesenpackung „Aspirin<br />
Complex“ steht, klatscht in die Hände,<br />
sagt etwas, das „Und jetzt bitte von<br />
vorne“ bedeuten könnte, nur viel besser<br />
klingt, dreht an einem Regler und die<br />
Probebühne B wird erfüllt von einem<br />
Lied mit Flamenco-Gitarren, dessen einziger<br />
Text „Mucha-cha-cha“ ist. Hinter<br />
dem Mischpult ist er kein Regietänzer<br />
mehr, er sieht aus wie ein Weiser in weiß<br />
mit Flip-Flops, der auf die Probebühne<br />
gefallen ist und der in unsere Welt gegossen<br />
wurde, um sanfte Weisheiten zu<br />
verkünden.<br />
Man fragt sich, wie jemand, der so<br />
sanft wirkt, Gefallen an René Polleschs<br />
Texten finden konnte, die ungefähr so<br />
sanft sind wie eine Kettensäge im Mischwald.<br />
So sehr Gefallen finden konnte,<br />
dass Pollesch ihm erlaubte, „Heidi-Ho“<br />
zu inszenieren, überhaupt einen seiner<br />
Texte zu inszenieren, eine Ehre, die bis<br />
jetzt nicht viele Regisseure für sich beanspruchen<br />
konnten. Aber vielleicht ging es<br />
Ureta auch gar nicht um den Text. Oder:<br />
Nur peripher. „Ich mag die deutsche<br />
Gegenwartsdramatik“, sagt Ureta, als die<br />
Probe zwangsweise unterbrochen wird.<br />
Die Technik der Übertiteltung ist kaputt.<br />
Jemand muss sie reparieren.<br />
„Vor allem zwei Dinge mag ich<br />
daran: Die Figuren sind nicht so sehr ausformuliert,<br />
man ist freier bei der Interpretation.<br />
Und es geht oft um den öko-<br />
nomischen Aspekt der Globalisierung“.<br />
Denn obwohl Luis Ureta sich nicht als<br />
politischer Regisseur bezeichnen mag,<br />
spürt er die „Verantwortung, als Mensch<br />
politisch zu sein“. Dieser feine Unterschied<br />
ist ihm sehr wichtig. Initialzündung<br />
für seine Affinität zu deutscher<br />
Gegenwartsdramatik war eine Inszenierung<br />
von Nietzsches „Zarathustra“, die<br />
Ureta in Chile gesehen hat. Seitdem hat<br />
er ständig daran gearbeitet, die Liste der<br />
von ihm inszenierten Autoren schwindelerregend<br />
prominent zu gestalten:<br />
Kafka, Handke, Falk Richter, und eben<br />
Pollesch.<br />
Den lernte er in Santiago de Chile<br />
kennen, mit freundlicher Hilfe des dortigen<br />
Goethe-Instituts. Es war ein Theaterautorenfestival,<br />
und die beiden begannen<br />
miteinander zu reden. „Eine Woche<br />
lang diskutierten wir“, sagt Ureta, und<br />
heraus kamen nicht nur eine oder zwei<br />
Inszenierungen, sondern auch eine<br />
Freundschaft. Vielleicht ist Freundschaft<br />
auch ein besseres Wort, um Uretas Umgang<br />
mit Dramentexten zu beschreiben.<br />
Jedenfalls ein besseres als dieses spröde<br />
„Inszenieren“.<br />
Luis Ureta spricht davon, dass er und<br />
seine Truppe, das „Teatro la Puerta“,<br />
einen Text befragen. „Nicht das Ergebnis<br />
ist wichtig“, sagt Ureta, „sondern der<br />
Prozess“. Den kann man sich als ein<br />
Dreieck vorstellen: Rechts steht die Sicht<br />
des Autoren zu einem bestimmten<br />
Thema, links die Sicht des Individuums,<br />
und diese Sichten knallen aufeinander.<br />
Was wiederum die Spitze des Dreiecks<br />
entstehen lässt: den kollektiven Prozess<br />
des Befragens, des Arbeitens mit dem<br />
Text und der eigenen Weltsicht. Es ist das<br />
Ergebnis dieser Befragung, das auf der<br />
Bühne zu sehen sein wird. Wobei das<br />
Bühnengeschehen nicht einmal der wichtigste<br />
Aspekt von Uretas Arbeit ist. Sondern<br />
nur einer unter vielen.<br />
Dass Ureta sich dieses Mal Schiller<br />
für seine Fragen hergenommen hat, ausgerechnet<br />
Schiller, ausgerechnet Schillers<br />
Briefe an Gottfried Körner über Ästhetik,<br />
hat einen einfachen Grund. Da spielt es<br />
keine Rolle, ob Schillers Briefe über<br />
Schönheit zusammenpassen mit seiner<br />
bisherigen Arbeit. Schiller taugt zur Be-<br />
antwortung von Uretas Fragen, der wissen<br />
will, wie man heute über Schönheit<br />
sprechen kann. Welche Erfahrungen des<br />
Lebens unendlich schön sind. Was das<br />
ist, was wir als schön empfinden. Er will<br />
Schönheit finden. Ein ganz schöner<br />
Brocken also. Noch viel zu tun. Ureta<br />
verabschiedet sich. Die Übertitel funktio-<br />
✶5<br />
Luis Ureta Foto: Jan Fischer<br />
nieren wieder. Vielleicht braucht es die<br />
aber gar nicht. Vielleicht braucht es<br />
keine Übersetzung. Vielleicht sagt Schiller<br />
auf Spanisch viel mehr über Schönheit,<br />
als er es auf Deutsch jemals für<br />
möglich gehalten hätte. In Uretas Händen<br />
mit Sicherheit.<br />
✶ JAN FISCHER