15.02.2013 Aufrufe

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

Digitalisierung des Wissens - VolkswagenStiftung

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

<strong>Wissens</strong>chaftsmagazin der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

01<br />

13 ImpulseDas<br />

Schwerpunktthema<br />

„<strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />

Auf dem Weg in eine Zukunft mit<br />

mehr Einsicht? In ein neues Zeitalter<br />

der Demokratisierung von <strong>Wissens</strong>chaft,<br />

Kunst und Kultur? Was die<br />

digitale Verfügbarkeit von Informationen<br />

mit sich bringt. Vorhang auf<br />

für eine neue <strong>Wissens</strong>gesellschaft.


Wir stiften Wissen<br />

Klare Struktur, zeitgemäßer Auftritt und vielfältige<br />

Inhalte: Seit November 2012 hat die Volkswagen-<br />

Stiftung eine neue Online-Präsenz. Ein klares und<br />

luftiges Design erleichtert die Orientierung und<br />

schafft Übersichtlichkeit. Großformatige Fotos<br />

bieten neben umfangreichen Inhalten interessan-<br />

te Einblicke in die Arbeit der geförderten Wissen-<br />

schaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler. Um modernen<br />

Nutzergewohnheiten gerecht zu werden, basiert<br />

die neue Website auf dem sogenannten Responsive<br />

Design. So stehen alle Funktionalitäten jetzt auch<br />

für internetfähige Tablets und Smartphones zur<br />

Verfügung. ggg www.volkswagenstiftung.de<br />

Editorial<br />

Digitalisiertes Wissen – die Quelle der Zukunft für<br />

wissenschaftliche Erkenntnis?<br />

Sie interessieren sich für ein Kunstwerk oder ein<br />

volkskundliches Objekt, das unerreichbar im Keller<br />

eines Museums lagert? Sie sind vielleicht Forscher,<br />

und eine Abbildung in einem Buch hilft Ihnen für<br />

die wissenschaftliche Betrachtung allein nicht weiter<br />

– schließlich zeigt sie das Objekt nur zweidimensional?<br />

Nun, das ist zunehmend kein Problem<br />

mehr, seitdem viele Museen, Bibliotheken und<br />

andere Einrichtungen ihre Sammlungen dreidimensional<br />

erfassen und als digitalisierte Exponate<br />

in einem Online-Archiv jedem zugänglich machen.<br />

Ein Mausklick oder auch ein paar – und Sie sehen<br />

das Objekt Ihrer Begierde von allen Seiten, können<br />

es drehen, vielleicht sogar in es hineintreten.<br />

Womöglich sitzen Sie ja auch, spinnen wir den<br />

Gedanken einmal weiter, ausgestattet mit einem<br />

schnellen Internet-Anschluss an einem entlegenen<br />

Ort auf der anderen Seite der Welt. Für<br />

Ihre Forschungsfrage reichen Ihnen die digital<br />

gespeicherten Datensätze, die Sie den online<br />

angelegten Archiven Dritter entnehmen können,<br />

und – inmitten Ihrer virtuellen Forschungsumgebung<br />

starten Sie nun Ihre eigene wissenschaftliche<br />

Arbeit. Dazu fließen von Kollegen aus einem<br />

wieder anderen Teil der Welt vielleicht gerade<br />

aktuelle Aufnahmen von Referenzobjekten ein,<br />

die jene mithilfe mobiler Geräte wie Smartphones<br />

und Minicomputern soeben dort gemacht haben.<br />

Fortlaufend erreichen Ihre virtuelle Forschungsumgebung<br />

etwa Maße der untersuchten Objekte,<br />

andere Parameter oder auch Kommentare. Und<br />

Sie? Sie sitzen auf einem Berg oder am Strand<br />

und produzieren in Ihrem Theoriegebäude neue<br />

wissenschaftliche Erkenntnisse – und vergrößern<br />

damit zugleich den virtuellen Datenkosmos.<br />

Zukunftsmusik? Mitnichten. Aktuell lässt sich<br />

überall und – wenngleich in unterschiedlichem<br />

Ausmaß – in allen Fächerkulturen beobachten,<br />

dass wissenschaftliches Arbeiten in virtuelle<br />

Forschungsumgebungen verlagert wird. Digitalisiertes<br />

Wissen macht’s möglich. Ein paar Zahlen:<br />

90 Prozent <strong>des</strong> derzeit geschätzten Bestands<br />

weltweit digital gespeicherter Daten wurde in<br />

den vergangenen zwei Jahren erzeugt. Und da ist<br />

die <strong>Wissens</strong>chaft gut mit dabei. So liefern allein die<br />

gewaltigen Detektoren <strong>des</strong> Large Hadron Colliders,<br />

<strong>des</strong> großen Teilchenbeschleunigers am Forschungszentrum<br />

CERN, derzeit Tag für Tag durchschnittlich<br />

42 Terabyte an neuen Daten. Noch rasanter der Beitrag<br />

der Lebenswissenschaften mit täglich Tausenden<br />

neu sequenzierter Genome. Zu solcherart generierten<br />

Daten kommen zudem die von Sensoren,<br />

deren Output sich elektronisch aufzeichnen und<br />

digital weiterverbreiten lässt – etwa von Geräten<br />

der medizinischen Diagnostik, von Überwachungskameras,<br />

Wetterstationen oder Mobiltelefonen.<br />

Daten sind allerdings noch keine Informationen<br />

und erst recht kein neues Wissen. Sie müssen<br />

analysiert und interpretiert werden. Die passenden<br />

Geschichten hierzu erzählt unser Magazin<br />

„<strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ – zugleich in unserer<br />

Reihe „Impulse aus der <strong>Wissens</strong>chaft“ das erste<br />

Heft mit inhaltlicher Schwerpunktsetzung. Mit<br />

zwei solcherart thematisch fokussierten Ausgaben<br />

pro Jahr möchten wir Sie künftig unterhalten.<br />

In diesem Heft können Sie beispielsweise lesen,<br />

inwieweit die <strong>Digitalisierung</strong> vieler vom Aussterben<br />

bedrohter Sprachen gleichsam deren Asyl ist.<br />

Oder Sie erfahren etwas über neue Techniken,<br />

die – wie nach dem Brand in der Herzogin Anna<br />

Amalia Bibliothek – fast verloren geglaubte, kostbare<br />

Dokumente nicht nur retten helfen, sondern<br />

sie ins digitale Zeitalter transferieren mit all den<br />

Möglichkeiten, die sich daraus ergeben.<br />

Womit wir wieder beim Forscher am anderen<br />

Ende der Welt angekommen sind. Den Blick auf<br />

ihn gerichtet, muss bei aller digitalen Euphorie<br />

natürlich gelten, dass im Herzen der digitalen<br />

<strong>Wissens</strong>chaft immer noch das Sinnverstehen, das<br />

kluge Interpretieren seinen Platz behaupten muss<br />

und wird. Gerade dafür stehen die Protagonisten<br />

der vorgestellten Projekte. Ich wünsche Ihnen<br />

eine spannende Lektüre mit realem Genuss!<br />

Wilhelm Krull,<br />

Generalsekretär der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

2 Impulse 2013 3


36<br />

Wunderkammern der <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> von Sammlungen,<br />

Museumsbeständen und Archiven gibt<br />

diesen eine globale Sichtbarkeit.<br />

Ein Blick nach Berlin.<br />

24<br />

Ein Archiv für die Sprachen der Welt<br />

Im niederländischen Nijmegen findet Kulturerbe eine digitale<br />

Heimat. Dort schlägt das technische Herz einer weltweiten<br />

Initiative, die die Dokumentation bedrohter Sprachen zum<br />

Ziel hat. Ein Besuch vor Ort.<br />

44<br />

Leben aus der Asche<br />

Wie der interaktive Austausch im Netz hilft, etwas über<br />

die Herkunft brandgeschädigter Bücher zu erfahren. Zu<br />

Gast in der Anna Amalia Bibliothek, acht Jahre nach dem<br />

verheerenden Feuer. Eine Fahrt nach Weimar.<br />

Inhalt<br />

60<br />

Hierarchien schwinden<br />

Wie digitale Medien die Kommunikation<br />

zwischen Forschern verändern – und<br />

dabei auch die sozialen Strukturen <strong>des</strong><br />

<strong>Wissens</strong>chaftsbetriebs.<br />

6<br />

Kunst + <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Eine Sprache für den<br />

Tanz: über die Entstehung<br />

von Online-Partituren<br />

und die <strong>Digitalisierung</strong><br />

von Choreografien<br />

– eine Fotoreportage in<br />

mehreren Akten.<br />

14<br />

Portale und Potenziale<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> von<br />

<strong>Wissens</strong>beständen lässt<br />

Informationen umfassend<br />

sichtbar werden.<br />

Das erreicht ein weltweites<br />

Publikum. Eine<br />

Betrachtung von außen.<br />

24<br />

Ein Archiv für die<br />

Sprachen der Welt<br />

Eine digitale Heimat<br />

für die bedrohten Sprachen<br />

dieser Welt. Zu<br />

Besuch im Max-Planck-<br />

Institut für Psycholinguistik<br />

in Nijmegen.<br />

36<br />

Wunderkammern der<br />

<strong>Wissens</strong>chaft<br />

Die Humboldt-Universität<br />

Berlin hat als erste<br />

deutsche Hochschule<br />

ihre Sammlungen erschlossen<br />

und online<br />

öffentlich zugänglich<br />

gemacht: ein Blick in die<br />

„Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“.<br />

44<br />

Leben aus der Asche<br />

Neue Chance für alte<br />

Werke. Oder: Wie aus<br />

einem Verlust auch<br />

Unerwartetes erwächst.<br />

Zu Gast in Weimar bei<br />

„Anna Amalia“.<br />

60<br />

Hierarchien schwinden<br />

Digitale Medien verändern<br />

den <strong>Wissens</strong>chaftsbetrieb.<br />

Am Zentrum<br />

für Medien und<br />

Interaktivität in Gießen<br />

weiß man mehr.<br />

74<br />

Welche Museen will<br />

diese Gesellschaft?<br />

Wie sehen die Sammlungs-<br />

und Ausstellungshäuser<br />

von heute<br />

im Zeitalter der <strong>Digitalisierung</strong><br />

morgen aus?<br />

Welchen Herausforderungen<br />

haben sie sich<br />

zu stellen? Ein „Herrenhäuser<br />

Gespräch“ geht<br />

diesen Fragen nach.<br />

Veranstaltungen<br />

52<br />

„Die neuen Bürger der<br />

Gelehrtenrepublik“<br />

Das Magazingespräch:<br />

der Göttinger Literaturwissenschaftler<br />

Gerhard Lauer zu den<br />

Digital Humanities.<br />

74<br />

Welche Museen will<br />

diese Gesellschaft?<br />

„Vom Musentempel zur<br />

Ereignisagentur: Wohin<br />

treiben die Museen im<br />

digitalen Zeitalter?“ Vier<br />

Experten suchen Antworten<br />

bei einem „Herrenhäuser<br />

Gespräch“.<br />

84<br />

Die Grenzen <strong>des</strong><br />

Wachstums<br />

– 40 Jahre danach.<br />

Rückblick auf ein<br />

Symposium und eine<br />

Winter School.<br />

4 Impulse 2013 5<br />

Rubriken<br />

22<br />

Kompakt<br />

„<strong>Digitalisierung</strong>“ kompakt.<br />

Nachrichten zum<br />

Schwerpunktthema.<br />

68<br />

Spektrum<br />

Nachrichten aus der<br />

<strong>Wissens</strong>chaftsförderung.<br />

80<br />

Forum<br />

Nachrichten aus der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />

89<br />

Die Veranstaltungsformate<br />

der Stiftung<br />

90<br />

Ausblick 2013<br />

Schloss / Neue Initiative<br />

91<br />

Die Stiftung in Kürze /<br />

Impressum


Impuls<br />

Kunst trifft <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“<br />

Dass der Tanz als ästhetische Ausdrucksform <strong>des</strong><br />

menschlichen Körpers der Physik, der Physiologie,<br />

der Körpermechanik oder der Medizin immer wieder<br />

Aufgaben stellt, ist offensichtlich. Doch <strong>Wissens</strong>chaft,<br />

Technik und Tanz berühren einander auch<br />

sonst. Und helfen sich. Will man beispielsweise über<br />

Choreografien oder die Komposition von Bewegungen<br />

reden, stößt man bislang schnell an Grenzen:<br />

Tanz fehlt Sprache. Ihn nun in einem ihm eigenen,<br />

angemessen komplexen „Vokabular“ zu Wort kommen<br />

zu lassen, dazu kann die <strong>Wissens</strong>chaft, können<br />

moderne Informationstechnologien beitragen.<br />

Seit zwei Jahren wird in dem Projekt „Motion Bank“<br />

die choreografische Praxis einschließlich ihrer<br />

Kreativitätsprozesse erforscht und in „Sprache“ übersetzt<br />

– in breitem Kontext und: angestoßen von der<br />

renommierten „The Forsythe Company“. Dabei arbeiten<br />

Künstler und Medien<strong>des</strong>igner im engen Zusammenspiel<br />

auch an der digitalisierten Darstellung von<br />

Choreografien. Für diese Arbeit haben sich bedeutende<br />

Gastchoreografen und Tänzer gefunden (hier<br />

Aufnahmen aus dem Frankfurt LAB). Die Stiftung<br />

begleitete den Prozess mit der wissenschaftlichen<br />

Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“. cj<br />

Filmaufnahmen eines Solotanzes von Ros Warby durch Svenja Kahn und Florian Jenett vom April 2011<br />

Mit einer neuartigen Software werden Tanzszenen aufgezeich-<br />

net, annotiert und archiviert. Möglich ist auch das Einfügen<br />

von Probennotizen; ebenso lässt sich ein Tanzstück fortlaufend<br />

weiter digital montieren, indem Ereignisse wie Tanzszenen<br />

und die Zeichen für den Einsatz von Beleuchtung oder Ton in<br />

einer mehrspurigen Partitur einander zugeordnet werden. Erste Testfilmaufnahmen mit Deborah Hay vom Februar 2011.


8<br />

1<br />

6<br />

3<br />

Der Arbeitsprozess für die Entwicklung einer Online-Partitur beginnt mit einer vorbereitenden Forschungsphase.<br />

Die Beteiligten wählen zumeist ein existieren<strong>des</strong> Stück aus und passen es gegebenenfalls an. Anschließend<br />

erörtern sie das Setting für die Filmaufnahmen. Es folgen Aufführung und Aufzeichnung <strong>des</strong> Tanzstücks.<br />

In der anschließenden Produktionsphase, die auch den kreativen Prozess <strong>des</strong> Entstehens einer Choreografie<br />

deutlich werden lassen soll, wird aus dem Material von Web<strong>des</strong>ignern und Programmierern in enger Zusammenarbeit<br />

mit den Choreografen das Ergebnis einer Online-Partitur realisiert, die im Web veröffentlicht wird.<br />

Begleitet wird diese Projektarbeit von „Motion Bank“ durch die Workshop-Reihe „Dance Engaging Science“.<br />

Um die mit der Entstehung von Online-Partituren verbundenen Prozesse besser zu verstehen, fand sich eine<br />

feste Gruppe von zwanzig Teilnehmern zusammen, darunter Tänzer, Choreografen, Psychologen, Neuro- und<br />

Geisteswissenschaftler. Sie setzten sich mit den komplexen körperlichen und mentalen Prozessen auseinander,<br />

die mit dem Aufführen wie Ansehen von Tanzstücken einhergehen: mit Sinnesempfindungen und anderen<br />

Wahrnehmungen, mit Erkenntnis, Gefühl und Aktion. Auf den nummerierten Bildern dieser Doppelseite<br />

zu sehen sind die Workshopteilnehmer (stets von links nach rechts): (1) Liane Simmel, Anke Euler, Michael<br />

Steinbusch; (2) James Leach, Projektleiter Scott deLahunta; (3) Riley Watts, James Leach; (4) Liane Simmel;<br />

(5) Riley Watts, Sandra Parker; (6) Liz Waterhouse, Bettina Blaesing; (7) David Kirsh; (8) Wolf Singer;<br />

(9) Fabrice Mazliah, Kathryn Enright; (10) Liane Simmel, Guido Orgs; (11) Kathryn Enright; (12) Guido Orgs.<br />

7 8<br />

2<br />

4<br />

5<br />

9<br />

10<br />

11 12


Die Bilder zeigen Visualisierungen<br />

im Kontext der Entstehung digital<br />

angelegter Partituren: Links oben<br />

eine Momentaufnahme mit skizzierten,<br />

Sekunden zuvor erfolgten<br />

Bewegungen, die in ihrer Zusammensetzung<br />

die Beziehungen der<br />

Tänzer in Raum und Zeit zeigen.<br />

Links unten in einer 3-D-Darstellung<br />

die Flächen im Raum, die<br />

Tänzer während eines kurzen<br />

Bewegungsablaufs einnehmen.<br />

Rechts oben die Aufsicht auf die<br />

Raumbeziehungen der Tänzer<br />

zueinander. Nebenstehend der<br />

Blick von oben auf die Choreografie:<br />

Die entstehenden Muster<br />

und Formen werden durch mitlaufende<br />

Videoaufnahmen illuminiert,<br />

die flüchtige und schnelle<br />

Bewegungen, Bewegungsbrüche,<br />

konzentrierte Aktionen sowie<br />

horizontale und vertikale Bewegungslinien<br />

offenbaren.<br />

Quelle für alle Bilder auf dieser Seite:<br />

Synchronous Objects Project, The Ohio State University and The Forsythe Company<br />

Impulse 2013 11


Eine neue Sprache für den Tanz<br />

Noch frisch sind die Erinnerungen an die Documenta<br />

13, die auch modernen Tanz prominent<br />

in Szene gesetzt sah. Begeistert bejubelt wurden<br />

Tino Sehgals im Dämmerlicht singende Tänzer<br />

in einem Darkroom im Hinterhof eines Kasseler<br />

Hotels, nicht weniger gefeiert William Kentridges<br />

tanzinspirierte Installation. <strong>Wissens</strong>chaftlich<br />

genähert wurde sich dem Kulturgut Tanz bislang<br />

allerdings kaum. Selten fündig wird, wer nach<br />

choreografischen Aufzeichnungen zu einzelnen<br />

Balletten sucht; in den Bibliotheken klaffen –<br />

anders als bei Musikpartituren – in Sachen Tanzgeschichte<br />

große Lücken. Nur sporadisch sind<br />

Ballette vollständig aufgezeichnet, ist eine Partitur<br />

mit Choreografie, Bildern und Beschreibungen<br />

vorhanden. Das überrascht nicht, schließlich<br />

wurden und werden Tänze für eine bestimmte<br />

Aufführung choreografiert und primär nicht,<br />

um sie für die Nachwelt zu erhalten. Zudem gibt<br />

es kaum geeignete Analysemethoden noch ein<br />

Vokabular, mit dem sich Tanz allgemeingültig<br />

beschreiben ließe. In der Literatur, in der Architektur<br />

und auch in der Musik können wir Stilformen<br />

und Details den einzelnen Epochen zuordnen<br />

und genau benennen; bereits in der Schule<br />

lernt man, was ein Sonett ist, ein Roman, eine<br />

Novelle. Hingegen beim Tanz?<br />

Auch Choreografen sind Autoren; sie haben<br />

einen bevorzugten Wortschatz und Satzbau,<br />

pflegen eine bestimmte Kapiteldramaturgie,<br />

den Techniken nicht unähnlich, mit denen ein<br />

Schriftsteller seine Texte baut. Wie aber lassen<br />

sich die Stationen einer Choreografie vom Entstehungsprozess<br />

bis zur Dokumentation analytisch<br />

fassen? Wie erwächst die choreografischen Prozessen<br />

innewohnende Kreativität – und: Wie bildet<br />

sie sich dann im Tanz ab? Was empfindet der<br />

Künstler als ästhetisch, wie spricht sein Publikum<br />

darauf an? Antworten auf solche Fragen sucht<br />

das Tanztheaterprojekt „Dance Engaging Science“,<br />

in dem Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft sich begegnen.<br />

In drei Workshops im Mai 2011, Februar und September<br />

2012 tauschten sich Choreografen, Tänzer,<br />

Philosophen, Theater- und Tanzwissenschaftler,<br />

Verhaltensforscher sowie Kognitions- und Neurowissenschaftler<br />

zu den Themen „Choreographic<br />

Organisation”, „Dance Phenomenology“ und<br />

„Choreographic Thinking” aus. Sie diskutierten<br />

über Choreografie, Ausdrucksformen <strong>des</strong> Tanzes,<br />

Ästhetik, Bewegungswahrnehmung und Kreativität<br />

unter künstlerischen und neurowissenschaftlichen<br />

Aspekten. Zugleich ging es immer<br />

wieder auch um die sozialen und kulturellen<br />

Implikationen von Tanz. Impressionen der<br />

Begegnungen zeigen die vorherigen Seiten.<br />

„Dance Engaging Science“ ist Teil <strong>des</strong> auf vier Jahre<br />

(2010-2013) angelegten „Motion Bank“-Projekts <strong>des</strong><br />

zeitgenössischen Tanzensembles „The Forsythe<br />

Company“, in dem die choreografische Praxis in<br />

einem breiten Kontext erforscht wird. Das Interesse<br />

reicht von der Analyse kompositorischer Methoden<br />

und von Bewegungssequenzen über den Umgang<br />

mit Musik bis hin zu Requisiten, Bühnenbildkomponenten,<br />

Beleuchtung und technischen Effekten.<br />

Partner der Forsythe Company für die von der<br />

Stiftung geförderte Workshop-Reihe sind die<br />

Berlin School of Mind and Brain an der Humboldt-<br />

Universität zu Berlin und das Max-Planck-Institut<br />

für Hirnforschung in Frankfurt am Main. Die<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> unterstützt die Begleitveranstaltungen<br />

in ihrer Initiative „Offen – für Außergewöhnliches“<br />

mit rund 90.000 Euro. Das „Motion<br />

Bank“-Projekt selbst wird gefördert von der Kulturstiftung<br />

<strong>des</strong> Bun<strong>des</strong> und weiteren Partnern.<br />

Auf den Bildern der vorangehenden Seiten sind<br />

die Projektteilnehmer wiederholt zu sehen; zum<br />

festen Stamm der Arbeitsgruppe von „Dance<br />

Engaging Science“ zählen: Bettina Bläsing (Universität<br />

Bielefeld), Maaike Bleeker (Utrecht University),<br />

Dana Caspersen (The Forsythe Company),<br />

Emily Cross (Bangor University Wales), Projektleiter<br />

Scott deLahunta (The Forsythe Company),<br />

Anke Euler (Dramaturgin Tanz, München),<br />

Patrick Haggard (University College London),<br />

David Kirsh (University of California at San Diego),<br />

James Leach (University of Aberdeen), Alva Noë<br />

(University of California Berkeley), Guido Orgs<br />

(Student Tanz und Psychologie, University College<br />

London), Sandra Parker (Choreografin, Melbourne),<br />

Liane Simmel (Institut für TanzMedizin München),<br />

Wolf Singer (Max-Planck-Institut für Hirnforschung<br />

in Frankfurt am Main), Michael Steinbusch<br />

(Technische Universität Dresden), Kate Stevens<br />

(University of West Sydney), Freya Vass-Rhee<br />

(The Forsythe Company), Elizabeth Waterhouse<br />

(The Forsythe Company) und Riley Watts (The<br />

Forsythe Company).<br />

Christian Jung<br />

Die grafische Darstellung auf dieser Seite zeigt Beziehungen<br />

der Tänzerinnen und Tänzer in ihren Bewegungsabfolgen zueinander.<br />

Die Choreografie (One Flat Thing) mit ihren Einsätzen und<br />

Synchronisationsimpulsen (http://synchronousobjects.osu.edu)<br />

lässt sich so in einer anderen Dimensionalität darstellen. Die<br />

Abbildung stammt wie auch die Sequenzen auf den Seiten 10/11<br />

vom Advanced Computing Center for the Arts and Design, Dance<br />

Department, Ohio State University, USA. Diese Einrichtung gilt als<br />

führend in der grafischen Datenverarbeitung und Animation im<br />

Bereich Tanz und Tanzwissenschaft. Die Teilnehmer der Workshops<br />

konnten aus der Fülle <strong>des</strong> dort generierten Materials schöpfen.<br />

Impulse 2013 13


Auch durch diese Kabel fließt permanent digitalisiertes Wissen.<br />

Georg Brünig ist bei der <strong>VolkswagenStiftung</strong> einer der EDV-<br />

Spezialisten, die für reibungslose Datenverarbeitung sorgen –<br />

und damit für den steten Fluss von Informationen.<br />

Portale und<br />

Potenziale<br />

Auf dem Weg in eine Zukunft mit<br />

mehr Einsicht? Die <strong>Digitalisierung</strong><br />

von <strong>Wissens</strong>beständen lässt Informationen<br />

vielfältig verknüpft und<br />

umfassend sichtbar werden. Wissen<br />

digitalisieren für ein interessiertes<br />

Publikum weltweit – ein<br />

Blick von außen von Norbert<br />

Lossau, Direktor der Niedersächsischen<br />

Staats- und Universitätsbibliothek<br />

Göttingen.<br />

Impulse 2013 15


16<br />

Immer mehr kulturelle Objekte wie Bücher, Briefe, Bilder und Musik stehen<br />

in digitaler Form zur Verfügung – über entsprechende Infrastrukturen oft<br />

weltweit. Anders und vereinfacht gesagt: Unsere Gesellschaft wird immer<br />

digitaler. Das fordert auch die <strong>Wissens</strong>chaft heraus, die ihrerseits großen<br />

Bedarf hat an digitalen und retrodigitalisierten Daten. So ermöglichen<br />

global greifbare, gigantische Datenbestände zum einen neue Forschung –<br />

erfordern andererseits aber auch ein Nachdenken über Infrastrukturen, Verfügbarkeit,<br />

Langzeitarchivierung oder Qualitätssicherung digitaler Medien.<br />

Norbert Lossau über die Herausforderungen auf dem Weg in eine digitalisierte<br />

Forschungslandschaft und <strong>Wissens</strong>gesellschaft.<br />

„Wie sieht das Leben auf der Erde aus? Welche<br />

Arten hat es wann und wo gegeben und welche<br />

gibt es noch heute?“ Zunächst scheint es, als wäre<br />

eine umfassende Antwort auf derart raumgreifende<br />

Fragen nicht möglich. Doch die digitale<br />

Erfassung und Aufbereitung von Wissen und<br />

der Zugriff darauf durch viele schaffen die Datengrundlagen,<br />

um sich der Beantwortung solcher<br />

Fragen – in kleinen Schritten – zu nähern und sich<br />

auch den globalen Herausforderungen, die sich<br />

daraus ableiten mögen, stellen zu können. Wie<br />

sonst wollte man beispielsweise eines der acht von<br />

den Vereinten Nationen zu Beginn <strong>des</strong> neuen Jahrtausends<br />

formulierten Millenniumsziele erreichen,<br />

das ganz grundlegend die „Sicherung der ökologi-<br />

schen Nachhaltigkeit“ einfordert und dies nicht<br />

minder grundlegend verknüpft mit der Vorgabe,<br />

den Verlust an biologischer Vielfalt zu reduzieren?<br />

Bereits an diesem Beispiel zeigt sich, dass die digitale<br />

Modernisierung von <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft<br />

entsprechender Infrastrukturen bedarf. Eine<br />

solche Informationsinfrastruktur ist die Global<br />

Biodiversity Information Facility (GBIF), weltweit<br />

größtes Portal zum Themenfeld Biodiversität mit<br />

(Stand September 2012) knapp 380 Millionen Einträgen<br />

aus mehr als 10.000 Datenquellen aller<br />

Kontinente (www.gbif.org). <strong>Wissens</strong>chaftler aus<br />

aller Welt stellen ihre Datensätze in das Portal ein<br />

und greifen für ihre Forschung darauf zu. Der Blick<br />

Wo wird Wissen abgelegt,<br />

aufbewahrt, gespeichert? Wo<br />

finden Informationen überall<br />

ihren Platz? Diese Wandinstallation<br />

in der – im Frühjahr<br />

2012 im Weimarer Schiller-<br />

Museum gezeigten – Ausstellung<br />

„Kultur <strong>des</strong> Sinnlichen“<br />

versammelt verschiedene<br />

Behältnisse, Aufbewahrungsorte<br />

von Wissen (Copyright:<br />

Klassik Stiftung Weimar).<br />

Die Universität Göttingen ist vorn mit dabei, geht es um neue Wege bei der <strong>Digitalisierung</strong> von<br />

<strong>Wissens</strong>beständen. So hat ein Forschungsverbund unter Federführung der Staats- und Universitätsbibliothek<br />

den Zuschlag erhalten für ein mit zweieinhalb Millionen Euro gefördertes Projekt zu den<br />

„Digital Humanities“. Hier der Blick in das Innere <strong>des</strong> Bibliotheksgebäu<strong>des</strong> und einen Lesesaal.<br />

in die Historie der Arten unserer Welt wird durch<br />

die Biodiversity Heritage Library (BHL) vertieft.<br />

Fast 107.000 Bände aus naturhistorischen und<br />

botanischen Bibliothekssammlungen sind nach<br />

ihrer <strong>Digitalisierung</strong> nun online zugänglich (www.<br />

biodiversitylibrary.org). Der Nutzen potenziert sich:<br />

So lassen sich beispielsweise aktuelle Beobachtungen<br />

zu Arten und ihrer Verbreitung mit historischen<br />

Daten in einem virtuellen Forschungslabor<br />

zusammenführen und analysieren. Auf diese<br />

Weise leben historische Daten im Zuge ihrer <strong>Digitalisierung</strong><br />

ganz neu auf – und es finden sich im<br />

Abgleich mit der Gegenwart neue Erkenntnisse,<br />

Bestätigungen, Relativierungen, Widersprüche.<br />

Im Prinzip geht es immer darum, Material digital<br />

zu erfassen, zu erschließen und in neuen Kontexten<br />

nutzbar zu machen. Ein zentrales Feld bei<br />

der <strong>Digitalisierung</strong> von <strong>Wissens</strong>beständen ist die<br />

schon skizzierte Aufbereitung von Sammlungen,<br />

die dann um weitere Forschungsdaten, Proben<br />

oder einzelne Objektinformationen angereichert<br />

werden können. Auf diesem Weg erhalten Sammlungen<br />

eine nie da gewesene Sichtbarkeit und<br />

Präsenz – eine Chance etwa auch für die vielen,<br />

oft wenig bekannten Bestände von Hochschulen.<br />

Dieser Prozess er- und umfasst dabei „physische“<br />

Sammlungen von Büchern, Fotografien, Karten,<br />

Sprachaufzeichnungen, Gemälden, Mineralien,<br />

Algen oder Gewebeproben ebenso wie die genuin<br />

digitale Datenerhebung durch Messinstrumente<br />

und -apparaturen, digitale Kameras, Sensoren und<br />

anderes mehr. Einmal in digitaler Form vorhanden,<br />

lassen sich die Grenzen zwischen historischen<br />

Sammlungen und aktuell erhobenen Forschungsdaten<br />

schnell überwinden; die Informationen können<br />

in gemeinsamen Datenrepositorien gehalten<br />

und über Datenbanken erschlossen werden. Über<br />

das Internet zugängliche Computerprogramme<br />

und spezifische Applikationen ermöglichen übergreifende<br />

Suche und Zugriff, Analyse und Vernetzung<br />

– vorausgesetzt natürlich, dass erforderliche<br />

Datenerfassungs- und technische Standards bei<br />

der <strong>Digitalisierung</strong> eingehalten werden.<br />

Aus digitalen Daten puzzeln sich Lebensschicksale –<br />

mit einer Wirkung bislang unbekannter Wucht<br />

Wie wirkungsschwer eine <strong>Digitalisierung</strong> gesammelten<br />

Objekten und Informationen zu weltweiter<br />

Aufmerksamkeit verhelfen kann, schilderte<br />

eindrucksvoll der Direktor <strong>des</strong> Yad Vashem Documentation<br />

Centre in Jerusalem Chaim Gertner<br />

bei seiner Festrede im Juli 2011 in Göttingen zum<br />

Auftakt einer Tagung über Projekte, Initiativen<br />

und Perspektiven der „Digital Humanities“. Hunderttausende<br />

digitalisierte Schriftstücke, Fotografien,<br />

handschriftliche und andere Zeugnisse von<br />

Widerstandskämpfern <strong>des</strong> Warschauer Ghettos<br />

sowie Opfern <strong>des</strong> Holocaust hätten in den ersten<br />

Jahren, nachdem sie online verfügbar waren,<br />

millionenfache Zugriffe erfahren. Deutlich wurde<br />

auch, dass die <strong>Digitalisierung</strong> bestehender<br />

Sammlungen mehr ist als das bloße Einscannen<br />

von Büchern und Objekten. Um beim Beispiel der<br />

Impulse 2013 17


„Holocaust-Materialien“ zu bleiben: Hier werden<br />

Namen über semantische Annotationen mit stan<strong>des</strong>amtlichen<br />

Einträgen abgeglichen, Deportationslisten<br />

mit Nummern der Opfer verknüpft und<br />

Familien, die über große geografische Distanzen<br />

auseinandergerissen wurden, wieder in ihren Verwandtschaftsverhältnissen<br />

aufgezeigt. Erst Vernetzung,<br />

Kontextualisierung und Visualisierung<br />

also bringen digitalisierte Objekte eindrucksvoll<br />

„zum Sprechen“. So entstehen – in diesem Beispiel<br />

– aus einzelnen Objekten von Sammlungen reale<br />

Lebensschicksale mit einer bis dahin nicht da<br />

gewesenen Wirkungsintensität.<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> von Informationen kann<br />

folglich die Grundlage für neue Erkenntnisse<br />

schaffen und darüber hinaus auch die nichtakademische<br />

Öffentlichkeit mobilisieren. So habe<br />

sich nach Aussage Gertners vor allem durch die<br />

<strong>Digitalisierung</strong> und anschließende Bereitstellung<br />

Norbert Lossau<br />

Norbert Lossau, Jahrgang<br />

1962, studierte<br />

Finnisch-ugrische<br />

Philologie und Skandinavistik<br />

an den Universitäten<br />

Bonn und Göttingen;<br />

er wurde 1991<br />

in Göttingen promoviert.<br />

Dem Referendariat <strong>des</strong> wissenschaftlichen<br />

Bibliotheksdienstes folgten ab 1996<br />

Tätigkeiten an der Niedersächsischen Staatsund<br />

Universitätsbibliothek (SUB) Göttingen<br />

als Gründungsleiter <strong>des</strong> dortigen <strong>Digitalisierung</strong>szentrums,<br />

2001 als Gründungsleiter<br />

der Oxford Digital Library an der University<br />

of Oxford, Großbritannien. 2002 wechselte<br />

Norbert Lossau als Leitender Bibliotheksdirektor<br />

an die Universität Bielefeld, 2006<br />

kehrte er an die SUB Göttingen zurück, deren<br />

Direktor er seitdem ist. Im Februar 2011 folgte<br />

von Fotos im Internet in dem Jahrzehnt nach<br />

der Jahrtausendwende die Zahl der identifizierten<br />

Opfer <strong>des</strong> Holocaust von zwei auf fast vier<br />

Millionen nahezu verdoppelt (www.vosizneias.<br />

com/69365/2010/11/22/jerusalem-yad-vashemnearly-two-thirds-of-jewish-holocaust-victims-identified).<br />

Die Einbeziehung interessierter Laien in<br />

die Forschung etwa bei der Datensammlung und<br />

Annotation ist ein Trend, der mit der Entwicklung<br />

für jedermann verfügbarer mobiler Endgeräte und<br />

einfach zu bedienender Applikationen („Apps“)<br />

weiter zunehmen wird.<br />

Informationen werden von überall her eingespeist;<br />

das Ziel – mehr Wissen über das Leben<br />

Ein überzeugen<strong>des</strong> Beispiel hierfür ist die Encyclopedia<br />

of Life, die ebenfalls in globaler Perspektive<br />

das Thema Biodiversität fokussiert. Bereits heute<br />

die Ernennung zum Honorarprofessor an der<br />

Humboldt-Universität Berlin. Seit Anfang 2013<br />

ist er Vizepräsident der Universität Göttingen.<br />

Lossau beschäftigt sich mit neuen Paradigmen<br />

<strong>des</strong> Publizierens und Arbeitens mit digitaler<br />

Information. Sein Interesse gilt dabei insbesondere<br />

Open Access und Digital Humanities/<br />

eResearch sowie dem Aufbau nationaler und<br />

internationaler Forschungs- und Informationsinfrastrukturen.<br />

Professor Dr. Norbert Lossau<br />

ist Mitglied zahlreicher nationaler und internationaler<br />

Gremien, so im Ausschuss für wissenschaftliche<br />

Bibliotheken und Informationsversorgungssysteme<br />

der Deutschen Forschungsgemeinschaft,<br />

im Vorstand der Europäischen<br />

<strong>Wissens</strong>chaftlichen Bibliotheken, in der Arbeitsgruppe<br />

„Digitale Information in Forschung und<br />

Lehre“ der Hochschulrektorenkonferenz und der<br />

„G8 + O5 Working Group on Data“.<br />

wirken mehr als 60.000 Mitglieder daran mit,<br />

diesen Zugang zum Wissen über das Leben auf<br />

der Erde permanent auszubauen. Getragen wird<br />

das Angebot unter anderem von so renommierten<br />

Institutionen wie der Harvard University und den<br />

Smithsonian Institutes der Vereinigten Staaten<br />

von Amerika (http://eol.org). <strong>Wissens</strong>chaft und<br />

Gesellschaft bewegen sich durch die Bildung solch<br />

virtueller Communities stärker aufeinander zu.<br />

Eine neue Öffentlichkeit entsteht, die über aktive<br />

Teilhabe an wissenschaftlichen Aktivitäten das<br />

Bewusstsein für die Herausforderungen unserer<br />

Zeit tiefer in die Gesellschaft hineinträgt.<br />

Dass im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong> verteilte <strong>Wissens</strong>bestände<br />

und Datenquellen virtuell zusammenfinden,<br />

fördert zugleich die Bildung überinstitutioneller,<br />

nationaler und internationaler<br />

Forschungsverbünde. Das Aktionsfeld Biodiversität<br />

ist ein Beispiel, Vergleichbares gilt bei der Dokumentation<br />

bedrohter Sprachen, in der Archäologie<br />

oder der Seuchenbekämpfung. Damit wird die<br />

Entwicklung umfassend kooperierender <strong>Wissens</strong>chafts-Communities<br />

weiter vorangetrieben; man<br />

kennt das bereits von der Großgeräte-Forschung<br />

etwa in der Teilchenphysik (CERN und andere wissenschaftliche<br />

Anlagen), in der Astrophysik (Riesenteleskopanlagen<br />

in Chile oder Südafrika) oder<br />

vom Einsatz der deutschen Forschungsschiffe in<br />

der Ozean-, Polar- und Tiefseeforschung.<br />

Mit der <strong>Digitalisierung</strong> <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong> über alle<br />

<strong>Wissens</strong>chaftsdisziplinen hinweg entstehen neue<br />

Anforderungen an Forscher, Infrastruktureinrichtungen<br />

und Institutionen. Sie reichen weit<br />

über die Langzeitarchivierung, Datenbeschreibungs-<br />

und informationstechnologische Aspekte<br />

hinaus. <strong>Wissens</strong>chaftler entwickeln neue Formen<br />

<strong>des</strong> Publizierens; sie reichen von digitalen<br />

Editionen in den Geisteswissenschaften bis zur<br />

weitgehend offenen Publikation von Forschungsdaten.<br />

Damit einher gehen neue Zitationsformen,<br />

Verbreitungsprinzipien wie Open Access und die<br />

Weiterentwicklung klassischer Impact-Bewertungen.<br />

Um die teilweise kostenintensiv erstellten<br />

„Digitalisate“ beziehungsweise genuin digitalen<br />

Daten über einzelne Forschungsfragestellungen<br />

hinaus nutzen zu können, müssen Standards<br />

bei der Datenbeschreibung („Metadaten“) und<br />

in der technischen Bereitstellung (zum Beispiel<br />

Zugangsprotokolle) eingehalten werden. Das<br />

heißt alles in allem: Der traditionell geschlossene,<br />

zumeist einzelnen Vorhaben verhaftete Zyklus <strong>des</strong><br />

Forschungsprozesses wird aufgebrochen, der <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

selbst wiederum wird zum Anbieter<br />

von <strong>Wissens</strong>ressourcen.<br />

Darüber hinaus darf nicht vergessen werden,<br />

dass im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong> von Informationsbeständen<br />

auch Urheberrechts-, Eigentums-,<br />

Datenschutz- und Zugangsrechtefragen sowie<br />

ethische Aspekte zum Tragen kommen. Sie sind<br />

von jedem zu beachten, der Inhalte im Internet<br />

anbietet. Wem beispielsweise „gehören“ die digitalen<br />

Abbildungen von Grabungsfunden, wer hat<br />

das „Recht“, diese im Internet bereitzustellen? Was<br />

ist zu beachten bei der digitalen Bereitstellung<br />

von ethnologischen Sammlungen, wie sie auch an<br />

Universitäten zu finden sind? Wo sind Grenzen zu<br />

ziehen bei der Veröffentlichung von Erhebungen<br />

zu bestimmten Sozialfaktoren, die die Entstehung<br />

gewisser Krankheiten vermeintlich begünstigen?<br />

Wer entscheidet, mit welchen Objekten <strong>des</strong> kulturellen<br />

Erbes die Ethnie eines Mehrvölkerstaats<br />

Im Zuge der <strong>Digitalisierung</strong><br />

finden verteilte<br />

<strong>Wissens</strong>bestände<br />

und Datenquellen<br />

virtuell zusammen.<br />

Dies fördert zugleich<br />

die Bildung überinstitutioneller,<br />

nationaler<br />

und internationaler<br />

Forschungskooperationen.<br />

Die Bemühungen<br />

zur Dokumentation<br />

bedrohter<br />

Sprachen (siehe auch<br />

Beitrag ab Seite 24)<br />

sind eines von vielen<br />

Beispielen dafür.<br />

18 Impulse 2013 19


Speichermedien lösen<br />

einander in immer<br />

kürzeren Zeiträumen<br />

ab – eine Herausforderung<br />

für die dauerhafte<br />

Archivierung<br />

von Informationen.<br />

digital „repräsentiert“ wird – zum Beispiel im<br />

europäischen Kulturerbe-Portal Europeana<br />

(www.europeana.eu/portal) oder in der World<br />

Digital Library (www.wdl.org)?<br />

Neue Allianzen entstehen: von Forschern, Öffentlichkeit,<br />

<strong>Wissens</strong>chaftsförderern – nicht selten global<br />

Organisatorische und finanzielle Fragen erweitern<br />

das breite Spektrum der Anforderungen.<br />

Wie werden Hunderte und Tausende verteilter<br />

Datenquellen in einem gemeinsamen Portal<br />

zusammengefasst, sodass die Interessen der einzelnen<br />

Datenlieferanten ebenso gewahrt bleiben<br />

wie die <strong>des</strong> Gesamtportals? Entspricht das digitale<br />

Angebot einzelner „Lieferanten“ inhaltlichen und<br />

formalen Min<strong>des</strong>tstandards, und: Kann die Dauer-<br />

Digitale Texte, digitale Bibliotheken und neue<br />

Medien gehören heutzutage zu den Forschungsgegenständen<br />

vieler Geistes- und Sozialwissenschaften.<br />

Mit ihnen ändern sich aber nicht nur<br />

die zu untersuchenden Gegenstände, sondern<br />

auch die Fragestellungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen<br />

Disziplinen und die Methoden,<br />

mit denen diese Gegenstände untersucht<br />

werden. Doch Geistes- und Sozialwissenschaft-<br />

haftigkeit der Zulieferung garantiert werden? Wer<br />

finanziert ein länderübergreifen<strong>des</strong> Kulturerbe-<br />

Portal wie Europeana, wenn die einzelnen Länder<br />

bereits nationale Portale finanzieren?<br />

Bestimmend für den (wissenschaftlichen) Erfolg<br />

und die Nachhaltigkeit digital verfügbarer und<br />

aufbereiteter <strong>Wissens</strong>bestände wird eine gelungene<br />

Einbettung in professionelle Informationsinfrastrukturen<br />

sein sowie die offene Nutzung<br />

der digitalisierten <strong>Wissens</strong>ressourcen – soweit<br />

rechtliche und ethische Aspekte dem nicht<br />

im Wege stehen (müssen). Nicht ohne Grund<br />

haben die Deutsche Forschungsgemeinschaft,<br />

die Gemeinsame <strong>Wissens</strong>chaftskonferenz von<br />

Bund und Ländern sowie der <strong>Wissens</strong>chaftsrat<br />

in den vergangenen zwei Jahren nationale und<br />

disziplinbezogene Konzepte zur Informations-<br />

Das Göttingen Centre for Digital Humanities (GCDH)<br />

ler sind oft nicht hinreichend mit computerbasierten<br />

Methoden und Verfahren vertraut; digitale<br />

Infrastrukturen vielfach unzureichend auf<br />

die Bedürfnisse der entsprechenden Forschung<br />

ausgerichtet. Auch fehlt meist eine systematische<br />

Integration computerbasierter Methodiken<br />

in die Lehre. Diese Defizite zu beheben, wurde<br />

das Göttingen Centre for Digital Humanities –<br />

kurz GCDH – gegründet.<br />

Am GCDH fließen digitale Forschungsinteressen<br />

zusammen. Sie reichen von der Ägyptologie<br />

bis zur Wirtschaftsinformatik, von der<br />

Musikwissenschaft über das Medienrecht<br />

bis zur Linguistik und Literaturwissenschaft.<br />

Aufgabe <strong>des</strong> Zentrums ist die Initiierung und<br />

Unterstützung von eResearch-Vorhaben in den<br />

Geistes- und Sozialwissenschaften, die Entwicklung<br />

geeigneter Lehre sowie die Umsetzung<br />

in digitale Infrastrukturen. Dies umfasst<br />

hoch spezialisierte Vorhaben wie ein Korpus<br />

<strong>des</strong> Koptischen ebenso wie den Aufbau virtu-<br />

infrastruktur durch Expertenrunden erstellen<br />

lassen und veröffentlicht. Auf europäischer<br />

Ebene arbeitet die Europäische Kommission an<br />

vergleichbaren Plänen für das nächste Förderprogramm<br />

„Horizon 2020“; international bilden sich<br />

– etwa mit der „G8 + O5 Working Group on Data“<br />

– vergleichbare Foren, die erste Überlegungen<br />

zu „Global Research Infrastructures“ formulieren.<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> von Wissen lässt somit neue<br />

Allianzen von Forschern, Infrastruktureinrichtungen<br />

und Gedächtnisinstitutionen, <strong>Wissens</strong>chaftsinstitutionen<br />

und -förderern entstehen,<br />

dabei fast immer länderübergreifend und nicht<br />

selten global. So verbinden sich Tradition und<br />

Innovation auf einzigartige Weise, und es öffnen<br />

sich Potenziale für Forschung und Gesellschaft,<br />

die es wert sind, in den kommenden Jahrzehnten<br />

kreativ genutzt zu werden.<br />

eller Forschungsumgebungen oder die Etablierung<br />

von Grid-Technologien. <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftler erhalten hier<br />

Antworten auf Fragen zu geeigneten digitalen<br />

Methoden für ihre Vorhaben und damit Unterstützung<br />

für ihre Forschung. Gemeinsam mit<br />

dem Zentrum für Informatik werden, beginnend<br />

bei den Bachelor-Studiengängen, Lehrmodule<br />

und -inhalte entwickelt. Und letztlich<br />

nimmt sich das GCDH der Aufgabe an, digitale<br />

Infrastrukturen von Basisdiensten bis hin zu<br />

speziellen Tools zusammenzuführen.<br />

2012 war ein entscheiden<strong>des</strong> Jahr für das GCDH.<br />

So wurden die Weichen gestellt, um als Partner<br />

im Digital Research Infrastructure in the Arts<br />

and Humanities-Projekt (DARIAH) mitzuwirken<br />

am Aufbau einer erfolgreichen digitalen Forschungslandschaft<br />

in Deutschland und Europa.<br />

DARIAH zielt vor allem ab auf die Etablierung<br />

geeigneter Formen der Zusammenarbeit von<br />

Geisteswissenschaftlern unabhängig vom<br />

Der Beitrag ist eine Fortschreibung <strong>des</strong> Artikels<br />

„Sammlungen eine weltweite Stimme geben –<br />

Wie digitalisierte Archive die Forschung revolutionieren“<br />

von Gerhard Lauer und Norbert Lossau,<br />

in: Georgia Augusta, <strong>Wissens</strong>chaftsmagazin der<br />

Georg-August-Universität Göttingen, Ausgabe 8,<br />

März 2012, S. 98-105.<br />

Ort ihres Wirkens oder auf neu zu gestaltende<br />

Curricula, die Studierende auf die digitale Forschungswelt<br />

<strong>des</strong> 21. Jahrhunderts vorbereiten.<br />

Veranstaltungen runden das Engagement <strong>des</strong><br />

GCDH ab: 2012 etwa eine Summer School, eine<br />

Digital Humanities-Konferenz und eine Ringvorlesung,<br />

alle mit internationaler Beteiligung.<br />

Das von einem sechsköpfigen Vorstand geleitete<br />

GCDH wird institutionell getragen von<br />

der Staats- und Universitätsbibliothek und<br />

fünf Fakultäten der Georg-August-Universität<br />

Göttingen: der Philosophischen (federführend),<br />

Juristischen, Sozialwissenschaftlichen,<br />

Theologischen und Wirtschaftswissenschaftlichen<br />

Fakultät. Beteiligt sind zudem die<br />

Akademie der <strong>Wissens</strong>chaften zu Göttingen,<br />

die Max Planck Gesellschaft samt Max Planck<br />

Digital Library sowie die Herzog August<br />

Bibliothek Wolfenbüttel.<br />

Juan Garcés, Koordinator <strong>des</strong> GDCH<br />

Blick auf die Biodiversitätswand<br />

im<br />

Berliner Museum für<br />

Naturkunde – auch<br />

eine Form zugleich<br />

der Aufbewahrung<br />

und der Präsentation<br />

von „Informationen“.<br />

20 Impulse 2013 21


Animationen zu verschiedenen<br />

Themen<br />

bieten lehrreiche Einführungen<br />

in die Grundprinzipien<br />

der Evolution.<br />

Wasser – ein spannender<br />

Film informiert über den<br />

Ursprung allen Lebens.<br />

Kompakt<br />

Animationen über das Leben<br />

Die Geheimnisse der DNA als Trickfilm-Simulation;<br />

neuer Film zur „Evolution der Milchverträglichkeit“:<br />

Mit elf Produktionen und Lehrmaterialien ist die<br />

Website www.evolution-of-life.com gut gefüllt.<br />

Wie kommt es, dass Milch in einigen Teilen der<br />

Welt gut vertragen wird und als Gesundbrunnen<br />

gilt, anderswo den Menschen jedoch schlecht<br />

davon wird? Hat die Evolution etwas damit zu tun,<br />

ob Milch uns bekommt? <strong>Wissens</strong>chaftler haben<br />

herausgefunden, dass ein bestimmtes Gen – das<br />

Laktase-Gen – die Verträglichkeit bedingt. Erwachsene<br />

mit einer Variante <strong>des</strong> Gens können Milch<br />

verdauen, Erwachsene mit einer anderen hingegen<br />

nicht. Was genau die <strong>Wissens</strong>chaft darüber<br />

weiß, und was wir selbst wissen sollten: Darüber<br />

informiert ein gerade fertiggestellter Film auf der<br />

Website evolution-of-life.com.<br />

Die dreisprachige Website lädt ein zu einer spannenden<br />

wissenschaftlichen Entdeckungsreise<br />

durch die Evolution <strong>des</strong> Lebens. Unter den Rubriken<br />

„beobachten“, „erforschen“ und „unterrichten“<br />

zeigen anschauliche Filme, Animationen<br />

und Simulationen sowie – als wichtiges weiteres<br />

Element – kostenlos herunterladbare Lehrmaterialien,<br />

wie Evolution funktioniert. Lehrer wie<br />

Schüler finden hier neben den Filmen interessante<br />

Lehrmaterialien und Tipps für die Gestaltung<br />

eines modernen Unterrichts.<br />

„<strong>Digitalisierung</strong>“ kompakt –<br />

Nachrichten zum<br />

Schwerpunktthema<br />

So informiert beispielsweise auf evolution-of-life.<br />

com die neueste interaktive Animation „Der Fluss<br />

der genetischen Information“ über die Geheimnisse<br />

rund um die DNA und klärt Fragen wie „Wo<br />

genau im DNA-Molekül befindet sich eigentlich<br />

die genetische Information?“ „Wie wird sie von<br />

der Zelle entschlüsselt?“ Und: „Wie wird die genetische<br />

Information von der Mutterzelle an ihre<br />

Tochterzellen weitergegeben; wie bleibt die Information<br />

über die Zellteilungen hinweg erhalten?“<br />

Wie letztlich kann ein Molekül mit einer auf den<br />

ersten Blick so einfachen Struktur die gesamte<br />

genetische Information enthalten, die die Merkmale<br />

eines Individuums bestimmt? Und und und.<br />

Die Animation lässt Sie in dieses Universum eintauchen;<br />

eine spannende Entdeckungsreise, bei<br />

der so manches Geheimnis gelüftet wird.<br />

Das multimediale, internationale Projekt evolutionof-life.com<br />

von Pleuni Pennings und Yannick Mahé<br />

war einer der zwölf Gewinner <strong>des</strong> Ideenwettbewerbs<br />

„Evolution heute“ der <strong>VolkswagenStiftung</strong> im<br />

Darwinjahr 2009. Inzwischen sind eine Vielzahl von<br />

Animationen und Filmen aus dem Projekt hervorgegangen,<br />

die bei Filmfestivals weltweit mit Preisen<br />

ausgezeichnet wurden. So hat Evolution of life 2010<br />

den renommierten MEDEA Awards gewonnen, ein<br />

Wettbewerb, der herausragende kreative Leistungen<br />

in der Verwendung von Medien im Bildungsbereich<br />

auszeichnet. Alle Dokumente nebst Lehrmaterialien<br />

sind kostenlos und mit einer Lizenz (siehe Nutzungsbedingungen<br />

auf der Website) zu erhalten. Mit den<br />

beiden jetzt eingestellten Produktionen ist das Projekt<br />

abgeschlossen.<br />

Von Natur aus neugierig, begibt sich der junge Charles Darwin auf<br />

Forschungsreise um die ganze Welt. Fünf Jahre lang sammelt er,<br />

beobachtet und notiert, was er auf anderen Kontinenten entdeckt<br />

– im Zeichentrickfilm schafft er das in zehn Minuten.<br />

O-Töne aus der <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Vier Videoporträts geben spannende Einblicke in<br />

die Arbeit von <strong>Wissens</strong>chaftlern in Rostock, London,<br />

Cape Coast (Ghana) und St. Petersburg.<br />

Besuch für Guido Dehnhardt, Manos Tsakiris,<br />

Eric Debrah Otchere und Alexander Gavrilov:<br />

Für das Jubiläumsbuch der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

porträtierten vier junge Fotografen die <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

und deren Forschung rund um die<br />

Orientierungskünste von Seehunden, die Selbstwahrnehmung<br />

<strong>des</strong> Menschen, Musikstile in<br />

Westafrika und Altphilologie in Russland.<br />

Seehund Malte und Guido Dehnhardt sind ein eingespieltes<br />

Team. Der Lichtenberg-Professor möchte herausfinden, wie<br />

sich die Tiere orientieren.<br />

Die Fotografen Fabian Fiechter, Michael Heck,<br />

Johannes Kühner und Mario Wezel ergänzten<br />

ihre Bilder vor Ort durch gefilmte Interviews<br />

mit den Forschern. So entstanden neben den<br />

Buchbeiträgen auch kurze Videoporträts, die<br />

auf der Jubiläumswebsite der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

zu sehen sind (www.volkswagenstiftung-<br />

50-jahre.de). Hier finden sich auch das Jubiläumsbuch<br />

der Stiftung zum Download sowie<br />

weitere Informationen rund um das Jubiläum<br />

„50 Jahre <strong>VolkswagenStiftung</strong>“.<br />

Premiere für „Nano-Kurzfilmer"<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> fördert das 1. Nano-Kurzfilm-Fes-<br />

tival. Siegerteams im Juli 2012 gekürt in Halle/Saale.<br />

Visualisierungen aus dem Nano-Kosmos – ein Thema,<br />

das längst im <strong>Wissens</strong>chafts- und Forschungsbetrieb<br />

angekommen ist. Rasante Weiterentwick-<br />

lungen elektronenoptischer und nahfeldoptischer<br />

mikroskopischer Verfahren lassen atemberaubende<br />

Bilder entstehen und ermöglichen zugleich künstlerisches<br />

Arbeiten in und mit der Nanowelt. Wie nahe<br />

dabei der Schritt zum bewegten Bild liegt, zeigten<br />

die Wettbewerbsbeiträge <strong>des</strong> 1. Nano-Kurzfilm-Festivals.<br />

Am 5. Juli 2012 wurden in Halle/Saale die drei<br />

besten Produktionen prämiert – ausgewählt vom<br />

anwesenden Publikum.<br />

Die Idee: Warum nicht abstrakte Materie in inspirierende<br />

Filmchen verpacken? Am besten gelang das<br />

dem Team von Ingo Johannsen vom Institut Polymer<br />

Composites & Bold Futures. Es überzeugte das<br />

Publikum mit dem Sciencefiction-Spot „European<br />

Augmentation Agency: Nano-Nose Update 2032“. Die<br />

Belohnung für den 1. Platz im Wettbewerb: 5.000<br />

Euro, gesponsert von Carl Zeiss Microscopy. Platz 2<br />

ging an das Team von Andreas Landefeld von der<br />

Technischen Universität Braunschweig für den Film<br />

„Nanoschmiede der Zukunft“. Der Kinderspot „Vijay<br />

und die Schalter“ vom Team um Stefan Schwarzer<br />

vom Leibniz-Institut für die Pädagogik der Naturwissenschaften<br />

Kiel wurde auf Platz 3 gewählt.<br />

Silber- und Bronzepreisträger belohnte die Bethge-<br />

Stiftung mit 3.000 beziehungsweise 2.000 Euro.<br />

Für alle, die nicht dabei sein konnten: Unter www.<br />

nanospots.de zeigt eine Filmgalerie diese Spots<br />

nebst Preisträgern. Außerdem gibt es eine DVD,<br />

die neben einem Hintergrundinterview mit dem<br />

wissenschaftlichen Koordinator Professor Dr. Ralf<br />

Wehrspohn die besten zehn Spots sowie Impressionen<br />

<strong>des</strong> 1. Nano-Kurzfilm-Festivals präsentiert<br />

– zum Selbstkostenpreis von 5 Euro (inkl. Versand)<br />

zu bestellen unter info@nanospots.de (Betreff:<br />

nanospots – die DVD). Die „Initiative nanospots –<br />

Das Nano-Kurzfilm-Festival“ wird gefördert von der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong>; weitere Kooperationspartner<br />

sind Spektrum der <strong>Wissens</strong>chaft, vdi nachrichten,<br />

die Bethge-Stiftung, die Hochschule Darmstadt, Carl<br />

Zeiss Microscopy und das Mitteldeutsche Multimediazentrum.<br />

Bis 2014 sind drei Wettbewerbsrunden<br />

mit abschließenden Festivals geplant. An dem<br />

ersten nahmen sechzig Teams teil, bunt zusammengesetzt<br />

aus Forschern und Filmschaffenden.<br />

Sie freuten sich über ein<br />

erfolgreiches Festival<br />

(von links nach rechts):<br />

Dr. Franz Dettenwanger<br />

(<strong>VolkswagenStiftung</strong>),<br />

Markus Wiederspahn<br />

(Carl Zeiss Microscopy),<br />

Ingo Johannsen und<br />

Helge Fischer (beide<br />

TU Hamburg-Harburg),<br />

Professor Dr. Ralf B.<br />

Wehrspohn (Universität<br />

Halle/Saale).<br />

22 Impulse 2013 23


Er dokumentiert die bedrohte Sprache der im brasilianischen<br />

Urwald lebenden Awetí-Indianer: Sebastian Drude am digitalen<br />

Schnittplatz <strong>des</strong> Spracharchivs im Max-Planck-Institut<br />

für Psycholinguistik in Nijmegen, Niederlande. „Ich bin einer<br />

von diesen kauzigen Feldforschern, die mit Aufnahmegerät und<br />

Videokamera menschliche Sprache aufzeichnen“, scherzt er.<br />

Ein Archiv für<br />

die Sprachen<br />

der Welt<br />

Hören können, was bald stirbt:<br />

Im niederländischen Nijmegen<br />

finden bedrohte Sprachen eine<br />

digitale Heimat. Ein Besuch dort,<br />

wo das technische Herz einer<br />

weltweiten Initiative schlägt.<br />

Impulse 2013 25


26<br />

Die Grammatik und das Wör-<br />

terbuch, die Sebastian Drude<br />

erarbeiten will, werden auf<br />

einer umfangreichen Multimedia-Sprachbeschreibung<br />

und<br />

Sprachdokumentation beruhen.<br />

Der 45-jährige Linguist ist einer<br />

von weltweit wenigen in diesem<br />

Forschungsfeld.<br />

Das Awetí ist eine Tupí-Sprache,<br />

die nur noch von 170 Stammesangehörigen<br />

im brasilianischen<br />

Mato Grosso gesprochen wird.<br />

Schon seit dreizehn Jahren<br />

beschäftigt sich Drude intensiv<br />

mit der Sprache. Brasilien ist<br />

seine große Leidenschaft, seit er<br />

dort nach dem Abitur ein Freiwilliges<br />

Soziales Jahr absolvierte.<br />

„Es ist nicht nur die Sprache, es<br />

sind die Menschen selbst mit<br />

ihrer Kultur, die mich faszinieren“,<br />

sagt er.<br />

Der Forscher pendelte bis vor<br />

Kurzem zwischen Deutschland<br />

– zuletzt von der Universität<br />

Frankfurt/Main aus – und Brasilien,<br />

wo er für verschiedene<br />

Projekte als Gastforscher am<br />

Amazonien-Forschungsinstitut<br />

„Museum Goeldi“ im nordbrasilianischen<br />

Belém tätig war. Sein<br />

neuer Lebensmittelpunkt ist nun<br />

das niederländische Nijmegen<br />

und die neu eingerichtete Abteilung<br />

„The Language Archive“ am<br />

dortigen Max-Planck-Institut.


Von außen wirkt es unscheinbar<br />

und zweckmäßig: das<br />

Max-Planck-Institut für Psycholinguistik<br />

in Nijmegen (hier<br />

das Gebäude bei Nacht). Innen<br />

jedoch brodelt eine ganze Welt.<br />

Dort lagert eines der wichtigsten<br />

und spannendsten Kulturgüter<br />

der Menschheit: die Sprache.<br />

Genauer gesagt, lagern hier<br />

archivierte, digitale Daten von<br />

vielen Sprachen dieser Welt; Aufzeichnungen,<br />

die nicht zuletzt<br />

für nachfolgende Forschergenerationen<br />

bewahrt werden.<br />

Sebastian Drude im Gebäude<br />

unterwegs (oben links) und im<br />

Gespräch mit Shakila Shayan<br />

(oben rechts). Links unten:<br />

Arbeitsgruppe um Drude und<br />

Peter Wittenburg (Fünfter von<br />

rechts), der 1999 begann, das<br />

„DoBeS-Archiv“ aufzubauen.<br />

Impulse 2013 29


Sprache ist Kulturerbe. Mit ihr gibt eine Generation Wissen an die nächste<br />

weiter: über Mythen und Bräuche, aber auch über ganz gewöhnliche Alltagsrituale.<br />

Doch gut die Hälfte der weltweit etwa 6500 Sprachen ist vom Aussterben<br />

bedroht – viele werden nur noch von ein paar Dutzend Menschen<br />

gesprochen und nicht mehr von den Eltern an die Kinder weitergegeben.<br />

Im niederländischen Nijmegen haben engagierte <strong>Wissens</strong>chaftler mithilfe<br />

der Förderinitiative „Dokumentation bedrohter Sprachen“ (DoBeS) der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

ein digitales Archiv für das Kulturgut Sprache aufgebaut.<br />

Kulturerbe versteckt sich manchmal in einem<br />

unscheinbaren Gewand. Das Gebäude <strong>des</strong> Max-<br />

Planck-Instituts (MPI) für Psycholinguistik im<br />

niederländischen Nijmegen hat von außen den<br />

zweckmäßig-langweiligen Charme eines Kreiskrankenhauses<br />

aus den 1980er Jahren. Man würde<br />

nicht vermuten, das es eines der wichtigsten<br />

und spannendsten Kulturgüter der Menschheit<br />

beherbergt: die Sprache. Genauer gesagt, The<br />

Language Archive, eine neue Einrichtung, die es<br />

sich zur Aufgabe gemacht hat, digitale Daten von<br />

den Sprachen dieser Welt zu archivieren und für<br />

nachfolgende Forschergenerationen zu bewahren.<br />

Fünf starke Partner haben diese digitale Arche<br />

Noah im Herbst 2011 an den Start gebracht: das<br />

MPI in Nijmegen, die Max-Planck-Gesellschaft, die<br />

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissen-<br />

schaften, die Königlich-Niederländische Akademie<br />

der <strong>Wissens</strong>chaften und, als Impulsgeberin, die<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler schätzen, dass es weltweit rund<br />

6500 Sprachen gibt, von denen über die Hälfte<br />

bis zum Ende dieses Jahrhunderts ausgestorben<br />

oder in ihrer Existenz stark gefährdet sein dürfte.<br />

Manche werden bereits heute nur noch von einer<br />

Handvoll Menschen gesprochen und verstanden.<br />

Rund um den Erdball haben <strong>des</strong>halb in den vergangenen<br />

zwölf Jahren engagierte Forscherteams mit<br />

Unterstützung der <strong>VolkswagenStiftung</strong> daran gearbeitet,<br />

dieses im Verschwinden begriffene Kulturerbe<br />

über die mündliche Überlieferung hinaus greifund<br />

haltbar zu machen. „In jedem einzelnen Fall<br />

ist das eine große Herausforderung, denn für sehr<br />

Seit Mitte der 1970er Jahre<br />

arbeitet der gebürtige Holsteiner<br />

Peter Wittenburg<br />

bereits in Nijmegen. Dem<br />

Ingenieur und Softwareexperten<br />

ist es mit zu verdanken,<br />

dass es weltweit inzwischen<br />

etwa ein Dutzend<br />

Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-<br />

Archivs gibt: unter anderen<br />

in Brasilien, Peru, Mexiko,<br />

Australien und Russland.<br />

viele der bedrohten Sprachen existiert weder eine<br />

Orthografie noch eine Grammatik“, sagt Dr. Vera<br />

Szöllösi-Brenig, die als verantwortliche Programm-<br />

Managerin die Initiative von Beginn an gestaltet<br />

hat. Insgesamt hat die Stiftung seit der Jahrtausendwende<br />

in 72 zum Teil mehrphasigen Projekten<br />

die Dokumentation und technische Aufbereitung<br />

von rund hundert Sprachen ermöglicht.<br />

Auf allen Kontinenten waren Forscher unterwegs,<br />

Sprachen zu erfassen und wissenschaftlich aufzubereiten:<br />

beispielsweise in Brasilien bei den Awetí,<br />

den Wichita in Nordamerika, bei den im Kaukasus<br />

beheimateten Uden – oder den !Xõo in Namibia,<br />

um dort die Geheimnisse einer Klicksprache zu<br />

ergründen. Auch Europa ist mit einem in Portugal<br />

angesiedelten Dokumentationsvorhaben vertreten.<br />

Ein geografischer Hotspot ist der australischpazifische<br />

Raum; die fernöstlichen Inselwelten<br />

bis in die Südsee beheimaten eine Fülle unerforschter,<br />

linguistisch sehr interessanter und teils<br />

extrem bedrohter Sprachen. Den <strong>Wissens</strong>chaftlern<br />

standen und stehen dabei vor Ort engagierte<br />

einheimische Mitarbeiter zur Seite, die bei der<br />

Annäherung an die fremden Sprachen wertvolle<br />

Hilfe leisten. Zu Projektbeginn werden zudem alle<br />

beteiligten Forscherinnen und Forscher in intensiven<br />

Trainings auf die technischen wie kulturell<br />

bedingten Herausforderungen einer jeweiligen<br />

Sprachdokumentation vorbereitet.<br />

Mit der Dokumentation einer bedrohten Sprache<br />

ist viel gewonnen, doch das ist nur ein erster<br />

Schritt. Im Anschluss wird diese akribisch mit all<br />

ihren Besonderheiten untersucht. Auf der Grund-<br />

lage ihrer Erkenntnisse entwickeln die Forscher<br />

dann beispielsweise – im Optimalfall wieder<br />

gemeinsam mit Partnern vor Ort – eine Orthografie<br />

und Beschreibung (Grammatik) der Sprache<br />

oder auch Schulbücher, mit denen die Kinder die<br />

Sprache ihrer Eltern und Großeltern nicht nur in<br />

Wort, sondern zugleich in Schrift lernen können.<br />

Vor allem aber: Die <strong>Wissens</strong>chaftler hinterlegen<br />

im DoBeS-Sprachenarchiv Audio- und Videoaufnahmen,<br />

die ein lebendiges Bild der Sprache, <strong>des</strong><br />

Alltagslebens und der Kultur der indigenen Bevölkerung<br />

festhalten. Und die von dieser jederzeit<br />

selbst abgerufen und genutzt werden können.<br />

Das digitale Archiv ist das zentrale Projekt und<br />

das technische Herzstück der DoBeS-Initiative und<br />

wurde von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> über die Jahre<br />

mit rund drei Millionen Euro gefördert. In Nijmegen<br />

laufen die Fäden aller Dokumentationsvorhaben<br />

zusammen, deren Erfassung bestimmten<br />

Standards zu genügen hat. Auf diese Weise sind<br />

die Sprachdaten und -beschreibungen – größtenteils<br />

– auch für andere Forscher leicht abruf- und<br />

lesbar. Das DoBeS-Archiv wiederum ist zentraler<br />

Bestandteil <strong>des</strong> unlängst gegründeten Language<br />

Archive, das technisch sozusagen auf dem DoBeS-<br />

Fundament erbaut wurde und von den Erfahrungen,<br />

die damit gemacht wurden, profitiert. Auch<br />

Daten anderer <strong>Wissens</strong>chaftler <strong>des</strong> Max-Planck-<br />

Instituts und weltweit von weiteren Einrichtungen,<br />

die sich mit der Erforschung von Sprache<br />

beschäftigen, können hier gespeichert werden.<br />

„Zunehmend mehr Kollegen, die um den Verlust<br />

ihrer oft schon Jahrzehnte alten Aufnahmen auf<br />

In Peter Wittenburgs<br />

Büro sorgen ein paar<br />

kleine bunte Kult-<br />

Figürchen auf der<br />

Fensterbank für Farbtupfer.<br />

Er hat sie von<br />

seinen Reisen nach<br />

Brasilien, Peru oder<br />

Polen mitgebracht.<br />

Meist jedoch findet<br />

man ihn inmitten<br />

seiner Forscherkollegen<br />

wie hier in der<br />

Instituts-Caféteria.<br />

30 Impulse 2013 31


analogen Datenträgern fürchten, überlassen uns<br />

ihre Ton- und Bilddokumente zur <strong>Digitalisierung</strong><br />

und Verwahrung“, sagt Sebastian Drude, der seit<br />

Kurzem das Language Archive gemeinsam mit<br />

seinem niederländischen Kollegen Daan Broeder<br />

leitet. So habe etwa der berühmte Verhaltensforscher<br />

Irenäus Eibl-Eibesfeldt seine gesamten<br />

Aufnahmen aus Papua-Neuguinea in Nijmegen<br />

sichern lassen. „Das ist ein solch riesiges Datenvolumen,<br />

dass wir damit Jahre beschäftigt sind“,<br />

freut sich Drude.<br />

Der Linguist wurde selbst mit einem DoBeS-<br />

Projekt gefördert und war zudem einige Jahre<br />

Dilthey-Fellow der Stiftung in der Initiative „Pro<br />

Geisteswissenschaften“. Drude beschäftigt sich<br />

seit Ende der 1990er Jahre mit der Sprache der<br />

Awetí, einer brasilianische Tupí-Sprache, die von<br />

etwa 170 Menschen im Gebiet <strong>des</strong> Xingú-Flusses<br />

im Mato Grosso-Gebiet gesprochen wird. Auch<br />

im Deutschen finden sich Spuren davon: „Maracuja“<br />

etwa oder „Jaguar“ sind Tupí-Wörter. Brasilien<br />

ist Dru<strong>des</strong> große Leidenschaft, seit er dort<br />

Die „DoBeS-Initiative“ – eine Erfolgsgeschichte<br />

Die Initiative „Dokumentation bedrohter<br />

Sprachen“ ist zweifelsohne eine Erfolgsgeschichte:<br />

Als Mitte 2012 die letzten Projekte<br />

von der Stiftung auf den Weg gebracht wurden,<br />

hatte sich die Zahl der Bewilligungen<br />

seit dem Startschuss zur Jahrtausendwende<br />

auf rund 150 summiert. Fast 28 Millionen<br />

Euro standen für diese Vorhaben insgesamt<br />

bereit – darunter nicht nur Sprachdokumentationsprojekte,<br />

sondern auch Veranstaltungen<br />

und Aktivitäten zum Archivaufbau und<br />

zur Toolentwicklung. Zu erwähnen noch: Die<br />

Stiftung hat in der Schlussphase der Förderinitiative<br />

neben Dokumentationsvorhaben<br />

auch Projekte unterstützt, die die in mehr<br />

als einem Jahrzehnt entstandenen Sprachkorpora<br />

vergleichend analysieren.<br />

nach dem Abitur ein Freiwilliges Soziales Jahr<br />

absolvierte. Damals erwachte auch sein Interesse<br />

an den indigenen Sprachen Südamerikas. „Es ist<br />

aber nicht nur die Sprache, es sind die Menschen<br />

selbst mit ihrer Kultur, die mich faszinieren.“<br />

Der 45-Jährige hat gerade erst die Leitung <strong>des</strong><br />

Archivs von Peter Wittenburg übernommen.<br />

Der Ingenieur und Softwareexperte Wittenburg<br />

begann im Jahr 1999, das DoBeS-Archiv – und später<br />

auch das Language Archive – aufzubauen. Zur<br />

Dokumentation und Beschreibung von Sprachen<br />

entwickelte er im Verbund mit seinem internationalen<br />

Team die Software ELAN, die bis heute kontinuierlich<br />

optimiert wird. ELAN ist inzwischen<br />

das für diesen Zweck weltweit wohl am häufigsten<br />

verwendete Tool. Es wurde als sogenannte<br />

Freeware entwickelt und kann von jedem interessierten<br />

Forscher kostenlos zur Nutzung heruntergeladen<br />

werden. Neben der Transkription und der<br />

Übersetzung lassen sich einem Datensatz noch<br />

zahlreiche weitere sogenannte Annotationszeilen<br />

für die spätere Analyse der Audio- und Videoauf-<br />

Das Engagement zur Dokumentation bedrohter<br />

Sprachen kann das Sprachensterben als Folge<br />

der kulturellen Globalisierung nicht aufhalten.<br />

Doch was mit Videokamera, Rekorder, Fotoapparat,<br />

Notizblock und anderen Hilfsmitteln in<br />

den vergangenen Jahren aufgezeichnet wurde,<br />

entreißt die Zeugnisse der vielfach nur mündlich<br />

vermittelten Sprachkulturen dem spurlosen<br />

Verschwinden und bewahrt sie als Teil <strong>des</strong><br />

kulturellen Gedächtnisses unserer Welt. Frei<br />

zugänglich sind die archivierten Sprachdokumentationen<br />

über die Internetseite <strong>des</strong> Max-<br />

Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen<br />

unter www.mpi.nl/DOBES. Dort findet sich<br />

auch eine Weltkarte, die zeigt, welche Sprachen<br />

in der DoBeS-Initiative der Stiftung erforscht<br />

und dokumentiert wurden und werden. cj<br />

nahmen hinzufügen: unter anderem zur Phonetik<br />

und zur Morphosyntax <strong>des</strong> Gesprochenen oder zur<br />

Gestik der Sprechenden.<br />

„Der Weg zu einem Datensatz, mit dem ja später<br />

auch andere Forscher etwas anfangen können<br />

müssen, ist manchmal ziemlich schwierig – vor<br />

allem, wenn für die untersuchte Sprache zu Beginn<br />

noch keine Orthografie existiert“, gibt Drude zu<br />

bedenken. Die schriftliche Darstellung etwa von<br />

Tönen und Klicklauten südafrikanischer Sprachen<br />

sei oft kniffelig: Denn wie stellt man so etwas<br />

orthografisch dar? „Die <strong>Wissens</strong>chaftler müssen<br />

dann manchmal etwas improvisieren und unterschiedliche<br />

Akzente verwenden oder Tonbuchstaben<br />

neben den Laut setzen, um zu kennzeichnen, in<br />

welcher Tonlage er ausgesprochen wird.“<br />

„Wir können noch nicht genau sagen, für wen,<br />

außer uns Linguisten, diese Datenbank später einmal<br />

interessant sein und was damit erforscht werden<br />

wird“, sagt Drude. Aber gerade das macht für<br />

Zur Dokumentation und Beschreibung von Sprachen entwickelte<br />

Peter Wittenburg (links) mit seinem Team eine eigene Software:<br />

ELAN. Es ist inzwischen das für diesen Zweck weltweit wohl am<br />

häufigsten verwendete Tool. Sein Engagement auf diesem Feld<br />

brachte ihm international hohe Anerkennung ein.<br />

ihn die Arbeit am Archiv so spannend. „In jedem<br />

Fall zeichnet sich ab, dass auch für Ethnologen oder<br />

Ethnomusikologen, für Verhaltensforscher, Psychologen<br />

und Neurowissenschaftler das Archiv eine<br />

wertvolle Anlaufstelle ist für Recherchen jeder Art.“<br />

Möchte ein Forscher beispielsweise vergleichen,<br />

welche Begriffe für „Medizin“ oder für „Tod“ die<br />

Menschen im brasilianischen Xingú-Gebiet oder<br />

auf Papua-Neuguinea verwenden, welche Gesten<br />

sie beim Sprechen machen und welche kulturellen<br />

Rückschlüsse man daraus ziehen kann, lässt sich<br />

dies im Language Archive gezielt recherchieren.<br />

Das Archiv umfasst derzeit ein Datenvolumen von<br />

etwa 80 Terabyte. Min<strong>des</strong>tens 150 Sprachen – zwei<br />

Drittel aus dem Kontext der DoBeS-Initiative – sind<br />

direkt in Dateien nachgewiesen, über 200 werden<br />

in den Metadaten erwähnt.<br />

Nijmegen ist ein guter<br />

Platz zum Forschen<br />

– und zum Leben.<br />

Immer mal wieder<br />

verlagern sich die<br />

Gespräche mit Kollegen<br />

auch aus dem<br />

Institut heraus.<br />

32 Impulse 2013 33


Der elektronische Puls <strong>des</strong> Archivs schlägt im<br />

Souterrain <strong>des</strong> Max-Planck-Instituts: In einem<br />

Kellerraum steht ein surrender Großrechner. Was<br />

passiert, wenn der mal zusammenbricht? Peter<br />

Wittenburg lächelt: „Ich kann trotzdem ruhig<br />

schlafen. Es existieren insgesamt sechs Kopien <strong>des</strong><br />

Archivs: Zwei hier bei uns, und je weitere zwei werden<br />

vom Rechenzentrum der Max-Planck-Gesellschaft<br />

in Garching und von der Gesellschaft für<br />

wissenschaftliche Datenverarbeitung in Göttingen<br />

erzeugt und gepflegt.“ Kopfzerbrechen hingegen<br />

bereitet ihm und seinen Kollegen die Optimierung<br />

von LAMUS, der Repository-Software <strong>des</strong> Archivs.<br />

Diese soll künftig die gezielte Pflege von Daten<br />

noch besser unterstützen können. Als Repository-<br />

Software bezeichnet man die Speichersoftware, die<br />

dafür sorgen soll, dass alle eingehenden Daten auf<br />

einheitliche Normen hin überprüft und gespeichert<br />

werden, sodass der Zugriff darauf auch in zwanzig,<br />

dreißig und mehr Jahren noch problemlos möglich<br />

ist. Die größte Herausforderung ist der rasante<br />

technische Wandel, der Dateienformate schnell<br />

veralten und somit unlesbar werden lässt. „Wichtig<br />

ist, dass wir eine intelligente Steuerung haben und<br />

alle Daten automatisch – quasi per Knopfdruck – zu<br />

einem bestimmten Zeitpunkt in ein aktuelles Format<br />

konvertieren können“, erläutert Wittenburg.<br />

Diesem Problem müssen sich zum Beispiel auch<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler stellen, die mit seismologischen<br />

und vulkanologischen Daten umgehen. Auch solche<br />

Angaben sollen über einen langen Zeitraum<br />

abrufbar bleiben. „Die Kollegen haben großes<br />

Interesse an einer Software, die die Datenpflege<br />

unterstützt, und lassen sie sich gern von uns<br />

erläutern“, berichtet Peter Wittenburg und ist<br />

sichtlich erfreut darüber, dass das Spracharchiv<br />

mit seiner Technik ein Trendsetter in Sachen wissenschaftlicher<br />

Datenarchivierung ist.<br />

Seit Mitte der 1970er Jahre arbeitet der gebürtige<br />

Holsteiner bereits in Nijmegen. In seinem<br />

winzigen, nach sehr viel Arbeit aussehenden<br />

Büro sorgen nur ein paar kleine bunte Kult-<br />

Figürchen auf der Fensterbank für Farbtupfer.<br />

Wittenburg hat sie von seinen Reisen nach<br />

Brasilien, Peru oder Polen mitgebracht. Er selbst<br />

ist zwar nie mit Aufnahmegerät oder Videokamera<br />

ins Amazonasgebiet oder in den Kaukasus<br />

gezogen, war aber trotzdem viel im Ausland<br />

unterwegs. „Es gibt mittlerweile etwa ein Dutzend<br />

Mini-Ableger <strong>des</strong> DoBeS-Archivs: unter<br />

anderen in Brasilien, Peru, Mexiko, Australien<br />

und Russland. Und damit auch dort die Speichersoftware<br />

reibungslos läuft, machen wir<br />

natürlich Schulungen mit den Kollegen“, sagt er<br />

und fügt hinzu: „Das ist eine Möglichkeit, wie<br />

wir den Menschen, die sich für unsere Projekte<br />

zur Verfügung gestellt haben, etwas zurückgeben<br />

können. Indem wir deutlich machen: Das ist<br />

euer Archiv!“<br />

Der respektvolle Umgang mit den Menschen,<br />

deren Sprache die DoBeS-<strong>Wissens</strong>chaftler erforschen,<br />

und die äußerst sensible Handhabung<br />

und Weiterverwendung der Film- und Tondaten<br />

sind ohnehin ein Muss. Grundlegen<strong>des</strong><br />

ist festgehalten in einem „Code of Conduct“,<br />

dem sich alle Forscher und DoBeS-Mitarbeiter<br />

verpflichten. „Vorbildlich finde ich zudem, dass<br />

Teile der Projektfördermittel für eine Unterstützung<br />

der indigenen Bevölkerung verwendet<br />

werden können; zum Beispiel, um ein Schulbuch<br />

zu erstellen“, sagt Sebastian Drude. „Seine“<br />

brasilianischen Awetí sind <strong>des</strong>halb inzwischen<br />

in der Lage, eigenständig weiterzuarbeiten; sie<br />

produzieren beispielsweise mit dem erforderlichen<br />

technischen Equipment Audio- und Videodokumente<br />

und speichern diese auf DVDs.<br />

Regelmäßig werden auch native speakers der<br />

bedrohten Sprachen zum jährlich stattfindenden<br />

DoBeS-Workshop nach Nijmegen eingeladen. „Es<br />

ist wichtig, dass sie erleben, was wir hier machen<br />

und worüber wir diskutieren – und wo und wie<br />

ihre Sprachdaten abgelegt werden“, betont Peter<br />

Wittenburg. Bei dem Treffen im Juli 2012 war zum<br />

Beispiel mit Della Bad Wound eine Vertreterin<br />

Abschlusskonferenz zur „DoBeS-Initiative“<br />

Zum Abschluss der Förderinitiative „Dokumentation<br />

bedrohter Sprachen“ findet vom 4. bis<br />

7. Juni 2013 im künftigen Tagungszentrum<br />

Schloss Herrenhausen in Hannover die Konferenz<br />

„Language Documentation: Past – Present<br />

– Future“ statt. Dort werden sich nicht nur die<br />

<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler der<br />

geförderten Vorhaben austauschen; die Tagung<br />

hält auch für die Öffentlichkeit Interessantes<br />

bereit. Am Eröffnungsabend, dem 4. Juni 2013,<br />

nehmen Ulrike Mosel und der Australier Nicholas<br />

Evans die Zuhörer mit auf eine fulminante<br />

Reise rund um den Globus zu den bedrohten<br />

Sprachen dieser Welt. Professorin Ulrike Mosel<br />

aus Kiel ist eine der international renommiertesten<br />

Forscherinnen auf dem Gebiet, die<br />

mehrere Sprachdokumentationsprojekte in der<br />

pazifischen Inselwelt leitet und dabei auch junge<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler an dieses Feld heranführt.<br />

Wie dokumentiere ich eine Sprache? Wie lege ich die Daten<br />

richtig im Spracharchiv ab? Das lernen junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftler bei Workshops, die regelmäßig<br />

im Max-Planck-Institut in Nijmegen stattfinden.<br />

der US-amerikanischen Lakota zu Gast, die nun<br />

ebenfalls ihre Daten in Nijmegen speichern<br />

wollen. Ohnehin seien die Workshops immer ein<br />

Höhepunkt <strong>des</strong> Jahres, schwärmt Wittenburg. Die<br />

Atmosphäre sei offen und inspirierend. Wie bei<br />

einem Klassentreffen freue man sich, die Kollegen<br />

wiederzusehen, und tausche sich über Projekte<br />

und technische Herausforderungen aus – und<br />

natürlich über die Erlebnisse in allen Winkeln<br />

dieser Welt. Vor allem: Gerade junge Nachwuchswissenschaftlerinnen<br />

und -wissenschaftler meldeten<br />

sich hier ausführlich zu Wort. Das hat auch<br />

Stiftungsmitarbeiterin Vera Szöllösi-Brenig immer<br />

wieder beobachtet: „Die nachhaltigen Standards,<br />

die das DoBeS-Programm geschaffen und gesetzt<br />

hat, gehen auf die nächste und übernächste Forschergeneration<br />

über!“ Und so weiß sie denn<br />

„ihre“ Initiative für die nächsten Jahre auch auf<br />

einem guten Weg.<br />

Mareike Knoke<br />

Nicholas Evans ist einer breiteren Öffentlichkeit<br />

bekannt durch sein Buch „Dying words“, das die<br />

Stiftung zur Tagung ins Deutsche übersetzen<br />

lässt. Evans beschreibt dort so anschaulich wie<br />

lebendig, dass jede Sprache ihre eigene Philosophie<br />

und kulturellen Implikationen besitzt.<br />

Er stellt die Frage nach dem Verlust, der dem<br />

kulturellen Erbe der Menschheit zugefügt wird<br />

beim Sterben jeder einzelnen Sprache. Indem<br />

er einige – letzte – Sprecher extrem bedrohter<br />

Sprachen zu Wort kommen lässt und Anekdoten<br />

über „Sprachforscher im Feld“ und deren<br />

Arbeit erzählt, beginnt eine Welt aufzuscheinen,<br />

die bislang weitgehend im Verborgenen blieb.<br />

„Dying words“ zeigt mit einer Fülle an Beispielen<br />

auch aus Evans' eigener Feldforschung bei den<br />

australischen Aborigines den Reichtum und<br />

die Faszination der kulturellen Vielfalt, die uns<br />

umgibt und die sich in Sprache ausdrückt. cj<br />

34 Impulse 2013 35


Ein eingespieltes Team leitet das Hermann von Helmholtz-Zentrum<br />

für Kulturtechnik an der Humboldt-Universität zu Berlin: die Germanistin<br />

Cornelia Weber und der Mathematiker Jochen Brüning.<br />

Wunderkammern<br />

der<br />

<strong>Wissens</strong>chaft<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> von Sammlungen<br />

und Archiven gibt diesen<br />

eine weltweite Sichtbarkeit.<br />

Das steigert ihre Bedeutung<br />

für Forschung und Gesellschaft<br />

erheblich. Ein Blick nach Berlin.<br />

Impulse 2013 37


Deutsche Hochschulen gelten als chronisch unterfinanziert. Und dennoch<br />

sind sie reich: Denn ihre wissenschaftlichen Sammlungen beherbergen<br />

Objekte, die Forscher über Jahrhunderte zusammengetragen haben und<br />

die auch für heutige <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler von großem<br />

Wert sind. Die Humboldt-Universität Berlin ist die erste Hochschule,<br />

die ihre Sammlungen umfassend systematisch erschlossen und für die<br />

Öffentlichkeit zugänglich gemacht hat. Starthilfe bekamen ihre „Kabinette<br />

<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />

Auch gestandene <strong>Wissens</strong>chaftler haben das<br />

Staunen nicht verlernt. „Meine Kollegen und ich<br />

waren ziemlich aufgeregt, als wir von dem Fund<br />

hörten und ihn dann tatsächlich vor uns gesehen<br />

haben“, erinnert sich Jochen Brüning. Der<br />

Mathematiker ist Professor für Analysis an der<br />

Humboldt-Universität (HU) Berlin und zugleich<br />

Direktor <strong>des</strong> dort beheimateten Hermann von<br />

Helmholtz-Zentrums für Kulturtechnik. „Der<br />

Fund“ war nichts Geringeres als die Totenmaske<br />

Immanuel Kants. Der offenbar einzig erhalten<br />

gebliebene Originalabguss <strong>des</strong> Philosophenantlitzes<br />

fand sich 1999 – rein zufällig – in den<br />

Beständen der Anatomischen Sammlung der<br />

Humboldt-Universität, die heute Teil der Sammlungen<br />

der Berliner Charité sind.<br />

Das Abbild <strong>des</strong> berühmten Gesichts ist inzwischen<br />

für jeden mit ein paar Mausklicks in der<br />

großen Online-Datenbank „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />

recherchier- und auffindbar. Dahinter steht<br />

ein wegweisen<strong>des</strong> Pilotprojekt der Humboldt-<br />

Universität: Wie die Hochschule ihre Sammlungen<br />

nicht nur für die <strong>Wissens</strong>chaft, sondern auch<br />

für die Öffentlichkeit transparent und verfügbar<br />

macht, hat in Deutschland Modellcharakter. Mittlerweile<br />

sind einige Universitäten dem Beispiel<br />

gefolgt und arbeiten – wie beispielsweise die<br />

Göttinger Alma mater – ebenfalls erfolgreich an<br />

der <strong>Digitalisierung</strong> ihrer Schätze.<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat das HU-Projekt ein<br />

Jahrzehnt lang mit 930.000 Euro startfinanziert.<br />

Die mithilfe der Mittel entwickelte Datenbank<br />

enthält Teile der zahlreichen Sammlungen der<br />

Humboldt-Universität: vom Notenblatt bis zum<br />

Insekt, vom Herzmuskel bis zum Ziegenschädel.<br />

Jochen Brüning koordinierte ein interdisziplinäres<br />

Team aus Historikern, Informatikern, Musikethnologen,<br />

Literatur- und Naturwissenschaftlern sowie<br />

Archivaren, das 1998 im Auftrag der früheren<br />

Uni-Präsidentin Marlis Dürkop damit begonnen<br />

Blick in eine Vitrine der Zoologischen<br />

Lehrsammlung der<br />

Humboldt-Universität. Auch<br />

Bestände dieser Sammlung<br />

sind als Datensätze digital<br />

erfasst und nunmehr in den<br />

„Kabinetten <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“<br />

einem interessierten Publikum<br />

online zugänglich.<br />

Cornelia Weber und Jochen Brüning, hier zu Besuch in der Zoologischen Lehrsammlung, leisteten<br />

und leisten in Berlin erfolgreiche Gründungs- und Pionierarbeit, die inzwischen auch Universitätsmuseen<br />

und -sammlungen weltweit zugutekommt.<br />

hatte, die Sammlungen zu sichten, zu ordnen<br />

und zu digitalisieren. Eigens dafür – sozusagen<br />

als interdisziplinärer Knotenpunkt zwischen den<br />

Fakultäten – wurde das Hermann von Helmholtz-<br />

Zentrum für Kulturtechnik eingerichtet.<br />

Das Zentrum hat seine Aktivitäten seither stetig<br />

ausgeweitet und ist international bestens vernetzt.<br />

Neben dem Gründungsprojekt „Kabinette<br />

<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ kamen im Bereich „<strong>Wissens</strong>chaftliche<br />

Sammlungen“ mehrere Datenbankprojekte<br />

hinzu, die sich überregional mit Universitätssammlungen<br />

befassen; zudem sind aus verschiedenen<br />

Fakultäten weitere Bereiche wie „Das<br />

Technische Bild“ und „Theorie und Geschichte<br />

der Kulturtechniken“ mit dem Zentrum verknüpft.<br />

Und das neue Exzellenzcluster „Bild Wissen<br />

Gestaltung“ der frisch gekürten Elite-Universität<br />

wird ebenso am Zentrum beheimatet sein wie<br />

ein Masterstudiengang, der sich noch in der Planungsphase<br />

befindet. Viele der Aktivitäten sind<br />

auf die eine oder andere Weise Folge der Initialzündung,<br />

die seinerzeit von der Stiftung kam.<br />

Drei Räume stehen im Hauptgebäude der HU für<br />

die Verwaltung und Koordinierung der Projekte<br />

zur Verfügung. Eines nutzt Jochen Brüning, der<br />

zwischen seinen Verpflichtungen als Mathematikprofessor<br />

in Berlin-Adlershof und dem<br />

Zentrum pendelt. Im anderen sitzt die Geschäftsführerin<br />

Dr. Cornelia Weber. Im dritten findet das<br />

Sekretariat Platz. Brüning und Weber kannten<br />

und schätzten sich bereits vor ihrer Arbeit am<br />

Zentrum: Sie hatten zuvor erfolgreiche Grün-<br />

dungsarbeit am Institut für Europäische Kulturgeschichte<br />

der Universität Augsburg geleistet.<br />

Die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ öffneten ihre virtuellen<br />

Pforten im Jahr 2007. Rund 15.000 Datensätze<br />

sind derzeit als Fotos, Mikrofotografien,<br />

Scans oder Tondateien gespeichert. Erfasst sind<br />

Teile <strong>des</strong> Medizinhistorischen Museums, die<br />

Porträtsammlung Berliner Hochschullehrer, herausragende<br />

Grafiken der Universitätsbibliothek,<br />

Teile der Zoologischen Lehrsammlung, bedeutende<br />

Grafiken aus dem Museum für Naturkunde,<br />

das komplette „Lautarchiv“ – sowie Exponate der<br />

großen Universitätsausstellung „Theatrum naturae<br />

et artis. Wunderkammern <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“, die<br />

2000/2001 im Martin-Gropius-Bau zu sehen war.<br />

Allein das Lautarchiv ist eine Wunderkammer:<br />

Tondokumente aus der ersten Hälfte <strong>des</strong> 20.<br />

Jahrhunderts – gesprochene Sprache und Gesang<br />

– sind auf 7500 Schellack-Platten verewigt. Darunter<br />

Originaltöne von Berühmtheiten wie Max<br />

Planck oder Kaiser Wilhelm II. Als Raritäten gelten<br />

Tondokumente in 250 verschiedenen Sprachen<br />

von internierten Soldaten in deutschen Kriegsgefangenenlagern<br />

während <strong>des</strong> Ersten Weltkriegs:<br />

alle ordentlich transkribiert, übersetzt und mit<br />

wissenschaftlichen Zusatzdaten versehen zum<br />

Geschlecht, Alter, sozialen Stand <strong>des</strong> Vortragenden<br />

sowie zu Ort und Zeitpunkt der Aufnahme. Die<br />

Aufzeichnungen ziehen Forscher aus aller Welt an.<br />

„Das British Museum hat Kopien aller englischsprachigen<br />

Tondokumente aus dem Lautarchiv<br />

gekauft“, berichtet Brüning mit sichtlichem Stolz.<br />

Die 1884 angelegte<br />

Zoologische Lehrsammlung<br />

umfasst<br />

aktuell über 30.000<br />

Objekte, darunter<br />

etwa 27.500 mikroskopische<br />

Präparate,<br />

2100 Flüssig- und<br />

Trockenpräparate,<br />

Skelette und Skelettteile;<br />

zudem 56<br />

Wachsmodelle und<br />

weitere aus Pappmaché,<br />

Gips und Plastik.<br />

38 Impulse 2013 39


Die Suche nach einer geeigneten Datenbank-<br />

Software, die nicht zuletzt den Besonderheiten<br />

aller Sammlungen gerecht wird, dauerte seinerzeit.<br />

Heute ist mit „sam@work“, der Weiterentwicklung<br />

einer bereits vorhandenen Hochschulverwaltungs-<br />

Software, ein effektives Tool im Einsatz, mit dem<br />

schnelle Ladevorgänge großer Dateien problemlos<br />

möglich sind. Vergleichsweise hochkomplex war<br />

die parallel laufende Entwicklung eines transdis-<br />

Sechs Millionen Käfer, je vier Millionen Ameisen<br />

und Schmetterlinge, zwei Millionen Fossilien,<br />

265.000 Mineralien und Edelsteine, 2700<br />

Meteoriten, Zeichnungen von Käthe Kollwitz<br />

und Adolf von Menzel – und nicht zu vergessen<br />

der mittels eines Abgusses rekonstruierte<br />

Westgiebel <strong>des</strong> Zeustempels in Olympia: Es<br />

sind unzählige Objekte, die die Humboldt-Universität<br />

Berlin und mit ihr das Museum für<br />

Naturkunde in einer Vielzahl an Sammlungen<br />

ihr Eigen nennt oder zumin<strong>des</strong>t lange Zeit<br />

nannte (ein Teil der Bestände wechselte mit<br />

Gründung der Charité – Universitätsmedizin<br />

Berlin als eigenständiger Einrichtung dorthin).<br />

Wahre Schätze haben sich seit dem Start<br />

der damaligen Berliner Universität im Jahre<br />

1810 angehäuft: Die ältesten Stücke stammen<br />

aus der im 16. Jahrhundert von Kurfürst Joachim<br />

II. gegründeten „Berlin-Brandenburgischen<br />

Kunstkammer“, die jüngsten wohl aus dem<br />

Archiv für Alternativkultur, das seit den<br />

1960er Jahren stetig anwächst.<br />

Schon vor Gründung der Universität befanden<br />

sich seit 1805 Mitbringsel der Amerikareise<br />

Alexander von Humboldts sowie die<br />

Mineraliensammlung der Berliner Bergakademie<br />

und die Giustinianische Gemäl<strong>des</strong>ammlung<br />

im Berliner Prinz-Heinrich-Palais.<br />

Im Zuge dann der Umwidmung zum Universitätsgebäude<br />

zogen mit den anatomischen<br />

ziplinären Thesaurus, der bis heute kontinuierlich<br />

weiterentwickelt wird und derzeit etwa 50.000<br />

Schlagworte enthält. Er ermöglicht sowohl gezieltes<br />

als auch „unscharfes“, assoziatives Suchen.<br />

Das Wegweisende und somit ein Alleinstellungsmerkmal<br />

der Datenbank aber ist: Der Thesaurus<br />

„hört“ auf keine bestimmte wissenschaftliche<br />

Fachsprache, sondern kann von Natur- wie Geistes-<br />

Die Sammlungen der Humboldt-Universität zu Berlin<br />

Präparaten von Johann Gottlieb Walter, der<br />

chirurgischen Instrumentensammlung, dem<br />

„Zoologischen Kabinett“ von Lichtenstein,<br />

dem Chemischen Laboratorium und der<br />

physikalischen Instrumentensammlung<br />

weitere große Bestände ein. Auf diese Weise<br />

legten die wissenschaftlichen Sammlungen<br />

mit ihren zwischenzeitlich insgesamt gut 30<br />

Millionen Objekten das Fundament für Forschung<br />

und Lehre an der Hochschule.<br />

Die Sammlungen sind dementsprechend<br />

von Beginn an eng mit der Geschichte der<br />

Humboldt-Universität verknüpft. „Sie zählen<br />

zu ihrem unverzichtbaren kulturellen Erbe und<br />

spielen eine wichtige Rolle im universitären<br />

Leben; sie sind ein einzigartiger Schatz, den<br />

es zu bewahren, zu pflegen, zu erschließen, zu<br />

erweitern und auszustellen gilt“, schrieb die<br />

Hochschulleitung in einem Memorandum im<br />

Jahr 2010 zum 200. Jubiläum der Universität.<br />

Nicht zuletzt trug die öffentliche Wirkung, die<br />

viele Sammlungen entfalteten, zur Gründung<br />

einiger Berliner Museen bei – darunter das<br />

Museum für Naturkunde, das Pathologische<br />

Museum, das Museum für Meereskunde, das<br />

Archäologische Museum. Hinzu kommen<br />

immer wieder große und kleine Sonderausstellungen<br />

in Museen und in der Hochschule<br />

selbst, die den Reichtum gesammelten <strong>Wissens</strong><br />

eindrucksvoll zeigen. cj<br />

Das Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik hat<br />

seinen Platz im Hauptgebäude der Humboldt-Universität zu<br />

Berlin gefunden – mitten im Herzen der Stadt.<br />

wissenschaftlern und wissenschaftlichen Laien<br />

gleichermaßen mit Erfolg genutzt werden. Wer<br />

nach naturwissenschaftlichen oder medizinischen<br />

Objekten sucht, braucht die lateinischen Fachbegriffe<br />

dafür nicht zu kennen. Er kann als Suchbegriff<br />

beispielsweise „Herzmuskel“ eingeben – und<br />

wird dann zu mehreren Exponaten der medizinhistorischen<br />

Sammlung geführt. Über die Grenzen<br />

wissenschaftlicher Disziplinen hinweg werden<br />

zudem Beziehungen der verschiedenen Objekte<br />

untereinander abgebildet. Diese Idee und Umsetzung<br />

eines „fächerübergreifenden Portals für alle“<br />

stellen eine wichtige wissenschaftliche Leistung<br />

<strong>des</strong> Projekts dar. Brüning betont: „Die Universitätssammlungen<br />

gehören zu unserem Welterbe. Wir<br />

sollten <strong>des</strong>halb nicht nur <strong>Wissens</strong>chaftler und Studenten,<br />

sondern die gesamte Öffentlichkeit daran<br />

teilhaben lassen.“<br />

Es erscheint vor diesem Hintergrund unglaublich,<br />

dass Objekte wie Kants Totenmaske in Sammlungen<br />

einfach „untergehen“. Jochen Brüning hebt<br />

die Schultern und lächelt: „Was glauben Sie, wie<br />

viel wertvolles Kulturerbe in den Schränken und<br />

Kammern deutscher Universitäten heute noch<br />

schlummert – nicht erschlossen, geschweige denn<br />

für eine Datenbank digitalisiert?“ Weil Zeit, Geld<br />

und oft auch das Interesse fehlen, alte Schätze der<br />

Hochschulen wieder zum Strahlen zu bringen.<br />

Kaum eine Universität kann oder mag es sich leisten,<br />

geschulte Honorarkräfte über Tausende von<br />

Arbeitsstunden mit der detaillierten Erfassung und<br />

Beschreibung von Sammlungsobjekten zu beschäftigen.<br />

Ohne Drittmittel ist dies nicht möglich.<br />

Es ist aber ohne Zweifel eine Investition, die sich<br />

lohnt. Brüning sagt eindringlich: „Viele Hochschulen<br />

übersehen, dass die Erschließung und<br />

Präsentation ihrer Sammlungen Teil eines klugen<br />

<strong>Wissens</strong>managements und auch der Öffentlichkeitsarbeit<br />

sind, ohne die heute keine moderne<br />

wissenschaftliche Institution mehr auskommt.“<br />

Doch allmählich scheint Bewegung in die Universitäten<br />

zu kommen. „Es gibt den starken<br />

Wunsch, ein stabiles Netzwerk zu gründen und<br />

Grundlagen für gemeinsame Standards für die<br />

Erschließung und Präsentation der Sammlungen<br />

zu schaffen“, sagt Cornelia Weber. Die promovierte<br />

Germanistin leitet unter anderem das Projekt<br />

„Universitätssammlungen in Deutschland: Untersuchungen<br />

zu Bestand und Geschichte“ und hält<br />

Zahlen parat, die belegen, dass es viel zu tun gibt:<br />

Bis Ende 2011 wurden an 86 deutschen Hochschulen<br />

insgesamt 1078 Sammlungen und Museen<br />

erfasst – der weitaus größte Teil davon Sammlungen.<br />

Bei zahlreichen Treffen mit ihren in- wie<br />

ausländischen Kollegen hat Cornelia Weber den<br />

Eindruck gewonnen, „dass die Begeisterung für<br />

das Thema immer größer wird. Denn aus den<br />

Die Sammlung <strong>des</strong> Winckelmann-Instituts für klassische<br />

Archäologie an der HU Berlin wurde 1921 als seinerzeit größte<br />

Sammlung von Gipsabgüssen antiker Plastiken eröffnet; bis<br />

1944 wurden mehr als 3700 Abgüsse gezeigt. Seit dem Jahr<br />

2000 präsentiert sie sich mit einer kleinen Auswahl der alten<br />

Bestände in drei eigens dafür hergerichteten Räumen.<br />

40 Impulse 2013 41


Auch viele Bestände<br />

aus dem Museum<br />

für Naturkunde sind<br />

inzwischen digital<br />

erfasst und mit beglei-<br />

tenden Informationen<br />

online greifbar.<br />

Sammlungen und vor allem durch die interdisziplinäre<br />

Art, sie zu nutzen, ergeben sich interessante<br />

Perspektiven sowohl für die Forschung als auch<br />

für die Lehre.“<br />

Eine Initialzündung für die Universitäten sei im<br />

Februar 2010 das Symposium „Universitätsmuseen<br />

und -sammlungen im Hochschulalltag“ an der<br />

Humboldt-Universität gewesen, fügt Weber hinzu.<br />

Diese Veranstaltung, die alle Teilnehmer in Aufbruchstimmung<br />

versetzt habe, wurde ebenfalls<br />

von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefördert. Damals<br />

sei der Entschluss gereift, ein Netzwerk zu gründen.<br />

Rückenwind haben die Hochschulen zudem<br />

vom <strong>Wissens</strong>chaftsrat erhalten, der im Januar<br />

2011 anmahnte, die wissenschaftlichen Sammlungen<br />

besser für die Forschung zu nutzen und<br />

systematisch zu erschließen. Die Empfehlung <strong>des</strong><br />

Beratungsgremiums, eine Koordinierungsstelle<br />

für alle Sammlungen einzurichten, wurde bereits<br />

umgesetzt. Diese Stelle ist jetzt am Hermann von<br />

Helmholtz-Zentrum für zunächst zwei Jahre angesiedelt;<br />

sie wird in dieser Erprobungsphase vom<br />

Bun<strong>des</strong>forschungsministerium finanziert.<br />

Wie stehen, vor diesem Hintergrund, die „Kabinette<br />

<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ da? Für die Aufgabe, die Datenbank<br />

zu vergrößern und die Suchmaschine zu optimie-<br />

ren, braucht es mehrere, fest im Projekt arbeitende<br />

wissenschaftliche Redakteure. Doch die gibt es<br />

bis heute nicht. Der Datenbestand hat sich <strong>des</strong>halb<br />

seit 2007 kaum vergrößert. Jochen Brüning,<br />

mittlerweile 65, geht spätestens in drei Jahren in<br />

den Ruhestand. Er möchte die Datenbank in guten<br />

Händen wissen. „Die Zusagen <strong>des</strong> Uni-Präsidiums<br />

für min<strong>des</strong>tens eine zusätzliche Mitarbeiterstelle<br />

wurden bislang nicht eingelöst“, bedauert Brüning.<br />

Und das, obwohl die Datenbank eine Erfolgsgeschichte<br />

für die Universität darstellt und obwohl<br />

das Hermann von Helmholtz-Zentrum inzwischen<br />

den Status eines Zentralinstituts mit Promotionsrecht<br />

hat. Hoffnung gibt ihm jedoch der Erfolg der<br />

Humboldt-Universität Berlin bei der Exzellenzinitiative:<br />

Denn die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ haben<br />

viele thematische Berührungspunkte mit dem<br />

Exzellenzcluster „Bild Wissen Gestaltung“.<br />

Mareike Knoke<br />

Links: www.kulturtechnik.hu-berlin.de<br />

(Herrmann von Helmholtz-Zentrum)<br />

www.sammlungen.hu-berlin.de<br />

(Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>)<br />

www.wissenschaftliche-sammlungen.de<br />

(Koordinierungsstelle der Universitätssammlungen<br />

in Deutschland)<br />

Schaufenster Biodiversität:<br />

Auch Tiere und Pflanzen werden digital erfasst.<br />

Die „Kabinette <strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>“ der Humboldt-<br />

Universität befinden sich in bester Gesellschaft:<br />

Weltweit gibt es ambitionierte <strong>Digitalisierung</strong>s-Projekte,<br />

die es sich zur Aufgabe<br />

gemacht haben, Wissen zu sammeln, Objekte<br />

digital zu erfassen und für die Öffentlichkeit<br />

zugänglich zu machen. Auch der Paläontologe<br />

und Korallenriff-Experte Professor Dr. Wolfgang<br />

Kießling, der 2006 eine Lichtenberg-<br />

Professur der <strong>VolkswagenStiftung</strong> am Berliner<br />

Museum für Naturkunde antrat, ist an einem<br />

solchen Vorhaben beteiligt. Neben Forschung<br />

und Lehrtätigkeit an der Humboldt-Universität<br />

koordiniert er seit 2010 die Erfassung von Fossilien<br />

aus deutschen Sammlungen an Museen<br />

und Universitäten. Diese Daten fließen im Rahmen<br />

eines vom Bun<strong>des</strong>forschungsministerium<br />

(BMBF) finanzierten Verbundprojekts in die<br />

weltweite Datenbank Global Biodiversity Information<br />

Facility (GBIF) ein (www.gbif.de).<br />

Deutschland gehört zu den Gründungsmitgliedern<br />

von GBIF. Die Datenbank trägt seit 2001<br />

mit zahlreichen Partnerländern alles Wissen<br />

über noch existierende als auch bereits ausgestorbene<br />

Lebewesen auf unserem Planeten<br />

zusammen. Experten gehen neuerdings von<br />

etwa neun Millionen bestehender Arten aus.<br />

Von der <strong>Wissens</strong>chaft beschrieben sind nur gut<br />

15 Prozent davon. Doch allein diese 1,2 Millionen<br />

Arten in all ihren Details zu erfassen, sei<br />

„ein gigantisches Unterfangen“, sagt Kießling.<br />

Und ein offiziell wichtiges Anliegen, seit die<br />

UN vor zwei Jahren die „Dekade der Biodiversität“<br />

ausriefen, um die internationale Staatengemeinschaft<br />

zu mehr Engagement für den<br />

Artenschutz zu animieren.<br />

Wolfgang Kießling erforscht die Entwicklung<br />

und Biodiversität von Riffen, die Stabilität<br />

mariner Ökosysteme auf langen Zeitskalen,<br />

das Artensterben und die ökologischen Abhängigkeiten<br />

der Evolutionsdynamik. „Aufgrund<br />

ihrer Artenvielfalt gelten die Korallenriffe<br />

als Wiege der Evolution“, sagt er. An ihnen<br />

ließen sich die Einflüsse <strong>des</strong> Klimawandels<br />

gut untersuchen. Für GBIF Deutschland seien<br />

bereits gut 200.000 digitalisierte paläontologische<br />

Objekte mobilisiert worden, berichtet<br />

Kießling: neben Korallen unter anderem auch<br />

Schnecken, Muscheln und Wirbeltiere. Der<br />

Löwenanteil – 120.000 – stammt aus dem Berliner<br />

Museum für Naturkunde. „Es gibt noch<br />

immer viele Hochschulen, deren Sammlungen<br />

ungeordnet und unbeachtet in irgendwelchen<br />

Depots lagern“, kritisiert er.<br />

Das BMBF fördert nicht nur das Erfassen und<br />

Digitalisieren von Fossiliendaten, sondern<br />

die Zusammenstellung und Mobilisierung<br />

aller bun<strong>des</strong>weit geeigneten Sammlungs-,<br />

Forschungs-, Beleg- und Observationsdaten.<br />

Noch sieben weitere sogenannte Verbundknoten<br />

wurden eingerichtet: für Bakterien und<br />

Archaeen, Pflanzen und Protisten, Pilze und<br />

Flechten, Insekten, Wirbeltiere sowie zwei Verbundknoten<br />

für Wirbellose.<br />

Professor Wolfgang Kießling wechselte zum<br />

Wintersemester 2012/13 an die Universität<br />

Erlangen-Nürnberg; er wird nun von Erlangen<br />

aus die Fossilienerfassung für GBIF Deutschland<br />

koordinieren. Zu tun ist genug!<br />

Mareike Knoke<br />

Wolfgang Kießling –<br />

hier mit Kollegin Uta<br />

Merkel – erforscht<br />

die Entwicklung und<br />

Biodiversität von Riffen;<br />

sein Interesse gilt<br />

insbesondere Korallen<br />

(ganz links: Thecosmilia,<br />

Jurassische Riffkoralle,<br />

gefunden in<br />

Süddeutschland; links:<br />

Platygyra: Hirnkoralle<br />

aus dem Pleistozän,<br />

Fundort: Ägypten).<br />

42 Impulse 2013 43


Am Ende eines langen Weges: Astrid Trümper, wissenschaft-<br />

liche Mitarbeiterin in der Herzogin Anna Amalia Bibliothek,<br />

kümmert sich um die <strong>Digitalisierung</strong> der restaurierten Aschebücher.<br />

Seite für Seite sind die Werke nun auch online zugänglich<br />

und stehen weltweit einer interaktiven Nutzung offen.<br />

Leben aus<br />

der Asche<br />

Neue Chance für alte Werke: Wie<br />

der interaktive Austausch im<br />

Netz hilft, etwas über die Herkunft<br />

brandgeschädigter Bücher<br />

zu erfahren. Ein Besuch bei der<br />

Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />

acht Jahre nach dem Feuer<br />

Impulse 2013 45


Im Außenmagazin Carlsmühle<br />

der Bibliothek<br />

lagern von Schmutz und<br />

Ruß weitgehend befreite<br />

Bücher. Hier werden jene<br />

Bestände behandelt, die<br />

beim Brand 2004 mit<br />

lediglich leichter Beschädigung<br />

oder Verschmutzung<br />

davongekommen sind.<br />

Der Brand von 2004 hat die Herzogin Anna Amalia Bibliothek in Weimar<br />

noch ein weiteres Mal ins 21. Jahrhundert katapultiert. Zunächst steht da<br />

ein schmerzhafter Verlust: etwa 50.000 zerstörte Bücher aus dem Bestand<br />

von rund einer Million Bände. Ein Großteil der außerdem vom Feuer beschädigten<br />

62.000 Werke soll jedoch bis zum Jahr 2016 – unter Einsatz neuer<br />

Methoden restauriert – in die Regale zurückfinden. Unvollständige Bücher<br />

könnten dabei über das Internet identifiziert und ergänzt werden. Ein<br />

außergewöhnliches Projekt, bei dem Bibliotheksmitarbeiter eng mit Experten<br />

aus <strong>Wissens</strong>chaft und Praxis zusammenarbeiten.<br />

Wer die graublaue Pappschachtel öffnet, blickt<br />

auf ein altes Buch, eingebunden in derselben<br />

Farbe. Beim Blättern zeigen sich auf den Seiten<br />

bräunlich-schwarze Ränder, die unregelmäßig<br />

in den hellen Hintergrund ragen. Die Übergänge<br />

sind fließend und kaum zu spüren. Die restaurierte<br />

italienische Druckschrift hat den Bibliothekaren<br />

der Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />

viel Kopfzerbrechen bereitet. Denn nach dem<br />

großen Brand vom 2. September 2004 fehlte der<br />

Anfang: Das auf die Zeit um 1600 geschätzte<br />

Werk begann auf Seite 23. Was stand im vorderen<br />

Teil, und wer war der Verfasser?<br />

Das Großfeuer wurde vermutlich durch einen<br />

Kabelbrand in der zweiten Galerie <strong>des</strong> „Grünen<br />

Schlösschens“ ausgelöst; rund 50.000 Bücher der<br />

einst Herzoglichen Sammlung wurden ein Opfer<br />

der Flammen. Von dort breitete sich das Feuer bis<br />

in die erste Galerie und die beiden Dachgeschosse<br />

aus, die ebenso wie die zweite Galerie komplett<br />

verbrannten. Noch Wochen danach zogen die Helfer<br />

Papiernes und anderes mehr aus dem Brand-<br />

schutt. 28.000 sogenannte Aschebücher sollten es<br />

am Ende sein: Buch- und Musikalienfragmente,<br />

deren Seiten die Flammen am Rand oder bis in<br />

den Kern zerstört hatten. Außerdem hatten Hitze<br />

und Löschwasser die Einbände von 34.000<br />

weiteren Werken beschädigt. Betroffen waren<br />

Druckwerke, Handschriften und die wertvolle<br />

Musikaliensammlung von Anna Amalia. Sie alle<br />

wurden nach Leipzig ins Zentrum für Bucherhaltung<br />

gebracht, gefriergetrocknet und grob sortiert.<br />

Es ist nicht das erste Mal, dass ein solch bedeuten<strong>des</strong><br />

kulturelles Erbe in Schutt oder Asche<br />

aufgeht. Weit größere Bibliotheken haben Teile<br />

ihres Bestands verloren als die im 17. Jahrhundert<br />

gegründete Sammlung, die heute zum<br />

UNESCO-Welterbe „Klassisches Weimar“ gehört.<br />

1988 etwa verbrannten in der Nationalbibliothek<br />

in St. Petersburg rund 300.000 Bände der<br />

Sammlung von Zar Peter I. Während <strong>des</strong> Balkankrieges<br />

wurde die Nationalbibliothek in Sarajevo<br />

zerstört. Und im Jahr 2009 stürzte das Kölner<br />

Stadtarchiv ein.<br />

Neu allerdings ist, dass eine Bibliothek nach der<br />

Instandsetzung <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> eine so große Menge<br />

beschädigter Werke restauriert – und die dafür<br />

notwendigen Techniken entwickeln muss. Dass der<br />

Brand und die Schäden nach 2004 auf ein großes<br />

öffentliches Interesse stießen, verwundert nicht.<br />

Die vergleichsweise kleine Einrichtung mit einem<br />

Bestand von einer Million Büchern, von rund 3000<br />

Buchhandschriften, Karten und Globen ist ein<br />

Mythos. Ein Fünftel der Bände stammt aus der Zeit<br />

vor 1850. Mit diesen Werken haben bereits Goethe,<br />

Schiller und Herder gearbeitet. Heute versteht sich<br />

die Anna Amalia Bibliothek als Forschungsbibliothek<br />

für Literatur- und Kulturgeschichte mit dem<br />

Schwerpunkt deutsche Klassik.<br />

Drei Regalkilometer Bücher hatte der Brand<br />

beschädigt, darunter Werke mit Einbänden von<br />

ganz unterschiedlicher Materialität: Leder, Gewebe,<br />

Papier oder Pergament. „Wir haben damals<br />

entschieden, wir wollen das nicht liegen lassen“,<br />

erzählt Jürgen Weber, stellvertretender Bibliotheksleiter:<br />

„Uns war aber auch klar, dass wir das<br />

nicht selber schaffen, obwohl wir über eine leistungsfähige<br />

Restaurierungswerkstatt und Buchbinderei<br />

verfügen. Wir wussten nicht, wie das<br />

gehen könnte; niemand hat bisher Brandschäden<br />

in dieser Größenordnung restauriert. Das steht<br />

in keinem Lehrbuch.“ Daher habe, um dieses<br />

Vorhaben bewältigen zu können, von Anfang an<br />

absolute Transparenz geherrscht, sagt Weber, der<br />

zugleich die Bestandserhaltung leitet. „Wir haben<br />

immer alle unsere Probleme und Aufgaben auf<br />

den Tisch gelegt!“<br />

Der Startschuss fällt noch in das Ende <strong>des</strong> Jahres<br />

2004: Bereits kurz nach dem Brand treffen sich<br />

Fachleute unterschiedlicher Expertise zu einem<br />

mehrtägigen Kolloquium, um über den Umgang<br />

mit den Schäden zu diskutieren. Seit 2007 berät<br />

ein international besetzter wissenschaftlicher<br />

Projektbeirat die Bibliothek. Gemeinsam wurde<br />

das Hauptziel entwickelt, die verbrannten Bücher<br />

teilweise durch Ankäufe zu ersetzen und die<br />

beschädigten so weit wie möglich wieder nutzbar<br />

zu machen. Das Original zu erhalten und die<br />

Brandspuren dennoch nicht zu beseitigen, lautet<br />

seitdem die Devise – ein Vorhaben, das die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

mit knapp einer Million Euro<br />

unterstützt. „Stiftungs-Asche für Bücherasche“,<br />

war denn als Slogan von manch Beteiligtem in<br />

aufrichtiger Freude gleichsam salopp wie treffend<br />

zu hören.<br />

Dem hohen Anspruch <strong>des</strong> Vorhabens sei von<br />

Beginn an durch konsequent interdisziplinär<br />

angelegte Forschung entsprochen worden, sagt<br />

Ulrike Hähner, Professorin an der Hochschule<br />

für Angewandte <strong>Wissens</strong>chaft und Kunst in<br />

Hil<strong>des</strong>heim. Die Restauratorin sitzt im wissenschaftlichen<br />

Beirat und schickt regelmäßig ihre<br />

Studierenden zur Mitarbeit nach Weimar. Die<br />

wüssten das sehr zu schätzen, denn: „Das Restaurierungsprojekt<br />

ist wirklich einzigartig“, sagt sie.<br />

Matthias Hageböck ist einer der Restauratoren, die seit<br />

2008 die angegriffenen Bücher in der hauseigenen Werkstatt<br />

in Carlsmühle reinigen und reparieren.<br />

Die Seiten werden<br />

vorsichtig mit einem<br />

Spatel voneinander<br />

getrennt, dann mit<br />

einem Pinsel gesäubert.<br />

Noch warten<br />

Tausende Bücher auf<br />

ihre Behandlung.<br />

46 Impulse 2013 47


Nachdem im Außenmagazin Carlsmühle die Bücher<br />

in Schadensklassen eingeteilt wurden, werden die<br />

stärker beschädigten Aschebücher zur weiteren<br />

Behandlung nach Legefeld bei Weimar gebracht.<br />

Die Seiten eines Wer-<br />

kes werden zunächst<br />

mithilfe eines Spa-<br />

tels vorsichtig aufge-<br />

blättert – die eigent-<br />

liche Restaurierung<br />

kann beginnen.<br />

Aus vielen Bereichen trugen Experten Methoden<br />

und Techniken zusammen; wo Wissen fehlte, entstanden<br />

Forschungsprojekte und füllten die Lücken.<br />

Schließlich wurden die neuen Erkenntnisse an<br />

die beauftragten Restauratoren weitergegeben.<br />

Für unverzichtbar hält Jürgen Weber die in Weimar<br />

erprobte Vernetzung: „Wir haben uns immer<br />

wieder bei den Fachleuten vergewissert, dass wir<br />

einen praktikablen Weg gehen.“ Von allen Seiten<br />

ist denn auch zu hören, dass man viel gelernt und<br />

viel gewonnen habe.<br />

Das Außenmagazin Carlsmühle liegt zehn Gehminuten<br />

von der Anna Amalia Bibliothek entfernt.<br />

Hier lagern die aus Leipzig zurückgebrachten,<br />

Anna Amalia 2.0<br />

Die Bilder auf den Seiten 48 bis 50 zeigen einzelne Schritte <strong>des</strong> Restaurierungsvorgangs in Legefeld –<br />

hier (Bild oben) gleich mehrere Arbeitsgänge <strong>des</strong> gesamten Prozesses auf einen Blick.<br />

Seit dem Unglück vom September 2004 unternimmt<br />

die Herzogin Anna Amalia Bibliothek<br />

systematisch den Versuch, die historischen<br />

Buchbestände durch Wiederbeschaffung ehemals<br />

vorhandener Ausgaben und durch die<br />

Aufnahme wertvoller Privatsammlungen zu<br />

bereichern. Bisher wurden nahezu 33.000 alte<br />

Bücher auf diese Weise neu in den Bestand<br />

der Weimarer Bibliothek integriert. Das übersteigt<br />

sogar die Menge antiquarischer Erwerbungen<br />

pro Jahr der sechs großen Bibliotheken<br />

der „Arbeitsgemeinschaft Sammlung<br />

deutscher Drucke“: der Bayerischen Staatsbi-<br />

von Ruß und Schmutz befreiten Bücher. Seit 2008<br />

wird restauriert, doch immer noch stapeln sich<br />

Tausende Schachteln auf Paletten; im dritten<br />

Stock finden sich die Bände mit den beschädigten<br />

Einbänden, im vierten die Aschebücher. „Der<br />

Brandgeruch liegt noch in der Luft“, stellt Ivonne<br />

Rohmann fest, die die Restaurierung der Ledereinbände<br />

organisiert.<br />

Die meisten Einbände sind repariert. In den Regalen<br />

<strong>des</strong> prächtigen Rokoko-Saals fallen hier und da<br />

blaugraue Schutzkartons ins Auge. Sie enthalten<br />

jene Bücher, die damals „nur“ mit leichter Beschädigung<br />

oder Verschmutzung davongekommen sind.<br />

Diese konnten die Restauratoren in der hauseige-<br />

bliothek München, der Herzog August Bibliothek<br />

Wolfenbüttel, der Niedersächsischen<br />

Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen,<br />

der Universitätsbibliothek Johann Christian<br />

Senckenberg Frankfurt am Main, der Staatsbibliothek<br />

zu Berlin und der Deutschen<br />

Nationalbibliothek in Leipzig.<br />

Von den neu in den Bestand überführten<br />

Büchern wurden 19.500 gekauft, 13.500 kamen<br />

als Geschenk hinzu. Dabei konnten nach Aussage<br />

der Bibliothek bis 2012 auch 9000 Brandverluste<br />

im engeren Sinne ersetzt werden. cj<br />

nen Werkstatt reinigen und reparieren – auch daran<br />

beteiligten sich Studierende, unter anderem von<br />

den Fachhochschulen Köln und Hil<strong>des</strong>heim. „Für<br />

sie ist es sehr gut, dass sie ganz praktisch an den<br />

beschädigten Büchern arbeiten können. Normalerweise<br />

kommen sie an solche Bestände nicht heran“,<br />

erzählt Ivonne Rohmann. So fand im September<br />

2011 im Sondermagazin Carlsmühle für acht Studierende<br />

aus Hil<strong>des</strong>heim eine Projektwoche statt. Die<br />

Teilnehmer <strong>des</strong> Studienganges Konservierung und<br />

Restaurierung sahen zunächst nach vorgegebenen<br />

Kriterien den etwa 2200 Bände umfassenden<br />

Bestand an wasser- und hitzegeschädigten Gewebeeinbänden<br />

durch und teilten die Bücher dann in<br />

Schadensgruppen ein.<br />

Die Bibliothek ihrerseits profitiert vom Kontakt mit<br />

den Restauratoren. So untersuchte ein Student aus<br />

Hil<strong>des</strong>heim einen Teil der kostbaren alten Ledereinbände<br />

und fand heraus, dass diese seinerzeit durch<br />

einen eiweißhaltigen Überzug geschützt wurden.<br />

Anderen Fragen gehen die Restauratoren und<br />

Lederarchäologen, die Experten und Nachwuchswissenschaftler<br />

interdisziplinär bei verschiedenen<br />

Workshops nach: Wie etwa lässt sich ein brandgeschädigter<br />

verhärteter Lederrücken schonend vom<br />

Buch entfernen? Oder welche Leder eignen sich,<br />

um schadhaftes Material zu ergänzen? Die Resultate<br />

nutzen all die Werkstätten, die derzeit in und<br />

außerhalb von Deutschland immerhin noch über<br />

12.000 Einbände bearbeiten.<br />

Dagegen gibt es bei den 28.000 Aschebüchern<br />

noch viel zu tun. 8000 von ihnen, legte die Bibliothek<br />

fest, haben bei der Restaurierung oberste<br />

Priorität. Es handelt sich um die vom Feuer nur<br />

leicht beschädigten Drucke und Handschriften<br />

aus der Zeit bis 1850. Aufgrund ihrer guten Papierqualität<br />

sind sie leichter wieder instand zu setzen.<br />

Doch auch diese Aufgabe wird noch einige Jahre<br />

in Anspruch nehmen. Immerhin: Rund 1800 Bände<br />

konnten bislang schon fertiggestellt werden.<br />

In Legefeld, zehn Kilometer außerhalb von Weimar,<br />

liegt im ersten Stock einer Gewerbehalle die<br />

„Restaurierungswerkstatt für brandgeschädigtes<br />

Schriftgut“. Magdalena Izdebska öffnet einen<br />

grauen Karton. Das dicke lateinische „Compendium“<br />

verbreitet Aschegeruch; es zeigt sich am<br />

Rücken und rundum verkohlt. Nur unten ist der<br />

Goldschnitt noch sichtbar. Mit einem Spatel blättert<br />

die Restauratorin vorsichtig eine Seite um,<br />

auf der sich schmutzige Wasserränder zeigen –<br />

die Spuren <strong>des</strong> Löschwassers. Daneben stapeln<br />

sich weitere Schachteln. Sie beinhalten Noten-<br />

Handschriften, deren Seiten in Teile zerfallen sind.<br />

Um diese Preziosen kümmert sich der Leiter der<br />

Restaurierungswerkstatt Günter Müller persönlich.<br />

Die geschädigten Buchseiten<br />

werden – meist über<br />

Nacht – in sogenannten<br />

Kompressionskassetten ins<br />

Wasserbad getaucht, um<br />

Schadstoffe und Schmutz<br />

zu lösen. Anschließend<br />

werden die einzelnen<br />

Seiten mit einem Faserbrei<br />

behandelt.<br />

Ist die Anfaserung an den<br />

unvollständigen Seitenrändern<br />

erfolgt, werden<br />

die Buchseiten zu ihrer<br />

Stabilisierung auf durchschimmernd-dünnem<br />

Japanpapier geleimt. Die<br />

einzelnen Seiten trocknen<br />

auf großen Gitterablagen.<br />

Anschließend werden die<br />

geleimten Seiten gepresst,<br />

sie trocknen dann über<br />

Nacht im Stapel. Die<br />

patentierte Werkstatt ist<br />

so gebaut, dass sich große<br />

Mengen der Blätter auf<br />

schonende Weise wieder<br />

nutzbar machen lassen.<br />

48 Impulse 2013 49


Seit 2008 arbeitet die eigens entwickelte Werkstatt<br />

auf Hochtouren. Morgens um 6 Uhr beginnen<br />

die Maschinen zu summen: Die geschädigten<br />

Buchseiten tauchen in Kompressionskassetten<br />

ins Wasserbad, um Schadstoffe und Schmutz<br />

zu lösen. Mithilfe der Anfaserungsanlage lagert<br />

Magdalena Izdebska je nach Bedarf einen weißen,<br />

braunen oder grauen Faserbrei auf den unvollständigen<br />

Seitenrändern ab. Anschließend verleimt<br />

sie die Buchseiten zu deren Stabilisierung mit<br />

durchschimmernd-dünnem Japanpapier. Die einzelnen<br />

Seiten trocknen auf großen Gitterablagen<br />

und werden zwischen weißen Küchenbrettern<br />

gepresst; die patentierte Werkstatt ist so gebaut,<br />

dass sich große Mengen Blätter auf schonende<br />

Weise wieder nutzbar machen lassen.<br />

Stolz zeigt die junge Buchrestauratorin auf einen<br />

Tisch, der die Monatsproduktion von 5000 Blättern,<br />

teils mit Gewichten beschwert, teils zwischen<br />

Schraubklemmen gezwängt, trägt. Mit welchem<br />

Buch sie gerade beschäftigt ist, kann sie gar nicht<br />

sagen. Ulrike Hähner vom wissenschaftlichen Beirat<br />

fordert, die Werkstatt zu erhalten: „Was wir in<br />

Deutschland brauchen, ist, die Methoden, in die viel<br />

Geld und wissenschaftliches Knowhow geflossen<br />

sind, zu erhalten und zu entwickeln.“<br />

Es folgt die Versiegelung der Seiten. Nach dem Trocknen schließlich werden die<br />

Seiten auf einem Leuchttisch gefalzt, geprüft und zur <strong>Digitalisierung</strong> freigegeben.<br />

In ihrem im Erdgeschoss der Herzogin Anna Amalia<br />

Bibliothek gelegenen Büro hält Kirsten Krumeich<br />

die Statistik auf dem neuesten Stand. Denn<br />

noch ist unklar, wie viele der schwer beschädigten<br />

Aschebücher, die im Außenmagazin lagern,<br />

restaurierbar sind. Genauere Zahlen und Pläne<br />

sollen bis zum Jahresende vorliegen. Vorrangig<br />

kümmert sich die wissenschaftliche Mitarbeiterin<br />

aber um die <strong>Digitalisierung</strong> der bereits restaurierten<br />

Aschebücher. Handelt es sich um eine<br />

Handschrift oder einen Druck, der nur einmal in<br />

der Sammlung steht, wird das Werk von einem<br />

beauftragten Fachunternehmen eingescannt.<br />

Seite für Seite ist es im Internet zu betrachten und<br />

steht so der Forschung wieder zur Verfügung. Das<br />

schont zugleich das Original, das nur im Ausnahmefall<br />

im Sonderlesesaal eingesehen werden darf:<br />

„Es geht sowohl darum, wertvolles historisches<br />

Kulturgut zu erhalten, als auch für den Gebrauch<br />

durch ein großes Publikum die technischen Erfordernisse<br />

zu entwickeln und bereitzustellen.“<br />

Und die Weimarer gehen noch einen Schritt weiter.<br />

Mit einem speziellen Programm geben sie einen<br />

Teil der digitalisierten Werke zur interaktiven Nutzung<br />

frei. Unter der Rubrik „unvollständige und<br />

nicht identifizierte Aschebücher“ zeigt die Bibliothek<br />

auf ihrer Internetseite das vorhandene Material<br />

und bittet, die fehlenden Seiten zu ergänzen und<br />

Hinweise über die Herkunft <strong>des</strong> Werkes und seinen<br />

Autor zu liefern – in einem Blog. Jürgen Weber<br />

bezeichnet diese Möglichkeit als „Meilenstein“ in<br />

der <strong>Digitalisierung</strong> fragmentierter Bücher.<br />

Wie Phönix aus der Asche: Der Blick in das Innere <strong>des</strong> Gebäu<strong>des</strong> zeigt die ganze Pracht der wieder hergestellten Bibliothek.<br />

Überall stehen Bücher – auch die Treppenaufgänge sind durchzogen von Regalen. Zu jeder Tages- und Nachtzeit entfaltet<br />

„Anna Amalia“ ihren ganz eigenen Charme. Wer einmal dort war, ist davon gefangen.<br />

Tatsächlich konnte das Rätsel um den Inhalt <strong>des</strong><br />

graublauen Kartons gelöst werden. Bei einer<br />

Testphase <strong>des</strong> interaktiven Portals gab es im<br />

April und Mai ein unerwartet starkes Echo auf<br />

35 unbekannte Titel, erzählt Kirsten Krumeich.<br />

Ein anonymer Hinweis führte die Mitarbeiter<br />

der Bibliothek auf die richtige Spur: Bei dem<br />

Am 7. November 2012 veranstaltete die Herzogin<br />

Anna Amalia Bibliothek mit Unterstützung<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> eine Tagung zu<br />

Fragen der digitalen Sicherung und zu neuen<br />

Wegen der Identifizierung und Rekonstruktion<br />

beschädigter Werke. Im Detail diskutierten<br />

die Teilnehmer die besonderen Anforderungen<br />

an die Bestandserhaltung nach Unglücksfällen<br />

und die Möglichkeiten einer digitalen<br />

Präsentation stark geschädigten Schriftguts.<br />

In den beiden Panels „Sicherung“ und „Identifizierung“<br />

erörterten sie entsprechende<br />

Arbeitsabläufe und technische Konzepte.<br />

Spannend wurde es, als es um neue Wege der<br />

virtuellen Rekonstruktion und Rekontextualisierung<br />

ging. Hier trafen die Erfahrungen der<br />

Mitarbeiter der Weimarer Bibliothek auf die<br />

ihrer Kollegen vom Historischen Archiv der<br />

Stadt Köln und von der Projektgruppe „Virtuelle<br />

Rekonstruktion“ beim Bun<strong>des</strong>beauftragten<br />

für die Unterlagen <strong>des</strong> Staatssicherheitsdienstes<br />

in Berlin. Mit ihnen diskutierten<br />

Vertreter weiterer Bibliotheken und Archive.<br />

Buch handelt es sich um einen Fürstenratgeber<br />

von François Perrot aus dem Jahr 1586. Nun sind<br />

zwar beide Teile getrennt voneinander restauriert<br />

und gebunden. Doch digital kann man sie<br />

in Zukunft gemeinsam betrachten.<br />

Isabel Fannrich-Lautenschläger<br />

Kolloquien „Bestandserhaltung digital“ und „Mengenschäden“<br />

Der Umgang mit Mengenschäden war das<br />

zentrale Thema eines Kolloquiums, das am<br />

24. September 2011 ebenfalls in der Herzogin<br />

Anna Amalia Bibliothek stattfand und<br />

an dem über hundert Fachleute aus fünf<br />

Ländern teilnahmen. Bei der Veranstaltung<br />

wurden die Ergebnisse <strong>des</strong> von der Stiftung<br />

geförderten Projekts näher vorgestellt.<br />

Der Fokus lag dabei auf der Entwicklung neuer<br />

Methoden für eine Massenbehandlung beim<br />

Brand geschädigter Ledereinbände; circa 7500<br />

solcher Werke galt es zu restaurieren. Insbesondere<br />

gelang es, Erfahrungen aus der Papierrestaurierung<br />

auf die Ledereinbandrestaurierung<br />

zu übertragen und so ein neues Standardverfahren<br />

zu etablieren. Neben ganz praktischen<br />

Fragen – etwa zur Ästhetik – standen auch<br />

erforderliche interdisziplinäre Herangehensweisen<br />

zur Lösung spezifischer Probleme im<br />

Vordergrund. So wurde intensiv über Schadensbilder<br />

und Restaurierungskonzepte aus<br />

den Bereichen der Lederarchäologie und der<br />

Restaurierung von Ledertapeten diskutiert. cj<br />

50 Impulse 2013 51


„Die digitale Welt adressiert nicht mehr die Wenigen, wir<br />

reden hier über potenziell mehr als zwei Milliarden Leser! Sie<br />

sind die Herausforderung, der auch wir uns stellen müssen“,<br />

setzt Gerhard Lauer ein Ausrufezeichen.<br />

„Die neuen<br />

Bürger der<br />

Gelehrtenrepublik“<br />

Die <strong>Digitalisierung</strong> bringt wissenschaftliche<br />

Inhalte auf vielfältige,<br />

auch neue Weise zum Sprechen.<br />

Informationen werden schlagartig<br />

einer globalen Öffentlichkeit<br />

zugänglich. Ein Gespräch mit<br />

dem Göttinger Literaturwissenschaftler<br />

Professor Gerhard Lauer<br />

zu den Digital Humanities.<br />

Impulse 2013 53


Geisteswissenschaftliches Arbeiten ändert sich rapide. Dank Internet hat<br />

der Forscher Zugang zu unzähligen digitalisierten Büchern und Archivalien<br />

in Bibliotheken, Museen und Archiven – von den riesigen und ständig<br />

wachsenden Datenbanken der Alltagskultur etwa auf Facebook ganz zu<br />

schweigen. Doch die Entwicklung geht noch weiter. In den „Digital Humanities“<br />

werden verstärkt Computerprogramme zur Analyse geisteswissenschaftlicher<br />

Forschungsobjekte eingesetzt. Seit Juli 2011 wird an der<br />

Universität Göttingen mit Mitteln aus dem Niedersächsischen Vorab der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> das „Göttingen Center for Digital Humanities (GCDH)“<br />

aufgebaut. Professor Dr. Gerhard Lauer ist der geschäftsführende Direktor.<br />

Mit ihm sprach Vera Szöllösi-Brenig.<br />

Herr Lauer, Sie sind Literaturwissenschaftler heute.<br />

Welche Fragen wird sich der Literaturwissenschaftler<br />

der Zukunft stellen, was wird er anders machen<br />

als bislang?<br />

Noch vor wenigen Jahrzehnten war es aufregend,<br />

eine Bibliografie mit einem Telefonkoppler automatisiert<br />

durchsuchen zu können. Heute ist es<br />

Alltag, Bibliothekskataloge überall auf der Welt<br />

mittels Computer zu durchleuchten. Und auf digitale<br />

Editionen wird wie selbstverständlich zurückgegriffen,<br />

als hätte es diese immer schon gegeben.<br />

In den nächsten Jahren wird das alles nicht nur<br />

für Texte möglich sein, sondern auch für Bilder,<br />

Filme und Objekte – beispielsweise wird gerade<br />

eine Technologie erprobt, wie sich Informationen<br />

aus Fernsehsendungen, die in den Archiven der<br />

Sender lagern, für an bestimmten Inhalten interessierte<br />

Nutzer via Internet bereitstellen lassen. In<br />

Metakatalogen wie der Europeana werden heute<br />

schon – ein anderes Beispiel – unterschiedliche<br />

Sammlungen zusammengeführt und Bilder und<br />

Texte miteinander verknüpft.<br />

Das alles ändert die Relationen, in denen wir kulturelle<br />

Hervorbringungen wahrnehmen und wissenschaftlich<br />

bearbeiten. Wenig beachtete Werke,<br />

Spezialsammlungen oder Verbindungen zwischen<br />

Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte treten<br />

plötzlich hervor. Das verschiebt die vertrauten<br />

kulturellen Hierarchien und Kanones. Schließlich<br />

kommen neue Methoden hinzu, die bislang nicht<br />

zum Inventar <strong>des</strong> Faches zählen – etwa Statistik<br />

oder Stylometrie. Sie erlauben Untersuchungen,<br />

die noch vor Kurzem als unmöglich gelten mussten.<br />

Weil immer mehr Literaturwissenschaftler<br />

und -wissenschaftlerinnen solche Methoden und<br />

Ansätze verwenden, gehe ich davon aus, dass die<br />

<strong>Digitalisierung</strong> das Gegenstandsfeld nicht nur in<br />

den Literaturwissenschaften nachhaltiger verändern<br />

wird, als dies gegenwärtig vielen von uns<br />

bewusst ist.<br />

Spötter behaupten, dass die Literaturwissenschaftler<br />

in Zeiten der „Digital Humanities“ zum Wörterzählen<br />

verkommen ...<br />

Zum einen sind die Digital Humanities aus der<br />

ganz klassischen Auseinandersetzung mit einzelnen,<br />

zumeist hochkanonischen Werken hervorgegangen.<br />

Die Edition der Parzival- oder Faust-Handschriften<br />

sind dafür Beispiele, in der Musik die<br />

digitale Mozart-Ausgabe, in der Kunstgeschichte<br />

die Leonardo da Vinci-Edition, in der <strong>Wissens</strong>chaftsgeschichte<br />

Darwin online, in der Theologie<br />

die Thomas-Ausgabe. Zum anderen aber urteilen<br />

solche Spötter nicht nur in Unkenntnis der jahrzehntelangen<br />

Auseinandersetzung mit Werken,<br />

sondern ebenso in Unkenntnis, was Datenmodellierung,<br />

formale Modelle und Statistik zu leisten<br />

vermögen – eine typische Überheblichkeit mancher<br />

Geisteswissenschaftler gegenüber den in<br />

den Naturwissenschaften gängigen Methoden.<br />

Niemand nehme schließlich an, hält Lauer kritischen Geisteswissenschaftlern entgegen, dass<br />

etwa ein Astrophysiker sich nicht mehr unmittelbar für Sterne und Weltall interessiere, nur weil<br />

digital gestützte Methoden zentraler Teil seines wissenschaftlichen Arbeitens geworden sind.<br />

Wörterzählen gehört zu den sinnvollen Methoden<br />

der Textwissenschaften. Man kann mit intelligent<br />

konzipierten Wortfrequenzlisten die stilistische<br />

Besonderheit eines Heinrich von Kleist ermitteln<br />

oder die Unterschiedlichkeit von weiblichen und<br />

männlichen Autoren zu einer historischen Zeit<br />

bestimmen. Diese nicht-hermeneutischen Methoden<br />

sind in der Linguistik akzeptierte Verfahren,<br />

in der Literaturwissenschaft werden sie es in den<br />

nächsten Jahren werden.<br />

Wenn ich Sie recht verstehe, dann wird künftig das<br />

einzelne Buch eines großen Autors wie Goethe oder<br />

Schiller für den Literaturwissenschaftler zunehmend<br />

an Bedeutung verlieren. Was bedeutet das für das<br />

Fach? Tragen Sie dadurch nicht zum Verlust <strong>des</strong><br />

Kanons bei?<br />

Der Kanon – darunter verstehen wir ja zusammengefasst<br />

jene Werke der Literatur, die herausgehobenen<br />

Wert haben sollen – wird sich<br />

ändern, wie er sich schon immer geändert hat.<br />

Es wird weiterhin die Ausgaben der großen<br />

Werke geben, aber dazu kommt das, was man<br />

mit dem Klassischen Philologen Gregory Crane<br />

die „million books situation“ nennen kann.<br />

Wir können erstmals in der Fachgeschichte der<br />

„Trotz aller digitalen Möglichkeiten:<br />

Nur wer viel liest, hat ein<br />

Wissen über Texte; nur wer viele<br />

Bücher studiert hat, wird eine<br />

präzise Textanalyse erarbeiten<br />

können“, sagt Gerhard Lauer.<br />

Literaturwissenschaften nicht nur eine überschaubare<br />

Zahl von ein paar hundert Büchern<br />

wissenschaftlich bearbeiten, sondern Millionen<br />

Bücher, wie sie in den Korpora etwa von Google<br />

Books, vor allem aber in den digitalisierten<br />

Buch- und Drucksammlungen der Bibliotheken<br />

bereitliegen.<br />

Jetzt sehen wir zum Beispiel, dass im Jahr 1809<br />

nicht nur Goethes „Wahlverwandtschaften“<br />

erschienen sind, sondern rund hundert weitere<br />

deutsche Romane. Wir können das mit den<br />

Korpora der anderen europäischen Literaturen<br />

vergleichen und besser ermitteln, welches die<br />

Besonderheiten etwa der deutschen im Unterschied<br />

zur französischen, italienischen oder englischen<br />

Literaturgeschichte sind. Das ändert die<br />

Gewichte uns vertrauter Werke und verschiebt<br />

den Kanon. Aber das Ergebnis wird nicht sein,<br />

dass alle Werke gleich grau sind. Im Gegenteil:<br />

Wir werden vielfach erst dann genauer verstehen,<br />

was die Einzigartigkeit etwa der „Wahlverwandtschaften“<br />

ausmacht. Nur Laien glauben,<br />

dass Statistik alles nivelliert. Das Gegenteil ist<br />

richtig: Es kommt auf die Unterschiede an, also<br />

auf Eigenheiten von Texten, die letztlich die<br />

ihrer Autoren und Leser sind.<br />

54 Impulse 2013 55


Der Generalsekretär<br />

der Volkswagen-<br />

Stiftung Dr. Wilhelm<br />

Krull moderierte die<br />

Diskussion bei dem<br />

bislang größten internationalenFachkongress<br />

zum Thema.<br />

Unterstützt von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>, wurde im Juni 2012 in Hamburg ein „Regionalverband Digital Humanities Deutschland<br />

(DHD)“ unter dem Dach der Association for Literary and Linguistic Computing gegründet. Die Teilnehmer der Veranstaltung diskutierten<br />

die vielfältigen Auswirkungen computergestützter Verfahren speziell auf geisteswissenschaftliches Arbeiten.<br />

Bleiben wir bei der möglichen Verlustseite durch die<br />

Digital Humanities. Teilen Sie die Befürchtung, dass<br />

der Literaturwissenschaftler der Zukunft nicht mehr<br />

„lesen“, also verstehen, interpretieren kann? Oder ist<br />

das zu kulturpessimistisch?<br />

Über die digitale Welt kann man nicht reden,<br />

ohne dass die kulturphilosophischen Gemeinplätze<br />

einrasten. Nur wer viel liest, hat ein Wissen<br />

über Texte; nur wer viele Bücher studiert hat,<br />

wird eine präzise Textanalyse erarbeiten können:<br />

ob mit oder ohne Statistik. Das gilt weiterhin.<br />

Niemand nimmt ja an, dass Astrophysiker sich<br />

nicht mehr für Sterne und das Weltall interessieren,<br />

nur weil dort digital gestützte Methoden<br />

untrennbarer Bestandteil wissenschaftlichen<br />

Arbeitens sind. So wie dort genaue Beobachtung<br />

und Kenntnisse zählen, so ist das auch in einer<br />

geisteswissenschaftlichen Disziplin wie der Literaturwissenschaft<br />

der Fall. In einem historisch<br />

derart (selbst-)bewussten Fach wie der Klassischen<br />

Philologie arbeitet heute fast jeder mit den<br />

digitalen Ausgaben, Wörterbüchern und Übersetzungen<br />

der „Perseus Digital Library“. Und das<br />

Ergebnis ist, dass mehr klassische Texte gelesen<br />

werden – und zwar schon von den Studierenden<br />

in den ersten Semestern.<br />

Die Nachfrage etwa nach der digitalen Mozart-<br />

Ausgabe (http://dme.mozarteum.at/DME/main/<br />

index.php?l=) ist weltweit so groß, dass der Server<br />

die Hundertausenden von Anfragen oft nicht<br />

abarbeiten kann. Akademie-Vorhaben zu historischen<br />

Inschriften haben – kaum dass sie im Netz<br />

zugänglich sind – Tausende von Abfragen. Vorher<br />

lagen die Nachfragen gerade einmal im zweistelligen<br />

Bereich. Die digitale Welt adressiert nicht<br />

mehr die Wenigen, wir reden hier über potenziell<br />

mehr als zwei Milliarden Leser. Sie sind die Herausforderung,<br />

der wir uns stellen müssen, nicht<br />

die Wiederholung der Urteilsroutinen aus der<br />

Tradition der deutschen Kulturphilosophie.<br />

Werden sich auch Ihre Tätigkeit und Ihr Selbstverständnis<br />

als Literaturwissenschaftler ändern?<br />

Ja, wenn auch nur langsam. An der Art und Weise,<br />

wie sich die Sprachwissenschaft zur modernen<br />

Linguistik wandelt, kann mein Fach, die Literaturwissenschaft,<br />

ganz gut studieren, wie sich<br />

dieser Wandel vollziehen dürfte. Dabei ist allerdings<br />

zu bedenken, dass der disziplinäre Umbau<br />

nur zu einem Teil von der digitalen Modernisierung<br />

angetrieben wird. Min<strong>des</strong>tens ebenso wird<br />

er von den veränderten Bildungsvorstellungen<br />

in unserer Gesellschaft forciert, den anderen<br />

Medien, dem demografischen Wandel oder auch<br />

der Internationalisierung unserer Studenten, die<br />

in den nächsten Jahren spürbar die Geisteswissenschaften<br />

erreichen wird. Wir können nicht<br />

mehr als die Hüter <strong>des</strong> kulturellen Erbes auftreten,<br />

wie es noch eine Fachtradition tun konnte,<br />

die selbstverständlich davon ausging, dass ohne<br />

Reflexion auf das Mittelalter oder auf Goethe die<br />

deutsche Nation nicht weiß, wer sie ist. Wir sind<br />

auch nicht die Pfleger <strong>des</strong> „seltenen Sinns für die<br />

Wenigen“ – in Anlehnung an Stendhals berühmte<br />

Widmung „to the happy few“, wie es immer<br />

noch im Fach kultiviert wird. Aber noch dominiert<br />

dieses Selbstverständnis.<br />

Wenn Bücher, Bilder, Filme und Töne in Zukunft „nur<br />

noch“ Daten sind – gibt es ein Szenario für interdisziplinäres<br />

Arbeiten?<br />

Daten sind ja nicht Informationen und als pure<br />

Daten auch noch nicht etwas Verstandenes. Aber<br />

als digitale Daten können sie auf einer noch vor<br />

Kurzem kaum vorstellbaren Weise miteinander<br />

verknüpft werden – und das in einem Maßstab,<br />

den wir uns ebenfalls kaum vorstellen können.<br />

Das verändert das Verhältnis der Fächer wie<br />

ihrer Objekte zueinander. Passagen aus der<br />

Musik lassen sich mit Passagen aus der Literatur<br />

vergleichen, um etwa einen bestimmten romantischen<br />

Duktus zu identifizieren; zu Beginn <strong>des</strong><br />

19. Jahrhunderts vom Protodarwinisten Johann<br />

Friedrich Blumenbach niedergeschriebene Beobachtungen<br />

zum Verhalten von Primaten können<br />

mit zeitgenössischen anderen Naturbeschreibungen<br />

verlinkt und auch mit heutigen Betrachtungen<br />

verknüpft werden. Um die Namen der<br />

Mit den vielfältigen Auswirkungen computergestützter<br />

Verfahren speziell auf die Geisteswissenschaften<br />

befasste sich im Juni 2012 in<br />

Hamburg der bislang größte internationale<br />

Fachkongress zu den „Digital Humanities“.<br />

Grundlegen<strong>des</strong> Ziel sei es, die wissenschaftliche<br />

Community der digitalen Geisteswissenschaften<br />

in Deutschland international<br />

sichtbar zu machen, sagte der Organisator <strong>des</strong><br />

Kongresses Professor Dr. Jan Christoph Meister<br />

von der Universität Hamburg.<br />

Als eines der zentralen Themen wurde erörtert,<br />

wie sich die digitalen Medien für die Aufzeichnung<br />

und statistische Auswertung von<br />

Gesprächen, Texten und Filmen einsetzen lassen.<br />

Auch diskutierten die gut 500 Teilnehmer<br />

über unmittelbare Effekte der <strong>Digitalisierung</strong><br />

von Daten: etwa die im Vergleich zu analogen<br />

sechs Millionen ermordeten Juden zu ermitteln,<br />

werden heute schon Steuerlisten und KZ-Listen,<br />

Bilddatenbanken und Tagebücher, Verzeichnisse<br />

von Gedenkstätten und Aufzeichnungen von<br />

Überlebenden miteinander verknüpft. Und damit<br />

ist nur ein kleiner Ausschnitt einer neuen disziplinären<br />

Struktur umrissen, die natürlich auch<br />

die Grenze zu Fächern wie der Bioinformatik<br />

umgreift. Ein neues Szenario ist im Entstehen<br />

begriffen; es liegt an uns, es zu gestalten.<br />

Bücher waren in der Vergangenheit mehr als Buchdeckel,<br />

zwischen denen Geschichten schlummern – in<br />

Büchern hat die Menschheit ihr Wissen gespeichert<br />

und vor allem geordnet. Wie wird das in Zukunft<br />

sein, wenn unser Wissen in Datenbanken ruht?<br />

Es gibt Bücher, und es gibt Datenbanken. Wie<br />

so oft bei neuen Medien treten diese neben<br />

die alten. Daher ändert sich auch die Zahl der<br />

intensiven Leser seit Jahrzehnten nur unwe-<br />

Digitale Geisteswissenschaften in Deutschland etabliert<br />

Verfahren enorm gestiegene Speicherkapazität.<br />

Entsprechend waren digitale Archive und<br />

der Umgang mit ihnen ein wichtiges Thema<br />

– und nicht zuletzt gerade daraus abgeleitet,<br />

dass sich nach Meinung aller im Zuge der<br />

<strong>Digitalisierung</strong> neue geisteswissenschaftliche<br />

Forschungsfelder auftun würden.<br />

Unterstützt von der <strong>VolkswagenStiftung</strong>, wurde<br />

im Vorfeld der Veranstaltung ein „Regionalverband<br />

Digital Humanities Deutschland<br />

(DHD)“ unter dem Dach der Association for<br />

Literary and Linguistic Computing gegründet.<br />

Der DHD wird als regionale Organisation<br />

sowohl Forum als auch formelle Interessenvertretung<br />

sein für Forscherinnen und Forscher,<br />

die sich im deutschsprachigen Raum in<br />

Forschung und Lehre im Arbeitsfeld der Digital<br />

Humanities engagieren. cj<br />

56 Impulse 2013 57


sentlich. Daraus entstehen nicht nur neue<br />

Strukturen, in denen Wissen prozessiert. Vielmehr<br />

werden Bücher nur ein Speicherformat<br />

neben derzeit bereits vielen anderen, nicht nur<br />

digitalen Speicherformaten sein. Krankenakten<br />

sind schon lange eine wichtige Datenquelle<br />

und doch kein Buch. Die Schwierigkeit besteht<br />

heute eher darin, dass die digitale Modernisierung<br />

in vielen Feldern wie insbesondere<br />

im Recht dringend Anpassungen verlangt,<br />

mit denen wir kaum nachkommen. In Datenbanken<br />

abgelegtes Wissen über Krankheiten<br />

ist ein Beispiel dafür. Wer darf unter welchen<br />

Regeln über wen aus solchen Datenbanken<br />

Informationen gewinnen? Hier brauchen wir<br />

Regularien, und die können nicht einfach die<br />

Fortschreibung bekannter sein.<br />

Der amerikanische Vordenker Kevin Guthrie von der<br />

Zeitschriftenplattform ITHAKA sieht das „Ende <strong>des</strong><br />

akademischen Ökosystems“ voraus. Geisteswissenschaftler<br />

müssten künftig mit dem interessierten<br />

Laien kommunizieren. Wie sehen Sie das?<br />

Ich hoffe, er hat recht. Dass sich die kalifornischen<br />

Universitäten gegen die strangulierende Preispolitik<br />

<strong>des</strong> Oligopols der <strong>Wissens</strong>chaftsverlage<br />

wehren oder jüngst gerade erst die Mathemati-<br />

Vom 21.-23. November 2013 veranstaltet die<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> im wiedererrichteten<br />

Schloss Herrenhausen eine Herrenhäuser<br />

Konferenz zum Thema „Digital Humanities“.<br />

Ziel der Veranstaltung ist ein interdisziplinärer<br />

Dialog zwischen ausgewiesenen<br />

Protagonisten auf diesem Gebiet und eher<br />

„klassisch“ verorteten Geisteswissenschaftlern.<br />

Es soll zum einen erörtert werden, wie<br />

eine gleichermaßen digitale und klassische<br />

Methoden integrierende Geisteswissenschaft<br />

künftig aussehen könnte. Des Wei-<br />

sche Fakultät der TU München die Abonnements<br />

der unzumutbar verteuerten Zeitschriften <strong>des</strong><br />

Elsevier-Verlags gekündigt hat, zeigt ebenso wie<br />

das Aufkommen von <strong>Wissens</strong>chaftsblogs und<br />

anderen Formaten, dass hier ein neues Selbstbewusstsein<br />

der <strong>Wissens</strong>chaften – genauer: ihrer<br />

Akteure – entsteht. Das hat zum Teil mit der digitalen<br />

Revolution zu tun, aber min<strong>des</strong>tens ebenso<br />

mit dem rasanten Anstieg der <strong>Wissens</strong>chaften<br />

zu einer immer schneller wachsenden Instanz,<br />

die immer weitere Lebensbereiche durchdringt.<br />

Das akademische Ökosystem ähnelt aber noch<br />

sehr dem aus der Mitte <strong>des</strong> 19. Jahrhunderts, als<br />

sich die modernen Naturwissenschaften von den<br />

Geisteswissenschaften zu lösen begannen. Wir<br />

müssen anfangen, die interessierten Laien und<br />

vor allem unsere Studenten nicht als die Abhängigen<br />

in der Gelehrtenrepublik zu behandeln,<br />

sondern als deren Bürger. Das hat viel mit den<br />

digitalen Möglichkeiten zu tun, die uns Chancen<br />

eröffnen, Konzepte dafür zu entwickeln, wie wir<br />

sie als Bürger ernst nehmen können. Es ist dieser<br />

Wandel der Akteure, den wir in Schulen und Universitäten,<br />

Fakultäten und Fächern erst noch zu<br />

erbringen haben, und die Aufgabe, an der uns die<br />

Gesellschaft messen wird.<br />

Herr Lauer, herzlichen Dank.<br />

Herrenhäuser Konferenz zum Thema „Digital Humanities“<br />

teren geht es um die Frage, welche Auswirkungen<br />

der Medienwandel auf die Arbeit<br />

und das Selbstverständnis der Geisteswissenschaften<br />

der Zukunft hat – der Aspekt<br />

von <strong>Wissens</strong>gewinn und <strong>Wissens</strong>verlust<br />

schwingt hier als ein Gedanke mit. Ganz<br />

konkret dient die Konferenz aber auch der<br />

Netzwerkbildung und dem <strong>Wissens</strong>transfer<br />

zwischen den Disziplinen mit Blick auf<br />

entwickelte, gut funktionierende und schon<br />

etablierte Ansätze, Methoden und Tools im<br />

Bereich der Digital Humanities. cj<br />

Stiftungsmitarbeiterin Dr. Vera Szöllösi-Brenig und Gerhard Lauer freuen sich auf die Konferenz<br />

zu den „Digital Humanities“ Ende 2013 im wieder aufgebauten Schloss Herrenhausen in Hannover.<br />

Beide sind vor allem gespannt darauf, wie sich der Dialog gestalten wird zwischen ausgewiesenen<br />

Protagonisten der „Digital Humanities“ und eher „klassisch“ verorteten Geisteswissenschaftlern.<br />

Professor Gerhard Lauer lehrt seit 2002 Deutsche<br />

Philologie an der Universität Göttingen. Schwerpunkte<br />

seiner Forschung sind die Literaturgeschichte,<br />

die kognitiven Voraussetzungen der Literatur, die<br />

experimentelle Leseforschung und die Anwendung<br />

computergestützter Methoden in den Geisteswissenschaften<br />

– also die „Digital Humanities“. Insbesondere<br />

treibt ihn das Thema Literatur und Literaturvermittlung<br />

im Zeitalter der <strong>Digitalisierung</strong> um.<br />

Hat Deutsch als <strong>Wissens</strong>chaftssprache eine Zukunft?<br />

Welche Konsequenzen hat die Rolle <strong>des</strong> Englischen<br />

als einer Lingua franca? In welcher<br />

Sprache wird in den verschiedenen <strong>Wissens</strong>chaften<br />

kommuniziert, und welches Interesse<br />

hat die Gesellschaft an der Sprachwahl? Gibt<br />

es dabei eine individuelle Verantwortung und<br />

Entscheidungsmöglichkeit? – Im Rahmen ihres<br />

Programms „Deutsch plus – <strong>Wissens</strong>chaft<br />

ist mehrsprachig“ förderte die Stiftung eine<br />

Tagung zu „Deutsch in der <strong>Wissens</strong>chaft“. In<br />

der Akademie für Politische Bildung in Tutzing<br />

debattierten dazu namhafte Persönlichkeiten:<br />

Welche Fragen wird sich der<br />

Literaturwissenschaftler der<br />

Zukunft stellen? – Eines der zentralen<br />

Themen der Diskutanten.<br />

Dr. Vera Szöllösi-Brenig ist als Förderreferentin bei<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> zuständig für die Sprachwissenschaften,<br />

Kommunikations- und Medienwissenschaften<br />

sowie für Kunst-, Musik- und Theaterwissenschaft.<br />

Im Förderteam „Herausforderungen<br />

– für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“ beobachtet<br />

sie unter anderem die Entwicklung in den „Digital<br />

Humanities“; auch betreut sie die Initiative „Schlüsselthemen<br />

für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“.<br />

etwa Jürgen Trabant, Peter Strohschneider und<br />

Horst Bredekamp aus der Sicht der <strong>Wissens</strong>chaft<br />

sowie vonseiten der Politik unter anderem<br />

Bun<strong>des</strong>tagspräsident Norbert Lammert,<br />

Bun<strong>des</strong>tagsvizepräsident Wolfgang Thierse<br />

und Justizministerin Sabine Leutheusser-<br />

Schnarrenberger. Die vorgetragenen Analysen,<br />

Positionen, Argumente und Erfahrungen sind<br />

jetzt in einem Sammelband erschienen. Das<br />

Buch „Deutsch in der <strong>Wissens</strong>chaft“ von H.<br />

Oberreuter, W. Krull, H. J. Meyer, K. Ehlich (Hrsg.)<br />

ist erschienen im Olzog Verlag München, 2012.<br />

58 Impulse 2013 59


Wie muss Forschung präsentiert werden, damit sie in der<br />

schnell getakteten Internetwelt wahrgenommen wird?<br />

Welchen Einfluss haben moderne digitale Hilfsmittel auf die<br />

Qualität der Präsentationen? Daran forscht Professor Henning<br />

Lobin – und darüber diskutiert er mit seinen Studierenden.<br />

Hierarchien<br />

schwinden<br />

Digitale Medien verändern<br />

die Kommunikation auch in<br />

der <strong>Wissens</strong>chaft. Mehr noch:<br />

Durch den direkten Dialog über<br />

Blogs, Mailinglisten oder Twitter<br />

durchbrechen junge Forscher<br />

die starren sozialen Strukturen<br />

<strong>des</strong> <strong>Wissens</strong>chaftsbetriebs.<br />

Impulse 2013 61


Unsere Welt wird komplexer, digitaler, vernetzter. Web 2.0 beeinflusst den<br />

Alltag vieler Menschen, die Aktienmärkte – und die <strong>Wissens</strong>chaft. Wie sich<br />

Forschung und digitale Welt durchdringen, welche Auswirkungen die neuen<br />

digitalen Medien auch auf die innerwissenschaftliche Kommunikation<br />

haben: Damit setzte sich ein Forschernetzwerk an sechs Hochschulstandorten<br />

auseinander. In einem sich wechselseitig beeinflussenden Prozess<br />

erwachsen daraus wiederum neue Ansätze für Forschung – sofern Forscher<br />

lernen, ihr Wissen in das digitale Netz einzuspinnen.<br />

Henning Lobin steht vor einer grünen Leinwand<br />

und wirkt – bei aller Souveränität – ein klein<br />

wenig irritiert. In der Hand einen Notizzettel,<br />

vermittelt der Professor für Angewandte Sprachwissenschaft<br />

und Computerlinguistik an der Universität<br />

Gießen seine Eindrücke zu den Vorträgen,<br />

die er über den Tag verteilt gehört hat. Mal geht<br />

er einen Schritt nach rechts, mal nach links und<br />

schnell wieder zurück. Hoch konzentriert und für<br />

einen eigentlich alltäglichen Kommentar unter<br />

Kollegen erstaunlich angespannt. Der Grund: Der<br />

Leiter <strong>des</strong> Forschungsverbunds „Interactive Science<br />

– interne <strong>Wissens</strong>chaftskommunikation über<br />

digitale Medien“ ist gerade in diesem Moment Teil<br />

eines Experiments, das eigentlich jedoch eine wissenschaftliche<br />

Tagung ist …<br />

Das klingt etwas verwirrend? Nun, für eine<br />

erste, schnelle Aufklärung sorgt bereits der<br />

Tagungstitel: „Die Performance der Lecture<br />

im Netz“. Ziel der Veranstalter ist es zu untersuchen,<br />

wie sich die Kommunikation in der<br />

<strong>Wissens</strong>chaft in Zeiten von Internetportalen,<br />

Journalen für Open Peer Review, Blogs, Sozialen<br />

Netzwerken und Twitterfeeds wandelt. Und<br />

sie interessiert, wie die <strong>Wissens</strong>chaft diesen<br />

Wandel nutzen kann. Wie beispielsweise muss<br />

Forschung präsentiert werden, damit sie in der<br />

schnell getakteten Internetwelt wahrgenommen<br />

wird? Welchen Einfluss haben moderne<br />

digitale Hilfsmittel auf die Qualität der Präsentationen<br />

– ist etwa PowerPoint Fluch oder<br />

Segen für die wissenschaftliche Präsentationskultur?<br />

Wie wandelt sich die <strong>Wissens</strong>chaft<br />

durch den Mediengebrauch und das Kommunikationsverhalten<br />

jener – vor allem jüngerer –<br />

Menschen, für die Twittern so selbstverständlich<br />

ist wie Telefonieren? Im Rahmen eines<br />

2012 beendeten Vorhabens in der Initiative<br />

„Schlüsselthemen für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“<br />

haben Forscher aus Gießen, Trier, Essen,<br />

Hamburg und Wien in den vergangenen vier<br />

Jahren als Netzwerk ein Netzwerk erforscht<br />

– von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> gefördert mit<br />

rund einer Million Euro.<br />

Unterschiedliche Generationen im <strong>Wissens</strong>chaftsbetrieb: Wie<br />

wandelt sich die <strong>Wissens</strong>chaft durch den Mediengebrauch und<br />

das Kommunikationsverhalten jener – vor allem jüngerer – Forscherinnen<br />

und Forscher, für die Twittern so selbstverständlich ist<br />

wie Telefonieren? Das interessiert Sabine Heymann, Geschäftsführerin<br />

<strong>des</strong> ZMI Gießen, und Kollegin Vera Ermakova (rechts).<br />

Vortragsformate für das Internet müssen sich stark ändern, wol-<br />

len sie erfolgreich sein. Es stellt sich die Frage: Was bleibt letztlich<br />

von einem Vortragsszenario übrig, bei dem man einfach nur eine<br />

Kamera mitlaufen lässt und den Mitschnitt ins Internet stellt? Die<br />

Antwort ist ernüchternd: Vieles entgeht der Aufmerksamkeit.<br />

Einen kleinen Einblick, wie sich dieses Konsortium<br />

aus Medien-, Kultur-, Politik-, Sprach- und<br />

Theaterwissenschaftlern dem komplexen<br />

Zusammenspiel aus digitaler Welt und <strong>Wissens</strong>chaft<br />

genähert hat, gewährt die Szene mit<br />

Henning Lobin an der grünen Leinwand: Vor ihm<br />

sitzen die Veranstaltungsteilnehmer an Tischen,<br />

und auf der gegenüberliegenden Seite <strong>des</strong> Saales<br />

sieht er sich selbst auf einem Monitor agieren –<br />

projiziert in den aufgezeichneten Vortrag einer<br />

Referentin der Tagung. Auf diesen Vortrag, in<br />

dem er sich sozusagen bewegt, beziehen sich seine<br />

Kommentare. Und auch die Sprecherin stand<br />

vor wenigen Stunden vor derselben grünen<br />

Leinwand und sah sich selbst auf der anderen<br />

Seite <strong>des</strong> Saales in den Präsentationsinhalten<br />

ihres Vortrages stehen. „Hintergrund dieser Versuchsanordnung<br />

ist die Erkenntnis, dass sich<br />

Vortragsformate für das Internet stark ändern<br />

müssen, wenn sie erfolgreich sein sollen“, sagt<br />

die in das Schlüsselthemenprojekt eingebundene<br />

<strong>Wissens</strong>chaftlerin Dr. Sibylle Peters, Leiterin <strong>des</strong><br />

Forschungstheaters Fundus Theater in Hamburg.<br />

„Und es stellt sich die Frage: Was bleibt letztlich<br />

von einem Vortragsszenario übrig, wenn man<br />

einfach nur eine Kamera mitlaufen lässt und den<br />

Mitschnitt ins Internet stellt?“<br />

Produktionen fürs Netz:<br />

oft nicht vom Nutzer her gedacht<br />

Die bis vor wenigen Jahren geradezu explodierenden<br />

Video-Archive von wissenschaftlichen<br />

Online-Lectures schrumpfen derzeit und verändern<br />

sich. Anfänglicher Begeisterung folgte<br />

Ernüchterung, denn es zeigte sich, dass die<br />

Produktionen nicht vom Nutzer her gedacht<br />

waren. So verliert sich der Fokus auf ein Thema<br />

im aufgezeichneten Vortrag, die Umgebung am<br />

heimischen Rechner lenkt ab, wissenschaftliche<br />

Online-Vorträge werden fast nie von Anfang bis<br />

Ende konsumiert. Bei der Präsentation der Präsentation<br />

– denn nichts anderes ist ein Videomitschnitt<br />

– gehen viele Aspekte eines Vortrags verloren.<br />

Doch es gibt erfolgreiche Internet-Formate,<br />

wie beispielsweise das Vortragsportal TED Ideas<br />

worth spreading zeigt. Diese unterscheiden sich<br />

grundlegend von der klassischen wissenschaftlichen<br />

Präsentation, sind unterhaltsam, stark auf<br />

die Person <strong>des</strong> Redners fokussiert, sehr kurz und<br />

kommen als spannen<strong>des</strong> Live-Szenario daher.<br />

Also hat Sibylle Peters gemeinsam mit Künstlerinnen<br />

und Künstlern experimentelle, neue<br />

62 Impulse 2013 63


Vortragsformate entwickelt – etwa das digitale<br />

Vortragslabor, in dem der Forschungsverbund<br />

getagt und die Teilnehmer vor neue Herausforderungen<br />

gestellt hat.<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler sind in ihrem Alltag nicht so<br />

offenkundig experimentierfreudig wie Sibylle<br />

Peters: Die Interaktionen, die durch die <strong>Digitalisierung</strong><br />

der <strong>Wissens</strong>chaft entstehen, schleichen<br />

sich eher leise in ihren Arbeitsalltag. Selbstverständlich<br />

tragen sie ihre Forschung heute nicht<br />

mehr mit Tafelbildern oder Overhead-Projektoren<br />

vor. PowerPoint und vergleichbare Programme<br />

sind Standardwerkzeuge für Präsentationen,<br />

und ebenso sind dies digitale Medien. In Mailinglisten,<br />

Internetforen und Online-Begutachtungsprozessen<br />

für Open Peer Reviews diskutieren<br />

<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

digital. Sie überlassen sich dabei unwissentlich<br />

einer Diskursdynamik, die zu Entscheidungen<br />

bei Begutachtungen führt oder zumin<strong>des</strong>t die<br />

Richtung der Forschung beeinflusst. „<strong>Wissens</strong>chaftler<br />

gehen meist davon aus, dass sie ausschließlich<br />

nach wissenschaftlichen Kriterien<br />

Die Stiftung förderte das Projekt „Interactive<br />

Science“ in der Initiative „Schlüsselthemen der<br />

Geisteswissenschaften“, die 2011 nach zwölf<br />

Jahren beendet wurde. Sie wurde weiterentwickelt<br />

zum Angebot „Schlüsselthemen für<br />

<strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“, das Kultur-,<br />

Geistes- und Gesellschaftswissenschaften<br />

gleichberechtigt in den Fokus nimmt. Der<br />

neue Name ist Programm: <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftler sind aufgerufen,<br />

eine komplexe Fragestellung zu identifizieren,<br />

die die Relevanz eines „Schlüsselthemas“ für<br />

<strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft besitzt. Dabei<br />

ist es Kernaufgabe einer Forschergruppe, deutlich<br />

zu machen, inwieweit das von ihr gewählte<br />

Thema dieser Anforderung entspricht.<br />

beurteilt werden“, sagt Henning Lobin. „Aber<br />

das stimmt definitiv nicht. <strong>Wissens</strong>chaft basiert<br />

nicht allein auf Fakten, sondern auf persönlicher<br />

Wirkung, Rhetorik und Darstellung.“ Das<br />

gilt auch für schriftliche Online-Diskurse. Die<br />

Prozesse, die bei solchen digitalen Interaktionen<br />

ablaufen, gehorchen klaren Mustern – und die<br />

hängen längst nicht nur von der Qualität der<br />

Argumente ab.<br />

Initiative „Schlüsselthemen für <strong>Wissens</strong>chaft und Gesellschaft“<br />

Um solche Themen sinnvoll bearbeiten zu<br />

können, bedarf es in den Kultur- und Gesellschaftswissenschaften<br />

häufig der Zusammenarbeit<br />

mehrerer Forscherinnen und Forscher<br />

unterschiedlicher Expertise; darüber hinaus<br />

können Projektpartner aus den Lebens-,<br />

Natur- und Technikwissenschaften eingebunden<br />

werden, sofern es das Thema erfordert.<br />

Da die <strong>Wissens</strong>chaftler gemeinsam eine übergreifende<br />

Fragestellung beantworten sollen, ist<br />

zwingend die Entwicklung eines integrativen,<br />

nicht lediglich additiven Projekt<strong>des</strong>igns gefordert.<br />

Die Unterstützung solch „mittelgroßer“<br />

Vorhaben – zwei bis maximal fünf Antragsteller<br />

– ist ein Alleinstellungsmerkmal der<br />

Stiftung in diesem Feld. cj<br />

Am Zentrum für Medien und Interaktivität (ZMI)<br />

der Universität Gießen, dem Mittelpunkt <strong>des</strong><br />

Forschungsverbunds, standen diese Wechselwirkungen<br />

zwischen digitalen Werkzeugen und<br />

dem Menschen dahinter im Fokus. Das Ergebnis:<br />

Erfolg und Misserfolg in Online-Diskussionen<br />

lassen sich auf spezifische, dem Medium angepasste<br />

– oder ihm eben nicht entsprechende<br />

– Verhaltens- und Argumentationsmuster<br />

zurückführen. Besonders deutlich wird das in<br />

der wissenschaftlichen Blog-Kultur: Wer entsprechend<br />

geeignet schreiben und argumentieren<br />

kann, hat Erfolg im Netz. Und diese Entwicklung<br />

wiederum bringt noch etwas anderes mit<br />

sich; ein Effekt, den die digitale Vernetzung auf<br />

die <strong>Wissens</strong>chaft als Organisationskultur hat –<br />

Hierarchien bröckeln! Denn durch den direkten<br />

Dialog über Blogs, Mailinglisten oder Twitter<br />

umgehen junge <strong>Wissens</strong>chaftler die starren sozialen<br />

Strukturen ihres Berufsumfel<strong>des</strong>. „In einem<br />

Institut hat ein wissenschaftlicher Mitarbeiter<br />

auf der dritten Hierarchieebene kaum eine Stimme“,<br />

sagt Henning Lobin. „Wenn dieser wissenschaftliche<br />

Mitarbeiter jedoch einen guten Blog<br />

schreibt, kann er genauso aufhorchen lassen wie<br />

sein Institutsleiter.“<br />

Zudem wirkt die direkte digitale Vernetzung<br />

massiv als Beschleuniger: Bestand der wissenschaftliche<br />

Diskurs bis vor einigen Jahren noch<br />

überwiegend aus abgelesenen Vorträgen und<br />

„<strong>Wissens</strong>chaft basiert nicht allein auf Fakten,<br />

sondern auf persönlicher Wirkung, Rhetorik<br />

und Darstellung“, sagt Henning Lobin. Das<br />

gelte auch für Online-Diskurse. Er beobachtet,<br />

dass junge Forscherinnen und Forscher mit<br />

einer neuen Dialogkultur aufwüchsen, die<br />

sich beinahe täglich weiterentwickle.<br />

gedruckten Fachzeitschriften, in denen nur nach<br />

großem zeitlichen Vorlauf veröffentlicht wurde,<br />

werden diese Räume nun gefüllt durch modern<br />

gehaltene Präsentationen, Blogs oder Tweeds.<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler tauschen Argumente aus, aber<br />

auch Neuigkeiten: eine neue Publikation, einen<br />

spannenden Vortrag und und und. „Die digitalen<br />

Medien füllen eine Leerstelle“, ist Henning<br />

Lobin überzeugt. Und: Hier zeigen sich die ersten<br />

Schritte eines ganz un-digitalen Evolutionsprozesses.<br />

Junge Forscher, die mit dieser Dialogkultur<br />

aufwachsen, entwickeln sie täglich weiter<br />

– diejenigen, die sich nicht (mehr) darauf einlassen,<br />

gehen über kurz oder lang in den Ruhestand.<br />

Multimodales Präsentieren: die nächste Herausforderung<br />

für den wissenschaftlichen Vortrag?<br />

Doch nicht nur die Netzreife wissenschaftlicher<br />

Präsentationen oder generell innovative Formate,<br />

auch der ganz alltägliche wissenschaftliche Vortrag<br />

mit seinen digitalen Elementen war zentraler<br />

Forschungsgegenstand <strong>des</strong> Verbundvorhabens.<br />

Offenbar trafen die Projektpartner dabei den Kern<br />

einer gesellschaftlichen Debatte. So entspannen<br />

sich in den Jahren 2009 und 2010 in der Frankfurter<br />

Allgemeinen Zeitung, der Süddeutschen<br />

Zeitung und unterschiedlichen Programmschienen<br />

<strong>des</strong> Deutschlandfunks Diskussionen über<br />

Sinn und Unsinn von PowerPoint in der Wissen-<br />

64 Impulse 2013 65


schaft. Aber was ist eigentlich das Neue an dieser<br />

inzwischen so selbstverständlichen Vortragsart?<br />

Projektpartner Hans-Jürgen Bucher, Professor im<br />

Fachbereich Medienwissenschaft der Universität<br />

Trier, erklärt: „Neu ist, dass wir mit digitalen<br />

Mitteln visuelle Elemente in einen wissenschaftlichen<br />

Vortrag einbauen können und der Vortragende<br />

über verschiedene Kanäle kommuniziert<br />

– wir nennen das multimodal.“ Natürlich gab es<br />

auch im Overhead-Folien-Zeitalter schon Bilder<br />

in Vorträgen, aber der teilweise virtuose Umgang<br />

mit Grafiken und Bewegtbild-Animationen wurde<br />

erst durch die <strong>Digitalisierung</strong> der Vortragstechnik<br />

möglich.<br />

Damit ist die Multimodalitätsforschung ein junger<br />

Forschungszweig, und die wissenschaftliche<br />

Frage dahinter lautet: Wie bringen Vortragende<br />

diese verschiedenen Kanäle zusammen, und:<br />

Ist das eigentlich ein Fortschritt für die <strong>Wissens</strong>chaftskommunikation?<br />

Und wann ist der<br />

Zuhörer überfordert? Was Multimodalität für die<br />

Auf dem Weg zu „Science 2.0“?! Gesucht sind Formate, die<br />

den Nutzer auch überraschen. Für entsprechend pfiffige Ideen<br />

gibt es künftig den „Gießener Preis für wissenschaftliche<br />

Präsentation & Lecture Performance“.<br />

Qualität der Kommunikation bedeutet, wie sich<br />

das wissenschaftliche Vortragswesen verändert<br />

hat: Das legen erst aufwändige Studien frei. Während<br />

achtzig teils sehr unterschiedlicher Vorträge<br />

bei einer wissenschaftlichen Tagung ließen die<br />

Forscher jeweils einen Teilnehmer eine Helmkamera<br />

mit Blickaufzeichnungstechnologie tragen<br />

– für die Expertensicht. Hans-Jürgen Bucher hat<br />

die Vorträge zudem gefilmt. Die so gesammelten<br />

24 Stunden Material bildeten wiederum die Basis<br />

für drei Szenarien im heimischen Trierer Blickaufzeichnungslabor.<br />

Probanden vom Fach und Laien<br />

bekamen einmal die Folien mit Ton und einmal<br />

nur die Folien zum Durchklicken präsentiert. Als<br />

drittes Szenario entwickelte Hans-Jürgen Bucher<br />

die lebensgroße Visualisierung eines medienwissenschaftlichen<br />

Mastervortrags, in den er all seine<br />

Erkenntnisse und Hypothesen über Folientypen,<br />

Handlungen <strong>des</strong> Vortragenden, den Einsatz von<br />

Laserpointern, Stimme und Gesten einbaute. Das<br />

Ergebnis: Auch im wissenschaftlichen Vortrag<br />

müssen <strong>Wissens</strong>chaftler erst lernen, mit digitalen,<br />

multimodalen Werkzeugen umzugehen, um aus<br />

dem verpönten Folienfilm und dem gesprochenen<br />

Wort als Ganzes einen guten Vortrag zu gestalten.<br />

Für die nahe Zukunft gesucht: digitale Formate an<br />

der Schnittstelle von Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft<br />

„Die Präsentation von <strong>Wissens</strong>chaft hat sich in<br />

kurzer Zeit ganz grundlegend geändert. Es ändert<br />

sich aber nicht nur die Live-Situation, auch werden<br />

die dort genutzten Materialien für die Lehre<br />

zunehmend archiviert und zur Nachbereitung von<br />

Vorlesungen mit Videomitschnitten im Netz zur<br />

Verfügung gestellt.“ Damit schließt sich einer der<br />

vielen Kreise in der komplexen digitalen Welt, und<br />

wir kehren zurück zu Henning Lobin, der gemeinsam<br />

mit Theater-, Kultur- und Sprachwissenschaftlern<br />

den „Gießener Preis für wissenschaftliche<br />

Präsentation & Lecture Performance“ ausgelobt hat.<br />

Gesucht: junge Formate zwischen Kunst und <strong>Wissens</strong>chaft<br />

– auf dem Weg zu „Science 2.0“.<br />

Jo Schilling<br />

Schlüsselthema „Interactive Science“<br />

Das 2012 beendete Vorhaben „Interactive<br />

Science“ integrierte linguistische, medien-,<br />

informations- und sozialwissenschaftliche,<br />

wissenschaftshistorische und theaterwissenschaftliche<br />

Expertise. Acht weitere Teams<br />

bildeten neben der Arbeitsgruppe um den<br />

Projektleiter und -koordinator Professor<br />

Henning Lobin von der Universität Gießen<br />

den Forschungsverbund.<br />

Beteiligt an dem Kooperationsvorhaben waren<br />

noch das Kulturwissenschaftliche Institut<br />

Essen (Professor Claus Leggewie), die Universitäten<br />

Duisburg-Essen (Professor Christoph<br />

Bieber), Konstanz (Professor Rainer Kuhlen),<br />

Trier (Professor Hans-Jürgen Bucher), Gießen<br />

(Professor Gerd Fritz sowie Professor Thomas<br />

Gloning) – und die Österreichische Akademie<br />

der <strong>Wissens</strong>chaften in Wien (Dr. Michael Nentwich)<br />

sowie aus Hamburg die Theaterwissenschaftlerin<br />

Dr. Sibylle Peters.<br />

Ihr gemeinsames Fazit: Digitale Medien berühren<br />

den Kern wissenschaftlicher Kommunikation<br />

und bewirken zweierlei. Zum einen wird<br />

mittelbar der Prozesscharakter <strong>des</strong> Forschens<br />

gestärkt, zum anderen eine Enthierarchisierung<br />

<strong>des</strong> Forschungsprozesses begünstigt.<br />

So könnten – beispielsweise durch Feedbackschleifen<br />

und eine teilweise Anonymisierung<br />

Gruppenfoto <strong>des</strong> Schlüsselthemen-Forschungsverbunds<br />

„Interactive Science“. Neun Forscherteams an sieben Hochschulstandorten<br />

schlossen sich für das Projekt zusammen.<br />

– hierarchisch strukturierte Forschungsinstitutionen<br />

an Durchlässigkeit gewinnen.<br />

In vier standortübergreifenden Teilprojekten hat<br />

das Forscherteam gearbeitet. Ziel <strong>des</strong> ersten war<br />

es, einen Überblick zu geben über die laufenden<br />

Tendenzen im Bereich Interactive Science – und<br />

zwar auf Basis von Dokumentenanalysen, Experteninterviews<br />

und von Delphi-Runden, einer<br />

besonderen Technik der Expertenbefragung.<br />

In Teilprojekt zwei untersuchten die Forscher<br />

mit textlinguistischen und medienwissenschaftlichen<br />

Methoden die wissenschaftliche<br />

Argumentation in ihren rhetorischen, ästhetischen<br />

und performativen Dimensionen.<br />

Teilprojekt drei fokussierte – mit Ansätzen aus<br />

den Theaterwissenschaften – auf jene Veränderungen,<br />

die sich im Wissen digitaler Nutzung<br />

bei wissenschaftlichen Vorträgen feststellen<br />

lassen hinsichtlich der Effekte ihrer Aufzeichnung,<br />

Reproduktion und Verteilung.<br />

Das vierte Teilprojekt war ein sprachwissenschaftliches:<br />

Analysiert wurde das Potenzial<br />

digitaler Medien, den Austausch wissenschaftlicher<br />

Information und die Austragung wissenschaftlicher<br />

Kontroversen zu fördern sowie die<br />

Transparenz kritischer Selbstevaluation von<br />

<strong>Wissens</strong>chaft zu verbessern. cj<br />

Probandin mit Helmkamera im Trierer Blickaufzeichnungslabor.<br />

Wie reagiert sie auf verschiedene Präsentationen – und vor<br />

allem: worauf mehr, und was entgeht ihrer Aufmerksamkeit?<br />

66 Impulse 2013 67


Spektrum<br />

Karriere voraus!<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> bewilligte 2012 insgesamt<br />

8,5 Millionen Euro für sieben neue Lichtenberg-<br />

Professuren an deutschen Universitäten.<br />

Einer von denen, die sich im harten Wettbewerb<br />

um eine solche Professur durchgesetzt haben, ist<br />

Dr. Matthias Schott. Der Teilchenphysiker gehörte<br />

am europäischen Kernforschungszentrum<br />

CERN zu jener Forschergruppe, die im Juli 2012<br />

ein neues Elementarteilchen entdeckte – vermutlich<br />

das lange gesuchte Higgs-Boson. Weltweit<br />

versuchen Teilchenphysiker seit Jahrzehnten<br />

zu erklären, wie die Bausteine <strong>des</strong> Universums<br />

ihre Masse erhalten und welche Rolle das Higgs-<br />

Boson dabei spielt. Matthias Schott will nun<br />

explizit die Masse <strong>des</strong> sogenannten W-Bosons<br />

so genau wie möglich bestimmen, da sich über<br />

dieses Elementarteilchen womöglich indirekt<br />

Rückschlüsse auf die Eigenschaften <strong>des</strong> Higgs-<br />

Boson ziehen lassen. Seine Forschung soll helfen<br />

zu verstehen, ob das Higgs-Teilchen tatsächlich<br />

nachgewiesen wurde, oder – was noch spektakulärer<br />

wäre – „ob wir etwas Neues entdeckt haben<br />

und sich dadurch eine Tür zu einer neuen Physik<br />

öffnet“, erläutert Schott. Seine Forschungen wird<br />

er künftig als Lichtenberg-Professor an der Universität<br />

Mainz fortführen.<br />

Von der Teilchenphysik bis zur Slawistik: Die 2012 gekürten Lichtenberg-Professoren<br />

und eine Professorin decken ein weites Feld<br />

an Forschungsthemen ab. Im harten Wettbewerb um eine solche<br />

Förderung der Stiftung setzten sich durch (von oben nach unten):<br />

Matthias Schott, Hansjörg Schwertz und Stephan Gekle …<br />

Nachrichten aus der<br />

<strong>Wissens</strong>chaftsförderung<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Welche Rolle Blutplättchen – auch Thrombozyten<br />

genannt – bei Immunantworten unseres<br />

Körpers spielen, interessiert Dr. Hansjörg<br />

Schwertz. Erste wissenschaftliche Untersuchungen<br />

ergaben, dass Thrombozyten besondere<br />

Enzyme besitzen, mit deren Hilfe sie das<br />

Immunsystem verändern. Inwieweit diese von<br />

Bedeutung sind für die körpereigene Abwehr<br />

bakterieller und viraler Infektionen, hofft<br />

Schwertz künftig an der Universität Greifswald<br />

ein Stück weit klären zu können. Thematisch gar<br />

nicht weit entfernt beschäftigt sich Dr. Stephan<br />

Gekle an der Universität Bayreuth mit Wirkstoffen,<br />

deren Transport über die menschliche<br />

Blutbahn erfolgt. Sein Ziel ist es, die physikalischen<br />

Wechselwirkungen zu verstehen, die<br />

zwischen Wirkstofftransporteuren und roten<br />

Blutzellen bestehen. Denn bei ihrem Weg durch<br />

die Blutbahn können die in den Körper eingebrachten<br />

Minitransportmittel verklumpen –<br />

mit ernsten Folgen für den Patienten.<br />

Zwei <strong>Wissens</strong>chaftler interessieren sich für<br />

Funktionsweisen unseres Gehirns. Forschungsgegenstand<br />

von Dr. Dr. Florian Mormann an<br />

der Bonner Universitätsklinik für Epileptologie<br />

ist der Schläfenlappen, der beim Menschen<br />

von Bedeutung ist für Wahrnehmungs- und<br />

Gedächtnisprozesse. Doch auch epileptische<br />

Anfälle nehmen dort häufig ihren Anfang. Mithilfe<br />

von Messungen lokaler Feldpotenziale und<br />

<strong>des</strong> Entladungsverhaltens einzelner Nervenzellen<br />

im Gehirn von Epilepsiepatienten möchte<br />

der Lichtenberg-Professor zum besseren Verständnis<br />

von Fehlfunktionen dieser Hirnregion<br />

beitragen. Dr. Martin Greschner wird künftig<br />

an der Universität Oldenburg untersuchen, wie<br />

visuelle Signale von der Netzhaut über den Seh-<br />

nerv an das Gehirn übermittelt werden. Man<br />

weiß zwar, dass rund zwanzig verschiedene<br />

Typen sogenannter Ganglienzellen diesen Prozess<br />

steuern. Wie die visuellen Informationen<br />

allerdings genau kodiert sind und in der Netzhaut<br />

durch Interneurone verarbeitet werden, ist<br />

weitgehend unklar. Die Beantwortung dieser<br />

Fragen könnte dazu beitragen, Netzhautprothesen<br />

und künstliche Sehsysteme zu entwickeln.<br />

Dr. Moritz Renner wird sich im Rahmen seiner<br />

Lichtenberg-Professur an der Universität Bremen<br />

mit der Frage beschäftigen, welche Veränderungen<br />

das Recht durch die Globalisierung<br />

der Wirtschaft erfährt. Dies soll am Beispiel <strong>des</strong><br />

transnationalen Konzernrechts und <strong>des</strong> Rechts<br />

grenzüberschreitender Kreditverträge untersucht<br />

werden. Und die Slawistin Dr. Sabine<br />

Koller erforscht an der Universität Greifswald<br />

die ostjüdische Kulturrenaissance im 19. und 20.<br />

Jahrhundert. Ziel ihres an der Schnittstelle von<br />

slawischer Philosophie, Judaistik und Kunstgeschichte<br />

angesiedelten Vorhabens ist es, mehr<br />

Wissen zusammenzutragen über die kulturelle<br />

Blüte <strong>des</strong> Ostjudentums insbesondere mit Blick<br />

auf Literatur und Malerei.<br />

Forschungsstarker Norden<br />

Startschuss für die neu eingerichteten „Forschungs-<br />

professuren an Fachhochschulen" in Niedersachsen.<br />

Gut zwei Millionen Euro in Runde eins bewilligt.<br />

Sieben forschungsstarke Professorinnen und<br />

Professoren an Fachhochschulen in Niedersachsen<br />

können sich freuen: Sie profitieren als erste<br />

von dem neuen Angebot, das das Land Niedersachsen<br />

und die <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Herbst<br />

2012 auf den Weg gebracht haben. Gefördert<br />

werden dabei entweder mehr Forschungszeit<br />

– die erforderliche Reduzierung der jeweiligen<br />

Lehrverpflichtung wird über die Mittel <strong>des</strong> Programms<br />

kompensiert – oder die Neuberufung<br />

von Professoren zum Aufbau eines neuen<br />

Forschungsschwerpunkts an einer Hochschule.<br />

Eine wichtige Stärkung für Niedersachsen,<br />

geben doch gerade Fachhochschulen über die<br />

dort verankerte anwendungsorientierte Forschung<br />

wichtige Impulse für Innovationen in<br />

die Wirtschaft. Und das wiederum stützt nicht<br />

zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit kleiner und<br />

mittelgroßer Unternehmen. 2,1 Millionen Euro<br />

wurden in einer ersten Ausschreibungsrunde<br />

für die Professuren insgesamt bewilligt.<br />

35 Bewerbungen lagen in kurzer Zeit vor; sechs<br />

<strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler können<br />

sich nun auf mehr Forschungszeit freuen.<br />

Des Weiteren erhält die Hochschule für angewandte<br />

<strong>Wissens</strong>chaft und Kunst Hil<strong>des</strong>heim-<br />

Holzminden-Göttingen als einzige Unterstützung<br />

für eine Neuberufung. Mehr Zeit für ihre<br />

Forschung erhalten nun für die nächsten drei<br />

Jahre Professor Dr.-Ing. Xiaobo Liu-Henke (Ostfalia<br />

Hochschule für angewandte <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Braunschweig-Wolfenbüttel), Professorin Dr.<br />

Friederike zu Sayn-Wittgenstein, Professorin Dr.<br />

Ursula Hübner und Professor Dr.-Ing. Ulrich Krupp<br />

(alle drei Hochschule Osnabrück), Professor Dr.-<br />

Ing. Hans-Josef Endres (Hochschule Hannover)<br />

und Professor Dr.-Ing. Thomas Luhmann (Jade<br />

Hochschule Wilhelmshaven-Oldenburg-Elsfleth).<br />

… sowie (von<br />

links nach rechts)<br />

Florian Mormann,<br />

Moritz Renner,<br />

Martin Greschner<br />

und Sabine Koller.<br />

68 Impulse 2013 69


Spektrum<br />

Kurzschluss im Gehirn<br />

Forscherteam um Lichtenberg-Professorin Marlene<br />

Bartos zeigt, dass Ruhepausen im Gehirn auch durch<br />

eine Art Kurzschluss ausgelöst werden können.<br />

Das Gehirn leistet täglich Enormes – etwa wenn<br />

detaillierte Erinnerungen an Vergangenes abgerufen<br />

oder auf Basis von Wissen und Erfahrungen<br />

wichtige Entscheidungen getroffen werden. Um<br />

solche Aufgaben zu meistern, müssen Nervenzellen<br />

im Gehirn eine ausgewogene und zeitlich<br />

präzise Balance zwischen Aktivitäts- und Ruhephasen<br />

einhalten. Ist diese Balance gestört, kann<br />

es zu neurologischen Erkrankungen wie Epilepsie<br />

oder Schizophrenie kommen.<br />

Für Aktivität sorgen erregende Nervenzellen. Sie<br />

senden Signale aus, die das elektrische Potenzial<br />

der Empfängerzellen in eine positive Richtung<br />

verschieben. Demgegenüber garantieren sogenannte<br />

hemmende Interneurone Ruhepausen<br />

im Gehirn. Bislang nahmen <strong>Wissens</strong>chaftler an,<br />

dass jene eine Blockierung verursachen, indem sie<br />

die Spannung der Zielzelle in negativer Richtung<br />

verändern. Nun jedoch hat ein Forscherteam der<br />

Universität Freiburg um Lichtenberg-Professorin<br />

Marlene Bartos und die beiden Molekularmediziner<br />

Jonas-Frederic Sauer und Michael Strüber<br />

herausgefunden, dass Interneurone ihre Zielzellen<br />

auf eine zweite Art hemmen können: Sie können<br />

auch einen elektrischen Kurzschluss verursachen,<br />

sodass die Zielzellen für kurze Zeit nicht für erregende<br />

Signale empfänglich sind. Die Ergebnisse<br />

ihrer Arbeit veröffentlichten die Forscher im „The<br />

Journal of Neuroscience“.<br />

Welcher der beiden Wirkungsmechanismen der<br />

Interneurone zum Einsatz kommt, hängt vom<br />

jeweiligen Hirnareal ab, das der Untersuchung<br />

zugrunde gelegt wird. Während die Interneurone<br />

beispielsweise im Hippocampus das elektrische<br />

Kurzschluss im Gehirn: Eine Nervenzelle ist blockiert und<br />

kurze Zeit nicht für sie erregende Signale empfänglich.<br />

Potenzial ihrer Zielzellen ins Negative verschieben,<br />

benutzen die Interneurone <strong>des</strong> benachbarten Gyrus<br />

Dentatus den elektrischen Kurzschluss zur Hemmung.<br />

Diese Gehirnregion ist dafür bekannt, dass<br />

Änderungen in der Balance zwischen Anregung<br />

und Hemmung zu Epilepsie führen können. Die<br />

Arbeit <strong>des</strong> Freiburger Forscherteams hilft somit<br />

dabei, klinische Störungen dieser Balance besser zu<br />

verstehen, und kann in Zukunft möglicherweise als<br />

Grundstein für bessere Therapien dienen.<br />

Wenn die Nase leuchtet<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler um Lichtenberg-Professor Marc<br />

Spehr haben herausgefunden, wie wir unterschiedlich<br />

starke Gerüche wahrnehmen.<br />

Mitochondrien, auch „Kraftwerke der Körperzellen“<br />

genannt, haben die Hauptaufgabe, Energie zu<br />

erzeugen. Seit Kurzem weiß man, dass diese Organellen<br />

außerdem den Kalziumspiegel in Zellen<br />

regulieren. In der Riechforschung wurden zwar<br />

viele Prozesse der Kalziumregulation in Riechnervenzellen<br />

untersucht, die Rolle von Mitochondrien<br />

allerdings blieb bislang unerforscht. Hier setzten<br />

in einem von der Stiftung geförderten Projekt<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler der RWTH Aachen, vom NeuroScience<br />

Research Center der Berliner Charité<br />

und vom italienischen Forschungsunternehmen<br />

Axxam SpA an. Ihnen ist es gelungen, den Prozess<br />

der Geruchswahrnehmung mithilfe einer neuartigen<br />

Messmethode sichtbar zu machen.<br />

Bisher war bekannt, dass sich der Kalziumspiegel<br />

unmittelbar erhöht, wenn Riechnervenzellen<br />

in unserer Nase in Kontakt mit eingeatmeten<br />

Duftstoffen kommen. Dies führt zu einem<br />

elektrischen Impuls, der über Nervenfortsätze<br />

an das Gehirn weitergeleitet wird. Ob auch<br />

Mitochondrien dieses Duftsignal beeinflussen,<br />

war unklar. Jetzt gelang es, den Anstieg <strong>des</strong><br />

Kalziumspiegels im Inneren der Mitochondrien<br />

unter dem Mikroskop zu erkennen. Dabei spielt<br />

ein Prozess, Biolumineszenz genannt, eine entscheidende<br />

Rolle. Durch die Technik löst das in<br />

die Mitochondrien einfließende Kalzium eine<br />

chemische Reaktion aus, bei der Licht entsteht.<br />

Die Experimente der Duftforscher finden in<br />

völliger Dunkelheit statt, und nur wenn der<br />

Kalziumspiegel im Inneren der Mitochondrien<br />

steigt, wird Licht gebildet. Dieses Licht können<br />

die <strong>Wissens</strong>chaftler mikroskopisch „einfangen“<br />

– beim Riechen beginnt also die Nase quasi zu<br />

leuchten. Ihre Ergebnisse veröffentlicht das<br />

Forscherteam im renommierten Fachmagazin<br />

„Nature Neuroscience“.<br />

Das Leuchten beweist, dass Mitochondrien in den<br />

Riechnervenzellen an der Regulation <strong>des</strong> Kalziumspiegels<br />

beteiligt sind. Und nicht nur das: Die <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

konnten beobachten, dass Mitochondrien<br />

im Inneren der Zellen „wandern“. Sobald ein<br />

Duft die Riechnervenzellen dauerhaft stimuliert,<br />

werden Mitochondrien in diejenigen Areale der<br />

Zellen transportiert, in denen der Kontakt mit<br />

Duftstoffen stattfindet. Ausgehend von den neuen<br />

Erkenntnissen sind die <strong>Wissens</strong>chaftler der Frage<br />

nachgegangen, welche Folgen ein Verlust der<br />

Kalziumspeicherfunktion von Mitochondrien für<br />

das Riechvermögen hat. Die Antwort: Bei einem<br />

Funktionsausfall werden Gerüche zwar weiterhin<br />

wahrgenommen, die Nase ist jedoch nicht mehr<br />

in der Lage zu „messen“, ob eine Substanz stark<br />

oder schwach riecht.<br />

Die neue Messmethode könne – spezifiziert und<br />

weiter verfeinert – mittelfristig womöglich in der<br />

Diagnostik bestimmter Krankheiten zum Einsatz<br />

kommen, erklärt Lichtenberg-Professor Marc<br />

Spehr, der das Aachener Forscherteam leitet und<br />

von der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit 1,4 Millionen<br />

Euro gefördert wird. Denn: „Bei einigen neurodegenerativen<br />

Erkrankungen wie Parkinson und<br />

Alzheimer scheinen auch defekte Mitochondrienfunktionen<br />

eine Rolle zu spielen.“<br />

Die Abbildung zeigt fluoreszenzmarkierte Riechnervenzellen<br />

(grün) aus der Nasenschleimhaut der Maus. Die Fortsätze der<br />

Riechnervenzellen enden am Übergang zur Nasenhöhle (schwarz)<br />

mit fadenförmigen Ausläufern (sog. Zilien), die die Riechschleimhaut<br />

bedecken. Rot angefärbt sind durch Antikörper markierte<br />

Mitochondrien, die in allen Zellen der Nasenschleimhaut vorkommen.<br />

Das Schema oben zeigt die elektrischen Entladungen einer<br />

Riechnervenzelle bei der Duftwahrnehmung. Nur wenn die Aufnahme<br />

von Kalzium in die Mitochondrien durch den mCU-Kanal<br />

möglich ist, reagiert die Riechnervenzelle auf den Duft.<br />

Virusabwehr neu verstanden<br />

Forschergruppe um Lichtenberg-Professor Max Löh-<br />

ning entdeckt Mechanismus, wie Virusinfektionen<br />

unsere Körperabwehr zu Höchstleistungen anregen.<br />

„Killer T-Zellen“ (CD8 T Zellen) sind ein wichtiger<br />

Bestandteil unserer Körperabwehr. Sie erkennen<br />

und töten solche Zellen, die Viren vermehren oder<br />

die zu Krebs entartet sind. Killer T-Zellen wären<br />

somit ein wichtiger Wirkmechanismus für Impfungen<br />

gegen HIV/AIDS, Hepatitis C und Malaria<br />

sowie für bestimmte Krebstherapien. Bekannt<br />

ist, dass Virusinfektionen die Killer-T-Zell-Abwehr<br />

extrem anheizen – bislang ist jedoch nur zum Teil<br />

verstanden, welche Prozesse dabei genau ablaufen.<br />

Forscher der Universität Genf und vom Team<br />

um Lichtenberg-Professor Max Löhning von der<br />

Charité – Universitätsmedizin Berlin fanden nun<br />

einen weiteren grundlegenden Mechanismus, wie<br />

bei Virusinfektionen Killer T-Zellen zur Hochform<br />

auflaufen. Dabei ist von Bedeutung, dass Viren die<br />

von ihnen infizierten Zellen zerstören – es kommt<br />

zur Freisetzung von Zellbestandteilen. Solche Zellbestandteile<br />

werden als „Zerstörungs-assoziierte<br />

Molekulare Muster“ (DAMPs) oder Alarmine<br />

bezeichnet. Die <strong>Wissens</strong>chaftler haben nun herausgefunden,<br />

dass Killer T-Zellen das Alarmin<br />

Interleukin 33 (IL-33) erkennen können. Es wird<br />

von Zellen freigesetzt, die das Gerüst von Milz und<br />

Lymphknoten bilden und damit die Killer T-Zellen<br />

direkt umgeben.<br />

„Diese Erkenntnisse könnten ein neuer Ansatz<br />

sein für mögliche Impfungen gegen Infektionskrankheiten<br />

oder sogar Krebs“, sagt Max Löhning,<br />

der seit 2007 als Lichtenberg-Professor für<br />

Experimentelle Immunologie an der Charité das<br />

Gedächtnis unseres Immunsystems erforscht.<br />

Lichtenberg-Professor<br />

Max Löhning erforscht<br />

das Gedächtnis unseres<br />

Immunsystems.<br />

70 Impulse 2013 71


Der renommierte<br />

Sprachenforscher<br />

Nicholas Evans dokumentierte<br />

die Aborigines-Sprache<br />

Iwaidja,<br />

die im Norden Australiens<br />

gesprochen<br />

wird, und die beiden<br />

Papua-Sprachen<br />

Nen und Tonda.<br />

Spektrum<br />

Ehre für Nicholas Evans<br />

Der in der Initiative „Dokumentation bedrohter<br />

Sprachen“ mehrfach geförderte Linguist erhält<br />

renommierte Auszeichnung der Alexander von<br />

Humboldt-Stiftung.<br />

Der australisch-amerikanische <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

Professor Dr. Nicholas Evans erhielt im September<br />

2012 den Anneliese-Maier-Forschungspreis. Ausgezeichnet<br />

wurden seine umfangreichen Arbeiten<br />

zur Dokumentation bedrohter Sprachen und sein<br />

– nicht nur wissenschaftliches – Engagement auf<br />

diesem Feld. Evans forscht und lehrt derzeit an der<br />

Australian National University in Canberra und ist<br />

einer der weltweit führenden Experten auf dem<br />

Gebiet unerforschter und bedrohter Sprachen<br />

Australiens und Papuas. Im Rahmen der Stiftungsinitiative<br />

zu den bedrohten Sprachen dokumentierte<br />

er multimedial die Aborigines-Sprache Iwaidja,<br />

die im Norden Australiens gesprochen wird, sowie<br />

die beiden Papua-Sprachen Nen und Tonda.<br />

Evans untersucht die Vielfalt menschlicher Sprache<br />

im Hinblick auf Aussagen über deren Natur,<br />

Kultur und Geschichte und beschäftigt sich in diesem<br />

Kontext auch mit dem Denkvermögen. Seine<br />

Forschungsergebnisse veröffentlichte er unter<br />

anderem in seinem Werk „Dying Words: Endangered<br />

Languages and What They Have to Tell Us“, das<br />

die <strong>VolkswagenStiftung</strong> derzeit ins Deutsche übersetzen<br />

lässt. Das Buch soll zur Abschlusskonferenz<br />

„Language Documentation: Past – Present – Future“<br />

der Förderinitiative vorliegen, die vom 4. bis 7. Juni<br />

2013 in Hannover stattfinden wird.<br />

Für den mit 250.000 Euro dotierten, nach der Philosophin<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftshistorikerin Anneliese<br />

Maier benannten Forschungspreis können Geistesund<br />

Sozialwissenschaftler aus dem Ausland vorgeschlagen<br />

werden, deren bisherige wissenschaftliche<br />

Leistungen in ihrem Fachgebiet international<br />

als herausragend anerkannt sind.<br />

Urs Nater ausgezeichnet<br />

Lichtenberg-Professor von der Universität Marburg<br />

erhält Charlotte- und Karl-Bühler-Preis 2012 der<br />

Deutschen Gesellschaft für Psychologie.<br />

Stress ist eines der meist gebrauchten Worte unserer<br />

Zeit. Im positiven Sinne kann Stress eine Herausforderung<br />

sein und Höchstleistungen mit sich bringen,<br />

im negativen kann er krank machen. Warum Stress<br />

manchmal krank macht und wann er zu Höchstleistungen<br />

führt, untersucht Professor Dr. Urs Nater<br />

anhand experimenteller Methoden. Als einer der<br />

international führenden Forscher zum Thema akuter<br />

und chronischer Stress kombiniert er psychologische,<br />

neurobiologische und molekularbiologische<br />

Ansätze. So gelingt es ihm, Ursache und Wirkung<br />

präziser wiederzugeben als bislang möglich.<br />

Für seine wissenschaftliche Arbeit erhielt Urs<br />

Nater im September 2012 in Bielefeld den Charlotte-<br />

und Karl-Bühler-Preis der Deutschen Gesellschaft<br />

für Psychologie. Die Auszeichnung geht an<br />

jüngere <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler,<br />

deren Forschung ein Arbeitsfeld der Psychologie<br />

bereits substanziell beeinflusst hat und auch<br />

Der Stress hat ihm eine Auszeichnung<br />

eingebracht: Lichtenberg-Professor<br />

Urs Nater.<br />

auf Nachbargebiete ausstrahlt. Der Preis wird alle<br />

zwei Jahre verliehen. Urs Nater hat seit dem Jahr<br />

2010 an der Philipps-Universität Marburg eine von<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> mit knapp 1,4 Millionen<br />

Euro ausgestattete Lichtenberg-Professur für Klinische<br />

Biopsychologie inne.<br />

Ästhetikpreis verliehen<br />

Winfried Menninghaus erhält den „Premio Interna-<br />

zionale di Estetica“. Die Stiftung unterstützt seine<br />

Forschung mit einer „Opus magnum“-Förderung.<br />

Der Literaturwissenschaftler Professor Dr. Winfried<br />

Menninghaus wurde am 27. April 2012 im<br />

italienischen Pistoia für seine herausragende Forschung<br />

im Bereich der Ästhetik ausgezeichnet. Er<br />

erhielt den „Premio Internazionale di Estetica“ aus<br />

den Händen von Luigi Russo, dem Vorsitzenden<br />

der Italienischen Gesellschaft für Ästhetik. Mit der<br />

Auszeichnung einher geht die Übersetzung eines<br />

Werkes <strong>des</strong> Preisträgers. Menninghaus, der am<br />

Peter-Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende<br />

Literaturwissenschaft der Freien Universität<br />

Berlin lehrt und forscht, ist nach José Jiménez<br />

(Spanien), Stephen Halliwell (England) und Jerrold<br />

Levinson (USA) erst der vierte Preisträger.<br />

Besonders beeindruckt zeigte sich die Jury von der<br />

Originalität und Fülle an Forschungsergebnissen,<br />

aus denen Menninghaus ein von Darwin ausgehen<strong>des</strong><br />

evolutionäres Modell ästhetischer Darstellung<br />

und Rezeption entwickelt habe. In seinen<br />

Studien gelinge es dem <strong>Wissens</strong>chaftler, historisch<br />

und hermeneutisch fundiert sowohl die Wurzeln<br />

der evolutionären Ästhetik als auch das ästhetische<br />

Wissen der Moderne anschaulich zu verknüpfen<br />

und zu vermitteln. Von der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

wurde der Germanist 2007/08 mit einer „Opus<br />

Opus Primum verliehen<br />

Am 20. November 2012 hat die Stiftung den<br />

Preis für die beste Nachwuchspublikation <strong>des</strong><br />

Jahres verliehen: „Opus Primum“. Der Hamburger<br />

Dirk Laabs erhielt die renommierte<br />

Auszeichnung. Lesen Sie mehr dazu in unse-<br />

Der Literaturwissenschaftler Winfried Menninghaus<br />

wurde für seine herausragende Forschung zur Ästhetik<br />

geehrt mit dem „Premio Internazionale di Estetica“.<br />

magnum“-Förderung unterstützt. Dadurch erhielt<br />

er die nötigen Freiräume, sein Werk „Wozu Kunst?<br />

Ästhetik nach Darwin“ zu verfassen, das im Jahr<br />

2011 im Suhrkamp Verlag erschienen ist.<br />

Umweltfragen neu betrachtet<br />

Das Buch „Am Ende der Gewissheiten. Die ökologi-<br />

sche Frage im 21. Jahrhundert“ <strong>des</strong> Historikers Frank<br />

Uekötter ist eines der Umweltbücher <strong>des</strong> Jahres 2012.<br />

„Nach mehreren Jahrzehnten lastet auf den<br />

Umweltdebatten in Deutschland ein Stapel von<br />

Gewissheiten, mit denen man je<strong>des</strong> Ereignis<br />

zuverlässig abarbeiten kann“, sagt Frank Uekötter.<br />

Unorthodoxe Ideen hätten es folglich schwer, da es<br />

keinen zwingenden Grund für ein neues Denken<br />

zu geben scheine. So schwelt unter der Oberfläche<br />

der rhetorischen Gewissheiten eine unbeantwortete<br />

Frage: Passen unsere Denkschablonen eigentlich<br />

noch zu den Problemen <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts?<br />

In seinem neuesten Buch „Am Ende der Gewissheiten.<br />

Die ökologische Frage im 21. Jahrhundert“<br />

geht Uekötter der Geschichte der Umweltdebatte in<br />

Deutschland nach. Der Autor zeigt dabei, dass die<br />

aktuellen Umweltdiskurse an Traditionen anknüpfen,<br />

die einst ganz anderen Zusammenhängen entsprangen<br />

und heute zweifelhaft geworden sind. So<br />

dächten wir in einer globalisierten Welt immer noch<br />

in den Klischees der alten Bun<strong>des</strong>republik – vom<br />

Atomprotest, der meist an der Lan<strong>des</strong>grenze endet,<br />

bis zur „Hochrisikotechnologie“ Gentechnik. Frank<br />

Uekötter plädiert in seinem Buch dafür, Umwelt neu<br />

zu denken: globaler, vernetzter, differenzierter und<br />

weniger dogmatisch.<br />

Die Deutsche Umweltstiftung zeichnete die im<br />

Campus Verlag erschienene Veröffentlichung im<br />

Jahr 2012 als eines der zwölf „Umweltbücher <strong>des</strong><br />

Monats“ aus. Frank Uekötter, Dr. phil. habil., ist<br />

Privatdozent für die Geschichte <strong>des</strong> 19. und 20.<br />

Jahrhunderts und Dilthey-Fellow der Volkswagen-<br />

Stiftung am Forschungsinstitut <strong>des</strong> Deutschen<br />

Museums sowie LMU-Fellow am Rachel Carson<br />

Center für Umwelt und Gesellschaft in München.<br />

Neues zur ökologischen<br />

Frage – ein<br />

weiteres Buch von<br />

Dilthey-Fellow Frank<br />

Uekötter, das für Aufmerksamkeit<br />

sorgt.<br />

rer News-Rubrik „Forum“ auf der Seite 82.<br />

72 Impulse 2013 73


Die Stimmung schwankte zwischen Euphorie und Untergangsszenarien:<br />

Moderator Stephan Lohr von NDR Kultur (links) und<br />

der Bildhauer und Totalkünstler Timm Ulrichs diskutierten in<br />

der Reihe „Herrenhäuser Gespräche“ mit drei weiteren Experten<br />

über das Museum der Zukunft und die Zukunft der Museen.<br />

Welche Museen<br />

will diese<br />

Gesellschaft?<br />

Museen im Zeitalter einer sich<br />

überschlagenden Eventkultur,<br />

von Publikumsbespaßung und<br />

von Sponsoren mit Geltungsanspruch.<br />

Museen im Zeitalter der<br />

<strong>Digitalisierung</strong>. Wie werden die<br />

Sammlungshäuser von morgen<br />

aussehen? Ein Gesprächsquartett<br />

stellt sich der Frage.<br />

Impulse 2013 75


76<br />

Noch erscheinen Museen als Gegenwelt der digitalen Ära. Doch die neuen<br />

Medien, die um sich greifende Eventkultur, potente Privatsammler und<br />

knappe öffentliche Mittel verändern Ausstellungen und Bedeutung der<br />

Museen. Das verdeutlichte eine Diskussion im Juli 2012 in Hannover zum<br />

Thema „Vom Musentempel zur Ereignisagentur: Wohin treiben die Museen?“.<br />

Das Forum wurde von NDR Kultur und <strong>VolkswagenStiftung</strong> im Rahmen<br />

ihrer gemeinsamen Reihe „Herrenhäuser Gespräche“ veranstaltet.<br />

Aufruhr im renommierten Museum of Contemporary<br />

Art (Moca) in Los Angeles: Drei Mitglieder<br />

<strong>des</strong> Aufsichtsrats treten zurück mit der Begründung,<br />

Museumsdirektor Jeffrey Deitch treibe mit<br />

der Ausstellung zur Disco-Ära den Populismus<br />

auf die Spitze. In Deitch fand der Mäzen Eli Broad,<br />

der das Moca vor der Pleite rettete und ihm mehr<br />

„Eventkultur“ verordnete, einen ideenreichen Vollstrecker<br />

mit gutem Draht zur spendablen Autound<br />

Motorradindustrie. „Das ist die Richtung, in<br />

die Museen steuern“, urteilt der Hamburger Jurist,<br />

Unternehmer und Kunstsammler Harald Falckenberg<br />

in Hannover und prophezeit: „Auch diese<br />

Blase wird platzen!“<br />

Die Moca-Geschichte jedenfalls enthält alles, was<br />

die Szene umtreibt: Geldmangel und die Folgen<br />

daraus, museale Publikumsbespaßung, Sponsoren<br />

mit Entscheidungsanspruch und schließlich<br />

Künstler, die dem Zeitgeist angeblich die „Reinheit<br />

künstlerischer Intention“ opfern. „Ich habe<br />

noch Arbeiten gemacht, die ich unter dem Arm<br />

herumtragen konnte“, erzählt Timm Ulrichs,<br />

Für Brigitte Franzen, Direk-<br />

torin <strong>des</strong> Ludwig Forums<br />

für Internationale Kunst in<br />

Aachen, ist wichtig, dass<br />

sich trotz aller Sponsoren<br />

und sonstiger Geldgeber die<br />

öffentliche Hand weiterhin<br />

in der Pflicht sieht.<br />

Bildhauer, Totalkünstler und Kunstprofessor.<br />

„Heute produzieren Künstler gezielt Großformatiges<br />

für große Museumswände.“ Und Museen<br />

sammelten, was eigens für sie hergestellt worden<br />

sei, ergänzt Walter Grasskamp, Professor für<br />

Kunstgeschichte an der Akademie der Bildenden<br />

Künste München. Er sieht Museen zunehmend<br />

in eine „Dynamik <strong>des</strong> Verbergens“ verfallen.<br />

„Sie häufen mehr Objekte an, als sie ausstellen<br />

können.“ Statt drei weitere Polcke-Zeichnungen<br />

zu kaufen, sollten sie Nachwuchsleute einstellen.<br />

Denn von ihren Kernaufgaben – Sammeln,<br />

Erhalten, Erforschen, Ausstellen, Vermitteln –<br />

könnten sie das weniger glamouröse Forschen<br />

und Restaurieren nur noch dann bezahlen, wenn<br />

Dritte sich gezielt engagierten. So wie die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

mit ihrer Initiative „Forschung<br />

in Museen“, die vor allem kleinere und mittlere<br />

Häuser stärkt.<br />

Ignorante Sammler, kulturelle Untiefen:<br />

Erleidet manch ein Museum bald Schiffbruch?<br />

„Wenn man es von allen Sponsorengeldern entkleidet,<br />

ist das Museum heute pleite“, behauptet<br />

Grasskamp. Und damit allemal abhängig von<br />

Sammlern, die nur nach Blue-Chip-Investitionen<br />

gierten. Illustrierend kolportiert Grasskamp die<br />

Geschichte jenes New Yorker Galeristen, der<br />

potenzielle Käufer abschreckt, sobald er den<br />

kunsthistorischen Hintergrund eines Werks<br />

erklärt. „Viele Sammler sind nicht nur ignorant,<br />

sondern auch arrogant“, ereifert sich Ulrichs.<br />

„So, wie das Berliner Ehepaar Pietzsch, das der<br />

Stiftung Preußischer Kulturbesitz die obszöne<br />

Schenkungsbedingung stellt, seine Sammlung<br />

dauerhaft zu zeigen!“<br />

Politiker ließen überall avantgardistische Museumsbauten hinsetzen, ohne an die Folgekosten zu denken, zürnt der Unternehmer und<br />

Kunstsammler Harald Falckenberg (rechts) – und blickt auf Deutschland mit seinen inzwischen über 6700 Museen. Zu viele? Auch der<br />

Kunsthistoriker Walter Grasskamp (links) von der Akademie der Bildenden Künste München sieht immer mehr Ausstellungsspektakel<br />

und spricht von einer „falsch verstandenen Demokratisierung“, einem Gegenwartsrausch, der sich als Publikumsnähe tarne.<br />

Sterben Mäzene wie Falckenberg tatsächlich aus?<br />

Solche Sammler aus Leidenschaft, die den Dialog<br />

mit Künstlern und Museen pflegen? Auch wenn<br />

Falckenberg die Berliner Vorgänge inakzeptabel<br />

findet, „das Teufelsbild <strong>des</strong> Sammlers“ langweilt<br />

ihn zutiefst. „Ich kann zwar die Brotaufgaben der<br />

Museen nicht übernehmen, unterstützen aber<br />

kann ich sie schon.“ Ärgerlich findet er vielmehr<br />

die kulturellen Untiefen, durch die Museen zunehmend<br />

zu schippern hätten – etwa, dass nur noch<br />

jeder siebte Besucher der Hamburger Kunsthalle<br />

sich die hauseigenen Sammlungen anschaut,<br />

die übergroße Mehrheit hingegen wegen der<br />

Wechselausstellungen kommt. Auch in Spitzenhäusern<br />

wie der Londoner Tate Modern sind<br />

traditionelle Sammlungen zur Stapelware degradiert,<br />

während wechselnde Attraktionen wie das<br />

15-Wochen-Spektakel „Art in Action“ das internationale<br />

Renommee mehren und Besucherrekorde<br />

versprechen. Denn der schillernde Name großer<br />

Häuser wirft einen Schimmer seines Glanzes auf<br />

die Betrachter und beschert den Städten einen<br />

Zustrom an Gästen. „Also lassen Politiker überall<br />

avantgardistische Museumsbauten hinsetzen,<br />

ohne an die Folgekosten zu denken“, zürnt Harald<br />

Falckenberg. Inzwischen gebe es in Deutschland<br />

über 6700 Museen, ergänzt Stephan Lohr, Gesprächsmoderator<br />

von NDR Kultur. Zu viele? Die<br />

Frage erstirbt in der Aufregung um getunte Besucherzahlen<br />

und die neue Kommerzialisierung.<br />

Versetzen Zahlenmythos und Ereigniswettlauf die<br />

Museen in einen Gegenwartsrausch, der sich als<br />

Publikumsnähe tarnt, aber, so Grasskamp, einer<br />

„falsch verstandenen Demokratisierung“ frönt?<br />

Diesen Untergangsszenarien widersetzt sich Brigitte<br />

Franzen, Direktorin <strong>des</strong> Ludwig Forums für<br />

Internationale Kunst in Aachen und einzige Museumsmacherin<br />

in der hannoverschen Runde. Auch<br />

sie leugnet die wachsenden Probleme nicht. So<br />

ist ihr Etat heute nicht höher, als er in den 1970er<br />

Jahren war. „Aber es gibt sehr viele Förderer alter<br />

Schule, die ohne Bedingungen geben.“ Die Klimaanlage<br />

<strong>des</strong> Ludwig Forums beispielsweise – kein<br />

Werk mit Prestigewert – wurde von einem Unternehmen<br />

gestiftet. „Wichtig aber bleibt, dass sich<br />

die öffentliche Hand weiterhin in der Pflicht fühlt,<br />

Kulturpolitik in den Kommunen als Leistungs-<br />

Impulse 2013 77


soll zu verstehen und nicht bloß als freiwillige<br />

Leistung.“ Was Franzen ebenso umtreibt, ist die<br />

selektive mediale Aufmerksamkeit. „Berichtet<br />

wird über die großen Museen und jene mit den<br />

augenfälligsten Attraktionen.“ Und für Ausstellungen<br />

mit populären Gegenwartskünstlern wie<br />

Gerhard Richter gebe es allemal Geld.<br />

Museen und Sammlungen rücken zusammen –<br />

die <strong>Digitalisierung</strong> der Bestände macht's möglich<br />

Verliert im Sog der Modetrends die museale<br />

Zukunft ihre Perspektive? Kann der Mensch auch<br />

künftig im Museum noch der eigenen Historie,<br />

einem kollektiven Gedächtnis und damit seiner<br />

Gattung und sich selbst begegnen? Kann er<br />

zumin<strong>des</strong>t im Museum noch „begreifen, dass er<br />

eine Geschichte hat“? Oder kann er bestenfalls<br />

eine Offenbarung im Sinne von Walter Benjamin<br />

Initiative „Forschung in Museen“<br />

Im Jahr 2008 hat die <strong>VolkswagenStiftung</strong> ein<br />

Förderangebot initiiert, das Museen als Forschungseinrichtungen<br />

in den Blick nimmt.<br />

Übergreifende Ziele der Initiative „Forschung in<br />

Museen“ sind dabei die Stärkung der Museen<br />

als Forschungseinrichtungen und die Förderung<br />

<strong>des</strong> wissenschaftlichen Nachwuchses im<br />

Bereich der sammlungsbezogenen Forschung.<br />

Nach mehreren erfolgreichen Ausschreibungsrunden<br />

wurden bis Ende 2012 siebzig<br />

Bewilligungen über gut elf Millionen Euro ausgesprochen.<br />

Im Kern zielt das Förderangebot<br />

auf mittlere und kleinere Museen hierzulande.<br />

Gerade diesen Einrichtungen stehen oftmals<br />

nur unzureichend Mittel und Kapazitäten für<br />

Forschung an den Sammlungen zur Verfügung.<br />

Das ist fatal, kann doch eine nachhaltige<br />

Museumsarbeit nur auf dem Wissen über<br />

die vorhandenen Sammlungen aufbauen.<br />

erleben, für den die Beziehung zur Vergangenheit<br />

nicht zeitlich, sondern bildlicher Natur war; eine<br />

Vergangenheit, die sich in einem Bild „blitzhaft“<br />

mit dem Jetzt zu einer Konstellation verbindet<br />

und eine „profane Erleuchtung“ bewirkt? Einen<br />

starken Part als kollektives Gedächtnis spielen<br />

die vielen regional verankerten Häuser, betont<br />

Franzen: „Sie sind bildend, sogar stilbildend, wie<br />

Kassel, Münster oder Darmstadt beweisen, und<br />

sie schaffen Identität.“<br />

Rettet also die Provinz die museale Zukunft?<br />

„Angesichts der <strong>Digitalisierung</strong> ist die Unterscheidung<br />

zwischen Zentrum und Peripherie<br />

obsolet geworden“, schickt Franzen hinterher.<br />

Was zähle, sind Museumsdirektoren, die abseits<br />

<strong>des</strong> beschleunigten Pulsschlags einer sich<br />

überschlagenden Eventkultur als „urteilende<br />

Sammler“ überdauernde Werke identifizierten:<br />

„Kunstobjekte mit Mehrwert“. Dabei gilt es,<br />

Daher bietet die Stiftung gerade kleineren<br />

und mittelgroßen Häusern die Möglichkeit,<br />

Forschungsvorhaben zu beantragen. Ein solches<br />

Projekt soll auf der Kooperation zwischen<br />

einem Museum und einer universitären oder<br />

außeruniversitären Forschungseinrichtung<br />

beruhen und maßgeblich vom wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs getragen sein. Explizit fördert<br />

die Stiftung hier zum einen im Rahmen kooperativer<br />

Projekte Doktorarbeiten zu sammlungsbezogenen<br />

Themen. Zum anderen erhalten<br />

promovierte junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler die Chance, selbst Projekte<br />

mit Sammlungsbezug zu beantragen. Alle<br />

Fördermodule stießen von Beginn an auf großes<br />

Interesse, und vor allem jenes, das Museumsmitarbeitern<br />

eine Freistellung zugunsten<br />

ihrer Forschungsarbeit ermöglicht, zeigte sich<br />

unmittelbar als besonders wirksam. cj<br />

Großes Nachdenken bei dem Quintett:<br />

Welche Museen will eigentlich diese Gesellschaft?<br />

erinnert Franzen, neben dem kunst- auch den<br />

kulturhistorischen Wert einer Arbeit zu erkennen.<br />

Etwa bei sowjetrussischen Werken, die auf<br />

die Zeit <strong>des</strong> einst real existierenden Sozialismus<br />

verweisen. Ein Balanceakt auf dem schmalen<br />

Grat zwischen Erkennen von Relevanz und definitorischer<br />

Anmaßung, zwischen dem Publikumsrecht<br />

auf Amusement und „Bildung“.<br />

Mit der <strong>Digitalisierung</strong> wächst die Komplexität dieser<br />

Aufgabe. Bereits die Anfänge <strong>des</strong> Films lösten<br />

die „Potenzierung einer Bildersucht“ aus, die den<br />

Museen den Bilder-Rang ablief, wie Grasskamp<br />

analysiert. „Kann heute ein Museum der neuen<br />

Medien Herr werden, von denen es doch deklassiert<br />

worden ist?“ Tatsächlich ist das kulturelle Erbe<br />

jederzeit und überall abrufbar; es kann mit eigenen<br />

Daten angereichert und neu gestaltet, durch<br />

interaktive Angebote – Stichwort „Augmented<br />

Reality“ – die reale räumliche Erfahrung mit dem<br />

virtuellen Museum verbunden werden. Doch das<br />

Thema <strong>Digitalisierung</strong> mit allen rechtlichen Konsequenzen<br />

wird von der hannoverschen Gesprächsrunde<br />

weit umschifft. Nur Franzen weist auf den<br />

steigenden finanziellen Bedarf durch die museale<br />

<strong>Digitalisierung</strong> hin. Die technische Entwicklung<br />

aber könne weder die Quellenkonservierung noch<br />

die physische Auseinandersetzung mit realen<br />

Exponaten je ersetzen. „Letztlich ist es die Aura <strong>des</strong><br />

Museums, die dem virtuellen Zeitgeist standhält.“<br />

Oder die Möglichkeit einer „profanen Erleuchtung“<br />

angesichts <strong>des</strong> Originals – auch wenn diese weder<br />

das „wahre“ Wesen der Dinge öffnet, noch die Welt<br />

an sich. Schließlich hat sich die Postmoderne selbst<br />

von der Vorstellung der einen und einzigen Wahrheit<br />

getrennt.<br />

Bleibt die Frage, ob das reale Museum auch in<br />

Zukunft ein Ort sein wird, an dem der Betrachter<br />

eine historisch verwurzelte „Erfahrungswirklichkeit“<br />

konstruieren kann. „Das ist eine gesamtgesellschaftliche<br />

Frage“, resümiert Franzen. „Die<br />

Frage, welche Gesellschaft wollen wir, und welche<br />

Museen will diese Gesellschaft?“<br />

Ruth Kuntz-Brunner<br />

Sie bescherten dem Publikum im Kleinen Sen<strong>des</strong>aal <strong>des</strong><br />

NDR Funkhauses Hannover einen unterhaltsamen Abend<br />

(oben, von links nach rechts): NDR-Moderator Stephan Lohr,<br />

der Künstler Professor Timm Ulrichs, Museumsdirektorin<br />

Dr. Brigitte Franzen, der <strong>Wissens</strong>chaftler Professor Dr. Walter<br />

Grasskamp und der Hamburger Jurist, Unternehmer und<br />

Kunstsammler Dr. Harald Falckenberg. Welches Bild zeichnen<br />

sie nun für das Museum der Zukunft? Hat es überhaupt eine<br />

Zukunft? „Letztlich ist es die Aura <strong>des</strong> Museums, die dem<br />

virtuellen Zeitgeist standhält“, meint Brigitte Franzen. Oder<br />

die Möglichkeit einer „profanen Erleuchtung“ <strong>des</strong> Besuchers,<br />

der Besucherin angesichts <strong>des</strong> Anblicks <strong>des</strong> Originals. Darauf<br />

konnten sich alle Podiumsteilnehmer verständigen.<br />

78 Impulse 2013 79


Forum<br />

Die Stiftung ist nun 50<br />

Am 15. und 16. März 2012 feierte die Volkswagen-<br />

Stiftung in Berlin ihr 50. Jubiläum – mit Festakt<br />

und Symposium. Dokumentation erschienen.<br />

Zu Beginn gab’s für die Besucher was auf die<br />

Ohren: Mit afrikanisch anmutenden Klängen<br />

eröffnete der aus Namibia stammende Sänger<br />

Elemotho samt Band am 15. März 2012 in Berlin die<br />

Feierlichkeiten zum Stiftungsjubiläum. Rund 450<br />

Gäste lauschten im Schlüterhof <strong>des</strong> Deutschen<br />

Historischen Museums zunächst der Festansprache<br />

von Bun<strong>des</strong>forschungsministerin und Kuratoriumsmitglied<br />

Professorin Dr. Annette Schavan<br />

sowie einer Diskussionsrunde mit Persönlichkeiten<br />

aus <strong>Wissens</strong>chaft, Politik und Stiftungswesen.<br />

Weniger wissenschaftspolitisch, dafür deutlich<br />

forschungsorientierter ging es im zweiten Teil der<br />

Veranstaltung zu. Hier informierten vier von der<br />

Der Blick nach innen:<br />

Nachrichten aus<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Stiftung geförderte <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und<br />

<strong>Wissens</strong>chaftler über ihre Arbeit. Musikalische<br />

Akzente setzte neben Elemotho die aus Armenien<br />

stammende Sängerin Narine Yeghiyan.<br />

Die Jubiläumsfeierlichkeiten wurden am Tag<br />

darauf im Schloss Bellevue mit dem Symposium<br />

„Wissen stiften für das 21. Jahrhundert“ fortgesetzt.<br />

Hier stellten sich die rund zweihundert<br />

Vortragenden und Teilnehmer aus aller Welt<br />

unter anderem die Frage, welchen Problemen<br />

und Chancen <strong>Wissens</strong>chaft und Zivilgesellschaft<br />

zu Beginn <strong>des</strong> 21. Jahrhunderts gegenüberstehen.<br />

Sie sprachen über die Forschung von morgen und<br />

über zukunftsweisende Konzepte staatlicher wie<br />

privater <strong>Wissens</strong>chaftsförderung. Impressionen<br />

zu Festakt und Symposium in Wort, Bild und Ton<br />

bietet die Jubiläumswebsite der Stiftung unter<br />

www.volkswagenstiftung-50-jahre.de.<br />

Am 15. und 16. März 2012<br />

feierte die <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

ihr 50. Arbeitsjubiläum.<br />

Einblicke in fünf Jahrzehnte<br />

<strong>Wissens</strong>chaftsförderung<br />

gab es während <strong>des</strong> Festakts<br />

im Deutschen Historischen<br />

Museum und – wie hier zu<br />

sehen – beim anschließenden<br />

wissenschaftlichen Symposium<br />

im Schloss Bellevue.<br />

Den Festakt im Deutschen Historischen Museum eröffnete<br />

Kuratoriumsmitglied und Bun<strong>des</strong>forschungsministerin Annette<br />

Schavan. Viele Persönlichkeiten aus <strong>Wissens</strong>chaft, Wirtschaft,<br />

Politik und Stiftungswesen waren der Einladung gefolgt.<br />

Der zwischenzeitlich erschienene Dokumentationsband<br />

zu beiden Festtagen versammelt <strong>Wissens</strong>chaftlerporträts,<br />

Diskussionsrunden, Fotostrecken<br />

und ausgewählte Vorträge. Mit dieser Publikation<br />

soll Bilanz gezogen und zugleich ein Ausblick<br />

gewagt werden. Während ihr erster Teil darstellt,<br />

wie die Stiftung als Impulsgeberin bis heute für<br />

den <strong>Wissens</strong>chaftsstandort Deutschland gewirkt<br />

hat, richtet der zweite Teil den Blick auf das Übermorgen:<br />

Welches werden die Herausforderungen<br />

<strong>des</strong> 21. Jahrhunderts sein – und wie muss <strong>Wissens</strong>chaft<br />

gefördert werden, damit die Menschheit auf<br />

diese Fragen auch in den kommenden fünfzig Jahren<br />

noch Antworten zu finden vermag?<br />

Sie zog das Publikum bei den Jubiläumsfeierlichkeiten gleich<br />

mehrfach in ihren Bann – Sängerin Narine Yeghiyan aus Armenien.<br />

Zum 50. Geburtstag<br />

Nachwuchsfotografen der Hochschule Hannover<br />

porträtieren die Arbeit der <strong>VolkswagenStiftung</strong>.<br />

Sie waren an 37 Orten in aller Welt, sind über<br />

90.000 Kilometer gereist, um von der Stiftung<br />

geförderte Forscherinnen und Forscher bei ihrer<br />

Arbeit zu begleiten. Und sie warfen einen Blick<br />

in das Innenleben der Stiftung in Hannover-<br />

Döhren: Was zwanzig Fotografie-Studierende<br />

der Hochschule Hannover an visuellen Eindrücken<br />

festgehalten haben, versammelt ein<br />

ungewöhnliches Fotobuch, das im 50. Jubiläumsjahr<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> erschienen ist.<br />

Auf der Jubiläumsseite www.volkswagenstiftung-<br />

50-jahre.de können Sie online im Bildband<br />

blättern: www.volkswagenstiftung-50-jahre.de/<br />

media/jubilaeumsband.<br />

80 Impulse 2013 81


Forum<br />

Opus Primum 2012 verliehen<br />

Das Ende der DDR im Fokus: Dirk Laabs gewinnt<br />

Nachwuchspreis für sein Buch über die Treuhand.<br />

Dirk Laabs ist der zweite Preisträger von Opus<br />

Primum. Der Absolvent der Henri-Nannen-Schule<br />

erhält den mit 10.000 Euro dotierten Förderpreis<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> für seine Darstellung der<br />

Geschichte der „Treuhand“. Die Treuhandanstalt<br />

hatte in der Spätphase der DDR die Aufgabe, die<br />

Volkseigenen Betriebe der DDR nach den Grundsätzen<br />

der Marktwirtschaft zu privatisieren oder<br />

aber stillzulegen, wenn sie nicht wettbewerbsfähig<br />

schienen. War die Arbeit der Treuhand entscheidend<br />

für die wirtschaftliche Vereinigung der<br />

beiden deutschen Staaten? Und: War sie eigentlich<br />

erfolgreich – trotz der Skandale um Fördermittelmissbrauch<br />

und Wirtschaftskriminalität? Mit<br />

diesen und weiteren Fragen beschäftigt sich Dirk<br />

Laabs in seinem Buch „Der deutsche Goldrausch:<br />

Die wahre Geschichte der Treuhand“ (Pantheon<br />

Verlag, München 2012, 384 Seiten. Euro 16,99).<br />

Der Autor beleuchtet eines der spannendsten,<br />

aber wenig beachteten Kapitel der deutschen<br />

Wiedervereinigung. „Dirk Laabs hat eine grundlegende<br />

Arbeit vorgelegt, in der er die gesellschaftspolitische<br />

Geschichte eines unerwarteten<br />

Opus-Primum-Preisträger Dirk Laabs (links) erhält die<br />

Auszeichnung aus den Händen <strong>des</strong> Generalsekretärs<br />

der <strong>VolkswagenStiftung</strong> Dr. Wilhelm Krull.<br />

Umbruchs aufblättert. Sein Werk verbindet akribische<br />

journalistische Recherche mit einem wohltuend<br />

nüchternen Stil. Der Autor stellt die Leistungskraft<br />

der Chronologie überzeugend unter<br />

Beweis und zeigt durch die fesselnde Darstellung<br />

der Ereignisse sehr wirkungsmächtig, wie tief die<br />

Kluft zwischen Ost- und Westdeutschland noch<br />

ist“, heißt es in der Begründung der Jury. Sie musste<br />

sich aus einer Shortlist von zehn hervorragenden<br />

Titeln für die beste wissenschaftliche Nachwuchspublikation<br />

entscheiden. Insgesamt gingen<br />

fast achtzig Vorschläge für den Wettbewerb ein.<br />

Mit ihrem Förderpreis möchte die Stiftung den<br />

wissenschaftlichen Nachwuchs stärken und vor<br />

allem unterstreichen, dass <strong>Wissens</strong>chaftsvermittlung<br />

für die deutsche Forschung eine zentrale Aufgabe<br />

ist. Die Auszeichnung wurde gemeinsam mit<br />

dem NDR Kultur Sachbuchpreis am 20. November<br />

2012 im Alten Rathaus in Hannover verliehen.<br />

Dirk Laabs, geboren 1973 in Hamburg, ist Autor<br />

und Filmemacher. 2005 erschien von ihm<br />

„Tödliche Fehler – Das Versagen von Politik und<br />

Geheimdiensten im Umfeld <strong>des</strong> 11. September<br />

2001“. Sein Film „Die Fremden im Paradies –<br />

Warum Gotteskrieger töten“ erhielt 2004 den<br />

Dokumentarfilmpreis <strong>des</strong> Bayerischen Rundfunks.<br />

Der gleichzeitig verliehene NDR Kultur Sachbuchpreis<br />

ging übrigens an David Van Reybrouck; die<br />

Jury wählte sein Werk „Kongo. Eine Geschichte“<br />

als bestes deutsches Sachbuch 2012 aus. „Dieser<br />

Siegertitel ist der seltene Fall eines historischen<br />

Buchs, das lebendig erzählte Geschichten mit der<br />

Analyse von Geschichte zu einer modernen, zeitgemäßen<br />

'oral history' verbindet. Es ist eine exemplarische<br />

Tiefenbohrung in die Geschichte eines<br />

afrikanischen Lan<strong>des</strong> – und wird dabei zu einem<br />

Blick in die Menschengeschichte schlechthin“,<br />

heißt es in der Stellungnahme der Jury.<br />

Ökoprofit Hannover 2012<br />

Zur Optimierung <strong>des</strong> betrieblichen Umweltschutzes:<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> nimmt seit April 2012 am<br />

Ökoprofit-Programm teil.<br />

Vor zwanzig Jahren wurde in Graz das Programm<br />

„Ökoprofit“ für den betrieblichen Umweltschutz<br />

entwickelt. Viele Städte und Regionen weltweit<br />

haben es inzwischen umgesetzt. Die Ziele: Emissionen<br />

zu reduzieren, natürliche Ressourcen zu<br />

schonen und gleichzeitig die betrieblichen Kosten<br />

zu senken.<br />

Als erste Stadt im Norden Deutschlands übernahm<br />

im Jahr 1999 Hannover das Programm als Kooperationsprojekt<br />

von Kommunen, Lan<strong>des</strong>hauptstadt<br />

und Region Hannover sowie den dort ansässigen<br />

Unternehmen und Institutionen. Rund 140 Betriebe<br />

beteiligen sich seitdem daran. In diesem Jahr<br />

gehört auch die <strong>VolkswagenStiftung</strong> zur Einsteigergruppe<br />

bei Ökoprofit und verfolgt so das Bestreben,<br />

den betrieblichen Umweltschutz nachhaltig zu<br />

verbessern.<br />

Pfeiler dieses Ökologischen Projekts für integrierte<br />

Umwelttechnik sind die Kooperation zwischen<br />

Kommune und Wirtschaft sowie der Aufbau<br />

eines lokalen Netzwerkes nebst Erfahrungsaustausch.<br />

Die Teilnehmer erarbeiten gemeinsam mit<br />

externen und kommunalen Experten praktische<br />

Konzepte zur Einsparung von Energie, Wasser<br />

und Abfall. Weitere Informationen sind zu finden<br />

unter www.oekoprofit-hannover.de.<br />

Doppelte Ehrung für Krull<br />

Die Washington University in St. Louis, USA,<br />

verlieh dem Generalsekretär der Volkswagen-<br />

Stiftung Dr. Wilhelm Krull im Juli 2012 eine<br />

Honorarprofessur für Geistes- und Gesellschaftswissenschaften.<br />

Krull wird dort ab 2013 Vorträge<br />

und Lehrveranstaltungen etwa zur Literatur-<br />

und Kulturgeschichte Deutschlands im 20.<br />

Jahrhundert oder über wissenschaftspolitische<br />

Themen halten. Im September wurde ihm noch<br />

eine zweite Würdigung zuteil: Die Academia<br />

Stiftungskuratorium neu besetzt<br />

2012 nahmen sieben neue Kuratorinnen und<br />

Kuratoren im insgesamt 14-köpfigen Vorstand<br />

der Stiftung ihre Arbeit auf.<br />

Im Rahmen <strong>des</strong> turnusgemäßen Wechsels schieden<br />

Ende Februar 2012 sieben Mitglieder <strong>des</strong> Kuratoriums<br />

der Stiftung aus ihrem Amt aus. Von der<br />

Niedersächsischen Lan<strong>des</strong>regierung neu berufen<br />

wurden Professor Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann,<br />

Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG, Professor<br />

Dr. Stefan Treue, Direktor <strong>des</strong> Deutschen Primatenzentrums<br />

in Göttingen, und Professorin Dr.<br />

Johanna Wanka, Niedersächsische Ministerin für<br />

<strong>Wissens</strong>chaft und Kultur.<br />

Die Bun<strong>des</strong>regierung benannte erstmals Professor<br />

Dr. Thomas Carell, Lehrstuhl für Organische Chemie<br />

an der Fakultät für Chemie und Pharmazie<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />

Professor Dietmar Harhoff, Ph.D., Vorstand <strong>des</strong><br />

Instituts für Innovationsforschung, Technologiemanagement<br />

und Entrepreneurship und<br />

Professor an der Fakultät für Betriebswirtschaft<br />

der Ludwig-Maximilians-Universität München,<br />

Professor Dr. Jürgen Osterhammel, Neuere und<br />

Neueste Geschichte an der Universität Konstanz,<br />

sowie Professorin Dr. Beate Söntgen vom Institut<br />

für Philosophie und Kunstwissenschaft, Lehrstuhl<br />

für Kunstgeschichte der Leuphana Universität<br />

Lüneburg, zugleich Vizepräsidentin Forschung<br />

und Humanities der Hochschule.<br />

Bun<strong>des</strong>regierung und Niedersächsische Lan<strong>des</strong>regierung<br />

berufen insgesamt je sieben Kuratoriumsmitglieder<br />

für eine Amtszeit von bis zu zwei Mal<br />

fünf Jahren.<br />

Sie sind neu im Kuratorium der Stiftung (von oben nach unten):<br />

Dr.-Ing. Heinz Jörg Fuhrmann, Professor Stefan Treue,<br />

Professorin Johanna Wanka, Professor Thomas Carell,<br />

Professor Dietmar Harhoff, Professor Jürgen Osterhammel,<br />

Professorin Beate Söntgen.<br />

Europaea ernannte ihn zum Ehrenmitglied.<br />

82 Impulse 2013 83


Sechzig junge <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen und <strong>Wissens</strong>chaftler aus<br />

aller Welt – unter ihnen Bernd Hezel und Romina Drees – trafen<br />

sich Ende November 2012 zehn Tage lang in der Abgeschiedenheit<br />

der Lüneburger Heide in dem kleinen niedersächsischen Ort<br />

Visselhövede, um die großen globalen Themen und Herausforderungen<br />

zu durchdenken – so wie hier beim Change dialogue.<br />

Ist die Welt<br />

gewappnet?<br />

40 Jahre nach dem Bericht<br />

„Die Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ –<br />

was haben wir für den Umgang<br />

mit Prognosen gelernt?<br />

Ein neues Zukunftsszenario.<br />

84 Impulse 2013 85


Rund 160 Experten aus aller Welt versammelten sich Ende November 2012<br />

auf Einladung der <strong>VolkswagenStiftung</strong> für zwei Tage in Hannover zum<br />

Herrenhäuser Symposium „Already Beyond? 40 Years Limits of Growth“.<br />

Der Stargast unter vielen prominenten Referenten und Diskutanten war<br />

Dennis Meadows, Mitautor der Studie „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“, die vor<br />

vier Jahrzehnten von der Stiftung mit einer Million Mark finanziert worden<br />

war und die seinerzeit hohe Wellen geschlagen hatte. Ein paar Tage zuvor<br />

war in dem kleinen niedersächsischen Ort Visselhövede bereits eine weitere,<br />

eher experimentell angelegte Veranstaltung gestartet: die Winter School<br />

„Limits to Growth Revisited“. In der Abgeschiedenheit der Lüneburger Heide<br />

fanden sechzig Studierende und Doktoranden von überall her ausgiebig<br />

Zeit, intensiv über globale Herausforderungen zu diskutieren.<br />

Längst sind die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ zu<br />

einem modernen Mythos geworden: eine Pionierstudie<br />

der systemdynamischen Modellierung,<br />

ein Weltbestseller und Chiffre einer Zeitenwende.<br />

Die Probleme, die Dennis Meadows und seine<br />

Mitstreiter Anfang der 1970er Jahre analysierten,<br />

sind weiterhin ungelöst, aber zugleich hat sich<br />

das Koordinatensystem verschoben, das den<br />

Rahmen der weltumspannenden Debatte liefert.<br />

Das macht eine Jubiläumsveranstaltung zu einer<br />

durchaus delikaten Angelegenheit: Die „Grenzen<br />

<strong>des</strong> Wachstums“ sind schließlich keiner jener<br />

Meilensteine der Forschung, die sich nach ein paar<br />

Jahrzehnten mit einer gewissen Gelassenheit<br />

bilanzieren lassen.<br />

Rege diskutiert wurde auch<br />

in den Pausen. Die Teilnehmer<br />

der Winter School fanden<br />

sich in immer wieder neuen<br />

Gruppen zusammen.<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hatte sich <strong>des</strong>halb für<br />

eine spannungsreiche Verbindung von zwei<br />

unterschiedlichen Veranstaltungsformaten entschieden.<br />

Bei dem hochkarätig besetzten Symposium<br />

in Hannover diskutierten Experten über die<br />

bekannten globalen Herausforderungen – unter<br />

den Zuhörern dabei jene sechzig Nachwuchswissenschaftler,<br />

die sich in den Tagen zuvor in Visselhövede<br />

zu der Winter School versammelt hatten.<br />

Im Unterschied zum Symposium war bei der<br />

Winter School auf eine vorab festgelegte Struktur<br />

verzichtet worden. So hatten die Teilnehmerinnen<br />

und Teilnehmer die Gelegenheit für ungewöhnlich<br />

freimütige Debatten, befeuert von der<br />

enormen Vielfalt der vertretenen Disziplinen und<br />

Weltregionen. Entsprechend engagiert suchten sie<br />

nach möglichen Wegen in unsicheren Zeiten und<br />

zugleich nach Worten, um den laufenden Wandel<br />

<strong>des</strong> ökologischen Diskurses zu umreißen.<br />

Der begeisternde Fatalist – Dennis Meadows zeigt<br />

die großen Linien auf<br />

Konnten die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ 1972 noch<br />

von einer gewissen Sicherheit über den Entwicklungspfad<br />

westlicher Wohlstandsgesellschaften<br />

ausgehen und die Frage nach den Konsequenzen<br />

in den Mittelpunkt stellen, sahen sich die Nachwuchsforscher<br />

mit dem umgekehrten Dilemma<br />

Dennis Meadows (unten) eröffnete das zweitägige Symposium „Already beyond? 40 Years Limits<br />

of Growth“, das am 28. und 29. November 2012 in Hannover stattfand. Vier Jahrzehnte nach der<br />

Studie zu den „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“, deren Mitautor er war, wurde ihm immer wieder auch<br />

die Frage gestellt: Was hat die seinerzeit weltumspannend geführte Debatte eigentlich bewirkt?<br />

konfrontiert: Die Folgen unserer Wirtschafts- und<br />

Lebensweisen kennen wir nur zu gut – aber nach<br />

den Umbrüchen und Krisen der vergangenen<br />

Jahrzehnte fehlt das Vertrauen in langfristig prognostizierbare<br />

Entwicklungstrends.<br />

Dennis Meadows erwies sich für das Unterfangen,<br />

Unsicherheiten zu greifen und zu bündeln, als ideale<br />

Besetzung. Mit viel Charme und ohne Starallüren<br />

gewann er bei seinem Auftritt in Visselhövede<br />

die Sympathien <strong>des</strong> Publikums. Dabei verzichtete<br />

er nicht auf pointierte Thesen. Mit Leidenschaft<br />

demontierte er die Illusion der „nachhaltigen Entwicklung“<br />

und forderte zugleich neue Formen der<br />

Vermittlung: Der Ansatz der „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“,<br />

eine wissenschaftliche Studie quasi auf<br />

die Türschwelle einer Weltöffentlichkeit zu legen,<br />

die dann schon die richtigen Schlüsse ziehen und<br />

Bei der Winter School traf eine Vielfalt an<br />

Charakteren, kulturellen Hintergründen,<br />

wissenschaftlichen Disziplinen und Weltreligionen<br />

aufeinander.<br />

Entscheidungen treffen würde, erschien Meadows<br />

im Rückblick arg naiv. Im Übrigen verweigerte<br />

er sich der Rolle <strong>des</strong> Auguren: „Die Tatsache, dass<br />

mein Name vor vierzig Jahren auf dem Cover eines<br />

berühmten Buches stand, bedeutet nicht, dass ich<br />

alle Antworten habe.“<br />

Die „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ machten auch<br />

<strong>des</strong>halb Furore, weil sie in eine Zeit <strong>des</strong> Umbruchs<br />

fielen: Nach zwei Jahrzehnten <strong>des</strong> Booms<br />

rutschten die westlichen Wohlstandsgesellschaften<br />

gleich in mehrfacher Beziehung in<br />

die Krise. Vierzig Jahre später nun mehren sich<br />

die Zeichen, dass wir erneut in einer Zeit <strong>des</strong><br />

beschleunigten Wandels leben: stagnierende Sorge<br />

um das Bevölkerungswachstum, gepaart mit<br />

wachsender Anspannung angesichts der Frage<br />

nach ausreichender Ernährung der Weltbevölke-<br />

86 Impulse 2013 87


Der Glaube an eine<br />

gute Zukunft für die<br />

Menschheit ist vorhanden:<br />

Abschlussbild der<br />

Teilnehmer der Winter<br />

School, die viele Bilder<br />

in ihrem Innern mit<br />

nach Hause genommen<br />

haben dürften.<br />

rung; erstarktes Selbstbewusstsein <strong>des</strong> Globalen<br />

Südens, aber zugleich Bewahrung <strong>des</strong> westlichen<br />

Wohlstandsmodells; Bewusstsein für ökologische<br />

Grenzen und zugleich für die enorme Innovationskraft<br />

moderner Gesellschaften. Einstige<br />

Horrorszenarien und die Vorstellung, dass langfristiges<br />

Planen möglich sei, haben viel von ihrer<br />

Wirkungsmacht eingebüßt. Jedoch: Der Glaube an<br />

die Gestaltbarkeit von Zukunft lebt weiter, jedenfalls<br />

unter den Teilnehmern der Winter School.<br />

Die Zeichen stehen auf Unsicherheit und Krise –<br />

damals wie heute<br />

Seinerzeit wurde der Forschungsantrag, der zu<br />

den „Grenzen <strong>des</strong> Wachstums“ führte, eher trotz<br />

als wegen <strong>des</strong> Votums der Gutachter angenom-<br />

Dennis Meadows inspirierte<br />

die Teilnehmerinnen und Teilnehmer<br />

der Winter School: Er<br />

zeigte die großen Herausforderungen<br />

auf – in gewohnt<br />

unkapriziöser Attitüde. Der<br />

Altmeister beeindruckte.<br />

men. Die Winter School erwies sich insofern als<br />

würdige Nachfolgerin: Hier lockte nicht der gesicherte<br />

Erfolg <strong>des</strong> Projekts, sondern eher das Gefühl,<br />

dass Fragen und Denkmuster gerade in solchen<br />

Zeiten der Krise einer neuerlichen Reflexion bedürfen.<br />

Dass man jedenfalls aus der Klemme, in der die<br />

Menschheit längst steckt, mit den eingeschliffenen<br />

Formeln kaum herausfinden wird, betonte nicht<br />

zuletzt Meadows immer wieder mit Nachdruck.<br />

So war es schließlich ein Ausweis <strong>des</strong> Erfolgs, dass<br />

Symposium und Winter School gleichermaßen ein<br />

in jeder Hinsicht grenzüberschreiten<strong>des</strong> Gespräch<br />

ermöglicht und zugleich die Notwendigkeit einer<br />

Fortsetzung aufgezeigt haben.<br />

Der Autor dieses Textes, Privatdozent Dr. Frank<br />

Uekötter, ist Dilthey-Fellow der <strong>VolkswagenStiftung</strong>;<br />

er hat die Winter School mit vorbereitet und geleitet.<br />

Die Veranstaltungsformate der Stiftung<br />

Mit Beginn <strong>des</strong> Jahres 2013 präsentiert sich die<br />

Stiftung im internationalen Tagungszentrum<br />

Schloss Herrenhausen in Hannover mit einer<br />

Reihe von bereits in den vergangenen drei<br />

Jahren etablierten Veranstaltungsformaten.<br />

Ziel ist es, gleichermaßen die <strong>Wissens</strong>chaft und<br />

deren Erkenntnisse stärker in die Gesellschaft<br />

hineinzutragen wie den innerwissenschaftlichen<br />

Diskurs zu aktuellen Forschungsfragen<br />

voranzutreiben. Die einzelnen Angebote richten<br />

sich beispielsweise an <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftler, an Forschungs- und<br />

Hochschulpolitiker, Führungskräfte aus Wirtschaft<br />

und Gesellschaft oder auch Bürgerinnen<br />

und Bürger, die an aktuellen Forschungsfragen<br />

interessiert sind. Zu diesen Angeboten zählen –<br />

neben der seit Jahrzehnten etablierten Initiative<br />

„Symposien und Sommerschulen“ – die Herrenhäuser<br />

Gespräche, die Reihe Herrenhäuser<br />

Forum sowie die Herrenhäuser Konferenzen,<br />

die explizit <strong>Wissens</strong>chaftler adressieren.<br />

Eine Marke wird etabliert:<br />

die Herrenhäuser Gespräche.<br />

Mit den Herrenhäuser Gesprächen präsentieren<br />

die <strong>VolkswagenStiftung</strong> und NDR Kultur<br />

aktuelle Themen aus <strong>Wissens</strong>chaft und Kultur,<br />

die unsere Gesellschaft bewegen. Ganz im Sinne<br />

von Gottfried Wilhelm Leibniz positioniert sich<br />

Herrenhausen damit als ein Ort <strong>des</strong> intellektuellen<br />

Diskurses, der weit über die Grenzen der<br />

Stadt Hannover hinaus eine breite Öffentlichkeit<br />

zum Mit- und Nachdenken anregt.<br />

Mit drei verschiedenen Schwerpunkten sollen<br />

die Herrenhäuser Foren – sozusagen als Dachmarke<br />

für unterschiedliche Zielrichtungen – ein<br />

breites Publikum für wissenschaftliche Fragen<br />

interessieren. Das Forum für Zeitgeschehen<br />

greift jeweils aus aktuellem Anlass historische<br />

Ereignisse auf und diskutiert deren Bedeutung<br />

für Gegenwart und Zukunft. Ausgehend vom<br />

aktuellen Stand der Forschung erörtern <strong>Wissens</strong>chaftler<br />

und <strong>Wissens</strong>chaftlerinnen im<br />

Forum Mensch – Natur – Technik das komplexe<br />

Zusammenspiel von natürlichen Gegebenheiten<br />

und technologischen Interventionen sowie<br />

deren Aus- und Wechselwirkungen auf uns und<br />

unsere Lebenswelten. Zentrale ökonomische<br />

und politische Herausforderungen sowie Fragen<br />

unseres gemeinschaftlichen Zusammenlebens<br />

stehen im Mittelpunkt der Diskussionen im<br />

Forum Politik – Wirtschaft – Gesellschaft.<br />

Ende 2012 fand die erste Herrenhäuser Konferenz<br />

statt. Vom 12. bis 14. Dezember ging es<br />

zum Thema „Downscaling Science“ einerseits<br />

um die Frage, welche Lösungsstrategien die<br />

„Nanowissenschaften“ zur Bewältigung globaler<br />

Herausforderungen bieten, wo sie derzeit an<br />

ihre Grenzen stoßen und welches momentan<br />

die wichtigsten und schwierigsten Hürden sind,<br />

die es zur signifikanten Weiterentwicklung <strong>des</strong><br />

Gebietes zu überwinden gilt. Andererseits richtete<br />

sich das Interesse der Teilnehmer darauf,<br />

ob nicht neue Wege in der <strong>Wissens</strong>chaft und<br />

<strong>Wissens</strong>chaftspolitik im Sinne eines „Downscaling<br />

Science“ gefunden und beschritten werden<br />

können – insbesondere angesichts sich stetig verteuernder<br />

Forschung und Lehre bei gleichzeitig<br />

knapper werdenden Mitteln. Jährlich drei bis fünf<br />

solcher Veranstaltungen soll es künftig geben. Sie<br />

richten sich an hochkarätige Teilnehmer aus der<br />

<strong>Wissens</strong>chaft und fokussieren mit besonderem<br />

Aktualitäts- und Zukunftsbezug wissenschaftliche<br />

Themen von – zumin<strong>des</strong>t perspektivisch –<br />

hoher gesellschaftlicher Relevanz. cj<br />

88 Impulse 2013 89


Das neue alte<br />

Schloss Herrenhausen<br />

kurz vor seiner<br />

Fertigstellung im<br />

November 2012<br />

Ausblick 2013<br />

Schloss Herrenhausen eröffnet<br />

Am 18. Januar 2013 – mit Erscheinen dieser<br />

Impulse-Ausgabe – wurde das auf Betreiben der<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong> wieder aufgebaute Schloss<br />

Herrenhausen in Hannover feierlich eröffnet. Seitdem<br />

die Stiftung im November 2007 die Absicht<br />

geäußert hatte, den Bau im Rahmen ihrer Vermögensanlage<br />

zu realisieren, war das Projekt von der<br />

Stadtöffentlichkeit mit großem Interesse und viel<br />

Zustimmung begleitet worden. Und so entstand<br />

– ohne Verzögerungen im Zeitplan – die ehemalige<br />

Sommerresidenz der Welfen anhand rekonstruierter<br />

Pläne im historischen Gewand der von<br />

Hofbaumeister Laves vor fast genau zweihundert<br />

Jahren gestalteten klassizistischen Fassade.<br />

Innen jedoch würde Laves „sein“ Schloss nicht<br />

wiedererkennen. Hier wartet ein mit modernster<br />

Technik ausgestattetes Veranstaltungszentrum;<br />

in den Seitenflügeln finden Ausstellungen ein<br />

Zuhause. Ab sofort wird sich an diesem Ort wissenschaftliche<br />

Exzellenz zu einer Vielzahl an<br />

Themen austauschen: 272 Besucher finden in dem<br />

unterirdischen Hörsaal Platz, daneben gibt es weitere<br />

Räume unterschiedlicher Größe. Zu buchen<br />

sind die Kapazitäten – sowohl komplett als auch<br />

einzelne der Räumlichkeiten – über den Betreiber<br />

Hochtief Solutions, der das Tagungszentrum interessierten<br />

Nutzern zur Verfügung stellt. Für 2013 ist<br />

das Schloss schon gut belegt, und auch für die Zeit<br />

danach liegen bereits zahlreiche Anfragen vor. Die<br />

Bürgerinnen und Bürger der Stadt Hannover dürfen<br />

zweifelsohne gespannt sein auf „ihr“ Schloss.<br />

„Experiment!“<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> hat Anfang 2013 die neue<br />

Förderinitiative „Experiment! – Auf der Suche nach<br />

gewagten Forschungsideen“ gestartet. Gefragt<br />

sind kühne Forschungsprojekte, die in Anbetracht<br />

ihres frühen Stadiums oder einer unorthodoxen<br />

Herangehensweise aus dem üblichen Förderrahmen<br />

herausfallen. Sie erhalten mit diesem Angebot<br />

eine einzigartige Chance. Im Fokus stehen Ideen<br />

aus den Natur-, Ingenieur-, Verhaltens- und Lebenswissenschaften<br />

in Experiment und Theorie.<br />

Vorrangig unterstützt die Stiftung solche Ideen,<br />

die radikal neu sind und die akzeptiertes Fachwissen<br />

grundlegend herausfordern. Gedacht ist an<br />

unkonventionelle Hypothesen oder die Etablierung<br />

von Methoden oder Technologien, die neue<br />

Forschungsrichtungen stimulieren. Es zählt allein<br />

die gewagte Idee!<br />

Übergreifen<strong>des</strong> Ziel ist es, grundlegend neue Forschungsthemen<br />

zu bearbeiten, nicht zuletzt wegen<br />

<strong>des</strong> Wagnisses unklarer Erfolgsaussichten. Dabei<br />

muss sich in einer Projektphase von anderthalb<br />

Jahren die Tragfähigkeit <strong>des</strong> erprobten Konzepts<br />

beweisen: Erste Ergebnisse sollen nach einem Jahr<br />

vorliegen, die letzten sechs Monate dienen dem<br />

Abschluss <strong>des</strong> Vorhabens. Ein Jahr nach Beginn<br />

der Förderung wird eine Zwischenbilanz gezogen<br />

bei einem von der Stiftung veranstalteten „Forum<br />

Experiment!“. Ist das Projekt erfolgreich, kann<br />

gegebenenfalls mehr daraus erwachsen.<br />

Jährlich sollen zehn bis 15 solcher „Experimente“<br />

starten können. Die Antragssumme ist auf 100.000<br />

Euro begrenzt. Die Mittel können flexibel eingesetzt<br />

werden – ob für die Einbindung von Kooperationspartnern<br />

im In- und Ausland, für Forschungsaufenthalte<br />

an anderen Einrichtungen, Workshops<br />

oder Arbeitstreffen sowie eine Vertretung für ein<br />

Freisemester oder zur Freistellung von klinischen<br />

Aufgaben. Alle weiteren Informationen sind zu finden<br />

unter www.volkswagenstiftung.de/experiment.<br />

Der erste Bewerbungsstichtag ist der 5. März 2013.<br />

Die Stiftung in Kürze<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> fördert <strong>Wissens</strong>chaft<br />

und Technik in Forschung und Lehre. Sie ermöglicht<br />

Forschungsvorhaben in zukunftsträchtigen<br />

Gebieten und hilft wissenschaftlichen Institutionen<br />

bei der Verbesserung der strukturellen<br />

Voraussetzungen für ihre Arbeit. Besondere<br />

Aufmerksamkeit widmet sie dem wissenschaftlichen<br />

Nachwuchs sowie der Zusammenarbeit von<br />

Forscherinnen und Forschern über disziplinäre<br />

und staatliche Grenzen hinweg.<br />

Die Stiftung verfügt heute über ein Kapital von<br />

rund 2,3 Milliarden Euro, das sie so ertragreich<br />

und nachhaltig wie möglich anlegt. Sie ist wirtschaftlich<br />

autark und in ihren Entscheidungen<br />

autonom, kann Mittel vergeben für alle wissenschaftlichen<br />

Bereiche und fördert die Geistesund<br />

Gesellschaftswissenschaften ebenso wie die<br />

Natur- und Ingenieurwissenschaften und die<br />

Medizin. In den fünfzig Jahren ihres Bestehens<br />

hat sie inzwischen rund vier Milliarden Euro für<br />

über 30.000 Projekte zur Verfügung gestellt.<br />

Die <strong>VolkswagenStiftung</strong> gibt der <strong>Wissens</strong>chaft<br />

Impulse, indem sie immer wieder neue Förderinitiativen<br />

entwickelt, mit denen sie einerseits<br />

auf neue Forschungsgebiete, -inhalte und<br />

-methoden aufmerksam macht und andererseits<br />

Anstöße gibt zur Verbesserung der strukturellen<br />

Voraussetzungen für Forschung und Lehre sowie<br />

der internationalen Zusammenarbeit.<br />

Anträge werden in der Regel nur im Rahmen<br />

der Förderinitiativen entgegengenommen. Die<br />

Stiftung ist aber zugleich offen für Außergewöhnliches<br />

und unterstützt daher auch Einzelvorhaben<br />

außerhalb ihrer definierten Initiativen.<br />

Anträge ausländischer wissenschaftlicher<br />

Einrichtungen müssen sich ebenfalls auf eine<br />

spezifische Förderinitiative beziehen. Dabei sind<br />

konkrete Angaben über eine vorher vereinbarte<br />

Kooperation mit <strong>Wissens</strong>chaftlern in Deutschland<br />

erforderlich.<br />

Impressum<br />

Herausgeber<br />

© <strong>VolkswagenStiftung</strong>, Hannover, Januar 2013<br />

Redaktion (Verantwortlich)<br />

Dr. Christian Jung (cj)<br />

Kommunikation <strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Jens Rehländer (Leitung)<br />

Gestaltung<br />

DesignCentrale, Hannover<br />

Korrektorat<br />

Cornelia Groterjahn, Hannover<br />

Druck<br />

Gutenberg Beuys, Hannover<br />

Bildnachweis<br />

Die Fotos und Abbildungen wurden – soweit unten nicht anders<br />

angegeben – dankenswerterweise von den jeweiligen Instituten<br />

bzw. Hochschul-Pressestellen zur Verfügung gestellt.<br />

Titelblatt: www.thinkstockphotos.de<br />

Seite 3: Frank Nürnberger, Berlin<br />

Seiten 6-9: Jessica Schäfer, Frankfurt/Main<br />

Seiten 10-12: The Ohio State University, USA<br />

Seite 14: Florian Müller, Hannover<br />

Seite 16: Caren-Maria Jörß (© Klassik Stiftung Weimar)<br />

Seiten 18, 23 (rechts), 67-71 (links), 72, 73, 82, 83: privat<br />

Seiten 19, 20, 23 (links), 24-35: Fabian Fiechter, Basel<br />

Seiten 21, 42/43: Wolfgang Kießling, Berlin<br />

Seite 22: Pleuni Pennings/Yannick Mahé<br />

Seiten 36-41, 44-51: Thomas Victor, Hannover<br />

Seiten 52-59: Christoph Edelhoff, Kiel<br />

Seiten 60-66: Jens Steingässer, Darmstadt<br />

Seite 71 (rechts): Jacqueline Hirscher, DRFZ, Berlin<br />

Seiten 74-79, 86: Marcus Reichmann, Hannover<br />

Seiten 80/81: David Außerhofer, Berlin<br />

Seite 82: Mathias Todtenhaupt, Hannover; © NDR Kultur<br />

Seiten 84-88: Jelka Kollatsch<br />

Seite 87: Fabian Fiechter<br />

Seite 90: Nico Herzog, Hannover<br />

90 Impulse 2013 91


Wir stiften Wissen<br />

<strong>VolkswagenStiftung</strong><br />

Kastanienallee 35<br />

30519 Hannover<br />

Telefon 05 11/83 81-0<br />

Telefax 05 11/83 81-344<br />

mail@volkswagenstiftung.de<br />

www.volkswagenstiftung.de

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!