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www.vECTURAMAG.CH<br />
[lat.: das Fahren]<br />
#4 | Herbst <strong>2012</strong><br />
Erbmasse<br />
MERCEDES G-KLASSE<br />
MADE IN USA // LAMBORGHINI CHEETAH<br />
HIGH-SPEED // SUPERZÜGE<br />
FAHRSPASS // 912 TRIffT CR-Z<br />
MOTORMENSCHEN // ALÉN / BRACQ / WARD<br />
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RUBRIKEN<br />
Das motion-magazin aus der schweiz<br />
herbst <strong>2012</strong><br />
001
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002 VECTURA #4<br />
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editorial<br />
Matthias Pfannmüller, Chefredaktor<br />
Vectura #4<br />
EDITION<br />
allrad<br />
Klassische Pw-Segmente schrumpfen, doch der Markt<br />
der Sport Utility Vehicle (SUV) brummt stärker denn je:<br />
Bis 2020 prognostizieren die Demoskopen einen weltweiten<br />
Zuwachs von 40 Prozent auf 20 Millionen Einheiten jährlich<br />
– eine eher konservative Schätzung.<br />
Die steigende Popularität strassentauglicher Geländewagen hat<br />
mehrere Gründe. Zum einen ist da das psychologische Moment:<br />
Offroader sind im Crashfall deutlich solider als normale Pw und<br />
sehen auch so aus. «My car is my castle»: Welcher Familienvater<br />
mag dazu schon nein sagen – oder zum variablen Platzangebot,<br />
dem bequemen Zugang und der erhöht-erhabenen Sitzposition?<br />
Dazu kommt, dass die Hersteller ihre SUV-Flotten bewusst besser<br />
ausstatten als manches ebenfalls mit Allradantrieb erhältliche<br />
Kompakt- oder Kombimodell. Wird also das neueste Getriebe in<br />
Kombination mit einem ebenso durchzugsstarken wie sauberen<br />
Diesel gewünscht, führt kein Weg am teureren Softroader vorbei.<br />
Nicht zuletzt ist es für viele Autofahrer ein Kick (und unterbewusst<br />
auch beruhigend zu wissen), notfalls ohne Asphalt nach Hause<br />
kommen zu können. Dass Offroad-Einsätze in der Schweiz weitgehend<br />
untersagt sind und es politische Gruppierungen gibt, die<br />
am liebsten die gesamte Fahrzeuggattung verbieten möchten,<br />
spielt dabei überhaupt keine Rolle. Es reicht schon, den Abenteuerfilm<br />
im Kopf ablaufen zu lassen.<br />
Baureihen mit überragenden Geländeeigenschaften werden indes<br />
immer seltener. Beim Gros der SUV-Angebote handelt es<br />
sich heute um Strassenmodelle mit rustikaler Optik und rudimentären<br />
Über-Stock-und-Stein-Fähigkeiten – sofern überhaupt ein<br />
4x4-Antrieb an Bord ist. «Offroad» ist längst auch ein Stylingpaket<br />
wie «Executive» oder «Sport», mit dem sich manche Modelle besser<br />
verkaufen lassen. Die SUV-Bandbreite ist derweil ein weiterer<br />
Grund für die zunehmende Verbreitung – es ist für jeden Interessenten<br />
etwas Passendes dabei. Wie abwechslungsreich die<br />
Allrad-Welt war und ist, beleuchtet diese Ausgabe.<br />
Die Automobilindustrie widmet sich unterdessen verstärkt den<br />
Themen Verbrauch und Emission. Plug-in-Hybridtechnologie ist<br />
bei Geländewagen noch eine aufwändige High-End-Antwort. Der<br />
Trend geht daher zum kompakt-umweltfreundlichen Allrounder,<br />
der in der Stadt ebenso zuhause ist wie vor der Skihütte. Und das<br />
ist eine begrüssenswerte Entwicklung.<br />
herbst <strong>2012</strong> 003
inhalt #4<br />
EDITORIAL<br />
REVOLUTION<br />
Die dritte Mercedes A-Klasse macht<br />
alles anders als ihre Vorgänger<br />
ZEITSPRUNG<br />
Alter Porsche trifft modernen<br />
Honda zur Ausfahrt auf den Gurnigel<br />
INSIDER-TALK<br />
Bevor bei einem Autosalon das Licht angeht,<br />
gibt es für Messebauer sehr viel zu tun<br />
RETRO ON THE ROCKS<br />
Klassische Optik, aktuelle Technik: Offroader<br />
von Icon sind etwas ganz Besonderes<br />
ETIKETTENSCHWINDEL<br />
Der Cheetah trug zwar das Lamborghini-Logo,<br />
war aber ein waschechter Amerikaner<br />
ÜBEN IM GRENZBEREICH<br />
Auf den TCS-Verkehrssicherheitszentren<br />
kann man kontrolliert die Kontrolle verlieren<br />
TITELSTORY<br />
Die Mercedes G-Klasse hiess einst G-Modell.<br />
Mit ihren 33 Jahren ist sie frischer denn je<br />
KOMFORT-FEATURE<br />
Elektronisch geregelte Allradsysteme bieten<br />
auch auf Asphalt mehr Stabilität und Sicherheit<br />
MEISTERLICH<br />
Markku Alén zählt zu den erfolgreichsten<br />
Rallye-Piloten. Heute verfeinert er die<br />
Dynamik von Sportwagen wie dem Ferrari FF<br />
ALLRAD-IKONE<br />
Anfang 2013 kommt der komplett neue<br />
Range Rover auf den Markt. Wir stellen<br />
den britischen Luxusliner en détail vor<br />
FÜR DEN GROSSSTADT-DSCHUNGEL<br />
Georg Dönni wünscht sich einen SUV<br />
003<br />
006<br />
012<br />
020<br />
028<br />
034<br />
042<br />
044<br />
054<br />
056<br />
062<br />
070<br />
DESIGN AUF ABWEGEN<br />
Warum einige Softroader schlecht und andere<br />
gut aussehen, erklärt Mark Stehrenberger<br />
KURVENRAUSCH<br />
Schweizer Passstrassen entwickeln<br />
ohne Autos eine ganz eigene Ästhetik<br />
TRENDSETTER<br />
Kompakt, sportiv, effizient:<br />
neue SUV-Modelle für die Saison 2013<br />
FAMILIENBANDE048088<br />
Manche Traktoren tragen den Namen von<br />
Automobilmarken, sind aber früher entstanden.<br />
Heute trifft Nostalgie auf High-Tech<br />
NOMEN EST OMEN<br />
Punkten in der Mittelklasse: Suzuki Kizashi<br />
TRADITION VERPFLICHTET<br />
Japanische Bestseller: Suzuki LJ80 von 1981<br />
und Grand Vitara Modelljahr 2013<br />
EXOTEN DER RUNDSTRECKE<br />
Das Thema Allrad-Rennwagen ist bald<br />
100 Jahre alt und hat mitunter sehr<br />
gewagte Konstruktionen hervorgebracht<br />
GENTLEMAN’S CHOICE<br />
Stephan Senn fährt Jaguar XJS V12 Coupé<br />
KEINE EXPERIMENTE<br />
Mit dem neuen Subaru Impreza geht die<br />
vierte Modellgeneration an den Start<br />
GROSSER BAHNHOF<br />
Superzüge erobern das internationale<br />
Schienennetz. Längst erreichen sie 300 km/h<br />
und mehr – falls es die Strecke erlaubt<br />
HAUPTSPONSOR<br />
Rennprofis erklären, wie wichtig Flüssigkeit<br />
für Fitness und Gesundheit ist<br />
IMPRESSUM<br />
072<br />
074<br />
084<br />
102<br />
106<br />
116<br />
134<br />
136<br />
140<br />
158<br />
160<br />
EDITION<br />
allrad<br />
004 VECTURA #4
012<br />
028<br />
062<br />
094<br />
116<br />
140<br />
herbst <strong>2012</strong> 005
006 VECTURA #4<br />
Vitamin A
Fahrtermin<br />
Geblieben ist nur der Name: Die Mercedes A-Klasse der dritten<br />
Generation hat keinen doppelten Boden mehr, sondern vertritt<br />
technisch und in puncto Positionierung ein völlig neues<br />
Konzept. Mit sportlichen Attributen soll sie jetzt im wachsenden<br />
Segment der kompakten Premiumfahrzeuge punkten<br />
Text Stefan Lüscher · Fotos Werk<br />
Vorbei sind die Zeiten, in denen Mercedes mit Van-artig<br />
hoher Sitzposition und einer Sandwich-Konstruktion<br />
die Sicherheit und Antriebstechnologie der Kompaktklasse<br />
neu definieren wollte. Bei ihrem ersten Auftritt 1997 machte<br />
die A-Klasse zunächst mit dem fatalen Elchtestergebnis von<br />
sich reden – ein denkbar ungünstiger Start. Doch der kleinste aller<br />
Benze rappelte sich schnell wieder auf, kehrte mit serienmässigem<br />
ESP zurück und vermochte sich einen festen Platz in der<br />
Kompaktklasse zu erobern. Von den ersten beiden Generationen<br />
wurden bis Ende 2011 über 2,2 Millionen Exemplare verkauft –<br />
37 000 davon in der Schweiz und auch hier in erster Linie an<br />
Frauen und ältere Verkehrsteilnehmer. Als Imageträger oder Motivation<br />
für die Jugend, sich der Marke Mercedes zuzuwenden,<br />
taugte die Baureihe dagegen nie.<br />
herbst <strong>2012</strong> 007
fahrtermin<br />
RUBRIKEN<br />
Neue, quer eingebaute Turbomotoren arbeiten<br />
mit relativ kleinen Hubräumen und generieren schon<br />
bei sehr tiefen Drehzahlen hohe Drehmomente<br />
Mit der dritten Modellgeneration, die intern W176 genannt wird<br />
und ab September in der Schweiz zu haben ist, hat sich Mercedes<br />
deshalb zu einem spektakulären Neubeginn entschlossen. Ab<br />
sofort reitet man auf der jung-dynamischen Welle und hat konsequenterweise<br />
mit einem weissen Blatt Papier begonnen: Bei der<br />
neuen A-Klasse ist jede einzelne Schraube neu. Herausgekommen<br />
ist ein für Mercedes überraschend progressives und sehr<br />
emotionales Design, rund 40 cm länger und mit einer um 18 cm<br />
flacheren Dachlinie als beim Vorgänger, einer ausgeprägt langen<br />
Motorhaube und einem verjüngenden Heck mit Spoiler und Diffusor,<br />
das entfernte Parallelen zum VW Scirocco aufweist.<br />
Die direkten Konkurrenten sind jedoch bei Audi und BMW zu<br />
suchen – beim ebenfalls komplett neuen A3 und dem ein Jahr<br />
frischen 1er. Wie ihr Vorgänger ist die neue A-Klasse zwar ein<br />
Fronttriebler, erstmals wird es ab Frühling 2013 aber auch diverse<br />
Allradmodelle, ein Coupé, einen kompakten SUV und die ultimative<br />
Sportversion A 45 AMG (Weltpremiere in Genf) mit deutlich<br />
über 300 PS geben. Gestartet wird zunächst mit dem Fünftürer in<br />
den vier Ausstattungslinien Basis, Style, Urban und AMG Sport.<br />
Letzterem ist der beim Concept Car gezeigte, fast etwas überstylte<br />
Diamantkühlergrill vorbehalten; ausserdem gibt es diverse<br />
Design-Pakete für die Individualisierung.<br />
008 VECTURA #4
TECHNISCHE DATEN<br />
Mercedes-Benz A 200 BlueEfficiency<br />
Konzept<br />
Motor<br />
Kompakte Stufenhecklimousine mit vier Türen und fünf Sitzplätzen;<br />
wahlweise mit Front- (Handschaltung) oder Allradantrieb<br />
(Automat)<br />
Code M 270.910, vorne längs eingebauter Vollaluminium-<br />
Vierzylinder nach dem Downsizing-Prinzip. Turbo-Aufladung,<br />
zwei oben liegende Nockenwellen, Kettenantrieb, 4 Ventile<br />
pro Zylinder, Camtronic-Ventilhubumschaltung, Benzin-<br />
Direkteinspritzung, Stopp-Start-System<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
1595<br />
83 x 74<br />
10,3:1<br />
156 (115) @ 5000<br />
250 Nm @ 1250 – 4000<br />
M6 (Option 7G-DCT)<br />
Als Antriebsquellen stehen neue, quer eingebaute Turbomotoren<br />
zur Verfügung. Sie arbeiten mit relativ kleinen Hubräumen und<br />
generieren schon bei sehr tiefen Drehzahlen hohe Drehmomente,<br />
was eine betont ruhige, unaufgeregte Fahrweise begünstigt.<br />
Auch die Verbrauchswerte können sich sehen lassen, zumal die<br />
neue A-Klasse mit einer rekordverdächtig guten Aerodynamik<br />
aufwarten kann und alle Triebwerke schon serienmässig über eine<br />
Stopp-Start-Funktion verfügen. Bei den Benzinern reicht das<br />
Leistungsspektrum zur Markteinführung von 122 bis 211 PS, bei<br />
den Turbodiesel hat man die Wahl zwischen 109 PS und 136<br />
PS, was sich im A 200 CDI aber dank 300 Nm ab 1600/min<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
429 /178 /143<br />
270<br />
155/155<br />
205/55 R 16 V auf 6,5 J<br />
50<br />
341 bis 1157<br />
ab 1370<br />
1935<br />
8,78<br />
8,4<br />
224<br />
* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
8,3 (Sport: 7,9)<br />
191 (Sport: 183)<br />
F<br />
37 990.–<br />
herbst <strong>2012</strong> 009
fahrtermin<br />
RUBRIKEN<br />
schon sehr kräftig anfühlt. Eine ausgezeichnete Wahl stellt zudem<br />
das ebenfalls neue Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe dar<br />
(als Option für CHF 2795.–). Man kann es in den Automatikmodi<br />
Comfort oder Sport fahren oder mittels – etwas klein geratener –<br />
Schaltwippen am Lenkrad manuell schalten. So oder so wechselt<br />
es die Gänge effizient und butterweich ohne jeden Schaltruck.<br />
Der neue Stern in der Kompaktklasse, wie ihn die Mercedes-<br />
Verantwortlichen gerne titulieren, verzichtet im Vergleich zur<br />
Konkurrenz auf adaptive Stossdämpfer und unterschiedliche<br />
Fahrdynamikprogramme. Trotzdem kann man ihm nach ersten<br />
Testfahrten ein äusserst ausgewogenes Fahrverhalten mit hohen<br />
Kurvengeschwindigkeiten und eine tadellose Traktion attestieren.<br />
Die elektromechanische Lenkung agiert sehr präzise und<br />
vermittelt besten Fahrbahnkontakt. Im Grenzbereich verhält sich<br />
die neue A-Klasse jedoch markentypisch eher konservativ und<br />
nie auch nur ansatzweise übersteuernd. Das dezent eingreifende<br />
ESP lässt sich bei Bedarf nur teilweise und über mehrere Klicks in<br />
einem Untermenu deaktivieren, was aber den dynamischen Charakter<br />
der A-Klasse und den Fahrspass keineswegs schmälert.<br />
A auf S-Klasse-Niveau hievt. Zum Angebot gehören auch diverse<br />
Assistenten wie das Schutzsystem Pre Safe, ein aktiver Parkassistent,<br />
die sehr empfehlenswerte kamerabasierte Schildererkennung<br />
und ein hervorragender adaptiver Fernlichtassistent<br />
mit Bi-Xenon-Licht. Serienmässig ist bereits ein Aufmerksamkeitsassistent,<br />
der das Verhalten des Fahrers überprüft und<br />
diesen wenn nötig zur Kaffeepause schickt. Auch ein Kollisionswarner,<br />
der radargestützt vor Auffahrunfällen warnt und beim<br />
optimalen Bremsen hilft, ist schon ab Werk an Bord.<br />
Nicht zuletzt ist die A-Klasse für die anvisierte Generation<br />
Facebook ein iPhone auf Rädern: Das trendige Smartphone<br />
lässt sich komplett integrieren und zaubert seine Inhalte über<br />
Sprachsteuerung oder Tasten auf ein knapp 15 Zentimeter<br />
grosses Farbdisplay im iPad-Look. Damit wird die Metamorphose<br />
der A-Klasse nicht nur optisch, sondern auch inhaltlich<br />
überzeugend vollzogen.<br />
Sitzkomfort, Platzangebot und Ausstattung lassen ebenfalls<br />
kaum Wünsche offen, zumindest wenn man bei Letzterem vom<br />
umfangreichen Optionenkatalog ausgiebig konsumiert und den<br />
010 VECTURA #4
Pure des=gn.<br />
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RUBRIKEN<br />
Generation<br />
Fahrspass<br />
Honda CR-Z versus Porsche 912: ungleicher Vergleich<br />
auf dem Gurnigel, der ältesten Schweizer Rennstrecke<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos Ian G.C. White, map<br />
012 VECTURA #4
vergleichstest<br />
Zugegeben: Einen klassischen Elfer gegen einen neuzeitlichen<br />
Mild-Hybrid antreten zu lassen, ist mindestens<br />
ungewöhnlich. Doch bei näherem Hinsehen verblüffen<br />
die Ähnlichkeiten: «Unser» Porsche verfügt ebenfalls über vier<br />
Zylinder, denn es ist ein 912. Auch das Leistungsgewicht beider<br />
Kandidaten ist relativ nah beieinander. Das Gleiche gilt für Radstand,<br />
Karosserieabmessungen oder Platzangebot.<br />
912 gegen CR-Z – hier treffen natürlich auch Antriebskonzepte und<br />
technische Kulturen aus völlig unterschiedlichen Epochen aufeinander:<br />
Knapp 45 Jahre trennen den Deutschen und den Japaner,<br />
das sind Welten. Der Zwölfer steht für die analoge Autowelt, in der<br />
Besitzer noch viel selbst machen konnten. Hondas «Z» dagegen<br />
ist ein Kind des digitalen Zeitalters und vollgestopft mit Elektronik,<br />
die nur noch in der Markengarage gewartet werden kann.<br />
Die einende Klammer heisst Fahrspass: Sowohl der 912 als<br />
auch der CR-Z bieten reichlich davon, aber jeder auf seine eigene<br />
Art und Weise. Die Gemeinsamkeit liegt in den Motoren: Beide<br />
Hersteller bauen fabelhafte Triebwerke, die nicht nur für den Trip<br />
von A nach B entwickelt wurden. Diese Maschinen sind das Produkt<br />
begeisterter Ingenieure, die sich während der Entwicklung<br />
vorgestellt haben, einmal selbst damit fahren zu wollen.<br />
Und noch etwas verbindet CR-Z und 912: Sie wurden für<br />
eine Klientel gemacht, die zwar Dynamik sucht, aber dafür keine<br />
Unsummen auszugeben bereit ist. Nachdem Porsche 1965 die<br />
Produktion des Typ 356 eingestellt hatte, trat der 912 mit dessen<br />
Vierzylinder als neues Einstiegsmodell unterhalb des Elfers<br />
an. Der Zwölfer ist optisch identisch, aber spartanischer ausgestattet.<br />
Entworfen wurde die Urform vom kürzlich verstorbenen<br />
Alexander Porsche; seitlich und von schräg hinten wirkt das<br />
Auto etwas gedrungen. Ein ab 1969 um knapp sechs Zentimeter<br />
gestreckter Radstand der B-Serie – sie kam mit seitlichen<br />
Karosserieanpassungen, doch die Gesamtlänge blieb unverändert<br />
– sieht das Coupé wesentlich stimmiger und eleganter aus.<br />
Gemeinsam mit einer schon 1968 erweiterten Spurbreite bietet<br />
das B-Modell mehr Fahrstabilität, um sein im Grenzbereich<br />
nervöses Heck besser unter Kontrolle zu halten. Der Foto-912<br />
ist einer der allerletzten und weist deshalb ebenfalls den langen<br />
Radstand auf. Lange verschmäht, entwickelt der Zwölfer heute<br />
einen ganz besonderen Reiz; originale Exemplare kosten in gutem<br />
Zustand inzwischen 70 000 Franken und mehr.<br />
Einen neuen CR-Z gibt es für weniger als die Hälfte. Was auch<br />
daran liegt, dass er in Europa nur schwer Fuss fassen kann:<br />
Gerade mal 65 000 Einheiten wurden seit Markteinführung im<br />
herbst <strong>2012</strong> 013
vergleichstest<br />
Sommer 2010 weltweit verkauft, von den Schweizer Zahlen will<br />
man hier erst gar nicht sprechen. Das stört die Zentrale in Japan<br />
offenbar nicht – sie hat den Zweitürer speziell für die absatzstarken<br />
Vereinigten Staaten konzipiert, um den US-Geschmack auszuloten.<br />
Denn der ist dem Unternehmen für kommende Baureihen<br />
besonders wichtig. In Übersee ist man auch so konsequent,<br />
den CR-Z als reinen Zweisitzer ohne Rückbank auszuliefern, die<br />
ohnehin nur für die berühmten beinamputierten Zwerge taugt.<br />
Geblieben ist das klassische Honda-Motorkonzept – ein bedarfsweise<br />
hoch drehender Vierzylinder, für den die Autowelt<br />
1964 schon jenen Bonsai-Roadster S600 bewundert hat. Auch<br />
der CR-Z entwickelt zwischen 4500 und 6500 Touren ein recht<br />
erstaunliches Temperament, was nicht zuletzt am passend untersetzten,<br />
knackigen Sechsgang-Schaltgetriebe liegt. So vertritt<br />
das Hybrid-Coupé die sportlichen Lorbeeren seines Hauses mit<br />
jener Würde, welche Insight-Chassis und Jazz-Komponenten zulassen.<br />
Steif ist er ja, der CR-Z – und smart zusammengebaut: Da<br />
wackelt nichts, auch Kurven werden sehr stabil genommen. Den<br />
notdürftig nach unten gerückten H-Punkt – mit ihm definieren<br />
Konstrukteure das Becken des Fahrers, also dessen Sitzhöhe<br />
über Asphalt – spürt man allerdings. Auch an den unter starker<br />
Beanspruchung nicht Fading-freien Bremsen ist zu merken, dass<br />
hier Baukasten-Komponenten neu kombiniert wurden. Kurz: Der<br />
CR-Z ist ein intelligent gemachter Zweitürer, aber sicher kein reinrassiger<br />
Sportwagen.<br />
Das Asia-Coupé zitiert optisch den verblichenen CRX, der<br />
1984 lanciert wurde und sich als «Pocket Rocket» international<br />
einen Namen machte. So gesehen verfügt auch der Z über<br />
eine jahrzehntelange Modellgeschichte. Entworfen wurde er von<br />
Honda-Chefdesigner Motoaki Minowa, der einen windschnittigen<br />
Hatchback mit steiler Heckpartie ablieferte. Dem aerodynamisch<br />
günstigen Formkonzept folgen immer mehr Modelle – Volkswagens<br />
Scirocco gehört dazu, der Hyundai Veloster oder<br />
Volvos just auslaufender C30. Das Honda-Styling wirkt im<br />
Vergleich mit dem klassischen Porsche wie Alko-Pop gegen<br />
Champagner. Die CR-Z-Karosse begeistert nicht jeden auf den<br />
ersten Blick, bietet allerdings clevere Detaillösungen und wird<br />
nie langweilig. Beim Porsche geht das Heck nach unten, beim<br />
Honda nach oben und schafft dank Frontmotor einen beachtlichen<br />
Kofferraum – aber auch eine zweiteilige Heckscheibe mit<br />
störendem Balken im Rückspiegel. Von der Rundumsicht des<br />
912 kann man im Japaner nur träumen, so wie in vielen anderen<br />
modernen Autos auch. Vorne ist er dagegen «cab forward», ragt<br />
die Bugpartie weit über die Räder.<br />
Nach dem tragischen Ableben des S2000 vor drei Jahren muss<br />
der CR-Z die sportliche Fahne des Hauses hochhalten, bis 2014<br />
ein neuer Civic Type R antreten wird. Auf den neuen NSX müssen<br />
Fans noch länger warten, doch eine Honda-Vorgabe gilt für alle<br />
drei: mehr Effizienz für sportliche Autos. Der Hersteller will hier ganz<br />
vorne dabei sein, und der Z spielt bei dieser Strategie eine Vorreiter-<br />
und Forschungsrolle – technisch, aber auch in Bezug auf die<br />
Marktakzeptanz. Für engagierte CR-Z-Erlebnisse braucht es aber<br />
auch einen respektlosen Fahrer, der bereit ist, kräftig Gas zu geben<br />
und das Auto von seiner scheinbaren Lethargie zu befreien. Dabei<br />
fühlt sich Hondas Motor-Getriebe-Abstimmung schon bei Tempo<br />
50 sehr gelungen an: Es ist immer ausreichend Leistung abrufbar,<br />
um zügig anzufahren oder im Extremfall gar zu überholen. Mit den<br />
drei Tasten «Econ», «Normal» und «Sport» lässt sich der Charakter<br />
auf Knopfdruck verändern, leuchten die 3D-Instrumente grün, blau<br />
oder rot. Der Öko-Mode schafft in Verbindung mit dem serienmässigen<br />
Stopp-Start-System locker Vier-Komma-Verbräuche, aber<br />
dann kann man auch gleich die Bahn nehmen.<br />
Im Sport-Programm sind es schnell sechs Liter, dafür schärft<br />
das Auto die Gasannahme und geht spürbar dynamischer zur<br />
Sache. Seine dann auch direkter agierende Lenkung macht aus<br />
dem Japaner einen Kurvenräuber. Oberhalb von 5000 Touren<br />
beisst der CR-Z richtig herzhaft zu. Drehzahl statt Hubraum: Sein<br />
Besitzer, zuvor mit einem drehmomentgewaltigen Sechsliter-V8<br />
unterwegs, ist zufrieden damit und hat auch nach zwei Jahren<br />
noch nicht genug von dem kleinen Spaceship. Als einziges Manko<br />
nennt er den Frontantrieb, obwohl: Mit provozierten Lastwechseln<br />
(also Gas wegnehmen) lässt sich das Heck in Kurven gezielt ausschwenken,<br />
neigt der CR-Z zum Übersteuern, kann man sogar<br />
driften. Auch im Winter kommt der Sport-Hybrid erstaunlich weit<br />
und erklimmt auf den richtigen Reifen so manchen Pass.<br />
Während der ansonsten leise Honda unter Vollgas knurrt, klingt<br />
der 912 allzeit wie ein hochgezüchteter Käfer, betört mit dem<br />
heiseren Rasseln seines luftgekühlten Vierzylinder-Boxermotors.<br />
Doch so sehr sich der auch bemüht – dem Honda fährt er nicht<br />
davon. Zwischen Gurnigelbad und Stockhütte hat er nicht den<br />
Hauch einer Chance; am Berg verendet er regelrecht, fällt weit<br />
zurück. Kein Wunder: Zwischen ihm und dem Japaner liegen<br />
über 50 Jahre Auto-Evolution. Dank zusätzlicher Batterie-Power<br />
fühlt sich der CR-Z zuweilen wie ein 1,8-Liter-Modell an. Dazu<br />
kommen ein paar konstruktive Tricks wie die Kraftportionierung<br />
auf sechs Gänge, mit denen die limitierte Motorkraft besser<br />
abrufbar wird. Dem Porsche verschafft sein kurzer zweiter<br />
Gang beim Zwischenspurt für Sekunden einen hauchdünnen<br />
Beschleunigungsvorteil, doch spätestens bei 60 km/h zieht der<br />
Honda wieder vorbei.<br />
Immerhin: Der Zwölfer fühlt sich auch nach Jahrzehnten noch<br />
sehr solide an und ist deutlich leichter. Beim Japaner fallen der<br />
Hybridantrieb inklusive Batterie sowie die Komfort-Features<br />
(LED-Tagfahrscheinwerfer, Regen- und Lichtsensoren, sechs<br />
Klassik trifft Manga-Design: Der Porsche ist der<br />
Ästhetik verpflichtet, der Honda steht für umweltbewusste<br />
Sportlichkeit. Hingucker sind beide<br />
014 VECTURA #4
Airbags, Servolenkung, Zentralverriegelung, Tempomat, Subwoofer-Stereoanlage,<br />
iPod-Anschluss, Sprachsteuerung oder<br />
Klimaautomatik) ins Gewicht. Gespart hat Honda beim Blech: Die<br />
Türen fallen dröhnend ins Schloss, während die des Porsche mit<br />
sattem «pop» schliessen.<br />
912-Piloten fahren dagegen in Abwesenheit all jener Sicherheitssysteme,<br />
die heute selbstverständlich sind. Gurte sind das<br />
höchste der Gefühle, und selbst die gab es anfänglich nur gegen<br />
Aufpreis. Dafür riecht – Pardon – duftet der 912 herrlich nach<br />
Benzin und wird immer wertvoller. Ob der CR-Z in vier Jahrzehnten<br />
Sammlerstatus haben wird, darf bezweifelt werden. Allein<br />
die Batterie dürfte dann komplett entladen und kaum ersetzbar<br />
sein. Das Auto ist eher der Gegenwart verpflichtet, punktet mit<br />
Umweltbewusstsein und verbraucht praktisch nie mehr als sechs<br />
Liter. Ende Jahr kommt ein Facelift inklusive neuem Batteriesystem,<br />
das leichter und stärker ausfallen soll. Die noch aktuelle<br />
Serie 1 ist somit angezählt und – pssst! – beim Honda-Händler<br />
derzeit besonders günstig zu erwerben.<br />
Fazit: Die Unterschiede zwischen dem rassigen 912 und dem<br />
komfortablen CR-Z treten erst langfristig zu Tage. Während der<br />
zeitlos schöne Porsche immer teurer wird, zeigt der moderne<br />
Honda, dass Fahrdynamik und Spritsparen kein Widerspruch<br />
sein müssen. Spätestens bei der übernächsten Verschärfung der<br />
CO 2 -Norm wird er seine Vorreiterrolle allerdings einbüssen.<br />
herbst <strong>2012</strong> 015
Der 912 erfordert engagiertes, weil Servo-freies Fahren. Die Fuchsfelgen sind bis heute eine begehrte Option<br />
016 VECTURA #4
Captain Future: Der Honda beschleunigt mit elektrischer Unterstützung. Das Holz-Heck ist nicht original, sondern eine Spezialfolie von 3M<br />
herbst <strong>2012</strong> 017
vergleichstest<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Honda CR-Z<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Porsche 912<br />
Konzept<br />
Spurten und Sparen: Der CR-Z soll beides können. 2+2-sitziges<br />
Fastback-Coupé mit mutiger Formsprache und durchdachtem<br />
Infotainment. Frontantrieb<br />
Konzept<br />
Basismodell der zweiten Strassensportwagen-Generation des<br />
Herstellers, der aus jenem Entwicklungsbüro hervorging, das<br />
einst den VW Käfer konstruierte. 2+2-sitziges Sportcoupé mit<br />
markentypischer Heckmotor-Anordnung, Heckantrieb<br />
Motor<br />
Drehfreudiger Alu-Vierzylinder mit oben liegender Nockenwelle<br />
(Kette), fünffach gelagerter Kurbelwelle und E-Motor-<br />
Unterstützung (Mild Hybrid), elektr. Einspritzung, Frontmotor-<br />
Anordnung<br />
Motor<br />
Luftgekühlter Vierzylinder-Aluminium-Heckmotor mit hängenden<br />
Ventilen und zentral angeordneter Nockenwelle und vierfach<br />
gelagerter Kurbelwelle. Zwei Fallstrom-Doppelvergaser<br />
(Solex 40 PJJ-4), Ölkühler<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
1497<br />
73 x 89,4<br />
10,4:1<br />
114+14 (84+10) @ 6100<br />
174 @ 1000–1500<br />
M6<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
1582<br />
82,5 x 74<br />
9,3:1<br />
90 (66) @ 5800<br />
138 @ 3500<br />
M4*<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
408/174/139,5**<br />
243,5<br />
152/150<br />
195/55 R16<br />
(a.W. 205/45 R17)<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
416/161/132<br />
227<br />
136/134,5<br />
165 HR 15 (a.W. 185 HR 14<br />
oder 185/70 VR 15)<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
40<br />
225–595<br />
1145<br />
1520<br />
8,9<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
62<br />
200<br />
950<br />
1300<br />
10,6<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
9,9<br />
200<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
13,2<br />
185<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
** inkl. Dachantenne<br />
5,5<br />
117<br />
A<br />
29 900.–<br />
Durchschnittsverbrauch in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
* Option: vollsynchr. Fünfganggetriebe<br />
ca. 11<br />
k.A.<br />
–<br />
24 060.– (1969)<br />
018 VECTURA #4
TURBINE XL, A1050/1<br />
DOUBLE ROTOR<br />
TECHNOLOGY<br />
WWW.PERRELET.COM
Brot & Spiele<br />
Trotz aller Kritik am Individualverkehr: Autosalons gleichen heute<br />
immer mehr (oder gerade deswegen) einem Tanz um das goldene<br />
Kalb, sind der medial perfekt inszenierte Zirkus des 21. Jahrhunderts.<br />
VECTURA blickt mit einem Insider hinter die Kulissen<br />
Text Robert Waltmann · Fotos Andreas Keller<br />
020 VECTURA #4
circus maximus<br />
Showtime: dreimal Audi-Stand in Peking <strong>2012</strong><br />
Gleissendes Scheinwerferlicht, blitzende Karossen, viele,<br />
sehr viele schöne Frauen, Prominente, Premieren,<br />
Performances – so kennt man die Selbstdarstellung<br />
der Automobilfirmen von gelegentlichen oder auch regelmässigen<br />
Besuchen – zum Beispiel in Genf oder Paris. Kaum einem<br />
Besucher oder Journalisten ist aber bekannt, welcher unglaubliche<br />
Aufwand hinter diesen Messeständen steckt, die da so<br />
unverrückbar den Rahmen für die Auto-Premieren und Exponate<br />
bilden. Ein Grossteil des Publikums macht sich gar nicht<br />
klar, dass die Hallen noch vor kurzem gähnend leer waren. Das<br />
Schema ist rund um den Globus immer wieder gleich: Bis zu<br />
20 Tage wird aufgebaut, gute zehn Tage läuft die Show, und<br />
nach Messeende muss alles nach spätestens fünf Tagen wieder<br />
verschwunden sein.<br />
Die Königsklasse sind die sogenannten A-Messen, neben den<br />
vielen B- und C-Messen in aller Welt und den rein regionalen<br />
Shows. Der Messezirkus im High-End-Bereich der A-Klasse<br />
kennt den jährlichen und zweijährigen Turnus: Den Auftakt<br />
bildet traditionell Detroit im Januar, dann geht’s nach Genf (beide<br />
jährlich), danach folgen Peking (im Wechsel mit Shanghai),<br />
Moskau, Frankfurt, Paris und Tokio im Zweijahres-Rhythmus<br />
– fast könnte man den Veranstaltungskalender mit dem der<br />
Formel 1 vergleichen… Das ist Globalismus in Perfektion. Nicht<br />
umsonst gibt es in der Branche den Satz «Nach der Messe<br />
ist vor der Messe»: Teilweise nahtlos anschliessend, teilweise<br />
sogar überlappend, laufen die Vorbereitungen bei den Autoherstellern,<br />
Architekten, Agenturen, Kommunikationsfachleuten,<br />
dem technischen Personal und nicht zuletzt den Journalisten.<br />
So war das natürlich nicht immer: Man kennt die Schwarzweiss-<br />
Aufnahmen aus den fünfziger Jahren – Teppich auf dem Hallenboden,<br />
Namenschilder von der Decke abgehängt, Sperrkordeln,<br />
Topfpflanzen, fertig war der Messestand. Schon in den sechziger<br />
Jahren änderte sich das: Drehbühnen, doppelstöckige<br />
Gebilde, zunächst alle noch sehr einfach und schlicht, weil<br />
herbst <strong>2012</strong> 021
circus maximus<br />
meist rein hölzerne, einfache Konstrukte. Der Aufwand steigerte<br />
sich bis in die Achtziger. Der Wandel zur Top-Architektur,<br />
teilweise mit Hochbau-Anspruch, kam dann in den neunziger<br />
Jahren, und die Werkstoffe glichen sich immer mehr der modernen<br />
Architektur an – Glasfassaden, Marmor oder Edelstahl<br />
machten aus der ehemals rein zweckorientierten Präsentation<br />
der eigentlichen Stars, Automobile und Showcars, eine Darbietung<br />
der jeweils kompletten Markenwelt. Bis zur 9/11-Katastrophe<br />
im Herbst 2001 in New York und Washington war noch die<br />
Live Performance dazugekommen – laut, heftig, eben Show<br />
pur. Die Attentate wurden zur Eröffnung der IAA Frankfurt verübt,<br />
was zum fast augenblicklichen Verstummen eben jener<br />
Vorführungen führte, welche danach auch nie wieder dieselbe<br />
Popularität erreichten.<br />
Ab Mitte der neunziger Jahre und noch verstärkt in den 2000ern<br />
folgte der Boom bewegter Bilder, gigantische LED-Wände blitzten<br />
auf, mit Musikvideo-artig schnellen Schnitten und perfektionierten<br />
Filmdarstellungen; das ist bis heute ein ungebrochener<br />
Trend. In dieser Zeit wurde die Crème-de-la-Crème aller<br />
Branchenmessen, die Automobilmesse, auch zum Spielfeld<br />
renommierter Architekten und Designer, die in dem kurzlebigen<br />
Umfeld die Möglichkeit entdeckten, Trendsetter zu werden oder<br />
bisher «Unmögliches» möglich zu machen. Ein gutes Beispiel<br />
ist die Messearchitektur von Schmidhuber + Partner/München<br />
für Audi, die gigantische organisch geformte Bauten vorgab;<br />
man denke nur an den Pavillon auf der letzten IAA im Herbst<br />
2011, vom deutschen Messebauer Ambrosius realisiert. Oder<br />
an den monumentalen Bau von Daimler für Mercedes-Benz und<br />
Maybach; traditionell ist der Konzern schon immer in der historischen<br />
Frankfurter Festhalle auf dem Messegelände zu Hause.<br />
Letztes Jahr, erstmalig von Display International aus Würselen<br />
bei Aachen projektiert und gebaut, stand dort ein 16 Meter hoher<br />
Bau mit der grössten Bühne und gestaffelten LED-Screens,<br />
die man je zu diesem Zweck gesehen hat – 40 Meter lang<br />
und zwölf Meter hoch. Dort ging eine Showkombination aus<br />
Erlebniswelt: Kia-Bühne in Genf <strong>2012</strong><br />
022 VECTURA #4
Grossbaustelle: der Mercedes-Stand in der Festhalle Frankfurt (IAA 2011), vorher und nachher<br />
herbst <strong>2012</strong> 023
Live-Act und Film derart raffiniert im wahrsten Sinn des Wortes<br />
über die Bühne, dass den Zuschauern nicht nur die Luft<br />
wegblieb, sondern auch die Jury des ADC (Art Directors Club)<br />
befand, dass das gleich mehrere Preise wert war.<br />
Die Vorbereitungen zu diesem Messestand, der wohl den Superlativ<br />
dessen bildet, was heute im Messebau geht, waren extrem<br />
intensiv. Zunächst hatte man die Architekten KTP (Kauffmann,<br />
Theilig & Partner/Stuttgart) gefragt, dann ging der eigentliche<br />
Bau über mehrere Wochen los. Display International musste die<br />
10 000 Quadratmeter überbauten Raum zunächst in Einzelteilen<br />
durch eine einzige Toröffnung in die Festhalle bringen, um<br />
dann den Stahlbau, das dreigeschossige Gebäude und die<br />
Bühne Schritt für Schritt einzubauen. Hunderte von Handwerkern<br />
arbeiteten gleichzeitig emsig ihre Vorgaben ab, diverse fahrbare<br />
Kräne hievten die sperrigen und schweren Bauteile in die<br />
Höhe. Der Zeitdruck sitzt stets im Nacken, das gilt ganz allgemein<br />
für die Messebau-Branche: Schichtarbeit und viele Überstunden<br />
sind normal, alle arbeiten auf den Zeitpunkt der Übergabe hin,<br />
die absolut fix ist, es gibt keine Verspätungen, egal, was auch<br />
passiert. 890 Tonnen Stahl, 17 000 Quadratmeter Holzwerkstoffe,<br />
68 Kilometer Elektroverkabelung und 3500 Leuchtmittel – das<br />
waren die Zutaten für diese Inszenierung der Superlative. Alles in<br />
allem waren 1000 Leute an diesem Projekt beteiligt.<br />
So sah man in Frankfurt 2011 recht gut, wohin der Wettbewerb<br />
der Marken neben dem der Automodelle auch führt: Der eine Hersteller,<br />
Audi, liess auf der Agora-Freifläche quasi ein UFO mit spektakulären<br />
Kurven landen, das in luftiger Höhe um die geschätzt<br />
gut zehn Millionen teure Halle echte Probefahrten zu bieten hatte.<br />
Der andere, BMW, hatte schon auf der IAA 2009 und dann auch<br />
2011 eine vom Schweizer Messe- und Veranstaltungsspezialisten<br />
Nüssli realisierte richtige Strasse in seine Halle gebaut, auf der<br />
aktuelle Modelle die Zuschauer umkreisten. Mercedes wiederum<br />
bot in seinem Festhallen-Messestand einen 650 Meter langen<br />
Parcours, der die Besucher zunächst über eigens zu diesem<br />
Zweck montierte Rolltreppen nach oben brachte, von wo aus sie<br />
dann an allen ausgestellten Fahrzeugen vorbei über drei Ebenen<br />
zu Fuss bis unten defilieren konnten – wenn man nicht gerade die<br />
«medial-kinetische» Vorführung auf der Bühne genoss.<br />
Come together: Volkswagen-Stände 2007<br />
in Frankfurt und <strong>2012</strong> in Detroit (rechts)<br />
024 VECTURA #4
circus maximus<br />
Auch diese Premiumhersteller schwelgen nicht immer in solchen<br />
Superlativen. Viele Messen weltweit werden aus Fundusmaterial<br />
in Kombination mit attraktiven Zusatzelementen gebaut. Das teure<br />
Material wird also mehrfach verwendet und sowohl umweltfreundlich<br />
als auch kostenbewusst eingesetzt. Nur so kommt man bei<br />
grossen Flächen auf niedrige einstellige Millionenbeträge.<br />
Ein ganz besonderer Leckerbissen für Architekturfans ist der<br />
jährliche Genfer Automobilsalon. Er hat ein ganz besonderes<br />
Flair, was vielleicht hauptsächlich daher kommt, dass man dort<br />
ganz konsequent eine Art Landschaftsordnung pflegt: An den<br />
Hallenwänden entlang befinden sich die ganz grossen Stände,<br />
aufwendig bis luxuriös, in der Mitte stehen kleinere Marken, die<br />
ihre Stände und Präsentationen nur bis auf Augenhöhe aufbauen<br />
dürfen, so dass man über drei riesige Hallen hinweg von überall<br />
aus einen wirklich spektakulären Blick auf das Gesamtgeschehen<br />
hat – das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt.<br />
Die hohe Kunst des automobilen Messebaus ist übrigens fest<br />
in deutscher und Schweizer Hand: Beide Länder verfügen über<br />
eine Handvoll Spezialisten, die diese State-of-the-Art-Präsentation<br />
am besten beherrschen und die man an den Messeplätzen in<br />
aller Welt ständig antrifft. Und nicht überall herrschen so geordnete<br />
Verhältnisse wie beispielsweise in Frankreich, Deutschland<br />
oder der Schweiz. In Detroit weht ein rauer Wind, nicht nur wettermässig,<br />
sondern auch in den Hallen. Wer dort versucht, selbst<br />
einen Hammer in die Hand zu nehmen, wird von der örtlichen<br />
Gewerkschaft schnell darüber aufgeklärt, dass in der Halle nur<br />
amerikanische organisierte Kräfte arbeiten dürfen. Wer das nicht<br />
beachtet, dem wird notfalls der Strom für die Werkzeuge abgestellt<br />
und das Licht ausgeschaltet.<br />
In China fällt vor allem auf, dass trotz der avantgardistischen<br />
Wolkenkratzer im Stadtbild, entworfen von den weltweit berühmtesten<br />
Architekten, die reale (Messe-)Bau-Wirklichkeit noch etwas<br />
mittelalterlich anmutet. Da kann es durchaus passieren, dass der<br />
Gabelstapler ungenutzt herumsteht und die 500-Kilo-Last lieber<br />
von 20 Arbeitskräften durch die Gänge getragen wird. Und<br />
man darf sich nicht wundern, an allen Ecken der Halle, tags wie<br />
nachts, schlafende Wanderarbeiter anzutreffen, die den Weg<br />
herbst <strong>2012</strong> 025
circus RUBRIKEN<br />
maximus<br />
ins Schlafquartier einsparen, falls überhaupt eines existiert. In<br />
Peking oder Shanghai wird die relativ neue Lust am Auto auf den<br />
Messen besonders sichtbar: Nicht nur, dass es so brechend voll<br />
ist, dass einem vor lauter medialer Präsenz oft Hören und Sehen<br />
vergeht. Nirgendwo sonst sieht man auch so viele junge wohlgeformte<br />
Frauen und Männer an den ausgestellten Fahrzeugen,<br />
die für den entsprechenden Blickfang sorgen sollen – und die<br />
manchmal von den Weltpremieren, die ja heute zunehmend in<br />
China stattfinden, ablenken können.<br />
Farbenfrohe Clubatmosphäre:<br />
zweimal Citroën 2009 in Genf (unten) und 2011 in Frankfurt (oben)<br />
Ziemlich lang ist auch die Liste der Beispiele, was alles schiefgehen<br />
kann, wenn man nur wenige Tage Zeit hat, 5000 oder 10 000<br />
Quadratmeter mit den feinsten Materialien zu bebauen, wofür<br />
man ausserhalb des Messebetriebs Monate brauchen würde. Da<br />
fährt ein viel zu schnell bewegter Gabelstapler genau in jenes Gestell,<br />
auf dem speziell geformte Glasscheiben deponiert sind, die<br />
man als Nächstes gebraucht hätte. Oder es gibt Wassereinbruch<br />
bei Regen von oben, durch versehentlich ausgelöste Sprinkler in<br />
den Räumen von innen oder gar von allen Seiten, weil nach dem<br />
Wolkenbruch ein Mini-Tsunami durch die Halle schwappt. Auch<br />
Wasser in fester Form kann eine kleine Katastrophe auslösen,<br />
wenn bei minus 20 Grad Celsius ein Container festgefroren und<br />
nicht mehr zu bewegen ist. Auch aus grösserer Höhe fallende<br />
Werkzeuge hinterlassen äusserst unschöne Spuren auf Motorhauben<br />
– alles schon passiert, und trotzdem schafft man es<br />
irgendwie immer, auch damit fertigzuwerden.<br />
Bei allem Tamtam: Das Auto ist rund um den Globus noch immer<br />
sehr greifbar der Mittelpunkt des mobilen Interesses, und<br />
das ganz analog und live, mit bis zu einer Million Besucher<br />
pro Messe, natürlich begleitet von sehr umfassender medialer<br />
Berichterstattung in den Printmedien oder zunehmend im Internet.<br />
Aber diese aufwendigen Veranstaltungen sind ausserdem<br />
auch sehr emotional und eine Begegnung der Sinne – Sehen,<br />
Hören, Fühlen, Schmecken, Riechen. Dieses Erlebnis kann man<br />
in keiner Zeitung oder Sendung, sondern so komprimiert eben<br />
doch nur auf der Messe erleben!<br />
Robert Waltmann (65) ist seit 1992 Geschäftsführer Verkauf &<br />
Marketing der Display International, eines führenden Players im<br />
Automobil-Messebau (www.displayint.com). Er ist regelmässig<br />
auf den wichtigen Automessen anzutreffen.<br />
026 VECTURA #4
XF XJ XK<br />
JEMALS EINE<br />
PILOEREKTION ERLEBT?<br />
Dieses Gefühl, wenn tausende winzig kleiner Muskeln unter Ihrer Haut<br />
jedes einzelne Haar auf Ihrem Körper aufrichten? Auch bekannt<br />
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HOW ALIVE ARE YOU?
Dem Kult<br />
auf der Spur<br />
Er begann einst als Toyota-Garagist, baute dann<br />
eigene Autos auf. demnächst arbeitet Jonathan Ward<br />
mit ALTMEISTER Ercole Spada zusammen<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos William Bradford, Michael Muller, Pedenmunk, Alastair Ritchie, Werk<br />
028 VECTURA #4
MOTORMENSCHEN<br />
herbst <strong>2012</strong> 029
Wenn es um Kultautos geht, hat jeder «Motorhead»<br />
sofort ein eigenes Bild im Kopf. Bei Jonathan Ward<br />
ist es der Original-Toyota BJ40 Baujahr 1958 bis 83,<br />
allgemein auch «Landcruiser» genannt – und Urmodell einer ganzen<br />
Modell-Dynastie, die bis heute weit über sechs Millionen Mal<br />
produziert worden ist. Über 800 von ihnen nannte der 42-Jährige<br />
schon sein Eigen, und dabei wird es wohl nicht bleiben. Das<br />
Auto ist für ihn «die Essenz der Coolness», und da war es nur<br />
konsequent, 1996 unter der Firmenbezeichnung TLC in Van Nuys<br />
nördlich von Los Angeles – und nur für diesen einen Fahrzeugtyp,<br />
versteht sich – eine Garage für Service, Restauration und Ersatzteile<br />
zu eröffnen. Kunden gab es wie Sand am Meer: In Kalifornien<br />
erfreut sich der Landcruiser nach wie vor grosser Beliebtheit;<br />
er ist sozusagen das Gegenstück zum VW Bulli: In Letzterem<br />
sassen meist softe, langhaarige Frauenversteher, doch echte<br />
Kerle fuhren einen gestrippten BJ ohne Dach und Türen.<br />
TLC lief mit den Jahren so gut, dass selbst der Toyota-Konzern<br />
im fernen Japan auf Ward aufmerksam wurde. Die Japaner vertrauten<br />
dem in Maryland geborenen und in New York aufgewachsenen<br />
Landcruiser-Guru zunächst kleinere Projekte an, bevor ihn<br />
Konzernboss Akio Toyoda persönlich darum bat, einen modernen<br />
BJ-Nachfolger zu konzipieren und auch gleich drei fahrbare Prototypen<br />
zu bauen. So geschah es, doch letztlich gingen die Meinungen<br />
in Bezug auf Power und Styling zu weit auseinander. Toyota<br />
brachte 2006 den selbst entwickelten FJ Cruiser auf den Markt.<br />
Ward selbst dachte weniger an einen neumodischen Aufguss,<br />
sondern an «klassisches Styling, moderne Fahrleistungen und<br />
zeitlosen Nutzwert»: Der Plan, den BJ-Look der Baujahre 1960<br />
bis ’75 mit leistungsstarker Technik zu paaren, kam also fast<br />
zwangsläufig. Und weil Ward jede Landcruiser-Schraube beim<br />
Vornamen kennt, war der erste Prototyp im Jahr 2004 fast ein<br />
Kinderspiel. Alles, was vom Original übrig blieb, waren der Leiterrahmen<br />
und die Fahrgestellnummer: Sie ist bis heute wichtig,<br />
um den Neuaufbau ohne Crash- und Emissionstest zulassen<br />
zu können. Der «Rest» stammte aus den Regalen verschiedener<br />
Grossserienhersteller, um Versorgung und Bezahlbarkeit zu<br />
gewährleisten. Gasdruckstossdämpfer ersetzten Blattfedern,<br />
Scheibenbremsen die betagten Trommeln, LED-Spots die gelblich<br />
funzelnden Glühbirnen der Instrumentenbeleuchtung. Andere<br />
Teile wie optisch originalgetreue, aber Teflon-beschichtete<br />
Karosseriebleche, die Kabinen-Isolierung, Achskomponenten<br />
oder das Softtop wurden extra angefertigt.<br />
Qual der Wahl: Das FJ-Cockpit gibt es entweder «Old School»…<br />
…oder in einer Baja-Ausführung mit staubdichten Digitalinstrumenten<br />
Volle Kraft voraus: Chevy-V8-Power<br />
Auch beim Antrieb ging man keine Kompromisse ein – und verpflanzte<br />
einen Chevy-V8 in den Bug, der mit 350 SAE-PS gut<br />
dreimal so viel Leistung aufwies wie die seligen Sechszylinder-Benziner<br />
aus japanischer Produktion. Damit schaffte es<br />
der vier Meter lange, leer 1700 Kilo schwere Geländewagen in<br />
6,7 Sekunden auf 100 km/h, war furchteinflössende 185 Stundenkilometer<br />
schnell und wirkte sowohl solide als auch professionell<br />
gemacht, wie wir auf einer Probefahrt im Jahr 2006 feststellen<br />
konnten. «Meine Autos vertragen mehr Missbrauch als<br />
der alte Landcruiser», versprach Ward und sollte recht behalten:<br />
Auch die ersten Kunden schwärmten von der Verarbeitungsqualität.<br />
Dazu lockte ein attraktiver Basispreis von 88 000 Dollar, der<br />
sich mit diversen Optionen wie Luftdruck-Sperrdifferential, Seilwinde,<br />
Sitzheizung, Klima- und Stereoanlagen natürlich auch in<br />
die Höhe treiben liess.<br />
030 VECTURA #4
MOTORMENSCHEN<br />
Made in USA: Mit dem CJ3B bietet Ward auch einen Amerikaner an<br />
Ward nannte seine Firma fortan «Icon» und den Geländewagen<br />
«New School», womit er auch gleich andeutete, was folgen<br />
sollte. Denn neben diesem Retro-Runner, der dank vorne<br />
und hinten getrennt aktivierbarer Untersetzungen sehr geländegängig<br />
ist und sich auf Anhieb reger Nachfrage erfreute, bietet<br />
Icon (www.icon4x4.com) mittlerweile diverse Modellvarianten mit<br />
unterschiedlichen Radständen, Aufbauten und Ausstattungen<br />
an. Damit nicht genug: Neben dem Toyota gibt es inzwischen<br />
auch potente, optisch ebenfalls nur dezent aufgefrischte Updates<br />
der Allrad-Ikonen Willys Jeep JC3B (1940–’60) und Ford Bronco<br />
(1966–’75), die wie der Toyota auch mit anderen Motoren verfügbar<br />
sind und sogar auf neu entwickelten, noch stabileren Rahmen<br />
ruhen. Ward nutzt längst nur beste Zutaten: Der Canvas-<br />
Verdeckstoff kommt aus Deutschland, die Schnappverschlüsse<br />
sind von Bentley, andere Bauteile stammen von Marine- und<br />
Flugzeugzulieferern – Icons Sonnenblenden zum Beispiel finden<br />
sich auch im Lear Jet. Spezialteile wie das Markenlogo, die<br />
Bluebelly-Wüsteneidechse, werden nach wie vor exklusiv produziert.<br />
Aus der kleinen Landcruiser-Garage, die es immer noch<br />
gibt, um sich um klassische Landcruiser zu kümmern, ist so ein<br />
mittelständischer Betrieb geworden, der aktuell in Chatsworth<br />
residiert, aber einmal mehr noch grössere Räumlichkeiten sucht:<br />
Arbeiteten anfänglich noch er und seine Frau Jamie bei TLC, beschäftigt<br />
Ward heute 28 Mitarbeiter, die bisher 115 Fahrzeuge in<br />
Handarbeit produziert und ausgeliefert haben, unter anderem<br />
auch nach Dubai und Europa.<br />
Ein Icon kommt wie gesagt überall durch, nur die Schweizer<br />
Zulassung stellt eine grosse Hürde dar. Wie gross, hängt vom<br />
jeweiligen Icon-Modell und dem Grad der Umrüstung ab. In<br />
der Verordnung über die technischen Anforderungen an<br />
herbst <strong>2012</strong> 031
MOTORMENSCHEN<br />
Nach Toyota und Jeep erfährt auch der Ford Bronco die Icon-Behandlung<br />
Strassenfahrzeuge (VTS) und der asa-Richtlinie 2a Ziffer<br />
1.2.2 der Vereinigung der Strassenverkehrsämter sind Änderungen<br />
und Umbauten von Motorwagen genau definiert.<br />
In jedem Fall gelten Icon-Modelle als Neufahrzeuge, müssen<br />
einzeln geprüft werden. Die erforderlichen Abgas- und Geräuschmessungen<br />
können bei anerkannten Prüfstellen wie dem Dynamic<br />
Test Center in Vauffelin bei Biel (www.dtc-ag.ch) ausgeführt werden.<br />
Merke: Wo ein Wille ist, ist auch ein Weg. Es dürfte trotzdem etwas<br />
länger dauern, einen Icon zu fahren, denn die Warteliste ist lang.<br />
Der Firmengründer selbst ist ein stets bescheidener, zugänglicher<br />
Typ geblieben, was ihn und seine Marke Icon noch sympathischer<br />
macht. Doch Ward ruht sich nicht auf seinem Erfolg<br />
aus, sondern sucht neue Herausforderungen. Eine nennt sich<br />
«Derelict Series» und steht für patinierte, aber technisch aktualisierte,<br />
topfitte Strassenkreuzer aus den 50er-Jahren, deren «Rat-<br />
Look» gerade besonders hip ist. Es gibt die US-Klassiker auch<br />
toprestauriert; dann nennen sie sich «Icon Reformers». Das<br />
jüngste Projekt ist indes noch anspruchsvoller: Der zweifache<br />
Familienvater hat sich über einen gemeinsamen Kunden rein<br />
zufällig mit dem italienischen Stardesigner Ercole Spada zusammengefunden,<br />
dessen Entwürfe für Zagato, BMW oder Fiat<br />
Automobilgeschichte geschrieben haben. Zu den Kreationen des<br />
inzwischen 75-jährigen Spada gehört auch der berühmte Aston<br />
Martin DB4 GT Zagato, und dieses Auto wird nun ebenfalls ein<br />
Revival erleben – als technisch moderner Vintage-Roadster. 2014<br />
soll es in Pebble Beach so weit sein, und angesichts Spadas ästhetischem<br />
Empfinden und Wards Detailversessenheit muss man<br />
sich um das Ergebnis wohl keine Sorgen machen: Auch der Neo-<br />
Aston wird eine echte Ikone sein.<br />
Zweites Standbein: Die «Derelict Series» spricht Hot-Rodder an<br />
032 VECTURA #4
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* Im Vergleich zu den vier führenden Mitbewerbern (unter anderem für Bremsen, Traktion und Handling auf Schnee); Test durchgeführt vom TÜV SÜD Automotive (tuev-sued.de) im Februar und März <strong>2012</strong> im Auftrag<br />
von PIRELLI; verfügbare Reifen der Dimension 255/55 R 18; gekauft im europäischen Markt im Januar <strong>2012</strong>; Testfahrzeug: Audi Q5; Schneetest durchgeführt in Arctic Falls (Schweden); Report-Nr. 76247759-PQ-01.
RÜCKSPIEGEL<br />
ITALO-WESTERN<br />
er sollte in den krieg ziehen – und fuhr doch wieder nach hause:<br />
Cheetah oder die Geschichte eines vorübergehenden Scheiterns<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos Archiv Pharis, Umberto Guizzardi, Werk<br />
034 VECTURA #4
Cheetah-Keimzelle: FMC XR311<br />
Es ist also entschieden: Die dritte Lamborghini-Baureihe,<br />
welche ab 2015 erwartet werden darf, wird keine Sportlimousine,<br />
sondern ein bedingt geländegängiger SUV<br />
sein. Urus nennt sich die Ende April in Peking gezeigte, karbonhaltige<br />
Studie mit 600 PS. Sie ist knapp fünf Meter lang, kommt<br />
trotz 166 cm Höhe optisch geduckt daher und bläht die Nüstern<br />
wie ein zum Galopp ansetzender Stier.<br />
Anders als bei vielen anderen Luxusmarken, die derzeit ins Gelände<br />
aufbrechen, um zahlungskräftigen Chinesen den Weg durch<br />
provinzielle Infrastrukturen zu bahnen, sind die Allrad-Ambitionen<br />
aus Sant’Agata nicht synthetisch. Vielmehr kann Lamborghini auf<br />
eine jahrzehntelange 4x4-Geschichte zurückblicken – und wir<br />
sprechen nicht von den Traktoren. Der wuchtige V12-Offroader<br />
LM002 ging in den 80er-Jahren in Serie, und genau genommen<br />
begann seine Geschichte schon viel früher.<br />
Aus der Not geboren Mitte der 70er ging es Automobili Lamborghini<br />
richtig schlecht. Mit dem endgültigen Ausstieg des Markengründers<br />
Ferruccio im Jahre 1974 gingen auch die besten<br />
Angestellten, fehlte es neben treibenden Kräften schnell auch am<br />
Geld und es war klar: Mit den wenigen Dutzend Countach, die<br />
damals montiert wurden, würde der italienische Hersteller langfristig<br />
nicht überleben können. Die Baureihen Jarama und Espada<br />
rangierten inzwischen unter «ferner liefen»; neue Konkurrenten<br />
wie der in den Startlöchern stehende Porsche 928 verschärften<br />
die Situation. Fremdaufträge waren das Gebot der Stunde für<br />
Lamborghini, und tatsächlich gelang es dem damaligen Generaldirektor<br />
Franco Baraldini, einen BMW-Vertrag für einen neuen<br />
Tourenwagen an Land zu ziehen – den späteren M1. Die Bayern<br />
lieferten einen Sechszylindermotor samt Getrag-Getriebe nach<br />
Norditalien, Lamborghini sollte das Auto entwickeln und mindestens<br />
400 Exemplare bauen. Das Design steuerte kein Geringerer<br />
als Giorgetto Giugiaro bei.<br />
Angesichts dieser lukrativen Order sicherte die italienische<br />
Regierung dem strauchelnden Sportwagenproduzenten im<br />
Sommer 1976 eine Finanzhilfe zu, um den drohenden Untergang<br />
abzuwenden und die Mehrheit der Arbeitsplätze zu erhalten.<br />
Eine sich langsam erholende Wirtschaftslage sorgte<br />
für zusätzliches Selbstbewusstsein und in Sant’Agata schien<br />
es unter der Führung des damaligen Schweizer Markenbesitzers<br />
René Leimer jetzt wieder aufwärts zu gehen. Der spitzte<br />
die Ohren, als ihm sein Generaldirektor nach einer US-Reise<br />
von einem sensationellen Offroad-Fahrzeug berichtete. Franco<br />
Baraldini erzählt: «Schon 1975 war ich auf ein ungewöhnliches<br />
Auto aufmerksam geworden, das mich in gewisser Weise<br />
an den Countach erinnerte. Es handelte sich um einen relativ<br />
flachen Geländewagen mit hubraumstarkem Chrysler-V8-Motor,<br />
der hinten angeordnet war und dem Auto zu überragenden<br />
Fahrleistungen verhelfen sollte.»<br />
Der Allradler geht auf eine Entwicklung für den Rüstungshersteller<br />
FMC (Food Machinery Corporation) zurück: 1970 entstand dort<br />
der XR311, und er war als geländefähiges Mehrzweckfahrzeug<br />
für den militärischen Einsatz gedacht. Exakt nach den Ausschreibungsvorgaben<br />
der US-Armee konzipiert, die ihren Fuhrpark um<br />
ein High Mobility Vehicle (HMV) ergänzen wollte, hoffte FMC auf<br />
einen lukrativen Auftrag. Die Streitkräfte konnten sich aber nicht<br />
zu einer Bestellung durchringen.<br />
Baraldini nahm jedenfalls Witterung auf – über Chrysler-Verbindungen<br />
stiess er schliesslich auf die XR311-Konstrukteure Bard<br />
Johnson und Rodney Barnes Pharis. Beide hatten FMC inzwischen<br />
verlassen. Jetzt suchten sie einen Weg, ihre Erfindung<br />
doch noch zu realisieren, und waren deshalb nicht abgeneigt,<br />
mit Lamborghini zu verhandeln. Auch Leimer hielt eine Kooperation<br />
für sinnvoll und gab Baraldini grünes Licht. Der flog daraufhin<br />
mehrmals nach Kalifornien und bereitete die Zusammenarbeit<br />
vor. Davon erfuhr wiederum FMC, machte Patentansprüche geltend<br />
und drohte bei Missachtung mit einem zeit- und kostenintensiven<br />
Strafverfahren. Das sollte zwar scheitern, verzögerte<br />
aber einen Vertrag mit Lamborghini.<br />
Pakt mit den Amerikanern Anfang 1976 war der Weg<br />
schliesslich frei, und am 20. Januar unterschrieben Baraldini<br />
und die Amerikaner im New Yorker «Waldorf Astoria» eine<br />
entsprechende Vereinbarung: Ihr zufolge sollten Johnson und<br />
Pharis einen Prototyp bauen und Lamborghini die Kosten tragen,<br />
bevor man das Fahrzeug im nächsten Schritt zur Serienreife<br />
entwickeln und gemeinsam vermarkten werde. Die beiden<br />
Konstrukteure gründeten daraufhin in Kalifornien eine eigene<br />
Firma namens Mobility Technology International (MTI) und<br />
machten sich sofort ans Werk.<br />
herbst <strong>2012</strong> 035
RÜCKSPIEGEL<br />
Kein Jahr später hatte MTI den Prototyp weitgehend fertiggestellt.<br />
Die Zutaten des 455 cm langen, 188 cm breiten, aber<br />
nur 165 cm hohen Cheetah (englisch für Gepard) stellten damals<br />
das Nonplusultra dar: Ausgestattet mit permanentem Allradantrieb<br />
und drei Differentialen, Einzelradaufhängungen und<br />
Scheibenbremsen rundum, Rohrrahmen mit Überrollkäfig, einer<br />
Karosserie aus Aluminium (nicht Kunststoff, wie oft zu lesen ist),<br />
umklappbarer Frontscheibe, vier Einzelsitzen und belastbarer<br />
Ladefläche, konnte man sich viele Verwendungsmöglichkeiten<br />
vorstellen: «Leimer sah gute Chancen für eine militärische Produktion,<br />
denn er hatte gute Verbindungen in arabische Länder<br />
und wusste um den dortigen Bedarf», erinnert sich ein damaliger<br />
Lamborghini-Mitarbeiter.<br />
Die Zubehörliste des Cheetah sah dementsprechend lang aus:<br />
Räder und Karosserie konnten in einer kugelsicheren Ausführung<br />
bestellt werden. Sogar ein Waffen-Kit mit Granatenwerfer und<br />
Drehplattform war vorgesehen, dazu wahlweise eine leistungsfähige<br />
Heizung, 24-Volt-Anlage, Funkgerät, Seilwinde, Fernstrahler,<br />
Tarnnetze oder ein Anhänger. Die in der Presse kolportierte<br />
Radar-Anlage gibt es allerdings nicht: «Bei der langen Antenne<br />
handelte es sich lediglich um einen Peilstab mit Wimpel, damit<br />
man bei Dünenfahrt besser gesehen werden konnte», gibt<br />
Rodney Pharis schmunzelnd zu Protokoll.<br />
Nicht zuletzt schien der Cheetah auch als Polizei- oder Rettungswagen<br />
zu taugen – oder eben als Sandkasten-Spielzeug<br />
grosser reicher Jungs: Der 5,9-Liter-V8-Motor lieferte 180 PS<br />
– genug, um das über zwei Tonnen schwere Fahrzeug in gut<br />
elf Sekunden auf Tempo 100 und maximale 150 km/h zu beschleunigen.<br />
Im Gelände sollten dank den Spezialreifen immer<br />
noch 100 Kilometer pro Stunde möglich sein; sogar eine Turbo-<br />
Variante stellte man in Aussicht. Die variable Drehmomentverteilung,<br />
knapp 30 cm Bodenfreiheit und über 80 cm Wattiefe,<br />
aber auch 70% Steigfähigkeit und bis zu 50% Seitenneigung<br />
versprachen beste Offroad-Eigenschaften. Zwei Tanks standen<br />
dabei für hohe Reichweite, die Dreigang-Automatik und eine<br />
Servolenkung für Fahrkomfort.<br />
Mitte der siebziger Jahre war das Geländewagen-Angebot noch<br />
nicht so vielfältig wie heute, sondern sehr überschaubar. In<br />
Europa kannte man Jeep, den Toyota Land Cruiser, die britischen<br />
036 VECTURA #4
Land- und Range Rover – das war’s. 1979 kam das Mercedes<br />
G-Modell hinzu; ein Jahr später würde der kleine Suzuki LJ als legitimer<br />
Nachfolger der Flower-Power-Strandbuggys das Angebot<br />
ergänzen. So gesehen war der Cheetah ein Trendsetter.<br />
Auf Crashkurs Ein Geländewagen von Lamborghini? Auf dem<br />
Genfer Salon im März 1977 war die Sensation perfekt. Interessenten<br />
staunten nicht schlecht – und verstanden unter Umständen<br />
kein Wort, denn die meisten Prospekte hatte man aus<br />
den genannten Gründen in Arabisch verfasst. Auf den Cheetah<br />
schien man nur gewartet zu haben, denn tatsächlich gab es noch<br />
auf der Messe konkrete Anfragen aus Syrien und Saudi-Arabien.<br />
Lamborghini möge bitte die Offroad-Fähigkeiten nachweisen,<br />
forderten die potentiellen Kunden, dann werde man umgehend<br />
Fahrzeuge bestellen. Viele Fahrzeuge.<br />
Von einem technisch ausgereiften Geländewagen konnte indes<br />
keine Rede sein; der Cheetah war schliesslich ein fahrbereites<br />
Showcar und Franco Baraldini bei den Erprobungen bereits nicht<br />
mehr an Bord: Schon Ende 1976 hatte er Lamborghini verlassen,<br />
nachdem er mitbekam, dass Leimer nicht über die erforderlichen<br />
herbst <strong>2012</strong> 037
RÜCKSPIEGEL<br />
RUBRIKEN<br />
038 VECTURA #4
finanziellen Mittel verfügen würde, um sowohl den BMW-Sportals<br />
auch den Cheetah-Geländewagen wie jeweils vertraglich vereinbart<br />
umzusetzen. Mit diesem Insider-Wissen war Baraldinis<br />
Ausscheiden nur konsequent: «Ich hatte die Verträge gemacht –<br />
sowohl mit BMW als auch mit MTI. Unsere Partner vertrauten mir<br />
und nun stand mein guter Name auf dem Spiel.» Bei MTI bekam<br />
man die Ungereimtheiten in Italien mit, konnte zu diesem Zeitpunkt<br />
aber nicht mehr ohne weiteres aussteigen.<br />
Tatsächlich plante Lamborghini ernsthaft, den Cheetah schnell in<br />
Serie zu fertigen, um die hoch dotierten Anfragen aus dem Nahen<br />
Osten bedienen zu können. Was Mitte 1977 geschah, ist heute<br />
nur noch schwer nachvollziehbar, dürfte sich aber folgendermassen<br />
abgespielt haben: Das Schweizer Lamborghini-Management<br />
setzte alles auf eine Karte, zweigte einen grösseren Betrag des<br />
BMW-Geldes für eine hauseigene Cheetah-Serienentwicklung ohne<br />
MTI-Beteiligung ab und bat um weitere staatliche Fördermittel.<br />
Letzteres vergeblich, denn die italienische Regierung hegte Zweifel<br />
an den immer abenteuerlicheren Plänen in der Emilia – zu Recht,<br />
wie sich schon wenig später bestätigen sollte.<br />
Einseitige Zusammenarbeit Interessant ist, wie MTI-Ingenieur<br />
Rod Pharis das Projekt erlebt hat. Hier ist sein Bericht: «Weil Lamborghini<br />
den Cheetah Mitte März 1977 in Genf vorstellen wollte,<br />
fanden Entwicklung und Bau des Prototyps unter extremem<br />
Zeitdruck statt. Die ersten Testfahrten – hauptsächlich für Presse-<br />
und Prospektfotos – dauerten nur zwei Wochen. Wir brachten<br />
sogar die Lamborghini-Logos an und wurden am 13. März<br />
fertig, bevor ich den Wagen persönlich in einer Fracht-747 von<br />
San Francisco über New York nach Frankfurt und dann per Truck<br />
nach Genf begleitete. Dort traf ich am 15. März ein – einen Tag<br />
vor der Salon-Premiere. Es gelang mir, den Prototyp auf Anhieb<br />
durch den Zoll zu bringen, bevor ich die Schutzhüllen entfernte<br />
und das Auto die kurze Strecke hinüber zur Ausstellungshalle fuhr<br />
– gerade noch rechtzeitig, denn eine Stunde später wären alle<br />
Zugänge versperrt gewesen: Es war ein Rennen gegen die Uhr.<br />
Dann ging ich auf mein Hotelzimmer und war bis zum nächsten<br />
Morgen nicht mehr ansprechbar.<br />
Nach dem Salon brachte Lamborghini den Cheetah nach<br />
Sant’Agata – und damit eskalierten die Schwierigkeiten. Denn es<br />
war weder vereinbart worden, den Prototyp zu testen, noch ihn<br />
vorzuführen oder ohne unsere Genehmigung und Beteiligung ausser<br />
Landes zu bringen. Auch durfte das Fahrzeug nicht mit militärischem<br />
Zubehör ausgestattet werden, doch Lamborghini verletzte<br />
jede einzelne dieser Beschränkungen. Man zerlegte das Auto<br />
sogar, machte Detailzeichnungen und behielt es sechs Monate<br />
länger als ursprünglich verabredet. Darüber hinaus wurde der bestellte<br />
Wagen nie voll bezahlt, was Phase II, also Serienentwicklung<br />
und Produktionsvorbereitung, unmöglich machte. Wir diskutierten<br />
mehrere Vertragszusätze, die ohne Zahlung allerdings wieder<br />
verfielen. Daraufhin verlangten wir, den Prototyp bis zu einem bestimmten<br />
Datum zurückzugeben, was nicht geschah.<br />
Im Oktober 1977 verkauften wir, MTI, die Exklusivrechte am<br />
Cheetah-Design, den Prototyp und seinen Namen an Teledyne<br />
Continental Motors (TCM) in Muskegon, Michigan: Mit unserer Unterstützung<br />
wollte TCM versuchen, sowohl einen Vertrag mit der<br />
US-Armee für einen Gefechtswagen als auch eine zivile Cheetah-<br />
Version zu realisieren. Das Agreement sah eine Beschränkung ausserhalb<br />
der USA vor, denn wir wollten uns die Möglichkeit einer<br />
Lamborghini-Lizenz als Option offen halten. Leider war das italienische<br />
Unternehmen nicht in der Lage, die dafür erforderlichen<br />
finanziellen Mittel bereitzustellen.<br />
Zu dieser Zeit befand sich der Cheetah noch immer in Sant’Agata<br />
und ich kündigte dort mein Erscheinen an, um das Fahrzeug<br />
abzuholen. Als ich eine Woche später eintraf, schien jeder sehr<br />
erstaunt zu sein, und Präsident Leimer liess mich in der Lobby<br />
warten. Ich ging hinaus auf das Firmengelände und bemerkte<br />
dort sofort frische Spuren der unverwechselbaren Cheetah-<br />
Geländereifen. Sie führten von einem grossen Rolltor zum Haupteingang<br />
und von dort auf die Strasse. Während des folgenden<br />
Treffens mit Leimer (und den Übersetzern) gab er an, der<br />
Cheetah befände sich in Belgien und könne in den kommenden<br />
Wochen deshalb nicht in die Staaten zurückkehren. Ich erinnerte<br />
ihn an unseren Vertrag, der den Export aus Italien verbot und<br />
schon seit Monaten die Rückgabe auf Verlangen vorsah. Dann<br />
erwähnte ich die Reifenspuren und dass ich bedauerlicherweise<br />
keine andere Möglichkeit mehr sähe, als Lamborghini und<br />
Leimer persönlich wegen Unterschlagung von MTI-Eigentum anzuzeigen.<br />
Leimer versprach nun, nach dem Mittagessen seinen<br />
Anwalt Prof. Alberto Maffei Alberti zu rufen, was auch geschah.<br />
Dem zeigte und erklärte ich unseren Vertrag, woraufhin er sich in<br />
meiner Gegenwart lange mit Leimer auf Französisch unterhielt.<br />
Es war offensichtlich, dass Maffei Alberti sehr aufgebracht war.<br />
Anschliessend entschuldigte er sich bei mir und erklärte, der Prototyp<br />
befände sich auf einem Lkw in Italien, aber der Fahrer sei<br />
seit Stunden nicht erreichbar.<br />
Ich verlangte, dass man mir den Cheetah innerhalb von zwei<br />
Tagen zum United-Airlines-Terminal des Frankfurter Flughafens<br />
bringen solle. Im Gegenzug bat Leimer um einen weiteren Vertragszusatz<br />
bezüglich der limitierten Lizenzrechte ausserhalb der<br />
Vereinigten Staaten und versprach dafür, ausstehende Rechnungen<br />
zu begleichen sowie die Finanzierung der Entwicklungsphase<br />
auf den Weg zu bringen. Wir einigten uns schliesslich darauf<br />
und ich unterschrieb die Klausel, bevor ich mich auf den Weg<br />
nach Frankfurt begab. Der Cheetah wurde letztlich von einem<br />
Lamborghini-Testfahrer geliefert. Ich überwachte die Verladung<br />
des Fahrzeugs in die 747 nach Los Angeles, flog mit derselben<br />
Maschine und fuhr den Cheetah schliesslich zu unserer Firma<br />
nach San José zurück, damit unsere Partnerschaft mit Teledyne<br />
Continental Motors rechtzeitig beginnen konnte.»<br />
Waghalsige Manöver Trotz der nahezu aufgekündigten Zusammenarbeit<br />
mit MTI wollte Lamborghini an den viel versprechenden<br />
4x4-Plänen festhalten. Und während mit «Saturday<br />
Night Fever» weltweit der Disco-Boom ausbrach, reiste Leimer<br />
persönlich in die USA, um nochmals mit Pharis und Johnson zu<br />
verhandeln: Er wollte von ihnen alle Cheetah-Rechte und den<br />
Prototyp kaufen, obwohl er ausser Versprechungen nichts zu<br />
bieten hatte – die Gespräche mit den Amerikanern scheiterten.<br />
Doch auch ohne die Italiener sollten MTI und Partner Teledyne<br />
Pech haben: Die US-Armee forderte inzwischen ein High Mobility<br />
Multipurpose Wheeled Vehicle (HMMWV) und lehnte den<br />
Cheetah ab. Den Zuschlag sollte 1979 der Hersteller AM General<br />
erhalten – so entstand der Hummer.<br />
herbst <strong>2012</strong> 039
RÜCKSPIEGEL<br />
Bumm-bumm: LM001, noch mit Heckmotor<br />
In Sant’Agata war die Geschäftskasse dagegen so gut wie leer und<br />
Ende 1977 mit nur 97 gefertigten Fahrzeugen ein neuer Tiefpunkt<br />
erreicht: Lamborghini würde aus eigener Kraft höchstens noch ein<br />
paar Monate durchhalten können. Ob die Fertigungszahlen jener<br />
Jahre stimmen, ist bis heute umstritten: Auf jeden Fall gab es damals<br />
Unregelmässigkeiten in den Büchern, und beim BMW-Sportwagen-Projekt,<br />
das mittlerweile auch offiziell M1 genannt wurde,<br />
hinkte Lamborghini dem Zeitplan inzwischen hoffnungslos hinterher.<br />
Statt zu liefern, bat Leimer in München um einen Vorschuss,<br />
was das Fass zum Überlaufen brachte. Davon abgesehen änderte<br />
die Motorsportbehörde FIA das Gruppe4-Reglement – der M1 war<br />
out, bevor er überhaupt antreten konnte. Mitte April 1978 kündigte<br />
BMW nach knapp zwei Jahren entnervt die Zusammenarbeit mit<br />
Lamborghini. Weil der M1 trotzdem gebaut werden und in einer<br />
eigenen Rennserie antreten sollte, verlagerte man die Fertigung zu<br />
Giugiaros Firma ItalDesign; die Endmontage erfolgte schliesslich<br />
bei Baur in Stuttgart.<br />
Erstmals mit V12 im Bug: LMA (für «anteriore»)<br />
Lifestyle-Revival Lamborghini stand mit leeren Händen da und<br />
steuerte jetzt direkt in den Konkurs. Erst zwei Besitzerwechsel und<br />
acht Jahre später erlebte der Cheetah ein Revival – in Form des<br />
brachialen LM002. Dem waren ein paar wirre Prototypen vorausgegangen,<br />
bevor man ihn 1986 auf die zivile Bevölkerung losliess<br />
– das Militär hatte längst jegliches Interesse verloren. Ausgestattet<br />
mit einem vorne angeordneten, 415 PS und ab 1990 satte 490 PS<br />
starken 5,2-L-Zwölfzylinder, der das 3,3-Tonnen-Trümm auf über<br />
220 Stundenkilometer wuchten konnte, war der LM fortan der Star<br />
auf den Parkplätzen von Saint-Tropez oder Bahrain. Etwa 300 Exemplare<br />
später war schon wieder Schluss, rollte 1986 der letzte<br />
LM aus dem Werk – die Nachfrage war einfach zu gering, der Preis<br />
exorbitant hoch und der Verbrauch sowieso.<br />
Endlich in Serie: der LM neben einem Countach Anniversario<br />
Der Allradantrieb lebte derweil als Traktionshilfe weiter – in den<br />
Lambo-Supersportwagen. 1993 trat erstmals der Diablo VT<br />
(Viscous Traction) mit Viskokupplung zwischen den Achsen an;<br />
auch Murciélago, Gallardo und Aventador kamen als 4x4 auf den<br />
Markt. Heute gibt es rein heckgetriebene Lamborghini-Boliden nur<br />
noch als Sondermodell. Das Unternehmen selbst ist nicht mehr<br />
mit jenem der turbulenten siebziger und achtziger Jahre zu vergleichen:<br />
Nach Mitte 1998, als Audi und damit der Volkswagen-<br />
Konzern die italienische Traummarke erwarb, ging es bei Automobili<br />
Lamborghini steil bergauf, kamen Vertrauen, Fertigungsqualität<br />
und überragende Fahrleistungen, feierte man einen Absatzrekord<br />
nach dem anderen. Doch mit der technischen Komplexität<br />
ist auch die kritische Masse gestiegen: Heute braucht es schon<br />
ein paar Autos mehr, um profitabel arbeiten zu können. Deshalb<br />
ein weltweit expandierendes Händlernetz, deshalb die dritte Baureihe<br />
– deshalb ein Luxus-SUV, der in Asien, Arabien oder Russland<br />
reissenden Absatz finden dürfte. Und weil sich der Urus, oder<br />
wie immer er später heissen mag, die Plattform und Motoren mit<br />
Konzerngeschwistern von Audi oder Porsche teilen wird, bleiben<br />
auch die Kosten überschaubar. Klar ist: Von allen SUV-Derivaten<br />
des VW-Konzerns wird das Lambo-Pendant am begehrenswertesten<br />
sein. Und am schnellsten, natürlich.<br />
Zukunftsmusik: Lamborghini Urus<br />
Auszüge dieses Textes stammen aus einer<br />
grossen Lamborghini-Chronik, die 2013 zum<br />
50-jährigen Markenjubiläum erscheinen wird<br />
040 VECTURA #4
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042 VECTURA #4
In Derendingen hat der TCS kürzlich ein weiteres, hochmodernes<br />
Verkehrssicherheitszentrum eröffnet. Der Besuch lohnt sich<br />
Text Simon Baumann · Fotos Werk<br />
Nach einer mehr als dreijährigen Planungs- und Bauphase<br />
hat die Test & Training tcs AG, eine Tochtergesellschaft<br />
des TCS, im Juni dieses Jahres in Derendingen<br />
bei Solothurn ein neues Verkehrssicherheitszentrum eröffnet. Es<br />
verfügt über modernste technische Einrichtungen sowie professionelle<br />
Instruktoren und bietet verschiedene Fahrsicherheitstrainings<br />
für Einzelpersonen, Gruppen und Unternehmen an.<br />
Mit dem VSZ Derendingen verfügt der TCS bereits über die<br />
sechste Anlage dieser Art. Nebst den drei grossen Verkehrssicherheitszentren<br />
in Niederstocken (bei Thun, BE), Hinwil (ZH)<br />
und neu auch in Derendingen (SO) gibt es Fahrtrainingszentren<br />
auch in Emmen (LU), Meyrin (GE) und Lignières (NE). Direkt an<br />
der A1 gelegen und somit nur wenige Fahrminuten von der Autobahnausfahrt<br />
Solothurn-Ost entfernt, schliesst das neue Zentrum<br />
(www.derendingen.tcs.ch) also eine geografische Lücke im<br />
bestehenden Angebot. Schweizweit kümmern sich über 100<br />
professionelle Instruktoren um die Betreuung der Kursteilnehmer.<br />
Das Fachpersonal wird an der eigens dafür eingerichteten Trainer<br />
School des TCS ausgebildet und perfektioniert so das von Test<br />
& Training tcs AG in der Schweiz eingeführte Konzept «Lernen<br />
durch Erleben».<br />
Mit einem Investitionsvolumen von 11 Millionen Franken entstand<br />
im Industriequartier von Derendingen eine rund 25 000 Quadratmeter<br />
grosse Anlage mit hochmoderner Ausstattung. Auf drei<br />
Aktionsflächen finden sich ein bewässerter Gleitbelag, Wasserhindernisse,<br />
ein Geschwindigkeitsmesssystem und eine Schleuderplatte.<br />
Doch auch umwelttechnischen Aspekten wurde beim<br />
Bau grösste Aufmerksamkeit geschenkt. Nebst der Realisierung<br />
des Wärmepumpen-beheizten Holzgebäudes im Minergiestandard<br />
wird die gesamte Wassermenge, die bei Niederschlägen auf<br />
die Anlage fällt, in unterirdischen Tanks aufgefangen und über ein<br />
komplexes Pumpensystem wiederverwendet. Der Rücklauf erfolgt<br />
über ein hochwirksames Filtersystem, so dass das Wasser in<br />
einem permanenten, geschlossenen Kreislauf mehrfach eingesetzt<br />
werden kann.<br />
Die Grösse der Anlage ermöglicht es, bis zu vier Kurse mit jeweils<br />
zehn Fahrzeugen gleichzeitig durchzuführen. Das Haupthaus<br />
bietet nebst dem Empfang und den Büros für die Administration<br />
ein grosszügig ausgelegtes Bistro namens «Turbolino» sowie fünf<br />
Theorie- und Schulungsräume. Drei davon können multifunktional<br />
zu einer Fläche zusammengefasst und von grösseren Gruppen<br />
oder für Präsentationen genutzt werden. Die technischen Einrichtungen<br />
im VSZ Derendingen bieten ideale Voraussetzungen<br />
für die Durchführung von Fahrsicherheitstrainings in den unterschiedlichsten<br />
Bereichen. Dazu zählen die 2-Phasen-Ausbildung,<br />
spezielle Schulungsprogramme für Roller, Motorrad, Auto, Lieferwagen,<br />
schwere Nutzfahrzeuge, Busse und Gelenkbusse oder<br />
auch massgeschneiderte Übungseinheiten für Unternehmen und<br />
Verbände. Die Anlage lässt sich teilweise oder in ihrer Gesamtheit<br />
für individuelle Fahrveranstaltungen buchen – so kann das Sicherheitstraining<br />
beispielsweise mit einmaligen Fahrerlebnissen kombiniert<br />
werden.<br />
Der seit Dezember 2005 eingeführte Führerschein auf Probe<br />
verlangt, dass nach der praktischen Führerprüfung zwei obligatorische<br />
Ausbildungstage absolviert werden. Neulenker haben<br />
dafür drei Jahre Zeit. Die Test & Training tcs AG, die verschiedenen<br />
Sektionen des TCS und einige Partner bieten diese 2-Phasen-<br />
Kurse an mehr als 30 Standorten in der Schweiz an – unter anderem<br />
natürlich auch im neuen VSZ Derendingen. Wer einen Standort<br />
in der eigenen Region sucht, wird unter www.2phasen.tcs.ch<br />
fündig. Fahranfänger unter 25 Jahren finden beim speziell auf sie<br />
zugeschnittenen Cooldown Club (www.cooldownclub.ch) sinnvolle<br />
Tipps und finanzielle Vorteile, unter anderem eine Vergünstigung<br />
von bis zu 150 Franken auf die 2-Phasen-Ausbildung.<br />
herbst <strong>2012</strong> 043
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Der Mercedes G ist das Auto für die Ewigkeit.<br />
Oder mindestens für dreissig Jahre<br />
Text Wolfgang Peters · Fotos Werk<br />
Wir sind mit einer Legende verabredet. Mit einem Fahrzeug,<br />
wie es in der Wegwerfgesellschaft keines mehr<br />
gibt. Ersonnen vor knapp vier Jahrzehnten und konstruiert<br />
für die Belastungen einer Expedition in das Innere des<br />
Kraters Krakatao, kraft seines Alters schon mehrmals modellgepflegt<br />
und von innen nach aussen renoviert, wie es der Stand<br />
der Technik forderte, und dabei im Kern geblieben, wie es immer<br />
war: Das G-Modell von Mercedes-Benz scheint gebaut für eine<br />
automobile Ewigkeit und ist geeignet, als gern akzeptierte Erbmasse<br />
vom Vater auf den Sohn und dann später auf dessen Sohn<br />
überzugehen. Ja, das G-Modell ist ein Wagen für den Generationenvertrag.<br />
Und gleichzeitig Beispiel für Nachhaltigkeit, die man<br />
nicht mit immer neuen Modellen erreicht.<br />
Zur Legende wird ein Automobil nicht aus strategischer Berechnung.<br />
Dieser Titel fällt einer Baureihe zu oder nicht. Dazu gehören<br />
eine eiserne Gesundheit, Abenteuer und Anekdoten, belastbare<br />
Eigenschaften, ein Charakter aus Verzicht und Vergnügen<br />
sowie eine gewisse Arroganz im Auftreten und vor allem eine<br />
unerhörte Vorsicht bei der Akzeptanz modischer Attribute. Aber<br />
auch eine ruhige Klarheit im Wesen und jene Entschlossenheit,<br />
die weder Geröll noch den Teufel fürchtet und weder vor dem<br />
Boulevard der Eitelkeiten noch vor den banalen Einsätzen der<br />
Bourgeoisie zurückschreckt. Die beste Eigenschaft des G-Modells:<br />
Das kastenförmige Vehikel kann alles. Seit jeher. Die Basis<br />
seines Langzeiterfolgs war die Konzeption für den Einsatz jenseits<br />
aller Strassen, worauf noch eingegangen wird. Allerdings<br />
haben sich die Schwerpunkte in seinen Eigenschaftswertungen<br />
und in seinen Einsatzgebieten im Laufe eines biblischen Lebens<br />
deutlich verschoben. Das belegt schon der Hinweis auf eine<br />
mild veränderte Namensgebung: Aus dem G-Modell wurde in<br />
der modischeren Nomenklatur des Herstellers die G-Klasse. An<br />
der Klasse des G-Modells hat sich dadurch nichts geändert. Es<br />
ist nach Meinung von Experten und Fans noch immer der beste<br />
Geländewagen der Welt. Heute nur mit mehr Schmalz und<br />
Seide und Pomp denn je zuvor.<br />
044 VECTURA #4
evolution<br />
Die alte Weisheit, der Krieg sei der Vater aller Dinge, gilt für die<br />
G-Klasse in gemässigtem Umfang. Anfang der siebziger Jahre des<br />
vorigen Jahrhunderts kam der letzte Schah von Persien auf die<br />
Idee, in der Armee seines Landes möge doch bitte ein moderner<br />
Geländewagen Dienst tun. Dass diese Vorstellung bei Mercedes-<br />
Benz umgesetzt wurde, ereignete sich vor dem Hintergrund<br />
eines Engagements von Persien (aus dem alsbald der Iran werden<br />
sollte) mit einer netten Aktienbeteiligung am Kapital des im<br />
Schwäbischen logierenden, aber global agierenden Unternehmens.<br />
Der Schah wurde von der Revolution weggespült, aber die<br />
Idee vom Geländewagen überlebte. Vielleicht war das schon ein<br />
erster Hinweis auf das lange Leben des G.<br />
Legendenbildung: erste Skizzen und ein Tonmodell Mitte 70er-Jahre<br />
Denn die Schweizer Armee dachte zu dieser Zeit ebenfalls über<br />
ein derartiges Fahrzeug nach, und aus Norwegen und aus Argentinien<br />
kamen ähnliche Wünsche. Da fand es sich trefflich, dass<br />
in Österreich Steyr-Daimler-Puch seinen Haflinger baute. Ein anspruchsloses<br />
Gefährt für die Arbeit auf der Alm, und die Mercedes-Männer<br />
in der Abteilung Nutzfahrzeuge beschäftigten sich<br />
mit einem ebenso frugalen, aber fantastisch talentierten Alleskönner,<br />
nämlich mit ihrem universalen Motorgerät, kurz Unimog<br />
genannt. Es kamen beide Unternehmen, und damit Haflinger und<br />
Unimog, zusammen und über mehrere Vertragsschritte wurden<br />
dann 1975 eine gemeinsame Entwicklung und schliesslich der<br />
Produktionsbeginn des G-Modells Anfang 1979 im österreichischen<br />
Graz beschlossen. Auf dem Programm standen nicht<br />
mehr und nicht weniger als Zeugung und Geburt des nach<br />
Prominenter Fahrgast: Johannes Paul II. anno 1980 im Papamobil<br />
herbst <strong>2012</strong> 045
evolution<br />
Ansicht vieler Experten weltbesten Geländewagens. Dass sich daraus<br />
eine Legende der Kontinuität und des Könnens entwickeln<br />
sollte, ahnte damals natürlich noch niemand. Ebenso wenig war<br />
klar, dass der G direkt in die Entwicklung eines Lebensgefühls<br />
hinein beschleunigte, das ihn zu einem Fahrzeug der Verehrung,<br />
fast der Mystifizierung, machen sollte. Die Freizeit- und Drittwagen-<br />
Gesellschaft schien auf den G geradezu gewartet zu haben.<br />
Heute, im späten Jahr 33 nach der ersten Auslieferung eines<br />
G-Modells, gibt es noch immer keine Spuren von Müdigkeit im Umfeld<br />
dieses Autos. Vor zehn, zwölf Jahren kamen zum wiederholten<br />
Male Gerüchte auf, mit dem G könnte es nun doch allmählich zu<br />
Ende gehen. Mercedes baute eine Flottille flotter Geländegänger<br />
auf der Basis der M-Klasse auf und der alte Kasten mit seinen<br />
Kanten wirkte immer störrischer und irgendwie auch sturer. Und<br />
doch gleichzeitig wie eine lieb gewordene Vitrine der Erbtante, die<br />
darin ihr Silber aufbewahrte. Jürgen Hubbert, in jener Zeit Chef der<br />
Personenwagensparte von Mercedes-Benz, sagte damals gerne,<br />
man werde die G-Klasse so lange bauen, wie sich Käufer dafür<br />
fänden. Daran hat sich bis in die Gegenwart nichts geändert. Insgesamt<br />
wurden bis jetzt etwa 220 000 Exemplare gefertigt, und<br />
die meisten davon sind noch «still going strong.»<br />
Zur aktuellen Modellfamilie Jahrgang <strong>2012</strong> gehören drei Versionen,<br />
denen eine gewisse Normalität anhaftet, und zwei Varianten,<br />
die für extraterrestrische Regionen geeignet sein könnten. Es gibt<br />
den G350 Bluetec und den G500, beide mit langem und den<br />
G500 auch als Cabrio mit zeltähnlichem Verdeck und kurzem<br />
Radstand. Über diesen Versionen und damit quasi in den wolkigen<br />
Abteilungen der Reichsten und Schönsten halten sich die<br />
Ableitungen des zu Mercedes gehörenden einstigen Tuning-Unternehmens<br />
AMG auf, deren Biturbomotoren mit acht oder zwölf<br />
Zylindern für Leistungen sorgen, die manchen Zeitgenossen nicht<br />
ganz zu Unrecht beinahe als apokalyptisch anmuten. Eine weitere<br />
Version ist für Profis jedweder Ausrichtung geplant: Der<br />
G300 Professional ist frei von den Glitzer- und Glamour-Elementen<br />
der AMG-Abkömmlinge; Quellwasser-Robustheit statt<br />
Prosecco-Lifestyle definiert diese Variante, und wer beim Betreten<br />
ihres schlichten Führerstandes aufmerksam schnuppert,<br />
wird mit dem Hauch von Männerschweiss konfrontiert. Und zwar<br />
auch in den flammneuen Exemplaren. Aber das mag eine Täuschung<br />
der überreizten Sinne sein.<br />
Die Geburtsentscheidung, den besten Geländewagen zu bauen,<br />
führte zunächst nur zu technischen Konsequenzen. Diese sollten<br />
so ausgelegt sein, dass der G nicht nur jenseits von Asphalt<br />
vorankam, sondern auch für geschmeidige Reisen komfortverwöhnter<br />
Passagiere zu taugen hatte. Fahr- und Federungskomfort<br />
sollten mit jenen in einem Limousinen-Mercedes vergleichbar<br />
sein. Mit hohem Aufwand wurden diese Ansprüche erfüllt, und<br />
Bewährte Methoden: Nach wie vor wird die G-Klasse<br />
im österreichischen Graz händisch zusammengeschweisst.<br />
Eine automatisierte Fertigung hat sie nie gesehen<br />
046 VECTURA #4
die Forderungen verwöhnter Kundschaft konzentrierten sich immer<br />
deutlicher auf Komfort und Leistung. Deshalb wurden die<br />
beiden Startbaureihen 460/461 zum Ende der achtziger Jahre in<br />
den Typ 463 überführt, der fortan mit permanentem Allradantrieb<br />
(zuschaltbarer 4x4-Antrieb wie bei 460/461 konnte nicht mit ABS<br />
arbeiten) für eine exklusive Kundschaft sorgte. Technisch hielt<br />
sich der G mit drei (!) sperrbaren Differentialen, mit seinem Leiterrahmen<br />
und mit seiner passiven Sicherheit ohnehin an der Spitze<br />
der Offroad-Bewegung.<br />
Zu unserer Verabredung kommt die aufrechte Legende im jüngsten<br />
Kleid nach der Renovierung. Schon der erste Blick zeigt: Der<br />
G hat nichts von seiner Urtümlichkeit und der Orientierung seiner<br />
Eigenschaften am grösstmöglichen Hindernis verloren. Auf den<br />
vorderen Radhäusern sitzen noch immer jene faustgrossen Blinker,<br />
mit denen man auch havarierten Seeleuten im Sturm den<br />
Weg weisen könnte. Und die Türgriffe wirken, als könne man das<br />
gesamte Auto daran aufhängen. Mit einem metallischen Knacken<br />
öffnen die Portale, und sie schliessen mit der Endgültigkeit<br />
der Tore eines Sanatoriums. Das Einsteigen ist eine kleine<br />
Bergtour, und wer dann Platz genommen hat, lebt und regiert in<br />
einem Hochsitz auf der Jagd nach den Reisezielen dieser Welt.<br />
Dafür gibt es jeden Komfort, der in einem Auto zu haben ist. Und<br />
trotzdem herrscht die Anmutung einer Einfachheit, die allerdings<br />
nicht auf die Sparsamkeit des Mangels zurückblickt, sondern mit<br />
steigenden Ansprüchen ihren Inhalt erweiterte, ohne die Funktionalität<br />
verloren zu haben. Daran rütteln auch die mit der jüngsten<br />
Überarbeitung eingezogenen Displays und Zierteile nichts. Alles<br />
bleibt besser im G und alles bewegt sich im G ein wenig schwerer:<br />
Die Drucktasten rufen nach kräftigen Daumen, das Volant<br />
prüft den Griff der Fäuste und alles wirkt wie für die Ewigkeit genäht,<br />
gestichelt, geschraubt, gefräst und gefügt. Solidität zum<br />
Anfassen. Materialgüte als optische Streicheleinheit. Verwöhn-<br />
Aroma für die Fingerkuppen. Ein Leder wie der geschmeidige<br />
Pfotenballen des tapferen Hundes. Die Sitzposition ist nicht viel<br />
Typenkunde: Baureihe 460 mit vier Karosserien,…<br />
…ein kurzer Stationwagon (463) Baujahr 2003…<br />
…und der revitalisierte 461er in der Edition-Version für extreme Einsätze<br />
herbst <strong>2012</strong> 047
1979 1982 1990<br />
Typologie: G-Klasse-Entwicklung von 1973 bis heute<br />
1973 Im April entsteht das erste Holzmodell des künftigen Mercedes-<br />
Geländewagens.<br />
1974 Der erste fahrbereite Prototyp wird erprobt.<br />
1975 Eine zweite Machbarkeitsstudie bestätigt die Erfolgsaussichten für einen<br />
Geländewagen von Mercedes-Benz. Beginn der Bauarbeiten für<br />
eine neue Produktionshalle in Graz.<br />
1979 Das G-Modell wird in Südfrankreich zum ersten Mal der Presse vorgestellt.<br />
Die Produktion der Baureihe 460 (kurz oder lang geschlossen,<br />
kurz mit Softtop) startet in Graz am 1. Februar 1979 mit den Modellen<br />
240 GD, 300 GD, 230 G und 280 GE und einer Leistungsspanne von<br />
72 bis 150 PS (53–112 kW). In Österreich, der Schweiz und den sozialistischen<br />
Ländern des Comecon heisst das Modell Puch G. Servolenkung<br />
und beide Differentialsperren sind optional erhältlich.<br />
1980 Ein geschlossener Kastenwagen mit kurzem oder langem Radstand<br />
erweitert das Angebot.<br />
1981 Erste Modellpflege: Optional erhältlich sind für den 280 GE und den<br />
300 GD Automatikgetriebe, Klimaanlage, Längssitzbänke für die Ladefläche,<br />
Zusatztanks, Tropendach, Scheinwerferschutzgitter, Seilwinde,<br />
ein Hardtop für das Cabrio und der mechanische Nebenabtrieb.<br />
Statt fünf stehen jetzt 22 Farbtöne zur Verfügung.<br />
1982 Der neue 230 GE mit Benzineinspritzung und 125 PS (92 kW) löst<br />
den 230 G mit Vergasermotor ab. Recaro-Sitze, Zusatzheizung,<br />
Breitreifen auf Leichtmetallfelgen und Kotflügelverbreiterung sind auf<br />
Wunsch lieferbar.<br />
1983 Den 230 GE gibt es wahlweise mit Viergang-Automatikgetriebe. Im<br />
Rahmen der zweiten Modellpflege werden vier neue Metallic-Farbtöne<br />
und ein Fünfganggetriebe angeboten – dazu Acht-Zoll-Tandem-<br />
Bremskraftverstärker und ein neues Klappverdeck für das Cabrio.<br />
Jacky Ickx und Claude Brasseur fahren bei der Rallye Paris–Dakar<br />
mit einem 280 GE als Erste durchs Ziel.<br />
1985 Dritte Modellpflege mit serienmässigen Differentialsperren, Zentralverriegelung<br />
und Drehzahlmesser. Das Cabrio erhält anstelle der einfachen<br />
Plane ein Klappverdeck.<br />
1986 Die Benzinermodelle 230 GE und 280 GE sind mit geregeltem Katalysator<br />
lieferbar. Im Juli fährt das 50 000. Exemplar der G-Klasse<br />
vom Band.<br />
1987 Vierte Modellpflege mit neuen Sonderausstattungen: elektrische<br />
Fensterheber, automatische Antenne und Doppelrollo für die Kofferraumabdeckung<br />
und ein grösserer Tank. Das Fahrgestell mit Fahrerhaus<br />
und 3,12 Meter Radstand kommt ins Programm. Der 250 GD mit<br />
84 PS (62 kW) löst den 240 GD ab. Planungsbeginn für die spätere<br />
Modellreihe 463.<br />
1988 Neuer Sechszylinder-Dieselmotor für den 300 GD. Fahrer- und Beifahrersitz<br />
werden mit Armlehnen ausgestattet.<br />
1989 Zum 10-jährigen Jubiläum erscheint das Sondermodell 230 GE Classic<br />
in limitierter Auflage von 300 Exemplaren. Präsentation der neuen<br />
Baureihe 463 mit permanentem Allradantrieb, Edelholz-Innenausstattung<br />
und auf Wunsch ABS im September auf der IAA in Frankfurt.<br />
1990 Markteinführung der Baureihe 463 (permanenter Allradantrieb, geändertes<br />
Armaturenbrett) im April mit den Modellen 230 GE, 300 GE,<br />
250 GD und 300 GD. Drei Karosserieversionen stehen zur Auswahl.<br />
Ende der Produktion des 280 GE und des 300 GD der Baureihe 460.<br />
1992 Produktion des G-Modells in Griechenland, das als CKD-Fahrzeug<br />
(Completely Knocked Down) in Einzelteilen an den Montageort geliefert<br />
wird. Markteinführung der Baureihe 461 für professionelle Anwender<br />
– eine überarbeitete Variante der bisherigen Baureihe 460. Die<br />
Modellpalette umfasst den 230 GE und den neuen 290 GD, der den<br />
bisherigen 250 GD ablöst. Erste Modellpflege des Typs 463: Tempomat,<br />
Reserveradabdeckung aus Edelstahl, seitliche Trittbretter, Gepäckraumabdeckung<br />
und Wurzelnussholz sind auf Wunsch lieferbar.<br />
Im April wird der neue 350 GD Turbodiesel mit 136 PS (101 kW) eingeführt.<br />
Im Juni entsteht der 100 000. Geländewagen der G-Klasse.<br />
1993 In der Modellreihe 461 kommt ein Fahrgestell mit Fahrerhaus und<br />
3,4 Meter Radstand ins Programm. Das Achtzylinder-Sondermodell<br />
500 GE wird präsentiert. Es bietet einen leistungsstarken V8-Motor<br />
mit 241 PS (177 kW) sowie eine besonders luxuriöse Ausstattung<br />
und ist auf 500 Exemplare begrenzt. Das «G» wandert nach vorn: Die<br />
G-Modelle heissen jetzt offiziell G-Klasse, und die Typenbezeichnungen<br />
lauten G 230, G 300, G 350 Turbodiesel etc.<br />
1994 Zweite Modellpflege der Modellreihe 463 mit innenbelüfteten Scheibenbremsen<br />
vorn und serienmässigem Fahrerairbag. Der 210 PS<br />
(155 kW) starke G 320 löst den bisherigen G 300 ab.<br />
1995 Alle Modelle der G-Klasse werden mit Zentralverriegelung per Fernbedienung<br />
und Wegfahrsperre ausgestattet.<br />
048 VECTURA #4
chronik<br />
2000 2007 <strong>2012</strong><br />
1996 Der G 300 Turbodiesel mit 177 PS (130 kW) und elektronisch gesteuertem<br />
Fünfgang-Automatikgetriebe wird vorgestellt. Er ersetzt den G<br />
350 Turbodiesel. Modellpflege und Aufwertung der 463er-Serienausstattung<br />
durch Scheinwerfer-Reinigungsanlage, Tempomat und Beifahrerairbag.<br />
1997 Das Cabrio der G-Klasse mit elektropneumatischem Verdeck wird<br />
präsentiert. Beim 463 löst der V6-Motor im G 320 den bisherigen Reihensechszylinder<br />
ab. Die elektronisch gesteuerte Fünfgang-Automatik<br />
ist im G 300 Turbodiesel und im 320 erhältlich. In der Baureihe 461<br />
ersetzt der 290 GD Turbodiesel mit 120 PS (88 kW) den 290 GD mit<br />
Saugdieselmotor.<br />
1998 Vierte Modellpflege: Neben dem G 320 und dem G 300 Turbodiesel<br />
wird als Spitzenmodell der neue G 500 mit 296 PS (218 kW)<br />
angeboten.<br />
1999 Im März wird zum 20. Geburtstag der G-Klasse das exklusive<br />
Sondermodell G 500 Classic vorgestellt. Die Stückzahl ist auf 400<br />
Fahrzeuge limitiert. Das Multifunktionslenkrad erweitert die Serienausstattung<br />
der G-Klasse. Der G 55 AMG wird präsentiert. Sein V8-<br />
Motor leistet 354 PS (260 kW). Der Mercedes-Benz G 500 Guard<br />
erscheint in drei verschiedenen Sonderschutzversionen.<br />
2000 Die neuen Modelle des Jahrgangs 2001 werden auf dem Pariser<br />
Automobilsalon vorgestellt – mit neuem Interieur für noch mehr<br />
Komfort. Der G 400 CDI mit neuem V8-Dieselmotor (250 PS/<br />
184 kW) ersetzt den G 300 Turbodiesel. Die V8-Modelle erhalten<br />
neue Leichtmetallfelgen, eine verchromte Kühlermaske und Stossfänger<br />
in Wagenfarbe. Produktionsende der Puch-Varianten.<br />
2001 Ab Herbst wird die G-Klasse mit neuen Fahrdynamiksystemen vorgestellt.<br />
Dazu zählen ESP, ein Brems-Assistent sowie elektronische<br />
Traktionskontrolle.<br />
2002 Der neue G 270 CDI mit 156 PS (115 kW) starkem Fünfzylinder-Dieselmotor<br />
erscheint. Produktionsende der 461er-Ausführung; sie wird<br />
fortan nur noch für das Militär gebaut. US-Verkaufsstart der G-Klasse<br />
unter der Bezeichnung «G Wagon».<br />
2003 Die G-Klasse erhält in die Aussenspiegel integrierte Blinker.<br />
2004 Weltpremiere des neuen G 55 AMG mit V8-Kompressormotor und<br />
476 PS (350 kW) auf dem Genfer Automobilsalon. Die G-Klasse feiert<br />
ihr 25-jähriges Jubiläum.<br />
2006 Der G 55 AMG leistet jetzt 500 PS (368 kW). Erstmals werden Bi-<br />
Xenon-Scheinwerfer, Nebelleuchten mit Abbiegelicht und neue,<br />
kratzfestere Nanolack-Farbtöne angeboten. Der G 320 CDI mit 224<br />
PS (165 kW) und serienmässigem Partikelfilter ersetzt die Dieselmodelle<br />
G 270 CDI und G 400 CDI. Gleichzeitig entfällt der G 320.<br />
2007 Die letzte Ausbaustufe des G 55 AMG leistet 507 PS (378 kW). Erneute<br />
Modellpflege: Kombiinstrument mit vier analogen Rundinstrumenten,<br />
eine modifizierte Mittelkonsole mit neuen Reglern und<br />
Schaltern und ein modernes Vierspeichen-Multifunktionslenkrad<br />
bilden ab diesem Modelljahr die Kommandozentrale. Das Bedienund<br />
Anzeigegerät Comand APS mit DVD-Navigationssystem, integriertem<br />
Radio, CD-Player und Telefontastatur ist serienmässig<br />
(optional im G 320 CDI). Neue Heckleuchten erstrahlen in moderner<br />
LED-Optik. Erweiterte Sonderausstattungen, unter anderem mit<br />
Rückfahrkamera, Reifendruckkontrolle oder einem Interieurpaket<br />
mit robuster Ledernachbildung.<br />
2008 Der G 500 erhält einen neuen 5,5-L-V8-Motor mit 388 PS (285 kW)<br />
und 530 Nm Drehmoment. Mit einer geänderten Kühlermaske im<br />
3-Lamellen-Design präsentiert sich die G-Klasse ab Herbst des Jahres.<br />
Zeitgleich kommt auch die neue Telematikgeneration mit schneller<br />
Festplattten-Navigation, Bluetooth-Schnittstelle für den Betrieb<br />
von Mobiltelefonen und Sprachbedienung zum Einsatz. <br />
2009 Neue Sitzanlage und überarbeitete Innenraumgestaltung. Die<br />
G-Klasse feiert ihren 30. Geburtstag: Zum Jubiläum präsentiert<br />
Mercedes-Benz die Sondermodelle EDITION30 – Basis ist der<br />
G 500 – und EDITION30.PUR; Letzterer entspricht technisch dem<br />
G 280 CDI in der frugalen Militär-Variante 461 und feiert nun sein<br />
ziviles Comeback.<br />
2010 Aus dem G 280 CDI wird Ende Jahr der G 300 Professional mit nun<br />
181 PS (135 kW).<br />
2011 Neuer V6-Dieselmotor im G 350 mit modernster Bluetec-Technologie<br />
und Harnstoff-Einspritzung für besonders niedriges Emissionsniveau;<br />
die Leistung beträgt 211 PS (155 kW).<br />
<strong>2012</strong> Präsentation der vorerst letzten Ausbaustufe im April auf der Auto<br />
China in Peking. Aussen mit LED-Tagfahrleuchten und anderen<br />
Aussenspiegeln, innen komplett neues Armaturenbrett. Dazu kommen<br />
ein überarbeitetes ESP mit Anhängerstabilisierung sowie<br />
neue Sicherheitsfeatures wie Totwinkel-Assistent, Einparkhilfe oder<br />
Abstands-Tempomat. Die neuen Topmodelle heissen G 63 AMG<br />
(Achtzylinder-Biturbo mit 536 PS/400 kW, ab 189 100 Franken) und<br />
G 65 AMG: Er bringt erstmals einen V-Zwölfzylinder in den G, der<br />
dort dank Biturbo satte 612 PS (450 kW) und 1000 Nm abgibt und<br />
mindestens 356 000 Franken kostet, was ihn zum aktuell teuersten<br />
Mercedes-Serien-Pw macht. Der Verkauf startet im Sommer.<br />
herbst <strong>2012</strong> 049
Guter Jahrgang: <strong>2012</strong>er G 350 Bluetec mit langem Radstand<br />
050 VECTURA #4
evolution<br />
niedriger als in einem Truck und der kabinenähnliche Aufbau ist<br />
ein Abteil zum mobilen Wohnen. Ein Planwagen mit festem Dach<br />
und steil stehenden Scheiben. In der Einsamkeit der Wüste führen<br />
mehrere G-Fahrer ihre Gefährte zur Wagenburg zusammen.<br />
Andere Geländewagen ignoriert der G-Fahrer gerne. Alles Untertanen.<br />
Das gilt auch für die Leistung. Anfänglich hatte Mercedes<br />
hier mit schmalbrüstigen Dieseln zu tief gestapelt; 94 PS waren<br />
das Existenzminimum, aber nicht ausreichend für geschmeidiges<br />
Fahren auf dem Weg ins Skigebiet geeignet. Doch dann kamen<br />
schnurrige V8 und dickere Diesel mit absolut fettem Drehmoment<br />
und (relativ) magerem Durst. Und jetzt brodeln unter der kantigen<br />
Haube reinrassige Hochleistungs-Sportmotoren. Vielleicht kann<br />
man sie lieben, wenn man ein reicher Russe ist, sein Vermögen<br />
mit Wodka gemacht hat und hinter kugelsicheren Scheiben leben<br />
muss. Für den Genuss des G genügt ein sanfter Diesel wie der<br />
im 350 Bluetec. Dessen V-Sechszylinder hat ein Drehmoment<br />
wie eine Winternacht am Fusse des Matterhorns, und wer auf<br />
ihn hört, der kann die alten Stories von Niemals-Aufgeben und<br />
Immer-Durchkommen für die Kinder und Kindeskinder bewahren<br />
– so wie den ganzen G.<br />
G-Force: Die neuen AMG-Versionen haben bis zu 612 PS<br />
herbst <strong>2012</strong> 051
Am Sande<br />
meines Herzens<br />
Zum 33-Jahre-Jubiläum verneigen wir uns vor der Mercedes<br />
G-Klasse, die aus Graz kommt und erst einmal in der<br />
Wüste berühmt wurde – lange vor der Flaniermeilen-Show in<br />
Beverly Hills, Dubai und Moskau<br />
Text Herbert Völker · Fotos Werk, Reinhard Klein<br />
Die Mercedes G-Klasse (für uns damals Puch G) und die<br />
Rallye Paris–Dakar sind gleich alt, 33. Die Dakar begann<br />
in unschuldiger Liebe zu allen hell- und dunkelhäutigen<br />
Stämmen auf ihren Routen. Der G verdankte sein schmuckloses<br />
Äusseres den Militärs, im Vorfeld hatte der Schah von Persien<br />
eine wichtige Rolle gespielt; er hielt seinerzeit 18 Prozent Anteile<br />
an Mercedes. Man vergisst solche Dinge, Daimler hatte ja im Lauf<br />
der Jahrzehnte nicht nur Chrysler am Hals.<br />
Bei der ersten und zweiten Dakar durfte übrigens auch ein bemerkenswert<br />
hässliches Auto mitfahren, das vielleicht nicht zufällig<br />
Iltis hiess. Sein Hersteller ritterte ebenfalls um internationale<br />
Militäraufträge, dann aber geriet der Dakar-Sieg von 1980 zur Geburtsstunde<br />
der smarten Variante einer Konzerntochter. Sie hat<br />
praktischerweise ihren alten Namen behalten, Audi. Wem das zu<br />
verschwurbelt klingt: Der heutige Schlachtenlenker, Piëch, liess<br />
als damaliger Cheftechniker die Dakar-siegreiche Allradtechnik<br />
des Iltis zum Quattro-Prinzip veredeln und begründete damit die<br />
progressive Linie von Audi.<br />
Beides war gleich aufregend: der junge G und die frisch erfundene<br />
Wüstenrallye. Ich redete den Steyr-Daimler-Puch-Leuten<br />
ein Loch in den Bauch, um ein Werksauto für die Dakar 1982<br />
zu bekommen, zwar als Journalist und nicht in Wertung, sonst<br />
aber voll integriert und auf Höhe des Wettbewerbs, denn anders<br />
hätte sich ja die tägliche Marschtabelle nicht einhalten lassen.<br />
Mein Partner war der wunderbare Fotograf Reinhard Klein<br />
(www.mcklein.de). Die wichtigsten Umbauten am G betrafen den<br />
Zusatztank (170 Liter, also 260 insgesamt), die armdicken Rohre<br />
des Überrollkäfigs und Verstärkungen an Vorderachse und<br />
Motoraufhängung. Der 2,8-Liter-Benziner bekam eine etwas<br />
geheimnisvolle Mercedes-Nockenwelle – «mehr Schmalz von<br />
unten», wie sie in Stuttgart sagen.<br />
Von Terror und Entführungen in Nordafrika war damals noch<br />
nicht einmal ansatzweise die Rede. Was uns aber nachts bibbern<br />
liess, zusätzlich zur Kälte am Boden, war die Angst vor<br />
dem Verlorengehen und Nie-mehr-gefunden-werden. GPS<br />
existierte nur als Gerücht beim amerikanischen Militär; für jeden<br />
Check am Kompass mussten wir noch aussteigen und<br />
zehn Schritte vom Auto weggehen. Die Anleitungen zur Strecke<br />
(Road Book) lasen sich in der Übersetzung beispielsweise<br />
so: «Bevor du die äusseren Hütten von Silet erreichst, gehst du<br />
auf Kurs 280, kommst in weiches Gelände, lavierst dich durch<br />
zwei Dünen durch, am Kamm siehst du auf 180 drei schwarze<br />
Berge, du wirst sie aus den Augen verlieren, später musst du<br />
zwischen erstem und zweitem Berg durch, vorerst aber bleibst<br />
du auf westlichem Kurs.»<br />
Tatsächlich war 1982 ein Schlüsseljahr, was Verirren und Vermisstsein<br />
betraf. Mark Thatcher, Sohn der britischen Premierministerin,<br />
ritt mit seinem Peugeot 504 ins Nirwana. Das waren<br />
Headline-News für eine ganze Woche, sogar die französische<br />
Luftwaffe wurde aufgescheucht. Am Ende entdeckte eine algerische<br />
Hercules den jungen Herrn im Grenzgebiet zu Mali, etwas<br />
trocken in der Kehle, aber sonst okay. Das Riesentheater führte<br />
dazu, dass ab 1983 alle Teilnehmer Funksonden für den Notfall<br />
bekamen. Wer das Ding aktivierte, sollte spätestens am dritten<br />
052 VECTURA #4
RUBRIKEN<br />
Rückspiegel<br />
Tag geborgen werden. Grundsätzlich brauchte man vor der GPS-<br />
Zeit (ab 1986) schon einiges Glück, um jeden Abend ins neue<br />
Lager zu finden.<br />
Zu unseren Teamkollegen, wenn man so sagen darf, gehörte<br />
auch Grand-Prix-Star Jacky Ickx mit seinem Beifahrer, dem französischen<br />
Schauspieler Claude Brasseur (Filmvater von Sophie<br />
Marceau in «La Boum», aber noch besser in seinen Cop-Rollen,<br />
dann auch als Mussolini, wofür er den idealen Schädel hatte).<br />
Ickx/Brasseur fuhren einen von Mercedes präparierten 280 G<br />
und wurden Fünfte. Auch wir, in unserer wohl angebrachten Demut,<br />
hatten unser Bestes gegeben, hatten Dakar erreicht und der<br />
Welt davon berichtet. Grösstes Missgeschick war die Plünderung<br />
des Autos auf dem Schiffstransport retour. Im Grazer Puch-Werk<br />
machten sie einen 10 000-Kilometer-Service und überliessen uns<br />
dasselbe Auto auch für die folgende Dakar, also 1983.<br />
Thierry Sabine, der legendäre Begründer der Rallye, war erst 33,<br />
als er am Morgen des sechsten Tages zum Halbkreis der 500<br />
Kumpels sagte: «Am Abend werdet ihr mich hassen.» Es ging<br />
um die Durchquerung des Ténéré, eine 600-km-Etappe im grimmigsten<br />
Stück der Sahara, damals aberwitzig, heute völlig undenkbar.<br />
Wie wir’s geschafft haben (und 150 andere auch), ich<br />
kann’s nicht mehr sagen.<br />
Strahlende Sieger dieser Rallye waren Ickx/Brasseur auf Mercedes<br />
G. Es war der Höhepunkt im ersten Leben der eckigen<br />
Kiste aus Graz, noch ohne jede Elektronik in den Kraftschlüssen.<br />
Dass auch zwei patscherte Journalisten schon zum zweiten Mal<br />
im Renntempo nach Dakar gefunden hatten, stiess bei Mercedes<br />
und Puch ebenfalls auf Wohlwollen, und wir wurden geradezu<br />
eingeladen, es noch ein drittes (und dann viertes) Mal zu versuchen.<br />
Zur Abwechslung wollten sie uns auf einem Vierzylinder<br />
sehen, also 230 GE, was vom Marketing her interessanter war<br />
als beim Schwungholen in den Dünen. Der Sechszylinder war<br />
ja doch das ideale Format für den G (bevor die modernen Diesel<br />
kamen, von Achtzylinder und V12-Overkill nicht zu reden, das gehört<br />
ins vierte, also aktuelle Leben des G).<br />
1984 erlebten wir die ausuferndste aller Dakar-Strecken, mit weitem<br />
Bogen nach Süden, durch die Elfenbeinküste, Sierra Leone<br />
und Guinea. Wir brachten den G auch 1985 ins Ziel, hatten aber,<br />
speziell im Ténéré, das Gefühl, unser Konto bei allen Schutzengeln<br />
der beschleunigten Wüstentrips langsam zu überziehen. Die<br />
Dakar zeigte auch schon klare Ansätze, jenes Monster zu werden,<br />
das irgendwann nicht mehr in die afrikanische Dimension<br />
passen würde. Immer öfter wurden die Biwaks neben Landestrips<br />
eingerichtet, und nachts ging es zu wie in Heathrow.<br />
Der G war für Spitzenteams kein Sieganwärter mehr, nicht gegen<br />
hochbeinige Allrad-Porsches und Leichtbau-Pajeros. Da war<br />
aber der Ruf des Modells schon solide gefestigt, in der ganzen<br />
Welt der Hardcore-4x4-Fans, fernab jeder Mode. Wenn uns allerdings<br />
jemand gesagt hätte, dass dieses eckige Trumm ein<br />
Vierteljahrhundert später die hippste Erscheinung in Beverly Hills<br />
sein würde, hätte ich von Schlafsack zu Schlafsack gemurmelt:<br />
«Reinhard, die Wüste macht uns ja doch fertig. Versuch ein bissl<br />
zu schlafen.»<br />
herbst <strong>2012</strong><br />
053
Vier gewinnt<br />
Mercedes nennt sie den «Gipfel des permanenten Allradantriebs».<br />
Doch wie patent ist die markeneigene 4matic wirklich?<br />
Text Hubertus Hoslin · Fotos Werk<br />
4matic – so heisst der permanente, elektronisch geregelte<br />
Allradantrieb von Mercedes, und in der Bezeichnung ist<br />
bereits alles enthalten, worum es geht: Vierradantrieb und<br />
automatisch. Dabei geht es nicht nur um Gelände-, sondern vor<br />
allem um Personenwagen, denen dieses Antriebskonzept bei nassen<br />
oder winterlichen Strassenverhältnissen zu mehr Traktion und<br />
Stabilität verhelfen soll. Weil die 4matic vollkommen selbstständig<br />
agiert und der Fahrer nichts beachten muss, bietet das System<br />
auch einzigartigen Komfort sowie bestmögliche Sicherheit. Und<br />
sorgt dafür, dass der Fahrspass nicht auf der Strecke bleibt.<br />
49 Mercedes-Modelle aus zehn Baureihen, darunter auch der<br />
flammneue CLS Shooting Brake, sind inzwischen mit diesem<br />
intelligenten 4x4-Antrieb erhältlich. Doch 4matic ist nicht gleich<br />
4matic: Je nach Anforderungsprofil kommen massgeschneiderte<br />
Systeme zum Einsatz. Die M-Klasse bietet beispielsweise eine<br />
4matic, die neben dem souveränen wie sicheren Antrieb auf der<br />
Strasse auch hochkarätige Offroad-Technik umfasst. Hier ergänzen<br />
sinnvolle, teils optionale Zusatzsysteme die 4matic, um<br />
deren volles Potential auch auf losem Untergrund ausschöpfen<br />
zu können. So stehen nebe n dem Automatikprogramm auch<br />
zwei spezielle Offroad- sowie die drei Strassen-Modi «Winter»,<br />
«Sport» und «Anhängerbetrieb» zur Verfügung. In der E-Klasse ist<br />
wiederum eine 4matic-Version verbaut, die optimales Leistungsvermögen<br />
auf Asphalt garantiert. Bei der Abstimmung standen<br />
Fahrstabilität und aktive Sicherheit klar im Vordergrund.<br />
Doch wie genau funktioniert die 4matic? Sie kann Radschlupf<br />
mit Hilfe moderner Mikroelektronik und Hydraulik erfassen und<br />
begrenzen, um die Längsdynamik und damit die Spurstabilität<br />
eines Autos zu verbessern. Das System besteht im Wesentlichen<br />
aus einem Verteilergetriebe, welches in die Automatik integriert<br />
ist und die Antriebskraft situativ auf Vorder- und Hinterachse verteilt.<br />
Dank einer Sperre des Zentraldifferentials können bis zu 100<br />
Auch mit 4matic erhältlich: Mercedes CLS Shooting Brake<br />
054 VECTURA #4
technik<br />
Prozent der Antriebskraft zu einer Achse geleitet werden. Das<br />
geschieht permanent, sodass die Technik immer einsatzbereit<br />
ist – ohne die bei anderen Allradsystemen übliche Reaktionszeit.<br />
Diese Grundkonzeption ermöglicht hohe Traktionswerte, weil die<br />
beim Beschleunigen auftretende dynamische Achslastverschiebung<br />
Richtung Hinterachse genutzt wird, um dort mehr Antriebsmoment<br />
abzusetzen. Die Lamellensperre kann das Antriebsmoment<br />
aber auch variabel von 30 zu 70 beziehungsweise 70 zu 30<br />
Prozent zwischen Vorder- und Hinterachse verschieben, falls die<br />
Strassenverhältnisse das erfordern. So kann der Eingriff der elektronischen<br />
Hilfssysteme ESP, Traktionskontrolle oder Schlupfregelung<br />
möglichst spät erfolgen, ein Grossteil des Antriebsmoments<br />
wird auch auf glatten Strassen in Vortrieb umgesetzt.<br />
Alle Regeleingriffe erfolgen fast unmerklich. Trotzdem erfährt der<br />
Fahrer sofort, wenn er sich dem Grenzbereich nähert. In diesem<br />
Fall blinkt im Kombi-Instrument ein gelbes Warnsymbol. Dies ist<br />
das eindeutige Signal, die Fahrweise den Strassenverhältnissen<br />
anzupassen. Bei den jeweils umfangreichen Abstimmungsarbeiten<br />
stand die nochmalige Erhöhung der Längstraktion bei gleichzeitig<br />
verbesserter Querdynamik und Fahrsicherheit im Fokus.<br />
Diese Vorgaben konnten die Entwicklungsingenieure mit spezifischen<br />
Steuerungsmechanismen im Antriebsstrang realisieren.<br />
Die Allradgeschichte von Mercedes geht im Grunde genommen auf<br />
das Jahr 1903 zurück: Damals begann Paul Daimler mit der Entwicklung<br />
zum «Dernburg-Wagen», einem Pw mit Allradantrieb und<br />
-lenkung. Seither hat der Hersteller weitere 4x4-Lösungen präsentiert<br />
– unter anderem mit sechs Rädern (Mercedes G1, Typencode<br />
W103, gebaut von 1926 bis 1928), verbesserter Vierradsteuerung<br />
(G5, W152, 1937–ʼ41) oder klassischem, weil mechanisch mit drei<br />
Sperren operierendem Allradantrieb (G-Modell). Die erste 4matic-<br />
Generation kam 1987 in der damaligen E-Klasse (W124) auf den<br />
Markt; der Vorderradantrieb wurde hier noch bedarfsweise automatisch<br />
zuschaltet. Die technischen Voraussetzungen hatte 1978<br />
das Antiblockiersystem (ABS) gelegt. 1997 folgte eine permanente<br />
4matic-Variante, die wiederum erstmals in der E-Klasse angeboten<br />
wurde. 2003 hatte man die 4matic auch dank leistungsfähiger<br />
Elektronik in Bezug auf Komfort und Fahrdynamik derart perfektioniert,<br />
dass sie nun im Topmodell S-Klasse zum Einsatz kommen<br />
durfte. Heute bildet das System einen wesentlichen Baustein der<br />
Markenstrategie, die sowohl sichersten als auch zuverlässigsten<br />
Autos der Welt zu bauen.<br />
Der permanente Allradantrieb hilft aber nicht nur bei Schnee. Bei<br />
Nässe verbessert er die Fahrbahnhaftung und vermindert das<br />
Aquaplaning-Risiko. Auch wer häufig auf der Autobahn unterwegs<br />
ist, kann von der Vierradtechnik profitieren, weil sie die Seitenwindempfindlichkeit<br />
des Wagens verringert. Diesen Vorteilen stehen<br />
ausser dem Mehrgewicht fast keine Nachteile gegenüber. Moderne<br />
4matic-Modelle sind so komfortabel und leistungsstark wie ihre<br />
heckgetriebenen Serienbrüder, haben das gleiche Kofferraumvolumen<br />
und die gleiche Ausstattung. Und weil die 4matic in den<br />
vergangenen Jahren effizienter wurde, sank auch der Kraftstoffverbrauch.<br />
Er liegt circa einen halben Liter über den Werten vergleichbarer<br />
Modelle mit konventioneller Antriebstechnik. Beispiel<br />
E 250 CDI 4matic Blueefficiency: Bei diesem Fahrzeug hat man<br />
die 4matic erstmals mit einem Vierzylinder-Diesel kombiniert; ein<br />
Durchschnittsverbrauch von 5,6 L spricht für sich. Insgesamt darf<br />
also ohne Übertreibung gesagt werden, dass es sich bei der 4matic<br />
um eines der aktuell besten verfügbaren Allradsysteme handelt.<br />
Grundsätzlich gilt in der kalten Jahreszeit: Auch eine 4matic kann<br />
nur so gut arbeiten, wie es die Verbindung zwischen Fahrzeug<br />
und Untergrund erlaubt. Darum bitte nicht vergessen: Geeignete,<br />
ausreichend frische Winterreifen sind immer unabdingbare Voraussetzung.<br />
herbst <strong>2012</strong> 055
Alén voran<br />
Für die Feinabstimmung des innovativen Allradantriebs im Ferrari FF<br />
verpflichteten die Italiener keinen Geringeren als den<br />
mehrfachen Rallye-Champion Markku Alén. Wir besuchen ihn<br />
im hohen Norden – und setzen uns selbst hinters Steuer<br />
Text Roland Löwisch · Fotos Lorenzo Marcinnò, rl, Collection Fanna<br />
Normalerweise fliegt ein Auto auseinander, wenn es so<br />
knallt. Doch der Mann neben mir hat es so gelandet,<br />
dass gleichmässig alle vier Stossdämpfer belastet werden.<br />
Und grinst sich einen. «Ist wie bei Rallye», rollt Markku Alén<br />
mit diesem unnachahmlichen Finnen-Rrrrr und erhobener Stimme<br />
durch den Zwölfzylinder-Sound, «du kannst hier einfach auf<br />
dem Gas stehen bleiben.»<br />
Na klasse Da braucht man schon Vertrauen als Beifahrer. Der<br />
Sprung kam nach einer hügeligen Geraden, auf der Alén erst<br />
mal voll beschleunigt hatte. Das rund 1,8 Tonnen schwere Italo-<br />
Geschoss namens Ferrari FF hob auf der letzten Kuppe kurz<br />
ab und schlug etwa zehn Meter weiter hart auf. Und das alles<br />
auf purem Eis: Der Schnee hier ist schon längst so gefroren wie<br />
platt gefahren.<br />
Es ist die dritte Runde auf dieser etwa zehn Kilometer langen<br />
Teststrecke im schwedischen Arjeplog, wo die Temperaturen<br />
schon im September unter den Gefrierpunkt fallen. Und die Bäume<br />
gefühlt viel zu nah am Strassenrand stehen. Alén, 1978 letzter<br />
Rallye-Champion vor Einführung der Fahrerweltmeisterschaft<br />
und langjähriger Werkspilot der Fiat-Gruppe, ist inzwischen 61<br />
Jahre alt und noch so gut drauf wie eh und je. Also durfte er<br />
auch die Fahrwerks- und Elektronikkomponenten des Ferrari FF<br />
mitentwickeln, dank alter Bande zum Ferrari-Verwaltungsratsvorsitzenden<br />
Luca di Montezemolo. Ja, der Wettbewerb würde ihm<br />
schon ein bisschen fehlen, sagt der Finne, während er über den<br />
wirklich schmalen und glatten Eiskurs driftet, aber er sei ja noch<br />
mit der Autobranche verbandelt und überhaupt …<br />
Mit «überhaupt» kann er nur meinen, dass der Tacho momentan<br />
gerade 155 km/h zeigt und er selbst überhaupt keine Ermüdungserscheinungen.<br />
Schlafwandlerisch sicher zirkelt unser<br />
allradgetriebener «Ferrari Four» (so die Bedeutung von «FF») um<br />
die Kurven, selbstverständlich so quer wie möglich. «Glaubt man<br />
nicht, dass ein Ferrari das kann, oder?», fragt Alén schelmisch<br />
zwischendurch – und damit hat er völlig recht. Dass ein 660 PS<br />
starker 6,3-Liter-V12 in Frontmittelmotorbauweise mit abgeschalteten<br />
Fahrstabilisierungsprogrammen, vier Sitzplätzen und einem<br />
Kofferraum, der bei umgeklappten Rücksitzlehnen 800 Liter<br />
Fassungsvermögen bietet – dass so ein perfekter Langstrecken-<br />
Super-GT mit seiner Topspeed von 335 km/h wie ein Rallyeauto<br />
durch schwedische Winterwälder fliegt, ist eine Errungenschaft<br />
der jüngsten Moderne.<br />
056 VECTURA #4
MOTORMENSCHEN<br />
Das Geheimnis liegt hauptsächlich in dem neuartigen Allradantrieb<br />
– noch nie zuvor befand sich im seit Bestehen bislang immer<br />
heckgetriebenen Ferrari-Portfolio ein Serienfahrzeug mit Power<br />
an allen vier Rädern. Das selbst entwickelte Vierradsystem nennt<br />
Ferrari kurz «4RM», was für «quattro ruote motrici» steht. Es verteilt<br />
das Drehmoment des Motors auf alle vier Räder des Sportlers.<br />
Die grössten Vorteile: Das neuartige System ermöglicht die<br />
Beibehaltung eines klassischen Frontmittelmotors samt Transaxle-Aufbau<br />
(Getriebe und Differential an der Hinterachse) mit nur<br />
einer Antriebswelle zum Motor – und damit weniger Gewicht.<br />
Dass der komplette 4x4-Antrieb des FF etwa 50 Prozent leichter<br />
ist als herkömmliche Systeme der Konkurrenz, liegt hauptsächlich<br />
an der nur 170 Millimeter kurzen, rund 45 Kilo leichten<br />
und «Power Transfer Unit» (PTU) genannten Schaltzentrale des<br />
4RM-Systems. Sie ist direkt mit dem Triebwerk verbunden und<br />
liegt über der Vorderachse. Von hier aus steuert sie die Differenz<br />
zwischen Drehzahl und Radgeschwindigkeit aller vier Räder,<br />
reguliert ausserdem das jeweils benötigte Drehmoment an der<br />
Vorderachse und sorgt dort auch für die richtige Verteilung zwischen<br />
linkem und rechtem Rad. Die Kraft nimmt sie direkt von<br />
der Kurbelwelle, indem zwei voneinander unabhängige Mehrfachkupplungsscheibenpakete<br />
aus Kohlefaser ihre Drehmomente<br />
über Achswellen an die Vorderräder leiten. Das heisst: keine<br />
mechanische Verbindung zwischen Vorder- und Hinterachse und<br />
zwei voneinander unabhängige Traktionssysteme.<br />
und Kupplungssteuerungen sind ebenso wie die Elektronik für<br />
das serienmässige Siebengang-Doppelkupplungsgetriebe im<br />
PTU integriert, was extrem schnelle Schaltzeiten ermöglicht. In<br />
den Gängen fünf bis sieben bleibt vorne der Antrieb grundsätzlich<br />
kalt, weil Ferrari davon ausgeht, dass normale Fahrer ihre<br />
Pferde dann im Trockenen galoppieren lassen, deshalb schnell<br />
unterwegs sind und keine Unterstützung an der Vorderachse benötigen.<br />
Um die Feinabstimmung des PTU kümmert sich Alén<br />
auch heute noch – auch wenn das Auto bereits für exakt 315 535<br />
Franken zu haben ist.<br />
Endlich Fahrerwechsel Die fiesesten Punkte der Teststrecke<br />
habe ich fest im Hirn verankert, während wir uns vorsichtig an<br />
meinen ersten Drift herantasten. Auch dabei unterstützt die<br />
So ausgestattet ist der FF in der Lage, situativ mit reinem Hinterradantrieb<br />
und damit ganz Ferrari-typisch unterwegs zu sein,<br />
falls vorne keine zusätzliche Traktion gebraucht wird. Die Mehrfachscheibenkupplungen<br />
übernehmen auch die Aufgaben von<br />
zentralem und vorderem Differential: Hydraulische Schaltungs-<br />
herbst <strong>2012</strong> 057
Alén im Lancia Stratos bei der RAC-Rallye 1978<br />
alén machte das Rallyefahren 1974 zu seinem<br />
Beruf und gehörte schnell zu den Allerschnellsten<br />
der Branche; 1978 dominierte er die Saison<br />
Korsika-Einsatz 1982 auf dem Lancia Rally 037<br />
058 VECTURA #4
MOTORMENSCHEN<br />
Elektronik per Manettino, wie sich der Lenkraddrehschalter für<br />
Traktionskontrolle, Differential, Allradantrieb, Stabilitätskontrolle,<br />
Getriebe und Dämpfungskontrolle nennt. Die «Ice-Einstellung<br />
dort bietet maximale Sicherheit bei minimalem Fahrspass – alle<br />
Systeme sind jetzt vollaktiv und nehmen dem Fahrer fast das<br />
Denken ab. Bei «Wet», also im Nässe-Modus, sind immerhin<br />
kleinere Drifts möglich, weil jetzt alle Parameter etwas mehr<br />
Spielraum zulassen. Die «Comfort»-Stellung lässt das Auto<br />
noch mehr schwänzeln, nur Getriebe- und Dämpfereinstellung<br />
bleiben identisch. Die «Sport»-Einstellung ist auf der Rennstrecke<br />
optimal; nun schützen nur noch leichte Elektronik-Reserven<br />
vor dem Abflug. Die Grundeinstellung für finnische Rennfahrer<br />
– «ESC aus» – sollten tatsächlich nur Profis ausprobieren, sonst<br />
gibt es Physikunterricht der rotierenden Art. Alle Traktionsund<br />
Stabilitätssysteme sind dann abgeschaltet; nur mit dem<br />
Dämpfer-Knopf kann noch gespielt werden: Dessen Benutzung<br />
macht das Fahrwerk etwas weicher (ebenso im Sport-Modus)<br />
– ein Vorteil zum Beispiel beim Kurvendriften auf Schnee. Besonders<br />
stolz ist Ferrari darauf, alle Komponenten der Elektronik<br />
auch selbst entwickelt zu haben: Im 599 GTB stammt die<br />
«Vehicle-Dynamic»-Elektronik noch zu drei Fünftel von Bosch,<br />
im California immerhin noch zu zwei Fünftel.<br />
Damit sich die PTU-Elektronik auf den Zustand der Fahrbahnoberfläche<br />
optimal einstellen kann, soll man nach dem Motorstart<br />
die ersten 300 Meter gesittet fahren – was mir schwerfällt. Aber<br />
dann ist das freie Spiel mit Gaspedal und Manettino erlaubt. Hat<br />
nicht schon der erste Gasstoss mit seinem hellen Bellen die Sinne<br />
geschärft, ist es spätestens der Vortrieb. Ab 1000 Umdrehungen<br />
liegen bereits 500 Newtonmeter an, die von der Elektronik<br />
und dem Allradantrieb wunderbar auf den rutschigen Untergrund<br />
übertragen werden – und das auf ganz normalen Winterreifen.<br />
Die Einstellungen «Ice» und «Wet» fordern einen halbwegs geübten<br />
Fahrer so gut wie gar nicht, weshalb ich deren Einsatz auf<br />
ein paar Kurven reduziere. Spassig wird es ab «Comfort» – der<br />
Drift ist einfach und relativ gefahrlos. Trotzdem kann das Heck<br />
den Schneewällen hier schon bedenklich nahe kommen. Berührungen<br />
sind zu verhindern, wenn man entweder von vornherein<br />
langsamer fährt oder zur richtigen Zeit Vollgas gibt, damit sich<br />
der FF selbst aus der brenzligen Situation ziehen kann – eine sehr<br />
ungewöhnliche Massnahme für einen Ferrari.<br />
Natürlich lässt sich der FF auch langsam fahren und auf Serienwinterreifen<br />
sogar stilvoll und sicher am vereisten Berg in Bewegung<br />
setzen. Diese Übung stellt unter Beweis, dass der FF<br />
selbst im alpinen Winter alltagstauglich ist. Einem Markku Alén<br />
bereitet das natürlich nur bedingt Vergnügen. Als Champion in<br />
der fragwürdigen Disziplin, drei verschiedene Rallye-Autos innerhalb<br />
von 58 Sekunden nach dem Start hintereinander aufs Dach<br />
gelegt zu haben («...das lag an den Autos...»), will er am liebsten<br />
zurück auf seine Sonderprüfung am Sprunghügel. Soll er auch,<br />
denn er ist hoch motiviert, den Ferrari FF noch etwas feiner zu<br />
kalibrieren. Von seinem persönlichen Geschmack der Elektronik-<br />
Abstimmung sollen schliesslich alle FF-Kunden profitieren.<br />
Wahrscheinlich will er aber auch noch ein bisschen den Sprunghügel<br />
geniessen. Könnte ja sein, dass Fiat ihn wegen seiner guten<br />
Arbeit beauftragt, künftig auch Zweizylinder-Puntos abzustimmen.<br />
Mit denen kann Alén zweifellos auch driften, aber die<br />
Sprünge wären vermutlich nicht so heftig…<br />
Der Finne 1987 als Lancia-Werksfahrer<br />
Markku Allan Alén wurde 1951 in Helsinki geboren. 1969 bestritt<br />
er seine ersten Rennen am Steuer eines Renault 8 Gordini<br />
und gewann gleich die finnische Meisterschaft seiner Klasse;<br />
weitere Einsätze mit Volvo, Fiat, Lancia, Subaru, Toyota und<br />
Ford sollten folgen. Alén machte das Rallyefahren 1974 zum<br />
Beruf und gehörte schnell zu den Allerbesten; 1978 dominierte<br />
er die Saison. Sein Pech: Die FIA-Rallye-Markenweltmeisterschaft<br />
(WRC) gab es zwar schon seit 1973, eine Fahrer-WM<br />
aber erst ab 1979. Somit ist Alén nach Sandro Munari der letzte<br />
der inoffiziellen Champions gewesen. Seinen fünf Siegen bei<br />
der Rallye Finnland 1978, ’79, ’80, ’87 und ’88 tat das aber keinen<br />
Abbruch; ebenso gewann er in England, Schweden und<br />
Griechenland. Mit 20 Gesamtsiegen liegt er in der Top Ten aller<br />
Rallyefahrer derzeit auf Platz 7 (gemeinsam mit Didier Auriol).<br />
1995 wechselte Alén auf Asphalt und ging mit Alfa Romeo bei<br />
der britischen ITCC (International Touring Car Championship)<br />
an den Start; parallel trat er in der DTM an. Mit der Trophée<br />
Andros kehrte er 1996 auf losen Untergrund zurück; auch die<br />
Rallye Dakar ist er gleich mehrfach gefahren. 2004 wurde Alén<br />
Zweiter der finnischen Rallycross-Meisterschaft; sein letzter<br />
Rallye-WM-Einsatz hatte 2001 auf einem Ford Focus in England<br />
stattgefunden. Anton Alén (29) ist 2005 in die Fussstapfen<br />
seines Vaters getreten, ebenfalls Rennfahrer geworden und<br />
bisher auf Mitsubishi, Subaru und Abarth gestartet. map/ac<br />
herbst <strong>2012</strong> 059
Die Airline, die sich über Verspätungen<br />
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SEINE SCHLANKE<br />
LordSCHAFT<br />
Leichter, sparsamer, noch luxuriöser – so kommt die vierte<br />
Range-Rover-Generation daher. Mit dieser Rezeptur will<br />
sie den Titel «vornehmster Geländewagen der Welt» verteidigen.<br />
Zum Europa-Start Anfang 2013 stehen drei Motoren zur Wahl<br />
Text Boris Schmidt · Fotos Werk<br />
062 VECTURA #4
MODELLWECHSEL<br />
herbst <strong>2012</strong> 063
064 VECTURA #4
MODELLWECHSEL<br />
herbst <strong>2012</strong> 065
Geländewagen sind gefragt: In einem insgesamt schwachen<br />
europäischen Automobilmarkt erzielt das Allradsegment immer<br />
noch Zuwächse. Auch in der Schweiz sind viele Käufer nahezu<br />
verrückt nach den grossen Offroadern, die heute gern als SUV<br />
(Sport Utility Vehicle) tituliert werden. Befeuert wird der Boom<br />
auch durch eine immer grössere Vielzahl an Modellen: Marken,<br />
die etwas auf sich halten, führen gleich mehrere SUV im Portfolio.<br />
Geländewagen im wahren Wortsinne sind die meisten allerdings<br />
nicht mehr: Ihnen fehlt fast immer ein Untersetzungsgetriebe für<br />
den Einsatz im wirklich Groben; manche Modelle haben noch<br />
nicht einmal Allradantrieb.<br />
Bei Land Rover in Solihull freut man sich besonders über<br />
den Boom, ist man doch neben Jeep die einzige relevante Automarke<br />
der Welt, die ausschliesslich auf SUV oder Geländewagen<br />
setzt. Nachdem schon so mancher Autoexperte den Briten eine<br />
unsichere Zukunft prophezeite, als Ford die Marke 2008 gemeinsam<br />
mit Jaguar an den indischen Tata-Konzern verkaufte,<br />
geht es Land Rover heute besser denn je. Gewiss profitiert das<br />
Haus auch vom allgemeinen SUV-Trend, man hat aber auch die<br />
richtige Mischung im Angebot: kultige Geländewagen-Tradition<br />
(Defender), den praktischen Alleskönner (Discovery), das attraktive<br />
Einsteigermodell (der just optisch und technisch überarbeitete<br />
Freelander) und – last but not least – ein Trio für die besonderen<br />
Momente des Allradlebens: Range Rover, Range Rover Sport<br />
und Range Rover Evoque. Der kleine und ebenso stylische Evoque,<br />
der 2011 debütierte und die Linie der Luxus-Landys gekonnt<br />
nach unten abrundet, wird weltweit so stark nachgefragt, dass<br />
das Werk im britischen Halewood kürzlich auf 24-Stunden-Betrieb<br />
in nun drei Schichten umgestellt werden musste.<br />
Längst gilt Range Rover bei vielen Kunden als eigene Marke neben<br />
Land Rover, auch wenn dem nicht so ist. Doch mit harten<br />
Kerlen, die an ihren Defendern herumschrauben, möchten elegante<br />
Evoque-Fahrerinnen nicht unbedingt in Zusammenhang<br />
gebracht werden. Dennoch richten sich alle Augen momentan auf<br />
den neuen Range Rover. Er gilt als Mass der Dinge im Haus und<br />
zeigt, was die Ingenieure so draufhaben. Der «Range» muss quasi<br />
die unendlichen Geländewagen-Talente eines Defenders mit<br />
dem Anspruch einer Luxuslimousine paaren (es gibt Menschen,<br />
die ihn als «Rolls-Royce der Feldwege» bezeichnen). Und natürlich<br />
wird das Komfortniveau im vierten Range Rover (Modellcode<br />
L405) um Längen über dem eines Evoque liegen. Die möglichst<br />
individuelle Erscheinung ist da Programm: Neben feinstem Leder<br />
und diversen Edelhölzern – beides aus nachwachsenden Quellen,<br />
wie man betont – stehen 17 Innenraumfarben, 37 Lackierungen,<br />
zwei kontrastierende Dachfarben (Santorini-Schwarz und<br />
Indus-Silber) oder acht verschiedene Felgenthemen zwischen 19<br />
und 22 Zoll zur Wahl.<br />
Die eigentliche Sensation ist jedoch der schlanke Auftritt,<br />
den das neue Topmodell an den Tag legt. Land Rover ist zwar<br />
dafür bekannt, beim Automobilbau viel Aluminium einzusetzen<br />
– so geschehen schon 1948 beim allerersten Land Rover, doch<br />
damals geschah das vor allen Dingen aus Mangel an Alternativen.<br />
Der neue Lord hat wieder eine selbsttragende Karosserie,<br />
die aber diesmal komplett aus Leichtmetall besteht – ein Novum<br />
unter Geländewagen. Eine Milliarde Pfund (umgerechnet 1,5 Mia.<br />
Franken) hat das Unternehmen allein in diese Technologie investiert,<br />
die auch bei anderen, künftigen Land-Rover-Modellen zum<br />
Einsatz kommen wird.<br />
Plakativ nennt man beim Range Rover 4 eine Gewichtsreduzierung<br />
von 420 Kilogramm gegenüber dem Vorgänger (L322). Die<br />
Alu-Struktur ist 39 Prozent leichter als der bisherige Stahlaufbau,<br />
das spart alleine 180 Kilogramm und 75% Energieaufwand. Die<br />
Rohkarosse wiegt weniger als die eines 3er-BMW und wird auf<br />
einer komplett neu aufgebauten, vollautomatisierten Fertigungsstrasse<br />
im Stammwerk Solihull gepresst; die Seitenteile gar aus<br />
einem einzigen Stück – das hat es in dieser Grössenordnung noch<br />
nie gegeben. Beim Zusammenfügen der 270 Teile wird kaum geschweisst,<br />
sondern 3700 Mal genietet: Der Hersteller betont, dass<br />
Fertigungsverfahren aus dem Flugzeugbau zum Einsatz kommen<br />
und man noch nie eine aufwendigere Entwicklung als bei jenem<br />
Alu-Monocoque gestemmt hat. Unvorstellbare 1000 Jahre Prozessor-Rechenzeit<br />
seien dafür nötig gewesen, und das Ergebnis ist<br />
nicht nur leichter, sondern auch extrem steif. Alle Anforderungen<br />
hinsichtlich Crash-Festigkeit und Dauerhaltbarkeit werden übererfüllt,<br />
verspricht Land Rover, und selbstverständlich habe der Neue<br />
auch alle die üblichen harten Geländetests überstanden. 18 Monate<br />
wurden Prototypen weltweit bei Temperaturen zwischen minus<br />
30 und plus 50 Grad Celsius auf bis zu 4500 Meter Höhe erprobt;<br />
80 Exemplare zerschellten im Crashversuch.<br />
Zurück zur neuen Leichtigkeit des Seins. Neben den 180 Kilo bei<br />
der Karosserie spart der neue Range unter anderem Gewicht<br />
bei Motorhaube, Türen, Flankenschutz, B-Säulen, der Federung<br />
vorne und hinten sowie den Hilfsrahmen in Bug und Heck. Auch<br />
Teile des Antriebsstrangs, der Brembo-Sechskolbenbremsen,<br />
Sitzstruktur und Räder speckten ab. Andere Karosseriekomponenten<br />
sind aus Magnesium gefertigt, die Paneele am oberen Teil<br />
der Heckklappe bestehen aus Plastik. Macht zusammen schon<br />
066 VECTURA #4
MODELLWECHSEL<br />
über 300 kg. Das war auch bitter nötig, mag mancher einwerfen<br />
– schliesslich bringt der alte, 4,95 Meter lange Range Rover noch<br />
2,6 Tonnen auf die Waage.<br />
Dass Solihull von über 400 Kilogramm Gewichtsreduzierung reden<br />
kann, liegt an einem kleinen Trick: Wie schon zu Beginn der inzwischen<br />
nicht mehr produzierten dritten Generation im Jahr 2002<br />
ist nun wieder ein Sechszylinder-Diesel im Angebot – und dieser<br />
Dreilitermotor bringt die restlichen 70 Kilo Ersparnis im Vergleich<br />
zum bisherigen 4,4-Liter-TDV8, dessen Fahrleistungen vom neuen<br />
Sechsender übertroffen werden – bei 20% weniger Verbrauch.<br />
Stammte der 177 PS (130 kW) starke Sechszylinder vor zehn Jahren<br />
noch von BMW, greift man inzwischen auf eigene Motoren<br />
zurück. Der TDV6 ist aus Discovery und Range Sport bekannt,<br />
wurde aber für den Einsatz im Über-Rover nochmals gründlich<br />
überarbeitet. Dort bietet er nun 258 PS (190 kW) und ein maximales<br />
Drehmoment von 600 Nm. Als zunächst einziger der vier Motoren<br />
verfügt er ausserdem über ein Start-Stopp-System, was zum geringen<br />
Normverbrauch von 7,5 Liter Diesel auf 100 Kilometer beiträgt;<br />
dazu bleibt diese Modellvariante mit einem CO 2 -Ausstoss von<br />
197 g/km knapp unter der 200er-Marke. Den Spurt von null auf<br />
100 km/h erledigt der schwächste, aber vielleicht auch interessanteste<br />
Neu-Range in unter acht Sekunden. Und wie alle Range Rover<br />
der vierten Generation ist auch er mit einer optimierten Achtgang-<br />
Automatik von ZF ausgestattet; Schaltpaddel am Lenkrad sind Serie.<br />
Der zweite Selbstzünder hat wieder acht Zylinder, wird exklusiv<br />
nur für den Range Rover gebaut, heisst jetzt SDV8 und leistet nach<br />
einer kleinen Kraftkur 339 PS (250 kW) – 26 mehr als bisher. Das<br />
maximale Drehmoment liegt unverändert bei 700 Nm, während der<br />
Normverbrauch um immerhin 6% auf 8,7 Liter fällt.<br />
Während die beiden Diesel hauptsächlich für die europäischen<br />
Märkte gedacht sind, sollen zwei optimierte V8-Benziner vorrangig<br />
Range-Rover-Fans in Amerika und Asien beglücken. Auch<br />
hier haben sich Fahrdynamik und Verbrauchswerte schon allein<br />
durch das Leistungsgewicht verbessert; als Fünfliter-Kompressor<br />
soll der Range den Spurt von null auf 100 km/h gar in unter 5,5<br />
Sekunden schaffen! Der schwächere Achtzylinder-Sauger ist<br />
ausschliesslich für Nordamerika vorgesehen, während der TDV6<br />
dort nicht angeboten wird. Viel Beachtung wird gewiss eine Diesel-Parallelhybrid-Variante<br />
finden, die Ende 2013 auf den Markt<br />
kommt. Die Kombination von Dreiliter- und E-Motor ermöglicht<br />
rein elektrisches Fahren und später auch das Aufladen an der<br />
Steckdose; Land Rover spricht von insgesamt 338 PS, unter sieben<br />
Sekunden für den Spurt auf Tempo 100, nur 169 Gramm<br />
CO 2 und einem Normverbrauch von rund 6,2 L – Chapeau!<br />
Allen Range Rover gemein ist selbstverständlich der permanente<br />
Allradantrieb; wie gewohnt verteilt ein Zentraldifferential<br />
die Kraft im Normalfall zu 50:50 nach vorne und hinten. Geht<br />
irgendwo Grip verloren, entscheidet die Elektronik über eine<br />
bestmögliche Kraftverteilung. Das von Land Rover patentierte<br />
Terrain-Response-System wurde für den Range entscheidend<br />
weiterentwickelt: Ab sofort muss der Fahrer nicht mehr einstellen,<br />
auf welchem Untergrund er unterwegs ist – das Auto merkt<br />
es erstmals selbst und wählt aus fünf Möglichkeiten die entsprechenden<br />
Parameter für bestmögliches Durchkommen. Nur noch<br />
die Untersetzung will manuell aktiviert werden, und das ist erstmals<br />
bis Tempo 60 möglich (vorher nur 40).<br />
Mit diesen Zutaten ist klar: Auch der nächste Range ist trotz Einzelradaufhängung<br />
kein weichgespülter Softroader, sondern<br />
Technische Daten RANGE ROVER (L405)<br />
Konzept Full-Size-Geländewagen mit Luxusausstattung. Selbsttragende Leichtmetallkarosserie mit vier Türen, zweiteiliger Heckklappe und fünf Sitzplätzen<br />
(wahlweise vier Einzelsitze). Einzelradaufhängung, Luftfederung. Permanenter Allradantrieb mit fünf automatischen Fahrprogrammen, Reduktionsgetriebe<br />
und Hinterachssperre (Option)<br />
TDV6<br />
SDV8<br />
5.0 Supercharged<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
2993<br />
84 x 90<br />
16:1<br />
4367<br />
84 x 98,5<br />
ca. 16:1<br />
5000<br />
92,5 x 93<br />
9,5:1<br />
258 (190) @ 4000<br />
600 Nm @ 2000<br />
339 (250) @ 3500<br />
700 @ 1750–3000<br />
510 (375) @ 6000–6500<br />
625 @ 2500–5500<br />
A8<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
255/50 R20 auf 8,5 J<br />
500/207/183,5<br />
292<br />
169/168.5<br />
275/45 R21 auf 9,5 J<br />
275/40 R22 auf 9,5 J<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht (ohne Fahrer) in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
85<br />
105<br />
550–2030<br />
105<br />
2160<br />
3000<br />
2360<br />
3200<br />
2330<br />
3150<br />
8,4<br />
7,0<br />
4,6<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
7,9<br />
209<br />
6,9<br />
217<br />
5,4<br />
225 (249***)<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km*<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie**<br />
Preis ab CHF<br />
* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
** vorläufig<br />
*** Option<br />
7,5<br />
8,7<br />
196<br />
229<br />
C<br />
D<br />
ca. 135 000.– ca. 145 000.–<br />
13,8<br />
322<br />
G<br />
ca. 190 000.–<br />
herbst <strong>2012</strong> 067
MODELLWECHSEL<br />
waschechter Geländewagen geblieben. Die Rampenwinkel wurden<br />
verbessert und eine in allen Varianten serienmässige Luftfederung<br />
erlaubt zudem, den gesamten Aufbau noch höher zu<br />
pumpen: Die Wattiefe ist auf 90 Zentimeter gestiegen – satte 20<br />
Zentimeter mehr als bisher. Dank weiterer Hilfssysteme wie Bergabfahrhilfe,<br />
Hillholder und die erwähnte elektronisch regulierte<br />
Kraftverteilung ist der vornehme Brite also Wildnis-tauglicher<br />
denn je. Und solche Extremtouren sind im Range immer etwas<br />
ganz Besonderes.<br />
Dennoch dürfte sich nur ein Bruchteil der künftigen Klientel tatsächlich<br />
ins Gelände wagen – den meisten ist ihr strassenbereiftes<br />
Auto dafür viel zu schön und auch zu wertvoll. Sie erfreuen<br />
sich lieber an der «Command Seating Position»: Im Range Rover<br />
sitzt man neun Zentimeter höher als in jedem anderen SUV, dazu<br />
gesellt sich ein erhabener Überblick auf die Motorhaube mit ihren<br />
traditionellen Einzügen rechts und links. Das opulente Innenraum-Layout<br />
stellt den bisher gekannten Luxus in den Schatten<br />
– noch feiner ist das Leder, noch exakter die Verarbeitung, noch<br />
eleganter die Cockpit-Gliederung. Das Dash wirkt weniger klobig<br />
und somit luftiger – es ist alles da, aber nichts drängt sich auf. Die<br />
Schalter und Knöpfe wurden um 50 Prozent reduziert; wahlweise<br />
gibt es eine dimmbare Ambiente-Beleuchtung mit zehn frei wählbaren<br />
Farben oder 20fach verstellbare Vordersitze mit Massage-<br />
Funktion.<br />
Neu ist unter anderem ein optionales, UV-schutzbeschichtetes<br />
Glasdach, welches fast über die gesamte Dachlänge reicht und<br />
im vorderen Bereich geöffnet werden kann. Am Internet-Zugang<br />
wird noch gearbeitet, TV-Empfang ist bereits möglich, die Türen<br />
rasten beim Schliessen wahlweise elektrisch ein, man kann den<br />
Range auch ohne Schlüssel öffnen und starten, statt der Rückbank<br />
sind auf Wunsch zwei exklusive Einzelsitze oder eine Vierzonen-Klimaanlage<br />
lieferbar (Serie: Dreizonen) – die Aufpreisliste<br />
ist länger denn je. Wie zuletzt schon beim Range 3 gibt es virtuelle<br />
TFT-LCD-Instrumente. Neu ist ein Bewegungssensor unter der<br />
Innenraumbeleuchtung – Knöpfchendrücken entfällt. Ein zentral<br />
angeordneter Monitor erlaubt es, dass sich der Fahrer aktuelle<br />
Navigationshinweise ansieht (das aktualisierte System kommt<br />
von Denso), während sein Copilot einen Spielfilm geniesst. Auch<br />
DAB-Radio oder Sprachkontrolle sind verfügbar. Als Top-Soundsystem<br />
steht eine Meridian-Anlage mit 1700 Watt und 29 Lautsprechern<br />
für 3D-Akustik parat.<br />
Rear-Seat-Entertainment mit Extra-Bildschirmen gibt es natürlich<br />
ebenfalls; die Seitenscheiben lassen sich endlich komplett<br />
in den Fondtüren versenken. Über denen finden sich leider keine<br />
Handgriffe mehr. Im Fond finden sich satte zwölf Zentimeter<br />
mehr Beinfreiheit, was auch an einem um vier auf 292 Zentimeter<br />
gestreckten Radstand liegt. Die Gesamtlänge des Range Rover<br />
wächst um vier Zentimeter und bleibt damit hauchdünn unter<br />
fünf Meter. Das ist Audi-A6-Niveau, solange es sich um die kurze<br />
Version handelt: Land Rover mag zwar nicht darüber sprechen,<br />
doch schon in einem Jahr wird es den Range für die arabischen<br />
und asiatischen Märkte auch in einer Chauffeur-Variante geben.<br />
Dieser LWB (Long Wheel Base) weist 15 cm mehr Radstand auf<br />
und dürfte sich bestens verkaufen, zumal es nichts Vergleichbares<br />
gibt.<br />
Rein äusserlich hat sich der Neue von seinem unter BMW-<br />
Regie entwickelten Vorgänger kaum entfernt: «Don’t change it,<br />
just make it better!» lautete die Vorgabe an das Designteam um<br />
Gerry McGovern, der die vierte Generation als «Evolution einer<br />
Ikone» bezeichnet. Die Proportionen wurden weitgehend beibe-<br />
068 VECTURA #4
halten, das Auto wirkt aber deutlich eleganter. Auffällig sind die<br />
nun ums Eck ragenden Hauptscheinwerfer und Rückleuchten;<br />
vor allem die vertikalen Zierstreben an den Vordertüren fallen ins<br />
Auge. Sie sind ohne Funktion, stehen dem Range aber gut und<br />
reduzieren optisch die Länge. Eine leicht abgeschrägte Front, die<br />
flacher stehende Windschutzscheibe und das Heck mit seinen<br />
horizontalen Sicken setzen weitere Akzente, die Dachlinie verläuft<br />
zwei Zentimeter tiefer als bisher und der Heckscheibenwischer<br />
ist komplett im Spoiler verborgen. Das alles sorgt für einen Luftwiderstandsbeiwert<br />
von «nur» 0,34 beim TDV6, doch für einen<br />
Geländewagen ist das ein sehr guter Wert – der aerodynamische<br />
Feinschliff und ein verkleideter Unterboden helfen dabei. Zum<br />
Vergleich: Der Range Rover Sport weist 0,36, der alte Range 0,39<br />
auf. Und die Heckklappe? Die bleibt horizontal geteilt, kann aber<br />
jetzt oben und unten elektrisch betätigt werden. Auf Knopfdruck<br />
ausfahrbare Trittbretter und eine ebenso bequem aktivierbare<br />
Anhängerkupplung sind erstmals zu haben; Letztere ist dabei<br />
aber nicht auf allen Märkten erhältlich. Die maximale Zuglast beträgt<br />
unverändert 3,5 Tonnen.<br />
ist ein Spurhalteassistent. Fehlanzeige auch bei Nachtsichtgerät<br />
oder Head-Up-Display. Weil die Lenkung nicht mehr hydraulisch,<br />
sondern elektrisch agiert, sind aber die technischen Voraussetzungen<br />
für automatisches Einparken gegeben. Dabei kann man<br />
über die Rückfahrkamera verfolgen, wie sich das Auto selbst abstellt.<br />
Weitere Kameras sind im Bug angebracht und ermöglichen<br />
beispielsweise, in unübersichtliche Kreuzungen oder Ausfahrten<br />
hineinzublicken.<br />
Die Auslieferung des neuen Range Rover beginnt im Januar<br />
2013. Aussergewöhnliche Erlebnisse sind garantiert; sie dürften<br />
mindestens 135 000 Franken kosten – exakte Preise waren bei<br />
Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Eines ist aber klar: Mit<br />
ihrem Gesamtkonzept bleibt auch Nummer 4, was schon der Urtyp<br />
Jahrgang 1970 gewesen ist – das Elitärste, was man abseits<br />
befestigter Strassen bewegen kann.<br />
Als fahrdynamische Referenz haben die Range-Rover-Macher<br />
keinen Geringeren als den Bentley Flying Spur im Sinn gehabt<br />
und diesen angeblich in allen Disziplinen übertroffen. Beim Innengeräusch<br />
gibt man zu, dass es in der Mercedes S-Klasse einen<br />
Hauch leiser zugeht.<br />
Boris Schmidt (53) ist seit 1989 Redaktor der «Frankfurter Allgemeinen<br />
Zeitung» und hat – gemeinsam mit anderen Autoren – bereits mehrere<br />
Fachbücher zum Thema Land Rover verfasst. Ein aktualisierter<br />
Range-Rover-Titel erscheint Ende Jahr.<br />
Einmal in Bewegung, kann auf etliche technische Hilfssysteme<br />
zurückgegriffen werden, zum Beispiel die optimierte Wankkontrolle,<br />
einen verbesserten Tote-Winkel-Assistenten oder – Novum<br />
– den adaptiven Tempomaten. Letzterer bremst im Stau jetzt<br />
bis zum Stillstand und fährt auf Knopfdruck wieder an, kann aber<br />
keine Verkehrsschilder lesen. Was es ebenfalls (noch) nicht gibt,<br />
herbst <strong>2012</strong> 069
fahrtenbuch<br />
Raubkatzen in freier Wildbahn<br />
Warum auch Jaguar dringend<br />
einen SUV oder Crossover bauen sollte<br />
Welche Automobilmarke hat noch keinen Geländewagen<br />
oder wenigstens einen mit Vierradantrieb?<br />
Kaum eine. Sogar die mythischen Sportwagenmarken<br />
wie Porsche und Ferrari sind mehr oder weniger tief in<br />
den Markt der schlammigen Wege gesprungen. Wer hätte vor<br />
zehn Jahren noch gedacht, dass man in Zuffenhausen einmal<br />
mehr Cayenne als 911er verkaufen würde? In der Offroad-freien<br />
Zone bleiben noch Bentley und Aston Martin, aber auch diese<br />
beiden britischen Edelmarken sind am Ausloten des Marktes mit<br />
mehr und vor allem weniger ansprechenden Studien. Wo bleibt<br />
in diesem Reigen Jaguar? Scheu hält man sich im Entwicklungszentrum<br />
Whitley zurück, einen Alleskraxler zu entwickeln, um der<br />
Konzernschwester Land Rover ja keinen noch so kleinen Marktanteil<br />
abzujagen. Vielleicht ist es auch britische Noblesse.<br />
Warum eigentlich? Jaguar, entstanden aus der Vision eines minderjährigen<br />
Jünglings, war immer an vorderster Front dabei, wenn<br />
es um neue Märkte und neue Technologien ging. Leider ist dieser<br />
Geist der Marke in den 70er-Jahren abhanden gekommen, als<br />
Gewerkschaften und eine falsche Regierung die ganze Automobilindustrie<br />
mit dem Leyland-Wahn zerfledderten. Das einst stolze<br />
Flaggschiff der britischen Industrie, mit revolutionären Wagen wie<br />
Mini, E-Type oder Range Rover, zerschellte ungebremst an den<br />
aufstrebenden japanischen und deutschen Marken. Was bleibt, ist<br />
die Erinnerung – und eine Kolonie internationaler Motorkonzerne:<br />
Es gibt kaum noch ein Mutterhaus, das in England nicht Komponenten,<br />
ganze Autos oder sogar Marken herstellen lässt.<br />
Warum also entwickelt Jaguar nicht einen eigenen Geländewagen?<br />
Land Rover greift bereits auf Triebwerke von Jaguar zurück,<br />
warum sollte sich Jaguar im Gegenzug nicht eine Plattform von<br />
der Schwester borgen? Sicher würde Mike Cross, Herr über die<br />
Fahrwerksabstimmung bei Jaguar, diesem Projekt den nötigen<br />
Biss und ein markentypisches Einlenkverhalten verleihen. Müssig<br />
ist die Frage, ob es auf unseren hervorragenden mitteleuropäischen<br />
Strassen überhaupt einen Geländewagen, einen SUV<br />
oder Crossover braucht. In Westeuropa schätzt man vor allem<br />
die hohe Sitzposition und den damit verbundenen Überblick,<br />
aber auch das Platzangebot. Ganz anders dagegen in den aufstrebenden<br />
Märkten weiter östlich, wo die Verkehrswege weniger<br />
gut ausgebaut sind und die Randsteine hoch, Parkplätze nicht<br />
der Euronorm entsprechen und nur mit einem halsbrecherischen<br />
Fahrmanöver ein Überfall verhindert werden kann. Dort gieren<br />
Millionen junger Menschen nach Audi-, BMW-, Mercedes- oder<br />
Porsche-Modellen, die zwar etwas hochbeinig daherkommen,<br />
aber eben auch ein Lebensziel darstellen. Sie gelten als Symbole<br />
des Erfolgs, sind vierrädrige Rewards für harte Arbeit. Selbst<br />
künstliche Neumarken wie Infiniti finden ihre Käufer, doch Jaguar<br />
glänzt durch Abwesenheit.<br />
Noch immer leidet das Haus unter dem Bappeli-Image der drögen<br />
Leyland-Ära, obwohl Jaguar in den 30er-, 50er- und 60er-<br />
Jahren hochsportliche Fahrzeuge produzierte und mit ihnen<br />
bedeutendste Rennerfolge errungen hat. Aus diesem Grunde<br />
darf es sich Jaguar nicht leisten, eine wachsende Käufergruppe<br />
zu ignorieren. Ich bin sicher, dass Ian Callum, der sich als erster<br />
Designer wieder auf die Kernwerte der Marke konzentriert<br />
und nicht moderne E-Type oder Mk2 im Retrolook zur Serienreife<br />
bringt, auch eine solch anspruchsvolle Aufgabe mit Bravour<br />
meistern könnte. Er hat schon bei Aston Martin mit DB7 und<br />
Vanquish eine Renaissance dieser urenglischen Marke eingeläutet.<br />
Auch die aktuellen Jaguar-Modelle sehen heute eigenständig<br />
und modern aus: Der neue F-Type-Roadster wird die Markeneigenschaften<br />
Eleganz, technische Avantgarde, Dynamik, Britishness,<br />
Understatement und Preiswürdigkeit in sich vereinen. Bei<br />
einem Softroader wäre das nicht anders – und er würde sicherlich<br />
nicht X-Type heissen.<br />
Ich hoffe sehr, dass Ratan Tata als Inhaber von Jaguar Cars dem<br />
Designteam um Callum längst grünes Licht gegeben hat, um<br />
in den hintersten Hallen des Entwicklungszentrums Whitley an<br />
einem solchen Crossover zu arbeiten. Sonst ist es bald zu spät<br />
für Jaguar, um in diesem wachsenden Segment noch wahrgenommen<br />
zu werden.<br />
Georg Dönni begann bereits im zarten Kindesalter, Plastikmodelle seiner<br />
Traumwagen zusammenzusetzen. 1986 liess er sich am englischen Colchester<br />
Institute of Technology zum Fahrzeugrestaurator ausbilden; heute ist er ein<br />
über die Schweizer Grenzen hinaus bekannter Jaguar-Spezialist. Seine 1988<br />
gegründete Garage befindet sich in einer alten Schreinerei in Roggliswil. Dort<br />
parken stets die schönsten Katzen. Unter anderem hat Dönni den Premieren-<br />
E-Type vom Genfer Salon 1961 komplett neu aufgebaut.<br />
070 VECTURA #4
PUSCHLAV (SCHWEIZ), 2005<br />
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Soll 2013 antreten: Jaguar-Crossover auf Basis des XF Sportbrake<br />
Wald-und-Wiesen-Design<br />
Was vom Offroad-Gedanken optisch übrig blieb –<br />
Beobachtungen zur aktuellen SUV-Welle<br />
Text und Zeichnung Mark Stehrenberger<br />
SUV und Geländewagen erleben derzeit einen riesigen<br />
Boom. Damit die wachsende Nachfrage gestillt werden<br />
kann, kommt eine ganze Flotte frischer Offroader auf uns<br />
zu und ein Trend ist offensichtlich: Sie werden kleiner.<br />
Die meisten Neuheiten findet man also bei den Kompaktmodellen.<br />
Audi erweitert seine Q-Familie demnächst um die Varianten<br />
1, 2 und 4. Mercedes bringt schon 2013 einen Softroader auf A-<br />
Klasse-Basis und arbeitet zusammen mit Infiniti an einem kleinen<br />
Bruder der M-Klasse. Volkswagen wird Up und Polo im SUV-Look<br />
anbieten und die Tiguan-Baureihe um eine Langversion ergänzen;<br />
auch die Konzerntöchter Seat und Skoda sollen künftig verstärkt<br />
mitmischen. Fiat hat einen Basis-Jeep auf 500er-Plattform im<br />
Sinn und Volvo zeigt uns Ende Jahr mit dem V40 XC, wie man<br />
Kompaktwagen auf Allrad-Optik trimmen kann. Dass dies auch<br />
bei Kombis funktioniert, will Jaguar schon bald mit einer Allradvariante<br />
des neuen XF Sportbrake beweisen (siehe oben). Wichtig<br />
dabei ist, dass nicht alles, was nach SUV aussieht, auch 4x4-<br />
Antrieb aufweist. Viele Kunden legen gar keinen Wert darauf und<br />
sind nur an der Optik oder einer höheren Sitzposition interessiert.<br />
Dazu kommt, dass Verbrauch und Emissionen heute das Package<br />
diktieren, nicht Untersetzungsgetriebe! Offroad-typische Zutaten<br />
wie Kuhfänger oder Überrollkäfige sind längst verschwunden; an<br />
ihre Stelle traten Schutzleisten aus lackiertem Plastik oder wulstige<br />
Seitenteile – kosmetische Massnahmen, die an die Herkunft dieser<br />
Fahrzeuggattung erinnern und Solidität ausstrahlen sollen.<br />
Das neue Buzzword lautet jedoch «SUV-Crossover-Coupé», und<br />
da kommen zum Teil ganz scharfe Typen auf uns zu. Der Mini<br />
Paceman, die zweitürige Ausführung des Countryman, ist einer<br />
von ihnen und bereits startklar. Aber auch von Audi werden Coupé-Versionen<br />
des Audi A3 Sportback und Q5 erwartet. Und während<br />
BMW an X2- und X4-Coupés arbeitet, bereitet VW einen<br />
Tiguan-Zweitürer vor. Renault hat sich vorgenommen, 2014 eine<br />
frankophile Version des überraschend erfolgreichen Nissan Juke<br />
zu lancieren. Selbst Land Rover plant einen dreitürigen Range<br />
Rover Sport; das Topmodell der Baureihe dürfte Ende 2014 auf<br />
den Markt kommen. Dieses High-End-Spielmobil orientiert sich<br />
optisch am nagelneuen Range Rover (siehe S. 062) und dem Erfolgsmodell<br />
Evoque, soll aber viel aggressiver und weniger kantig<br />
daherkommen.<br />
Grosse SUV wird es natürlich auch weiterhin geben. Audi erweitert<br />
sein wachsendes SUV-Portfolio nicht nur nach unten,<br />
sondern mit Q6 und Q8 auch nach oben. Sogar von einem Q9<br />
ist die Rede; dieser King-Size-Gozilla wäre allerdings nur für die<br />
Vereinigten Staaten, Asien und künftige Mars-Expeditionen gedacht.<br />
Alfa will in den USA einen Crossover auf Jeep-Liberty-<br />
Plattform realisieren und Maserati hat dem Kubang nach langem<br />
Hin und Her endlich grünes Licht gegeben. Aston Martin<br />
sucht noch einen Entwicklungspartner für den angedachten<br />
Wald-und-Wiesen-Lagonda, während Lamborghini nach zwei<br />
Dekaden Gelände-Abstinenz in wenigen Jahren wieder dabei<br />
072 VECTURA #4
Stilblüten<br />
sein dürfte. Selbst Ferrari will der verehrten Kundschaft ein<br />
Angebot mit vier Einzelsitzen machen, das wie der begeistert<br />
aufgenommene FF von Pininfarina entworfen wird: Die Premiere<br />
des ersten SUV der Scuderia soll 2013 in Genf stattfinden.<br />
Dort fiel das Bentley-Concept EXP 9F letztes Frühjahr einstimmig<br />
durch, doch es gilt als beschlossene Sache, dass die Briten<br />
einen zweiten Anlauf unternehmen wollen: In der US-amerikanischen<br />
Musik- und TV-Branche ist das Auto bereits zum<br />
nächsten Hip-Hop-Mobil erkoren worden; ein Caddy Escalade<br />
ist dagegen kalter Kaffee. Die genannten Luxuslabel orientieren<br />
sich dabei am vorexerzierten Erfolg von Range Rover, Porsche<br />
und Co., zumal sich auch Retortenmarken wie Infiniti und Lexus<br />
wachsender Beliebtheit erfreuen. Fehlen eigentlich nur noch<br />
Bugatti und Rolls-Royce…<br />
Wenn es nur um das SUV-Design geht, spielen Marke oder<br />
Grösse selbstverständlich eine Rolle. In erster Linie geht es<br />
aber um Glaubwürdigkeit, Alltagsnutzen und Coolness. Ich<br />
möchte deshalb über Autos sprechen, die bereits heute aus<br />
der Masse herausragen. Und da fallen mir konkret sieben Modelle<br />
ein.<br />
Fast perfekt Für mich ist der Audi Q5 momentan einer der bestdesignten<br />
Audis überhaupt. Die Grösse stimmt, die Räder stehen<br />
proportional richtig, der Frontgrill schmunzelt freundlich, die Linienführung<br />
ist gediegen und dennoch kraftvoll. Auch das dezente<br />
Interieur mit seinem nicht überladenen Armaturenbrett, dem<br />
griffigem Lenkrad und straffen Sitzen kann sich sehen lassen.<br />
Leider hapert’s am viel zu breiten Heck; die aussen absackenden<br />
Rückleuchten sehen einfach nur trist aus. Dennoch steht das Auto<br />
insgesamt für lässige Fortbewegung. Wer es noch sportlicher<br />
will, kann ab 2013 zum technisch nahezu baugleichen Porsche<br />
Macan greifen.<br />
Würg Der BMW X6 dagegen ist die Antwort auf eine Frage, die<br />
niemand gestellt hat. Trotz Coupé-haftem Styling wirkt das Auto<br />
viel zu gross und wuchtig, ja brutal. Man erwartet, dass eine Bande<br />
übler Schläger in ihm sitzt. Speziell die Heckansicht mit ihren<br />
viel zu kleinen Fenstern fällt bei mir durch. Man sieht dem X6 an,<br />
dass er hastig auf den US-Markt geworfen wurde, um Honda<br />
mit dem Crosstour Coupé die Suppe zu versalzen: Die Japaner<br />
hatten schon lange vor den Europäern mit allerlei SUV-Varianten<br />
experimentiert. Fazit: Anders als beim rundum gelungenen X5 hat<br />
BMW hier eine Chance vertan.<br />
Unverwechselbar Der amerikanische Cousin des Opel Antara<br />
heisst Cadillac SRX und verkörpert eine ganz eigene Formsprache:<br />
Messerscharfe Linien und gemeisselte Ecken sind konsequent<br />
und polarisieren – hier ist ein Auto, das man entweder hasst<br />
oder liebt. Bei mir liegt der SRX dieser zweiten Modellgeneration<br />
voll drin, weil er Charakter hat und stilistisch keine Kompromisse<br />
eingeht. Vielleicht könnte das Auto eine Spur breiter sein für seine<br />
Höhe, was auch der Präsenz zugute käme. Andererseits soll es<br />
sich deutlich von den Full-Size-SUV mit ihrem «Gangsta»-Image<br />
distanzieren. Innen gibt es trotzdem viel Platz und Technologie; der<br />
SRX ist längst der Bestseller des Hauses und mit dem diesjährigen<br />
Refreshing sollte man das Momentum beibehalten können. Selbst<br />
in 20 Jahren wird das Teil noch gut aussehen, wetten?<br />
Wegweisend Der erste Infiniti FX von 2003 war in Bezug auf<br />
das SUV-Styling ein echter Hammer und schlug entsprechend<br />
positiv ein. So hätte damals eigentlich der Porsche Cayenne<br />
aussehen müssen – dynamisch, schwungvoll, mit einem hinten<br />
abfallenden Dach und knackigem Hintern. Dazu kamen grosse<br />
Räder und ein passender Radstand, die hohe Gürtellinie und<br />
kleine Seitenfenster. Insgesamt zeigte der Japaner also klare,<br />
fast deutsche Linien. Optisch fuhr der FX schon im Stand<br />
– während der zweite Cayenne mit seiner aufrechten Kabine<br />
auch heute noch steht, selbst wenn er längst schon fährt. Sicher,<br />
die Infiniti-Front hätte mehr Fläche im Grill und in den Lampen<br />
vertragen können; beides war angesichts der Körpermasse<br />
des Wagens unterdimensioniert. Die zweite FX-Generation kam<br />
2009 mit einem stechenden Blick, und obwohl sich die Baureihe<br />
immer noch bestens verkauft, gefällt sie mir persönlich nicht<br />
mehr ganz so gut. Meine Bitte nach Tokio: Möge der dritte FX<br />
doch so geil und markant daherkommen wie der erste!<br />
American Idol Wenn es ein Referenzmodell für den Wandel<br />
vom robusten, harten Geländewagen der 90er Jahre hin zu den<br />
geschmeidig-weichen 4x4-Luxusschlitten von heute gibt, ist das<br />
der Jeep Grand Cherokee. Die Baureihe traf damals genau den<br />
richtigen Ton für viele Amerikaner, die sich sofort verliebten und<br />
ihre öden Limos und Minivans am Strassenrand stehen liessen.<br />
Auch die neuste Ausgabe hat alle Zutaten zum Erfolg: Sie ist nicht<br />
übergross und kommt mit unaufdringlichem Look, hat aber einen<br />
ausreichend langen Radstand mit Wow!-Radkästen, die markentypisch<br />
winklig sind und Offroad-Kompetenz ausstrahlen. Innen<br />
gefällt die Auswahl an Farben und Materialien inklusive echtem<br />
Holz. Gut gemacht, Jungs!<br />
You’ve come a long way, baby Aus dem hässlichen Entlein<br />
Kia Sportage ist in der dritten Generation ein schöner Schwan<br />
geworden. Ich könnte auch sagen: Der Softroader hat sich in<br />
15 Jahren von einem Pavian über einen Neandertaler zu George<br />
Clooney entwickelt! Zu verdanken haben wir das der koreanischen<br />
Weitsichtigkeit und dem deutschen Designchef Peter<br />
Schreyer. Der Sportage verkörpert fast alles, was ich von einem<br />
SUV verlange: eine vernünftig-praktische Grösse, dazu sauberes<br />
Design mit hoher Gürtellinie, die Robustheit und Schutz<br />
verspricht. Riesige Räder schreien 4x4-Power, nur die Front des<br />
Sportage wirkt zweideutig: Der obere Grill lächelt, der untere<br />
heult wie ein trotziges Kind im Supermarkt. Das Interieur ist organisch<br />
gestaltet und qualitativ okay. Der Verbrauch könnte besser<br />
sein, dafür bekommt man aber viel Auto für wenig Geld. Mein<br />
Fazit: mega, mehr davon!<br />
Fashion-Victim Der Range Rover Evoque ist sicher nicht<br />
der praktischste SUV auf Erden, hat dafür aber eine Menge<br />
Stil. Dazu glänzt er mit raffiniertem Fahrverhalten und den traditionellen<br />
Land-Rover-Offroad-Talenten, auch das gefällt mir.<br />
Ja, ich weiss, das Dach ist viel zu niedrig. Aber das Auto ist<br />
genau für diesen Look gemacht, hat die passenden Proportionen!<br />
Ein Evoque ist nicht billig, aber begehrenswert: Mit ihm<br />
fährt man nicht nur, sondern «kommt an», und wer ein lupenreines<br />
Style-Statement fahren möchte, wird nicht enttäuscht<br />
sein. Kurz: Wenn es im Himmel keine Evoque gibt, dann will ich<br />
nicht dorthin!<br />
herbst <strong>2012</strong> 073
Autofreie<br />
Traumstrassen<br />
Alpen, Alpen und nochmals Alpen:<br />
Eine bemerkenswerte Publikation<br />
beschäftigt sich mit Asphalt in<br />
den Bergen. Und weil die aktuelle<br />
Ausgabe vorrangig durch die<br />
Schweiz führt, drucken wir einige<br />
Motive exklusiv ab<br />
Text Helena Sukova · Fotos Stefan Bogner<br />
Sustenpass<br />
074 VECTURA #4
Fernweh<br />
herbst <strong>2012</strong> 075
Stilfser Joch<br />
Eine Kurve ist die sinnlichste Verbindung zwischen zwei<br />
Punkten – und in gewisser Weise auch die realistischste.<br />
Wer sich ein Ziel steckt, wird dieses fast nie auf<br />
dem kürzesten Weg erreichen. Würden unsere Wünsche alle<br />
auf einen Schlag wahr werden – wir würden uns um den Weg<br />
dorthin betrogen fühlen. Fahren lehrt uns, gegenwärtig zu sein.<br />
Und wer gegenwärtig ist, ist glücklich. Machen Sie sich auf die<br />
Jagd nach dem Flow, jener zeitlosen Hochebene des Seins, wo<br />
Ursache und Wirkung mal keine Rolle spielen, sondern nur der<br />
Moment zählt.<br />
So steht es im Vorwort des aktuellen «Curves», eines alljährlich<br />
verlegten Magazins, das sich mit alpinen Strassen beschäftigt –<br />
ohne dabei ein einziges Auto zu zeigen. Es gibt auch kein richtiges<br />
Inhaltsverzeichnis – dieses Werk will wie ein Reiseführer gelesen<br />
werden. Nach der Erstausgabe 2011 bewegt sich Jahrgang <strong>2012</strong><br />
(www.curves-magazin.com) «entlang der schweizerisch-italienischen<br />
Grenze»: Von Südtirol aus geht es über die spektakulärsten<br />
Alpenpässe Richtung Tessin, Engadin und Wallis. Zu den<br />
optischen Highlights zählen das Stilfser Joch und hierzulande die<br />
Pässe Albula, Flüela, Maloja, der alte Gotthardpass, die «Tremola»<br />
und die Pässe nördlich von Italien wie der Simplon- und der San-<br />
Bernardino-Pass. Auch Klassiker wie Klausen, Susten, Grimsel<br />
und Furkapass sind vertreten. In fünf ausgearbeiteten Tagesetappen<br />
voller Berg- und Talfahrten wird der geneigte Leser von Schluderns<br />
nach Zuoz, weiter nach Andermatt, über den Gotthard, den<br />
Gornergrat und den Grossen Sankt Bernhard geführt.<br />
Das Layout ist grosszügig bis zeitlos – und ein weiterer Grund,<br />
weshalb «Curves» bei uns vorgestellt wird. Serviceseiten mit<br />
grafisch schön aufbereiteten Höhenangaben, einigen Übernachtungstipps<br />
und Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke (zum<br />
Beispiel das HR Giger-Museum in Gruyères) runden das gelungene<br />
Werk ab. Kritik? Die Anordnung der Bilder und Strecken<br />
wirkt stellenweise etwas willkürlich. Und auf fast allen Fotoaufnahmen<br />
liegt ein grauer Schleier, schieben sich düstere Wolken<br />
über Bergspitzen, wirken die Alpen fast depressiv und endzeitmässig.<br />
Ein sattes, im Sonnenlicht badendes Sommergrün findet<br />
sich in diesem «Curves» nur selten. Man muss dem Fotografen<br />
Stefan Bogner freilich zugute halten, dass er alle Aufnahmen<br />
selbst gemacht und in zwei Trips à sieben Tagen nebenberuflich<br />
produziert hat. Mit diesem Wissen erscheint der von Dunlop<br />
sowie Mercedes-AMG gesponserte, ansonsten werbefreie, 232<br />
Seiten starke und 20 Franken teure Band noch spektakulärer.<br />
Zu den Protagonisten der begleitenden und oktanhaltigen Reiseberichte<br />
zählen ein Mercedes 190 2.5-16 Evo II, ein original Rallye-<br />
Monte-Carlo-Mini Cooper S und ein Lamborghini Miura. Zu sehen<br />
sind die Autos allerdings nie: Die konsequente Abwesenheit jeglicher<br />
Motorfahrzeuge – einige, verrät uns Bogner, mussten natürlich<br />
aus den Fotos herausretuschiert werden – macht interessanterweise<br />
umso mehr Lust darauf, die abgebildeten Strassen unter<br />
die eigenen Räder zu nehmen. Vor allem die erstmals vom Helikopter<br />
aus geschossenen Aufnahmen glatter Asphaltbänder durch die<br />
steinig-schroffen Berglandschaften sind spektakulär.<br />
076 VECTURA #4
Fernweh<br />
Albulapass<br />
herbst <strong>2012</strong><br />
077
078 VECTURA #4<br />
rennsport
Fernweh<br />
nochmal Stilfser Joch<br />
herbst <strong>2012</strong> 079
ennsport<br />
Gotthard-Passhöhe<br />
080 VECTURA #4
Fernweh<br />
herbst <strong>2012</strong> 081
ennsport<br />
Susten, zum zweiten<br />
082 VECTURA #4
Fernweh<br />
Blick aus der Eigernordwand –<br />
nur erreichbar mit der 100 Jahre<br />
alten Jungfraubahn<br />
herbst <strong>2012</strong> 083
Allrad<br />
für den Alltag<br />
Acht wichtige SUV-Modelle für die Saison 2013<br />
Text Stefan Lüscher, map · Fotos Werk<br />
Sushi mit Zitrone<br />
Ausser dem Namen C4, der auf die ungefähre Fahrzeuggrösse hinweisen<br />
soll, hat der Citroën C4 Aircross mit dem Kompaktwagen C4 nichts<br />
gemein. Stattdessen ist er das neue Einstiegsmodell der Franzosen ins<br />
wachsende Segment der kompakten SUV. Diesen beschreitet Citroën<br />
gemeinsam mit PSA-Schwester Peugeot, deren technisch identisches<br />
SUV-Modell auf den Namen 4008 hört. Beide Franzosen sind letztlich aber<br />
Japaner – und nach dem Outlander, aus dem in Frankreich der Citroën<br />
C-Crosser und der Peugeot 4007 wurden, eine neue, für Mitsubishi rentable<br />
Gemeinschaftsproduktion mit dem französischen PSA-Konzern. Emotionale<br />
Formgebung aus Frankreich und bewährte Technik von Fernost:<br />
Für verwöhnte europäische Kunden wurde der Japaner in Paris mit der eigenständigen<br />
aktuellen Design-DNA von Citroën trendig eingekleidet. Zumindest<br />
aussen, mit neu gezeichneten Scheinwerfern, Chromstegen, dem<br />
Doppelwinkel und L-förmigen Rücklichtern. Innen unterscheidet sich der in<br />
Russland produzierte C4 Aircross (Laderaum bis 1220 L) kaum vom ASX,<br />
was aber kein Nachteil ist. Es hat gute Sitze, eine hohe Verarbeitungsqualität,<br />
die 40-GB-Festplatte sowie Navigations- und Audiosysteme. Als Antrieb<br />
kommt zum 1,6-Liter-Benziner (117 PS) und 1,8-Liter-Diesel (150 PS)<br />
aus Japan ein 1,6-Liter-Diesel (112 PS) von Citroën mit Durchschnittsverbräuchen<br />
ab 4,6 L/100 km. Zur Wahl stehen zudem ein cleverer Allradantrieb<br />
mit drei Modi sowie das Basismodell mit Vorderradantrieb. Das kostet<br />
ab 30 200 Franken; ein Aircross mit Allrad ist ab 35 900 Franken zu haben.<br />
Gruss aus Amerika<br />
Als Vierjähriger steht der Ford Kuga in der Blüte seines Lebens. Das beweisen<br />
auch die Verkaufszahlen: 2011 führte der SUV in seinem Segment gar die<br />
Schweizer Verkaufshitparade an, und im ersten Halbjahr <strong>2012</strong> war er hinter<br />
dem VW Tiguan noch immer Nummer 2. Der globalen Modellstrategie und<br />
dem nordamerikanischen Ford-Management gehorchend, wird er trotzdem<br />
ausgemustert und Anfang 2013 durch ein komplett neues Fahrzeug ersetzt.<br />
Die Basis der zweiten Kuga-Generation liefert das US-Pendant Escape. Damit<br />
weicht das progressive, dynamische Design des europäischen Kuga einer<br />
mehrheitsfähigeren, geschliffeneren Optik. In der Länge (4,52 m) wächst<br />
das neue SUV-Modell bei gleichbleibendem Radstand (2,69 m) um 8 Zentimeter.<br />
Dadurch gewinnt das Interieur an Raum, der Laderaum wächst um<br />
82 Liter auf ein Volumen von stolzen 970 bis 1930 L. Praktisch: Die Rücksitze<br />
falten sich auf Knopfdruck zusammen und geben eine durchgehend ebene<br />
Ladefläche frei. Der Fahrer wird durch einen Einparkassistenten und einen<br />
Totwinkel-Assistenten sowie das sprachgesteuerte Kommunikations- und<br />
Entertainmentsystem Sync mit automatischer Notruf-Funktion unterstützt.<br />
Ein intelligenter Allradantrieb erkennt Fahrbahnverhältnisse derweil proaktiv:<br />
Je nach Strassenzustand verteilt ein leistungsfähiger Bordrechner das<br />
Motordrehmoment bedarfsgerecht auf die Räder. Zugleich optimiert die aktive<br />
Fahrdynamikregelung TVC aus dem aktuellen Focus das Handling und<br />
die Fahrzeugkontrolle in Kurven. Zum Marktstart stehen zwei 2-L-TDCi mit<br />
140 und 163 PS sowie ein 150 PS starker 1,6-Liter-Benzin-Direkteinspritzer<br />
zur Wahl. Die Preise dürften sich am Vorgänger orientieren, also bei ca.<br />
40 000 Franken starten.<br />
084 VECTURA #4
showroom<br />
Einer für alle(s)<br />
Seit 1996 gibt es den Honda CR-V, und dieses «Comfortable Runabout<br />
Vehicle» suggeriert laut Namensgebung, ein Alleskönner zu sein. Tatsächlich<br />
ist der CR-V mit über fünf Millionen Einheiten ein internationaler<br />
Verkaufserfolg. Ende Jahr kommt nun die komplett neue, in England<br />
gefertigte, vierte Modellgeneration. Sie ist 456,5 cm lang, 182 cm breit,<br />
164,5 cm hoch und soll sich anfühlen wie ein normaler Pw, also vor allem<br />
auf Asphalt überzeugen. Wozu es dann noch einen SUV braucht?<br />
Zum Beispiel wegen dem Platzangebot: Nummer 4 bietet bis zu 1670 L<br />
Stauvolumen, das sind knapp 150 Liter mehr als bisher. Dank einem<br />
«Easy-Fold-Down»-System lassen sich die Rücksitze mit einem Handgriff<br />
umklappen, bilden allerdings keinen ganz ebenen Ladeboden. Eine Vielzahl<br />
erhältlicher Assistenzsysteme (adaptiver Tempomat, aktiver Spurassistent<br />
oder Kollisionswarner inkl. Vollbremssystem) sorgt dafür, dass<br />
die Besatzung sicher unterwegs ist. Ein besonders schnell agierender<br />
elektronischer Allradantrieb soll optimale Traktion garantieren; erstmals<br />
wird der CR-V in der Zweiliter-Benzinversion aber auch mit reinem Frontantrieb<br />
offeriert. Sie leistet 155 PS (114 kW) sowie 192 Nm und kommt<br />
wahlweise mit Sechsgang-Handschaltgetriebe (inkl. Stopp-Start-System,<br />
Econ-Modus und Spritsparassistent) oder Fünfstufenautomat. Beide<br />
Kraftübertragungen stehen auch für den 2,2-L-Diesel zur Verfügung;<br />
er kommt mit 150 PS (110 kW) und souveränen 350 Nm Drehmoment.<br />
Schweizer Markteinführung ist im November; die Preise starten bei knapp<br />
40 000 Franken.<br />
Koreanischer Weltstar<br />
Eigentlich müsste der Hyundai Santa Fe entsprechend seiner Schwester-<br />
Modelle ix45 heissen. Der grössere Bruder des ix35 darf aber auch in der<br />
dritten Generation den Namen der Hauptstadt von New Mexico tragen.<br />
Optisch kommt der mit insgesamt 469 cm leicht verlängerte Koreaner mit<br />
der progressiven Designsprache aktueller Hyundai-Modelle daher – mit<br />
grossem Hexagonal-Grill, der von weit nach hinten gezogenen Scheinwerfern<br />
eingerahmt ist. Unter der Haube werden viele elektronische Helfer das<br />
Leben leichter und sicherer machen. Ein Tempomat hält per Radar den<br />
Abstand zum Vordermann, ein Parkassistent steuert selbstständig in Parklücken.<br />
Dazu kommen Berganfahrhilfe, Bergabfahrkontrolle, Spurhaltesystem,<br />
Regen- und Lichtsensor und die erstmals im i30 eingesetzte Lenkung<br />
mit drei Fahrprogrammen. In puncto Sicherheit profitieren Fussgänger, die<br />
bei Kollisionen mit Geländewagen besonders bedroht sind, von einer aktiven<br />
Motorhaube. Sie hebt sich bei einem Aufprall blitzschnell an. Als Motoren<br />
stehen zwei Turbodiesel und ein Benziner zur Wahl. Ein neuer 2.0-Liter-<br />
Turbodiesel mit variabler Turboladergeometrie leistet 150 PS/383 Nm, ein<br />
2.2 CRDi gar 197 PS und mindestens 421 Nm Drehmoment. Der 2,4-L-Ben-<br />
ziner mit 192 PS/242 Nm, ebenfalls ein Vierzylinder-Direkteinspritzer, rundet<br />
die Motorenpalette ab und emittiert dank manuellem Sechsganggetriebe<br />
und Vorderradantrieb nur 145 g/km CO 2 . Je nach Motorisierung steht auch<br />
ein automatisches Sechsganggetriebe parat. Schweizer Marktstart ist Mitte<br />
Oktober. Die Preise bewegen sich auf dem Niveau des Vorgängers; bei etwa<br />
38 000 Franken geht es los.<br />
Evolutionsstufe Grün<br />
Die dritte Generation des Mitsubishi Outlander zeichnet sich durch<br />
eine glattflächig-grazile Designsprache, jedoch fast unveränderte Abmessungen<br />
aus. Grosse Aufmerksamkeit wurde dem Einsatz umweltfreundlicher<br />
Technologien geschenkt. Als Antriebe werden zum Marktstart<br />
neue ClearTec-Motoren mit Stopp-Start und optional auch einem<br />
von Aisin neu entwickelten Sechsstufen-Automatikgetriebe angeboten.<br />
Der neue Zweiliter-MIVEC-Benziner leistet 150 PS/195 Nm, ein wieder<br />
selbst entwickelter 2,2-Liter-MIVEC-DID-Turbodiesel generiert 150 PS<br />
und 380 Nm Drehmoment – und verbraucht dabei zwei Liter weniger als<br />
sein (PSA-)Vorläufer. Beide Antriebe sind wahlweise mit Front- oder Allradantrieb<br />
lieferbar. Andererseits will der 100 Kilo leichtere Outlander mit<br />
einem hochwertigen Innenraum (Soft-Touch-Oberflächen und moderne<br />
Sicherheitssysteme) überzeugen. So hilft der optional erhältliche präventive<br />
Bremsassistent bis 30 km/h bei der Vermeidung von Auffahrunfällen<br />
und integriert zudem einen Spurhalteassistenten sowie eine aktive Geschwindigkeitsregelung.<br />
Für mehr Komfort sorgen unter anderem eine<br />
Zweizonen-Klimaautomatik, der völlig ebene, nun 30 cm längere Koffer-<br />
raum sowie auf Wunsch eine vollwertige dritte Sitzreihe. Der in Japan<br />
produzierte Outlander kam schon im Sommer in Russland auf den Markt,<br />
die Schweizer Lancierung ist für nächsten Februar geplant. Ebenfalls<br />
2013 ist auch ein Plug-in-Hybrid vorgesehen, der rein elektrisch bis zu<br />
50 Kilometer weit fahren soll. Preise sind noch nicht bekannt.<br />
herbst <strong>2012</strong> 085
showroom<br />
Espresso im Gelände<br />
SUVs werden kleiner und der Opel Mokka fährt mit Corsa-Format genau in<br />
diese Nische: Seine bullige Optik bringt eine würzige Prise Abenteuer in den<br />
Vorstadt-Dschungel. Das Aussendesign kommt mit 18-Zoll-Rädern, breiter<br />
Spur, einer auf 16 cm erhöhte Bodenfreiheit und kompakten Überhängen.<br />
Erhellend ist ein adaptives Lichtsystem mit Bi-Xenon-Scheinwerfern und<br />
Fernlichtassistent der dritten Generation. Es arbeitet stufenlos und seitengetrennt,<br />
ohne den Mitverkehr zu blenden. Auf einer Länge von 4,28 Meter<br />
bietet der Fünftürer seinen Insassen eine angenehm erhöhte Sitzposition.<br />
Überdies steht im Mokka ein grosszügiges, variables Platzangebot zur Verfügung;<br />
es gibt 535 bis 1370 Liter Stauraum sowie 19 praktische Staufächer.<br />
Biker können bis drei Velos auf ein ausziehbares, in die hintere Stossstange<br />
integriertes Trägersystem laden. Angetrieben wird der Mokka – es gibt ihn<br />
auch optisch leicht verändert als Chevrolet Trax, in den USA folgt 2013 eine<br />
Buick-Variante namens Encore – wahlweise über die Vorderräder oder per<br />
optionalem Allradantrieb. Das Basismodell erhält ein Fünfgang-Schaltgetriebe,<br />
ansonsten kommen manuelle oder automatische Sechsgang-Boxen<br />
zum Einsatz. Die Motorenpalette beginnt mit einem 115 PS/155 Nm starken<br />
1,6-Liter-Benziner; darüber generiert ein 1,4-Liter-Turbobenziner 140 PS und<br />
200 Nm. Die potenteste und zugleich sparsamste Motorisierung ist jedoch<br />
der 1.7 CDTI Ecoflex mit 130 PS/300 Nm; er ist mit 4,7 L zufrieden. Alle Motoren<br />
verfügen serienmässig über ein Stopp-Start-System. Die Markteinführung<br />
erfolgt Ende Oktober, die Preise beginnen bei fairen CHF 24 400.–.<br />
Sportiver Abenteurer<br />
Zuerst sollte er Cajun heissen, doch jetzt ist es amtlich: Die fünfte Baureihe<br />
der Stuttgarter Sportwagenschmiede nennt sich Porsche Macan, wird im<br />
Herbst 2013 vorgestellt und kommt Anfang 2014 auf den Markt. Deutlich<br />
unter dem Geländewagen Cayenne angesiedelt, zielt das circa 450 cm lange<br />
Modell ins trendige SUV-Segment, wo es sportlicher Spitzenreiter sein<br />
will. Sein Name leitet sich vom indonesischen Wort für «Tiger» ab und soll<br />
laut Hersteller Attribute wie Geschmeidigkeit, Kraft, Faszination und Dynamik<br />
miteinander verbinden, womit die anvisierten Kerneigenschaften klar<br />
umrissen wären. Optisch wird sich der neue Macan am Stil des Cayenne<br />
orientieren: Elegante Scheinwerfereinheiten reichen bis weit in die markan-<br />
ten Kotflügel hinein, grosse Kühlluftöffnungen versorgen die Motoren mit der<br />
nötigen Kühl- und Atemluft. Seitlich strahlt der Wagen mit stark konturierten<br />
Radläufen, muskulösen Flanken oder chromumrandeten Fenstern das<br />
sportliche Flair eines Coupés aus. Der Kompakt-SUV läuft im Porsche-Werk<br />
Leipzig vom Band, bedient sich technologisch aber weitgehend beim Konzernbruder<br />
Audi Q5 aus Ingolstadt. Dessen modifizierte Plattform dient als<br />
Macan-Basis und wird ab 2014 auch im nahezu baugleichen, coupéartigen<br />
Audi Q4 zum Einsatz kommen. Die Macan-Motoren stammen von der Basis<br />
her ebenfalls von Audi, dürften in der Porsche-Ausführung allerdings deutlich<br />
leistungsstärker sein.<br />
Fussgänger-Airbag auf Abwegen<br />
Die technisch nach wie vor eigenständig operierenden, jedoch zum chinesischen<br />
Autobauer Geely gehörenden Schweden steigen 2013 mit<br />
dem Volvo V40 Cross Country ins Segment der kompakten SUV ein.<br />
Der neue Konkurrent von Audi Q3 und BMW X1 wird diesen Herbst erstmals<br />
in Paris gezeigt, misst knapp 4,4 Meter und basiert auf dem neuen<br />
Kompaktwagen V40. Die Unterschiede liegen in den üblichen Zutaten wie<br />
Höherlegung, Kunststoff-Fassungen um die Radhäuser, den für theoretischen<br />
Geländeeinsatz optimierten Front- und Heckschürzen oder diversen<br />
rustikal wirkenden Elementen. Der Cross Country punktet mit erhöhter<br />
Sitzposition und wahlweise Vorderrad- oder Allradantrieb (T5-Version).<br />
Zu seinen Spezialitäten zählen neue Assistenzsysteme und der welterste<br />
Fussgänger-Airbag. Dieser ist von 20 bis 50 km/h aktiv und zwischen<br />
Motorhaube und Windschutzscheibe platziert: Im Kollisionsfall breitet<br />
sich das Luftkissen U-förmig aus und deckt dabei das untere Drittel der<br />
Windschutzscheibe sowie grosse Teile der A-Säulen ab. Als Antriebe stehen<br />
alle V40-Motoren, also auch zwei direkt einspritzende 1,6-L-Benziner<br />
(150 oder 180 PS mit je 270 Nm) sowie besonders sparsame Common-<br />
Rail-Turbodiesel-Zweiliter-Fünfzylinder (150 PS/350 Nm oder 177 PS und<br />
400 Nm) zur Auswahl. Alle Motoren verfügen über Stopp-Start-System<br />
und Bremsenergie-Rückgewinnung. Die Benziner sind mit einem<br />
6-Gang-Schaltgetriebe gekoppelt, die Diesel gibt es auch mit Sechsstufen-Automat.<br />
Die Preise dürften bei etwa 35 000 Franken beginnen.<br />
086 VECTURA #4
PREMIERE:<br />
NEW SUZUKI GRAND VITARA 4x4<br />
EINFÜHRUNGSPREIS<br />
Fr. 28 990.–<br />
BEREITS FÜR<br />
New Grand Vitara Cross Station (5-türig)<br />
New Grand Vitara: Der überlegene 4x4 Cross Station. Wahre 4x4-Souveränität jetzt im neuen Design.<br />
Kompakte Überlegenheit vom sportlichen 3-Türer Cross Compact bis zum luxuriösen 5-Türer Cross<br />
Station. Noch effizientere Euro-5-Triebwerke: mehr Leistung, weniger Verbrauch!<br />
High-Tech mit hohem Nutzwert. 4-Modus-4x4 mit Zentraldifferenzial: Damit steht Ihnen immer der<br />
ideale 4x4-Modus zur Verfügung. Dank 4L-Lock-Modus mit Reduktionsgetriebe echte Geländetauglichkeit,<br />
2 x 5 Gänge.<br />
Top-Ausstattung. Neue Front, elegantes Interieur, 4-Modus-4x4 inkl. Sperrdifferenzial und Geländereduktion,<br />
6 Airbags, ABS mit EBS, ESP, Seitenaufprallschutz, Leichtmetallfelgen, Nebelscheinwerfer,<br />
Klimaautomatik, Servolenkung, ZV mit Fernbedienung, Keyless Entry / Start, Radio / CD (MP3) mit Lenkradbedienung,<br />
Sitzheizung vorne, elektrische Fensterheber, Multifunktionsdisplay, Tempomat.<br />
Suzuki fahren, Treibstoff sparen: 6.6 l. Hauptbild: New Grand Vitara 1.9 GL Top Cross Station 4x4,<br />
5-türig, Fr. 34 990.–, Treibstoff-Normverbrauch gesamt: 6.6 l / 100 km, Energieeffizienz-Kategorie: D, CO₂-<br />
Emission gesamt: 174 g / km; Durchschnitt aller Neuwagenmarken und -modelle in der Schweiz: 159 g / km.<br />
Auch als sportlicher New Grand Vitara<br />
Cross Compact (3-türig) erhältlich.<br />
4x4, 3-türig, Fr. 28 990.–<br />
New Grand Vitara 2.4 GL Top<br />
4x4 Automat, 3-türig,<br />
Fr. 30 990.–<br />
Turbodiesel, 3-türig,<br />
Fr. 30 990.–<br />
4x4, 5-türig, Fr. 32 990.–<br />
New Grand Vitara 2.4 GL Top<br />
4x4 Automat, 5-türig,<br />
Fr. 34 990.–<br />
Turbodiesel, 5-türig,<br />
Fr. 34 990.–<br />
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ROT IST DIE LIEBE<br />
088 VECTURA #4
COUNTRY STYLE<br />
Lange Zeit wollte sie niemand mehr haben. Heute feiern<br />
Porsche-Traktoren ein beachtliches Comeback – als Männerspielzeug.<br />
Der glanzvolle Markenname hilft dabei<br />
Text und Fotos Matthias Pfannmüller<br />
herbst <strong>2012</strong> 089
RUBRIKEN<br />
Im Rotnasenland werden Traktoren bis auf die letzte Schraube zerlegt. Die Qualität ist erstklassig<br />
Müde und verbraucht stehen sie da, mit stumpfem Lack<br />
und platten Reifen. Gut zwei Dutzend alte Porsche-<br />
Traktoren dämmern in einer noch älteren Scheune vor<br />
sich hin, und es ist das Beste, was ihnen passieren konnte. Denn<br />
hier sind sie in Sicherheit und warten auf den zweiten Frühling.<br />
Der Jungbrunnen heisst «Rotnasenland» (www.rotnasenland.de),<br />
befindet sich gut 30 Kilometer nordöstlich von Saarbrücken im<br />
deutschen Käshofen und ist die clevere Geschäftsidee von Thomas<br />
Hoffmann: Vor wenigen Jahren noch verdiente der gelernte<br />
Hotelfachmann gutes Geld mit dem Handel gebrauchter Geländewagen.<br />
Dann kam die Wirtschaftskrise; zahlende Kundschaft<br />
blieb aus. «Viele von denen, die sich noch zu uns verirrten, bewunderten<br />
aber stets den restaurierten, unverkäuflichen Porsche<br />
Junior, der hinten in der Ecke stand», erinnert sich der Pfälzer.<br />
Warum hatte er das Ding überhaupt? «Der Traktor-Virus hat mich<br />
schon vor 15 Jahren befallen und seither nicht mehr losgelassen.»<br />
Hoffmann zählte eins und eins zusammen, erkannte, dass die<br />
Zeit für ihn arbeitete – und begab sich auf die Suche nach jenen<br />
roten Nutzfahrzeugen. Die hatte lange niemand mehr haben<br />
wollen, doch auf vielen Bauernhöfen standen sie herum. Das<br />
war Anfang 2010. Inzwischen ist er in der Szene bekannt wie ein<br />
bunter Hund, steht sein Telefon nicht mehr still. Scheunenfunde<br />
werden langsam rar, doch Hoffmann ist bestens vernetzt. «Nicht<br />
jeder Schnäppchenjäger mag uns, weil wir faire Preise bezahlen<br />
und niemanden über den Tisch ziehen.» Gemeinsam mit seiner<br />
Lebensgefährtin Stefanie Heim reist er kreuz und quer durch Europa<br />
und sammelt die weidwunden Traktoren ein. Heim berichtet<br />
von herzzerreissenden Geschichten weinender Bauerswitwen, die<br />
ihren tropfenden Junior nur in gute Hände abzugeben bereit sind.<br />
Die Geschichte der Porsche-Traktoren ist kurz und heftig. Alles<br />
begann Mitte der 30er-Jahre mit dem Auftrag der Nazis an Professor<br />
Ferdinand Porsche, nicht nur einen KdF-Wagen (den späteren<br />
Käfer), sondern auch einen «Volksschlepper» zu konstruieren. So<br />
geschah es. Der Trekker erhielt einen Zweizylinder-Dieselmotor<br />
und der war natürlich luftgekühlt; allein der Krieg verhinderte seinen<br />
Einsatz. 1949 kamen die Pläne dann wieder auf den Tisch.<br />
Der schwäbische Traktorenproduzent Allgaier erwarb von Porsche<br />
eine Lizenz zur Herstellung des Modells «System Porsche», errichtete<br />
auf dem Gelände der ehemaligen Dornier-Werke in Friedrichshafen<br />
am Bodensee eine Fabrik – und brachte den konservativen<br />
Traktorenmarkt ab 1950 mit günstigen Einstiegspreisen und tech-<br />
090 VECTURA #4
RUBRIKEN<br />
COUNTRY STYLE<br />
Dreimal Master: Das Porsche-Diesel-Topmodell hat beeindruckende Armaturen, ist 50 PS stark, dazu besonders selten und teuer<br />
nischen Innovationen gehörig durcheinander: Motor und Getriebe<br />
des damals noch orange lackierten und Allgaier AP17 genannten<br />
Typs bestanden aus Aluminium. Die Kupplung verfügte über eine<br />
Ölhydraulik, was die Lebensdauer erhöhte und ein Abwürgen<br />
praktisch unmöglich machte. Darüber hinaus war die ganze Konstruktion<br />
nicht nur einfach und robust gehalten, sondern auch leicht<br />
und schnell. Die Produktion brummte, allein 1955 entstanden<br />
25 000 Exemplare, doch Allgaier veränderte sein Geschäftsmodell<br />
und gab die Traktorenproduktion auf. Anfang 1956 übernahm<br />
Mannesmann die Porsche-Diesel Motorenbau GmbH und entwickelte<br />
den Schlepper weiter. Schon ein Jahr später wurden<br />
mit dem einzylindrigen Junior, dem Standard (zwei Zylinder) und<br />
dem Super (drei) neue Modelle eingeführt, eroberte man Platz 2<br />
der deutschen Traktor-Zulassungsstatistik. Doch auch im Ausland<br />
erfreuten sich die Baureihen mit ihrer markant geschwungenen<br />
Motorhaube wachsender Beliebtheit; 1958 krönte die Baureihe<br />
Master mit vier Zylindern und 50 PS das Programm. Der Master war<br />
gleichzeitig auch der Schwanengesang der Porsche-Traktoren-<br />
Ära: Das Unternehmen hatte wichtige Entwicklungen verschlafen;<br />
vor allem in Bezug auf Leistung und Hubkraft geriet man ins Hintertreffen.<br />
Auch einen Allradantrieb hatte es ab Werk nie gegeben.<br />
Schon 1963 endete die Produktion; die restlichen Traktoren wurden<br />
in einer mit Renault gegründeten Vertriebsgesellschaft verramscht.<br />
Bis 1966 wurden zudem noch 255 Porsche-Traktoren von Iseki in<br />
Japan produziert, dann war endgültig Schluss. Insgesamt sind<br />
etwa 150 000 Exemplare entstanden.<br />
herbst <strong>2012</strong><br />
091
Thomas Hoffmann neben einem frisch restaurierten Porsche Junior: Der kleine Schlepper ist heute wieder sehr gefragt<br />
Nach dem Vorglühen springt der Porsche sofort an und verfällt<br />
in ein vibrierendes «put-put-put-put-put». Hoffmann grinst:<br />
«Herrlich, nicht wahr?» Der Charme gebrauchter Nutzfahrzeuge<br />
erschliesst sich nicht sofort, doch die männliche Fangemeinde<br />
wächst. Galten Lanz-Bulldog-Besitzer früher als Spinner, locken<br />
ihre regelmässigen Treffen heute immer mehr Publikum an. In<br />
der Rotnasen-Szene ist es inzwischen genauso. Das hat viel mit<br />
Nostalgie zu tun – viele heute 50-Jährige erinnern sich an die<br />
Porsche-Trekker ihrer Kindheit – und der Sehnsucht nach einer<br />
heilen Welt. Das ist Wirtschaftswunder-Romantik und sicher<br />
auch eine Flucht aus dem digitalen Alltag. Also am Wochenende<br />
keine Mails mehr checken oder die abgestürzte Festplatte vom<br />
Sohnemann reparieren, sondern entschleunigen und Furchen<br />
ziehen, vielleicht auch den Mähbalken einspannen und Nachbars<br />
Garten gleich mitschneiden – eine herrliche Vorstellung! Vielleicht<br />
am Sonntag mit 20 km/h ganz gemütlich über Feldwege quer<br />
durch die Natur tuckern – aber bitte mit Stil. Und den bietet nun<br />
mal kein Hatsu-Matsu- oder Szôvynçy-Trekker.<br />
Sinkende Verfügbarkeit und steigende Nachfrage treiben die<br />
Preise. Konnte man einen fahrbaren Junior vor zehn Jahren noch<br />
für ganz kleines Geld erwerben, sind heute mindestens 10 000<br />
Franken fällig; ein komplett überholtes Prachtexemplar kostet<br />
bald 30 000 Franken. Wer sich für einen der seltenen Master begeistert,<br />
muss gar sechsstellige Summen investieren. Ob original,<br />
revidiert oder besser als neu – Hoffmann erfüllt jeden Wunsch<br />
und führt längst eine Warteliste. Eine Komplettüberholung dauert<br />
sechs bis zwölf Monate. Sahen die Trekker ab Werk auch so<br />
schön aus? «Ach was, erst wurde alles montiert und dann komplett<br />
lackiert. Lediglich die Zierleisten hat man damals nachträglich<br />
angebracht», weiss der 46-Jährige, der schon über 40 Rotnasen<br />
restauriert hat und mittlerweile jede Schraube kennt: «Ich<br />
selbst mag es mit etwas Patina, aber viele Kunden wünschen<br />
sich eben einen perfekten Porsche.»<br />
Goldgräberstimmung in Käshofen: Die Sorgfalt fürs Detail hat<br />
sich herumgesprochen; solvente Sammler aus ganz Europa reisen<br />
an, um sich die Prachtstücke aus der Nähe anzusehen. Auch<br />
mehrere Schweizer Porsche-Fans haben bei Hoffmann Traktoren<br />
gekauft. Es sind Liebhaber dabei, die ihren Porsche richtig<br />
arbeiten lassen wollen. Aber auch Manager, Werber, Architekten,<br />
Rechtsanwälte, Ärzte. Fünf Traktoren wird Hoffmann am<br />
Wochenende unseres Besuchs verkaufen. Ein Interessent kommt<br />
im Audi Allroad aus Luxembourg, steht mit verklärtem Lächeln<br />
neben den nagelneuen Junioren und bewundert deren Finish.<br />
Besonders die Einzylinder haben es ihm angetan, von denen er<br />
bereits einige besitzt – «aber eben noch keinen Porsche!». Das<br />
dürfte sich aber bald ändern und auch wir sind versucht, dem frugalen<br />
Zauber der selbstzündenden Ackerschlepper zu erliegen –<br />
erst recht, nachdem wir einige Kilometer auf ihnen zurückgelegt<br />
haben. Ein Junior, von dem es diverse Baumuster gegeben hat,<br />
läuft gut 20 Sachen und mit langer Achse auch etwas schneller.<br />
Die Zeit vergeht wie im Flug, doch Hoffmann muss zurück: Kundschaft<br />
wartet.<br />
092 VECTURA #4
COUNTRY STYLE<br />
herbst <strong>2012</strong> 093
094 VECTURA #4<br />
RUBRIKEN
COUNTRY STYLE<br />
Stiere auf die Weide<br />
Landwirts Liebling: Warum es nach 43 Jahren Traktorfahren<br />
auch mal ein Lamborghini sein darf<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos map, Georg Bärtschi/skyfocus.ch, Werk<br />
Der Lamborghini auf diesen Seiten hat vier Zylinder<br />
und 85 PS; er wiegt knapp vier Tonnen, kann bis zu<br />
4,3 Tonnen heben und 20 Tonnen ziehen. Die Höchstgeschwindigkeit<br />
von 38 km/h schliesst Autobahnen aus; dennoch<br />
macht das Fahrzeug einen starken Eindruck – auch optisch.<br />
Die Rede ist vom R3 Evo 85, einem multifunktionalen Arbeitsgerät<br />
des Lambo-Traktorenangebots. «Mittlere Leistungsklasse»<br />
heisst das mit Heck- oder Allradantrieb erhältliche Allroundmodell<br />
im Fachjargon des Herstellers Same Deutz-Fahr, zu dem<br />
Trattori Lamborghini seit 1974 gehört: Das Markenangebot reicht<br />
vom kleinen Raupentraktor oder dem Schmalspurmodell R1 bis<br />
zum King-Size-Schlepper mit über sieben Liter Hubraum, dem<br />
knapp zehn Tonnen schweren R8. Die meisten Baureihen sind<br />
baugleich mit anderen Markenprodukten des Landmaschinen-<br />
Konzerns; die einzigen Unterschiede sind der Kühlergrill und<br />
die Farbe. Bei Same heisst das R3-Evo-Pendant schlicht<br />
«Explorer3» (trotz roter Lackierung), bei Deutz-Fahr ist es grün<br />
und wird «Agrofarm» genannt, bei Hürlimann «XB MAX» (silber).<br />
Der stolze Evo-Besitzer heisst Samuel Gehrig und lernte schon<br />
im zarten Alter von sieben Jahren, einen Traktor zu fahren.<br />
«Das war ein luftgekühlter Zweizylinder-Porsche Standard mit<br />
30 PS», lacht der 50-Jährige. Er ist ein Freund des Autors und<br />
führt einen klassischen Schweizer Bauernhof von elf Hektar<br />
Grösse mit Milchwirtschaft, Grünland und Ackerbau. Ein universeller<br />
Traktor ist da Gesetz, und Gehrig hat jetzt gleich drei<br />
davon. Die älteren beiden sind von Same – ein 1973er Minitauro<br />
DT60 und ein Minitaurus 60 Baujahr 1983, die beide neu angeschafft<br />
wurden. Bei der Suche nach einem neuen Allradtraktor<br />
durfte es diesmal ein echter Stier sein, «weil du mir diesen Floh<br />
ins Ohr gesetzt hast», grinst Samuel. «Ausserdem ist der ja auch<br />
ein Same und aus Italien, da kenne ich mich aus. Der Evo ist<br />
silber lackiert und gefiel meiner Freundin besser.» Hier auf dem<br />
Land ist ein Lamborghini relativ selten, obwohl er gleich viel kostet<br />
wie der technisch identische Same. Die 85er-Version war<br />
Gehrig gross genug, denn «der einzige Unterschied zum 100er<br />
ist dessen Ladeluftkühler und etwas mehr Hubkraft an der<br />
Hydraulik, das kostet aber gleich 4000 Franken mehr». Seinen<br />
«Sport-Trekker» hat Samuel mit ein paar Prozenten Nachlass bei<br />
der Hürlimann-Vertretung Rohrer AG in Oberburg gekauft, die<br />
seine Maschinen schon lange betreut.<br />
Der 1929 gegründete Traktorenhersteller Hürlimann ist inzwischen<br />
auch eine Same-Marke. Die Zeiten, in denen es viele<br />
unabhängige Schweizer Produzenten wie Bührer, Grunder,<br />
Köpfli, Schilter UT oder Vevey gab, sind lange passé. Schweres<br />
Gerät wird heute importiert und heisst neben Same<br />
Deutz-Fahr auch Fendt, John Deere, Massey Ferguson oder<br />
New Holland.<br />
Die meisten dieser Hersteller entstanden in den späten 40er-<br />
Jahren des letzten Jahrhunderts, als Landmaschinen dringend<br />
gebraucht wurden. Auch die Geschichte der Lamborghini-<br />
Traktoren begann nach dem Zweiten Weltkrieg: Ferruccio<br />
Lamborghini, 1916 im italienischen Renazzo nahe Cento in der<br />
Emilia Romagna geboren, wusste um die Mühen körperlicher<br />
Arbeit. Seine Eltern waren Bauern, die ihre Felder noch mit<br />
Pferd und Wagen bestellten. Die Begeisterung für Maschinen<br />
kam da nicht von ungefähr, und Ferruccio bewies früh ein besonderes<br />
technisches Verständnis. 1939 wurde der damals<br />
23-Jährige eingezogen und als Mechaniker dem Militärfuhrpark<br />
zugeteilt. In den Kriegsjahren mehrte er seine Kenntnisse,<br />
die ihn befähigten, die Konstruktion eines eigenen Traktors in<br />
Angriff zu nehmen: Als Mann mit Visionen hatte Lamborghini<br />
den wachsenden Bedarf an Landmaschinen und das damit<br />
verbundene Geschäft frühzeitig erkannt. Es war der Beginn<br />
einer steilen Unternehmerkarriere in guter Gesellschaft;<br />
auch der britische Industrielle und spätere Aston-Martin- und<br />
Lagonda-Eigner David Brown konnte sein Vermögen damals<br />
mit der Produktion von Traktoren vervielfachen. 1949 entstand<br />
die erste Lamborghini-Fabrik und 1952 eine grössere.<br />
Mit Spezialitäten wie einem kleinen Raupenschlepper wurde<br />
die Marke schnell bekannt. Ende der 50er-Jahre hielt Trattori<br />
Lamborghini nach Fiat und Ferguson bereits den dritten Platz<br />
der italienischen Verkaufsstatistik.<br />
Wie bei den schnellen Strassenboliden aus Sant’Agata lässt sich<br />
auch ein Lambo-Traktor traditionell mit allerhand Extras aufrüsten.<br />
Samuel hat einen luftgefederten Sitz, die luxuriöse Glasdachkabine<br />
samt DAB-Radio, eine Fronthydraulik mit Zapfwelle, das<br />
vordere Zugmaul, eine Schnellkupplung plus Lastenregler hinten<br />
sowie Arbeitsscheinwerfer hinzubestellt. Optional ist auch ein<br />
stufenloses Getriebe erhältlich, «doch das ist sehr teuer und<br />
herbst <strong>2012</strong> 095
COUNTRY STYLE<br />
von der Auslastung her sensibler», weiss Samuel. «Dazu kommt,<br />
dass man den Traktor am Berg dann nicht im Gang abstellen<br />
kann, was auch für das hydraulische Wendegetriebe gilt – deshalb<br />
habe ich auf beides verzichtet.»<br />
Der Erfolg seiner Schlepperproduktion ermöglichte es Ferruccio<br />
Lamborghini Anfang der 60er-Jahre, weitere Geschäftsfelder zu<br />
erschliessen. Die Herstellung von Ölbrennern und Klimaanlagen<br />
machte ihn noch wohlhabender. Mit den Gewinnen konnte<br />
schliesslich ein neues ehrgeiziges Projekt finanziert werden – der<br />
Bau eigener Sportwagen. 1963 wurde Automobili Lamborghini<br />
gegründet, 1964 erschien mit dem 350 GT ein erstes Modell. Zu<br />
dieser Zeit stellte das Traktorenwerk jährlich bereits über 4000<br />
Einheiten für die unterschiedlichsten Zwecke her.<br />
Kühler, Hydraulikschläuche, Plastikbehälter: Vom Motor des R3<br />
ist nach Öffnen der langen Kunststoffhaube nicht viel zu sehen;<br />
die Maschinenräume der gleichnamigen Sportwagen sind klar<br />
schöner. Doch auch der Traktor springt mit dem ersten Schlüsseldreh<br />
an und klingt durchaus eindrucksvoll, obgleich es in der<br />
kaum isolierten Kabine etwas leiser sein dürfte. Die souverän<br />
hohe Sitzposition und Rundumsicht passen aber: Die lange<br />
Haube versperrt den Blick nach direkt vorne unten kaum, auch<br />
alle riesigen Räder liegen gut im Blickfeld. Das ist auch gut so,<br />
denn der R3 nimmt fast den ganzen Feldweg ein. Weil die breiten<br />
Räder die Durchfahrt an engen Passagen erschweren, hat<br />
Samuel schmalere Hinterreifen im Format 380/85 R34 montieren<br />
lassen: Sie sind eine 3500 Franken teure Spezialanfertigung der<br />
Schweizer Firma Agro und erlauben eine Vmax von über 42 Stundenkilometern,<br />
was nur wenige Schlepper schaffen. Überholprestige<br />
ist also gegeben «und ich habe jetzt auch einen engeren<br />
Einschlag», freut sich Samuel.<br />
Das Fahren mit dem solide verarbeiteten R3 ist kinderleicht: Einfach<br />
kuppeln, Gang einlegen, los gehtʼs. Weil der Traktor so viele<br />
Rückwärts- wie Vorwärtsgänge hat, kann man mit einem zweiten<br />
Hebel die Fahrtrichtung vorwählen, ohne den eigentlichen<br />
Gang wechseln zu müssen. 40 sind es insgesamt; der integrierte<br />
Kriechgang fährt mit 300 Meter pro Stunde. Ein Leistungsgewicht<br />
von knapp 44 Kilo pro PS klingt auf dem Papier zwar träge, das<br />
ist aber unerheblich – der Lambo macht alles mit seinem Drehmoment,<br />
das einen Anstieg von satten 29% aufweist – bei so<br />
viel Kraft kann auch mal in der vierten Stufe angefahren werden.<br />
Grösste Überraschung: Die Lenkung ist butterweich, dennoch<br />
096 VECTURA #4
präzise und ermöglicht es, den wuchtigen Trekker fast auf der<br />
Stelle zu wenden. Auf dem Acker sorgt der manuell zuschaltbare<br />
4x4-Antrieb für furchenloses Anfahren und spürbar mehr Grip.<br />
Die gross dimensionierten Scheibenbremsen im Ölbad verzögern<br />
sensibel und zuverlässig. Vorsicht ist bei geteerten Bodenwellen<br />
geboten: Tempo raus, sonst hüpft der Lambo (wie jeder Schlepper<br />
ohne Achsfederung), dass dem Kutscher angst und bange<br />
wird: Trekkerfahren ist anspruchsvoll und will gelernt sein. Also<br />
bitte daran denken, liebe Autofahrer, wenn weiter vorne auf der<br />
Landstrasse wieder mal ein Schlepper auftaucht: Schneller geht<br />
es beim besten Willen nicht. Der R3-Fahrer hat unterdessen das<br />
Gefühl, recht flott unterwegs zu sein.<br />
Bei Ferruccio Lamborghini lief es 1971 weniger gut: Mit dem<br />
Supersportwagen Miura war der Traktorenkönig zwar international<br />
berühmt geworden. Gewerkschaftsforderungen und<br />
eine weltweit schwierige Wirtschaftslage brachten sein Imperium<br />
allerdings ins Wanken. Als dann auch noch eine Landwirtschaftskrise<br />
entstand und ein Traktoren-Grossauftrag aus Südamerika<br />
platzte, war Lamborghini gezwungen, sich von einer seiner<br />
Firmen zu trennen. Nüchtern kalkulierend, verkaufte er zuerst<br />
die Automarke (an einen Schweizer), weil das am meisten Geld<br />
brachte. Zermürbt von den ständigen Streiks, veräusserte er<br />
Ende des gleichen Jahres auch sein Traktorenunternehmen an<br />
den nationalen Konkurrenten Same (Società Accomandita Motori<br />
Endotermici) – nicht ohne sich vertraglich eine Prämie pro verkauftes<br />
Exemplar zusichern zu lassen. Die endgültige Übernahme<br />
erfolgte 1974; etwa gleichzeitig zog sich Ferruccio aus der Emilia<br />
zurück, liess sich in Umbrien nieder, stampfte einen 18-Loch-<br />
Golfplatz aus dem Boden und baute rundherum Wein an.<br />
Lambo-Traktoren sind die Exoten im Same-Deutz-Fahr-Portfolio;<br />
pro Jahr werden etwa 6000 Exemplare hergestellt.<br />
In den 80er- und 90er-Jahren gab es sie gar mit Giugiaro-Design<br />
herbst <strong>2012</strong> 097
098 VECTURA #4<br />
COUNTRY STYLE
Schöner arbeiten: Samuel Gehrig und sein R3 Evo 85<br />
herbst <strong>2012</strong> 099
COUNTRY STYLE<br />
Mit dem Lamborghini-Kauf stieg Same zum drittgrössten Traktoren-Produzenten<br />
Europas auf und baute sein Portfolio in<br />
den Folgejahren konsequent aus: 1977 übernahm man auch<br />
den Schweizer Produzenten Hürlimann, der da bereits eng mit<br />
Lamborghini zusammengearbeitet hatte, und im Jahr 1995 das<br />
Kölner Unternehmen Deutz-Fahr, was den heutigen Firmennamen<br />
erklärt. Samuel, bei dem das Auge mitfährt, ist kein<br />
Hürlimann-Fan; auch das aktuelle Frontdesign der Same-Modelle<br />
mag der Hobby-Pilot nicht besonders. Umso glücklicher ist er mit<br />
seinem nagelneuen Lambo, den er demnächst einlösen will. Wer<br />
seine topgepflegten Same-Youngtimer gesehen hat, weiss, dass<br />
er auch den R3 sehr gut behandeln und lange behalten wird.<br />
Überhaupt scheint er auf den Lamborghini-Geschmack gekommen<br />
zu sein und fügt grinsend hinzu: «So ein Aventador täte mir<br />
auch noch gefallen!»<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Lamborghini R3 Evo 85<br />
Konzept<br />
Motor<br />
Einsitziger Allround-Traktor mit diversem Zubehör für verschiedene<br />
Aufgaben, z.B. Mähen, Heuen, Pflügen, Eggen, Ziehen,<br />
Heben, Pflegen. Zapfwellen vorne/hinten (mit vier Drehzahlen<br />
h.), Anschlussmöglichkeiten von Front- und Heckhydraulik,<br />
Frontladervorbereitung<br />
Code TDC <strong>2012</strong> L04 2V. Wassergekühlter Deutz-Reihenvierzylinder-Turbodiesel<br />
(Tier III) mit Grauguss-Zylinderkopf und einer<br />
unten liegenden Nockenwelle. 5fach gelagerte Kurbelwelle,<br />
Zwangsbeatmung, Hochdruck-Einspritzung mit elektronischer<br />
Steuerung, ein Turbolader<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Bodenfreiheit in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder vorne<br />
hinten<br />
Wendekreis in cm<br />
Tankinhalt in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Hubkraft vorne in kg<br />
Hubkraft hinten in kg<br />
Zugkraft hinten in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
Durchschnittsverbrauch pro Stunde<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
4038<br />
101 x 126<br />
34:1<br />
85 (62,5) @ 1950<br />
320 Nm @ 1400–1600<br />
M5 mal 4 = 20<br />
(plus 20 rückwärts)<br />
385/220/256<br />
45<br />
231<br />
160/160<br />
320/85 R24 auf 11 J<br />
420/85 R30 auf 14 J<br />
800*<br />
160<br />
3700<br />
6100<br />
1800<br />
4300<br />
20.000<br />
43,5<br />
38*<br />
6,0<br />
k.A.<br />
Euronorm 3A**<br />
67 440.–<br />
* Serienbereifung<br />
** mit AdBlue: Euro 3B<br />
100 VECTURA #4
Nicht der einzige Boxer, der auf Heckantrieb setzt.<br />
Der neue BRZ ist der 2-türige Sportler, der mit schlagenden<br />
Argumenten überzeugt. Zum Beispiel, dass er ein Subaru ist.<br />
Oder dass er 200 PS hat. Und 2 Liter Hubraum. Dass er mit<br />
seinem SUBARU-BOXER-Motor für einen tiefen Schwerpunkt<br />
und damit bessere Bodenhaftung und mehr Balance sorgt.<br />
Und mit seinem Hinterradantrieb für vollen Fahrspass. Oder<br />
dass er die Wahl zwischen 6-Stufen-Automatik und manuellem<br />
6-Gang-Getriebe lässt. Endgültig zum Sieger nach Punkten<br />
macht ihn sein Preis: ab Fr. 39’800.–.<br />
Energieeffi zienz-Kategorie F, CO 2<br />
181 g/km, Verbrauch gesamt<br />
7,8 l/100 km (man., Fr. 39’800.–). Durchschnitt aller in der<br />
Schweiz verkauften Neuwagenmodelle (markenübergreifend):<br />
159 g/km.<br />
www.subaru.ch<br />
SUBARU Schweiz AG, 5745 Safenwil, Telefon 062 788 89 00. Subaru-Vertreter: rund 200. www.multilease.ch. Unverbindliche Preis emp fehlung netto, inkl. 8% MWSt.<br />
herbst <strong>2012</strong> 101
FahrTERMIN<br />
Mittelklasse<br />
mit Grip-Faktor<br />
Im 40 000-Franken-Segment stellt der Suzuki Kizashi eine erfreuliche<br />
Alternative dar – und kommt wahlweise auch mit Allradantrieb<br />
Text Hubertus Hoslin · Fotos map<br />
Während Hersteller konventioneller Autos den Allradantrieb<br />
für sich entdeckten und in den letzten<br />
Jahren auch den einen oder anderen Softroader<br />
auf den Markt brachten, ging Suzuki den umgekehrten Weg:<br />
Seit 2009 bietet man neben geländegängigen Baureihen und<br />
kleinen Stadtautos auch eine kompakte Mittelklasse-Limousine<br />
namens Kizashi an. Die Modellbezeichnung des Topmodells<br />
ist natürlich japanisch und bedeutet so viel wie «Omen»:<br />
Suzuki ist bereits Weltmarktführer bei den Kleinwagen und hat<br />
allein 2011 rund drei Millionen Autos verkauft. Und auf dem<br />
indischen Subkontinent hält das Gemeinschaftsunternehmen<br />
Maruti Suzuki einen Gesamtmarktanteil von über 50 Prozent.<br />
Mit dem Kizashi streben die Japaner international zu Höherem<br />
– und haben dem stämmig wirkenden Viertürer konsequenterweise<br />
einen Allradantrieb mit auf den Weg gegeben. Die Exotik<br />
des Stufenheckmodells erschliesst sich erst auf den zweiten<br />
Blick. Sei es ein geflochten wirkender Kühlergrill, der Origami-<br />
102 VECTURA #4
artige Fugenverlauf der Stufenheckpartie oder die Integration<br />
der zweiflutigen Auspuffanlage – die äussere Erscheinung<br />
drängt sich nicht auf, schmeichelt mit solchen Details<br />
aber dem Auge. Die rein frontgetriebene Sport-Version weist<br />
zusätzlichen Chromschmuck im Bugbereich, Seitenschweller<br />
und andere Felgen auf. Diese eleganten Zutaten gibt es plus<br />
portabler TomTom-Navigation und weiteren Zutaten auch als<br />
«Indigo»-Paket für den 4x4 – seit Sommer mit einem Preisvorteil<br />
von insgesamt 5800 Franken.<br />
herbst <strong>2012</strong> 103
FahrTERMIN<br />
Der Kizashi ist nicht nur stimmig gemacht, sondern auch funktionell:<br />
Alle Türen verfügen über voll versenkbare Seitenfenster,<br />
was heute leider nicht mehr selbstverständlich ist. Auch öffnen<br />
die Portale weit genug, um einen bequemen Zustieg zu ermöglichen.<br />
Der Kofferraumdeckel gibt ein geräumiges Gepäckabteil<br />
frei, das sich dank umklappbarer Rücksitzlehnen bedarfsweise<br />
erweitern lässt. Das Cockpit präsentiert sich ergonomisch und<br />
ohne Schnickschnack; wie das ganze Auto ist es solide verarbeitet,<br />
dabei selbsterklärend und passt deshalb auf Anhieb.<br />
Der Kizashi glänzt mit einem guten Leistungsgewicht von neun<br />
Kilogramm pro PS. Die Höchstgeschwindigkeit beträgt mindestens<br />
205 km/h, doch bei 120 km/h fühlt sich der Japaner<br />
sehr wohl und ist mit sieben Liter Kraftstoff zufrieden. Zusätzlich<br />
erfreut man sich am energischen Durchzug – vor allem als<br />
110 Kilogramm leichterer «Sport». Kein Wunder, waren solche<br />
Kraftreserven vor noch nicht allzu langer Zeit in der Oberklasse<br />
zuhause. Folglich ist souveränes Fortkommen garantiert, zumal<br />
sich die Maschine akustisch kaum aufdrängt. Kurz: Mit dem<br />
Kizashi ist man überall gut angezogen und die Allrad-Variante bietet<br />
jenen zusätzlichen Grip-Faktor, den man in der kalten Jahreszeit<br />
schnell schätzen lernt.<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Suzuki Kizashi<br />
Konzept<br />
Motor<br />
Kompakte Stufenhecklimousine mit vier Türen und fünf Sitzplätzen;<br />
wahlweise mit Front- (Handschaltung) oder Allradantrieb<br />
(Automat)<br />
Code J24B. Wassergekühlter Reihenvierzylinder-Benziner aus<br />
Aluminium, zwei oben liegende Nockenwellen (Kette/VVT),<br />
fünffach gelagerte Kurbelwelle, Saugrohreinspritzung<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
2393<br />
92 x 90<br />
10:1<br />
178 (131) @ 6500<br />
230 Nm @ 4000<br />
A6 (Sport: M6)<br />
465/182/148<br />
270<br />
156,5/157,5<br />
235/45 R18 auf 8 J<br />
63<br />
460<br />
1605 (Sport: 1495)<br />
2030<br />
9,0<br />
8,8 (Sport: 7,8<br />
205 (Sport: 215)<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
8,3 (Sport: 7,9)<br />
191 (Sport: 183)<br />
F<br />
35 990.–<br />
104 VECTURA #4
BeRge veRsetzen<br />
Der Rexton «Limited Edition» für konkurrenzlose CHF 49 900.–<br />
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herbst <strong>2012</strong> 105
Keimzelle<br />
der Funroader<br />
Die leichte Art, grobes Gelände zu überwinden: Aha-Erlebnisse<br />
im Suzuki LJ80 – mit Rückblick auf einen allerersten Test anno 1979<br />
Text Clauspeter Becker · Fotos Ian G.C. White, map, Werk<br />
106 VECTURA #4
Fahrtermin<br />
Es ist gerade mal vier Jahrzehnte her, da glaubten wir<br />
Europäer, die Marke Suzuki beschränke sich darauf, als<br />
aufstrebender Produzent von sportlichen Motorrädern<br />
die japanischen Konkurrenten herauszufordern. Tatsächlich aber<br />
gab es schon lange einige Produkte von Suzuki, die als zierliche<br />
Geländewagen den Kundenkreis im Land der aufgehenden Sonne<br />
erweiterten. Aber das dämmerte uns Europäern erst gegen<br />
Ende der Siebzigerjahre.<br />
Die Geschichte der schlanken Fastallesüberwinder hatte schon<br />
im April 1968 mit dem Modell Hope Star begonnen. Dieser Urtyp<br />
war von der gleichnamigen Hope Star Company entwickelt und<br />
etwa 100 Mal verkauft worden, bevor Suzuki die Rechte kaufte<br />
und das Auto unter der Modellbezeichnung Jimny weiterentwickelte.<br />
Wie alle seine Nachfolger war der von klassischer Bauart:<br />
Die Kraft des vorn installierten Motors floss über ein Vierganggetriebe<br />
und bei Bedarf auch über eine Reduktion mit einer kurz<br />
übersetzten Geländestufe zum Verteilergetriebe. Dies bot (und<br />
bietet) den Bändigern des kleinen Suzuki die Möglichkeit, auf der<br />
Strasse allein die Hinterräder mit Leistung und Drehmoment zu<br />
verwöhnen und abseits des Asphalts per Reduktion erstaunliche<br />
Klettertouren zu unternehmen – oder im Winter auch den Tiefschnee<br />
souverän zu überwinden, was in der Schweiz ja gelegentlich<br />
vorkommen soll.<br />
Eine sparsame Motorisierung qualifizierte den Jimny als einen<br />
vom japanischen Gesetzgeber begünstigten Kleinwagen, der<br />
aus heutiger Sicht mit einer fossilen Kraftquelle gezügelt wurde.<br />
Ein luftgekühlter Zweitaktmotor mit zwei Zylindern schöpfte aus<br />
359 cm³ sehr gelassene 21 PS (15,4 kW). Schon 1970 folgte der<br />
Suzuki LJ10 mit 25 PS (18,3 kW) und ab 1972 sorgte beim LJ20<br />
eine Wasserkühlung für 28 PS (20,6 kW) bei besserer Laufkultur<br />
und wirksamerer Heizung. 1976 hat das Triebwerk drei Zylinder<br />
und 539 cm³ und ein deutlich wuchtigeres Drehmoment<br />
bekommen, während die Leistung auf 26 PS (19,1 kW) sank;<br />
dieser Jimny nannte sich nun LJ50. Schon 1978 kam der äusserlich<br />
immer noch sehr rustikale LJ80 auf den japanischen und<br />
inzwischen auch australischen Markt, wo die Armee der hauptsächliche<br />
Kunde war. Aber mit vier Zylindern, 797 cm³ Hubraum<br />
und 40 PS (29 kW) war der Bonsai-4x4 nun für einen Weltmarkt<br />
gerüstet, den das Morgengrauen der Geländewagen für jedermann<br />
erreicht hatte.<br />
Höhepunkt einer Weltreise Im Frühjahr 1979 erreichte einige<br />
Motorjournalisten die Einladung zu einer Weltumrundung mit<br />
Suzuki, um neue Motorräder in Japan auf der hauseigenen Teststrecke<br />
zu erleben – und anschliessend vor dem kalifornischen<br />
San Diego mit einem Suzuki-Wetbike kräftig den Stillen Ozean zu<br />
quirlen. Ein alles andere als alltägliches Programm also, doch das<br />
war mir und bald auch einigen Kollegen nicht genug. Wir hatten<br />
vom «Eljot» gehört und wollten diesen im verflossenen Jahrzehnt<br />
für den Export in alle Welt gereiften Geländewagen endlich auf<br />
und abseits der Strasse erfahren. Dem Wunsch, neben dem Gebotenen<br />
auch die Kletterkünste des LJ80 zu erleben, ist man bei<br />
Suzuki gerne nachgekommen. Als wir das Testgelände nahe der<br />
Stadt Hamamatsu erreichen, wartet schon ein hellblauer Testwagen<br />
auf uns.<br />
Kürzer als ein klassischer Mini Der war noch kleiner, als wir<br />
je erwartet hatten – keine 319 Zentimeter kurz, 139,5 cm schlank,<br />
aber mit 184 cm auch so hoch wie ein erwachsener Mann. Ohne<br />
das Reserverad am Heck ist der LJ sogar kürzer als ein Mini<br />
der ersten Generation. Und er ist auch sehr schlicht im Auftreten:<br />
Seine Karosserie zeigt mit kantiger Zweckform, dass sie<br />
jeden Besuch im Windkanal vermieden hat. Das Verdeck strebt<br />
mit seiner winkeligen Gestalt konsequent nach ausreichendem<br />
Wetterschutz, aber kaum nach dezenten Windgeräuschen. Die<br />
frugalen Türen der Standardversion demonstrieren eine revolutionäre<br />
Form von Leichtbau: Sie tragen auf filigranem Rohrgestell<br />
das gleiche robuste Segeltuch wie das Dach. Parallel hatte<br />
Suzuki aber vorgesorgt – und eine etwas besser ausgestattete<br />
«Q»-Version mit Blechtüren und fest stehender Frontscheibe, den<br />
herbst <strong>2012</strong> 107
108 VECTURA #4
Fahrtermin<br />
obligatorischen Kastenwagen mit Blechdach (Zusatzbezeichnung<br />
«V» für Van) und gar einen Pick-up (Modellcode LJ81 K)<br />
in Vorbereitung. Der damals mitreisende Suzuki-Pressesprecher<br />
war schon von der Basisversion des kleinen Kraxlers begeistert:<br />
«Fragen Sie mich nicht, wie viele wir davon in Europa verkaufen<br />
können. Fragen Sie mich lieber, wie viele die Japaner liefern können,<br />
denn darauf kann ich Ihnen klar antworten – zu wenig.»<br />
Der ab 1981 endlich auch nach Europa exportierte Suzuki LJ (in<br />
Deutschland hiess er auch «Jipsy») bestätigte diese Einschätzung,<br />
zumal er mit anfänglich 10 990 Franken ein erschwingliches Vehikel<br />
war. Das Angebot überzeugte sowohl den professionellen Waldarbeiter<br />
als auch Offroad-Fans, denn der LJ ist ein sehr vergnügliches<br />
Vehikel für ganz private Abenteuer jenseits aller befestigten Strassen.<br />
Die entsprechenden Aufgaben will die Keimzelle aller Suzuki-<br />
Allradler dabei noch mit minimalem Aufwand lösen. Hauptsächlich<br />
von Stoff oder turbulentem Fahrtwind umgeben, haben bis zu vier<br />
Personen aufrecht sitzend Platz im Wagen. Wer dagegen mit viel<br />
Gepäck zu einer längeren Reise aufbrechen will, sollte seinen LJ80<br />
als Zweisitzer nutzen.<br />
Egal, ob kurze oder weite Ausflüge geplant sind – in diesem Auto<br />
gilt es, auf eine recht herbe Art gefasst zu sein. Die Sitze sind aus<br />
heutiger Sicht sehr klein, leicht und kaum komfortabel. Der kurze<br />
Radstand von lediglich 193 Zentimeter, die beiden Starrachsen<br />
und vier Blattfeder-Pakete mühen sich zwar, Kastenrahmen und<br />
Karosserie zu bändigen. Ein verantwortungsbewusster Fahrer jedoch<br />
sollte seine Passagiere auf schlechten Strassen und erst<br />
recht im Gelände durch behutsame Gangart schonen.<br />
Wenig Leistung… Der kleine Vierzylinder mit sparsamem<br />
Hubraum, aber immerhin schon mit einer oben liegenden Nockenwelle<br />
erscheint auf dem Papier und aus heutiger Sicht zwar<br />
lächerlich. Doch mit einem Leergewicht von nur 740 Kilogramm<br />
und zulässigen 990 kg waren die Fahrleistungen noch einigermassen<br />
befriedigend damals. Der kleine Suzuki kam seinerzeit in<br />
10,3 Sekunden nicht etwa auf 100, sondern auf 60 km/h. Auch<br />
die gemessene Höchstgeschwindigkeit von 97 km/h wirkt nur<br />
so lange bescheiden, wie man nicht in diesem Auto sitzt. Denn<br />
neben der derben Federung gilt es, auch intensive Windgeräusche<br />
mit oder ohne Flatterdach zu ertragen. Diese Stimme des<br />
Sturms bemüht sich dann redlich, das Motorgeräusch etwas zu<br />
verdrängen, während der gerade damit beschäftigt ist, reichlich<br />
zehn Liter zu verzehren.<br />
…reicht völlig aus Wenn der Suzuki LJ80 die Strasse verlassen<br />
darf, fühlt nicht nur er sich spürbar wohler: Auch ein sensibler<br />
Fahrer merkt sofort, dass er mit diesem Leichtgewicht plötzlich<br />
auf dem rechten Wege ist. Der zugeschaltete Allradantrieb sorgt<br />
in Wald und Flur für eine verblüffend souveräne Traktion, zumal<br />
wenn es steil auf Hügel und Berge geht. Als wir den winzigen<br />
Kletterkünstler zum ersten Mal von grobem Gelände gefordert<br />
erlebten, staunten wir nicht schlecht, wie souverän er extreme<br />
Steigungen und grobe Passagen zu bezwingen vermochte. Verantwortlich<br />
dafür ist eine recht einfache Konstruktion der Kraftübertragung:<br />
Wenn der Antrieb an allen vier Rädern gebraucht<br />
wird, wird im Verteilergetriebe eine starre Verbindung zwischen<br />
den Kardanwellen zu Hinter- und Vorderachse hergestellt. Diese<br />
Lösung garantiert konsequent den Vortrieb auf lockerem<br />
herbst <strong>2012</strong> 109
110 VECTURA #4<br />
FahrTERMIN
oder schlammigem Boden. Auf griffiger Strasse sollte sie dagegen<br />
nicht zum Einsatz kommen, weil es dort bei Richtungsänderungen<br />
Verspannungen im Antriebsstrang gibt, die das Fahrverhalten<br />
riskant beeinflussen – vor allem in engen Kurven. Nur bei<br />
tiefem Schnee kann der schlicht 4x4 genannte Antrieb auch auf<br />
gefestigten Wegen kurz die Traktion sichern.<br />
Genial einfach Das mit eigenem Schalthebel gerüstete Reduktionsgetriebe,<br />
welches bei Bedarf die Übersetzung um den<br />
Faktor 2,1 verkürzt, erlaubt es dem heute noch beeindruckenden<br />
Suzuki, trotz massvoller Motorleistung Gebirgspfade mit enormen<br />
Steigungen zu bewältigen. Alle vier Gänge sind in dieser<br />
Konfiguration zwischen null und 50 km/h verfügbar, und so wird<br />
es möglich, auf groben Pfaden immer die optimale Untersetzung<br />
zu finden. Ebenso problemlos lässt sich mit einem der vier kurzen<br />
Gänge im kritischen Gelände betont langsam fahren, ohne stecken<br />
zu bleiben oder gar das Auto zu beschädigen.<br />
Sehr hilfreich ist neben der angeborenen Kletterkunst und dem<br />
geringen Gewicht auch das zierliche Format, denn damit lassen<br />
sich eben auch enge Passagen passieren, die es im Gelände<br />
nun mal gibt. Auf Italiens hochalpinen Schotterpisten, die einst<br />
mühevoll für den Grenzschutz angelegt wurden, ist der mit knapp<br />
1,40 Meter sehr schlanke Japaner seinem amerikanischen und<br />
220 cm breiten Kollegen namens Hummer 1 am Rande des Abgrunds<br />
klar überlegen.<br />
Bei der Bändigung des kleinen Klettermaxes muss der an zivile<br />
Automobile gewöhnte Fahrer jedoch einige Eigenarten tolerieren:<br />
Die Kugelumlauflenkung verzichtet aus Kostengründen auf jede<br />
Art von Unterstützung. Damit der Fahrer auch selbst im schweren<br />
Gelände den gewünschten Kurs korrekt bestimmen kann, ist<br />
die Übersetzung extrem indirekt. Die Zügelung des LJ80 auf der<br />
Strasse wird so zu einer regen, aber ziemlich gefühllosen Kurbelei.<br />
Und auch die allenthalben notwendige Verzögerung erfordert<br />
eine weitsichtige Fahrweise, denn den vier (immerhin hydraulischen)<br />
Trommelbremsen gelingt es kaum, den Suzuki energisch,<br />
geschweige denn kursstabil zu verzögern.<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Suzuki LJ80 4x4<br />
Konzept Leichter Offroader für schweres Gelände. Leiterrahmen,<br />
Blechkarosserie. Zwei Blechtüren (Q-Version), zwei Sitzplätze<br />
(Rückbank optional), wahlweise offen (Softtop), mit Pritsche<br />
oder als geschlossener Kastenwagen (Zusatzbezeichnung<br />
«V» für Van). Starrachsen, Hinterradantrieb, zuschaltbare Vorderräder,<br />
Reduktionsgetriebe, aber kein Differential<br />
Motor<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
Durchschnittsverbrauch in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
* «Q»-Version<br />
Code F8A. Wassergekühlter Reihenvierzylinder-Benziner mit<br />
Leichtmetall-Zylinderkopf und einer oben liegenden Nockenwelle.<br />
Fünffach gelagerte Kurbelwelle, Einfach-Vergaser<br />
(Mikuni 32 PHD)<br />
797<br />
62 x 66<br />
8,7:1<br />
41 (30) @ 5500<br />
60 Nm @ 3500<br />
M4<br />
318,5/139,5/168,5<br />
193<br />
119/120<br />
195 SR 15 auf 5,5 J<br />
40<br />
k.A. (bauartbedingt)<br />
ab 800*<br />
1140*<br />
19,5*<br />
k.A.<br />
100<br />
8,5<br />
k.A.<br />
–<br />
10 990.– (1981)<br />
Leider selten Der hiesige Verkauf des LJ80 begann im Frühjahr<br />
1981 und damit ein knappes Jahr nach Gründung der Suzuki<br />
Automobile AG. Bis 1985 wurden noch die Restbestände und<br />
insgesamt über 2500 Exemplare verkauft; die meisten hat der<br />
Rost dahingerafft – das war die Achillesferse des Eljot und Korrosionsschutz<br />
seinerzeit ein Fremdwort. Schon 1981 präsentierte<br />
Suzuki einen komplett neuen Nachfolger, den SJ410. Er trug eine<br />
weniger rustikale Karosserie, die jetzt etwas grösser und geräumiger<br />
ausfiel. Neben der nun offiziell mit dem Namen Roadster<br />
verwöhnten Stoffdach-Variante gibt es wieder eine geschlossene<br />
Version, die diesmal «Station Wagon» hiess. Weil den SJ das<br />
Wachstum etwas schwerer gemacht hatte, wog er als Roadster<br />
leer 840 kg und als Station Wagon 880 kg. Zum Ausgleich vergrösserten<br />
die Techniker den Hubraum des Vierzylinders dezent<br />
auf 970 cm³ und hoben die Leistung sanft auf 45 PS (33 kW) an.<br />
Der letzte LJ80 lief dagegen schon 1982 vom Fliessband; über<br />
90 000 Einheiten wurden exportiert; über Japan-Zahlen schweigt<br />
sich Suzuki aus. Fortan gehörte dem SJ der Weltmarkt, den er<br />
mit Vielfalt bediente: Auch Varianten mit verlängertem Radstand<br />
sollte es geben; ebenso wuchsen Hub und Bohrung des Vierzylinders,<br />
der es ab Herbst 1994 auf 1325 cm³ und 64 PS brachte.<br />
herbst <strong>2012</strong> 111
112 VECTURA #4<br />
FahrTERMIN
Wenn der Suzuki LJ80 die Strasse verlassen darf, fühlt nicht nur<br />
er sich spürbar wohler: Auch ein sensibler Fahrer merkt sofort, dass er<br />
mit diesem Leichtgewicht plötzlich auf dem rechten Wege ist<br />
Die SJ-Serie wurde knapp 1,3 Millionen Mal gebaut. In Australien<br />
gab es sie als Holden Drover, auf manchen anderen Märkten<br />
nannte man sie Samurai oder Widetread. Das Modell wurde in<br />
der Schweiz bis 1991 angeboten (insgesamt über 14 000 verkaufte<br />
Exemplare) und hielt sich in manchen Ländern sogar noch<br />
bis 2008 im Angebot, obwohl sein legitimer Erbe Jimny – so hiess<br />
auf einigen Weltmärkten ja schon der LJ – bereits 1998 angetreten<br />
war.<br />
Im Sommer 1984 erweiterte Suzuki das Geländewagenprogramm<br />
mit den Modellen Escudo und Vitara. Deren Karosserien<br />
kamen nicht mehr kernig, sondern gutbürgerlich geglättet und<br />
damit verwechselbarer daher – die Anzahl der Konkurrenten hatte<br />
sich multipliziert. Ergo sind auch die Geländewagen von Vorreiter<br />
Suzuki konsequent perfekter, grösser und teurer geworden,<br />
was auch seine Reize hat. Und der auf dem Pariser Salon vorgestellte<br />
Concept S-Cross zeigt, wie sich die Japaner ihren (wahlweise<br />
allradgetriebenen) SX4-Nachfolger vorstellen, der schon im<br />
Herbst 2013 lanciert wird.<br />
Heute teurer als neu Wer jedoch einen schlichten Offroader<br />
sucht, mit dem er ohne Filter unterwegs sein und noch das ganze<br />
elektronikfreie Autofahren spüren kann, der muss sich heute<br />
nach einem gut erhaltenen Suzuki LJ oder SJ umschauen. Beide<br />
werden relativ selten angeboten – in der Schweiz ist der Eljot-<br />
Bestand gar auf wenige Dutzend geschrumpft – und sind mittlerweile<br />
auch nicht mehr ganz billig: Die im Internet angebotenen<br />
Fahrzeuge sind meist mangelhaft. Der Marktwert der hier gezeigten<br />
perfekt restaurierten Q-Version (fest stehende Frontscheibe<br />
und Türen) aus dem Museum des Importeurs liegt dagegen weit<br />
über dem damaligen Neupreis – aber auch weit unter dem moderner<br />
4x4-Modelle. Interessenten können sich den Anruf in Safenwil<br />
jetzt trotzdem sparen: Das Auto ist unverkäuflich.<br />
herbst <strong>2012</strong> 113
RUBRIKEN<br />
Grand Vitara, reloaded<br />
Suzuki lanciert diesen Herbst das überarbeitete 4x4-Topmodell<br />
Text Hubertus Hoslin · Fotos Werk<br />
Vor 25 Jahren präsentierte der japanische Hersteller den<br />
Vitara oberhalb des rustikalen SJ. Die neue Baureihe<br />
kam zunächst als Dreitürer mit 1,6-L-Benzinmotor sowie<br />
manuell zuschaltbarem Allradantrieb und hat seither regelmässig<br />
Verbesserungen erfahren. 1991 gesellte sich dann eine<br />
fünftürige Variante mit längerem Radstand hinzu, womit auch<br />
dem Kundenwunsch nach mehr Platz entsprochen wurde, bevor<br />
1998 der ebenfalls fünftürige Grand Vitara debütierte und den<br />
Vitara nominell ablöste. Dem «Grand» zur Seite stand ab 1999<br />
auch ein verkürzter Dreitürer, der wahlweise mit Stoff- oder Stahldach<br />
angeboten wurde und über einen neuen Zweiliter-Vierzylinder<br />
mit nunmehr 128 PS verfügte. Ein Jahr später folgte das Diesel-Modell<br />
und 2001 der vorrangig für den nordamerikanischen<br />
Markt bestimmte, mit 4,7 Meter besonders lange XL7, dessen<br />
2,7-L-V6-Benziner aus Leichtmetall stattliche 173 PS abgab. Zu<br />
diesem Zeitpunkt waren bereits über zwei Millionen Vitara/Grand<br />
Vitara-Exemplare von den Bändern gelaufen, was die Baureihe<br />
zum bisher erfolgreichsten Suzuki-4x4 machte.<br />
2005 war es dann Zeit für ein komplett neues Modell: Die zweite<br />
Grand-Vitara-Generation kam mit einem in die Stahlkarosserie<br />
integrierten Leiterrahmen, permanentem Allradantrieb sowie<br />
elektronisch zuschaltbarem Mittendifferential plus Geländereduktion<br />
– womit auch klar war, dass es sich nach wie vor um ein<br />
voll offroad-taugliches Fahrzeug handelte. Gleichzeitig sorgten<br />
Einzelradaufhängungen rundum ab sofort für eine bessere Strassenlage,<br />
während Optionen wie Xenonlicht oder Lederpolster<br />
den Fahrkomfort erhöhten. Eine speziell präparierte und über<br />
1000 (!) PS starke Rennversion des XL7 gewann 2006 und 2007<br />
das legendäre Pikes-Peak-Bergrennen in Colorado/USA, was<br />
den Absatz weiter beflügelte. 2008 gab es ein sanftes Facelift<br />
und 2011 entfiel im Serienmodell der 3.2 V6; seither kommen<br />
nur noch leichtere, emissionsärmere Vierzylinder-Aggregate<br />
zum Einsatz.<br />
In der Schweiz erfreut sich die Baureihe nach wie vor grosser<br />
Popularität; knapp 6500 Einheiten sind hier in den letzten acht<br />
114 VECTURA #4
modellpflege<br />
Modellpflege<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Suzuki Grand Vitara 2.4 I VVT<br />
Konzept Kompakter Geländewagen mit fünf Türen und Sitzplätzen<br />
(wahlweise viersitziger Dreitürer), Stahlkarosserie mit integriertem<br />
Rahmen. Permanenter Allradantrieb, zuschaltbares<br />
Reduktionsgetriebe<br />
Motor<br />
Code J24B. Wassergekühlter Reihenvierzylinder-Benziner aus<br />
Aluminium, vorne längs eingebaut. Zwei oben liegenden<br />
Nockenwellen (Kette, VVT), fünffach gelagerte Kurbelwelle,<br />
Saugrohreinspritzung<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
2393<br />
92 x 90<br />
10:1<br />
169 (124) @ 6000<br />
227 Nm @ 3800<br />
M5 (Option: A4)<br />
Jahren zugelassen worden. Ende August wurde auf der Moskau<br />
Motor Show ein optisch überarbeiteter Grand Vitara vorgestellt,<br />
der ab Mitte September auch bei hiesigen Händlern steht: Neben<br />
einem Kühlergrill mit nun horizontalen Streben sorgen neue<br />
Alufelgen und Stoffsitzbezüge für ein frisches Erscheinungsbild.<br />
Nach wie vor gibt es Drei- und Fünftürer; die Preise starten bei<br />
attraktiven 28 990 Franken. Der Grand Vitara Jahrgang 2013 wird<br />
entweder von einem 2,4-L-Benziner oder einem 1,9-L-Turbodiesel<br />
angetrieben. Die Kraftübertragung erfolgt manuell oder per Automat<br />
(Option beim Benziner). Zum Serienumfang gehören Sitzheizung,<br />
Klimaautomatik, schlüsselloses Zugangs- und Startsystem,<br />
ESP, Nebelscheinwerfer oder Alufelgen. Kurz: Mit seiner Ausstattung<br />
bleibt der Grand Vitara ein konkurrenzloses Angebot, wenn<br />
man ein preiswertes Allround-Fahrzeug sucht, das nicht nur nach<br />
Gelände aussieht, sondern auch Gelände kann.<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
430*/181/169,5<br />
264<br />
154/157<br />
205/55 R 16 V auf 6,5 J<br />
66<br />
400–760<br />
1640<br />
2100<br />
9,7<br />
11,7<br />
185<br />
8,8<br />
204<br />
G<br />
34 990.–<br />
* ohne Reserverad am Heck<br />
** Gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
herbst <strong>2012</strong> 115
ennsport<br />
Die lange Suche<br />
nach dem Vorteil<br />
Gegeben hat es sie bloss als Einzelstücke, denn die Monoposto mit Allradantrieb<br />
haben nie richtig Fuss gefasst. Ende 60er-Jahre sah man sie in Indianapolis<br />
und kurz auch in der Formel 1, bevor sie endgültig verschwanden.<br />
Einen wahren Triumphzug erlebte die Technik hingegen im Rallyesport<br />
Text Adriano Cimarosti · Fotos Collection Fanna, Cellection W. Oude-Weernink, Werk<br />
Klausenrennen 1932: Achille Varzi auf Bugatti Typ 53 mit Vierradantrieb<br />
116 VECTURA #4
Der in Holland gebaute Spyker 60 HP erschien schon 1903<br />
und ist deshalb der erste Rennwagen mit Allradantrieb<br />
Wer in den 70er-Jahren von Allradautos sprach, dachte<br />
vorrangig an militärisch genutzte Geländewagen und<br />
Nutzfahrzeuge. In Serie produzierte 4x4-Personenwagen<br />
waren dagegen Exoten; der erste war der von 1966 bis 1971<br />
in nur 320 Exemplaren gebaute Jensen FF mit Allradtechnik der<br />
Ferguson Research in Coventry. In den Staaten gab es die Jeeps<br />
und in Europa den Range Rover oder das Mercedes G-Modell,<br />
doch erst in den 90er-Jahren erfuhren die SUV (Sport Utility<br />
Vehicle) eine nennenswerte Verbreitung. Wuchtig in ihrer Erscheinung<br />
und mit grossvolumigen Motoren ausgestattet, sind diese<br />
Potenz und sogar Prestige ausstrahlenden Allradler der Luxusklasse<br />
bis heute ein Statussymbol.<br />
Im Rallyesport erfolgte die Ouvertüre des Allradzeitalters anlässlich<br />
der Jänner Rallye in Österreich vom Januar 1981 mit dem erfolgreichen<br />
Auftritt des damals neuen Audi Quattro, der alles veränderte:<br />
Seit 1983 hat kein rein heckgetriebenes Auto mehr eine Rallye-WM<br />
gewonnen, doch das ist eine eigene Geschichte wert.<br />
Die Urzeit Bleiben wir also auf Asphalt. Das erste allradgetriebene<br />
Automobil, bei dem es sich zugleich um einen Rennwagen handelte,<br />
war der 1903 entstandene Spyker 60 H.P. der beiden niederländischen<br />
Brüder Jacobus und Hendrik-Jan Spijker aus Amsterdam.<br />
Ungewöhnlich war dabei auch die Tatsache, dass es sich um einen<br />
Sechszylinder mit über acht Liter Hubraum handelte (damals gab<br />
es praktisch nur Vierzylindermotoren); ausserdem wies das Auto<br />
Bremsen an allen vier Rädern auf. Mit diesem Fahrzeug gewann<br />
Jacobus Spijker 1906 ein Bergrennen bei Birmingham.<br />
Knapp drei Jahrzehnte nach dem 60 H.P. baute Ettore Bugatti im<br />
elsässischen Molsheim einen allradgetriebenen Rennwagen: Der<br />
Typ 53 mit aufgeladenem 4,8-Liter-Achtzylindermotor kam 1932,<br />
1933 und 1934 bei einigen Bergrennen zum Einsatz und wurde<br />
dabei von Achille Varzi, Louis Chiron (beide am Klausen), Jean Bugatti,<br />
Robert Benoist und René Dreyfus pilotiert, wobei nur Letzterem,<br />
beim Bergrennen von La Turbie 1934 in Südfrankreich,<br />
ein Tagessieg gelang. In jener Zeit machte auch ein Miller 4x4<br />
herbst <strong>2012</strong> 117
ennsport<br />
Im Pat Clancy Special trat Fahrer Jackie Holmes mit vier<br />
angetriebenen Hinterrädern an, schied in Indianapolis jedoch aus<br />
mit Fünflitermotor bei Einsätzen in Indianapolis von sich reden.<br />
Beim Lotterierennen von Tripolis 1933 holte Peter De Paolo, der<br />
Indianapolis-Sieger von 1925, auf dem Miller-Achtzylinder den<br />
sechsten Platz. Bei den Indy 500 traten die allradgetriebenen und<br />
vom deutschstämmigen Harry Miller gebauten Renner sogar bis<br />
1948 in Erscheinung. Dort ging 1949 auch ein dreiachsiger Rennwagen<br />
an den Start – mit vier angetriebenen Hinterrädern an zwei<br />
Achsen sowie «normalen» Vorderrädern. Dieser Pat Clancy Special<br />
mit Curtis-Chassis und vorne eingebautem Offenhauser-4,5-L-<br />
Vierzylinder-Saugmotor wurde von Jackie Holmes gefahren, fiel<br />
nach 66 Runden aber mit einer schadhaften Antriebswelle aus.<br />
Etwa gleichzeitig machte in der GP-Klasse eine neue und fortschrittliche<br />
Konstruktion von sich reden – der im Auftrag der kleinen<br />
Turiner Marke Cisitalia bei Porsche in Stuttgart und Gmünd<br />
(Steiermark) konstruierte 4x4-Cisitalia 360. Dieses Modell wurde<br />
von einem vor der Hinterachse eingebauten flachen 1,5-L-<br />
Zwölfzylinder-Kompressor angetrieben. Cisitalia geriet jedoch in<br />
finanzielle Schwierigkeiten, so dass der Tipo 360 nie ein Rennen<br />
bestritt. Einzig in Argentinien, wohin sich Cisitalia-Gründer Piero<br />
Dusio zurückgezogen hatte, stellte der Allradler Anfang der 50er-<br />
Jahre einen nationalen Geschwindigkeitsrekord auf. Heute steht<br />
der Einsitzer im Porsche-Werksmuseum von Stuttgart.<br />
118 VECTURA #4
Der von Porsche-Ingenieuren konstruierte Cisitalia 360<br />
wurde von einem flachen 1,5-Liter-Zwölfzylindermotor mit<br />
Aufladung angetrieben, der seine Leistung auf alle vier<br />
Räder abgab. Rennen bestritt das Auto allerdings nie<br />
1954 dachte auch Alfa Romeo daran, einen 4x4-Rennwagen<br />
mit Zwölfzylindermotor sowie hinter der Hinterachse<br />
sitzendem Fahrer zu bauen. Es kam nicht dazu<br />
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120 VECTURA #4<br />
rennsport
Peter Westbury auf dem BRM P67 mit Ferguson-Vierradantrieb<br />
anlässlich des Bergrennens Ollon-Villars 1964<br />
herbst <strong>2012</strong> 121
ennsport<br />
Eine skurrile, für Indianapolis gedachte Konstruktion .<br />
von 1966: Porsche-Dealer Stein aus Kalifornien baute .<br />
einen Wagen mit je einem 911-Motor vorne und .<br />
hinten (siehe rechts). Jeder Sechszylinder trieb eine Achse an, .<br />
aber es war unmöglich, beide zu synchronisieren .<br />
4x4-Renaissance mit Ferguson Auch bei Alfa Romeo in Italien<br />
liebäugelte man mit dem Projekt eines 4x4-Monopostos für die<br />
1954 in Kraft getretene 2,5-Liter-Grand-Prix-Formel. Das Vorhaben<br />
wurde jedoch erst anderthalb Jahrzehnte später publik, nachdem<br />
Graf Giovanni Lurani im Werkarchiv auf entsprechende Unterlagen<br />
gestossen war. Und herausfand, dass man in Mailand ein total unkonventionelles<br />
Fahrzeug mit 180°-Zwölfzylinder-Frontmotor skizziert<br />
hatte. Besonders ungewöhnlich war die Position des Fahrers,<br />
der im Heck noch hinter der Hinterachse hätte sitzen müssen. Die<br />
Sache blieb jedoch auf dem Papier – umso verständlicher, als das<br />
zu erwartende Fahrverhalten kritische Fragen aufwarf.<br />
Indianapolis 1966: Jack Fairman führt STP-Boss<br />
Andy Granatelli den Ferguson P99 mit Vierradantrieb vor<br />
Bis 1961 wurde es bezüglich 4x4-Konstruktionen in Rennfahrzeugen<br />
wieder ruhig, bis dann im Sommer desselben Jahres<br />
plötzlich der Ferguson P99 mit Coventry-Climax-Vierzylindermotor<br />
auftauchte, gebaut nach der damaligen 1,5-Liter-Formel.<br />
Der erste Auftritt erfolgte anlässlich des Grand Prix von England<br />
vom 15. Juli in Aintree: Gemeldet wurde der Ferguson vom<br />
RRC Walker Team mit Jack Fairman als Fahrer. Bei Ferguson<br />
Research war das Projekt unter der Leitung des ehemaligen<br />
Rennfahrers und Le-Mans-Siegers Tony Rolt entstanden; Harry<br />
Ferguson selbst war 1960 überraschend gestorben. Der P99<br />
wies einen Rohrrahmen mit vorne liegendem Motor auf, die<br />
Ferguson-Kraftübertragung mit zentralem Differential war nach<br />
links versetzt, so dass der Fahrer tief sitzen konnte. Die Scheibenbremsen<br />
wiesen ein Maxaret-Antiblockiersystem auf. Im total<br />
verregneten Rennen von Aintree beeindruckte der Ferguson<br />
durch seine Strassenlage. Später wollte der ausgeschiedene<br />
Stirling Moss das Rennen mit dem P99 seines Teamkollegen<br />
Fairman zu Ende fahren, doch es kam zur Disqualifikation, weil<br />
man das Auto anschob. Immerhin schaffte Moss später mit<br />
dem P99 doch noch einen Formel-1-Erfolg – anlässlich des<br />
wiederum verregneten Gold-Cup-Rennens von Oulton Park.<br />
Das Ferguson-Projekt barg aber auch einen gewissen Nachteil:<br />
Die Frontmotorkonstruktion war entstanden, als alle anderen<br />
Formel-1-Teams bereits auf Mittelmotorbauweise umgestellt<br />
hatten. Folglich wurde auf die Weiterentwicklung dieses interessanten<br />
Projektes verzichtet, allerdings kam der P99 bis 1964<br />
bei einigen Bergrennen mit Peter Westbury und sogar mit Jo<br />
Bonnier (Tagessieger 1963 in Ollon–Villars) zum Einsatz. Man<br />
setzte den Allradler auch bei einigen Läufen der Tasman-Serie<br />
in Neuseeland oder Australien ein (2,5-L-Coventry-Climax-<br />
Motor), und zwar mit Innes Ireland und Graham Hill. 1964 wurde<br />
Peter Westbury damit sogar Britischer Bergmeister.<br />
Weitere 4x4-Anläufe sollten folgen: Beim Training zum Grossen<br />
Preis von England 1964 in Brands Hatch drehte Richard Attwood<br />
auf einem BRM P67 mit Ferguson-Vierradantrieb einige Proberunden.<br />
Gebaut hatte den Wagen Mike Pilbeam, welchem BRM das<br />
P56-Chassis von 1961 zur Verfügung gestellt hatte. Angetrieben<br />
wurde das Fahrzeug von einem BRM-1,5-L-V8. Einige Jahre danach<br />
trat der P67 mit einem BRM-2,1-L-Triebwerk in Erscheinung,<br />
wobei Peter Westbury damit auch das Bergrennen Ollon–Villars<br />
bestritt. Auf dem BRM 4x4 gewann Peter Lawson 1968 die englische<br />
Bergmeisterschaft.<br />
122 VECTURA #4
herbst <strong>2012</strong> 123
ennsport<br />
1967 hat Parnelli Jones den Indy-Sieg im STP-Paxton mit .<br />
Pratt & Whittney-Gasturbine und Vierradantrieb nur kapp verpasst. .<br />
Als Leader schied er vier Runden vor dem Ziel .<br />
mit Getriebeschaden aus .<br />
Und wieder nach Indy Die 500 Meilen von Indianapolis erlebten<br />
1964 und 1965 den Auftritt von Bobby Unser auf dem «STP<br />
Gas Treatment» getauften und von der STP Division Studebaker<br />
gemeldeten Frontmotorrennwagen mit aufgeladenem Novi-V8-<br />
Triebwerk mit 740 PS Leistung – und einem Ferguson-Allradantrieb.<br />
STP-Boss Andy Granatelli hatte sich vorerst anlässlich einer<br />
Probefahrt Jack Fairmans in Indianapolis auf dem Ferguson P99<br />
mit dem 2,5-L-Motor vom 4x4-Konzept überzeugen lassen. Von<br />
Ferguson in Coventry stammte auch das Chassis mit Monocoque-<br />
Mittelpartie. Der «Novi P104» getaufte Bolide entstand in nur fünf<br />
Monaten. Beim ersten Indy-Einsatz krachte Bobby Unser schon in<br />
der ersten Runde gegen die Mauer, im folgenden Jahr schied er<br />
nach 69 Runden mit einem Ölleitungsproblem aus, nachdem er<br />
sich für den achten Startplatz qualifiziert hatte.<br />
Im Hinblick auf das 500-Meilen-Rennen 1967 bereitete STP in<br />
seinem kalifornischen Workshop von Santa Monica den nächsten<br />
Coup vor – einen Turbinenwagen mit modifiziertem Ferguson-<br />
Vierradantrieb. Die Gasturbine stammte von Pratt & Whitney aus<br />
Montreal/Kanada, leistete 500 PS und verbreitete das Geräusch<br />
eines überdimensionalen Staubsaugers. Noch sahen die USAC-<br />
Vorschriften keinerlei Limiten für solche Triebwerke vor. Das Monocoque<br />
war unterdessen als Doppelgabel ausgebildet: Links wurde<br />
die Gasturbine dickbäuchig angebaut, rechts sass der Fahrer und<br />
hinter seinem Rücken befand sich das Zentraldifferential. Pilotiert<br />
wurde der mit Kerosin gespeiste revolutionäre Monoposto vom<br />
kalifornischen Ford- und Firestone-Dealer Parnelli Jones, der das<br />
Turbinenauto auf die sechste Startposition stellte. Im Rennen lag er<br />
bis vier Runden vor Schluss in Führung, doch in der 196. Runde<br />
versagte das Getriebe. Immerhin vermochte Jones seinen sechsten<br />
Startplatz ins Ziel zu retten.<br />
124 VECTURA #4
herbst <strong>2012</strong> 125
ennsport<br />
Joe Leonard mit dem Lotus 56 mit Pratt & Whittney-Gasturbine und Vierradantrieb<br />
1968 in Indianapolis. Gleich drei 56er wurden eingesetzt, doch keiner sah das Ziel<br />
Anordnung des Ferguson-Vierradantriebs im Lotus 56<br />
Auch Lotus und Lola Das vielversprechende Abschneiden war<br />
dem innovationsfreudigen wie rennsportbesessenen Lotus-Boss<br />
Colin Chapman nicht verborgen geblieben: Im Hinblick auf die<br />
500 Meilen von 1968 verabredete er mit STP-Chef Granatelli den<br />
Bau eines allradgetriebenen Lotus-Turbinenwagens. Unter der Leitung<br />
von Lotus-Konstrukteur Maurice Philippe entstand im englischen<br />
Norwich eine keilförmige Monocoque-Konstruktion mit der<br />
Typenbezeichnung Lotus 56. Mittlerweile gab es neue Vorschriften<br />
für das Ansaugsystem von Gasturbinen, was die Leistung des<br />
Pratt & Whitney-Aggregats mit seinen 450 PS leicht einschränkte.<br />
In Indianapolis wurden dann nicht weniger als drei Lotus 56 von<br />
Graham Hill (Indy-Sieger 1966 auf Lola-Ford), Joe Leonard und Art<br />
Pollard gefahren. Ursprünglich wären auch Jim Clark (Indy-Sieger<br />
1965) und Mike Spence für diesen Einsatz mit den Lotus-Keilen<br />
vorgesehen gewesen, aber wenige Wochen vor dem grossen<br />
Rennen kamen Clark in Hockenheim und Spence bei den Qualifikationen<br />
in Indianapolis jeweils durch Unfall ums Leben. Die drei<br />
Lotus 56 schieden übrigens alle aus: Hill nach 110 Runden wegen<br />
einer Kollision, Art Pollard nach 188 Runden mit Problemen<br />
in der Treibstoffzufuhr und Pole-Position-Halter Joe Leonard nach<br />
191 Runden mit einem ähnlichen technischen Defekt.<br />
Graham Hill testet den Lotus-Turbinenwagen in Silverstone<br />
1968 setzte der britische Rennstall Lola ebenfalls einen allradgetriebenen<br />
Rennwagen in Indianapolis ein – den T150 mit aufgeladenem<br />
2,6-L-V8-Motor von Ford. Mit diesem Fahrzeug, das die<br />
Farben von Retzloff Chemical vertrat, krachte Al Unser, Bruder von<br />
Bobby, in der 40. Runde in die Leitplanken und fiel aus.<br />
126 VECTURA #4
1968, Präsentation des Lotus 56 in Indianapolis:<br />
von links Andy Granatelli, Jim Clark, Parnelli Jones,<br />
R. McCrary (Firestone) und Colin Chapman<br />
herbst <strong>2012</strong> 127
ennsport<br />
Mario Andretti auf Lotus 64 mit Ford-V8<br />
und Allradantrieb bei Tests 1969 in Indianapolis.<br />
Infolge technischer Probleme wurden die drei<br />
eingesetzten Lotus zurückgezogen<br />
128 VECTURA #4
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ennsport<br />
RUBRIKEN<br />
Der Schweizer Ingenieur Jo Marquart zeichnete für den<br />
vierradgetriebenen McLaren M9A-Cosworth verantwortlich<br />
Nach den gescheiterten Versuchen mit Turbinenwagen und neuen<br />
Vorschriften, welche diese Aggregate praktisch ausschlossen,<br />
entstand bei Lotus im Hinblick auf das 1969er Indy 500 der<br />
Typ 64, welcher wiederum die Farben von STP vertrat. Als Antriebsquelle<br />
diente ein Ford-V8 mit doppelten Nockenwellen und<br />
Turbolader, der bei einem Hubraum von gerade mal 2605 cm 3 an<br />
die 700 PS abgab. Beim Allradantrieb handelte es sich diesmal<br />
um eine von Lotus in Zusammenarbeit mit Hewland entwickelte<br />
Lösung. Als Fahrer waren Graham Hill, Mario Andretti und Jochen<br />
Rindt vorgesehen, aber bei Tests in Indianapolis erhitzten sich die<br />
Radlager und Andretti sowie auch Rindt kollidierten mit der Mauer.<br />
Die Zeit für Änderungen war zu knapp, so dass die drei Lotus 64<br />
zurückgezogen wurden. Mario Andretti stieg kurzerhand auf den<br />
konventionellen und vom Amerikaner Clint Brawner konstruierten<br />
Hawk-Ford V8 um und gewann. Für dieses Rennen hatte man<br />
in den USA auch einen keilförmigen Rennwagen mit Plymouth-<br />
Stossstangenmotor von 5,2 Liter Inhalt und Allradantrieb vorbereitet,<br />
aber sein Fahrer Art Pollard verpasste die Qualifikation. Zwei<br />
Lola T 152 mit Offenhauser-Vierzylinder und Vierradantrieb schafften<br />
hingegen schöne Resultate, indem Bobby Unser den dritten<br />
und Mark Donohue den siebenten Platz belegte.<br />
4x4-Welle in der Formel 1 Mittlerweile hatte der Allrad-Trend<br />
auch die Königsklasse erreicht. 1969 gab es zum Ersten die<br />
Konstruktion des Motorenherstellers Cosworth in Northampton,<br />
welche ursprünglich als Ford-Wagen gedacht war. Die geistigen<br />
Väter dieses kantigen, «Cosworth 4WD F1» getauften Rennwagens<br />
mit keilförmiger Front und seitlich hervorstehenden Tanks waren<br />
Keith Duckworth, Mike Costin und Robin Herd; der Vierradantrieb<br />
stammte von Cosworth. Schalt- und Transfergetriebe lagen hinter<br />
dem Fahrer, dessen Cockpit leicht nach links versetzt war. Selbstverständlich<br />
diente der damals topaktuelle Cosworth-DFV-Dreiliter-V8<br />
als Kraftquelle, doch das Auto verschwand nach einigen<br />
privaten Probefahrten wieder in der Versenkung und wurde bei<br />
keinem einzigen Rennen eingesetzt. Im Verlaufe der Saison 1969<br />
tauchten auch allradgetriebene Modelle von Lotus, McLaren und<br />
Matra auf.<br />
Angesichts dieser Allrad-Euphorie wollte Ferrari nicht untätig zuschauen<br />
und für den Bedarfsfall gewappnet sein. Für einige Monate<br />
wurde nun Ing. Mauro Forghieri, der Chef der Rennabteilung, in<br />
ein separates Konstruktionsbüro ausserhalb des Werkes abkommandiert,<br />
wo er sich mit dem Allradantrieb befasste. Es entstand<br />
auch ein Ferrari-4x4-Sportwagen, der jedoch nie offiziell präsentiert<br />
wurde. Ein entsprechendes Formel-1-Modell wäre sicher interessant<br />
gewesen, doch insgesamt kristallisierte sich in der F1-<br />
Szene die Erkenntnis heraus, dass derartige 4x4-Konstruktionen<br />
nicht konkurrenzfähig waren.<br />
Vor- und Nachteile Zwar bot der Vierradantrieb einige Vorzüge<br />
wie eine bessere Beschleunigung, vor allem aus besonders<br />
langsamen Kehren heraus – doch Kurventempi unterhalb von<br />
130 VECTURA #4
Bei McLaren wurde 1969 der M9A mit<br />
Vierradantrieb fertiggestellt. Rechts steht<br />
der Schweizer Techniker Edy Wyss<br />
130 km/h kommen bei einem Grand Prix eher selten vor. Ein<br />
wichtigerer Vorteil bestand darin, dass hinten schmalere Reifen<br />
verwendet werden konnten, wodurch sich auch der Luftwiderstand<br />
verringerte. Und bei Regen spielte der Allradantrieb seine<br />
Überlegenheit am besten aus. Es gab aber auch Nachteile<br />
wie das Mehrgewicht; nicht zuletzt verzehrten die zusätzlichen<br />
Zahnräder der Kraftübertragung einen gewissen Anteil der<br />
Motorleistung. Die Formel-1-Konstruktionen des Jahrgangs<br />
1969 waren übrigens ähnlich konzipiert: Der Motor – in allen<br />
Fällen ein Ford Cosworth DFV V8 – war mit der Kupplung in<br />
Fahrtrichtung (also verkehrt herum) eingebaut; das Getriebe<br />
fand so direkt hinter dem Fahrersitz Platz. Von dort wurde die<br />
Kraft seitlich auf ein Ausgleichsgetriebe übertragen, um die<br />
Motorkraft zu 25 Prozent nach vorne und 75 Prozent nach hinten<br />
zu übertragen. Nur im Matra MS84 kam das Ferguson-System<br />
zum Einsatz. Das beste Resultat eines 4x4-F1-Wagens erzielte<br />
Jochen Rindt auf dem Lotus 63 bei dem nicht für die Weltmeisterschaft<br />
zählenden Gold-Cup-Rennen von Oulton Park,<br />
wo er den zweiten Platz belegte – allerdings mit einer Runde<br />
Rückstand auf den siegreichen Brabham von Jacky Ickx sowie<br />
in Abwesenheit mehrerer Spitzenfahrer. Nur ein einziges Mal<br />
konnte ein allradgetriebener Rennwagen 1969 einen WM-Punkt<br />
herausfahren – beim Grand Prix von Kanada, als der Franzose<br />
Johnny Servoz-Gavin seinen Matra MS84 auf den sechsten<br />
Platz brachte. Diskret teilte man ihm jedoch nach dem Rennen<br />
mit, dass der Vorderradantrieb deaktiviert gewesen sei…<br />
McLaren 9A<br />
Cosworth 4WDF1<br />
Matra MS84-Cosworth<br />
herbst <strong>2012</strong> 131
ennsport<br />
Vom Indianapolis-Lotus mit Turbinenaggregat und<br />
Vierradantrieb gab es auch die Formel 1-Version 56B (oben),<br />
welche auch in der Formel 5000 eingesetzt wurde (unten)<br />
132 VECTURA #4
Rennsport<br />
Mässige Resultate Der Lotus 63 kam bei immerhin acht Rennen<br />
zum Einsatz, fiel aber meistens aus. Neben Rindts erwähnten<br />
zweiten Platz stellte ein zehnter Rang von John Miles beim Grand<br />
Prix von England die magere Ausbeute dar. Bei diesem Lotus<br />
musste der Fahrer beim Einsteigen übrigens mit den Füssen unter<br />
der Vorderachse mühsam hindurchschlüpfen, was besonders<br />
Jochen Rindt missfiel. Der McLaren M9A, der unter der Leitung<br />
des Schweizer Ingenieurs Jo Marquart entstand, wurde nur beim<br />
GP von England 1969 mit Derek Bell eingesetzt, wo er ausfiel. Der<br />
besagte Matra MS84 mit Rohrrahmen und Ford-Cosworth-Motor<br />
belegte in Silverstone mit Beltoise den neunten, in Kanada mit<br />
Servoz-Gavin den sechsten und wieder mit Servoz-Gavin in<br />
Mexiko den achten Platz.<br />
Lotus wollte es noch einmal wissen und erschien 1971 mit einer<br />
Formel-1-Version des 1968 in Indianapolis eingesetzten Mark-<br />
56-Turbinenwagens. Es war dies der 56B mit ebenfalls Allradantrieb<br />
und einer Pratt & Whitney-Turbine, welche an die 500 PS<br />
geleistet haben soll. Der Wagen kam in jener Saison viermal zum<br />
Einsatz, die Fahrer hiessen Fittipaldi, Walker und Wisell. Die beste<br />
Platzierung war ein achter Platz Fittipaldis beim Grand Prix von<br />
Italien, ansonsten gab es lauter Ausfälle.<br />
Es sollte fünf Jahre dauern, bis der Tyrrell P34 mit vier auffällig<br />
kleinen, lenkbaren Vorderrädern debütierte. Sie waren allerdings<br />
nicht angetrieben, sondern sollten den Luftwiderstand senken<br />
und gleichzeitig die Traktion verbessern. Der P34 avancierte<br />
schnell zum Publikumsliebling und schlug sich mit den Plätzen<br />
3 und 4 im 1976er-Gesamtklassement recht erfolgreich. Das Auto<br />
war aber auch teurer und schwerer als die Konkurrenz und<br />
fuhr 1977 nur noch hinterher, so dass es ausgemustert wurde.<br />
Zuvor hatte dieser Tyrrell noch als Vorbild für den March 2-4-0<br />
gedient, der vier angetriebene Hinterräder mit relativ kleinem<br />
Durchmesser aufwies. Basierend auf dem March 761-Ford der<br />
abgelaufenen Saison, an dessen Getriebe hinten noch ein Verlängerungsgehäuse<br />
mit angeflanschtem Differential angebaut<br />
wurde, war der von Chefkonstrukteur Robin Herd erdachte 771P<br />
ein ziemlich langes Auto. Als er Ende 1976 zu ersten Tests in Silverstone<br />
antrat, verbog sich das überforderte Getriebe. Erneute<br />
Probefahrten im Februar 1977 verliefen vielversprechender, doch<br />
mangelte es March schlicht an finanziellen Mitteln, um den 2-4-0<br />
standfest zu machen – und das Projekt wurde ohne einen einzigen<br />
GP-Einsatz wieder ad acta gelegt, konnte später aber noch<br />
einige Bergrennen gewinnen.<br />
Der letzte Hoffnungsschimmer für ein 4x4-F1-Auto kam im Herbst<br />
1982 in Form eines Prototyps von Williams: Dieser «FW08B» genannte<br />
Wagen bot zwar eine überragende Traktion, verlor den<br />
Vorteil aber mit seinem hohen Gewicht. Und weil die FIA wenig<br />
später vorschrieb, dass Formel-1-Autos höchstens vier Räder<br />
haben dürften, war das Schicksal der Williams-Konstruktion<br />
endgültig besiegelt. Damit fand das Kapitel Allradantrieb in der<br />
damaligen F1 seinen Abschluss. Ob je ein 4x4-Konzept in den<br />
Formelsport zurückkehrt, bleibt abzuwarten: Mit der heutigen<br />
Elektronik und Elektrifizierung ergeben sich demnächst vielleicht<br />
völlig neue Möglichkeiten.<br />
Das March-Team baute ebenfalls einen 4x4: Der 771P-Ford<br />
von 1976 wies sechs Räder auf. Hinter dem Wagen<br />
stehen Konstrukteur Robin Herd (Mitte) sowie rechts der<br />
damalige March-Manager Max Mosley<br />
herbst <strong>2012</strong> 133
AUTO-BIOGRAFIE<br />
Fahrer Stephan Senn, Jahrgang 1970, Jurist aus Zürich<br />
Ex-Autos Volvo 480, VW Golf, Mercedes CLK<br />
Aktuell Jaguar XJS V12 (Series II) Baujahr 1994<br />
2+2-Coupé, 5995 cm 3 , 302 PS (222 kW) bei 5350/min,<br />
471 Nm bei 2850/min, Leergewicht 1820 kg,<br />
0–100 in 6,8 s, Vmax 260 km/h.<br />
Neupreis 130 440 Franken (1994)<br />
Über der knapp zwei Meter langen Motorhaube flimmert<br />
die Luft und Stephan Senn lächelt: «Energie-effizient ist<br />
mein Jag sicher nicht; im Schnitt verbrauche ich 15 Liter<br />
Super. Plus, natürlich.» Mit dem Auto fährt er nur mehr selten zur<br />
Arbeit und gelegentlich am Wochenende. Seine Frau fährt New<br />
Mini Cooper und als «Familienkarre» steht zuhause ein genügsamer<br />
VW Golf Plus bereit – mit welchem Motor, kann Senn nicht<br />
einmal sagen. Autos spielen in seinem Leben eben keine Haupt-,<br />
aber eine attraktive Nebenrolle. Und er erinnert sich mit Wehmut<br />
an den alten Schweden mit den Schlafaugen: «Ich vermisse meinen<br />
Volvo, weil er viele Macken aufwies, die ich kannte und liebgewonnen<br />
hatte.» So kann man das also sehen, obwohl Senn in<br />
einem Jaguar-Haushalt aufwuchs und damit erblich vorbelastet<br />
ist: «Der erste Wagen meines Vaters war ein XK120.» Nun ist der<br />
Sohn ebenfalls Richtung Brit-Grid abgebogen. Mit dem XJS hat<br />
er sich während einem Studienjahr in Bristol angefreundet, wo<br />
der Wagen öfters als wenig gepflegtes Alltagsauto anzutreffen<br />
war und eben nicht als poliertes Luxusgefährt. «Etwas Gebrauchspuren<br />
und roher Umgang tun dem Auto ganz gut», meint Senn:<br />
«Einer ausgewachsenen Raubkatze krault man ja auch nicht zärtlich<br />
den Bauch.»<br />
Der Jaguar XJS ist ein Vertreter der Serie II mit hubraumerweitertem<br />
6,0-L-V12, GM-Viergang-Automat und Heckantrieb. Sein Besitzer<br />
findet das damalige Topmodell «elegant, aber auch etwas<br />
vulgär» und hat es 2007 für 28 000 Franken mit nur 60 000 Kilometer<br />
Laufleistung aus zweiter Hand von einem Markenhändler<br />
am Zürisee erworben. «Wir suchen doch alle ein Auto, das nicht<br />
jeder hat», begründet er seine Wahl, zumal der bordeaux-métallisé<br />
lackierte Zweitürer bezahlbar gewesen und nach Abklemmen<br />
der wenig kooperativen Klimaanlage bis heute absolut alltagstauglich<br />
sei. Den letzten Halbsatz wird der Familienvater schon<br />
am Abend bereuen: Dann rollt sein Zwölfender mit Hydraulikdefekt<br />
vor einer Emil-Frey-Garage aus und muss in Bern bleiben.<br />
Die Reparatur wird sechs Tage dauern und knapp 800 Franken<br />
kosten. «Ein Einzelfall», glaubt der Jurist. Und denkt keine Sekunde<br />
daran, sich von seiner zwar durstigen, aber auch erfreulich<br />
drehmomentstarken Aristocat zu trennen. map<br />
134 VECTURA #4
Brunello di Montalcino DOCG von Caparzo<br />
der Ferrari unter den Rotweinen<br />
Im Film „Letters to Juliet“ rühmt die Schauspielerin Vanessa<br />
Redgrave den Brunello di Montalcino von Caparzo als ihren<br />
Lieblingswein. Effektiv besticht dieses Meisterwerk mit seiner<br />
ausserordentlichen Ausgewogenheit und unvergleichlichen Harmonie.<br />
Fr. 60.- Gutschein für Ihre nächste Bestellung bei www.DivinaWine.ch<br />
Gutschein-Code: <strong>vectura</strong> (ab Fr. 200.-)
Auf Erfolg<br />
programmiert<br />
Subaru ersetzt den kompakten Impreza durch eine komplett neue,<br />
vierte Generation. Die kommt zu Preisen ab 26 000 Franken –<br />
und ist damit eines der günstigsten Allradmodelle hierzulande<br />
Text Stefan Lüscher · Fotos Werk, sl<br />
136 VECTURA #4
FAHRTERMIN<br />
Die Schweiz und Subaru verbindet eine ganz besondere<br />
Liebe. Seit ihrer Marktpremiere im Jahr 1979 sind die<br />
Allrad-Pw klare Marktführer ihres Segments. Dazu beigetragen<br />
hat zweifellos auch Bernhard Russi, Subaru-Botschafter<br />
der ersten Stunde, und das bis heute. Über 310 000 Einheiten<br />
haben die Japaner hier bisher verkauft, und mit etwas über zwei<br />
Prozent ist der Marktanteil im Vergleich zum übrigen Europa deutlich<br />
höher.<br />
Unsere nachhaltige Sympathie für die japanischen Allradler wird<br />
jetzt honoriert: Subaru lanciert die vierte Generation des Impreza<br />
zuerst in der Schweiz – rund drei Monate vor allen anderen EU-<br />
Märkten. Dazu gibt es neben den beiden speziellen Ausstattungen<br />
«swiss one» und «swiss two» ein Leder-Interieur namens «Portofino»<br />
– auch das eine exklusive Option nur für den Schweizer Markt.<br />
Verwandtschaft zum XV Technisch und von der Karosserieform<br />
her birgt der neue Impreza keine Überraschungen. Er ist<br />
eng verwandt mit dem sehr erfolgreich gestarteten Crossover<br />
XV (4300 Bestellungen in nur fünf Monaten!), kommt jedoch ohne<br />
dessen Kotflügelverbreiterungen, aber mit neu abgestimmtem<br />
Fahrwerk und um 7,5 Zentimeter reduzierter Bodenfreiheit. Subaru<br />
versteht den geräumigen jüngsten Impreza als neuen Einstieg in<br />
die Welt der Allrad-Pw, zumal er gegenüber dem einst sehr beliebten<br />
Justy 4WD nicht wesentlich teurer sei, dafür aber klar mehr<br />
Nutzwert biete. Zum auslaufenden Impreza-Modell verfügt er über<br />
einen um 15 mm längeren Radstand; die übrigen Masse blieben<br />
unverändert. Der Laderaum besitzt einen doppelten Boden und<br />
fasst 380 bis 1270 Liter.<br />
Sparsamerer Benziner-Boxer Gegenüber dem als trendigen<br />
Crossover positionierten XV wird der Impreza vorläufig nur mit einer<br />
Motorisierung angeboten. Der auch im XV erhältliche langhubige<br />
1,6-Liter-Boxer ist eine Neukonstruktion, ersetzt den bisherigen<br />
1,5-Liter und verbraucht rund 20% weniger. Bei ersten Testfahrten<br />
überzeugte er mit sehr leisem Lauf. Sein Temperament ist mit<br />
114 PS und 150 Nm bei 4000/min im Normalbetrieb ausreichend,<br />
sportliche Ambitionen verfolgt der ab 1450 kg wiegende Impreza<br />
ohnehin nicht. Dafür wird weiterhin der bekannte, in jeder Hinsicht<br />
beflügelte WRX STI mit 300 PS angeboten. Andererseits kann sich<br />
der Verbrauch des 1,6-Liters mit seinem serienmässigen, schnell<br />
reagierenden Stopp-Start-System sehen lassen. Auf unserer Testfahrt<br />
durch die Region Beromünster und Sempachersee zeigte der<br />
Bordcomputer rund 6,8 L/100 km an; den Normverbrauch beziffert<br />
Subaru ab 5,9 L/100 km. 2013 dürften weitere Motoren folgen.<br />
Dual-Range-Getriebe mit 2x5 Gängen Der bewährte symmetrische<br />
Allradantrieb ist beim Impreza serienmässig. Die Wahl hat<br />
der Kunde bei der Kraftübertragung: Basis ist das sehr spezielle<br />
manuelle Dual-Range-Getriebe mit zweimal fünf Gängen, das<br />
herbst <strong>2012</strong> 137
fahrtermin<br />
mit einem Zentraldifferential inklusive Viskobremse gekoppelt ist.<br />
Als Option wird ein stufenloses CVT-Getriebe mit Low-Fahrstufe<br />
angeboten, das die Drehzahl je nach Gaspedalstellung selbsttätig<br />
regelt, bei grossem Leistungsbedarf aber ein monotones Motorgeräusch<br />
erzeugt. Als etwas zu straff für die übrige Fahrzeugcharakteristik<br />
empfinden wir die Fahrwerkabstimmung; besonders<br />
die Dämpfer reagieren auf Unebenheiten ausgeprägt hart.<br />
Freundlicher und luxuriöser als bei früheren Subaru-Modellen<br />
präsentieren sich das Interieur und die erwähnten Ausstattungen<br />
mit Leichtmetallfelgen, breiteren Reifen oder Nebellampen. Neu<br />
für Subaru sind ein Multifunktionsdisplay und die Rückfahrkamera.<br />
Dazu kommen Licht- und Regensensor, Tempomat, eine Zweizonen-Klimaautomatik<br />
und als zeitgemässe Zutaten die gut klingende<br />
Audioanlage sowie Bluetooth und Spracherkennung. Als<br />
Optionen gibt es ein (mit 2160 Franken leider auch teures) Navigationssystem<br />
sowie das besagte Lederpaket (beige oder anthrazit)<br />
für CHF 2650.–. Keine Frage: Auch der vierte Impreza wird<br />
seinen Weg machen – und den Subaru-Erfolg weiter festigen.<br />
TECHNISCHE DATEN<br />
Subaru Impreza 1.6i AWD<br />
Konzept<br />
Motor<br />
Kompakter, fünftüriger Fünfplätzer mit variablem Innenraum,<br />
baugleich mit dem höhergestellten Crossover XV. In der<br />
Schweiz ausschliesslich mit Allradantrieb, wahlweise mit<br />
5-Gang-Schaltgetriebe oder CVT<br />
Code FB16. Langhubiger Vierzylinder-Boxer aus Aluminium,<br />
vorne längs, 2x2 oben liegende Nockenwellen, Zahnriemenantrieb,<br />
4 Ventile pro Zylinder, Benziner mit Saugrohreinspritzung,<br />
Stopp-Start-System<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
1599<br />
78,8 x 82<br />
10,5:1<br />
114 (84) @ 5600<br />
150 Nm @ 4000<br />
M5 (Option CVT)<br />
442 /174 /147<br />
265<br />
151/152<br />
195/65 R 15 auf 6,5 J<br />
55<br />
380 bis 1270<br />
ab 1450<br />
1940<br />
12,72<br />
12,3<br />
185<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
* gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
6,2 (CVT 5,9)<br />
144 (CVT 136)<br />
C<br />
25 900.–<br />
138 VECTURA #4
RUBRIKEN<br />
Fahrplan<br />
Superfast<br />
Wer sich über längere Strecken so schnell wie<br />
möglich fortbewegen will, nimmt immer seltener<br />
Auto oder Flugzeug. Neue Highspeed-Züge sorgen<br />
für eine Renaissance der Bahn, doch nicht<br />
überall können sie ihre Stärken ausspielen<br />
Text Thomas Imhof<br />
Fotos Corbis, Shutterstock, Werk<br />
140 VECTURA #4
ahnverkehr<br />
Vieraugengesicht: Der Italo fährt mit maximal 360 km/h.<br />
Gebaut wird er vom Eisenbahnhersteller Alstom<br />
herbst <strong>2012</strong><br />
141
ahnverkehr<br />
Sie haben Nasen wie Enten oder Kampfjets. Rasen mit<br />
Tempo 300 oder mehr durch die Po-Ebene, die Halbwüsten<br />
Spaniens und das Rhône-Tal. Tragen Kürzel wie<br />
TGV und ICE oder Kunstnamen wie Zefiro, Velaro oder Thalys.<br />
Und machen auf Strecken zwischen 250 und 1000 Kilometer<br />
dem Flugzeug und dem Auto zunehmend Beine. Die Rede ist von<br />
schnellen und superschnellen Zügen, die vor allem den Airlines<br />
immer mehr Kunden wegnehmen. Weil Reisende immer weniger<br />
Lust auf Leibesvisitationen, Herumsitzen in Warte-Lounges und<br />
das langwierige Ein- und Aussteigen verspüren. Und auf unvorhersehbare<br />
Autobahnstaus.<br />
Die Stärke der schnittigen Schienenpfeile liegt primär in ihrem<br />
Reisetempo: Die Flugverbindung Paris–Lyon wurde schon kurz<br />
nach Inbetriebnahme des TGV eingestellt; auf der Relation nach<br />
Marseille hält der Schnellzug bereits einen Marktanteil von<br />
80 Prozent, weil er in nur drei Stunden ans Mittelmeer düst. Seit<br />
ein Abkömmling des deutschen ICE 3 die 651 Kilometer zwischen<br />
Madrid und Barcelona in 2:30 Stunden zusammenzoomt,<br />
nehmen nur noch 20 Prozent den Flieger. Vor fünf Jahren war<br />
diese Strecke mit 971 Flügen pro Woche eine der geschäftigsten<br />
der Erde – jetzt sieht sich Iberia gezwungen, kleineres Fluggerät<br />
einzusetzen. Ähnlicher Effekt beim Eurostar: Der technisch<br />
eng mit dem TGV verwandte Zug verbindet Paris und<br />
London durch den 49 Kilometer langen Kanaltunnel und wird<br />
von 86 Prozent aller Reisenden präferiert. Denn während der<br />
nur 2:20 Stunden währenden Fahrt kann man arbeiten, Videos<br />
gucken, Musik hören, via WLAN ins Internet gehen oder einfach<br />
mal ein Nickerchen machen.<br />
Speziell in Ländern, in denen eine günstige Topographie und<br />
eher dünn besiedelte Landstriche den andernorts kritischer beäugten<br />
Bau von schnurgeraden Highspeed-Trassen erleichtern,<br />
feiert die Bahn eine Renaissance. Wie in Italien, wo seit Ende April<br />
dieses Jahres der dunkelrot lackierte «Italo» den Stiefel rauf- und<br />
runterdüst – auf der Direttissima Mailand–Rom in nur drei Stunden.<br />
Man nennt ihn schon «Ferrari»-Zug, seitdem sich Ferrari-<br />
Chef Luca di Montezemolo als Anteilseigner der privaten Eisenbahngesellschaft<br />
NTV (Nuovo Trasporto Viaggatori) stolz vor dem<br />
Geschoss fotografieren liess.<br />
Technisch basiert der maximal 360 km/h schnelle Italo auf dem<br />
neuen AGV (Automotrice Grande Vitesse) des französischen<br />
Eisenbahnherstellers Alstom. Der AGV hat wie alle modernen<br />
Schnellzüge einen über den gesamten Zug verteilten Unterflur-<br />
Antrieb. Durch den Wegfall der Triebköpfe ergeben sich eine<br />
bessere Gewichtsverteilung und die Möglichkeit, auch an den<br />
Zugenden Passagiere unterzubringen. Eine Gemeinsamkeit mit<br />
dem seit über 30 Jahren bewährten TGV sind die Jakobs-Drehgestelle:<br />
Anders als bei den deutschen ICE stützen sich hier die<br />
Wagenenden auf ein gemeinsames Gestell. Sicherheitstechnisch<br />
halten die Franzosen das für die bessere Lösung: Durch die festere<br />
Verbindung der Sektoren könnten die Waggons nicht so leicht<br />
entgleisen oder sich im Falle eines Wegbrechens ziehharmonikaartig<br />
zusammenfalten. Da zudem Drehgestelle die wartungsintensivsten<br />
Teile eines Zuges seien, würde das Einsparen eines<br />
Viertels an Drehgestellen auch die Wartungskosten erheblich<br />
senken. Aber es gibt auch Nachteile: Die einzelnen Wagen müssen<br />
kürzer sein, um die zulässige Achslast von sieben Tonnen<br />
nicht zu überschreiten. Ihre Übergänge sind enger, und das Trennen<br />
der Waggons ist mühsamer.<br />
Direkt in den Fahrgestellen des AGV montiert sind Permanentmagnet-Synchronmotoren<br />
– das zurzeit Feinste in Sachen<br />
Antriebstechnik. Sie sind um ein Drittel leichter und kompakter<br />
als frühere Asynchronmotoren. Mit 410 Tonnen ist ein 200 Meter<br />
langer AGV ganze 70 Tonnen leichter als ein konventioneller Konkurrent<br />
– und komme daher mit 15 Prozent weniger Energie ans<br />
Ziel, behauptet Alstom. Den CO 2 -Fussabdruck pro Passagier beziffert<br />
der Hersteller mit zehn Gramm, gegenüber 81,3 Gramm im<br />
Auto und 243,8 Gramm im Flugzeug.<br />
Die staatliche Trenitalia lässt sich vom neuen Italo indes nicht einschüchtern<br />
– sondern geht ihrerseits in die Offensive. Der aktuell<br />
eingesetzte Frecciarossa («Roter Pfeil») mit einem Design von<br />
Pininfarina erreicht auf den neueren Wechselstrom-Strecken Italiens<br />
bereits 300 km/h. Doch längst plant Trenitalia ab 2013 mit einem<br />
neuen Modell – dem V300 Zefiro oder ETR 1000. Dabei handelt<br />
es sich um eine Gemeinschaftsproduktion von Bombardier<br />
und Ansaldo Breda, die theoretisch bis 360 km/h spurten kann.<br />
Der Zug ist zudem in acht europäischen Ländern einsetzbar, weil<br />
er mit allen vier dort existierenden Stromsystemen (1,5 kV und<br />
3 kV Gleichstrom, 15 kV und 25 kV Wechselstrom) zurechtkommt.<br />
Wie im Automobilbau setzen auch die Zugbauer zunehmend<br />
auf Plattformstrategien. Beispiel Bombardier mit dem Zefiro:<br />
Der Typ 380 ist ein bis zu 380 km/h schneller Zug mit maximal<br />
1336 Sitzen; das chinesische Eisenbahn-Ministerium hat bereits<br />
80 Einheiten geordert. Der V300 Zefiro wiederum ist das Co-<br />
Produkt mit Ansaldo Breda mit Mehrsystem-Technik, der Zefiro<br />
250 ein 250 km/h schneller Nachtzug mit Schlafkabinen, darunter<br />
16 Luxus-Betten.<br />
Ganz ähnlich die Strategie von Siemens bei der Velaro-Familie:<br />
Die Evolution des ICE 3 läuft in China als CRH3, in Russland<br />
mit breiterer Spur und Kaltwetter-Kit als Wanderfalke (Sapsan),<br />
in Spanien als Baureihe 103 und in Deutschland als Velaro D<br />
oder Baureihe 407. In China erreicht der inzwischen vorwiegend<br />
lokal gefertigte Zug Topspeeds von 350–380 km/h. Der<br />
Wanderfalke fliegt zwischen Moskau und St. Petersburg mit<br />
Tempo 250.<br />
142 VECTURA #4
Wie eine stringente Plattformstrategie funktioniert, zeigt bis heute<br />
auch die Mutter aller EU-Schnellzüge, der von der staatlichen<br />
SNCF eingesetzte Train à grande vitesse, kurz TGV genannt.<br />
1981 sorgte er im europäischen Schienenschnellverkehr mit der<br />
Verbindung Paris–Lyon für eine Revolution. 1989 folgte die Atlantik-Linie<br />
nach Brest, Rennes und Nantes, 1990 die Verbindung<br />
Bordeaux–Toulouse, 1993 der Strang nach Norden gen Lille und<br />
Calais mit der 1994 realisierten Verlängerung durch den Kanaltunnel<br />
nach London. 2001 stand die Mittelmeer-Trasse Valence–<br />
Avignon–Marseille, 2006 stellte der TGV Est européenne die Anbindung<br />
an Stuttgart und Frankfurt, die Schweiz und Luxemburg<br />
her. Noch frisch verlegt sind die Schienen des TGV Rhin-Rhône,<br />
der die Reisezeit von Basel und Zürich nach Paris um jeweils<br />
30 Minuten auf drei beziehungsweise vier Stunden verkürzte.<br />
2005 beförderten 650 TGV-Züge 80 Millionen Fahrgäste in Frankreich<br />
und weitere 20 Millionen in Europa. <strong>2012</strong> verkehrt der TGV<br />
auf einem 7000 Kilometer langen Netz, das auf gut 2000 Kilometer<br />
für 300 km/h und mehr ausgelegt ist. Das ist sozusagen der<br />
Überschallbereich eines Schnellzuges.<br />
AGV-Cockpit: Tempo- oder Haltebefehle werden von Aussen über<br />
elektrische Impulse von den Schienen auf die Instrumente übertragen<br />
Schon der erste Prototyp, bei dem noch zwei Gasturbinen pro<br />
Triebkopf die Elektromotoren mit Strom versorgten, erreichte<br />
1972 eine Spitze von 318 km/h. Doch wegen der Ölkrise von 1974<br />
stellten die Franzosen auf elektrischen Antrieb um. Die Bauart<br />
des TGV bezeichnet Eisenbahnexperte und Buchautor Tomas<br />
Meyer-Eppler als «konservativ, aber in über 30 Jahren extrem<br />
ausgereift. Er ist technisch schlicht, aus heutiger Sicht einfach<br />
konzipiert.»<br />
Allen TGV-Typen gemein sind die beiden Triebköpfe, zwischen<br />
denen acht oder zehn Mittelwagen eingestellt werden.<br />
Die Leistung beträgt je nach Typ zwischen 6450 und 9280 kW.<br />
Schon Anfang der 80er-Jahre ging es im TGV mit 260 km/h von<br />
Paris in Richtung Südosten. Paris–Lyon in zwei Stunden – das<br />
war deutlich schneller als im lokbespannten TEE Mistral, der 3:50<br />
Stunden benötigte. 1989 folgte die zweite Generation, diesmal<br />
schon 300 km/h schnell. Die dritte (TGV Réseau) konnte dann<br />
auch Strecken ausserhalb Frankreichs befahren. Den TGV gibt<br />
es auch als doppelstöckigen TGV Duplex und gelb lackierten,<br />
270 km/h schnellen Postzug. Für internationale Aufgaben ersann<br />
man 1997 den Thalys (als Dreisystem-Zug für Belgien/Niederlande,<br />
als Vierstrom-Version mit runderer Nase für die Strecke bis<br />
nach Köln und ins Ruhrgebiet). Der 1994 eingeführte Eurostar ist<br />
wie erwähnt ein weiteres TGV-Derivat – er begrüsste schon 2008<br />
seinen zehnmillionsten Fahrgast.<br />
Der Ferrari unter den Schnellzügen: «Italo» mit NTV-Anteilseigner<br />
Luca di Montezemolo<br />
Der TGV mag im Design klobig und von innen etwas nüchtern<br />
wirken – schnell ist er aber allemal. Von Brüssel nach Marseille<br />
stellte ein Thalys 1981 mit einem Schnitt von 238 km/h (!) und<br />
3:29 Stunden Fahrzeit einen neuen Rekord auf. Ein TGV Réseau<br />
Kraftpakete: Die Drehstrom-Synchronmotoren mit Dauermagneterregung<br />
sind direkt in den Drehgestellen untergebracht<br />
herbst <strong>2012</strong> 143
schaffte im Mai 2001 einen Langstreckenrekord, als er 1067 Kilometer<br />
in nur 3:30 Stunden herunterspulte. Ein TGV-Zug hält auch<br />
den aktuellen Geschwindigkeitsweltrekord: Ein Verbund aus zwei<br />
TGV-Est-Triebköpfen und drei doppelstöckigen Duplex-Mittelwagen<br />
plus angetriebenen Jakobs-Drehgestellen mit insgesamt<br />
19 600 kW erreichte auf einer noch nicht eröffneten Neubaustrecke<br />
sagenhafte 574,8 km/h. Die «Formel 1»-artige Konfiguration<br />
diente freilich nur diesem Zweck und ist für den regulären<br />
Bahnbetrieb völlig ungeeignet.<br />
Deutsch-französische Freundschaft: zwei Generationen des TGV<br />
und ein ICE 3 stehen einträchtig im Pariser Ost-Bahnhof<br />
Neben Frankreich hat Spanien das längste Hochgeschwindigkeitsnetz<br />
Europas aufgebaut – Ende 2010 mass es schon<br />
2056 Kilometer. Die spanische Gesellschaft RENFE schickt drei<br />
Typen aufs Gleis: den 300 km/h schnellen TGV-Abkömmling AVE<br />
(Alta Velocidad Española) der Serie 100 von Alstom, den wegen<br />
seiner markanten Frontpartie im Volksmund El Pato («Die Ente»)<br />
genannten Talgo (330 km/h schnelle Co-Produktion mit Bombardier)<br />
und die Reihe 103, hinter der sich ein Plattformbruder des<br />
deutschen Velaro verbirgt. Solch ein Zug fuhr schon 2006 mit<br />
403,7 km/h einen spanischen Schienenrekord ein und sprintet<br />
zwischen Madrid und Barcelona zwischen 300 und 350 km/h.<br />
Der Talgo mag der hässlichste Vertreter des Trios sein – doch<br />
stach er in Saudi-Arabien die deutsche und französische Konkurrenz<br />
aus: Ein spanisches Konsortium baut dort eine Trasse zwischen<br />
Medina und Mekka, die ab 2014 mit Tempo 320 täglich bis<br />
zu 160 000 Pilger transportieren soll. Die als «HHR» (Haramain<br />
High Speed Railway) bezeichnete Strecke ist etwa 450 km lang.<br />
Der Formel 1 unter den TGV: Der Weltrekordzug V 150 (für 150 m/s,<br />
entspricht 540 km/h) setzte 2007 eine neue Bestmarke. Ab 500 km/h<br />
notierten mitreisende Journalisten «starke Vibrationen»…<br />
Auf Strecken zwischen 250 und 1000<br />
Kilometer machen Schnellzüge dem<br />
Flugzeug zunehmend Konkurrenz. Vor<br />
allem, wenn sie auf ihren eigenen<br />
Schnelltrassen frei aufdrehen können<br />
Von paradiesischen Tempo-Zuständen wie in Frankreich und<br />
Spanien kann man in Deutschland nur träumen. Lediglich auf<br />
zwei Strecken – zwischen Köln und Frankfurt sowie Nürnberg<br />
und Ingolstadt – kann der ICE (Intercity Express) Vollgas geben.<br />
Ansonsten bleibt ihm nur Frankreich, um sich mit 320 km/h einmal<br />
frei auszutoben. Auf den vielen Altbaustrecken der Heimat muss<br />
er dagegen bummeln und sich die Gleise mit IC- und Güterzügen<br />
teilen. «Das Schnellbahnnetz in Deutschland ähnelt eher einem<br />
Flickenteppich», sagt Meyer-Eppler. «Und die beiden einzigen aktuellen<br />
Neubaustrecken von Nürnberg nach Erfurt und durch den<br />
Rheingraben bis Basel gehen nur im Schneckentempo voran.<br />
Schon befürchtet die Schweiz, dass zur Eröffnung des Gotthard-<br />
Tunnels die Oberrhein-Strecke nicht fertig sein wird.»<br />
Zugleich liefert der zwar elegante, aber störanfällige ICE immer<br />
wieder Negativschlagzeilen: Allen voran der schwere Unfall des<br />
ICE «Wilhelm Conrad Röttgen» bei Eschede, bei dem 1998 nach<br />
einem Radbruch 101 Menschen ihr Leben verloren. Im Winter<br />
gab es anfangs grosse Probleme mit den Wirbelstrombremsen,<br />
im Sommer fallen bei Temperaturen von über 32 Grad bis heute<br />
regelmässig Klimaanlagen aus. Beim neuesten ICE 3, an dem<br />
Siemens den Wechsel vom Triebkopf- zum Triebzug vornahm,<br />
144 VECTURA #4
ahnverkehr<br />
traten defekte Achsen auf. Seitdem werden die Radsätze alle<br />
30 000 Kilometer per Ultraschall auf Risse überprüft.<br />
Die ab 1991 in Dienst gestellten ICE 1 wurden jüngst für zehn<br />
weitere Jahre fit gemacht – sie sind bis heute die komfortabelsten<br />
und am schönsten ausstaffierten Züge der DB. Der ICE 2<br />
ist ein zweiteiliger Koppelzug, der an Knotenbahnhöfen getrennt<br />
werden kann. Wo sonst die Triebköpfe sassen, gibt es im ICE 3<br />
begehrte Lounges, in denen Fahrgäste dem Zugführer über die<br />
Schulter blicken können.<br />
Währenddessen hat der deutsche Bahnchef Rüdiger Grube die<br />
Abkehr vom Hochgeschwindigkeits-Hype verkündet: Tempo 250<br />
sei für die Deutsche Bahn künftig genug. Meyer-Eppler kann dies<br />
nicht nachvollziehen: «Da das Altbaunetz die Züge ausbremst,<br />
müssen sie im Neubaunetz so schnell unterwegs sein, um im<br />
nächten Knotenbahnhof möglichst viele Züge erreichen zu können.<br />
Da kann auch Tempo 350 durchaus sinnvoll sein.»<br />
Plüschiger Komfort: Erste-Klasse-Abteil des klassischen TGV<br />
Zugleich steht die DB vor einem Komplett-Austausch und einer<br />
Auffüllung ihres zurzeit dezimierten Fuhrparks. Pläne, mit dem<br />
Mehrsystem-Velaro D von Frankfurt nach Marseille und London<br />
zu düsen, sind erst einmal zurückgestellt. Stattdessen müssen<br />
die ohne die Lounges des ICE 3 ausgestatteten Züge zunächst<br />
Engpässe im heimischen Netz füllen.<br />
Als Rückgrat des künftigen DB-Fernverkehrs gilt der extrem<br />
variabel konfigurierbare ICx. Als Nachfolger der IC-Wagenzüge<br />
wird der von Siemens und Bombardier entwickelte Zug ab 2016<br />
zunächst die Intercity- und Eurocity-Flotten der Baujahre 1971–<br />
91 und bis 2020 auch die ICE 1 und 2 aufs Abstellgleis schicken.<br />
Der ICx soll zwischen 230 und 250 km/h erreichen sowie dank<br />
optimaler Aerodynamik und intelligentem Leichtbau 30 Prozent<br />
weniger Energie verbrauchen. Grundtypen sind ein 7-Teiler mit<br />
drei und ein 10-Teiler mit fünf «Powercars».<br />
Plattformprodukt: Der russische Sapsan basiert auf dem ICE3/Velaro<br />
Komfort wird im ICx eher klein geschrieben – bis zu 100 Plätze<br />
können notfalls in einen 2.-Klasse-Waggon gepfercht werden.<br />
Ärgerlich auch, dass man auf vielen Sitzen nicht aus dem Fenster,<br />
sondern gegen einen breiten Fensterholm schauen wird. Fachjournalist<br />
Heiko Focken beklagt: «Der Charakter einer Fernreise<br />
im Zug nähert sich immer mehr jenem eines Flugzeugs in der<br />
Touristenklasse an. Bei der Gestaltung entschied wohl eher der<br />
Quotient Kosten pro Sitzplatz als Komfort pro Sitzplatz.»<br />
Szenenwechsel in die Schweiz, die direkt und indirekt am<br />
Trend zum Superexpresszug partizipiert. Bereits seit den achtziger<br />
Jahren fahren TGV über Südostfrankreich bis nach Zürich;<br />
mittlerweile verkehren einige ICE-Züge auch bis nach Interlaken.<br />
Eine heimische Konstruktion ist der ICN, der trotz seiner<br />
Marktführer Bombardier: Parade aller Schnellzüge, an denen<br />
der kanadische Konzern beteiligt war oder noch ist (Stand: 2011)<br />
herbst <strong>2012</strong> 145
«Zu wenig Leidenschaft»<br />
Notizen aus der Entstehungsgeschichte des TGV<br />
Text Paul Bracq · Fotos Archiv Bracq<br />
Paul Bracq (links) fertigte Ende der 60er-Jahre mehrere TGV-Entwürfe an.<br />
Neben ihm sein Arbeitgeber Yves Brissonnaux, rechts der Eisenbahn-Stylist Jacques Cooper<br />
Der Auftrag für eine Designstudie des geplanten französischen<br />
Hochgeschwindigkeitszuges, zu jener Zeit oft<br />
auch «Turbotrain» genannt, wurde 1968 vom Energieund<br />
Transportkonzern Alsthom (damals noch mit «h» geschrieben)<br />
an uns herangetragen. Von Anfang an war dieses Projekt<br />
grossartig und ambitiös, weil es als die Formel 1 des Schienenverkehrs<br />
konzipiert worden war. Der Zug sollte zwischen 250<br />
und 300 Stundenkilometer schnell fahren können, was seinerzeit<br />
eine ungeheure Geschwindigkeit darstellte. Allein neben<br />
der aerodynamischen Herausforderung war die Sorge um jene<br />
Kühe, welche dereinst neben den Gleisen stehen würden, geradezu<br />
eine Kleinigkeit.<br />
Brissonneau et Lotz, der französische Eisenbahnhersteller und<br />
mein damaliger Arbeitgeber, verfügte in La Rochelle bereits über<br />
ein Montagewerk, doch dieses Mal galt es zu beachten, dass<br />
man bei der Fertigung in eine neue Ära eintreten würde. Technologisch<br />
ähnelte die Situation ein wenig der schönen, manchmal<br />
aber auch schmerzhaften Geschichte des Überganges zwischen<br />
den ersten Luftpost-Propellermaschinen und der Düsenfliegerei.<br />
Natürlich gab es verschiedene, sehr bedeutende und kompetente<br />
Unternehmen, die für die ersten Entwürfe des Eisenbahn-Boliden<br />
in Konkurrenz zu uns standen. Wir taten also gut daran, damit<br />
zu rechnen, dass der finale Auftrag für diese grosse Maschine in<br />
Frage stand. Folglich mussten wir ein Maximum an Hirnschmalz<br />
und Kreativität in die Waagschale werfen. Umso überraschter<br />
waren wir, die erste Etappe für uns entscheiden zu können – meine<br />
Zeichnungen gewannen den Wettbewerb. Es war sozusagen<br />
die Geburtsstunde des ganzen Projekts. Ich erinnere mich nicht<br />
mehr, ob wir uns die Zeit nahmen, diesen ersten Erfolg zu begiessen,<br />
zumal er eigentlich den Anfang der nun folgenden Schwierigkeiten<br />
markierte.<br />
Tatsächlich sollte man bei einem revolutionären Unterfangen<br />
dieser Grössenordnung damit beginnen, bescheiden in die Geschichte<br />
zurückzublicken: Dort finden sich immer technische<br />
146 VECTURA #4
motormenschen<br />
Erfahrungen und Angaben, die bei der Umsetzung eines neuen<br />
Projekts erheblich Zeit einsparen können – allein, um nicht<br />
erneut bestimmte Sachverhalte abklären zu müssen, welche<br />
bereits einmal zum Scheitern geführt hatten. Doch trotz ihrer<br />
Hilfsbereitschaft waren uns die Archivare der staatlichen Eisenbahngesellschaft<br />
SNCF keine Hilfe, da während des Zweiten<br />
Weltkrieges viele relevante Unterlagen unwiederbringlich verloren<br />
gegangen waren. Alles, wovon wir also mit Sicherheit wussten,<br />
war unsere Unwissenheit. Und so verfolgten wir in Bezug<br />
auf Form und Profil hauptsächlich die Spur grosser Vorkriegslokomotiven:<br />
Für einen Zug sind die gestalterischen Gesetze<br />
anders, um nicht zu sagen viel komplexer, als bei einem<br />
Automobil. Wir haben dann den Luftwiderstand mit Modellen<br />
im Wasser simuliert – es gab ja keine Erfahrungen auf diesem<br />
Gebiet; das war Pionierarbeit.<br />
Das Lastenheft zum TGV war sehr streng, ja unerbittlich genau<br />
– und auf der anderen Seite aufgrund vieler Details erstaunlich<br />
unklar. Kurz gefasst hatte man uns gebeten, eine Bugpartie mit<br />
Stilelementen des Citroën DS und Panhard Dyna zu entwickeln –<br />
was für eine Vorgabe!<br />
Als Stylist, der sich die künftige Lok von vorne vorstellte, war mir<br />
schnell bewusst, dass es abgesehen von einem schmal-hochkantigen<br />
Rechteck wenig Gestaltungsspielräume gab. Nach dieser<br />
Erkenntnis plädierte ich für eine relativ kurze Nase, während<br />
man sich bei der SNCF für eine besonders lange Bugpartie aussprach.<br />
Doch wie kam es zu diesen unterschiedlichen Auffassungen?<br />
Als passionierter Automobildesigner, der ich war, gestehe<br />
ich, damals einen wichtigen Punkt übersehen zu haben: Ein<br />
Lokomotivführer des TGV muss den Zusammenstoss mit einem<br />
Hindernis, welches eventuell die Spur versperrt, unter allen Umständen<br />
unbeschadet überstehen können…<br />
Meine Exterieur-Entwürfe wurden letztlich nicht realisiert, doch<br />
ich konnte Einfluss auf die Innenraumgestaltung nehmen. Wir haben<br />
damals erstmals Kunststoffsitzschalen verwendet. Das war<br />
spannend und hat gut funktioniert, wie im Flugzeug.<br />
Obwohl gesagt werden kann, dass der TGV längst ein legendäres<br />
Transportmittel ist, fühlte ich mich damals nicht stark genug<br />
motiviert, weit von meiner grossen Leidenschaft abzurücken –<br />
dem Automobil. 1970 verliess ich also die «Angelegenheit TGV»,<br />
ohne ihr gross nachzutrauern, und ging zu BMW.<br />
Dieser Text ist eine Übersetzung aus dem 1991er-Buch<br />
«Carrosserie Passion – Paul Bracq» von Jean-Paul Thevenet<br />
Paul Bracq, 1933 in Bordeaux geboren, zählt zu den wichtigsten Automobildesignern<br />
des 20. Jahrhunderts. Er genoss eine klassische Ausbildung und<br />
war Assistent von Philippe Charbonneaux (Pegaso, Citroën). Es folgten zehn<br />
Jahre bei Mercedes-Benz, wo Bracq die Baureihen SE Coupé (W111), Pagoden-SL<br />
(W113), 600 (W100), S (W108) oder «Strich-Acht» (W114/115) verantwortete.<br />
1967 zog es ihn zu Brissonneau et Lotz, wo er neben dem TGV auch<br />
Automobile entwarf. 1970 folgte Bracq dem Ruf von BMW, zeichnete dort die<br />
spektakuläre Turbo-Studie und die ersten 3er-, 5er-, 6er- und 7er-Serien. 1974<br />
ging er als Interieur-Chef zu Peugeot und blieb bis zur Pensionierung 1996.<br />
herbst <strong>2012</strong> 147
Willkommen an Bord: chinesische Hostessen am Eingang zum CRH3, einer um<br />
31,5 Zentimeter verbreiterten Version des ICE3 mit stufenlosem Einstieg<br />
Höchstgeschwindigkeit von nur 200 km/h unter der Bezeichnung<br />
«Hochgeschwindigkeitszug» läuft. Aus dem Erbe der Cisalpino<br />
AG – des 2009 gescheiterten Joint-Ventures der SBB und<br />
Trenitalia – erhielten die SBB sieben Garnituren des Neigezugs<br />
ETR 610. Für die schnittige Kopfform des «Pendolino Due» zeichnete<br />
Giorgetto Giugiaro, Design-Vater des VW Golf I oder Fiat<br />
Panda I, verantwortlich. Der Pendolino ist für 250 km/h zugelassen;<br />
vier seiner sieben Wagen sind angetrieben. Der 57 Kilometer<br />
lange Gotthardt-Basistunnel (Eröffnung 2016) wird zusammen<br />
mit den neuen Neigezügen Tempo 250 ermöglichen. Dann dürften<br />
2:40 Stunden für Zürich–Mailand keine Illusion mehr sein.<br />
Von Europa ein Blick nach Asien. Hier hat «China in unglaublich<br />
kurzer Zeit einen gewaltigen Technologiesprung gemacht», sagt<br />
Tomas Meyer-Eppler. Auf der Nonstop-Verbindung zwischen<br />
Peking nach Nanjing werden Schnitte von 280 km/h erreicht. Im<br />
Vergleich dazu bringt es der schnellste TGV auf ein Stundenmittel<br />
von 271,8 km/h; der ICE 3 wirkt da mit seinen maximal 232 km/h<br />
zwischen Frankfurt und Siegburg fast schon wie eine Schnecke.<br />
Bis 2020 soll das Highspeed-Netz im Reich der Mitte auf 7500<br />
Kilometer anwachsen. Für die im Juni 2011 eingeweihte Strecke<br />
Peking–Shanghai wurden 244 Brücken und 22 Tunnel errichtet,<br />
überwacht von 321 Erdbeben- sowie 167 Wind- und Regendetektoren.<br />
Der Bau der 1318 Kilometer langen Trasse dauerte<br />
nur drei Jahre – für Europa eine undenkbar kurze Zeit. Und wer<br />
zum ersten Mal einen grossen Bahnhof wie Shanghai Hongqiao<br />
betritt, wähnt sich zunächst in einem hochmodernen Flughafen.<br />
Neben dem CRH3 aus der Velaro-Familie werden demnächst<br />
der Zefiro von Bombardier und der komplett in China konstruierte<br />
Harmony Express den Beförderungsdienst schultern. Der<br />
China hat Grosses mit seinem Schnellbahnnetz vor.<br />
Man träumt von Verbindungen bis hinunter<br />
nach Singapur und gen Westen bis nach Europa<br />
148 VECTURA #4
ahnverkehr<br />
Ist so schnell, wie er aussieht: Der CRH 380A ist als<br />
«Harmonie-Zug» zwischen Peking und Shanghai im Einsatz<br />
CRH 380 A genannte Harmonie-Zug fuhr bei Tests 2011 mit<br />
487 km/h einen neuen Weltrekord für serienmässige Triebwagenzüge<br />
mit verteiltem Antrieb. Er absolviert die Distanz zwischen<br />
Peking und Shanghai mit fünf Zwischenstopps in 5:30 Stunden.<br />
Ein Unfall mit 43 Toten im Juli 2011 zeigte jedoch, dass die<br />
Bäume auch in China nicht in den Himmel wachsen. Nach einem<br />
Blitzeinschlag war ein Schnellzug liegengeblieben, worauf nach<br />
Fehlern im Signalsystem ein nachfolgender Zug in den Havaristen<br />
prallte. Dennoch ist mit China zu rechnen: Schon heute liegt<br />
hinter Bombardier und Alstom ein chinesisches Unternehmen auf<br />
Platz drei der weltweit grössten Schnellzugproduzenten. Man<br />
träumt von einem Schienennetz bis hinunter nach Singapur und<br />
gen Westen bis nach Europa.<br />
eines Überschall-Jets – und einer Antriebsleistung von 18 240 kW.<br />
1997 verbuchte er für die 144,9 Kilometer zwischen Okayama und<br />
Hiroshima 34 Minuten – macht ein Mittel von 255,7 km/h. Am Ende<br />
wurden aber nur neun Einheiten gebaut, denn die Beschaffungskosten<br />
waren einfach zu hoch. Die aktuelle Serie 700 mit markantem<br />
Entenschnabel ist laut Meyer-Eppler «eine Folge von Sparmassnahmen».<br />
Doch auch dieser Shinkansen ist auf Plantempo<br />
300 zugelassen und setzt den Mythos nahtlos fort.<br />
Lesen Sie weiter auf Seite 156<br />
Das erste Land mit einer Schnellfahrstrecke war Chinas Nachbar<br />
Japan. Der erste Shinkansen («Neue Stammstrecke») mit Beinamen<br />
Hikar («Blitz») hatte eine kugelförmige, von der legendären Propellermaschine<br />
DC3 Dakota inspirierte Nase. Dieser erste «Bullet<br />
train» durchfuhr 1964 als Tokaido Express die Strecke von Tokio<br />
nach Osaka in 3:10 Stunden. Heute braucht der Superexpress<br />
Nozomi («Hoffnung») für die 515,4 Kilometer nur noch 2:30 Stunden.<br />
Die dritte Shinkansen-Generation trumpfte 1985 schon<br />
mit einer aerodynamisch ausgefeilteren Kopfform und (erstmals)<br />
Drehstrom-Asynchronmotoren auf. Bis heute futuristischster Shinkansen<br />
ist jedoch der von Alexander Neumeister aus München entworfene<br />
Typ 500. Er glänzte mit einer 15 Meter langen Nase im Stil<br />
Arbeitsbeginn: ein japanischer Zugführer vor dem Parkplatz<br />
älterer Shinkansen der Serien 0 (zweiter von vorn),<br />
100 (dritter von vorn) und 300 (ganz vorn)<br />
herbst <strong>2012</strong> 149
Japanische Entenschnäbel: Der doppelstöckige E4 (oben hinten) ist hässlich,<br />
aber aerodynamisch ebenso perfekt wie der E5<br />
150 VECTURA #4
ahnverkehr<br />
Auch beim pfeilförmigen JR 500 und dessen Nachfolger JR 700 sollen die Langnasen den Tunnelknall ersticken<br />
herbst <strong>2012</strong> 151
1934er DeSoto Airflow vor dem Schnellzug «City of Salinas»:<br />
Damals beeinflusste die Stromlinie RUBRIKEN gleichermassen<br />
die Formgebung von Autos und Zügen<br />
Trotz Stromlinie:<br />
Bei 200 km/h war Schluss<br />
Text Thomas Imhof · Fotos Andreas Knipping, DB Museum Nürnberg, Loewy Design, SBB Historic, Werk<br />
Gerade mal 24 Jahre war es her, dass Werner von<br />
Siemens 1879 in Berlin die erste elektrische Lokomotive<br />
entwickelt hatte – als 1903 eine noch heute<br />
verblüffende Fahrt stattfand: Ein sechsachsiger Drehstromversuchstriebwagen<br />
von Siemens & Halske und AEG schaffte von<br />
Marienfelde nach Zossen die unglaubliche Höchstgeschwindigkeit<br />
von 210,3 km/h! Das Konzept mit sechs Stromabnehmern<br />
aus einer dreiteiligen Oberleitung war jedoch zu komplex für den<br />
Serieneinsatz. Dennoch war der Keim gelegt: Nach dem Ersten<br />
Weltkrieg wurde die Entwicklung von Schnellzügen in ganz<br />
Europa stark vorangetrieben.<br />
Ein starkes Ausrufezeichen setzte 1930 der Schienenzeppelin<br />
– ein für den Eisenbahnhistoriker Andreas Knipping «bizarres<br />
Signal der Innovation». Konstrukteur Franz Kruckenberg selbst<br />
nannte das von einem am Heck installierten Flugzeugpropeller<br />
angetriebene Vehikel «Flugbahn-Wagen». Angetrieben wurde das<br />
nur 18,6 Tonnen wiegende Fahrzeug von einem Zwölfzylinder-<br />
BMW-Flugmotor mit 600 PS. Die Konstruktion war hyperleicht:<br />
Über Spanten aus Aluminium spannte sich Segeltuch.<br />
Dieses noch heute futuristisch anmutende Mobil absolvierte am<br />
21. Juni 1931 die Distanz zwischen Hamburg und Berlin in nur<br />
98 Minuten und erreichte unterwegs eine Spitze von 230,2 km/h.<br />
Erst 2004 und damit über 70 Jahre später sollte ein moderner<br />
ICE auf der gleichen Strecke schneller sein. Dass der 1939 verschrottete<br />
Rekordwagen kein kommerzieller Erfolg wurde, hatte<br />
triftige Gründe: Das Anhängen zusätzlicher Wagen war ebenso<br />
wenig möglich wie das Bilden von Triebzügen oder gar Rückwärtsfahren.<br />
Dennoch war der Schienenzeppelin ein Motor des Fortschritts,<br />
dem auch der Schnelltriebwagen VT877 von WUMAG und<br />
Maybach nacheiferte: Als weltweit erster seiner Art nahm er im<br />
Mai 1933 mit bis zu Tempo 160 den planmässigen Betrieb auf<br />
der Bahnstrecke Hamburg–Berlin auf. Neu am «Fliegenden Hamburger»,<br />
wie ihn der Volksmund bald nannte, waren die Stromlinienform,<br />
seine Leichtbauweise und der dieselelektrische Antrieb<br />
mit zwei Maybach-Zwölfzylindern, Gleichstrom-Generatoren<br />
und elektrischen Fahrmotoren. Die Zeit von 2:18 Stunden für die<br />
286 Kilometer war konkurrenzlos – ein Dampf-D-Zug brauchte<br />
seinerzeit noch knapp vier Stunden. Aber auch im Italien Mussolinis<br />
ging es auf der Schiene hoch her: 1939 legte ein dreiteiliger<br />
elektrischer Schnellzug die 219 km von Bologna nach Mailand<br />
in 77 Minuten zurück – mit einem Schnitt von 171 km/h! In der<br />
Spitze schwang sich dieser aerodynamisch im Windkanal des Turiner<br />
Polytechnikums optimierte ETR 200 sogar kurzzeitig zu Tempo<br />
203 auf, was einen neuen Weltrekord darstellte. Der planmässige<br />
Einsatz des regulär auf 160 bis 175 km/h ausgelegten Zuges<br />
hatte bereits 1937 begonnen. Dennoch: Die auch für Automobile<br />
der Vorkriegszeit noch magische 200-km/h-Grenze stellte für die<br />
in den Dreissigern neu aufs Gleis rollenden Stromlinien-Dampfloks<br />
das Tempolimit dar. Am 11. Mai 1936 erreichte die 05 002 genannte,<br />
vom Lokomotivenlieferant Borsig gebaute Stromliniendampflok<br />
auf der Berlin–Hamburg-Strecke unter Ausnutzung aller Ressourcen<br />
200,4 km/h. Zwei Jahre später war die britische Mallard mit<br />
202,6 km/h noch einen Tick schneller – da sie die Geschwindigkeit<br />
jedoch auf einer leicht abschüssigen Strecke und auf Kosten eines<br />
heiss gelaufenen Treibstangenlagers erzielte, verbucht das Gros<br />
der Eisenbahn-Experten die deutsche Dampflok heute zumindest<br />
als inoffiziellen Rekordhalter.<br />
152 VECTURA #4
historie<br />
Zwischen Berlin und Dresden machte ab 1936 noch ein anderer<br />
Stromlinienzug Furore: Der 160 km/h schnelle Henschel-<br />
Wegmann-Zug war eine Tenderlokomotive mit Vollverkleidung<br />
und dazu passender stromlinienförmiger Wagengarnitur. Mit<br />
einem klassisch-düsteren D-Zug hatte der mit Elfenbein-Violett<br />
kontrastreich lackierte Zug nichts gemein. Auch sonst wurde<br />
auf Stil geachtet: Die Lok erhielt mit silbernen Verkleidungen für<br />
Kessel und Kohlekasten einen zusätzlichen Akzent, und ein Platz<br />
im halbkreisförmig abgerundeten Endwagen mit Aussichtsabteil<br />
war heiss begehrt. Der Henschel-Wegmann war natürlich nicht<br />
nur stylish, sondern auch schnell: Er schulterte die 180 km lange<br />
Strecke bis in die Elbe-Metropole in 1:42 Stunden. Bis heute dauert<br />
eine Fahrt von Berlin nach Dresden per Schiene noch immer<br />
mindestens zwei Stunden – eine Hypothek der verworrenen Zeiten<br />
im auch weitgehend Schienennetz-geteilten Berlin.<br />
Der Trend zur Stromlinie bestimmte in den 30er-Jahren nicht nur<br />
die Gestaltung von Automobilen – auch die Eisenbahn-Stylisten<br />
konnten sich dem Hype nicht verschliessen. Raymond Loewy,<br />
nach dem Zweiten Weltkrieg auch bekannt geworden durch seine<br />
Studebaker-Designs, entwarf für die Pennsylvania Railroad<br />
zwei futuristisch anmutende Streamliner – die Typen S-1 und T-1.<br />
Windschnittige Bahnen standen für Fortschritt, Optik war wichtiger<br />
als die reine Strömungslehre, denn im Konkurrenzkampf<br />
gegen das Automobil und das Flugzeug mussten die Eisenbahngesellschaften<br />
ihr Image aufmöbeln. Wie hiess doch Loewys<br />
Design-Doktrin so schön: «Hässlichkeit verkauft sich schlecht.»<br />
Doch bald zeigte sich auch in den USA, dass Dieselloks eine<br />
bessere Energieausnutzung zu bieten hatten. Stromlinien-Züge<br />
mit Dieselantrieb wie die aus Aluminium gebaute und voll klimatisierte<br />
«City of Salinas» deuteten den Technologie-Wechsel an,<br />
zumal die bisherigen Stromlinien-Loks auch grosse thermische<br />
Probleme gehabt hatten. Knipping schrieb über die deutschen<br />
Dampfrösser: «Die Verkleidungen erschwerten die Wartung, führten<br />
zu Wärmestaus und waren rostanfällig. Man behalf sich mit<br />
Rollläden, die bei Hitze geöffnet wurden. Schon nach wenigen<br />
Monaten zeigten sich die anfangs glänzenden Hüllen verbeult<br />
und verkratzt, blieben Klappen und Rollläden dauerhaft offen<br />
und fehlten erste Bleche. Bei der Reaktivierung nach Kriegsende<br />
wurden daher als Erstes alle Verkleidungen wieder abgeschraubt.»<br />
Fast wirkte es wie ein Befreiungsschlag vom scheinbar<br />
zementierten 200 km/h-Limit, als am 28. und 29. März 1955 die<br />
französische SNCF auf einer kerzengeraden Strecke zwischen<br />
Bordeaux und Dax zur neuen Rekordjagd blies. Die Gleichstrom-<br />
Elektrolok BB 9004 schraubte die neue Bestmarke auf sagenhafte<br />
331 km/h, doch waren es Fahrten auf des Messers Schneide.<br />
Schnell, aber kompliziert: Mit gleich sechs Stromabnehmern<br />
erreichte dieser elektrische Triebwagen<br />
schon 1903 unglaubliche 210 km/h<br />
Futuristisch: Den Schienenzeppelin trieben 1931 ein BMW-<br />
Flugmotor und ein hölzerner Propeller auf Spitzentempo 230<br />
Bugatti «Wagon Rapide»: Mit bis zu vier V12-Royale-Motoren<br />
erwies sich der elegant gestylte und über 190 km/h schnelle<br />
Triebwagen als spiritueller Vorläufer des TGV<br />
Kultdesigner Raymond Loewy gestaltete so ziemlich alles.<br />
Hier steht er auf einer von ihm entworfenen Dampflok<br />
Mit Reisetempo 160 bis zum Vesuv: Italiens erster, bereits<br />
elektrifizierter Schnellzug ETR 200 anno 1938 in Mailand<br />
herbst <strong>2012</strong> 153
historie<br />
Im Juni 1939 lieferte Henschel im Werk Kassel die Stromlinien-Tenderlok 61 002 aus.<br />
Ihr Einsatz vor dem Henschel-Wegmann-Zug scheiterte am Kriegsausbruch<br />
Inbegriff des eleganten Reisens im europäischen Wirtschaftswunder:<br />
Der ab 1957 eingesetzte deutsche TEE mit Dieselantrieb fiel auf, wo immer er gerade fuhr<br />
154 VECTURA #4
Die Schleifleisten der Stromabnehmer glühten und drohten,<br />
die Oberleitung zu zerfetzen. Bis 2006 hatte dieser Weltrekord<br />
für konventionelle Elektrolokomotiven Bestand – bevor eine<br />
Siemens-Lok zwischen München und Ingolstadt 357 km/h auf<br />
die Gleise schrieb.<br />
Den Übergang zu den Expressbahnen der Gegenwart leitete ab<br />
1957 der Trans Europ Express (TEE) ein. Sieben Bahnverwaltungen,<br />
darunter die Schweizer SBB, die französische SNCF<br />
und die deutsche DB, hatten zuvor Standards für Schnellzüge<br />
zwischen den Staaten der neuen EWG und der Schweiz festgelegt.<br />
Aufgrund der vier verschiedenen Stromsysteme in Europa<br />
schloss sich ein einheitlicher Zug zwar aus, aber man definierte<br />
wenigstens Gemeinsamkeiten: Spitze mindestens 140 km/h, maximal<br />
18 Tonnen Achslast, hohe Laufruhe, nur Wagen der ersten<br />
Klasse für 100 bis 120 Passagiere, maximal drei Sitze pro Reihe,<br />
Bordküche und die einheitliche Lackierung in Bordeauxrot/<br />
Creme. So entstand ein Luxuszug-Konzept für die Upper Class.<br />
Der deutsche Dieseltriebzug vom Typ VT 115 wurde schnell zum<br />
Sinnbild für internationales Reisen – die Neue-Deutsche-Welle-<br />
Band Kraftwerk hat ihm 1977 mit ihrem sechsten Studioalbum<br />
«Trans Europa Express» sogar ein musikalisches Denkmal gesetzt.<br />
Klaus Flesche, Leiter der Architekturabteilung bei MAN,<br />
hatte den VT 115 entworfen. Der Maschinenwagen in Form eines<br />
Schlangenkopfs wurde zum Symbol der modernen Eisenbahn<br />
und eine Stil-Ikone. 1100 PS starke Maybach-Diesel sorgten für<br />
die geforderten 140 km/h, während es innen nicht nur an der<br />
Bord-Bar sehr komfortabel zuging.<br />
Als Co-Produkt entwickelten die Staatsbahnen der Schweiz und<br />
der Niederlande parallel ihren eigenen TEE-Triebzug: Der RAm/DE<br />
(«TEE I») verfügte über einen sechsachsigen Motorwagen mit<br />
zwei Diesel und zusammen 2000 PS, die über E-Motoren alle<br />
Achsen antrieben. Im Design weniger avantgardistisch als das<br />
deutsche Pendant, ähnelte der TEE I eher nordamerikanischen<br />
Stil-Vorbildern. Typische TEE-Strecken waren Paris Est–Zürich<br />
(TEE Arbalète) in 5:43, Zürich–Amsterdam (TEE Edelweiss) in<br />
9:32, Hamburg–Zürich (TEE Helvetia) in 8:48 oder München–<br />
Mailand (TEE Mediolanum) in 6:39 Stunden.<br />
Einen geschüttelten Martini bei Tempo 140:<br />
im Barwagen des TEE VT 11 5<br />
Schon Mitte der 50er-Jahre hatten die SBB auch die Möglichkeit<br />
für einen elektrischen Triebzug studiert. Er sollte unter allen<br />
Stromsystemen Europas verkehren können, was ihn universell<br />
einsetzbar machen würde. Und so gebührt der Oerlikon AG die<br />
Ehre, 1961 den ersten Vierstrom-Triebzug mit Namen RAe oder<br />
«TEE II» serienreif entwickelt zu haben. Zum Sommerfahrplan<br />
1961 starteten drei Exemplare als TEE Cisalpin (Paris–Brig–Mailand)<br />
sowie TEE Gottardo und Ticino (beide Zürich–Mailand). Die<br />
Vorteile der elektrischen Traktion zeigten sich vor allem auf den<br />
Steigungstrecken durch den Simplon und Gotthard. Und – im<br />
Flachland fuhren die Stromer mit 160 km/h immerhin 20 km/h<br />
schneller als die Diesel-TEE.<br />
Der Viersystem-RAe der SBB lief unter anderen über 30 Jahre lang<br />
den Bahnhof Milano Centrale an. Hier hält er im Bahnhof von Airolo<br />
1974/75 erreichte das TEE-Netz seine grösste Ausdehnung – mit<br />
den Eckpunkten Kopenhagen, Barcelona, Hendaye/Irun, Neapel,<br />
Bari, Wien und Klagenfurt. Vom TEE führte die Entwicklung zunächst<br />
zum Inter- und Eurocity und weiter zu jenem Highspeed-<br />
Netzwerk, dessen Hauptstränge heute der TGV, der ICE und die<br />
neuen Schnellbahnen in Spanien und Italien bilden.<br />
herbst <strong>2012</strong> 155
ahnverkehr<br />
Deutscher Exportflop: Der Transrapid schwebt bislang nur in Shanghai<br />
Fortsetzung von Seite 149<br />
Der nährt sich vor allem aus dem vom Nah-und Güterzugverkehr<br />
komplett getrennten Netz. Die Pünktlichkeit der alle fünf Minuten<br />
verkehrenden Züge ist legendär: Zusammen kommen auf den<br />
insgesamt 2388 Kilometer langen Strecken (Stand: 2011) am Tag<br />
Verspätungen von durchschnittlich nur fünf Minuten vor. Schon<br />
bei Verzögerungen ab 15 Sekunden muss sich ein Triebfahrzeugführer<br />
schriftlich verantworten! Überall im Land melden Sensoren<br />
jedes kleine Beben. Kommt es zu einer Eruption, wird sofort der<br />
Strom in der Oberleitung abgeschaltet und eine Zwangsbremsung<br />
wird eingeleitet. Zwar sind Shinkansen dabei schon mal aus<br />
den Gleisen gesprungen, doch wie in Frankeich gab es bis heute<br />
noch keinen tödlichen Unfall.<br />
Japan wird mittelfristig das Vorzeigebeispiel im Schienenschnellverkehr<br />
bleiben, sagen Bahnexperten. Frankreich, Spanien und<br />
China sind führend, wenn es um die reine Topspeed geht. Das<br />
Mutterland der Eisenbahn – England – hinkt derweil ebenso dem<br />
Trend hinterher wie die USA. Anders Korea (mit der Eigenkonstruktion<br />
Korail KTX2), Taiwan (Shinkansen Serie 700) und die<br />
Türkei (Triebzüge der spanischen Baureihe 120), die alle bereits<br />
Schnellbahnstrecken unterhalten. In Deutschland wird weiter<br />
nur an Neubaustrecken-Inseln gearbeitet, während das einstige<br />
deutsche Prestigeobjekt, die Magnetschwebebahn Transrapid,<br />
im eigenen Land systematisch totdiskutiert wurde. So blieb es<br />
bis heute bei einer einzigen, 30 Kilometer langen Verbindung zwischen<br />
dem Flughafen und der Innenstadt von Shanghai. Vor Aufnahme<br />
des Regelbetriebs Anfang 2004 erreichte der Transrapid<br />
SMT (Shanghai Maglev Train) am 11. November 2003 eine Spitze<br />
von 501 km/h und durfte sich danach «schnellster kommerzieller<br />
Magnetschwebezug der Welt» nennen. Im Linienverkehr ist er dagegen<br />
«nur» mit 430 km/h unterwegs.<br />
Magnetschwebebahnen oder Maglevs (für «magnetic levitation»<br />
= magnetisches Schweben) könnten die Lücke zwischen Bahn<br />
und Flugzeug theoretisch noch besser schliessen als die neuen<br />
Hochgeschwindigkeitszüge. Denn für den Sprint von null auf<br />
300 km/h benötigt zum Beispiel der Transrapid nur vier Kilometer, ein<br />
ICE 3 dagegen rund 18. Doch nicht nur die Transrapid-Versuchsstrecke<br />
im deutschen Emsland wurde Ende 2011 aufgegeben,<br />
auch weitere Ausbaustrecken in China blieben Makulatur. Zu teuer,<br />
zu einschneidend in die Landschaft, argumentierten die Kritiker.<br />
Rainer Bomba, Staatssekretär im deutschen Bundesverkehrsministerium,<br />
glaubt dennoch an eine Zukunft: «Die Technologie ist<br />
nur 50 Jahre zu früh entwickelt worden, man darf sie nicht aufgeben.»<br />
Das denken wohl auch die Japaner, die ihren JR Maglev<br />
MLX01 ab 2025 auf einer 290 Kilometer langen Strecke zwischen<br />
Tokio und Osaka anlaufen lassen wollen. Die Züge verkehren<br />
schon seit 1997 im Testbetrieb und schweben elektrodynamisch<br />
auf supraleitenden Spulen. Dabei werden während schneller Fahrt<br />
durch magnetische Wechselfelder innerhalb des Fahrzeugs Ströme<br />
induziert, die ihrerseits ein Gegenfeld für die Tragefunktion erzeugen.<br />
Anders als beim mit einem elektromagnetischen Schwebesystem<br />
ausgestatteten Transrapid braucht der japanische Zug<br />
zusätzlich Räder, weil das elektrodynamische System unterhalb<br />
von 150 km/h nicht genug Magnetkraft aufbringt. Erst bei höheren<br />
Geschwindigkeiten werden die Räder eingefahren – und der Zug<br />
schwebt. Im Dezember 2003 stellte der JR-Maglev mit 581 km/h<br />
einen noch heute gültigen Geschwindigkeitsweltrekord für Einschienensysteme<br />
auf. Wegen der nur 18 Kilometer langen Strecke<br />
konnte er diese Speed aber nur fünf Sekunden lang halten.<br />
Angesichts solcher Szenarien werden Eisenbahnromantiker der<br />
für sie «guten alten Zeit» sicher bald nachtrauern. Als es noch<br />
gemütlich durchs malerische Rheintal ging – besonders reizvoll,<br />
wenn der von den SBB gestellte Panoramaaussichtswagen<br />
angehängt war. In den mit Schiebetüren und Vorhängen abgetrennten<br />
Sechser-Abteilen kam man noch fast zwangsläufig mit<br />
Mitreisenden ins Gespräch. Heute regiert allgemein die kühle<br />
Sachlichkeit des Grossraumwagens samt Laptop, Smartphone<br />
und Video-Bildschirm. Und draussen rast die Landschaft so<br />
schnell vorbei, dass das Auge kaum noch mitkommt.<br />
Literatur zum Thema Tomas Meyer-Eppler: Bildatlas der schnellsten Züge,<br />
144 S., 230 Abb., GeraMond-Verlag, ISBN 978-3-86245-105-0, CHF 27,90<br />
156 VECTURA #4
Karting<br />
Vuiteboeuf<br />
1600 Meter<br />
indoor und<br />
outdoor<br />
Strecke<br />
EN BOCHET / 1445 VuiTEBOEuf / TE l 024 459 19 22 / karT i N g V uiTEBOEu f. CH
auto-fitness<br />
RUBRIKEN<br />
550 PS und vier Liter Flüssigkeit<br />
Zwei Profirennfahrer erläutern ihr persönliches Ernährungsverhalten<br />
Text Susanne Rendenbach · Fotos motioncompany<br />
viermal die Woche aus mindestens einer Stunde Joggen im Wald<br />
plus zwei- bis dreimal Krafttraining. Letzteres ganz entspannt,<br />
wie er betont, und nicht länger als zehn bis 15 Minuten. Was die<br />
mentale Rennvorbereitung angeht, hat Hari, wie ihn alle nennen,<br />
ein äusserst familienfreundliches Rezept: «Ich spiele mit meiner<br />
kleinen Tochter, mehr brauche ich nicht.»<br />
Von einer perfekten Figur träumen die meisten Männer.<br />
Fit-Sein spielt für manche gar eine existentielle Rolle,<br />
weil es die Basis für ihren Beruf ist – wie bei den beiden<br />
österreichischen Motorsportlern Dominik Baumann und Hari<br />
Proczyk. Bei insgesamt acht Rennen der ADAC GT Masters <strong>2012</strong><br />
gehen sie als Team mit ihrem Gize SLS an den Start. Auch als<br />
Konkurrenten bei der FIA GT3 European Championship sind sie<br />
äusserst erfolgreich unterwegs: Der 19-jährige Baumann führte<br />
die Gesamtwertung an, Proczyk (36) lag zeitweise mit zwei Rennen<br />
Rückstand auf Platz drei. Wie sie sich körperlich und mental<br />
auf die Rennen vorbereiten und welche Rolle das Thema Ernährung<br />
in ihrem Leben spielt, haben sie im Gespräch erzählt.<br />
Baumann hat zwar kein Kind, ist in Bezug auf die mentale Vorbereitung<br />
aber ebenso relaxed wie sein Teamkollege: «Ich habe<br />
kein spezielles Vorgehen. Kurz vor dem Rennen gibt es natürlich<br />
eine kurze Phase, in der man sich sammelt.» Sportlich setzt er auf<br />
Kart-Fahren: «Das ist das beste Training überhaupt, weil es von<br />
den Händen bis zum Hals und der Sensibilität für das Auto alles<br />
umfasst. Am nächsten Tag spürt man jede Stelle des Körpers.»<br />
Wie seine älteren Kollegen auch zieht es das Nachwuchstalent<br />
ansonsten in die Natur: «Ich fahre viel Mountainbike in den Bergen.»<br />
Auf die Frage, wie er sich ernährt, antwortet er ohne langes<br />
Nachdenken: «Ich versuche, möglichst ausgeglichen zu essen<br />
und immer viel zu trinken.» Vier Liter Flüssigkeit am Tag, und zur<br />
Belohnung auch ein Gize mit seinem – wie Proczyks – Lieblingsaroma<br />
Pineapple-Coconut, gehören für ihn dazu. Offenbar liegen<br />
die beiden Österreicher auch geschmacklich ganz auf einer<br />
Wellenlänge…<br />
Gize stammt aus Nova Scotia im äussersten Osten Kanadas und<br />
ist ein besonders reines Quellwasser, welches vor der Abfüllung<br />
durch eine eigens entwickelte Goldfilterung weiter veredelt wird.<br />
Angeboten werden nicht nur Still und Sparkling, sondern auch<br />
vier ungewöhnliche Geschmackssorten in einer mehrfach international<br />
ausgezeichneten Design-Flasche. www.gize.com<br />
In seiner ersten Saison 2011 schaffte es das Alpen-Duo gleich<br />
viermal aufs Podium. Insgesamt schlossen Baumann und Proczyk<br />
bei ihrer Premiere mit dem Fahrzeug ihres Hauptsponsors,<br />
dem weiss-goldenen Gize SLS, als bester SLS der ADAC GT mit<br />
einem beachtlichen fünften Platz in der Gesamtwertung ab. Unter<br />
die ersten fünf wollen sie dieses Jahr erneut. Da heisst es nicht<br />
nur Gas geben und trainieren, sondern auch – das Richtige essen.<br />
Oder eben das Falsche weglassen. So handhabt es jedenfalls<br />
Proczyk, der auf Brötchen und Brot weitgehend verzichtet<br />
– zugunsten von Fitness und Gewicht, sogar in rennfreien Zeiten.<br />
Genauso wie auf Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Kohlehydrate insgesamt<br />
hat der zweifache Familienvater beinahe ganz von seiner<br />
Einkaufsliste gestrichen: «Ich versuche, mich möglichst eiweissreich<br />
zu ernähren. Denn Eiweiss ist das, was am leichtesten wieder<br />
runtergeht, wenn man Gewicht reduzieren will.» Und er betont:<br />
«Flüssigkeit ist enorm wichtig. Egal, ob ein Rennen ansteht<br />
oder nicht.» Drei bis vier Liter trinkt Proczyk täglich; er greift dabei<br />
meist zu kohlensäurearmen Varianten. «Mindestens zehn kleine<br />
Flaschen Gize liegen immer in meinem Kühlschrank. Mit meinem<br />
persönlichen Favoriten Gize+ Pineapple-Coconut belohne ich<br />
mich nach einem besonders erfolgreichen Training.» Das besteht<br />
158 VECTURA #4
Grip und Bremspower<br />
Im Motorsport getestet:<br />
für die Strasse<br />
Neues Profildesign mit<br />
stabilisierenden Blöcken für<br />
kürzere Bremswege<br />
Massive Aussenschulterblöcke<br />
für eine verbesserte<br />
Stabilität<br />
Neue Mischung für verbesserten<br />
Grip bei Nässe<br />
und auf trockener Fahrbahn<br />
Gewichtsreduzierte<br />
Konstruktion für geringeren<br />
Spritverbrauch<br />
www.dunlop.ch
www.prestigemedia.ch | CHF 10.–<br />
03<br />
9 772235 369009<br />
Impressum<br />
Herausgeberin Prestige Media AG,<br />
Bösch 73, CH-6331 Hünenberg (ZG)<br />
Verleger Francesco J. Ciringione<br />
Chefredaktor Matthias Pfannmüller (map)<br />
m.pfannmueller@prestigemedia.ch<br />
Gestaltung Tobias Merz<br />
Mitarbeiter dieser Ausgabe Simon Baumann,<br />
Clauspeter Becker, Adriano Cimarosti,<br />
Georg Dönni, Hubertus Hoslin, Thomas Imhof,<br />
Roland Löwisch, Stefan Lüscher,<br />
Wolfgang Peters, Susanne Rendenbach,<br />
Boris Schmidt, Mark Stehrenberger,<br />
Helena Sukova, Herbert Völker,<br />
Robert Waltmann<br />
Fotografen dieser Ausgabe Georg Bärtschi,<br />
William Bradford, Nick Dimbleby,<br />
Umberto Guizzardi, Reinhard Klein,<br />
Andreas Keller, Andreas Knippling,<br />
Lorenzo Marcinnò, Michael Muller,<br />
Alastair Ritchie, Ian G.C. White, map<br />
Lektorat Andreas Probst<br />
Produktionsleitung Tobias Merz<br />
t.merz@prestigemedia.ch<br />
Verlag / Produktion Prestige Media AG,<br />
Leimgrubenweg 4, CH-4053 Basel<br />
Telefon +41 (0) 61 335 60 80<br />
Telefax +41 (0) 61 335 60 88<br />
info@prestigemedia.ch<br />
www.prestigemedia.ch<br />
www.prestigenews.ch<br />
Web & IT Dejan Djokic<br />
Koordination Laura Giarratana<br />
Abo Service Serpil Dursun<br />
Telefon +41 (0) 61 335 60 80<br />
info@prestigemedia.ch<br />
Einzelnummer CHF 10.–<br />
Jahresabo CHF 39.–<br />
Erscheinungsweise vierteljährlich<br />
Marketing- und Anzeigenleitung Boris Jaeggi<br />
b.jaeggi@prestigemedia.ch<br />
Wiedergabe von Artikeln und Bildern,<br />
auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit<br />
ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.<br />
Für unverlangte Zusendungen wird von<br />
Redaktion und Verlag jede Haftung abgelehnt<br />
VECTURA #5<br />
liegt ab dem<br />
11. Dezember <strong>2012</strong><br />
am Kiosk.<br />
Abonnenten erhalten<br />
das Magazin<br />
eine Woche früher<br />
www.<strong>vectura</strong>mag.ch<br />
www.vECTURAMAG.CH<br />
[lat.: das Fahren]<br />
#4 | Herbst <strong>2012</strong><br />
Erbmasse<br />
MERCEDES G-KLASSE<br />
MADE IN USA // LAMBORGHINI CHEETAH<br />
HIGH-SPEED // SUPERZÜGE<br />
FAHRSPASS // 912 TRIffT CR-Z<br />
MOTORMENSCHEN // ALÉN / BRACQ / WARD<br />
EDITION ALLRAD<br />
Titelfoto Markus Bolsinger<br />
160 VECTURA #4
1. Platz in der Kategorie Classic<br />
tissot Le LocLe AutomAtic<br />
chronometer<br />
ausgewählt von Tony Parker – Basketballprofi<br />
Klassische Uhr mit einem COSC zertifizierten Automatikwerk,<br />
316L-Edelstahlgehäuse, kratzfestem Saphirglas und Wasserdichtigkeit<br />
bis zu einem Druck von 3 bar (30 m / 100 ft).<br />
in tOUCH witH yOUr time<br />
Get in touch at www.tissot.ch