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bad nauheim - Wetterauer Zeitung

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sie den Kampf gegen den Krebs aufgenommen<br />

hat.<br />

»Ich hab das einfach nicht gemerkt, war<br />

topfit«, erinnert sich Steffi Röder an die Tage<br />

vor der Diagnose. In der Reha-Klinik, in<br />

der sie arbeitete, hatte sie gerade noch einen<br />

100-Kilo-Patienten aus dem Rollstuhl<br />

gehoben, abends leitete sie als Vorturnerin<br />

eines Vereins einen Kurs. Müde oder erschöpft<br />

war sie nicht. Umso überraschender<br />

kam der Befund. »Das ist erst mal gar nicht<br />

zu mir durchgedrungen.«<br />

In der Uni-Klinik fühlt sie sich in den ersten<br />

Stunden weniger als Patientin, sondern vielmehr,<br />

als wäre sie auf einer Fortbildung<br />

über Leukämie. »Ich saß auf dem Flur, hab<br />

darauf gewartet, dass ein Zimmer frei wird,<br />

und überlegt, was ich über Leukämie noch<br />

weiß. In der Ausbildung hatte ich ja auch<br />

›Innere‹, aber das mochte ich nie.« Bei der<br />

Arbeit hat sie mit Patienten zu tun, die nach<br />

der Chemotherapie wieder mobilisiert werden<br />

müssen. Als ihr Zimmer frei wird, hilft<br />

sie dabei, ihr Bett zu schieben, als gehöre<br />

sie zum Personal. Dann wird ihr gesagt,<br />

dass sie das nicht dürfe, sich ausruhen müsse.<br />

Zu groß ist die Gefahr, dass ihr Immunsystem<br />

zusammenklappt. Im Vierbettzimmer<br />

angelangt, kommt es »knüppelhart«.<br />

Dort liegen drei Frauen ohne Haare. »Ein<br />

paar Tage später hatte ich dann auch keine<br />

mehr. Da war mir klar: Ich bin der Patient<br />

hier.«<br />

Nach der Chemotherapie – dabei werden<br />

Krebszellen im ganzen Körper durch zellwachstumshemmende<br />

Medikamente abgetötet<br />

– ist die Blutbildung gestört, das Immunsystem<br />

geschwächt, der Körper muss<br />

sich erholen. »Das eigene Blut soll wieder<br />

arbeiten, man hofft, dass die Überproduktion<br />

der weißen Blutkörperchen zurückgeht«,<br />

erklärt Steffi Röder. Das ist bei ihr zwar der<br />

Fall, allerdings nicht im »wünschenswerten<br />

Rahmen«. Die Ärzte raten zu einer Stammzellentransplantation,<br />

der gängige Weg,<br />

»wenn die erste Chemo nicht gut anschlägt«.<br />

Ein Stammzellenspender wird gesucht.<br />

Steffi Röders<br />

Mann Boris, ihre Eltern,<br />

Freunde und Mitglieder<br />

des Vereins, in dem sie<br />

aktiv ist, rufen zu einer<br />

Typisierungsaktion auf.<br />

Was sie zu diesem Zeitpunkt nicht wissen<br />

können: Für die Rodheimerin wird dabei<br />

kein geeigneter Spender gefunden werden,<br />

dafür aber für eine andere Krebspatientin.<br />

Steffi Röder, derweil noch immer im Krankenhaus<br />

in Quarantäne, hat Glück: Während<br />

sie mit einer weiteren Chemotherapie<br />

beginnt, wird über die internationale Datenbank<br />

eine Spenderin gefunden, bei der<br />

»Ein Wettlauf<br />

mit der Zeit«<br />

alle Gewebemerkmale passen. Die Frau<br />

kommt aus München. Mehr darf Steffi Röder<br />

bis heute nicht über sie wissen. »Bei<br />

mir ging das richtig schnell. Ich kenne Leute,<br />

die müssen jahrelang auf einen Spender<br />

warten, das wird dann ein Wettlauf mit der<br />

Zeit.«<br />

Noch während der Chemotherapie kommt<br />

die Krankengymnastin in ihr durch. Mit ihren<br />

Zimmergenossinnen macht sie Atemübungen<br />

und Thrombose-<br />

Prophylaxe. Eine<br />

Freundin, die sie in der<br />

Klinik besucht, bekommt<br />

das mit, sagt: »Steffi, das<br />

kann doch wohl nicht<br />

wahr sein.« Die Rodheimerin gibt zu: »Ich<br />

war keine typische Patientin. Zumindest<br />

nicht während der Chemo.« Denn was danach<br />

kommt, damit hatte sie nicht gerechnet.<br />

»Das war Leiden pur.«<br />

Sie wird bestrahlt und bekommt ein Kaninchenserum<br />

gespritzt – ein Medikament, das<br />

die Funktion des Immunsystems vermindert.<br />

Ihre eigene Zellproduktion wird komplett<br />

gestoppt. »Der Körper wird runtergefahren,<br />

hat keine eigene Abwehrzellen<br />

mehr, damit die das Spendertransplantat<br />

nicht angreifen.« Über einen Zentralvenenkatheter<br />

gelangen am 20. Dezember 2011<br />

die fremden Stammzellen in ihren Körper.<br />

»Die schwimmen etwa zehn Tage herum,<br />

finden ihren Weg ins Knochenmark und docken<br />

an. Dann fängt das Blut wieder an zu<br />

arbeiten.« Nach der Transplantation geht es<br />

Steffi Röder schlecht. Sie kann nicht schlucken,<br />

nicht essen, nicht trinken. Sie muss<br />

künstlich ernährt werden, »weil die<br />

Schleimhaut total kaputt war«. Sie starrt an<br />

die Decke, der Anblick des Deckenventilators<br />

brennt sich in die Netzhaut ein. »Ich<br />

habe dahinvegetiert.«<br />

Ihre Mutter besucht sie jeden Tag im Krankenhaus,<br />

Ehemann Boris hilft, wo er kann,<br />

versucht der Situation ihre Schwere zu nehmen,<br />

durch kleine Aufmerksamkeiten oder<br />

Albernheiten – etwa den Partyhut an Silvester.<br />

Trotzdem ist es »hart,<br />

die Minuten zu<br />

überstehen«.<br />

Eine Psychologin spricht<br />

ihr Mut zu. »Im Moment<br />

heißt es einfach nur aushalten«,<br />

rät sie ihr. Auch ein Pfarrer besucht<br />

Steffi Röder in der Klinik. »Anfangs war ich<br />

dagegen. Ich bin zwar Katholikin, bin auch<br />

gläubig. Aber ich dachte mir, den brauch<br />

ich hier nicht, das ist keine religiöse Sache.<br />

Ich mache das mit mir aus.« Es stellt sich<br />

heraus, der Pfarrer ist »ein ganz offener<br />

Kerl«, der ihr viel Kraft gibt.<br />

Die Spenderzelle greift Steffis Röders Kör-<br />

Psychologin: Jetzt heißt<br />

es einfach aushalten<br />

REpORTAGE<br />

INTERvIEW<br />

per an, das Blut arbeitet, erkennt Haut und<br />

Darm allerdings nicht, stuft beides als<br />

fremd ein. Es kommt zu Abstoßungsreaktionen,<br />

täglich muss sie sich mehrfach eincremen.<br />

Ihre Blutgruppe ist plötzlich nicht<br />

mehr 0 negativ.<br />

Anfangs kann sie kaum aufstehen, ganz zu<br />

schweigen davon, Treppen zu laufen. Doch<br />

die Rodheimerin kämpft. Einer Stufe folgt<br />

die zweite, dann die dritte. Mitte Januar<br />

darf sie kurz auf »Heim-<br />

urlaub«, am 20. Januar<br />

2012 wird sie aus der<br />

Klinik entlassen. Da es in<br />

ihrem Haus in Rodheim<br />

viele Stufen gibt und sie<br />

zudem noch auf die Hilfe anderer angewiesen<br />

ist – Ehemann Boris ist beruflich den<br />

ganzen Tag unterwegs –, zieht Steffi Röder<br />

für einige Wochen in die Einliegerwohnung<br />

ihrer Eltern nach Ober-Erlenbach. Wie<br />

schon im Krankenhaus fotografiert ihre<br />

Mutter sie viel. »Das war gut, denn man<br />

vergisst unglaublich schnell wie schlecht es<br />

einem ging und ist dann sauer, wenn man<br />

mal wieder nicht länger als eine halbe<br />

Stunde laufen konnte«, sagt Steffi Röder.<br />

Einige Wochen nach ihrer Entlassung kann<br />

sie zurück ins eigene Häuschen nach<br />

Rodheim.<br />

Ein Angebot für die Reha kommt, in Freiburg<br />

findet die einst so sportliche Rodhei-<br />

Steffi Röder kann wieder lachen.<br />

2/2013 streifzug 5

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