Die IREBS-Studie als PDF zum Download - mfi Management für ...
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IRE BS<br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? –<br />
Kommunale Umfrage in Mittelstädten zur Bedeutung<br />
des Handels <strong>für</strong> eine nachhaltige Stadtentwicklung<br />
Jens Hirsch<br />
Eine <strong>Studie</strong> im Auftrag der management <strong>für</strong> immobilien AG (<strong>mfi</strong>)
Vorwort<br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 1<br />
Handelsimmobilien <strong>als</strong> Terrarium von Angebot und Nachfrage sind immer schon Orte des<br />
Waren- und Informationsaustauschs gewesen und damit ein konstituierendes Element <strong>für</strong> die<br />
europäische Stadt. <strong>Die</strong>s kommt auch in den Leitbildern der Kommunalplanung <strong>zum</strong> Ausdruck.<br />
Allerdings ändern sich sowohl Handelskonzepte <strong>als</strong> auch die institutionelle Struktur von Händlern<br />
und Handelsimmobilienbetreibern. Überwogen noch in den sechziger Jahren des vorigen<br />
Jahrhunderts die aus Handwerk und ortsansässiger Kaufmannschaft hervorgegangenen Einzelhandelsbetriebe,<br />
ist mit der Professionalisierung der Handelstätigkeit und des Immobilienmanagements<br />
eine Wertschöpfungskette entstanden, welche von überregionalen bis global<br />
agierenden Akteuren dominiert wird. Hinzu kommt der veränderte Stellenwert des Konsums<br />
in der Gesellschaft, der eine andere Form von Einzelhandelsentwicklung und -attraktivität<br />
bedingt. Nicht immer stimmen dabei die Auswirkungen auf die Struktur und Bedeutung der<br />
innerstädtischen Standorträume mit planerischen Zielvorstellungen überein, wie am Beispiel<br />
des vielerorts zu beobachtenden Funktionsverlusts des innenstädtischen Einzelhandels zu<br />
belegen ist.<br />
<strong>Die</strong>s ist Anlass genug, über neue Formen der Partnerschaft von Stadtentwicklung einerseits,<br />
Handel und Projektentwicklern andererseits nachzudenken. Dabei gilt es, die jeweiligen Interessen<br />
zu identifizieren, Zielkonflikte anzusprechen und Möglichkeiten zu ihrer Überwindung<br />
aufzuzeigen. <strong>Die</strong> vorliegende <strong>Studie</strong> ist von der <strong>mfi</strong> management <strong>für</strong> Immobilien AG in Auftrag<br />
gegeben und soll einen Beitrag <strong>zum</strong> gegenseitig besseren Verständnis von Handel,<br />
Projektentwickler und Stadtentwicklung leisten, indem vor allem die Sicht der Planung<br />
untersucht und dargestellt wird.<br />
Das Kompetenzzentrum Handelsimmobilien am IRE BS-Institut <strong>für</strong> Immobilienwirtschaft der<br />
Universität Regensburg hat diesen Auftrag gern übernommen. Federführend war Dipl.-Geogr.<br />
Jens Hirsch an der Durchführung der Kommunalbefragung sowie der Auswertung und Berichterstellung<br />
beteiligt. Er wurde maßgeblich von Herrn Dipl.-Kfm./Dipl.-Geogr. Matthias Segerer<br />
unterstützt. Ich danke den Mitarbeitern <strong>für</strong> ihre engagierte und sorgfältige Bearbeitung.<br />
Regensburg, den 25.7.2011 Prof. Dr. Kurt Klein
Impressum<br />
Autor: Dipl.-Geogr. (univ.) Jens Hirsch<br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 2<br />
Herausgeber: Competence Center Retail Property (CCRP), Universität Regensburg<br />
Projektleitung:<br />
Prof. Dr. Kurt Klein, Professur <strong>für</strong> Handelsimmobilien, IRE BS Institut <strong>für</strong> Immobilienwirtschaft,<br />
Universität Regensburg<br />
Dipl.-Kfm. (univ.)/Dipl.-Geogr. (univ.) Matthias Segerer, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der<br />
Professur <strong>für</strong> Handelsimmobilien, IRE BS Institut <strong>für</strong> Immobilienwirtschaft, Universität<br />
Regensburg<br />
Auftraggeber: management <strong>für</strong> immobilien AG (<strong>mfi</strong>)<br />
Stand der Erhebung: 30. April 2011.<br />
Überarbeitete Publikationsfassung: 01. August 2011, Regensburg.
Zusammenfassung der <strong>Studie</strong><br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 3<br />
Sowohl auf Seiten der privaten Handelsakteure <strong>als</strong> auch bei der Öffentlichen Hand besteht<br />
Interesse an einer Optimierung der Zusammenarbeit bei der Gestaltung der Zukunft des Einzelhandels.<br />
<strong>Die</strong> vorliegende <strong>Studie</strong> widmet sich der Rolle des Handels <strong>für</strong> die Stadtentwicklung<br />
aus Sicht der Öffentlichen Hand und basiert auf einer Befragung von 103 deutschen Mittelstädten,<br />
die über ihre Einzelhandelssituation und Entwicklungspräferenzen Auskunft gegeben<br />
haben. Damit konnte fast die Hälfte aller deutschen Mittelstädte (213, vgl. Kap. 2.1) erfasst<br />
und die Repräsentativität der Ergebnisse sichergestellt werden. Im Mittelpunkt der <strong>Studie</strong><br />
steht die Zusammenarbeit der kommunalen Planung mit den unterschiedlichen Akteuren des<br />
Einzelhandels. Insbesondere wenn es um Einzelhandelsgroßprojekte wie Einkaufszentren (EKZ)<br />
oder Fachmarktzentren geht, ist eine Entwicklung heute nur über die Zusammenarbeit mit<br />
privaten Handelsimmobilienentwicklern möglich. Eine Sonderrolle in der Stadtentwicklung<br />
wird dem Standort Innenstadt zuteil, der in besonderem Maße im Fokus des öffentlichen<br />
Interesses steht und somit einen sorgfältig ausgewogenen Interessensausgleich verlangt. Für<br />
die inner- wie auch gesamtstädtische Einzelhandelsentwicklung stellen EKZ <strong>für</strong> viele<br />
Kommunen die erste Wahl dar, um die Attraktivität der Innenstädte zu erhöhen und die an die<br />
„Grüne Wiese“ verlorene Zentralität zurück zu gewinnen. Obwohl die Auswirkungen von<br />
innerstädtischen EKZ kontrovers diskutierten werden, sehen viele Stadtplaner in ihnen ein<br />
Mittel zur Stärkung der Innenstadt. Fest steht, dass die Städte bei so deutlichen<br />
Veränderungen in der Einzelhandelslandschaft, die ein EKZ mit sich bringt, eine große<br />
Verpflichtung zur steuernden Einflussnahme besitzen. <strong>Die</strong> Orientierung am Gemeinwohl<br />
seitens der Stadtplanung und die Orientierung an Gewinn und Rendite seitens des Handels<br />
müssen dabei nicht zwangsläufig zu Konflikten führen. Das Ziel der Städte ist genau wie das<br />
der EKZ-Entwickler die erfolgreiche Implementierung einer Handelsimmobilie in die<br />
bestehende Einzelhandelslandschaft. Konsens zwischen EKZ-Entwicklern und Stadtplanern<br />
besteht darin, dass eine gewisse Mindestgröße des EKZ notwendig ist, um positive Effekte generieren<br />
zu können. Starre Quoten (z. B. über die Einwohnerzahl oder die Verkaufsfläche in der<br />
Stadt) dürften dabei kaum zielführend sein. Vielmehr bedarf es individueller Lösungen, die sich<br />
an den Bedürfnissen und Interessen aller betroffenen Akteure orientieren und die die mitunter<br />
divergierenden Zielsetzungen harmonisieren. <strong>Die</strong> Städte stehen den Entwicklungen jedenfalls<br />
nicht tatenlos gegenüber, sondern vertreten selbstbewusst ihre Anliegen und sehen den Einzelhandel<br />
sowie dessen Wandel vielmehr <strong>als</strong> Chance denn <strong>als</strong> Bedrohung.<br />
Aufbau der <strong>Studie</strong><br />
<strong>Die</strong> <strong>Studie</strong> versucht zunächst festzustellen, welche Bedeutung die Mittelstädte dem Einzelhandel<br />
<strong>für</strong> die Stadtentwicklung beimessen und wie sie die gegenwärtige Situation ihres Einzelhandels<br />
beurteilen – wie attraktiv wird das Einzelhandelsangebot eingeschätzt und wo werden<br />
Defizite gesehen? Anschließend wird eruiert, inwiefern die Städte aktiv an der Entwicklung<br />
ihres Einzelhandels mitwirken, welche Methoden dabei <strong>zum</strong> Einsatz kommen und insbesondere<br />
wie dabei die Rolle privater Handelsakteure eingeschätzt wird – eher <strong>als</strong> reiner Financier<br />
oder gar <strong>als</strong> strategischer Partner. Abschließend geht die <strong>Studie</strong> der Frage nach, welche Präferenzen<br />
die Städte <strong>für</strong> die zukünftige Einzelhandelsentwicklung besitzen – welche Standorte<br />
sollen bevorzugt entwickelt werden, welche Betriebsformen bzw. Handelsimmobilientypen<br />
stehen im Mittelpunkt und welche Sortimente sollen ausgebaut werden? <strong>Die</strong> Gründe <strong>für</strong> das<br />
Scheitern geplanter Einzelhandelsprojekte geben Anhaltspunkte <strong>für</strong> die Abweichungen der<br />
tatsächlichen Entwicklungen von den planerischen Präferenzszenarien.
Bedeutung des Einzelhandels <strong>für</strong> die Stadtentwicklung<br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 4<br />
<strong>Die</strong> befragten Mittelstädte messen dem Einzelhandel, in Relation zu anderen Planungsfeldern,<br />
überdurchschnittliche Bedeutung <strong>für</strong> die Stadtentwicklung bei. Der hohe Stellenwert des Einzelhandels<br />
gründet sich vor allem auf seine Versorgungsfunktion und seine zentralitätssteigernde<br />
Wirkung. Im Einklang mit landesplanerischen Konzepten liegt das Hauptaugenmerk der<br />
Planer dabei auf der Innenstadt. Ebenfalls überdurchschnittlich schätzen die Städte die Attraktivität<br />
des eigenen Einzelhandels ein. Vertreter aus dem Bereich Wirtschaftsförderung bewerten<br />
dabei sowohl die relative Bedeutung des Einzelhandels <strong>als</strong> auch dessen Attraktivität im<br />
Durchschnitt höher <strong>als</strong> Vertreter der Stadtplanung.<br />
<strong>Die</strong> Bedeutung des Einzelhandels sehen die befragten Städte insbesondere in der funktionalen<br />
Stärkung der Innenstadt, die, im Einklang mit den landesplanerischen Zielvorstellungen, <strong>für</strong><br />
fast alle Städte (93 %) eine zentrale Rolle spielt. Dem Einzelhandel kommt damit nach wie vor<br />
die Rolle <strong>als</strong> wichtige Leitfunktion der Innenstadt zu. Aber auch übergeordnete Zielvorstellungen<br />
wie die Steigerung der Zentralität (71 %) und die Versorgung der Bevölkerung (62 %)<br />
werden <strong>als</strong> zentrale Funktionen, die der Einzelhandel erfüllt, angesehen. Wirtschaftliche Kernaspekte<br />
wie die Generierung von Arbeitsplätzen werden hingegen nachrangig beurteilt, obwohl<br />
der Anteil der Beschäftigten im Handel auf dem Arbeitsmarkt nicht zu vernachlässigen ist.<br />
Darüber hinaus erwarten die befragten Mittelstädte vom Einzelhandel <strong>zum</strong> Teil aber auch eine<br />
Steigerung der Attraktivität der Stadt <strong>für</strong> (Tages-)Touristen, qualifizierte Fachkräfte und Unternehmen.<br />
Der Einzelhandel fungiert damit <strong>als</strong> (weicher) Standortfaktor, von dem sich Kommunen<br />
generelle Attraktivitätssteigerungen erhoffen.<br />
Probleme in der momentanen Einzelhandelssituation<br />
Angesichts der großen Bedeutung, welche die Städte dem Einzelhandel beimessen, wiegen<br />
Defizite in diesem Gebiet besonders schwer. Lediglich drei der 103 befragten Städte zeigen<br />
sich mit dem Zustand ihres Einzelhandels vollkommen zufrieden und beklagen keinerlei Defizite.<br />
Bei der Mehrheit der Städte ist es vor allem der Aspekt des Angebots, der defizitär eingeschätzt<br />
wird. Über die Hälfte der befragten Mittelstädte bezeichnet die Sortimentszusammensetzung<br />
des Einzelhandels <strong>als</strong> unvollständig oder unausgewogen, wobei vor allem die wachsende<br />
Präsenz minderwertiger Sortimente, in Form von Restemärkten oder 1€-Läden, problematisch<br />
gesehen wird. Insbesondere im Bereich Textilien und Lebensmittel sehen die Städte<br />
Handlungsbedarf und streben eine Erweiterung des Angebots an. Fast die Hälfte (44 %) der<br />
Städte gibt darüber hinaus an, dass Lücken in der Nahversorgung bestehen, was insbesondere<br />
<strong>für</strong> bevölkerungsschwächere Stadtteile beklagt wird. Hinsichtlich der Mängel in der Lebensmittelversorgung<br />
sehen die Städte vor allem einen Bedarf an zusätzlichen Vollsortimentern, während<br />
zusätzliche Discounter eher unerwünscht sind. Jede zweite der befragten Mittelstädte<br />
sieht im Fehlen bestimmter (Einzelhandels-)Betriebsformen Entwicklungsdefizite. Verantwortlich<br />
da<strong>für</strong> sind häufig fehlende Entwicklungsflächen in geeigneter Lage. Viele Städte beklagen<br />
in diesem Zusammenhang aber auch die Schließung des örtlichen Warenhauses sowie den<br />
Rückgang inhabergeführter Fachgeschäfte, was beides mitunter zur Entstehung von Lücken in<br />
der Sortimentszusammensetzung führen kann, wenn keine vergleichbaren neuen Angebote<br />
entstehen. Insbesondere in kleineren Mittelstädten (< 100.000 Ew.) in städtischen Räumen<br />
wird <strong>als</strong> fehlende Betriebsform häufig ein (innerstädtisches) Einkaufszentrum genannt. <strong>Die</strong><br />
Dominanz von Filialisten wird von 38 % der Städte beklagt und wird damit ähnlich problematisch<br />
gesehen wie die Anzahl von Leerständen (34 %), unattraktive Laden- und Schaufenstergestaltung<br />
(41 % bzw. 38 %). Eine zu geringe Anzahl attraktiver Filialisten wird von den Städten
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 5<br />
<strong>zum</strong> Teil allerdings ebenso problematisch gesehen. <strong>Die</strong> häufige Nennung einer lückenhaften<br />
Nahversorgung korrespondiert mit der Absicht vieler Gemeinden, insbesondere das Lebensmittelangebot<br />
in Zukunft zu erweitern. Bei dem Wunsch nach zusätzlichen Verkaufsflächen in<br />
den Bereichen Textilien/Bekleidung und (Unterhaltungs-)Elektronik steht hingegen der zentralitätssteigernde<br />
Effekt des Einzelhandels im Mittelpunkt. Dem Bedeutungsgewinn von Billigsortimenten<br />
sollen insbesondere im Textilbereich verstärkt hochwertige Angebote entgegengesetzt<br />
werden. Ein Drittel der befragten Mittelstädte beklagt einen Bedeutungsverlust der<br />
Innenstadt <strong>als</strong> Handelsstandort und <strong>für</strong> nahezu alle Städte ist die Innenstadt der bevorzugte<br />
Standort der zukünftigen Einzelhandelsentwicklung. Andere Standorte spielen lediglich unter<br />
dem Aspekt der Nahversorgung, die in Stadtteilzentren ausgebaut werden soll, sowie bei Branchen<br />
mit geringer Flächenintensität (z. B. Möbel) an agglomerierten Standorten im Sekundären<br />
Handelsnetz eine Rolle. Sowohl hinsichtlich der Versorgungsfunktion <strong>als</strong> auch der zentralitätssteigernden<br />
Wirkung des Einzelhandels liegt der Fokus der Städte auf dem Primären Handelsnetz,<br />
<strong>als</strong>o an städtebaulich integrierten Standorten.<br />
Aktive Steuerung der Einzelhandelsentwicklung seitens der Kommunen<br />
Angesicht der großen Bedeutung, die der Einzelhandel und die dazugehörigen Immobilien <strong>für</strong><br />
die Stadtentwicklung spielen, ist es nicht verwunderlich, wenn die Städte versuchen, ihr Steuerungspotenzial<br />
voll auszuschöpfen. <strong>Die</strong> Mittelstädte sind sich ihrer Möglichkeiten zur gezielten<br />
Steuerung der Einzelhandelsentwicklung bewusst und die Mehrheit der Städte versucht, eine<br />
aktiv gestaltende Rolle in diesem Prozess einzunehmen. Der Schwerpunkt der Maßnahmen<br />
liegt hierbei auf indirekt wirkenden bzw. rahmensetzenden Maßnahmen. Städtebaulichen<br />
Wettbewerben <strong>für</strong> Handelsimmobilien und der Akquisition attraktiver Marken wird eher nachrangige<br />
Bedeutung beigemessen. Deutlich aktiver zeigen sich die Städte hingegen bei der Erarbeitung<br />
einzelhandelsrelevanter Entwicklungskonzepte sowie deren regelmäßiger Kontrolle<br />
(Stichwort: Einzelhandelsmonitoring). Außerdem versuchen die Städte aktiv Standorträume<br />
zu entwickeln, indem sie geeignete Handelsflächen ausweisen und Baurecht <strong>für</strong> Handelsimmobilien<br />
schaffen.<br />
Nicht alle Städte machen jedoch in gleichem Maß von ihren Steuerungsmöglichkeiten Gebrauch.<br />
Mithilfe einer Clusteranalyse können zwei Gruppen von Städten identifiziert werden,<br />
die sich deutlich hinsichtlich ihrer Aktivitäten bei der Gestaltung der Einzelhandelsentwicklung<br />
unterscheiden: „aktive“ Gestalter vs. „passive“ Verwalter. Zwei Drittel der Mittelstädte lassen<br />
sich der „aktiven“ (Cluster 1) und ein Drittel der „passiven“ Gruppe (Cluster 2) zuordnen, wobei<br />
ostdeutsche Mittelstädte in letzterer deutlich überrepräsentiert sind. <strong>Die</strong> Mittelstädte in Cluster<br />
1 zeichnen sich aus durch eine hohe Wertschätzung und aktive Steuerung des Einzelhandels,<br />
während die Entwicklungspotenziale in Cluster 2 gering eingeschätzt werden und eine<br />
eher passive Einzelhandelspolitik vorherrscht. Jene Mittelstädte, deren Entwicklung in den Bereichen<br />
Bevölkerung und Arbeitsplätze negativ verläuft, sehen dabei deutlich weniger Spielraum<br />
<strong>für</strong> eine aktive Einflussnahme auf die Einzelhandelsentwicklung. <strong>Die</strong> Herausforderungen<br />
durch eine schrumpfende Bevölkerung und den damit verbunden Rückbau städtischer<br />
Infrastrukturen scheinen wenig Raum <strong>für</strong> eine aktiv gestaltende Einzelhandelspolitik zu lassen.<br />
Innerstädtische EKZ können dem Einzelhandel einer Stadt verloren gegangene Attraktivität<br />
zurückgeben, wovon auch die angestammten Einzelhändler profitieren können, wenn sie in<br />
der Lage und bereit sind zu investieren und Anpassungsmaßnahmen <strong>zum</strong> Beispiel im Bereich<br />
Marketing vorzunehmen. Insbesondere in Schrumpfungsregionen sollten die Städte deshalb<br />
verstärkt die nötigen Anpassungsprozesse im Einzelhandel unterstützen.
Kommunale Einflussnahme bei der Ansiedlung von Einkaufszentren<br />
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 6<br />
Besonders stark erweist sich die Einflussnahme der befragten Mittelstädte bei der Ansiedlung<br />
von Einkaufszentren. Circa zwei Drittel der Städte geben an, bei solchen Projekten sehr starken<br />
oder großen Einfluss auf städtebauliche und architektonische Aspekte auszuüben. <strong>Die</strong> größte<br />
Herausforderung sehen die Städte in der Integration innerstädtischer EKZ in das städtische<br />
Wege- und Beziehungsnetz, die eine Durchquerung mitunter auch nach Betriebsschluss nötig<br />
machen kann. <strong>Die</strong> Integration der Einzelhandelsimmobilie EKZ soll nach Wunsch der Städte<br />
durch die Unterbringung ergänzender Nutzungen verbessert werden. Multifunktionale Ansätze<br />
können helfen, das EKZ und seine Umgebung auch außerhalb der Hauptgeschäftszeiten zu beleben<br />
und die integrierten Funktionsträger profitieren im Idealfall von der zusätzlichen Passantenfrequenz,<br />
die das EKZ erzeugt. Ebenfalls unter dem Integrationsaspekt ist die häufige Nennung<br />
einer Einflussnahme auf das Angebot an Parkraum im EKZ zu sehen. <strong>Die</strong> Einflussnahme<br />
auf die Aufenthaltsqualität innerhalb und außerhalb des EKZ ist hingegen von nachrangiger<br />
Bedeutung. Der geringe Steuerungsbedarf, den die Städte diesbezüglich sehen, kann damit<br />
begründet werden, dass die Entwickler und Betreiber von EKZ selbst ein originäres Interesse an<br />
diesem Aspekt haben.<br />
Hindernisse bei der Umsetzung gewünschter Einzelhandelsprojekte<br />
Auch eine aktive Einzelhandelspolitik kann eine Realisierung aller geplanten Einzelhandelsprojekte<br />
nicht immer sicher stellen. <strong>Die</strong> Ursachen da<strong>für</strong> können unterschiedlich sein: Über<br />
50 % der befragten Mittelstädte geben an, ein Projekt aufgrund des Fehlens eines Investors<br />
nicht realisiert zu haben. Den Städten scheint es schwer zu fallen, ihre Projekte auf dem Markt<br />
der Handelsinvestoren zu positionieren. Eine Intensivierung der Zusammenarbeit zwischen<br />
Investoren, Entwicklern und Stadtplanern könnte helfen, Entwicklungspotenziale freizusetzen,<br />
die bisher mangels Finanzierung brach liegen. Es bliebe zu eruieren, inwiefern übertriebene<br />
Planungsrestriktionen die wirtschaftlichen Erfolgsaussichten konkreter Projekte schmälern und<br />
damit potentielle Investoren abschrecken. Ein Mangel an Entwicklungsflächen hat in einem<br />
Viertel der befragten Mittelstädte geplante Einzelhandelsprojekte verhindert. Vor allem fehlt<br />
es an Flächen in geeigneter Lage. Da die Standortpräferenzen der Mittelstädte eindeutig in der<br />
Innenstadt liegen und freie Flächen dort traditionell rar sind, kommt dem Flächenmangel <strong>als</strong><br />
Begrenzungsfaktor besonderes Gewicht zu. Interkommunale Abstimmungsprobleme sind hingegen<br />
nur in den seltensten Fällen ein Hindernis <strong>für</strong> geplante Projekte.<br />
Präferenzen der Kommunen bei der zukünftigen Einzelhandelsentwicklung<br />
<strong>Die</strong> Einzelhandelsentwicklung spielt sich nach den Wünschen der befragten Mittelstädte vor<br />
allem in der Innenstadt ab. Andere Standorte des Primären Handelsnetzes spielen nur <strong>für</strong> die<br />
Nahversorgung eine Rolle und im Sekundären Handelsnetz werden Entwickler in Zukunft wohl<br />
nur noch in Ausnahmefällen und unter großen Restriktionen neue Projekte abschließen<br />
können. Obwohl die Konzentration auf innerstädtische Standorte zu einem größeren<br />
Abstimmungsbedarf zwischen Stadtplanung und Einzelhandelsentwicklern führen wird,<br />
entstehen durch die Abkehr von nicht-integrierten Standorten vor allem neue Entwicklungschancen<br />
<strong>für</strong> die Innenstadt. <strong>Die</strong> Präferenzen <strong>für</strong> bestimmte Einzelhandelsbetriebsformen<br />
bzw. Handelsimmobilientypen korrespondieren mit den geäußerten Standortpräferenzen (vgl.<br />
Abb. 1). Der mit Abstand beliebteste Immobilientyp <strong>für</strong> die zukünftige Einzelhandelsentwicklung<br />
ist demnach das Geschäftshaus in der Innenstadt – es eignet sich sowohl zur Abdeckung<br />
der Grundversorgung <strong>als</strong> auch zur Unterbringung zentrenrelevanter Sortimente. <strong>Die</strong> große<br />
Bedeutung, die die Mittelstädte der Deckung der Grundversorgung beimessen, spiegelt sich
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 7<br />
außerdem in der Präferenz <strong>für</strong> Nahversorgungs- bzw. Stadtteilzentren wider. Einkaufszentren<br />
und Passagen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle <strong>für</strong> die Städte und stehen in der Gunst<br />
deutlich vor Fachmärkten und vor allem vor Fachmarkzentren und singulären<br />
Einzelhandelsgroßprojekten. <strong>Die</strong> beiden letztgenannten Immobilientypen lassen sich fast ausnahmslos<br />
nur an Standorten im Sekundären Handelsnetz realisieren und spielen wahrscheinlich<br />
schon deshalb kaum eine Rolle in den Planungen der Mittelstädte. <strong>Die</strong> Kommunen gehen<br />
sehr sensibel mit dem Thema EKZ um und sind sich eventuell auftretender negativer Effekte<br />
durchaus bewusst. <strong>Die</strong> positiven bisherigen Erfahrungen in der eigenen oder in fremden Städten<br />
lassen EKZ aber auch in Zukunft <strong>für</strong> die Stadtplaner attraktiv erscheinen.<br />
Bedingungen und Auswirkungen der Ansiedlung innerstädtischer Einkaufszentren<br />
<strong>Die</strong> Mittelstädte sehen in der Ansiedlung eines EKZ große Chancen <strong>für</strong> die Einzelhandelsentwicklung<br />
und zeigen große Bereitschaft, aktiv auf die städtebauliche und architektonische Integration<br />
des EKZ Einfluss zu nehmen, um dessen Auswirkungen auf die Einzelhandelsentwicklung<br />
aus planerischer Sicht zu optimieren. <strong>Die</strong> EKZ-Entwickler müssen in Zukunft damit<br />
rechnen, striktere Vorgaben einhalten zu müssen, die <strong>zum</strong> Teil auch eine funktionale und<br />
Abb. 1: Präferierte Einzelhandelsimmobilientypen in der zukünftigen Einzelhandelsentwicklung<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
Geschäftshäuser<br />
(Innenstadt)<br />
6 = “ausschließlich“, 5 = “bevorzugt“, 4 = “überwiegend“, 3 = “nachrangig“, 2 = “eher nicht“, 1 = “gar nicht“<br />
Quelle: Eigene Erhebung, 2011.<br />
Einkaufszentren<br />
Passagen Fachmärkte Fachmarktzentren/-agglomerationen<br />
Nahversorgungs-<br />
/Stadtteilzentren<br />
Singuläre<br />
Einzelhandelsgroßprojekte<br />
bauliche Öffnung umfassen. Das häufig heraufbeschworene Feindbild von EKZ auf der Grünen<br />
Wiese gehört dabei aber ohnehin längst der Vergangenheit an. In Westdeutschland<br />
entstanden bereits seit den 1970er Jahren nur noch sehr vereinzelt EKZ in nicht-integrierten<br />
Lagen und auch in Ostdeutschland ist die Zeit des unkontrollierten Flächenwachstums auf der<br />
Grünen Wiese, wie es kurze Zeit nach der Wiedervereinigung zu beobachten war, lange vorbei.<br />
Für die zukünftige Entwicklung sehen die befragten Mittelstädte den Schwerpunkt der Ansiedlung<br />
neuer EKZ klar in den Innenstädten. Angesichts dieser Standortpräferenzen scheinen<br />
erlebnisorientierte EKZ-Konzepte von größerer Bedeutung zu sein <strong>als</strong> preisorientierte. Der<br />
Wunsch nach einem EKZ ist dabei bei jenen Städten besonders stark ausgeprägt, die hohe<br />
Leerstände beklagen, die das Fehlen moderner Betriebsformen <strong>als</strong> Defizit angeben und die<br />
bereits sehr gute Erfahrungen mit bisherigen EKZ-Ansiedlungen gemacht haben. Einkaufszen-
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 8<br />
tren werden von den Mittelstädten insbesondere <strong>als</strong> Instrument zur Steigerung der Attraktivität<br />
der Innenstadt gesehen. <strong>Die</strong> Stärkung der Einzelhandelszentralität steht ebenso im Fokus<br />
wie die Übernahme städtebaulicher Funktionen. Einkaufszentren werden demnach von den<br />
Städten gezielt zur Unterstützung der Entwicklung der Innenstadt eingesetzt. Jene Städte, in<br />
denen in den letzten zehn Jahren ein EKZ angesiedelt wurde, zeigen sich mit den daraus resultierenden<br />
Effekten sehr zufrieden. <strong>Die</strong> Auswirkungen des EKZ auf die Einzelhandelsattraktivität<br />
bewerten 90 % der Mittelstädte positiv. Nur 8 % der Mittelstädte geben darüber hinaus an,<br />
dass die von der EKZ-Ansiedlung erhofften Auswirkungen auf die Stadtentwicklung ausgeblieben<br />
sind. In vielen Fällen wurden die erhofften Auswirkungen sogar übertroffen, <strong>zum</strong> Teil deutlich.<br />
Auch die Auswirkungen auf die Einzelhandelszentralität wurden im Mittel positiv bewertet,<br />
wobei vor allem kleinere Mittelstädte in ländlichen Räumen große Zufriedenheit äußern.<br />
<strong>Die</strong> Mittelstädte sehen die neu angesiedelten EKZ vor allem <strong>als</strong> Frequenzbringer, die durch<br />
ihre Magnetfunktion zusätzliche Kaufkraft in die Innenstädte lenken. <strong>Die</strong> übrigen Einzelhändler<br />
der Innenstädte sind nach Ansicht der befragten Städte sogar Profiteure der erhöhten Attraktivität<br />
des Gesamtstandorts. <strong>Die</strong> Einzelhandelslagen verschieben sich zwar zwangsläufig durch<br />
ein neues EKZ, bei den Mittelstädten überwiegt aber der positive Eindruck. Sie berichten vor<br />
allem von den positiven Effekten auf die Kundenfrequenzen, von denen wiederum auch<br />
andere Einzelhändler profitieren würden. Als mögliche positive Folgen angesiedelter EKZ werden<br />
aber auch innovationsfördernde Effekte und eine dämpfende Wirkung auf die Mieten genannt.<br />
Durch die zusätzliche Konkurrenz werden ausstehende Modernisierungen angestoßen<br />
und häufig kommt es zu einer Intensivierung von Maßnahmen zur Verbesserung der Außenwahrnehmung<br />
durch gemeinsame Marketingaktionen oder sonstige Kooperationen. Eine<br />
Erhöhung der Leerstände durch die EKZ ist den Mittelstädten zufolge nicht eingetreten.<br />
Kooperation mit Projektentwicklern<br />
Eine besondere Rolle bei der städtischen Einzelhandelsentwicklungsplanung spielt die Kooperation<br />
mit Projektentwicklern und insbesondere bei Einzelhandelsgroßprojekten wie den EKZ<br />
ist eine intensive Zusammenarbeit unausweichlich. Neben dem rahmensetzenden,<br />
gesetzlichen Planungsinstrumentarium, das den Städten zur Steuerung der Einzelhandelsentwicklung<br />
zur Verfügung steht, sehen die befragten Mittelstädte die Zusammenarbeit mit<br />
den Entwicklern von Handelsimmobilien <strong>als</strong> zentrales Betätigungsfeld ihrer Einzelhandelspolitik.<br />
<strong>Die</strong> Qualität der Kooperation wird dabei sehr unterschiedlich bewertet. Immerhin 39 %<br />
der Gemeinden geben an, sehr gute oder gute Erfahrungen bei der Zusammenarbeit gemacht<br />
zu haben. Der größte Teil der Städte (44 %) berichtet von eher durchschnittlichen Erfahrungen<br />
und vergibt die Note befriedigend. Mangelhafte Erfahrungen sind hingegen nur äußerst selten<br />
zu verzeichnen (5,5%). Ein Mangel an Rücksichtnahme seitens der Projektentwickler auf die<br />
konkreten Gegebenheiten vor Ort wird am häufigsten von den Städten beklagt, außerdem<br />
mitunter fehlende Kenntnisse in Bau- sowie Planungs- und Verwaltungsrecht. <strong>Die</strong> Zusammenarbeit<br />
wird <strong>zum</strong> Teil <strong>als</strong> „mühsam“ und „anstrengend“ bezeichnet, vor allem wenn die<br />
Projektentwickler auf ihren anfänglichen Wunschvorstellungen beharren und keine<br />
Bereitschaft zu Kompromissen erkennen lassen. Zum Teil gehen die Städte deshalb<br />
mittlerweile den umgekehrten Weg und geben die „Spielregeln“ frühzeitig vor, „so dass sich<br />
die Entwickler daran halten (müssen)“ (Zitat eines nordrheinwestfälischen Wirtschaftsförderers).<br />
Ohne die Bereitschaft zu Kompromissen, werden es Immobilienentwickler folglich<br />
mittel- bis langfristig schwer haben, Projekte zu realisieren. Es scheint allerdings nur bedingt<br />
ein Verständnis seitens der Städte da<strong>für</strong> vorhanden zu sein, dass auch die Handelsakteure
Quo vadis, Einzelhandel in Mittelstädten? 9<br />
gewissen wirtschaftlichen Restriktionen unterworfen sind, <strong>zum</strong>al sie in einem Markt agieren,<br />
der sich zunehmend durch Sättigungseffekte auszeichnet. Verständlicherweise betrachten es<br />
die Städte trotzdem <strong>als</strong> Erfolg, wenn nach langen Verhandlungen die eigenen Interessen<br />
durchgesetzt werden können. Immobilienentwickler und Investoren denken nicht zwangsläufig<br />
nur an die kurzfristige Rendite, längerfristige Engagements sind durchaus üblich und<br />
dementsprechend zeigen sie auch Interesse an der langfristigen Entwicklung des Umfelds ihrer<br />
eigenen Handelsimmobilie. Es wird sich zeigen, inwieweit der Handel in Zukunft bereit sein<br />
wird, auch bei der qualitativen Aufwertung von Standorträumen eine aktive Rolle zu spielen –<br />
die Stadtplaner sehen sie dazu jedenfalls eindeutig in der Pflicht. Städtebauliche<br />
Wettbewerbe könnten dadurch in dem komplexen Kräftespiel der Einzelhandelsentwicklung<br />
an Bedeutung gewinnen und die dominierenden Rahmenplanungen und Entwicklungskonzepte<br />
sinnvoll ergänzen.