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www.<strong>vectura</strong>mag.ch<br />
[lat.: das Fahren]<br />
#7 | Sommer 20<strong>13</strong><br />
Neu geboren<br />
Maserati Ghibli<br />
wilder westen // Seat Leon SC<br />
Legendär // Boxer-Bikes von BMW<br />
rolling home // Airstream<br />
Motormenschen // Heuer / Toyoda<br />
Jubiläums-EDITION<br />
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RUBRIKEN<br />
Das motion-magazin aus der schweiz<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 001
Der kompakte Wahnsinn.<br />
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Die Kraft des weltweit stärksten Serien-Vierzylinder-Turbomotors,<br />
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165 g/km (Durchschnitt aller verkauften Neuwagen: 153 g/km), Energieeffizienz-Kategorie: E.<br />
** Leasingbeispiel: Laufzeit: 48 Monate, Laufleistung: 10 000 km/Jahr, eff. Jahreszinssatz: 2.94 %, 1. grosse Rate: CHF <strong>13</strong> 500.–, Leasingrate ab dem 2. Monat: CHF 509.–.<br />
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diese zu einer Überschuldung des Leasingnehmers führen kann. Änderungen vorbehalten. Angebot gültig bis 31.08.20<strong>13</strong>. Immatrikulation bis 31.03.2014.
editorial<br />
Matthias Pfannmüller, Chefredaktor<br />
Vectura #7<br />
Jubiläums<br />
edition<br />
Irgendwer hat immer Geburtstag. Doch in der Auto-<br />
Saison 20<strong>13</strong> wird besonders viel gefeiert, jagt ein Toast den<br />
anderen. Vor 150 Jahren zum Beispiel bewegte sich die erste<br />
von einem Verbrennungsmotor angetriebene Kutsche, das<br />
Hippomobil von Jean-Joseph Étienne Lenoir, ganz ohne Pferde<br />
vorwärts – für Augenzeugen muss das ein Schock gewesen sein.<br />
1863 wurden Henry Ford und Henry Frederick Royce geboren.<br />
Vor 125 Jahren unternahm Cäcilie Bertha Benz ihre berühmte<br />
Überlandfahrt, liess sich John Boyd Dunlop den Luftreifen patentieren<br />
(wenn auch nicht als Erster), erblickte W.O. Bentley das<br />
Licht der Welt. 1903 entstand Harley-Davidson.<br />
Schon ein Jahrhundert ist es her, dass Rudolf Diesel starb oder<br />
Autos erstmals vom Fliessband liefen. 1923 schliesslich entstand<br />
die Automarke Tatra, wurde Carroll Shelby geboren oder TVR-<br />
Gründer Trevor Wilkinson. Land Rover feiert momentan 65-jähriges<br />
Jubiläum; vor 60 Jahren lief der erste Seat vom Band. Und<br />
dann 1963: McLaren wurde gegründet, Alfa Romeo baute den<br />
Giulia Sprint GT «Bertone», Aston Martin den DB5, Mercedes den<br />
staatstragenden 600 und in Italien scharrte der allererste Lamborghini<br />
mit den Hufen. Parallel ging die Formel Vau an den Start,<br />
Lotus holte erstmals eine Formel-1-Meisterschaft. Ganze 40 Jahre<br />
liegt es zurück, dass Alpine mit der A110 den Markentitel in der<br />
Rallye-WM gewann, die damals zum ersten Mal stattfand. 1983<br />
löste der Fiat Uno die Baureihe 127 ab. Und vor immerhin 25 Jahren<br />
wurde die Luxusmarke Lexus aus der Taufe gehoben.<br />
Wir merken: Mit den Feierlichkeiten geht es fröhlich weiter, selbst<br />
krumme Geburtstage sind manchen Herstellern mittlerweile eine<br />
Pressemitteilung wert. Bei einigen Terminen gibt es tatsächlich<br />
Grund zum Jubeln, andere sind eher traurig oder wirken angestrengt.<br />
Trotzdem begeht man sie, denn Historie und Emotion sind<br />
nach wie vor wesentliche Verkaufsargumente. Bei einigen Häusern<br />
ist der Stolz berechtigt: Die Ältesten von ihnen sind Überlebende aus<br />
der automobilen Ursuppe, verfügen also über Erfolg, Kontinuität und<br />
nicht zuletzt Instinkt für das richtige Produkt zur rechten Zeit.<br />
Diese Ausgabe ist allen Geburtstagskindern gewidmet – und<br />
würdigt neben den üblichen Verdächtigen einige Kandidaten und<br />
Anlässe, die weniger bekannt sind. Selbst Neuwagen haben das<br />
Zeug zum künftigen Klassiker, aber man muss nicht alles hypen,<br />
was vier Räder hat. Legendenbildung nährt sich schliesslich aus<br />
mehreren Faktoren und nicht zuletzt aus der positiven Erinnerung.<br />
In diesem Sinne: Happy Birthday!<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 003
inhalt #7<br />
EDITORIAL<br />
ORTSTERMIN<br />
Das alljährliche Lotus-Treffen im englischen<br />
Donington Park ist ein Stelldichein der<br />
Skurrilitäten – und deshalb die Anreise wert<br />
NEUER KURVENSTAR<br />
Mit dem Jaguar F-Type wird ein altes Versprechen<br />
eingelöst. Es darf kräftig applaudiert werden<br />
003<br />
006<br />
016<br />
POLITISCHES ASYL<br />
Es gab sie bereits, als sich Castro und<br />
Hemmingway gemeinsam betranken.<br />
Heute gehören Kubas Strassenkreuzer<br />
zu den Touristen-Attraktionen<br />
KÜNSTLICHER HORIZONT<br />
Vor 90 Jahren kam ein fortschrittliches<br />
Motorrad mit Zweizylinder-Boxer auf den<br />
Markt. Die BMW-R-Serie existiert bis heute<br />
084<br />
098<br />
VOM WUNSCH ZUR WIRKLICHKEIT<br />
Er schenkte der Welt traumhafte Sportwagen:<br />
zweiter Teil der Vita von Ferruccio Lamborghini<br />
VITE LA FRANCE<br />
Der Peugeot 208 GTI knüpft an rasante Zeiten an.<br />
Damit will er alte wie neue Kunden locken<br />
IM NAMEN DER LIEBE<br />
Wenn es schnell gehen muss, ist der rassige<br />
Seat Leon SC eine sehr gute Wahl. Zudem<br />
hat er einen ausreichend grossen Kofferraum…<br />
LEIDENSCHAFTLICHE ZIFFERN<br />
Wie der Porsche 911 zu seinem Namen kam und<br />
was es mit all den anderen Typennummern auf sich<br />
hat. Dazu servieren wir zeitgenössische Reklame<br />
JUBILARE UNTER SICH<br />
Sie waren verschieden – und wurden alle berühmt.<br />
Unsere Laudatio auf drei klassische Roadster<br />
AUSFLUG AUF DEN PONY-HOF<br />
Mit dem Mustang gelang Ford ein Millionseller.<br />
Mark Stehrenberger erzählt, wie alles begann<br />
PASSENDES TIMING<br />
Die Armbanduhr Heuer Carrera feiert Geburtstag.<br />
Würdigung des Mannes, der sie geschaffen hat<br />
SO SOPHISTICATED<br />
Rundstrecken-Sieger, Gentlemen-Express,<br />
Agenten-Dienstwagen: Aston Martin ist 100<br />
024<br />
032<br />
040<br />
052<br />
068<br />
070<br />
072<br />
078<br />
LEGOSTEIN-DESIGN<br />
Wenn Kleinkinder Autos zeichnen, kommt oft<br />
ein Stufenheck dabei heraus. Neue Serienmodelle<br />
sollen jetzt Erwachsene begeistern<br />
TITELSTORY 048110<br />
Ein heisser Wüstenwind sorgte einst für seinen<br />
Namen. Jetzt gibt es den dritten Maserati Ghibli<br />
– und der weist erstmals vier Türen auf<br />
GENERALPROBE<br />
Im September versammeln sich viele Maserati<br />
zur «International Rally» in Montreux, um das<br />
99ste Jahr seit Markengründung zu begehen<br />
ES IST ANGERICHTET<br />
Unter den diversen Oldtimer-Veranstaltungen<br />
ragen einige heraus. Fünf Empfehlungen<br />
für ein unvergessliches Wochenende<br />
SO WEIT DIE REIFEN TRAGEN<br />
Die Pandanauten haben bewiesen, dass<br />
auch die schlechtesten Wege zum Ziel führen<br />
VIEL MEHR ALS SPINNEREI<br />
Wenn Unternehmer umdenken, kann Gutes<br />
entstehen – etwa der weltgrösste Autoproduzent<br />
FÜNF-STERNE-CAMPING<br />
Mit einem Wohnwagen-Klassiker der Marke<br />
Airstream muss man auf nichts verzichten. Wir<br />
zeigen die Anfänge – und fahren nach Marokko<br />
IMPRESSUM<br />
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JUBILÄUMS<br />
E d i t i o n<br />
004 VECTURA #7
016<br />
040<br />
078<br />
084<br />
098<br />
150<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 005
Lotus-Blüten<br />
Markenclubs pflegen die Geselligkeit und den Erfahrungsaustausch. Man<br />
muss jedoch kein Vereinsmeier oder gar Mitglied sein, um die oktanhaltige<br />
Stimmung zu geniessen. Wir haben es ausprobiert – beim 30sten Club Lotus<br />
Show & Festival auf geweihtem englischen Boden<br />
Text und Fotos map<br />
Sie gedeihen weitgehend im Verborgenen, nur ab und an sieht<br />
man sie. Doch wenn klassische Loti (so der Plural von Lotus) in<br />
Scharen zusammenkommen, gerät das zum Motor-Event der<br />
Sonderklasse. Gleichzeitig ist es die Momentaufnahme einer<br />
ziemlich durchgeknallten Marke, von der momentan keiner genau<br />
weiss, wie es mit ihr weitergehen wird.<br />
Fast keiner. Denn die dunklen Wolken über dem Lotus-Firmensitz<br />
Hethel lockern sich nach Besitzer- und Management-Wechsel<br />
etwas auf und lassen erste zarte Sonnenstrahlen durch. Man<br />
baut auch wieder Autos, kommuniziert es aber (noch) nicht –<br />
bloss keine weitere Medien-Schelte und Negativ-Presse riskieren!<br />
Tatsächlich ist die neue Führung immer noch damit beschäftigt,<br />
die Modellfantasien der letzten Jahre zu relativieren, eine<br />
tragfähige Strategie zu entwickeln – und den Verbleib von über<br />
200 Millionen Pfund zu eruieren, die unter der Ägide des Mitte<br />
2012 geschassten Dany Bahar investiert worden sein sollen.<br />
Allein das nur fünfmal herausgegebene, grossformatig-schicke<br />
«Lotus»-Magazin, flüstert man mir zu, habe über fünf Mille verschlungen<br />
– das macht mehr als eine Million pro Ausgabe und ich<br />
fange an zu träumen…<br />
Vielen Fans und Eignern älterer Loti ist das alles herzlich egal<br />
– ihre Autos gibt es schliesslich schon, sie hegen und pflegen sie.<br />
Für das ganze moderne Zeug haben diese Menschen ohnehin<br />
nur wenig übrig. Also zwängen sie sich in ihre knapp geschnittenen<br />
Wagen, die meist Zweisitzer sind, und steuern die Midlands<br />
an, um am grössten Markentreffen der Insel teilzunehmen, das<br />
jeden Frühling neben der legendären Donington-Rennstrecke<br />
stattfindet – dem Club Lotus Show & Festival. Die Veranstaltung<br />
gibt es 20<strong>13</strong> zum 30sten Mal; über 2500 Besucher und 500 Fahrzeuge<br />
werden an diesem Wochenende zusammenkommen.<br />
006 VECTURA #7
Revival<br />
Ich nehme die weite Anreise deshalb gerne in Kauf – und nutze<br />
sie gleichzeitig dazu, ab Airport einen Wagen auszuprobieren, für<br />
den es bisher an Zeit mangelte: den Jaguar XJ 5.0 Supersport in<br />
der Stretchversion L. Die misst stattliche 5,25 Meter und ist vollgestopft<br />
mit allem, was Tempolimit-Touren angenehmer macht.<br />
Allein von den feudalen Platzverhältnissen im Fond habe ich<br />
nichts. Dafür schnurrt der stattliche Brite spürbar unterfordert<br />
über den Motorway; bei 80 Meilen liegen im höchsten Gang der<br />
sequentiellen Achtstufenautomatik gerade mal 1750 Touren an.<br />
Die Kraft lässt sich nur erahnen – 510 Kompressor-PS aus acht<br />
Zylindern sind mehr als genug – was Jaguar nicht daran hindert,<br />
im Herbst einen 550 PS starken XJR Performance auf den Markt<br />
zu bringen. Why not, denke ich – und geniesse den Luxus: Die<br />
Isolierung ist hervorragend; Digitalinstrumente spiegeln bei Bedarf<br />
eine Navigationsweisung ein. All systems go.<br />
120 Meilen von London sind also ein Katzensprung und Castle<br />
Donington ist entsprechend entspannt erreicht. Schon auf der<br />
M1 warnen Anzeigetafeln vor Verzögerungen – nicht etwa wegen<br />
dem Lotus-Meeting, sondern der britischen Tourenwagenmeisterschaft,<br />
die zeitgleich auf dem Circuit stattfindet. Letzterer wird<br />
auch «The Heart of British Motorsport» genannt, was an seiner<br />
Gediegener Shuttle: Im Jaguar XJ schmelzen die Distanzen<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 007
RUBRIKEN<br />
Familientreffen: In der Halle<br />
wird diskutiert, bestaunt,<br />
gefeilscht – und gelacht<br />
008 VECTURA #7
evival
evival<br />
langen Geschichte liegt: Donington Park die älteste permanente<br />
Rundstrecke Englands, auf der vor genau 80 Jahren die ersten<br />
Autorennen ausgetragen wurden. Vor dem Zweiten Weltkrieg<br />
fand hier auch der britische Grand Prix mit illustren Fahrern wie<br />
Caracciola, Prinz Bira, Nuvolari oder Seaman statt. Gleich neben<br />
der Rennstrecke befindet sich das heutige Werk des 1898 gegründeten<br />
Motorradherstellers Norton. Überhaupt ist es benzingetränkter<br />
Boden: Vom nahe gelegenen Flugfeld, auf dem sich<br />
inzwischen der Midland Airport befindet, starteten in den frühen<br />
30er-Jahren die ersten Spitfire-Prototypen. Und das Exhibition &<br />
Conference Center, in dem sich die Lotus-Gemeinde trifft, war<br />
einst ein Rolls-Royce-Flugzeugmotorenwerk.<br />
Der Duft von heissem Frittenfett weht aus dem Fahrerlager<br />
hinüber. Im Hintergrund röhren die Motoren – gerade dreht der<br />
Ginetta GT Supercup seine Runden auf dem schnellen Circuit.<br />
Das ist Kampf vor jeder Kurve, also britischer Motorsport «at its<br />
best» und auch der lebende Beweis dafür, dass die englische Kit-<br />
Car-Szene noch sehr lebendig ist. Doch anders als bei Ginetta –<br />
1958 gegründet und damit auch schon 55 Jahre alt – orientieren<br />
sich Lotus-Fans derzeit besser auf die Vergangenheit: Allein die<br />
zahlreichen Elise und Exige sowie einzelne Evora zeugen beim<br />
Meeting von der Gegenwart, doch die Zukunft dieser Baureihen<br />
ist eine unbestimmte. Auf dem Parkplatz haben sich bereits hunderte<br />
Autos eingefunden; es ist die typische Markentreffen-Atmosphäre<br />
mit stolzen Besitzern, vielen Schaulustigen und zahlreichen<br />
Benzingesprächen. Was bei einem gepflegten Fahrzeug<br />
eigentlich selbstverständlich ist, wird unter Lotus-Eignern ganz<br />
besonders betont: «Sie hat mich nie im Stich gelassen» oder «Ich<br />
bin mit ihr immer nach Hause gekommen», hört man hier öfter –<br />
Autos sind im Englischen per se weiblich.<br />
Kein Zweifel: Klassische Lotus sind Meilensteine der Automobilgeschichte<br />
– leicht, schnell, aber auch filigran, qualitativ naja und<br />
Auf dem Weg zum Youngtimer: ein Rudel Lotus Exige aus den frühen 2000er-Jahren<br />
010 VECTURA #7
nicht immer über jeden optischen Zweifel erhaben. Wiesen die<br />
frühen, bildschönen Baureihen Elite und Elan noch gewisse Ähnlichkeiten<br />
auf, verkörpern ihnen nachfolgende Modelle ein wenig<br />
homogenes Kaleidoskop unterschiedlicher Stilepochen: Von den<br />
barocken 50ern, effizienten 60ern, bizarren 70ern, verspoilerten<br />
80ern oder neu interpretierten und damit überaus erfolgreichen<br />
90ern ist alles vertreten – dem Lotus-Fan geht das Herz auf!<br />
Die Wertvollsten sind freilich Rennwagen oder Sammlerstücke,<br />
und die stehen in der Halle – beim englischen Wetter weiss man ja<br />
nie. Vom Mark VI über den rustikalen Seven, einen heute noch<br />
modern wirkenden Eleven oder Talbot Sunbeam in Rallye-Ausführung<br />
ist alles dabei. Einzelstücke wie ein Elan +2 Kombi oder seltene<br />
F1-Boliden sind Publikumsmagneten; das Classic Team Lotus<br />
unter der Führung von Colin Chapmans Sohn Clive darf<br />
natürlich nicht fehlen. Ein Dutzend Clubs für die verschiedenen<br />
Baureihen sind ebenfalls zugegen und dazu rund 60 Aussteller,<br />
Für zwei Tage verwandelt sich<br />
Donington Park in den<br />
grössten Lotus-Parkplatz der Welt<br />
Würg: Den letzten Elan gab es auch als Kia<br />
Stilecht: Motorhome in den Markenfarben<br />
Klassische Gene: aktueller Caterham Super Seven<br />
Loti jeder Couleur: Donington begrüsst sie alle<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 011
Keine Berührungsängste:<br />
Hier steht alt neben neu,<br />
gepflegt neben ranzig<br />
012 VECTURA #7
evival<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 0<strong>13</strong>
evival<br />
Vom gepumpten Sunbeam bis<br />
zum Type Eleven – die Lotus-Bandbreite<br />
ist immer wieder beeindruckend<br />
die Edelschrott, neue Tuningteile, Literatur oder Devotionalien anbieten.<br />
Auf den Ständen wird gesucht, gefeilscht, getauscht oder<br />
einfach nur diskutiert. Das macht hungrig und vor der einzigen<br />
offenen Kantine bildet sich eine Schlange. Allerdings nicht lange,<br />
denn der Imbiss ist selbst für Briten schwer verdaulich: Einige<br />
Besucher schicken ihre Frauen lieber mit dem Wagen zur Tankstelle<br />
downtown Donington, um Sandwiches zu kaufen…<br />
Draussen auf dem Parkplatz tummelt sich das Fussvolk und<br />
bestaunt den auf eigener Achse zugereisten, authentischen<br />
Lotus-Bestand. Dass dies kein Concours d’Elegance ist und sich<br />
einige Autos in unübersehbar gebrauchtem Zustand befinden,<br />
stört hier niemanden: Viele ältere Lotus-Besitzer haben ein entspanntes<br />
Verhältnis zu ihren Fortbewegungsmitteln – Hauptsache,<br />
die Karre läuft. Direkt daneben parkt die Hochglanz-Fraktion<br />
in friedlicher Eintracht. Dabei sein ist alles und man klopft dem<br />
Scotsman aus dem hohen Norden für seine lange Anfahrt anerkennend<br />
auf die Schulter. Vereinzelt sieht man auch französische<br />
und deutsche Kennzeichen.<br />
Hier und da ist sie dann doch zu hören, die Sorge um Lotus’ Zukunft.<br />
Ob vielleicht Honda oder gar Mercedes…? Schliesslich<br />
baut der malaysische Multi und neue Lotus-Eigner DRB-HICOM<br />
in seiner Heimat für diese beiden Marken Autos zusammen! Oder<br />
vielleicht der Tata-Konzern, dem bereits Jaguar und Land Rover<br />
gehören? Die Gerüchteküche brodelt, ich höre zu und denke mir<br />
meinen Teil: Volkswagen hätte Lotus kaufen sollen, so wie es der<br />
damalige VW-Vorstandschef Pischetsrieder bereits 2006 vorhatte,<br />
dann aber nicht umsetzte. Die Leichtbau-Marke wäre auch<br />
heute noch eine perfekte Ergänzung des Konzern-Portfolios und<br />
könnte ihrerseits vom VW-Technikbaukasten profitieren – was für<br />
sagenhafte Autos würden da entstehen!<br />
Lotus-Fans gehören zu den treusten. Sie stehen fest zu ihren Autos<br />
und deren Schwächen, denn: Alles ist einer höheren Philosophie<br />
geschuldet – dem Charisma und unbedingten Siegeswillen<br />
von Firmengründer Colin Chapman. Deshalb auch ist die Lotus-<br />
Gemeinde besonders Motorsport-affin und weil 1963 auch das<br />
Jahr war, in dem der begnadete Jim Clark mit seinem Lotus 25<br />
erstmals Formel-1-Weltmeister wurde. Die ganz Hartgesottenen<br />
unter seinen Fans werden sich wenige Wochen später nach Duns<br />
begeben, um den goldenen Jahrestag ihres Helden in dessen<br />
Heimatort zu begehen.<br />
Das kurzweilige Wochenende vergeht viel zu schnell. Ich mag<br />
mich nur schwer trennen und zögere die Abfahrt immer weiter<br />
hinaus, doch dann ist es so weit: In zwei Stunden geht der Flieger<br />
ab London City. Never mind, der Jaguar XJ wird’s schon<br />
richten. And he does.<br />
Mehr zum Thema<br />
014 VECTURA #7
47.228728<br />
015
016 VECTURA #7<br />
fahrtermin
Gierig<br />
auf die<br />
nächste<br />
Kurve<br />
Schon vor 15 Jahren wollte Jaguar dieses<br />
Auto bauen. Jetzt ist der F-Type endlich da und<br />
hinterlässt einen starken Eindruck:<br />
Für uns ist es der Newcomer des Jahres<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos Nick Dimbleby, David Shepherd<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 017
fahrtermin<br />
Über vier Jahrzehnte haben Jaguar-Fans auf dieses<br />
Auto gewartet. Seit Einstellung des E-Type Roadster<br />
mit Sechszylindermotor hatte die englische Marke<br />
kein wirklich sportliches Cabrio mehr im Programm. Die 1971<br />
folgende V12-Version lief eher unter der Kategorie «Comfort-<br />
Cruiser» und bei den folgenden Softtops XJ-S, XK8 und XK<br />
war es kaum anders. Das wusste auch der Hersteller selbst<br />
und hat deshalb mehrere Anläufe unternommen, wieder ein<br />
fahraktives Oben-ohne-Modell zu bauen. Im Herbst 1998 zeigte<br />
Jaguar in Paris mit dem viel beachteten XK180 Concept «einen<br />
Roadster für das neue Jahrtausend», doch die von einem<br />
V8-Kompressor befeuerte Studie bezog sich auf den damals<br />
50. Geburtstag des legendären XK120 und war entsprechend<br />
retro gestaltet. Mehr Applaus gab es folglich für das Anfang<br />
2000 vorgestellte, rassige F-Type Concept; ein Jahr und viele<br />
Blankobestellungen später gab Jaguar bekannt, das Auto<br />
bauen zu wollen. Doch die Umstände waren dagegen: 9/11,<br />
eine folgende Weltwirtschaftskrise und schliesslich die sich<br />
anbahnende Auflösung der Premier Automotive Group des<br />
Ford-Konzerns – Jaguar hatte andere Sorgen. Es sollte zehn<br />
weitere Jahre dauern und einen neuen Besitzer brauchen, bis<br />
man in Frankfurt den C-X16 präsentierte. Das stimmige Coupé<br />
(es wird ab 2014 gebaut) war parallel als Cabriolet konzipiert<br />
worden. Für Jaguar ist es nicht weniger als «das wichtigste<br />
Modell der letzten 50 Jahre», wie Wayne Darley, Global Brand<br />
Manager Jaguar Sports Cars, vollmundig erklärt.<br />
So weit zur Vorgeschichte des offenen F-Type, der also zuerst<br />
in Serie geht und bereits beim Jaguar-Händler steht. Es ist gut,<br />
dass es so lange gedauert hat. Denn früher wäre dieses komplett<br />
neue Auto in seiner Komplexität und Perfektion gar nicht<br />
möglich gewesen. Unter dem Entwicklungscode X152 haben die<br />
Jaguar-Ingenieure eine zweisitzige Fahrmaschine mit Frontmotor<br />
und Heckantrieb entwickelt, die konsequent auf maximalen Fahrspass<br />
hin ausgelegt wurde und schon technisch zu begeistern<br />
weiss: Deren tragende Vollaluminium-Struktur – inzwischen ist<br />
es Jaguars vierte Generation, die zu 50 Prozent aus recyceltem<br />
Leichtmetall besteht, von weniger als 2500 Nieten sowie Kleber<br />
zusammengehalten wird, keine 300 Kilo wiegt, im Motorraum eine<br />
Domstrebe aufweist und natürlich auch am steifsten ist – ruht<br />
auf einem Leichtmetall-Fahrwerk. Das Cockpit ist Fahrer-fokussiert,<br />
das Stoffdach vollelektrisch und nach Knopfdruck in nur<br />
zwölf Sekunden geöffnet; das funktioniert auch bis 50 km/h. Alle<br />
diese Attribute unterstreichen, dass Jaguar sportlicher werden<br />
will, als man es bisher war. Weniger Watte, mehr Dynamik, jüngere<br />
Kunden und gesteigerte Absatzzahlen – allein in den ersten<br />
Monaten 20<strong>13</strong> konnte der zum indischen Tata-Konzern zählende<br />
Hersteller gegenüber dem Vorjahr weltweit über 30 Prozent zulegen.<br />
Und so möge es doch bitte weitergehen.<br />
Das Warten auf den F-Type hat sich in jedem Fall gelohnt: Er<br />
ist nicht nur in Bezug auf die alphabetische Nomenklatura als<br />
E-Nachfolger zu verstehen, sondern auch fahrdynamisch eine<br />
018 VECTURA #7
Klasse für sich. Sehr verehrte Damen und Herren – hier steht<br />
ein Asphalt-Hero! Dazu hat Jaguar das Auto geschickt platziert –<br />
Audi TT RS Roadster, BMW Z4 35is, Mercedes SLK 55 AMG oder<br />
Porsche Boxster S sind kleiner, Mercedes SL oder Porsche 911<br />
deutlich grösser. Ansonsten kennt der F-Type nur übernatürliche<br />
Feinde, zum Beispiel den (inzwischen ausverkauften und sündhaft<br />
teuren) Alfa Romeo 8C Competizione Spider – oder den Audi R8.<br />
Ein Aston Martin V8 Vantage ist ebenfalls kein Schnäppchen,<br />
aber auch der Ferrari California gehört trotz zusätzlicher Notsitze<br />
zu den F-Alternativen – Konzept, Leistung und Fahrdynamik sind<br />
denen des neuen Briten sehr ähnlich. Dank seiner Positionierung<br />
kommt der Jag also für viele Open-Air-Interessenten in Betracht;<br />
einzig beim Preis-Leistungs-Verhältnis wird er vom Corvette Cabrio<br />
geschlagen.<br />
Optisch bietet der F-Type alles, was Roadster-Herzen höher<br />
schlagen lässt. Die lange, lateral über die vorderen Radhäuser<br />
reichende und aus einem Stück gefertigte Motorhaube vermittelt<br />
Kraft, die schlanken Taillen symbolisieren Sehnigkeit und das<br />
Heck zitiert mit seinen nach oben ausgestellten Kotflügeln die<br />
des seligen E-Type. Das F-Design reduziert sich dabei auf wenige<br />
prägende Linien und verzichtet sogar auf konventionelle Türgriffe<br />
– stattdessen gibt es Aston-like zwei ausklappbare Griffbügel.<br />
Allerdings – und das hat Aston Martin nicht – schwenken die des<br />
Jaguar beim Entriegeln elektrisch heraus. Last but not least integrierten<br />
die Briten einen für hohe Geschwindigkeiten unvermeidbaren<br />
Spoiler dezent in die Kofferraumkante; erst bei Tempi um<br />
100 km/h fährt er automatisch aus. Zentral angeordnete Auspuffendrohre<br />
geben dem Heck das gewisse Etwas – auch sie sind<br />
eine Reminiszenz an den E-Type. Allein beim V8-Topmodell sind<br />
sie eckig und aussen angeordnet, schade.<br />
Das schwerwiegendste Manko des F-Type ist sein Gewicht.<br />
Knapp 1700 Kilo in der Basisversion sind nicht mehr zeitgemäss,<br />
da kann der Hersteller trotz Alu-Einsatz sagen, was er will – zum<br />
Beispiel, dass der Sportwagenmarkt nur ein Prozent aller Zulassungen<br />
ausmacht. Aber auch hier braucht es künftig viel leichtere<br />
Autos, um den kommenden Verbrauchs- und Emissionsvorgaben<br />
zu genügen – ein Stopp-Start-System, das übrigens hervorragend<br />
funktioniert, genügt bald nicht mehr. Andererseits ist<br />
der jüngste Jaguar derart mit Sicherheits- und Komfort-Features<br />
vollgepackt, dass uns die Pfunde kaum wundern. Vorteil F-Type:<br />
Dank seiner souveränen Motoren spürt man das kaum.<br />
Die Basis bildet ein Dreiliter-V6-Kompressor mit 340 PS, und man<br />
ist geneigt zu sagen, dass diese Leistung vollkommen ausreicht.<br />
Dem ist im Grunde auch so, wie allein die Beschleunigungsdaten<br />
verraten. Auch unsere erste Ausfahrt liess keine Wünsche offen<br />
– der Standard-F geht wie eine geölte Katze, er lässt sich direkter<br />
lenken als alle anderen aktuellen Jaguar und klingt auch ganz<br />
famos: Ein Aston Martin tönt nicht besser. Doch das Bessere ist<br />
des Guten Feind und so hatten wir im V6 S nochmals 40 PS<br />
Serpentinen-Sucht:<br />
Im F-Type kann der Berg<br />
nicht hoch genug sein<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 019
020 VECTURA #7<br />
fahrtermin
TECHNISCHE DATEN Jaguar F-Type<br />
Konzept<br />
Motor<br />
Neuer zweisitziger Sportwagen mit elektrischem Stoffdach. Selbsttragende Aluminiumkarosserie, Doppelquerlenker vorne/hinten,<br />
Scheibenbremsen rundum. Achtstufen-Automat mit wahlweise manueller Bedienung per Ganghebel oder Lenkradwippen.<br />
Heckantrieb, mechanisches Sperrdifferential (V8 S: elektronisch)<br />
Vorn längs angeordneter V6- oder V8-Benziner. Variable Ventilsteuerung, vier Ventile pro Zylinder, 2x2 oben liegende Nockenwellen (Kette),<br />
4fach gelagerte Kurbelwelle (V8: 5fach). Jeweils mit Kompressor, zwei Ladeluftkühlern, Direkteinspritzung und Stopp-Start-System<br />
3.0 V6 / V6 S 5.0 V8 S<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS (kW) @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
2995<br />
84,5 x 89<br />
10,5:1<br />
340 (250)/380 (280) @ 6500<br />
450/460 @ 3500–5000<br />
A8<br />
5000<br />
92,5 x 93<br />
9,5:1<br />
495 (364) @ 6500<br />
625 @ 2500–5500<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
159,5/165<br />
447/192,5/<strong>13</strong>1<br />
262<br />
158,5/162,5<br />
vorn 245/45 R18 auf 8,5 J, hinten 275/40 R18 auf 9,5 J<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht (ohne Fahrer) in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
1855 (1780)<br />
5,5 / 4,9<br />
70<br />
148–196<br />
2025<br />
1885 (1810)<br />
3,8<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
5,4 / 4,9<br />
260/275<br />
4,3<br />
300<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
Energieeffizienzkategorie<br />
Preis ab CHF<br />
9,0 / 9,1<br />
209/2<strong>13</strong><br />
G / G<br />
89 500.–/112 500.–<br />
11,1<br />
259<br />
G<br />
129 500.–<br />
*<br />
gemessen nach NEFZ, Neuer Europäischer Fahrzyklus<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 021
fahrtermin<br />
mehr Freude, was sich vor allem in den Bergen bemerkbar macht.<br />
Wie locker und lässig sich die beiden V6er durch die Serpentinen<br />
scheuchen lassen, ist eine Klasse für sich. Der F-Type ist mit<br />
50:50 perfekt ausbalanciert; beim V8 beträgt die Gewichtsverteilung<br />
vorne/hinten 49:51. Wird dann noch die Traktionskontrolle<br />
abgeschaltet (es gibt hier zwei Modi – mit spätem elektronischen<br />
Eingriff oder ganz ohne) und die adaptive Dämpferkennung auf<br />
die schärfste Stufe gestellt, kommt richtig Freude auf. Der kurze<br />
Radstand und die breiten Reifen erfordern dabei Gefühl, aber mit<br />
etwas Übung lässt es sich auch dank der direkten Lenkung herrlich<br />
driften. Und weil der F-Type im Grenzbereich nicht hinterhältig<br />
agiert, sondern auf der gutmütigen Seite fährt und dabei starke<br />
Bremsen hat, fasst man schnell Vertrauen in das Auto.<br />
Die Kraftübertragung erfolgt in allen F-Varianten via seidige Achtstufenautomatik,<br />
die sich am Lenkrad oder per Schalthebel bedienen<br />
lässt. Letzterer ist korrekt konfiguriert – zum Runterschalten<br />
will nach vorne gedrückt, zum Hochschalten nach hinten<br />
gezogen werden. Das kriegen nicht alle Hersteller hin, auch Porsche<br />
nicht. Dazu gibt es für die beiden Sechsender ein mechanisches<br />
Sperrdifferential; beim V8 S kommt eine elektronische<br />
Sperre zum Einsatz.<br />
ein Übriges. Dazu verfügen V6 S und V8 S serienmässig über<br />
eine Soundtaste, ohne die es heute wohl nicht mehr geht.<br />
In puncto Ausstattung muss ebenfalls auf nichts verzichtet<br />
werden. Handy- und Musikverbindung klappen auf Anhieb,<br />
verschiedene Stereoanlagen liefern bis zu 770 Watt, die Materialien<br />
sind erlesen, Instrumente und Schalter sind ebenso edel<br />
wie funktionell, auch die Ergonomie stimmt bis auf ein Detail.<br />
Denn leider weist auch der F-Type ein typisches Jaguar-Manko<br />
auf – die Lenksäule lässt sich axial nicht weit genug nach hinten<br />
justieren. Auch würden wir uns eine verstellbare Mittelarmlehne<br />
und noch engere Sitze wünschen, aber das sind jetzt spitzfindige<br />
Anmerkungen zu einer sonst sehr gelungenen Darbietung. Jaguar<br />
hat einen neuen Superstar und wir sind sicher, dass er viele<br />
Freunde finden wird. Das denkt auch der Hersteller und will das<br />
F-Programm weiter ausbauen. Nach dem Coupé darf man später<br />
wohl mit einer Lightweight-Version rechnen – ganz so wie beim<br />
Vorbild E-Type.<br />
Die Fahreindrücke mit den V6-Modellen sind so positiv, dass es<br />
den V8 eigentlich gar nicht braucht – Jaguar hat ihn gezielt für<br />
die USA entwickelt. Wer ihn jedoch gefahren ist, möchte auf die<br />
Extraportion Dampf nicht mehr verzichten: Dieses Modell ist das<br />
Sahnehäubchen auf dem F-Menü; der dumpf-sonore Klang tut<br />
Mehr zum Thema<br />
022 VECTURA #7
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Sommer 20<strong>13</strong> 023<br />
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MOTORMENSCHEN<br />
Ein modernes<br />
Vollgas-Märchen<br />
Automobili Lamborghini ist im Mai 50 Jahre alt geworden. Wir stossen an und<br />
schildern die Anfänge. Achtung: hoher Wahrheitsgehalt!<br />
Teil 2<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos Tonino Lamborghini, Christian Bittmann, Sammlung br, privat, Werk<br />
Ferruccio Lamborghini ist ein vielbeschäftigter Mann.<br />
Einerseits brummt das Traktoren-Geschäft, andererseits<br />
gründet er gerade eine neue Firma. Der Patron<br />
selbst empfindet die Geburtswehen der nach offiziellen Angaben<br />
am 7. Mai 1963 ins Handelsregister eingetragenen Marke<br />
Automobili Ferruccio Lamborghini S.p.A. als «grosses Abenteuer».<br />
Tatsächlich handelt es sich zunächst um eine am 8. Mai<br />
notariell beglaubigte Kommanditgesellschaft (s.a.s.), für die<br />
neben Lamborghini seine Frau Annita mit ihrem Mädchennamen<br />
Borgatti gezeichnet hat. Erst Anfang 1966 wird daraus<br />
eine AG werden, was aus Urkunden der Handelskammer Bologna<br />
hervorgeht. Aktieninhaber werden dann Ferruccio, Annita<br />
und Tonino Lamborghini sein. Doch das sind Formalitäten<br />
und für den Unternehmer eher Nebensache: Das ganze Sportwagen-Projekt<br />
ist neben seinen anderen Geschäften eine zusätzliche<br />
Belastung für ihn, denn viele Dinge passieren gleichzeitig<br />
und erfordern seine volle Aufmerksamkeit.<br />
Die Presse berichtet euphorisch über die Pläne, ist aber auch<br />
skeptisch: Sicher, Signor Lamborghini ist sehr vermögend – einige<br />
Zeitungen berichten, er habe für sein Sportwagen-Projekt ein<br />
Startkapital von 500 Millionen Lire bereitgestellt. Aber wird das<br />
reichen? Bereits im Frühjahr 1963 hatte der Schweizer Motorjournalist<br />
und spätere VECTURA-Autor Adriano Cimarosti den Unternehmer<br />
persönlich besucht und sich alles zeigen lassen. Mittags<br />
ging der gebürtige Italiener mit Lamborghini und dessen Freund<br />
Corrado Carpeggiani zum Essen; Cimarosti blickt lachend zurück:<br />
«Man legte mir einige Zeichnungen für ein neues Markenlogo vor,<br />
auf dem ein Stier abgebildet war. Ferruccio meinte, die Hoden<br />
müssten grösser sein! Später dann, in seinem Büro, sagte er zu<br />
seiner Sekretärin, einem hübschen Mädchen: ‹Wenn ich dich<br />
dann mal in dem Auto mitnehme, machst du dir in die Hosen!› Sie<br />
antwortete entsetzt: ‹Aber Herr Lamborghini…› Er war gelegentlich<br />
etwas derb, aber ein herzensguter Mensch.»<br />
Die ersten Skizzen von Ferruccios Tierkreiszeichen werden von<br />
dem Grafiker Paolo Rambaldi angefertigt, der sich laut Carpeggiani<br />
an der Skulptur eines Bildhauers namens Bertozzi orientiert haben<br />
soll. Rambaldi liefert mehrere Entwürfe ab und Lamborghini<br />
wird sich letztlich für die Frontal-Perspektive eines angreifenden<br />
Bullen entscheiden.<br />
Die internationale Presse weiss davon noch nichts und widmet<br />
sich dagegen ausführlich den preisgegebenen Details: Sechs<br />
Prototypen, angetrieben von komplett eigenständig konstruierten<br />
1,5- und 3,5-Liter-Leichtmetallmotoren mit acht und zwölf<br />
Zylindern, sollen in Arbeit sein. Zwölf Zylinder – das allein ist<br />
schon sensationell, denn so ein herrliches Triebwerk gibt es damals<br />
exklusiv nur bei Ferrari: Jaguar wird 1971, BMW 1986 und<br />
Mercedes erst 1991 folgen. Der euphorische Lamborghini stellt<br />
für 1964 gar einen V6 in Aussicht, der sich leicht vom Zwölfender<br />
ableiten lasse. Ein 1,5-Liter-Achtzylinder passt dagegen<br />
haargenau auf das seinerzeit geltende Formel-1-Reglement –<br />
und der Unternehmer bestätigt, neben dem Bau reinrassiger<br />
GT-Fahrzeuge auch im Motorsport aktiv werden zu wollen. Er<br />
tut das unter Vorbehalt, denn eigentlich hat er gar nicht vor, irgendwelche<br />
Autorennen zu bestreiten. Doch der Industri<strong>emag</strong>nat<br />
– nicht wenige, die ihn gekannt haben, bezeichnen Lamborghini<br />
als schlauen Fuchs – weiss um die Wirkung seiner<br />
Worte: Schliesslich kann öffentliche Aufmerksamkeit seiner<br />
jüngsten Firmengründung in der Startphase nur helfen. Davon<br />
abgesehen brennen einige der neuen Mitarbeiter geradezu darauf,<br />
einen Rennwagen zu bauen…<br />
Lamborghini ist derweil nicht der einzige Traktoren-König mit<br />
Sportwagen-Ambitionen. Bereits seit 1946 wacht der englische<br />
Trecker-Produzent David Brown über Aston Martin (siehe S. 078).<br />
Es gibt aber einen kleinen feinen Unterschied: Während Brown<br />
die 19<strong>13</strong> gegründete Edelmarke gekauft hatte (und kurz darauf<br />
auch das Luxuslabel Lagonda), gründet Lamborghini jetzt seine<br />
eigene Manufaktur.<br />
Prominente Unterstützung Dem strategisch denkenden<br />
Ferruccio ist völlig klar, dass er seine ehrgeizigen Pläne nur mit<br />
fähigen Fachkräften verwirklichen kann. Ergo sucht er nicht irgendwelche<br />
Ingenieure oder Mechaniker: Er will die besten –<br />
und wird sie persönlich bei Ferrari oder Maserati abwerben.<br />
Bereits im Sommer 1962 soll er dem Konstruktionsbüro eines<br />
gewissen Ingegnere Giotto Bizzarrini in Livorno einen Besuch<br />
abgestattet haben, um den besagten V12 in Auftrag zu geben.<br />
Der 36-jährige Konstrukteur hatte zu diesem Zeitpunkt bereits<br />
eine Bilderbuch-Karriere hinter sich – drei Jahre bei Alfa Romeo<br />
und vier Jahre bei Ferrari in jeweils leitender Stellung. Der<br />
024 VECTURA #7
Ruf eines begnadeten Technikers eilt Bizzarrini also voraus,<br />
denn er war bei Ferrari massgeblich an der Entstehung des<br />
legendären 250 GTO beteiligt.<br />
Wie Carpeggiani berichtet, kam der erste Kontakt zu Bizzarrini<br />
aber über Giorgio Neri von der Karosseriebaufirma Neri & Bonacini<br />
zustande: Der traf Carpeggiani nahe einer damals noch<br />
existenten Rennstrecke mitten in Modena, berichtete ihm von Bizzarrinis<br />
V12 und übermittelte anschliessend Lamborghinis Bestellung:<br />
Der Herr Ingenieur möge bitte den besten Zwölfzylinder<br />
konstruieren, den es gibt, und das Triebwerk solle mindestens<br />
350 PS leisten. Bizzarrini war sofort dabei, zumal er bereits einen<br />
fertigen Motor in petto und sich 1961 nicht gerade im Guten von<br />
Enzo Ferrari getrennt hatte: Lamborghinis Anfrage zu entsprechen,<br />
dürfte kein Racheakt, aber eine Genugtuung für den tatendurstigen<br />
Techniker gewesen sein.<br />
Bereits im Frühjahr 1963 war es dann so weit, gab das noch in<br />
Lamborghinis Traktoren-Fabrik Cento montierte Triebwerk erste<br />
Lebenszeichen von sich. Bizzarrini kam vorbei und traf Lamborghini<br />
erstmals persönlich, doch es gab Spannungen: Der Auftraggeber<br />
bemängelte die hohen Drehzahlen bis 9000/min –<br />
schliesslich hatte er kein Renntriebwerk bestellt! Für Bizzarrini<br />
war die Zusammenarbeit damit beendet, doch er habe das damals<br />
ganz nüchtern betrachtet, rekapituliert der Konstrukteur im<br />
Frühling 2011. Dennoch ist Bizzarrini rückblickend stolz auf den<br />
einzigen Motor, den er je entwarf. Noch 1963 wendet er sich anderen<br />
Aufträgen sowie eigenen Sportwagenprojekten zu – Letztere<br />
werden kurioserweise von Chevrolet-V8-Aggregaten angetrieben,<br />
doch das ist eine andere Geschichte. Beim Zwölfzylinder<br />
für Lamborghini hat Bizzarrini trotz der Unstimmigkeiten ganze<br />
Arbeit geleistet: Wie fortschrittlich sein prachtvoller Saugmotor<br />
ist, belegt die Tatsache, dass Lamborghini ihn nicht nur über drei<br />
Jahrzehnte bauen, sondern sein konstruktives Grundlayout sogar<br />
bis ins 21. Jahrhundert beibehalten wird.<br />
Familie Lamborghini beim Werkempfang Ende Oktober 1963<br />
Die jungen Wilden Nach Bizzarrinis Vorarbeit spielen zwei<br />
weitere Männer entscheidende Schlüsselrollen in Lamborghinis<br />
Frühgeschichte: Sie heissen Giampaolo Dallara und Paolo Stanzani.<br />
Ersterer ist ein nur 24 Jahre alter, hochtalentierter Luftfahrt-<br />
Ingenieur. Nach anderthalb Jahren Tätigkeit in Ferraris heiligen Hallen<br />
war er aktuell bei Maserati beschäftigt, als Bizzarrini ihn empfahl.<br />
Lamborghini zögerte nicht und konnte Dallara bereits im November<br />
1962 dazu bewegen, als Technischer Direktor zum Team zu stossen<br />
– hätte Dallara ablehnen können? Er bekam zwar keinen horrenden<br />
Lohn und musste zunächst in einer Ecke der Traktoren-Fabrik<br />
arbeiten, aber das war gar nicht so schlecht, denn<br />
Lamborghini ist immer hochmodern ausgestattet gewesen. Darüber<br />
hinaus hatte er den ehrgeizigen Dallara mit der Aussicht auf ein<br />
nagelneues Automobilwerk gelockt, in dem die neuesten Maschinen<br />
und Fertigungsanlagen stehen sollten, während bei traditionellen<br />
Häusern noch antiquierte Gerätschaften zum Einsatz kamen.<br />
Der fast gleich alte Stanzani kommt dagegen direkt von der Technischen<br />
Universität, hat sich mit seiner Diplomarbeit empfohlen, wird<br />
im Herbst 1963 Dallaras Assistent und erinnert sich: «Ich hatte<br />
grossen Respekt vor Ferruccio Lamborghini, denn er war einer der<br />
intelligentesten Menschen, die ich je getroffen habe. Er hatte jedoch<br />
eine einfache Erziehung genossen und wenig Gefühl für Kultur.<br />
So gab es kein persönliches, sondern ein eher distanziertes<br />
Verhältnis zwischen uns.» Gemeinsam entwickeln die beiden Konstrukteure<br />
das neue Serienauto, und Dallara weiss noch Jahrzehnte<br />
später: «Ferruccio hatte klare Ideen, liess uns aber völlig frei arbeiten.<br />
Wahrscheinlich dachte er, dass ich nur begrenztes<br />
Praxiswissen, aber auch ein gewisses Potential mitbrachte. Das<br />
ganze Team war ja sehr jung, mit geringer bis gar keiner Erfahrung.<br />
Aber wir sollten den Wagen trotzdem bauen und haben dabei viel<br />
gelernt – es hat tatsächlich funktioniert!»<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 025
MOTORMENSCHEN<br />
Unter der Haube des 350 GTV stecken<br />
keine Backsteine oder Kacheln, wie häufig<br />
zu lesen ist, sondern eine Motorattrappe<br />
Das erste Lamborghini-Modell wurde bereits Anfang 1963 klar<br />
definiert – ein luxuriöser Gran Turismo sollte es werden. Schon im<br />
Sommer nimmt das Auto konkrete Formen an. Das leichte Rohrrahmen-Chassis<br />
mit Einzelradaufhängungen rundum ist eine<br />
Dallara-Konstruktion – zu einer Zeit, in der viele aktuelle Traumwagen<br />
noch mit starren Hinterachsen unterwegs sind. Verzögert<br />
wird der neue Sport-GT mit Scheibenbremsen, was damals auch<br />
keine Selbstverständlichkeit ist. Ferruccio verschweigt zu diesem<br />
Zeitpunkt noch, dass der Aufbau gerade bei der Carrozzeria Sargiotto<br />
in Turin entsteht; die ersten von Lamborghini-Stylist Giorgio<br />
Prevedi angefertigten Entwürfe werden dort von niemand Geringerem<br />
als Franco Scaglione überarbeitet: Der Blechvirtuose<br />
schuf Mitte der 50er Jahre unter anderem die drei sagenhaften<br />
Bertone-Studien B.A.T. 5, 7 und 9 – und kleidet nun den Prototyp<br />
ein. Öffentlich gibt Lamborghini lediglich zu verstehen, den fertigen<br />
V12-Motor bereits in seinem Privat-Ferrari zu testen. Letzteres<br />
ist eine PR-Finte, mit der er klar machen will, gegen wen er<br />
anzutreten gedenkt. Tatsache ist, dass sich das drehfreudige<br />
Aggregat auf dem Prüfstand als zuverlässig erweist und vielversprechende<br />
Daten abliefert.<br />
Solche Nachrichten machen in der Automobilwelt schnell die<br />
Runde und das interessierte Publikum horcht auf: Die besten<br />
Strassensportwagen fahren bereits über 250 Kilometer pro Stunde,<br />
was damals ein unglaubliches Tempo ist. So schnell sind die<br />
1963er Debütanten Corvette Sting Ray, Maserati Mistral, Mercedes<br />
230 SL «Pagode» oder Porsche 911 bei weitem nicht. Doch<br />
der kommende Lamborghini-GT ist eine Klasse höher angesiedelt,<br />
tritt gegen den frischen Ferrari 250 GT Lusso an und verspricht<br />
dabei neue Superlative. Die sind das Faszinosum jener<br />
Epoche: Schneller, weiter, höher stehen für Fortschritt und Wohlstand;<br />
nichts scheint mehr unmöglich. Seit wenigen Jahren überqueren<br />
Düsenflugzeuge den Atlantik – ohne Zwischenlandung.<br />
1961 wurde mit der «USS Enterprise» der erste atomar betriebene<br />
Flugzeugträger in Dienst gestellt; mit 342 Meter Länge sprengt<br />
er zudem alle Dimensionen. Die ersten Industrieroboter kommen<br />
auf den Markt, während sich USA und Sowjetunion ein erbittertes<br />
Wettrennen um den bemannten Flug zum Mond liefern.<br />
Lamborghini denkt auch in Superlativen – und bereitet sich professionell<br />
vor. Am südwestlichen Rand der 6000-Seelen-Ge-<br />
Aha-Effekt: Der 350 GTV verfehlt seine Wirkung nicht; seit 1963 hat Italien eine zweite Supersportwagenmarke<br />
026 VECTURA #7
Stolzer Hausherr: Ferruccio lässt es sich nicht nehmen, seine Gäste standesgemäss zu begrüssen<br />
meinde Sant’Agata Bolognese zwischen Modena und Bologna<br />
hat sich der Grossindustrielle neun Hektar Ackerland zu günstigen<br />
Konditionen gesichert, nachdem Verhandlungen mit der Gemeinde<br />
von Castel Maggiore nördlich von Bologna gescheitert<br />
waren. Nun verfolgt er gespannt die Entstehung seines Automobilwerks<br />
mit 10 000 Quadratmeter überbauter Fläche – inklusive<br />
markantem Verwaltungstrakt, den er beim Architektenbüro Venturi<br />
in Cento planen liess.<br />
Auf Hochtouren laufen auch die Entwicklungsarbeiten am ersten,<br />
zunächst noch 3500 GT V12 genannten Lamborghini-Prototyp.<br />
Bis zur Fertigstellung der Fabrik mietet Ferruccio Lamborghini<br />
kurzerhand ein Gebäude auf der gegenüberliegenden Strassenseite<br />
an: Dort beziehen sein Technischer Direktor und später<br />
auch Stanzani ihre Büros, wird das allererste Lamborghini-Modell<br />
in der angegliederten Werkstatt vollendet. Anfang Oktober lanciert<br />
die fünf Monate alte Automobilmarke einige Pressefotos und<br />
die vorläufigen Daten des Triebwerks: Es liefert 360 SAE-PS bei<br />
8000 Umdrehungen, womit die Literleistung über 100 PS beträgt.<br />
Das maximale Drehmoment der 280 kg schweren Aluminium-Maschine<br />
wird mit knapp 380 Nm angegeben. «Kunstvolle<br />
Motorenarchitektur», attestieren führende Fachpublikationen,<br />
und das völlig zu Recht – der einzige andere V12-Anbieter der<br />
Welt fährt schliesslich noch mit zwei Nockenwellen weniger herum.<br />
Für die «Roten» in Maranello ist es ein Weckruf: Eben noch<br />
einzigartig, sehen sie auf einen Schlag antiquiert aus.<br />
Rohbau-Premiere Das Lamborghini-Aggregat scheint nicht nur<br />
State-of-the-Art, sondern auch der neue V12-Massstab zu sein, und<br />
den Wagen dazu präsentiert Lamborghini einer Gruppe von ausgesuchten<br />
Gästen und Journalisten bereits Ende Oktober 1963. Meist<br />
wird der 26. als Datum genannt, doch hat der damals anwesende<br />
und sehr gewissenhafte, inzwischen leider verstorbene Fotograf<br />
Franco Zagari in seinem Archiv den 28. vermerkt. Denkbar ist auch,<br />
dass es zwei Termine gegeben hat. Die Bilder zeigen jedenfalls einen<br />
sonnigen Herbsttag, an dem sich die fein gekleidete Gesellschaft vor<br />
dem Fabrik-Rohbau in Sant’Agata einfindet, unter ihnen auch der von<br />
Lamborghini geschätzte Rennfahrer Piero Taruffi. Er und alle anderen<br />
Besucher – der enge Ferruccio-Freund und -Förderer Carpeggiani ist<br />
natürlich ebenfalls zugegen – können einen schnittig geformten, mittelblaumetallic<br />
lackierten Zweisitzer bewundern. Unter dessen Haube<br />
befindet sich tatsächlich ein Motor, allerdings ist dieser V12 nicht<br />
funktionstüchtig. Das gilt auch für ein zweites Aggregat, das ausserhalb<br />
des Fabrikgebäudes ausgestellt wird. Ganz anders auf dem Motorprüfstand,<br />
wo der einzige einsatzbereite Bizzarrini-Motor montiert<br />
ist und die Gäste mit lauten Trompetenstössen begrüsst – der Hausherr<br />
trägt Kopfhörer und grinst zufrieden.<br />
Unterdessen fotografieren einige Journalisten draussen den Prototyp.<br />
Wer genau hinsieht, bemerkt die stellenweise schlampige<br />
Verarbeitung – das Auto wurde erst in allerletzter Minute fertig.<br />
Angesichts der futuristischen Optik fällt das aber nur wenigen<br />
auf; allein die mittig längs gefalzte Bugpartie ist spektakulär:<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 027
MOTORMENSCHEN<br />
Beweisfoto: Ein Motor ist drin, er läuft allerdings nicht Spieglein, Spieglein: erster Turin-Auftritt des GTV im November ´63<br />
Da zeigen sich strömungsgünstige Klappen für die ruhenden<br />
Scheibenwischer oder versenkbare Scheinwerfer. Letztere sind<br />
aktuell der letzte Schrei und hier sogar elektrisch bedienbar. Für<br />
Aha-Effekte sorgt auch ein komplett mit Leder ausgeschlagener<br />
Innenraum, der über eine stattliche Instrumentensammlung verfügt.<br />
Lenkrad und Pedale sind justierbar, denn die Sitze können<br />
wegen des direkt dahinter liegenden Tanks kaum bewegt werden.<br />
Über dem befindet sich, zentral angeordnet, eine dritte Sitzgelegenheit.<br />
Die Kabine ist grosszügig verglast, filigrane Dachposten<br />
erlauben ungehinderte Aus- und Einblicke. Das sich<br />
verjüngende, kantige Heck steht im spannungsvollen Kontrast<br />
zum rundlich-breiten Bug; Borrani-Speichenräder, nicht weniger<br />
als sechs Auspuffrohre und weiterer Chromschmuck vervollständigen<br />
das moderne, ja futuristische Erscheinungsbild.<br />
Aufsehen erregen freilich auch die aus Blech geschnittene Unterschrift<br />
des Markeneigners auf der Motorhaube und gleich daneben<br />
das Markenlogo – der angreifende schwarze Stier. Ferruccio<br />
Lamborghini soll übrigens Murciélago als Vorbild gewählt haben:<br />
Dieser kraftvolle Bulle überlebte 1879 trotz 24 Lanzenstössen<br />
den Kampf in der Arena von Córdoba und wurde daraufhin begnadigt.<br />
Beim Ortstermin in Sant’Agata macht die Geschichte<br />
nun ordentlich Eindruck. Sie ist auch ein weiterer publikumswirksamer<br />
Seitenhieb in Richtung Enzo Ferrari, der ja einen schwarzen<br />
Hengst, den Cavallino Rampante, im Firmenwappen führt.<br />
V für Veloce Natürlich hat der exakt 4,5 Meter lange Supersportler<br />
einen ihm eigenen Namen: Der allererste Lamborghini Gran Turismo<br />
heisst 350 GTV, wobei das V für Veloce, also Geschwindigkeit,<br />
steht. Der Patron lässt die Fahrleistungen mit «über 280 km/h» angeben,<br />
was theoretisch möglich, praktisch aber sehr optimistisch ist:<br />
Die Gürtelreifen vom Typ Pirelli Cinturato CN72 entsprechen zwar<br />
dem damaligen Stand der Technik, sind solch extremen Belastungen<br />
jedoch kaum gewachsen. Egal, es kommt auf die Botschaft an, und<br />
sie lautet: Kein Strassenauto ist schneller! Ferruccio Lamborghini hat<br />
es erneut verstanden, für Aufmerksamkeit zu sorgen – sein Traumauto<br />
wird in den kommenden Monaten viele Titelseiten der internationalen<br />
Fachblätter, aber auch der Klatschpresse zieren. Das ist wichtig,<br />
denn beim Namen Lamborghini denken viele nur an Traktoren.<br />
Die solvente Klientel in spe ist also informiert und Lamborghinis<br />
erster Schritt zum elitären Autohersteller damit vollzogen. Bis<br />
zur Auslieferung erster Kundenfahrzeuge ist es allerdings noch<br />
ein weiter Weg: Entgegen den ursprünglichen Plänen wird die<br />
Fabrik nicht im Oktober 1963, sondern erst Mitte des Folgejah-<br />
res fertiggestellt sein. Es ist die erste von unzähligen Verzögerungen<br />
innerhalb der folgenden Markengeschichte, doch das<br />
stört in Sant’Agata niemanden wirklich: Gute Dinge brauchen<br />
eben ihre Zeit.<br />
Unterdessen haben auch andere Interessenten auf der Turin Motor<br />
Show schon wenige Tage später Gelegenheit, den 350 GTV<br />
kennenzulernen. Unter seiner Haube stecken allerdings keine<br />
Ziegelsteine oder Kacheln, wie gelegentlich zu lesen ist, sondern<br />
die Motorattrappe. Der vor einem riesigen Spiegel geparkte Wagen<br />
gehört zu den Messeattraktionen, während sein Styling nicht<br />
bei jedem Betrachter für Entzücken sorgt: Manchem ist die<br />
Linien führung zu schrill; andere empfinden sie als unausgewogen.<br />
Beides hat sicher auch mit damaligen Sehgewohnheiten zu<br />
tun. Schliesslich ist Lamborghini ein Newcomer ohne tradierte<br />
Formensprache, der bewusst in die Zukunft schaut: Hier geht<br />
jemand Risiken ein, anstatt sich auf Altbewährtes zu berufen.<br />
Diese Botschaft verstehen nicht alle, und so handelt es sich beim<br />
350 GTV in den Medien um ein vieldiskutiertes Objekt. Die grossen<br />
Schlagzeilen gehören in diesen Tagen aber dem 35. US-Präsidenten<br />
John F. Kennedy: Er wird am 22. November in Dallas ermordet.<br />
Erst 1964 wird es bei Lamborghini zur Auslieferung erster Kundenautos<br />
kommen. Bis zum Genfer Salon Anfang März muss die<br />
Serienversion fertig sein, fordert der Chef. Der 350 GTV wird allerdings<br />
nicht ernsthaft weiterentwickelt: Das Auto ist inzwischen<br />
fahrbereit, läuft aber schlecht, und den Beteiligten ist klar, dass<br />
man grundlegende Details ändern muss. Bei der nun folgenden<br />
Verwandlung des Prototyps zum Produktionsmodell ist massgeblich<br />
ein Mann beteiligt, den Dallara Ende 1963 ins Team geholt<br />
hat – Rennmechaniker Bob Wallace. Der 25-jährige Neuseeländer<br />
hat Maschinenbau studiert, aber nach drei Jahren<br />
abgebrochen: «Ich musste schliesslich Geld verdienen.» 1959<br />
kam er, angelockt vom Ruhm der Rennställe, nach Italien. Und<br />
obwohl er zunächst überhaupt kein Italienisch sprach, fand der<br />
versierte Schrauber schnell einen Job, arbeitete in den kommenden<br />
Jahren nur für die erfolgreichsten Teams – Maserati, Ferrari,<br />
Camoradi oder die Scuderia Serenissima. Und der wortkarge,<br />
introvertierte Wallace machte seine Sache offenbar ausgezeichnet:<br />
Nach der 1963er-Rennsaison liegen ihm mehrere Angebote<br />
vor, er entscheidet sich aber für die Herausforderung Lamborghini,<br />
kommt nach Sant’Agata und fühlt sich auf Anhieb wohl.<br />
Praktische Erfahrungen Bei der Verbesserung des 350 GTV<br />
ist Wallace’ Input sehr hilfreich, zumal er immer öfter selbst ins<br />
028 VECTURA #7
Auto springt, um die Wirkung der soeben eingebauten Komponenten<br />
zu prüfen. Auf seinen Touren wird er oft von Stanzani begleitet.<br />
Die Erprobung findet auf öffentlichen Landstrassen und<br />
den damals weitgehend leeren Autostrade von Bologna Richtung<br />
Florenz oder Padova statt. Zurück geht es meist über kurvige<br />
Routen, zum Beispiel die von der Mille Miglia bekannte Bergstrecke<br />
Futa-Raticosa. Wallace ist schnell unterwegs und das<br />
«Prova»-Kennzeichen seiner Prototypen sorgt allerorts für Respekt<br />
– auch bei der Polizei, die keine Strafzettel ausfüllt, sondern<br />
lieber den Motor bewundert. Oder mal eine Runde mitfährt. Kurz:<br />
Es sind wunderbare Zeiten für den Sportwagen-Testfahrer, und<br />
bei diesen Vollgastouren erhält der erste Serien-Lamborghini im<br />
Frühjahr 1964 seinen letzten Schliff.<br />
Tatsächlich hat das im März 1964 am Lac Léman gezeigte, 350 GT<br />
genannte Modell mit dem GTV nur noch ansatzweise etwas gemein.<br />
Dallara modifizierte sogar den Motor, der ja nach Ferruccio<br />
Lamborghinis Geschmack viel zu hoch drehte. Der domestizierte<br />
V12 leistet immer noch solide 280 PS bei nunmehr gemässigten<br />
6500 Touren. Der Trockensumpf wich einer Umlaufschmierung<br />
und die Vergaserbatterien sind jetzt nicht mehr aufrecht, sondern<br />
horizontal angeordnet, um sie unter der nun flacheren Motorhaube<br />
unterbringen zu können. Das Fünfganggetriebe kommt von ZF, die<br />
Differentialbremse von Salisbury. Und weil der Rohrrahmen des<br />
GTV an Steifigkeit zu wünschen übrig liess, hat Dallara ihn ebenfalls<br />
überarbeitet: Der neue Kastenrahmen besteht nur noch aus<br />
Kantprofilen. Die Lösung ist nicht nur stabiler und leichter, sondern<br />
kann auch einfacher und folglich kostengünstiger hergestellt werden.<br />
Im Zuge dieser Änderung wächst der Radstand um zehn auf<br />
255 Zentimeter, was die Spurstabilität erhöht sowie grosszügigere<br />
Innenraumverhältnisse erlaubt.<br />
Neue Optik Nach der vielfach geäusserten Designkritik zum GTV<br />
hat sich Ferruccio Lamborghini zudem entschlossen, die 350-GT-<br />
Karosserie komplett neu zeichnen zu lassen. Den Zuschlag erhält<br />
die Traditionsfirma Touring in Mailand, welche auch die Aston-Martin-Modelle<br />
DB4 und DB5 eingekleidet hat: Dort nimmt sich Hausdesigner<br />
Federico Formenti des Autos an. Er wird dabei von Touring-Chef<br />
Carlo Felice Bianchi Anderloni unterstützt, der nicht nur<br />
Unternehmer und Ingenieur, sondern ebenfalls ein talentierter Stylist<br />
ist. Gemeinsam glätten sie die dramatischen Scaglione-Formen;<br />
vom GTV bleiben nur noch wenige Stilelemente wie die überproportional<br />
grosse Windschutzscheibe übrig. Auch die<br />
Klappscheinwerfer verschwinden. Dafür weisen «Superleggera»-<br />
Embleme an den seitlichen Kanten der Motorhaube auf die kunstvoll<br />
verarbeitete Aluminiumkarosserie hin – Ferruccio Lamborghini<br />
hat darauf bestanden. Die Milanesen wissen, wie man elegante<br />
Autos gestaltet: Das Ergebnis ist trotz Zeitdruck stimmig und verströmt<br />
nun jenen unmissverständlichen Glamour, der bei den<br />
Schönen und Reichen Begehrlichkeiten auslöst.<br />
Auch innen hat sich etwas getan, wirkt das Auto wohnlicher,<br />
luxuriöser, noch besser verarbeitet. Aus dem prototypischen<br />
350 GTV ist in wenigen Monaten ein ernstzunehmender Luxussportwagen<br />
geworden, der mit 1250 kg allerdings auch an Gewicht<br />
zugelegt hat. Die gewachsenen Proportionen haben ihren<br />
Anteil daran, aber auch die aufwendige Isolierung der Kabine. Alles<br />
wirkt wohldurchdacht, und erste Kunden zücken schon mal ihre<br />
Scheckbücher, zumal ein früher Kauf viel Exklusivität verspricht:<br />
Im ersten Produktionsjahr werden nur einige Dutzend Exemplare<br />
verfügbar sein, lässt Lamborghinis neuer Verkaufsdirektor Ubaldo<br />
Sgarzi wissen, der im Frühjahr 1963 zum Team gestossen ist.<br />
Der erste Kunden-GT mit der Fahrgestellnummer 5 geht im<br />
Brandgefährlich? Heiss ist der erste, ab 1964 gebaute Serien-Lambo namens 350 GT auf jeden Fall<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 029
MOTORMENSCHEN<br />
Mangiare in Nonantola: Ferruccio mit 350 GT und Gästen. Im Hintergrund parken Alfa und Ferrari<br />
August 1964 an den britischen Sportwagen-Fan und Ferruccio-<br />
Bekannten C.R.A. Grant, der sehnsüchtig darauf wartet und das<br />
Auto schon auf dem Genfer Salon angezahlt hat.<br />
Preislich entspricht der 350 GT einem Maserati 3500 GT oder<br />
dem gleichfalls neuen Ferrari 275 GTB, liegt also gleich auf Top-<br />
Niveau, damit hier nicht irgendwelche Missverständnisse aufkommen.<br />
Tatsächlich wird es aber noch ein halbes Jahr dauern,<br />
bis die endgültige Version in Paris debütiert und erste Serienfahrzeuge<br />
ausgeliefert werden können. Doch sie sind erst die Ouvertüre<br />
zu einer Vollgas-Oper, welche die Sportwagenwelt im Sturm<br />
erobern wird.<br />
Tutto completo: Das 350-GT-Cockpit ist feudal bestückt<br />
Mehr zum Thema<br />
Dieser Text ist der Vorab-Auszug einer umfangreichen Lambo -<br />
r ghini-Chronik, die sechs Jahre Recherche in Anspruch nahm<br />
und demnächst erscheint. Der Autor bedankt sich bei Tonino<br />
Lamborghini für die freundliche Bereitstellung von Familienfotos.<br />
030 VECTURA #7
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Fahrtermin<br />
Der kleine Löwe kann<br />
auch beissen<br />
Nach 18 Jahren Pause baut Peugeot wieder einen Kleinwagen mit dem Kürzel<br />
GTI. Der bezieht sich auf seinen Urahnen, bevorzugt aber eher leise Töne<br />
Text Stefan Lüscher · Fotos Ian G.C. White<br />
Das Revival des GTI ist für Peugeot eine grosse Sache.<br />
Zwar gibt es seit zwei Jahren auch einen 308 GTI.<br />
Doch mit der zum Vorgänger deutlich schlankeren und<br />
um bis zu 170 kg abgespeckten 208-Generation will man direkt<br />
an jene glorreichen Zeiten anknüpfen, in denen rebellische, ein<br />
bisschen halbstarke GTIs noch richtig cool waren. Heute ist diese<br />
Fahrzeuggattung politisch unkorrekt und nur noch als Objekt<br />
geheimer Begierden zu begreifen. Also musste das GTI-Konzept<br />
in die Moderne transferiert und entsprechend adaptiert<br />
werden – nicht zuletzt wegen der starken Konkurrenz von<br />
VW Polo GTI, Renault Clio R.S. oder Ford Fiesta RS.<br />
Kultiviert, komfortabel, alltagstauglich und umweltverträglich – das<br />
waren Begriffe, die fett im Pflichtenheft der französischen Entwickler<br />
standen. Die Techniker haben den diffizilen Spagat jedoch gut<br />
umgesetzt, ohne die eigentlichen GTI-Tugenden allzu sehr zu verbiegen.<br />
Okay, ein Rebell und Krawallbruder ist der neue GTI in<br />
keinster Weise. Aber das ist auch gut so; die Zeiten haben sich halt<br />
verändert. Und in der Rückblende sieht man ohnehin alles ein bisschen<br />
verklärt. Fakt ist, dass der neue Peugeot 208 GTI alles deutlich<br />
besser kann als der legendäre 205 GTI – die Generationen 206<br />
und 207 hat es nie in dieser legendären Sportversion gegeben.<br />
Der 208 GTI fährt sich wunderbar agil, effizient und leichtfüssig.<br />
Sein 1,6-Liter-Turbomotor, der aus der Kooperation mit BMW und<br />
Mini stammt, verfügt über ein breitangelegtes, gutes Drehmoment<br />
von 275 Nm bei tiefen 1700/min, auch wenn er nicht mehr<br />
so spontan am Gas hängt wie ein Sauger. Mit 200 PS an der<br />
Kette verfügt er über klassenübliches Temperament. Und das<br />
reicht, um dem 1235 kg schweren Kompaktsportler zu souveränen<br />
Fahrleistungen zu verhelfen, ohne dass man dabei – wie früher<br />
– stets in hohen Drehzahlen verweilen muss. So lassen sich<br />
auch umweltgerechte und finanzierbare Verbrauchs werte erzielen.<br />
Der Normwert des Werkes von 5,9 l/100 km dürfte allerdings<br />
Wunschdenken bleiben: Bei rasanten Passfahrten fliessen<br />
schon mal zweistellige Mengen durch die Einspritzdüsen.<br />
Im alltäglichen Pendler- und Freizeitverkehr begnügt sich der<br />
208 GTI aber mit moderaten sieben Liter auf 100 Kilometer.<br />
Wirklich enttäuschend ist eigentlich nur der Sound, aber auch<br />
hier gehen die Franzosen mit der Zeit. Bei niederen Drehzahlen,<br />
wie sie im Alltag vorherrschen, ist der GTI ein Flüsterer und<br />
akus tisch völlig unauffällig. Beim vollen Beschleunigen begleitet<br />
ihn nur ein verstecktes Turbopfeifen. Erst bei hohen Drehzahlen<br />
meldet sich der Kleine recht brummig zu Wort, ist aber nie Kandidat<br />
für einen Klangwettbewerb.<br />
Mit dem Fahrwerk wird man für die mangelnde Klang-Darbietung<br />
entschädigt. Auf den traditionellen französischen Komfort wollte<br />
man bei Peugeot zwar nicht verzichten – schliesslich stehen beim<br />
neuen 208 GTI auch Damen und ältere Herrschaften auf der Kundenwunschliste.<br />
Dem höchst agilen Kurvenverhalten tut dies<br />
aber keinen Abbruch: Präzise und sehr direkt kniet sich der<br />
032 VECTURA #7
Fahrtermin<br />
Wagen in schnell gefahrene Kurven. Dabei bleibt er stets sehr<br />
berechenbar und leicht untersteuernd, wie es Fronttrieblern zu<br />
eigen ist. Die Traktion aus engen Kurven ist auch mit ausgeschaltetem<br />
ESP gut, das haben die Ingenieure im Griff.<br />
Zum positiven Fahrerlebnis trägt auch das manuelle Sechsganggetriebe<br />
bei; es ist gut abgestuft und lässt sich knackig schalten.<br />
Auch wenn automatische Doppelkupplungsgetriebe derzeit<br />
gross in Mode sind, hat man mit dem guten alten Schaltknüppel<br />
noch immer Trümpfe in der Hand. Hier ist sportliches Fahren<br />
noch echte Arbeit, und das macht Vergnügen. Ein GTI mit Getriebeautomatik<br />
geht unserer Meinung nach gar nicht, aber da scheiden<br />
sich die Geister.<br />
Der 208 GTI präsentiert sich auch optisch der Zeit angepasst.<br />
Auffällige Änderungen oder pubertäres Spoilerwerk sucht man<br />
vergebens. Aussen wie innen tritt der neue 208 GTI chic, edel<br />
und erstaunlich zurückhaltend auf. Man entdeckt sparsam platzierte<br />
GTI-Embleme, eine dezente Lippe über dem hinteren Fensterrahmen,<br />
attraktive Alufelgen und optisch betonte Bremszangen<br />
in Rot. Spezielle Aluräder finden unter dezent verbreiterten<br />
Radhäusern Platz. Innen gibt es diverse rote Blenden, doppelt rot<br />
abgesteppte Nähte, hübsche Alupedalen samt Fussstütze und<br />
etwas sportlichere Armaturen. Das Lenkrad ist leicht abgeflacht<br />
und fast oval, aber das stört nicht. Als kleine Extravaganz verfügt<br />
es an seiner Oberkante über die im Rallyesport gebräuchliche<br />
Nullstellungsmarkierung.<br />
Sehr speziell ist dagegen der geringe Durchmesser des Lenkrads,<br />
mit dem der agile Fahreindruck unterstrichen wird. Aber<br />
das ist ohnehin eine Eigenart aller 208. Dank Längs- und Höhenverstellung<br />
liegt das Volant griffgünstig und ergonomisch<br />
korrekt. Die Anzeigenelemente sind unkonventionell alle oberhalb<br />
platziert, und zwar nicht riesig, durch ihre Position aber<br />
schon nach kurzer Eingewöhnungszeit sehr gut ablesbar. Nicht<br />
vergessen darf man die sportlich ausgeformten GTI-Sitze: Mit<br />
dicken Seitenwülsten bieten sie auch bei raschem Kurvenwechsel<br />
ausgezeichneten Seitenhalt und laden ohnehin zum Wohlfühlen<br />
ein.<br />
Im GTI-Land Schweiz dürfte der kleine Power-208 schon bald<br />
eine grosse Fangemeinde finden. Ihn wie sein Vorgänger als<br />
Rennsemmel zu bezeichnen, wäre jedoch despektierlich. Dazu<br />
ist der neue Löwe zu raffiniert und erwachsen. Und bei allem<br />
Sportgeist, der den Vorgänger in jeder Disziplin um Längen überflügelt,<br />
auch viel zu alltagstauglich.<br />
Mehr zum Thema<br />
Technische Daten Peugeot 208 GTI<br />
Konzept Neuauflage des Sport-Gedankens auf Basis des 208. Dreitüriger,<br />
leichter Kompaktwagen mit selbsttragender Karosserie<br />
und fünf Sitzplätzen. Dreieckquerlenker vorn, Verbundlenkerachse<br />
hinten, Scheibenbremsen rundum. Manuelles Sechsganggetriebe,<br />
Vorderradantrieb<br />
Motor<br />
Code EP 6 CDTX. Quer eingebauter Reihenvierzylinder-Benziner<br />
mit zwei oben liegenden Nockenwellen (Kettenantrieb)<br />
und variabler Ventilsteuerung (Bi-Vanos), vier Ventile pro Zylinder,<br />
fünffach gelagerte Kurbelwelle, Direkteinspritzung, Turbolader<br />
und Intercooler<br />
Hubraum in cm 3<br />
Bohrung x Hub in mm<br />
Verdichtung<br />
Leistung in PS/kW @ U/min<br />
Max. Drehmoment in Nm @ U/min<br />
Kraftübertragung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Radstand in cm<br />
Spur vorne/hinten in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Tankinhalt in L<br />
Kofferraumvolumen in L<br />
Leergewicht (ohne Fahrer) in kg<br />
Zulässiges Gesamtgewicht in kg<br />
Leistungsgewicht in kg/PS<br />
0 – 100 km/h in Sek.<br />
Höchstgeschwindigkeit in km/h<br />
Durchschnittsverbrauch* in L/100 km<br />
CO 2 -Emission in g/km<br />
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397 /174 /146<br />
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148/148,5<br />
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50<br />
285–1076<br />
1235<br />
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034 VECTURA #7
Peugeot im Motorsport Der 208 GTI zelebriert Sportlichkeit<br />
auch auf der Rennstrecke. Die GTI Experience war ein gross angelegtes<br />
Programm. Acht in einem aufwendigen Casting rekrutierte<br />
Rennfahrer aus acht Ländern wurden auserkoren, zwei<br />
rennmässig aufgemotzte 208 GTI beim legendären 24h-Rennen<br />
auf dem Nürburgring möglichst erfolgreich durch die Grüne Hölle<br />
zu scheuchen. Dazu kam ein dritter 208 GTI, der von vier Profipiloten<br />
bewegt wurde. Am Ende fuhr das mit dem Schweizer Johnny<br />
Niederhauser besetzte Fahrzeug in der Grünen Hölle als Klassensieger<br />
auf dem 32. Gesamtrang durchs Ziel.<br />
Dreifach-Start am Nürburgring: seriennaher 208 GTI<br />
Als Krönung des Programms baut Peugeot Sport für den neunfachen<br />
Rallye-Weltmeister Sébastien Loeb einen Über-GTI namens<br />
T16, der mit Mittelmotor, Allradantrieb, einem 875 PS leistenden<br />
V6-Biturbo und 875 Kilo Leergewicht antritt. Das ist selbst für den<br />
in Basel lebenden Rallye-Superstar ein Highlight. Damit will er am<br />
30. Juni das seit 1916 ausgetragene, berühmte Bergrennen zu<br />
den Wolken gewinnen, den Pikes Peak: Nach über 20 Kilometer<br />
Distanz befindet sich dessen Ziel auf 4301 Meter über Meer. Sollte<br />
Loeb dieser Triumph gelingen, wäre der Kreis zum einstigen<br />
205 GTI definitiv geschlossen. Peugeot bestritt das einzigartige<br />
Rennen in Colorado schon 1987 mit einem 205 T16 und wurde<br />
Zweiter. 1988 gewann der finnische Rallye-Weltmeister Ari Vatanen<br />
mit einem Gruppe-B-Peugeot 405 T16. Vatanen musste sich<br />
noch mit 520 PS begnügen, doch dafür hatte sein aufgemotztes<br />
Rallyefahrzeug monströse Flügel. Und damals bestand die inzwischen<br />
asphaltierte Strecke noch aus feinstem Schotter. sl<br />
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Sujet: Sergio Cellano<br />
Titel:<br />
VECTURA<br />
Sprache: deutsch<br />
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Knapp 900 PS stark: Über-208 für Rallye-Ass Sébastien Loeb<br />
Urahn und Zweiter am Pikes Peak: 205 T16 anno 1987<br />
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Der Peugeot 205 GTI wurde 1983 vorgestellt. Er war Frankreichs Antwort<br />
auf den VW Golf GTI, setzte mit kompakteren Dimensionen und<br />
ansprechendem Design aber eigene Akzente. Im Frühjahr 1984 fuhr<br />
VECTURA-Autor Stefan Lüscher die damals nagelneue<br />
Kleinwagen-Rakete – hier ist sein bald 30 Jahre alter Fahrbericht<br />
Fotos Werk<br />
Mit dem neuen Peugeot 205 bewegt sich der PSA-<br />
Konzern auf deutlichem Erfolgskurs. Allein in<br />
Frankreich wurden innerhalb eines Jahres 110 000<br />
Fahrzeuge immatrikuliert. In der Schweiz gingen im vergangenen<br />
Jahr 4400 Bestellungen ein, wobei das Modell 205 GT mit<br />
einem Anteil von 56% klar an der Spitze liegt. Auf dem Genfer<br />
Automobilsalon stellten die Franzosen eine neue, leistungsstarke<br />
GTI-Version vor, die von einem 1,6-Liter-Einspritzaggregat<br />
angetrieben wird. Wir fuhren den neuen Golf-GTI-Gegner<br />
in Südspanien.<br />
Von aussen unterscheidet sich der schnelle Peugeot von seinen<br />
schwächeren Artgenossen durch eine dezent sportliche Aufmachung,<br />
die beispielsweise einen neuen Frontspoiler mit integrierten<br />
Nebenscheinwerfern, einen geänderten Heckspoiler und neu<br />
geformte 14-Zoll-Leichtmetallfelgen umfasst. Dank diesen Karosseriemodifikationen<br />
weist der nur dreitürig lieferbare GTI einen<br />
geringfügig besseren Luftwiderstandsbeiwert auf als die fünftürige<br />
Variante (cW 0,34 statt 0,35). Bei praktisch unveränderten<br />
Aus senmassen (die Karosse wurde lediglich um 12 mm tiefer<br />
gesetzt) entspricht das Platzangebot im Innenraum dem des<br />
Fünftürers.<br />
Trotz etwas grösser dimensionierten vorderen Sportsitzen, die<br />
übrigens sehr bequem sind, ausgezeichneten Seitenhalt vermitteln<br />
und dank der stufenlos regulierbaren Rücklehne eine ideale<br />
Position hinter dem griffigen Zweispeichenlenkrad erlauben, bietet<br />
auch das Fondabteil genügend Raum. Knie- und Kopffreiheiten<br />
reichen jedenfalls aus, um zwei 1,8 Meter grosse Passagiere<br />
bequem unterzubringen. Zudem wird der Zugang ins Fondabteil<br />
durch einen ausgeklügelten Mechanismus erheblich erleichtert:<br />
Der ganze Sitz lässt sich mühelos nach vorne klappen (Spiralfeder),<br />
ohne dass sich die Sitzverstellung dadurch verändert. Die<br />
zwei hinteren Ausstellfenster sorgen vor allem im Sommer für willkommene<br />
Abkühlung.<br />
Die neu gestaltete Armaturentafel mit zwei grossen, gut ablesbaren<br />
Rundinstrumenten für Geschwindigkeit und Drehzahl wurde<br />
036 VECTURA #7
RÜCKSPIEGEL<br />
zusätzlich durch drei Anzeigen erweitert, die Auskunft über Öltemperatur<br />
und -druck sowie die Wassertemperatur geben. Zwei<br />
Lenksäulenhebel für Licht, Hupe, Scheibenwischer vorne und<br />
hinten weisen nach wie vor ein umständliches Bedienungsschema<br />
auf, auch die nicht optimalen Schieberegler der Heiz- und<br />
Lüftungsanlage wurden unverändert vom Basismodell übernommen.<br />
Für eine sportliche und zugleich moderne Atmosphäre im<br />
komplett ausgestatteten GTI-Interieur sorgen rote Bodenteppiche<br />
und Türverkleidungen.<br />
Das Kernstück des neuen Peugeot ist natürlich sein 1,6-Liter-<br />
Triebwerk, das bei 6250/min eine Leistung von 105 PS abgibt. Als<br />
Basismotor diente das bekannte XU-5S-Aggregat, das beispielsweise<br />
im Peugeot 305 GT oder im Citroën BX 16 Verwendung<br />
findet. Bei der GTI-Version wird die Gemischaufbereitung allerdings<br />
nicht von einem Weber-Doppelvergaser übernommen,<br />
sondern von einer Einspritzanlage (Bosch L-Jetronic) mit<br />
Schubabschaltung. Zudem wurde die Verdichtung von 9,5:1 auf<br />
10,2:1 erhöht. Die quer eingebaute Leichtmetallmaschine gibt<br />
jetzt bei 4000/min ein maximales Drehmoment von <strong>13</strong>2 Nm ab.<br />
Begeisterndes Temperament Dass der 205 GTI gegenüber<br />
dem 205 GT um 33 PS erstarkt ist, macht sich im Fahrbetrieb<br />
unmissverständlich bemerkbar. Der Einspritzer gefällt vor allem<br />
mit gutem Temperament und spontaner Gasannahme und lässt<br />
in Kombination mit einem sehr kurz abgestuften und angenehm<br />
leichtgängigen Fünfganggetriebe ohne weiteres auch eine schaltfaule<br />
Fahrweise zu. So können Autobahnsteigungen locker in der<br />
fünften Fahrstufe bewältigt werden, und auch bei Tempo 50 innerorts<br />
kann der oberste Gang drinbleiben. Besonders spritzig<br />
ist der PSA-Motor jedoch vor allem zwischen 3500 und 6250<br />
Umdrehungen (Nennleistung). Überzeugend sind dabei die<br />
gleichmässige Kraftentfaltung und die quirlige Drehfreudigkeit<br />
des 1600ers, der ohne weiteres auch Drehzahlen von 6500/min<br />
verkraftet, bevor aus Sicherheitsgründen die Benzinzufuhr unterbrochen<br />
wird (Drehzahlbegrenzer).<br />
Trotz des zwangsläufig hohen Drehzahlniveaus herrscht im Innenraum<br />
des GTI erstaunliche Ruhe, und das auch bei äusserst<br />
zügigen Autobahnausflügen nahe der Höchstgeschwindigkeit<br />
(Spitze im fünften Gang bei 6320/min). Auf Grund des temperamentvollen<br />
1,6-Liters und des niedrigen Leergewichts von 850 kg<br />
– das Leistungsgewicht beträgt 8,09 kg/PS – können die Werkangaben<br />
von 9,5 Sekunden für den Spurt von 0 auf 100 km/h<br />
und die Höchstgeschwindigkeit von 190 km/h als durchaus realistisch<br />
bezeichnet werden.<br />
Auch Kupplung, Bremsen und Fahrwerk mussten der höheren<br />
Leistung entsprechend angepasst werden. So wurden bei der<br />
McPherson-Vorderradaufhängung die Befestigungspunkte verstärkt<br />
und ein dickerer Stabilisator gewählt, während die Federbeineinheit<br />
eine geänderte Feder-Dämpferkennung erhielt. Auch<br />
die hintere Verbundlenkerachse mit Längslenkern, Drehstabfederung<br />
und Stabilisator wurde der höheren Belastung angepasst.<br />
Für optimale Verzögerung sorgen beim GTI-Modell vorne innenbelüftete<br />
Scheiben und grössere 7-Zoll-Trommeln hinten.<br />
Optimales Fahrverhalten Bekanntlich wartet bereits die<br />
GT-Version mit einem konkurrenzlos sicheren und viel Freude<br />
vermittelnden Fahrverhalten auf, was gleichermassen auch auf<br />
den Peugeot 205 GTI zutrifft. Trotz der etwas härteren Fahrwerksabstimmung<br />
schluckt der kleine Franzose Bodenunebenheiten<br />
in bemerkenswert souveräner Art und verschont die Insassen<br />
auch beim Überfahren von kurzen Wellen vor harten Stössen.<br />
Der auf 185/60-HR-Reifen rollende Fronttriebler lässt sehr hohe<br />
Kurvengeschwindigkeiten zu, bleibt in einem hohen Mass spurtreu<br />
und lenkpräzis und legt erst im weit oben angesiedelten Grenzbereich<br />
ein dezentes Untersteuern an den Tag. Selbst in extremen<br />
Wechselkurven treten keine tückischen Lastwechselreaktionen<br />
auf; der GTI quittiert allfälliges Gaswegnehmen höchstens mit einem<br />
sanften, leicht beherrschbaren Ausdrehen des Hecks.<br />
Die vorbildliche Handlichkeit ist unter anderem auch der leichtgängigen<br />
und sehr exakt arbeitenden Lenkung zuzuschreiben.<br />
Der wendige Kurvenkünstler bietet deshalb vor allem auf engen,<br />
winkligen Berg- oder Landstrassen enorm viel Fahrspass. Ein sicheres<br />
Bremsverhalten garantiert schliesslich die modifizierte<br />
Bremsanlage, die sich angenehm dosieren lässt und auch harte<br />
Belastungen anstandslos verdaut.<br />
Der in der Schweiz leider erst ab September 1984 erhältliche<br />
Peugeot 205 GTI wird in vier verschiedenen Farben angeboten<br />
(Weiss, Schwarz, Hell- und Dunkelgrau metallisiert). Aufpreispflichtig<br />
sind Metallic-Farben, elektrische Fensterheber und die<br />
Zentralverriegelung. Der Preis war bei Redaktionsschluss noch<br />
nicht bekannt, er soll jedoch unter 18 000 Franken liegen, was<br />
den kleinen Franzosen noch sympathischer macht.<br />
Erfolgsmodell: Wer in den 1980ern in der Stadt lebte und gerne flott<br />
unterwegs war, fuhr 205 GTI – bis 1995 entstanden über 330 000 Exemplare.<br />
1986 brachte Peugeot den zunächst gleich starken, aber<br />
elastischeren 1.9-L-Motor, der später bis zu 128 PS abgab. Das Hardcore-Modell<br />
war eine Homologationsserie für den Rallyesport, kam<br />
bereits 1983, nannte sich T16 (Foto oben) und verfügte wie schon der<br />
selige Renault 5 Turbo (1980–86) über einen Mittelmotor, der im<br />
Peugeot 200 PS abgab. 200 Exemplare entstanden, die heute – falls<br />
überhaupt angeboten – teuer gehandelt werden<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 037
RUBRIKEN<br />
spanische liebesgeschichten<br />
story hubertus hoslin • Fotos Ian G.C. White<br />
Cristina ist verzweifelt: die Gitarristin ihrer Band «Alegres Lloronas» hat heftigen herzenskummer<br />
– und sich vor lauter GRam in der Wüste versteckt. Jetzt ist die Tournee in gefahr – schon<br />
heute Abend müssen sie auftreten. Da schmiedet die Sängerin einen verwegenen Plan, und das, obwohl<br />
sie neulich ihren Fahrausweis abgeben musste. Denn eines ist klar: Ohne Auto geht es nicht…<br />
Oh wie furchtbar!<br />
Die arme<br />
arme Vicky…<br />
040 VECTURA #7
Rückblende: Am vorherigen<br />
Abend, in einer schäbigen<br />
Pension downtown almería…<br />
RUBRIKEN<br />
Schluchz – Eldys hat mich verlassen, angeblich für<br />
eine Dolores. Und per SMS mit mir Schluss gemacht<br />
– von einem neuen Handy aus! Da stimmt<br />
doch etwas nicht! Heul!<br />
So ein<br />
mieser Typ!<br />
Vergiss ihn, Vicky,<br />
du wirst schnell<br />
einen anderen<br />
finden<br />
Aber ich will gar keinen anderen,<br />
Cri – ich will Eldys! Doch er geht nicht<br />
ans Telefon, sondern drückt weg,<br />
wenn ich anrufe. Schnief…<br />
Und jetzt sitzen wir hier, mitten in der<br />
Wüste. Komm´ mit zurück – wir müssen<br />
Nachher auftreten, sonst können wir<br />
nicht mal mehr den Bus nach<br />
Hause bezahlen…<br />
Ich will mich nur<br />
verkriechen, Cri.<br />
Wo sind wir hier<br />
überhaupt?<br />
Warte hier<br />
auf mich: Bis<br />
zum Abend bin<br />
ich wieder da!<br />
In der nähe von<br />
Tabernas, wo viele<br />
Spagetti-Western<br />
gedreht wurden.<br />
Clint Eastwood,<br />
Yul Brynner, Charles<br />
Bronson, Henry Fonda<br />
– die waren alle<br />
schon mal hier.<br />
Na wenn<br />
schon, das<br />
interessiert<br />
mich nicht.<br />
Ich will nur<br />
Eldys!<br />
Cristina muss jetzt handeln, sonst<br />
ist alles im Eimer. Sie lässt Vicky in<br />
der Einöde zurück und läuft zur Autobahn,<br />
um per Anhalter die Stadt zu<br />
erreichen: Nochmal 20 Kilometer laufen<br />
kommt nicht in Frage…<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 041
RUBRIKEN<br />
Eldys arbeitet als Verkäufer beim lokalen<br />
Seat-Händler. Cri ist er noch nie begegnet.<br />
Aber er wird sie gleich kennenlernen…<br />
Hola, sind Sie Eldys? Ich möchte gerne<br />
den neuen Leon probefahren, und<br />
zwar jetzt sofort. Geht das?<br />
Hm, warum nicht? Ich mag schnell entschlossene<br />
Damen. Wie wäre es mit dem<br />
neuen dreitürer sc in der Topversion<br />
FR – 180 PS, 224 Sachen Spitze, aber nur<br />
5,7 Liter Durchschnittsverbrauch…<br />
Normalerweise schon, aber<br />
ich vertraue Ihnen und mache<br />
deshalb eine Ausnahme. Das<br />
hier ist aber der Fünftürer;<br />
das Coupé steht draussen…<br />
042 VECTURA #7<br />
Jaja, ist gut.<br />
Brauchen Sie meinen<br />
Führerschein?<br />
Den habe ich nämlich<br />
vergessen…
RUBRIKEN<br />
Bitte anschnallen!<br />
Darf ich Ihnen noch<br />
etwa erklären?<br />
Während Cri und Eldys<br />
losfahren, werden sie<br />
aus sicherer Entfernung<br />
beobachtet…<br />
Danke nein:<br />
Mit sportlichen<br />
Autos kenne ich<br />
mich aus, ähem…<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 043
RUBRIKEN<br />
Wow, mit DSG-Getriebe –<br />
der geht ja richtig gut ab!<br />
Wie lange können wir<br />
Etwa eine unterwegs sein?<br />
Stunde, dann<br />
habe ich den nächsten<br />
Kundentermin<br />
Nein, erst Das sollte reichen. Arbeiten Sie schon<br />
seit letzter<br />
lange bei Seat?<br />
Woche. Ich brauchte<br />
einen Tapetenwechsel –<br />
meine Freundin hat sich<br />
von mir getrennt…<br />
Was ist den passiert?<br />
Ach, erst schwor sie mir<br />
ewige Liebe, dann zog sie<br />
mit einem anderen los.<br />
Aber ich möchte nicht<br />
weiter darüber sprechen…<br />
was für<br />
ein dreister<br />
lügner!<br />
Entschuldigen<br />
Sie die Frage. Würde<br />
es Ihnen etwas<br />
ausmachen, wenn wir<br />
eine Bekannte von<br />
mir in die Stadt<br />
mitnehmen?<br />
044 VECTURA #7<br />
Sicher, wenn es<br />
kein allzu grosser<br />
Umweg ist…
Unten am Strand von Almería wird Cristina<br />
bereits sehnsüchtig von ihrer nervösen<br />
Drummerin Elisenda erwartet, die bereits<br />
in den Plan eingeweiht ist<br />
Hör auf zu sabbern, Pepe!<br />
Hola, Leute: Könnt<br />
ihr mir sagen, wieviel<br />
Uhr es ist?<br />
Puh,<br />
wo bleibt<br />
nur Cri? Ich hänge<br />
hier schon den<br />
halben Tag<br />
rum…<br />
sabber<br />
claro, es ist fünf minuten<br />
nach vorhin!<br />
Was denn,<br />
schon so spät?<br />
Claro, es ist<br />
fünf Minuten<br />
nach vorhin!
Hi Eli, da bin ich!<br />
Cristina bittet Eldys, das schwere Gepäck<br />
einzuladen. Währenddessen sprechen<br />
sich die Ladies ab und…<br />
Endlich, Cri! Ich<br />
hatte mir schon<br />
Sorgen gemacht…<br />
wroom<br />
What the<br />
f... ?!<br />
ächz<br />
Rein mit dir!<br />
046 VECTURA #7
RUBRIKEN<br />
Gut gemacht, Cri!<br />
Damit hat er wohl nicht<br />
gerechnet, was? Und sein<br />
Handy liegt hier in der<br />
Mittelkonsole!<br />
Hahaha, Vicky<br />
wird Augen<br />
machen!<br />
dann geht es mit Vollgas Richtung Norden<br />
– die Zeit drängt<br />
Lasst mich<br />
sofort hier<br />
raus!<br />
Nach zehn<br />
Minuten sind<br />
die Berge<br />
erreicht<br />
Wie weit ist es<br />
noch? Beeil dich: In<br />
zwei Stunden sollen<br />
wir auf der Bühne<br />
stehen.<br />
Das schaffen wir.<br />
Ist ja ein schneller<br />
Wagen. Hauptsache,<br />
die Polizei hält uns<br />
nicht auf…<br />
HILFE!<br />
Warum hört mich<br />
denn niemand?<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 047
Cri lenkt den Leon auf ein Hochplateau und stoppt<br />
@<br />
So, dann wollen<br />
wir doch mal hören, was<br />
Eldys zu seiner Verteidigung<br />
vorzubringen hat<br />
Warte,<br />
ich helfe dir<br />
Ihr hühner!<br />
Was habt ihr<br />
euch eigentlich<br />
dabei gedacht?!<br />
Beruhige dich,<br />
Eldys. Hier ist<br />
jemand, der mit<br />
dir sprechen will…<br />
Sachte,<br />
sachte...
Aber – die SMS,<br />
die neue Nummer<br />
– ich verstehe<br />
gar nichts<br />
mehr!<br />
Eldys,<br />
warum Hast du<br />
mir das mit Dolores<br />
angetan? Und bist du<br />
wirklich zu feige, um<br />
ans Telefon zu gehen?<br />
Vicky… Was machst<br />
du hier? Ich dachte, du<br />
bist nach Mexiko ausgewandert…<br />
Und wer<br />
bitte ist Dolores?<br />
Niemals! Ich will<br />
ohne dich nicht<br />
leben!<br />
Ich habe keine SMS<br />
geschrieben und auch<br />
kein neues Telefon. DU<br />
hast doch getextet,<br />
dass du mich nie<br />
wiedersehen willst…<br />
Während der Aussprache nähert<br />
sich der geheimnisvolle Fremde<br />
Du hast mit auch<br />
gefehlt, Hasi! Aber<br />
wer hat uns da so<br />
übel mitgespielt?
RUBRIKEN<br />
Aber das ist doch…<br />
…Papa!<br />
Was sucht<br />
der denn<br />
hier?<br />
Ja, ich bins! Und<br />
muss euch wohl<br />
etwas erklären!<br />
Vicky, mein ein und alles<br />
– Eldys ist ein Idiot. Ich<br />
wollte dich mit dieser<br />
kleinen Intrige doch nur<br />
vor ihm schützen<br />
Papa, du VollIdiot.<br />
Ich bin kein Kind<br />
mehr! Und ich<br />
liebe Eldys!<br />
Na wenn das so ist.<br />
Schade, jetzt wirst<br />
du dein Studium<br />
nicht abschliessen…<br />
Verzeih mir bitte!<br />
Ach Papa, wir wollen<br />
doch Berühmt werden. Aber<br />
ich vergebe dir. Hast du<br />
heute Abend schon<br />
was vor?<br />
... wer bügelt<br />
jetzt meine<br />
hemden?<br />
050 VECTURA #7
Showdown im<br />
Sala el Chaman<br />
zwischen Almería<br />
und Las Negras: Die<br />
Alegres Lloronas<br />
haben es gerade<br />
noch rechtzeitig<br />
zum Privat-Gig<br />
geschafft;<br />
der Saal tobt.<br />
Eldys ist wieder<br />
bestens gelaunt –<br />
und weil er auch<br />
ein guter Bassist<br />
ist, unterstützt<br />
er die Mädels<br />
Und während<br />
sie dem Publikum<br />
einheizen, greift<br />
sich vickys Papa<br />
die Autoschlüssel<br />
und verschwindet<br />
mit Karacho über<br />
leere landstrassen<br />
in die Nacht…<br />
yeah!<br />
Mehr zum Thema<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 051
Zwei Elfer-Generationen – und dazwischen<br />
50 Jahre: Ur-911 neben einem aktuellen 991<br />
Elfer ist nicht gleich Elfer<br />
Die Porsche-typologie ist vielschichtig und variantenreich.<br />
VECTURA kredenzt eine kleine Typenkunde zum Jubiläum<br />
Text Clauspeter Becker/map · Fotos Werk<br />
Wenn am 12. September die IAA in Frankfurt ihre Tore<br />
öffnet, darf der Porsche 911 seinen 50. Geburtstag<br />
feiern und aller Welt beweisen, dass rassereine<br />
Sportwagen im Laufe der Jahrzehnte auch ohne ihren Stil zu<br />
verändern sowohl jünger als auch dynamischer werden können.<br />
Dass der 356-Nachfolger bei seiner Vorstellung im Herbst 1963<br />
gemäss der fortlaufenden Porsche-Entwicklungscodierung zunächst<br />
901 genannt wurde, ist hinreichend bekannt. Und auch<br />
der Einspruch mit Peugeot – die Franzosen pochten erfolgreich<br />
auf die geschützte Null in der Mitte ihrer stets dreistelligen Typenbezeichnungen<br />
– wurde bereits ausgiebig erörtert. Deshalb an<br />
dieser Stelle nur so viel: Danke, Peugeot! Denn was würden Porsche-Piloten<br />
wohl heute antworten, wenn man sie nach ihrem<br />
Auto fragte? «Ich fahre einen Neunhunderteins» oder «… einen<br />
Null-Einser?» Klingt beides recht unspannend. Die liebe- bis respektvolle<br />
Abkürzung «Elfer», die sich rasch einbürgern sollte, hat<br />
dem Auto ganz sicher nicht geschadet. Ganz abgesehen davon,<br />
dass nur wenige 911-Besitzer mit einem Peugeot-Eigner verwechselt<br />
werden möchten…<br />
Neben dem Rufnamen trotzt auch das 911-Design bis heute jeder<br />
Anfechtung. Ganz offensichtlich mit der Begabung seines<br />
Vaters Ferry gesegnet, gelang es Ferdinand Alexander Porsche,<br />
die klassischen Stilmerkmale eines 356 in die Moderne zu übertragen.<br />
Dabei ist es dann geblieben, denn selbst der aktuelle 911<br />
der siebten Generation (Modellcode 991) leugnet die Verwandtschaft<br />
zu seinem Urahnen nicht, welcher seinerseits vom VW Käfer<br />
abstammte. Ein Blick unter die Karosserien zeigt unmissverständlich<br />
die technische Verwandtschaft, die bei Porsches<br />
Sportwagen wohl noch lange gelten wird: Motor und Getriebe<br />
versammeln sich um die Hinterachse – als Heckmotor zum Wohle<br />
der Traktion.<br />
Doch was macht den Elfer über die einzigartige Technik oder die<br />
Eigendynamik seiner mittlerweile legendären Typenbezeichnung<br />
hinaus zum 911? Anders gefragt: Was geschah eigentlich zwischen<br />
901 und 991? Wurden die meisten Nullen etwa aussortiert<br />
und was ist ein 9<strong>13</strong>? Wir haben uns die Mühe gemacht, Antworten<br />
auf diese und andere bisher selten gestellten Fragen zu finden.<br />
Und sind dabei auf interessante Fakten gestossen. So gibt<br />
es tatsächlich die Porsche-Entwicklungsziffern 902 bis 909: Erstere<br />
steht für ein neues Vierganggetriebe der Typen 911/912 und<br />
die 903 für ein Sportwagen-Automatikgetriebe, welches jedoch<br />
nie zum Einsatz kam. Die Ziffern 904 – Markenkenner mögen uns<br />
diesen Hinweis verzeihen – stehen für ein sagenhaftes, nur<br />
107 cm hohes Rennsportcoupé namens Carrera GTS, das ab<br />
1963 gebaut wurde und zahlreiche Rennsiege errang. Gleichzeitig<br />
war es der erste Porsche mit einer Kunststoffkarosserie. Die<br />
Ziffernfolge 905 markierte ein 4-Gang-«Sportomatic-Getriebe»,<br />
während die Werkscodes 906 bis einschliesslich 910 für neue<br />
Rennwagen standen.<br />
052 VECTURA #7
NOMENKLATUR<br />
Nach der besagten 901-Präsentation – in Frankfurt stand noch<br />
ein Prototyp im frühen Entwicklungsstadium – war es 1964 geworden<br />
und der 911 noch nicht startklar; erst im Spätherbst sollte<br />
es so weit sein. Um die Nachfrage zu stillen, lancierte Porsche<br />
im Frühjahr flugs den 912 mit einem 90 PS leistenden Vierzylinder-Boxer<br />
aus dem 356. Dieses äusserlich identische Modell war<br />
ohnehin geplant, um ein günstigeres Einstiegsmodell anbieten<br />
und die 356er-Teileregale in Zuffenhausen leeren zu können.<br />
Dass der 912 dann schon wenig später als Billig-Elfer abgetan<br />
wurde, war dem direkten Vergleich mit seinem stärkeren Bruder<br />
geschuldet, der anfänglich <strong>13</strong>0 PS stark und damit klar dynamischer<br />
gewesen ist.<br />
Einen 9<strong>13</strong> gab es tatsächlich nicht – zumindest nicht bei Porsche.<br />
Sein Fehlen ist jedoch keinem Aberglauben zu verdanken – es<br />
handelt sich um ein lastschaltbares 6-Gang-Getriebe, das es jedoch<br />
nicht über das Projektstadium heraus geschafft hat. Also<br />
914 – klar, das ist der Volks-Porsche, gebaut von 1969 bis ’76.<br />
Nummer 915 war einmal mehr ein Getriebe. Merke: Bei Porsche<br />
wurde damals ganz offenbar sehr gerne geschaltet. Unter der<br />
Bezeichnung 916 baute Porsche 1972 schliesslich elf Exemplare<br />
eines ultimativen Volks-Porsche mit bis zu 210 PS starkem<br />
Sechszylinderboxer.<br />
Die 917 ist wiederum eine magische Zahl, denn sie steht für einen<br />
der erfolgreichsten Rennsportwagen aller Zeiten. 1970 siegte er<br />
auch in Le Mans; die stärksten Versionen für die amerikanische<br />
CanAm-Rennserie leisteten 1200 PS. Kuriosum am Rande: Sein<br />
Zwölfzylinder trägt wieder die Typennummer 912, da der damalige<br />
Entwicklungschef Ferdinand Piëch das ambitionierte Projekt<br />
längstmöglich geheim halten wollte.<br />
Die Typennummer 918 wurde 1968 für das Konzept eines 8-Zylinder-Sportwagens<br />
verwendet. Auf dem Genfer Salon 2010 wurde<br />
die Bezeichnung wiederbelebt, als die Studie eines 918 Spyder<br />
für allgemeines Staunen sorgte. Im Herbst dieses Jahres geht<br />
der 918 in Serie, doch das ist eine andere Geschichte. Die 919<br />
wiederum war ein elektrisch gesteuertes Getriebe, das nicht realisiert<br />
wurde.<br />
Zurück zum 911: Dem Beispiel seines Vorgängers folgend gab es<br />
auch ihn in mehreren Karosserievarianten. Als erste offene Version<br />
erscheint 1966 ein Targa mit glänzendem Edelstahlbügel zum<br />
Schutz der Insassen beim Überschlag. Freunde konsequenter Offenheit<br />
mussten sich dagegen noch bis 1982 gedulden, als das<br />
911 SC Cabriolet Frischluftfans begeisterte. Noch offener gab sich<br />
der 1989 erstmals angebotene 911 Carrera Speedster, der an den<br />
Mythos seines legendären Vorfahren aus den fünfziger Jahren anschliessen<br />
sollte. Und wer es breit mochte, konnte ab 1983 seinen<br />
Elfer im Turbolook ordern, der neben der Karosserie auch Fahrwerk<br />
und Bremsen des grossen Turbo-Bruders beinhaltete.<br />
Die Baureihe 924 steuerte da schon ihrem Ende entgegen: Sie<br />
war ab 1976 als 914-Nachfolger und Einstiegsdroge in die wachsende<br />
Porsche-Welt konzipiert worden – allerdings mit Frontmotor<br />
und Transaxle-Getriebe. Lange missachtet und getreten, wird<br />
sie heute wieder geschätzt und zunehmend teurer gehandelt.<br />
Natürlich bei weitem nicht so teuer wie klassische Elfer, die von<br />
der Börse enttäuschten Aktionären längst satte Renditen versprechen.<br />
Denn auch das ist 911 – eine Geldanlage mit geringstmöglichem<br />
Risiko.<br />
Bis zur Ziffer 930, die ab 1974 für den ersten Turbo-bestückten<br />
Über-Elfer gebraucht wurde, beschäftigte man sich in Zuffenhausen<br />
und Weissach wieder intensiv mit Getrieben und Motoren –<br />
oder baute mit dem 928 einen Sport-GT, der rückwärts windschlüpfriger<br />
gewesen sein dürfte als von vorne. Der 911 Turbo mit<br />
seinem 260 PS starken Dreiliter war jedenfalls ein böses Tier und<br />
gehörte bereits zur optisch und technisch weiterentwickelten<br />
G-Serie, denn ab dem Modelljahr 1968 führte Porsche Buchstaben<br />
zur Kennzeichnung der Elfer-Jahrgänge. Bei der Einführung<br />
der zweiten Generation im Herbst 1973 war man beim Buchstaben<br />
G angelangt, der inzwischen zu einem Synonym für die zwischen<br />
1973 und ’89 produzierten 911 avancierte.<br />
Den Motorsport auf asphaltierter Piste beherrschte der Porsche<br />
911 von Anfang an erfolgreich. Als letzte Herausforderung lockte<br />
in den 1980er-Jahren die Rallye Paris–Dakar, um nun endlich<br />
auch auf Sand zu siegen. 1984 fuhr René Metge mit einem<br />
Porsche 911 Carrera 4x4 (Typ 953) gegen alle Geländewagen<br />
auf Platz eins. Noch überlegener waren ab 1986 gleich drei<br />
Porsche vom legendären Typ 959 unterwegs. Denn der verfügte<br />
neben Allradantrieb auch über Doppelturboaufladung und wurde<br />
ab ’86 nur in kleiner Stückzahl von 292 Exemplaren produziert,<br />
was ihn heute umso wertvoller macht. Neben dem<br />
«Basis»-959 mit 450 PS gab es auch noch 29 Stück vom Typ<br />
959 S mit 515 PS.<br />
Der Typ 964 folgte 1988. Erneut hatte man den Elfer gründlich<br />
und auch sichtbar überarbeitet, um den erreichten Fortschritt zu<br />
dokumentieren: Neue Stossfänger, ein elektrisch ausfahrbarer<br />
Heckspoiler, Servolenkung, ABS und Airbags wiesen nach vorne.<br />
Den nächsten Schritt in eine noch bessere Zukunft brachte 1993<br />
der 911-Typ 993 mit einem Fahrwerk, das durch den konsequenten<br />
Einsatz von Aluminium und einer im Rennsport bewährten<br />
Mehrlenkerhinterachse das Fahrverhalten des Heckmotorwagens<br />
neutraler und sicherer machte.<br />
Der 996 kam nicht etwa schon 1996, sondern erst ein Jahr später<br />
auf den Markt. Bei ihm handelte es sich um eine komplette<br />
Neukonstruktion mit erstmals wassergekühltem Vierventil-Boxermotor.<br />
Und die Leistung stieg in den folgenden Modelljahren<br />
weiter an – auf 480 PS im 2005er 911 Turbo (Typ 997) und dann<br />
530 PS dank Biturbo im 911 GT2. Von 2008 an reichte Porsche<br />
im seit 2004 gebauten 997 nach ausgiebigen und positiven Erfahrungen<br />
auf der Rennstrecke ein Doppelkupplungsgetriebe<br />
mit sieben Gängen an Stelle der Automatik in die Serienproduktion<br />
(Typ 997/II). So ändern sich die Zeiten – und die Reifenformate:<br />
Genügte dem 911 der frühen Jahre noch die Dimension<br />
165 x 15“ auf schlanken Stahlfelgen, montiert Porsche heute<br />
beim aktuellen 991er bis zu 305 mm breite 19-Zoll-Walzen auf<br />
der Hinterachse.<br />
Zählt man alle bisherigen 911-Varianten und -Motorisierungen<br />
seit 1963 zusammen, kommt man auf rund 200 verschiedene<br />
Modellversionen (Rennsportwagen nicht mitgerechnet). Dass die<br />
Entwicklung des 911 auch jenseits seines Jubiläums weitergeht,<br />
beweisen die Daten über die für den Strassenverkehr gezähmten<br />
Delikatessen, die Porsche auf der kommenden IAA zeigen wird:<br />
Gestärkt werden dort Turbo und Turbo S mit 530 PS und 560 PS.<br />
Doch so langsam, aber sicher gehen dem Hersteller die 900er-<br />
Zahlen aus. Man darf also gespannt sein, wie es mit den «magic<br />
numbers» weitergehen wird.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 053
Technik, Fahrleistungen<br />
und Begierde müssen stimmen,<br />
wenn ein Auto zur Legende<br />
werden soll. Der klassischste<br />
aller Porsche verfügt<br />
über genau diese Eigenschaften.<br />
Dass er von kreativen<br />
Agenturen beworben wurde,<br />
hat ihm ebenfalls nicht<br />
geschadet. VECTURA zeigt die<br />
besten Motive aus fünf<br />
Jahrzehnten<br />
Elfer<br />
forever<br />
Sujets Werk<br />
1963<br />
054 VECTURA #7
Kampagne<br />
1964<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 055
1966<br />
056 VECTURA #7
1967<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 057
058 VECTURA #7
kampagne<br />
1969<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 059
1972<br />
060 VECTURA #7
kampagne<br />
1974<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 061
1976<br />
062 VECTURA #7
kampagne<br />
1984<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 063
kampagne<br />
1988<br />
064 VECTURA #7
1993<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 065
kampagne<br />
2000<br />
066 VECTURA #7
Porsche empfiehlt<br />
Hier erfahren Sie mehr – www.porsche.ch oder Telefon 0840 356 911.<br />
Zwischen zwei Hundertstelsekunden liegen Welten.<br />
Nichts wie hin.<br />
Die Uhr tickt.<br />
Der neue 911 GT3.<br />
Motorleistung: 475 PS. Treibstoff-Normverbrauch: gesamt 12,4 l/100 km. CO 2 -Ausstoss: 289 g/km.<br />
CO 2 -Mittelwert aller in der Schweiz angebotenen Fahrzeugmodelle: 153 g/km. Energieeffizienz-Kategorie: G
Drei Roadster und ein Halleluja<br />
Auto-affine Partylöwen fallen diesen Sommer von einem Apéro in den nächsten.<br />
Auch unser Geburtstagsständchen könnte exzessiv ausfallen – unter<br />
anderem locken Jaguar XJ-C, Mini Cooper S oder Opel Rekord mit runden<br />
Geburtstagen. Wir möchten uns an dieser Stelle auf drei offene Fahrzeuge<br />
konzentrieren, die dem Sportgedanken neue Impulse verliehen haben<br />
Text hh · Fotos Werk, privat<br />
60 Jahre: Austin Healey<br />
Der Automobildesigner und -ingenieur Donald Healey tat sich<br />
1952 mit Austin zusammen, um einen Roadster zu bauen, wie es<br />
ihn bis dato noch nicht gegeben hatte – modern, flach und dazu<br />
sauschnell. So entstand 1953 – parallel zum Triumph TR2 – der<br />
100-4 (Modellcode BN1) mit Trapez-Kühlergrill und Hüftknick –<br />
für viele der puristischste aller Healey, die da noch kommen sollten.<br />
Das Einzige, was den BN1 mit seinen Ahnen einte, waren ein<br />
in diesem Fall 90 PS starker Vierzylindermotor und die brettharte<br />
Federung; besonders selten sind die S- und M-Versionen.<br />
1955 kam der verbesserte BN2, 1956 der 100-6 (BN6) mit<br />
Sechszylinder, 1959 der 3000 MKI (BN7), 1961 der MKII und ein<br />
Jahr später der MKIII. In den weiteren 60er-Jahren befand sich<br />
die gesamte englische Automobilindustrie auf dem Weg ins<br />
Jammertal; Healey sah das Elend kommen und stieg 1968 aus.<br />
1970 endete auch der Austin-Vertrag – und mit ihm eines der<br />
schönsten Kapitel britischer Roadster-Herrlichkeit. Insgesamt<br />
72 000 Exemplare sind entstanden (Sprite nicht mitgerechnet).<br />
60 Jahre: Chevrolet Corvette<br />
«Phantastic plastic» – so wird die Corvette von vielen Fans<br />
liebevoll bis burschikos tituliert. Tatsächlich handelt es sich<br />
um Amerikas Antwort auf populäre Brit-Roadster – aber auch<br />
um den allerersten in Grossserie produzierten Sportwagen<br />
mit Kunststoffkarosserie. Obwohl: Das «Sport» konnte man<br />
beim 4,25 Meter kurzen Urmodell ruhig weglassen, denn zunächst<br />
handelte es sich um einen relativ weich gefederten<br />
Boulevard-Cruiser mit hinterer Starrachse und 155-PS-Reihensechszylinder.<br />
Letzteres änderte sich erst 1955, als die<br />
Vette mit einem Small-Block-V8 ausgestattet wurde – und eine<br />
Erfolgsgeschichte begann, die bis in die Jetztzeit reicht.<br />
Das lag nicht zuletzt an einem unschlagbaren Preis-Leistungs-Verhältnis<br />
– dem «best bang for the buck», wie man in<br />
den USA zu sagen pflegt. Mit bald 1,6 Millionen Einheiten<br />
(Stand: Mai 20<strong>13</strong>) gehört der schnelle Chevy zu den bestverkauften<br />
Zweisitzern der Welt. Im Herbst kommt die siebte Generation<br />
– und wir denken schon mal über eine geeignete<br />
Reiseroute nach.<br />
068 VECTURA #7
schulterblick<br />
50 Jahre: Mercedes-Benz 230 SL Pagode<br />
Luxuriöser Sportwagen – oder doch eher sportlicher Luxus-<br />
Roadster? Der seinerzeit in Genf präsentierte 230 SL war beides,<br />
und genau das machte ihn so einzigartig. Intern W1<strong>13</strong> genannt,<br />
löste er mit zunächst 150 PS sowohl den 300 SL als auch den<br />
190 SL ab. Nicht zuletzt verfügte der neue SL als erstes Sportauto<br />
der Welt über eine Sicherheitskarosserie mit Knautschzonen<br />
sowie – als erster Mercedes – über ein Zweikreis-Bremssystem.<br />
Der Beiname «Pagode» ergab sich aus der konkaven Wölbung<br />
des Hardtops, was grössere Glasflächen und damit mehr Rundumsicht<br />
erlaubte. Der Franzose Paul Bracq hatte das herrlich<br />
leicht wirkende Auto gezeichnet und mit ihm sein Meisterstück<br />
abgeliefert – kein SL nach der Pagode sollte je wieder so elegant<br />
und leichtfüssig aussehen. Bis 1971 entstanden knapp 49 000<br />
Exemplare in drei Serien; die letzte war besser ausgestattet und<br />
dank 185 PS immer noch 200 km/h schnell.<br />
<br />
INSERAT<br />
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Sommer 20<strong>13</strong> 069
So dürfte er aussehen:<br />
Mustang Shelby Modelljahr Stilblüten<br />
2015<br />
Vorreiter einer ganzen Gattung<br />
Vor 50 Jahren wurde der vielleicht berühmteste aller Ford auf die<br />
Serienproduktion vorbereitet. Während sein Name meist mit einem<br />
wilden Pferd des amerikanischen Westens assoziiert wird, hat man ihn<br />
tatsächlich nach einem legendären Jagdflugzeug aus dem zweiten<br />
weltkrieg benannt – der North American P-51 Mustang<br />
Text und Illustration Mark Stehrenberger<br />
Das ursprüngliche Konzept eines erfolgreichen Autos ist<br />
manchmal viel einfacher als gedacht. Lee Iacocca, seinerzeit<br />
Vice President und Generaldirektor bei Ford<br />
USA, hatte 1961 die richtige Vision – ein sportliches Coupé mit<br />
Schalensitzen, dazu einen Boden-Shifter auf dem Kardantunnel<br />
montiert, maximal 4,60 Meter lang, höchstens 1150 Kilo schwer<br />
und für unter 2500 Dollar zu haben. Punkt.<br />
So wurde der Ford Mustang geboren. Nach monatelangen Sitzungen,<br />
Diskussionen und Marktstudien genehmigte die Finanzabteilung<br />
das neue Auto schliesslich im September 1962. Unter dem<br />
Codenamen T-5 fabrizierte man zunächst zwei Concept Cars –<br />
den zweisitzigen Mustang I mit V4-Mittelmotor und das Mustang II<br />
genannte Showcar, welches 1963 erstmals vor dem F1-Grand-Prix<br />
der USA in Watkins Glen gezeigt wurde. 50 Jahre ist das jetzt her.<br />
Das Auto hatte einen Frontmotor und vier Sitze, war also eine konkrete<br />
Vorahnung auf das folgende Serienmodell. Im Vergleich zu<br />
jedem anderen amerikanischen Auto in Produktion – mit Ausnahme<br />
der Corvette – erwies sich der Mustang als totaler Jackpot! Am<br />
9. März 1964 rollte dann Nr. 01, ein weisses Cabrio, vom Montageband;<br />
nur 18 Monate waren seit der Produktionsfreigabe vergangen.<br />
Um die Fertigungskosten niedrig zu halten, wurden viele<br />
Mustang-Komponenten vom Ford Falcon ausgeliehen, so auch die<br />
Antriebsstränge. Mit einer Vielzahl unterschiedlicher Motoren, Karosserievarianten,<br />
Interieurs und Extras war es möglich, aus dem<br />
Mustang ein einfaches, sparsames oder extravagantes Auto zu<br />
machen. Es war das perfekte Baukastensystem, welches einige<br />
Jahre später mit Pauken und Trompeten von Volkswagen als «neu»<br />
erfunden werden sollte! Der Mustang jedenfalls wurde als «das Auto,<br />
das man selbst gestalten kann», beworben.<br />
Die Mustang-Kampagne hatte bereits in der zweiten Hälfte seiner<br />
Entwicklung begonnen. Am 16. April 1964, einen Tag vor der Premiere<br />
im Ford-Pavillon auf der New Yorker Weltausstellung, liess<br />
Ford um halb zehn Uhr abends gleichzeitig auf allen drei nationalen<br />
TV-Kanälen ABC, NBC und CBS den ersten Werbespot auf die<br />
breite Öffentlichkeit los. Der Effekt war umwerfend: Am folgenden<br />
Morgen strömten die Leute in die Showrooms, welche sich in Hexenkessel<br />
verwandelten. Jeder wollte der Erste sein und dem<br />
Nachbarn stolz einen brandneuen Mustang vorführen können!<br />
Ford verkaufte über 22 000 Einheiten am ersten Tag, bis Ende Jahr<br />
waren es schon mal 263 434 und bis zum ersten Jahrestag im<br />
Frühling 1965 ritten 418 812 neue Besitzer ihren Hengst nach Hause.<br />
Kurz gesagt: Wie schon beim Model T und A hinterliess Ford<br />
mit dem Mustang einen starken Fussabdruck im Sand der Automobilgeschichte!<br />
Als Neu-Einwanderer in die Staaten hatte ich den unglaublichen<br />
Medien-Rummel damals hautnah miterlebt. Was für ein Erlebnis –<br />
wahrhaftig, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten! Und während<br />
meine Braut und ich im supercoolen 1965er Pontiac Grand<br />
Prix Coupé vier Monate lang auf Hochzeitsreise kreuz und quer<br />
durch die USA und Kanada crui sten, hatte sich mein Bruder Paul<br />
– ebenfalls Auswanderer – einen Mustang gekauft. Zwei Jahre<br />
später würde er es wieder tun.<br />
Es war aber auch ein Auto wie aus dem Bilderbuch: lange Motorhaube,<br />
kurzer Hintern, niedrige Gürtellinie, breite Spur, dazu ikonische<br />
Details wie das laufende Pferd im Grill, die seitlichen «Jakobsmuscheln»<br />
entlang der Flanken oder die in drei Abschnitte<br />
unterteilten Rückleuchten. Dazu «wrap-around»-Stossfänger, eine<br />
070 VECTURA #7
Stilblüten<br />
aggressive Kühlermaske und sportliche Radvollblenden, alle aus<br />
Chromstahl. Dann der Innenraum: durchgehender Teppichboden,<br />
der geforderte tiefe Schaltknüppel, dazu die Schalensitze vorn,<br />
das geschüsselte Lenkrad im Sportwagen-Style, dazu ein Armaturenbrett<br />
mit viel Chrom. Bingo. Als Coupé oder Cabrio machte dieser<br />
Wagen regelrecht süchtig und nichts konnte den 1964-1/2-<br />
Mustang, wie er wegen seiner verspäteten Lancierung tatsächlich<br />
genannt wurde, bremsen – auch seine vier Trommelbremsen nicht!<br />
Mir kommt spontan der Mustang im französischen Film «Un<br />
Homme et une Femme» von 1966 in den Sinn!<br />
1965 folgte ein 2+2 Fliessheck. Carroll Shelby, der Texaner, langjährige<br />
Rennfahrer und Cobra-Züchter, hatte das Potential des<br />
Mustangs gegenüber der Chevy Corvette erkannt und nahm sich<br />
100 der ersten 2+2-Modelle. Er fügte Tuning-Bauteile hinzu, zum<br />
Beispiel übergrosse Scheibenbremsen vorne, eine GFK-Motorhaube<br />
oder ein tiefer gelegtes Fahrwerk mit übergrossen Reifen<br />
auf 15-Zoll-Rädern. Dann taufte er den geilen Renner GT 350; der<br />
Rest ist Geschichte. Im bebenden Soul-Vibrato seiner acht Töpfe<br />
cruiste der Bürgerschreck heran und bewegte sich respektheischend<br />
wie ein Bodybuilder mit zu viel Testosteron. Ein wahrer<br />
Muscle Car! Shelbys legendäre Serie modifizierter Mustang wurden<br />
bis 1970 in verschiedenen Formen gebaut und zählen heute zu<br />
den begehrtesten Autos dieser Gattung.<br />
1965 wurden insgesamt 559 451 Mustang produziert. Für 1966<br />
gab’s nur geringe Verfeinerungen. Die Auswahl der verfügbaren<br />
Interieur-Stile und -Farben stieg auf 34, damit Käufer noch mehr<br />
Möglichkeiten zum «Personifizieren» – ich liebe dieses Wort – ihres<br />
Mustang hatten. Das wirkte; die Produktion stieg auf 607 568<br />
Einheiten. Ab 1967 hatte der Mustang schliesslich etwas, was er<br />
vorher nicht hatte: ernsthafte Konkurrenz! Chevrolet warf den<br />
Camaro in den Ring, Pontiac den Firebird und Plymouth schärfte<br />
den Barracuda. Selbst innerhalb Ford gab’s jetzt Alternativen wie<br />
den Mercury Cougar mit Klappscheinwerfern. Ein neues Fahrzeugsegment<br />
namens «Pony Car» war geboren: Der Begriff bezieht<br />
sich tatsächlich auf das Logo des Ford Mustang und beschreibt<br />
eine kostengünstige, kompakte, sportlich getrimmte<br />
amerikanische Fahrzeugklasse. In Europa griffen Opel Manta und<br />
Ford Capri die Masche auf.<br />
Ford lancierte 1967 die erste grosse Neugestaltung des Mustang.<br />
Er wurde länger und breiter, um den neuen 390-cui-Big-Block mit<br />
320 PS aufnehmen zu können. Der 67er Mustang «Eleonor» aus<br />
dem Film «Gone in Sixty Seconds» bleibt hängen! Dennoch rutschte<br />
die Produktion für das Jahr 1967 auf knapp 472 000 Einheiten<br />
ab – der Pony-Markt schien fürs Erste gesättigt. Entsprechend wenige<br />
Veränderungen zeichneten den 68er-Jahrgang aus, dazu kamen<br />
immer schärfere Sicherheitsvorschriften ins Spiel. Zwar wurde<br />
die Fastback-Version durch den unvergesslichen Film «Bullitt»<br />
mit Steve McQueen weltbekannt und war ein Hammer, trotzdem<br />
sank der Mustang-Output 1968 auf 317 404 Stück.<br />
Das Modelljahr 1969 sah ein paar Verfeinerungen, während der<br />
2+2 Fastback aus dem Programm gestrichen wurde. Dafür kamen<br />
nun aber drei absolute PS-Monster auf den Markt – der Mach 1 mit<br />
seinem feuerspeienden 428-Cobra-Jet-Motor, der Boss 302 und<br />
Boss 429. Es waren massgeschneiderte Angebote für Quartermile-Freaks.<br />
Dennoch ging es mit dem Verkauf unaufhaltsam bergab;<br />
1969 wurden nur 299 824 Mustang gebaut. Und vom 1970er-<br />
Modell mit seinen subtilen Änderungen verliessen gar lausige<br />
190 727 Einheiten die Montage. 1971 brachte eine weitere Neugestaltung;<br />
wieder war der Wagen aufgrund vorherrschender Sicherheits-<br />
und Aufprallvorschriften grösser geworden – 149 678<br />
Mustang entstanden. Das ’72er-Modell erfuhr nur geringe kosmetische<br />
Änderungen. Wegen zunehmend strenger Verbrauchsvorgaben<br />
wurden alle Boss-Varianten eingestellt, nur der Mach 1 blieb<br />
im Angebot. Produktionsvolumen anno 1972: 125 093.<br />
1973 war das letzte Jahr des grossen Mustang, der eigentlich nur<br />
noch ein abgehalfterter Klepper war: Rigorose Sicherheits- und<br />
Abgasbestimmungen, speziell in Kalifornien (dem grössten Absatzmarkt),<br />
killten den Wagen. Es war auch das letzte Jahr für das<br />
Cabrio. 1973 wurden <strong>13</strong>4 867 Mustang hergestellt.<br />
Die nun folgende Periode kann für den Mustang bestenfalls als<br />
düster bezeichnet werden. Mit dem «Sport+Fun»-orientierten<br />
Pseudo-Sportwagen wurde 1974 eine Hausfrauenkiste ohne jeglichen<br />
Anspruch auf den Markt geschleudert. So Recht Iacocca mit<br />
dem Urmodell gehabt hatte, so falsch lag er beim Mustang II: Der<br />
sollte europäischer und gleichzeitig ein «kleines Juwel» im Las-Vegas-Bling-Bling-Style<br />
werden – und diese Allerweltsvorgabe prägte<br />
jeden Aspekt des neuen Designs. Bottomline: Der Wagen hatte<br />
mit dem Original-Mustang nichts mehr am Hut, sondern war eher<br />
ein politisch korrektes, weichgespültes Statement. Auch der V8<br />
wurde tabu erklärt und durch lahme 2.3-L-Vierzylinder oder<br />
2.5-L-V6-Motoren ersetzt. Gipfel der Grässlichkeit: Der Mustang II<br />
basierte jetzt auf dem berüchtigten Pinto-Chassis. Stell dir das vor:<br />
Pinto, um Gottes willen! Was hatte man sich nur dabei gedacht!<br />
Wahrscheinlich gar nichts. Die Karre war nun 30 Zentimeter kürzer<br />
als der Original-Mustang, dafür aber 140 kg schwerer…<br />
Erst Anfang 2004 kam es zu einem Revival, als Ford einen Mustang<br />
auf der total neuen D2C-Plattform vorstellte, bestückt mit V6- und<br />
V8-Triebwerken. Das Auto kennzeichnete eine Stilrichtung, die von<br />
Chefdesigner J Mays als «Retro-Futurismus» bezeichnet wurde.<br />
Als Coupé und Cabrio war der Neo-Mustang ein sofortiger Verkaufserfolg<br />
und wird heute als «instant classic» anerkannt.<br />
Das Modelljahr 2006 brachte ein neues, aufgerüstetes «Pony Package»<br />
für die beliebten V6-Modelle – und wieder lag Carroll<br />
Shelby voll im Trend mit bis zu 350 PS starken Kompressor-Sonderausgaben!<br />
In den folgenden Jahren wurde fleissig an Technik<br />
und Styling gefeilt. Auch die ehemaligen Rivalen Camaro und<br />
Challenger steigen aus der Gruft zu neuen Höhen auf – Geschichte<br />
wiederholt sich. Auch ein neuer Mustang Boss 302 wurde<br />
2012 eingeführt.<br />
Bald wird die aktuelle fünfte Mustang-Baureihe in den Sonnenuntergang<br />
reiten, aber dank Supertunern wie Shelby, Saleen und<br />
Rouch ist die Story dieser Baureihe noch lange nicht zu Ende. Im<br />
Gegenteil, sie wird nächstes Jahr mit der Ankunft der sechsten<br />
Modellgeneration nochmals spannender werden! Mein Kopfkino<br />
fantasiert schon…<br />
VECTURA-Autor Stehrenberger ist nicht nur ein intimer Kenner der<br />
internationalen Autoszene, sondern selber Jubilar: Seit Anfang<br />
März ist der gebürtige Schweizer 70 Jahre jung.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 071
MOTORMENSCHEN<br />
Firmengründer<br />
Edouard Heuer<br />
(1840–1892)<br />
Die Erste ihrer Art:<br />
Heuer Carrera Chronograph,<br />
Baujahr 1964<br />
Wie Mann so tickt<br />
In allen Ehren:<br />
Jack W. Heuer, der Carrera-Chronograph<br />
und ein grossartiges Lebenswerk<br />
Text Gisbert L. Brunner · Fotos Archiv Jack Heuer, Werk<br />
Armbanduhren gibt es unendlich viele. Aber nur sehr<br />
wenige von ihnen finden den Weg in die Geschichtsbücher.<br />
Dahin, wo sich Mythen, Legenden und vor<br />
allem echte Klassiker versammeln. Per definitionem handelt es<br />
sich bei Letztgenannten um «mustergültige Produkte ersten<br />
Ranges, Resultate herausragender literarischer, künstlerischer<br />
oder wissenschaftlicher Leistungen schöpferischer Menschen,<br />
welche die Merkmale einer ausgereiften Meisterschaft<br />
in sich tragen».<br />
Familienbande In Sachen Uhren gehört der Schweizer Jack<br />
William Heuer, Jahrgang 1932, zu den besonders kreativen<br />
Zeitgenossen. Freilich war der Apfel in diesem Fall nicht sehr<br />
weit vom Stamm gefallen. Als Spross einer anerkannten Dynastie<br />
erfolgreicher Chronographen-Spezialisten konnte er aus<br />
dem Vollen schöpfen. Urgrossvater Edouard Heuer hatte 1860<br />
in Biel die gleichnamige Uhrenmarke ins Leben gerufen und<br />
beispielsweise 1887 die bis heute verwendete Schwingtrieb-<br />
Kupplung für Chronographen erfunden. Und dessen Sohn<br />
Charles-Auguste Heuer liess 1916 einen neuartigen Kurzzeitmesser<br />
entwickeln. Der revolutionäre «Mikrograph» konnte<br />
erstmals auf die Hundertstelsekunde genau stoppen. Dem<br />
sachlichen Analytiker folgten dessen Söhne Charles-Edouard<br />
und Hubert. Das Duo lenkte Heuer in den 1930er-Jahren nicht<br />
nur durch die Weltwirtschaftskrise, sondern auch die vielleicht<br />
schwierigere Zeit des Zweiten Weltkriegs, in der es um den Export<br />
schlecht bestellt war. Und dennoch entstand 1939 und auf<br />
Initiative der beiden Brüder ein Armband-Chronograph mit<br />
wasserabweisender Schale.<br />
Somit wuchs Charles-Edouards Sohn Jack William in einer munter<br />
tickenden Welt auf. Beste Voraussetzungen für die Übernahme<br />
einer leitenden Funktion boten das Betriebsingenieur-Diplom<br />
der ETH Zürich sowie eine unstillbare Passion für den Leistungssport.<br />
Letztere stellte der Spross unter anderem als Zürcher<br />
Hochschul-Champion im Ski-Slalom unter Beweis.<br />
072 VECTURA #7
The next generation:<br />
Jack W. Heuer in den 1960ern<br />
neben seinem Vater Charles<br />
1958 folgte dann der Eintritt ins<br />
Familienunternehmen; zwei Jahre später<br />
organisierte der Juniorchef<br />
bereits das 100-jährige Firmenjubiläum<br />
Im November 1953 zog es Jack in die weite Welt hinaus. Sein<br />
Vater schickte ihn in die USA, um den dortigen Markt zu studieren;<br />
bei der Sportartikelkette Abercrombie & Fitch übte er sich in<br />
der Rolle eines Uhrenverkäufers. 1958 folgte dann der Eintritt ins<br />
Familienunternehmen; zwei Jahre später organisierte der Juniorchef<br />
bereits das 100-jährige Firmenjubiläum – und Jacks Performance<br />
überzeugte die Senioren. 1961 konnte er von Onkel Hubert<br />
ein Aktienpaket erwerben und auch der Vater überliess ihm<br />
einen Teil seiner eigenen Aktien als vorgezogenes Erbe. So wurde<br />
aus dem leitenden Angestellten ein massgeblicher Teilhaber<br />
des Familienunternehmens mit rund zwei Millionen Franken Jahresumsatz.<br />
Geburt einer Legende 1964 fusionierte Jack mit dem Erzrivalen<br />
Leonidas; schon im Herbst 1963 konnten Kunden rund um<br />
den Globus einen Armband-Chronographen erwerben, der bis in<br />
unsere Gegenwart als herausragende Ikone dieser besonderen<br />
Spezies Zeitmesser gilt. Die Entwicklungsgeschichte begann in<br />
den frühen 1960er-Jahren. Weil Jack W. Heuer das Thema wie<br />
seine Vorfahren virtuos beherrschte, wusste er exakt, worauf es<br />
ankommt. In seinen Augen spielte das Design von Gehäuse<br />
und Zifferblatt eine überragende Rolle. Mammut-Gehäuse, wie<br />
heute allgemein üblich, gingen seinerzeit überhaupt nicht.<br />
36 Millimeter Durchmesser galten als Standard und sie resultierten<br />
aus den Dimensionen der damals verbauten Uhrwerke. Neben<br />
der Bedien-Ergonomie, welche sich in einer griffigen Krone und<br />
leicht bedienbaren Drückern zeigte, rangierte die Ablesbarkeit<br />
des Zeitschreibers in der Priorität ganz oben. Deshalb strebte der<br />
junge Patron nicht nur ein sachlich-reduziertes, sondern auch ein<br />
möglichst grosses Zifferblatt an. Und hier gelang Jack ein echter<br />
Kunstgriff. Zur Steigerung der Wasserdichtigkeit wölbte sich über<br />
dem Zifferblatt ein armiertes Plexiglas. Das taten die Mitbewerber<br />
zwar auch, aber keiner von ihnen nutzte die schräge, dem Zifferblatt<br />
zugewandte Fläche des metallenen Spannrings. Ganz anders<br />
Jack Heuer: Er experimentierte begeistert und liess den<br />
Ring schlussendlich mit der wichtigen Skala für die Sekunden<br />
und deren Fünftel-Bruchteile bedrucken. Diese Eingebung vergrösserte<br />
das Zifferblatt um fast zwei Millimeter, was nach wenig<br />
klingt, aber die Optik entscheidend beeinflusste. Damit nicht genug:<br />
Etwas tiefer gesetzte Nebenzifferblätter für Permanentsekunde<br />
und Totalisatoren bescherten dem Zifferblatt eine bemerkenswerte<br />
Dreidimensionalität.<br />
Jack W. Heuer konnte sich stolz auf die Schulter klopfen, hatte er<br />
doch etwas bis dahin Einmaliges geschaffen. Was nun noch fehlte,<br />
war ein treffender Name. Und da kam dem ambitionierten wie<br />
vielseitig interessierten Jungunternehmer der Zufall zu Hilfe. Denn<br />
während den berühmten 12 Stunden von Sebring, bei denen sich<br />
der auch Motorsport-begeisterte Jack höchstpersönlich um die<br />
Zeitnahme kümmerte (schliesslich war die Marke Heuer auch auf<br />
Zeitnahme bei Sportevents spezialisiert), blieben Gespräche mit<br />
den verwegenen Fahrern nicht aus. Ricardo Rodriguez war einer<br />
von ihnen und erzählte begeistert von einem halsbrecherischen<br />
Autorennen, das in den 1950er-Jahren quer durch Mexiko führte.<br />
Als Jack Heuer den Namen «Carrera Panamericana» hörte,<br />
wusste er sofort, dass er gefunden hatte, wonach er suchte.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 073
In der Formel 1 tauchten<br />
Heuer-Uhren nicht nur<br />
an den Handgelenken der<br />
Piloten, sondern auch<br />
als offizielle Zeitmesser auf<br />
074 VECTURA #7
Motormenschen<br />
Handschlag und Schulterschluss: Die Ferrari-Kooperation katapultierte Heuer in den Uhren-Olymp<br />
Sofort nach seiner Rückkehr in die Schweiz fügte er dem Zifferblatt<br />
des puristisch gestylten Newcomers über dem Firmenlogo<br />
das Wort «Carrera» hinzu.<br />
Der Rest ist Geschichte. Als die «Carrera» gleich in mehreren<br />
Ausführungen debütierte, ahnte ihr geistiger Vater freilich noch<br />
nicht, dass diese Armbanduhr zu einem Synonym unter den weltbesten<br />
Chronographen avancieren sollte – und 1997 ein fulminantes<br />
Comeback erleben würde. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich<br />
Jack W. Heuer nolens volens bereits aus dem Uhrenbusiness<br />
zurückgezogen und verfolgte das Geschehen zunächst noch aus<br />
gesicherter Distanz.<br />
1971 war Jack Heuer freilich noch in Amt und Würden, als er<br />
während eines Besuchs der Heuer-Dépendance im Jurastädtchen<br />
Saint-Imier zufällig jemandem begegnete, der ihm bekannt<br />
vorkam. Verdutzt schaute er genauer hin und mit einem Mal heulten<br />
in seinem Kopf Rennmotoren auf, drehten sich Räder immer<br />
schneller. Jack Heuer hatte Gian-Claudio Giuseppe «Clay»<br />
Regazzoni erkannt und fragte sich, was den wohl in diese abgeschiedene<br />
Gegend verschlagen hatte. Zurück im Büro half<br />
ausgeprägtes detektivisches Gespür beim Ermitteln der Telefonnummer<br />
des prominenten Ferrari-Piloten. Bald darauf stand die<br />
Verbindung und schon wenig später folgte ein Besuch Regazzonis<br />
bei Heuer-Leonidas SA. Unverblümt bekundete der Rennfahrer<br />
dort, dass er nach massgeschneidertem Zeitnahme-Equipment<br />
für die 24 Stunden von Le Mans gesucht habe. Das, antwortete<br />
ihm Heuer, sei für sein einschlägig erfahrenes Unternehmen kein<br />
sonderliches Problem.<br />
Enzos violette Tinte Ein Vertrag liess nicht lange auf sich warten.<br />
Heuer erfüllte ihn professionell und avancierte schon 1972<br />
zum offiziellen Zeitnehmer der «Scuderia Ferrari». Geld floss übrigens<br />
keines und Jack musste den Kontrakt jedes Jahr neu verhandeln.<br />
Die Unterschrift leistete Enzo Ferrari höchstpersönlich<br />
mit seiner markant violetten Tinte. Anschliessend dinierten die<br />
neuen Geschäftspartner im Restaurant «Cavallino». Im Zuge der<br />
ersten Vertragsverlängerung sprach man auch über die offizielle<br />
Zeitnahme für die hauseigene Rennstrecke Fiorano – und als<br />
Bonbon offerierte der Commendatore, dass alle Ferrari-Fahrer<br />
das einprägsame Heuer-Logo auf ihrer Montur und einen goldenen<br />
Automatik-Chronographen am Handgelenk tragen könnten…<br />
«In diesen Jahren», so Jack W. Heuer, «lernte ich praktisch<br />
alle Piloten persönlich kennen. Um ihre Uhren entgegenzunehmen<br />
und unsere Fabrik zu besuchen, kamen Niki Lauda, Jacky<br />
Ickx, Clay Regazzoni, Mario Andretti, Carlos Reutemann, Gilles<br />
Villeneuve und andere nach Biel. Die zehn Jahre währende Kooperation<br />
mit der italienischen Nobelmarke sowie das Logo auf<br />
den roten Boliden brachten uns einen enormen Prestigegewinn.»<br />
Das Motorsport-Engagement von Heuer hatte wie erwähnt schon<br />
einige Jahre früher begonnen. Ausserdem gehörte der Hersteller<br />
seit 1969 zu den Pionieren des Armband-Chronographen mit automatischem<br />
Aufzug. «Nach dem finanziellen Entwicklungs-<br />
Kraftakt besassen wir kaum noch die Mittel für weitreichende<br />
Werbemassnahmen. Also mussten intelligente, weniger kostspielige<br />
Methoden der Verkaufsförderung gefunden werden.»<br />
Jack W. Heuer fand sie auf dem Golfplatz. Dort berichtete ihm ein<br />
Freund, dass der eidgenössische Formel-1-Pilot und Porsche-<br />
Händler Jo Siffert einen Sponsor suche. Jack Heuer besuchte ihn<br />
in dessen Fribourger Autohaus und die markant-quadratische<br />
«Monaco», in der das neue Uhrwerk tickte, verfehlte ihre Wirkung<br />
nicht. Das Angebot, Siffert im Rahmen begrenzter finanzieller<br />
Möglichkeiten zu unterstützen und die Automarke zu wechseln,<br />
tat ein Übriges. Künftig trug der Porsche 908 den Namen Heuer<br />
in die Welt – und an Sifferts Handgelenk fand sich natürlich eine<br />
«Monaco». Im Gegenzug legte sich der Uhrenfabrikant einen<br />
Sportwagen aus Zuffenhausen zu. «Dies war sicher ein amateurhafter<br />
Einstieg ins Formel-1-Geschäft», bekennt Jack Heuer rückblickend,<br />
«aber wir engagierten uns als erste branchenfremde<br />
Marke in diesem rasanten Hochleistungssport und fuhren nicht<br />
schlecht damit.» Dass Steve McQueen 1970 bei den Dreharbeiten<br />
zum Film «Le Mans» gratis und franko eine «Monaco» trug<br />
(siehe VECTURA #6), war wiederum ein genialer Schachzug.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 075
Wichtige Werbeträger: Jack Heuer mit Jo Siffert…<br />
… der seinerseits Steve McQueen überzeugte<br />
Heuer mit den Ferrari-Fahrern Niki Lauda und Clay Regazzoni…<br />
…sowie F1-Teamchef Luca di Montezemolo…<br />
…mit Mario Andretti…<br />
…oder Ronny Peterson<br />
076 VECTURA #7
Motormenschen<br />
Jack Heuer hatte den Filmausstatter mit Stickern, Bord- und<br />
Armbanduhren ausgestattet. Nach vielen Testrunden in Le Mans<br />
bat der Produzent Steve McQueen, endlich sein filmisches Outfit<br />
festzulegen. Der Schauspieler entschied sich für den Dress des<br />
gerade neben ihm stehenden Jo Siffert, den er ja schliesslich<br />
mimte. Im Zuge dieser Wahl befestigte der Rennfahrer blitzschnell<br />
ein Heuer-Logo am Overall. Ausserdem durfte McQueen in die<br />
Schachtel mit Heuer-Chronographen greifen – und entschied<br />
sich für jenes Modell, auf das auch Siffert blickte. Logischerweise<br />
profitierte Heuer vom Erfolg des Films: Die «Monaco» entwickelte<br />
sich zum Kultobjekt für Fans des Hollywoodstars und des 1971<br />
tödlich verunglückten Rennfahrers.<br />
Die Quarz-Krise Dennoch musste Jack W. Heuer 1972 die bittere<br />
Erfahrung machen, dass politische und wirtschaftliche Krisen<br />
den privaten Konsum nicht gerade fördern. Vor allem jenseits des<br />
Atlantiks und im Land der – nur scheinbar – unbegrenzten Möglichkeiten<br />
liefen die Geschäfte eher mässig. Eine weltweit hohe Inflation,<br />
das rapide Absinken des Dollarkurses, die amerikanischen<br />
Luftangriffe auf Nordvietnam, die grosse Flutkatastrophe in Rapid<br />
City und die so genannte Ölkrise sorgten für Umsatzeinbrüche bei<br />
der altehrwürdigen Mechanik. Dazu kam die neue Quarz-Technologie,<br />
welche Jack W. Heuer keineswegs ablehnte, im Gegenteil:<br />
Der findige, progressiv denkende Techniker stürzte sich mit Verve<br />
darauf. «Das Unterfangen erforderte aber jede Menge konstruktiver<br />
Basisarbeit. Von den ersten Skizzen bis hin zur Realisation war<br />
eigenes Gedankengut gefragt.» Tatsächlich besass die 1975 vorgestellte<br />
Weltpremiere namens «Chronosplit»<br />
keine beweglichen Teile. Zu den<br />
ersten Kunden gehörte Paul Newman,<br />
dessen neuer Film «Der Clou» gerade Kinos<br />
und Kassen füllte. Im Jahr zuvor hatte<br />
Jack W. Heuer mit rund 25 Millionen<br />
Franken seinen Umsatz-Zenit erreicht.<br />
Kurz darauf aber trafen ihn die Krise der<br />
traditionellen Uhrmacherei und der Zusammenbruch<br />
des Marktes für mechanische<br />
Stoppuhren wie ein Fausthieb.<br />
Heuer hatte den Nutzen geschickten<br />
Produkt-Placements und öffentlich -<br />
keitswirksamen Sport-Sponsor ings erkannt,<br />
musste aber auch konstatieren,<br />
dass diese Aktivitäten immer teurer wurden.<br />
In der zweiten Hälfte der 70er-Jahre<br />
kämpfte Jack Heuer als weiterhin weltgrösster<br />
Stoppuhrenfabrikant beständig<br />
mit dem Rücken zur Wand. Und konnte<br />
trotz innovativer und kreativer Erzeugnisse nicht mehr am Markt<br />
bestehen. Dann, im Sommer 1981, kam der fatale Schlag: Die<br />
Volksrepublik China hatte tausende Stoppuhren bestellt, doch<br />
mitten im Fertigungsprozess geriet Heuers Werkelieferant ins Trudeln.<br />
Um den Grossauftrag nicht zu gefährden, bevorratete sich<br />
die Firma mit Werken und Ersatzteilen. Ende September schottete<br />
sich China abrupt gegen alle Uhrenimporte ab – und der Berg<br />
fertiger und halbfertiger, unverkäuflicher mechanischer Stoppuhren<br />
überforderte die Liquidität. So ging am 25. Juni 1982 die letzte<br />
öffentliche Generalversammlung der Heuer-Leonidas SA über<br />
die Bühne. Nach langen, zähen Verhandlungen mit Gläubigern<br />
und Kaufinteressenten mussten Jack W. Heuer und die übrigen<br />
Inhaber von Namensaktien der Abschreibung ihres Kapitals auf<br />
null sowie der Auflösung vorhandener Reserven zustimmen.<br />
Nach einem dreijährigen Intermezzo übernahm 1985 die TAG-<br />
Gruppe (Techniques d’Avant-Garde) die Aktienmehrheit. Jack<br />
Heuer ging im Streit.<br />
Versöhnung mit dem Patron Seit 1999 gehört die traditionsreiche<br />
Sportuhrenmarke zur LVMH-Gruppe, und deren<br />
Grossaktionär Bernard Arnault ernannte Jack W. Heuer im<br />
Sommer 2001 wegen seiner anerkannten Leistungen zum TAG-<br />
Heuer-Ehrenpräsidenten. In dieser Funktion wirkt der Unermüdliche<br />
beratend, aber auch durchaus kritisch bei der Entwicklung<br />
neuer Produkte mit. Dass ihm die 1963 lancierte<br />
Chronographen-Linie dabei ein besonderes Anliegen ist, mag<br />
sich von selbst verstehen. TAG Heuer wiederum hat seinem honorigen<br />
Markenbotschafter zum 50. Geburtstag der «Carrera»<br />
eine Sonder-Edition mit pultförmigem «Bullhead»-Design und<br />
dem exklusiven Automatikkaliber 1887 gewidmet (siehe unten).<br />
Der 45 Millimeter grosse Carrera Calibre 1887 «Jack Heuer»-<br />
Chronograph ist ab November erhältlich. Der dadurch Geehrte<br />
hat es sich redlich verdient – und beabsichtigt, sich bis Ende<br />
Jahr komplett aus dem Geschäft zurückzuziehen. Damit geht<br />
eine Ära zu Ende, die einige der bedeutendsten Armbanduhren<br />
für Automobilliebhaber hervorgebracht hat.<br />
Mehr zum Thema<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 077
Die Lionel-Robert-David-Ulrich-Story<br />
Aston Martin ist 100 Jahre alt – und quicklebendig. Zum Geburtstag<br />
blicken wir zurück auf bewegte und bewegende Geschichte<br />
Text Klaas Rosenboom · Fotos Sammlung Rosenboom, Werk<br />
Gab es Aston Martin eigentlich schon, bevor Q den<br />
Bentley von James Bond im Jahr 1964 durch einen<br />
DB5 ersetzte? Die dritte Sequel mit Sean Connery alias<br />
007 brachte den britisch-eleganten GT mit seinem interessanten<br />
Zubehör sofort in die Schlagzeilen. Kugelsichere Scheiben,<br />
Maschinengewehre, eine Schutzplatte hinter der<br />
Rückscheibe, Felgen-Zentralverschlüsse als Reifenaufschlitzer,<br />
dazu ein Telefon, bevor man überhaupt nur über ein C-Netz<br />
nachdachte – und nicht zuletzt das bekannteste Extra, der Beifahrer-Schleudersitz<br />
– machten dieses Auto auf Anhieb weltberühmt.<br />
David Brown, der damalige Besitzer der Sportwagenfirma,<br />
sagte einmal, dass man in dieser Zeit dreimal so viele Autos<br />
hätte verkaufen können, aber die Firma hatte einfach nicht die<br />
Kapazitäten. Corgi Toys hingegen stellte sogleich ein (in Anlehnung<br />
an den Filmnamen «Goldfinger» goldfarbenes) Modell her,<br />
welches schnell zum meistverkauften Spielzeugauto der Welt<br />
avancierte. Dies, obwohl das im Film verwendete Auto in der<br />
Farbe «Silver Birch» lackiert war. Diese Ära markierte den absoluten<br />
Gipfel in der Popularität von Aston Martin.<br />
Doch der Reihe nach. Begonnen hat es vor genau 100 Jahren<br />
mit einem gewissen Lionel Walker Birch Martin, der zusammen<br />
mit Robert Bamford einen Vertrieb namens «Bamford & Martin<br />
Ltd.» gründete, um Singer-Sportwagen zu verkaufen und sie<br />
ausserdem für Rundstrecken und Bergfahrten, sogenannte<br />
Hillclimbs, aufzurüsten. Das Motto und Ziel der kleinen, auch<br />
mit Sponsoren finanzierten Unternehmung war sehr ambitioniert:<br />
«Wir wollen ein Qualitätsfahrzeug guten Aussehens und<br />
hoher Leistung für den anspruchsvollen Besitzer und Fahrer<br />
bauen, der in einem individuell für ihn entwickelten und karossierten<br />
Wagen schnelles Reisen im Sinn hat.» So weit, so gut.<br />
Lionel Martin selbst fuhr tatsächlich viele Siege heraus, einige<br />
davon in den Hängen des englischen Nestes Aston Clinton in<br />
Hertfordshire. Aus dem Orts- und seinem Nachnamen formte<br />
er schliesslich 1914 den klangvollen Namen Aston Martin –<br />
Tatsächlich war und ist die Marke viel älter, doch ausserhalb Englands<br />
war das zuvor weitgehend unbemerkt geblieben. Daran<br />
änderten auch zahlreiche Motorsportsiege nichts – unter anderem<br />
gewann Aston Martin im Jahre 1959 die Sportwagen-Weltmeisterschaft.<br />
In Le Mans, Silverstone, Aintree, Brands Hatch,<br />
Spa, Monza oder auf dem Nürburgring lieferte sich Aston Martin<br />
mit der Konkurrenz von Ferrari, Jaguar, Maserati, Mercedes, Porsche<br />
und anderen Herstellern spannende Duelle.<br />
A3, Baujahr 1921<br />
078 VECTURA #7
CENTENNIAL<br />
Lionel Martin (1878–1945)<br />
Robert Bamford (1883–1942)<br />
Bamford verliess das Unternehmen aber erst 1920. Die Firma<br />
siedelte sich zunächst am Henniker Place in London an und<br />
liess im März 1915 ihr erstes eigenes Fahrzeug zu. Dieses mit<br />
einem seitengesteuerten Coventry-Simplex-Motor ausgestattete<br />
Auto erhielt später den Spitznamen «Kohleneimer»; es<br />
entstand nur dieses eine Exemplar.<br />
Nach dem Ersten Weltkrieg zog die Firma nach Kensington<br />
um, suchte sich neue Geldgeber und baute zwei Wagen für<br />
den Grossen Preis von Frankreich. Im gleichen Jahr stellte dieses<br />
«Bunny» genannte Auto zehn Geschwindigkeitsrekorde<br />
auf, von denen einer 60 Jahre lang ungebrochen bleiben sollte.<br />
Die Fahrzeuge der Marke erlangten bald den Ruf, sehr<br />
schnell und zuverlässig zu sein, und dabei sollte es bleiben:<br />
Von den etwa 12 000 bis 1995 gebauten Wagen existieren<br />
heute noch über 9000 und werden zumeist auch noch gefahren.<br />
Das spätere Werk-Rennteam fuhr zum Beispiel oft auf eigener<br />
Achse zu den Rennstrecken, denn die Autos mussten<br />
nicht besonders geschont werden. Der Sportsgeist der Engländer<br />
sorgt übrigens immer noch dafür, dass Markentreffen<br />
von den teilnehmenden Wagen aus eigener Kraft angesteuert<br />
werden – auch wenn manche von ihnen inzwischen den Gegenwert<br />
von zwei oder drei Einfamilienhäusern darstellen. In<br />
den ersten Jahren dagegen war Geld knapp bei Aston Martin.<br />
Lionel Martin verliess die Marke 1925 nach einer weiteren Firmenpleite,<br />
machte sein Hobby zum Beruf und stieg ins Fahrradgeschäft<br />
ein. Die neuen AM-Besitzer Lord Charnwood, Augustus<br />
Bertelli und William Renwick siedelten die neue Firma Aston Martin<br />
Motors schliesslich in Feltham, Middlesex, an. Man verbaute<br />
inzwischen einen 1,5-L-Motor mit oben liegender Nockenwelle.<br />
Die ab 1929 hergestellten Modelle «International» etablierten damals<br />
bezüglich Strassenlage und Handling den Stand der Technik.<br />
1932 erreichte man in Le Mans den dritten Platz, 1935 reichte<br />
es für einen Sieg in der 1,5-Liter-Klasse. Diese frühen<br />
30er-Jahre brachten berühmte Typen wie Le Mans, Ulster und<br />
Mark II hervor; trotzdem sollte die Firma noch mehrmals den Besitzer<br />
wechseln. Unter Gordon Sutherland wurde 1936 als wichtigste<br />
Neuerung ein Zweilitermotor für die neuen 15/98- und<br />
Speed-Modelle entwickelt. Richtig modern zeigte sich 1939 ein<br />
«Atom» genannter, gedrungener Prototyp mit Space-Frame-artigem<br />
Rahmen, elektrischem Cotal-Getriebe und vorderer Einzelradaufhängung;<br />
dieses Fahrzeug stellte denn auch die technische<br />
Basis der ersten Nachkriegsmodelle dar.<br />
Bis 1939 sind insgesamt nur wenige hundert Aston Martin entstanden.<br />
Die finanzielle Berg-und-Tal-Fahrt führte 1947 dazu, dass die<br />
Firma wieder einmal zum Verkauf stand. Der englische Traktoren-<br />
und Getriebe-Fabrikant David Brown sah eine Anzeige<br />
Series 3, 1934/35 Atom, 1939 2-Litre-Sports, 1948–50 DB2, 1950–53<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 079
Technik-Chef war zu dieser Zeit kein Geringerer als Walter Owen<br />
Bentley, dessen Firma Jahre zuvor von Rolls-Royce übernommen<br />
worden war. W.O. plante einen 2,6-Liter-OHC-Sechszylindermotor<br />
in einem Wagen mit Einzelradaufhängung. Genau so ein Auto<br />
schwebte auch David Brown vor: Das Aggregat trieb sowohl Lagonda-Modelle<br />
der frühen 1950er als auch den neuen Aston<br />
Martin DB2 an – die Initialen gingen natürlich auf den Markenchef<br />
zurück. Noch im Jahr seiner Einführung gewann der DB2 die<br />
Dreiliterklasse in Le Mans. Im ab 1953 angebotenen DB2/4 mit<br />
Mulliner-Karosse wuchs der Hubraum auf 2,9 Liter. Sowohl Aston<br />
Martin als auch Lagonda waren zu dieser Zeit in Hanworth Park,<br />
Feltham, ansässig, doch Brown kaufte noch die Karosseriefabrik<br />
Tickford in Newport Pagnell, Buckinghamshire, dazu. 1954 zogen<br />
auch die beiden Automarken dorthin.<br />
Traktoren-Millionär und Sportwagen-Fan: David Brown (1904–93)<br />
in der «Times», schlug zu – und erwarb noch im gleichen Jahr die<br />
Luxusmarke Lagonda. Diese beiden Firmen bilden bis heute die<br />
Aston Martin Lagonda Ltd.<br />
Lagonda wurde 1898 in Staines von Wilbur Gunn gegründet. Der<br />
war eigentlich Opernsänger, hatte schottische Vorfahren und<br />
stellte zuerst Motorrad-Motoren, dann Dreiräder und schliesslich<br />
Sportwagen her. Auch Lagonda baute luxuriöse und technisch<br />
fortschrittliche Autos, die im Motorsport viele Erfolge einfuhren.<br />
1925 gab es einen Doppelnockenwellen-Zweiliter, der bei hoher<br />
Geschwindigkeit einen Sparsamkeitsrekord aufstellte. 1934 verfügte<br />
Lagonda über einen 4,5-Liter-Sechszylinder und gewann<br />
ein Jahr später in Le Mans. 1937 wurde ein spektakulärer V12<br />
vorgestellt; diverse Designer und Karosseriebauer stellten diese<br />
Autos auf eine Stufe mit Rolls-Royce, Bentley oder Bugatti. Ein<br />
Lagonda V12 war auch der erste Wagen, welcher in Standardausführung<br />
über 100 Meilen pro Stunde schnell war. Vor dem<br />
Krieg war Lagonda also ganz grosses Kino. Der Markenname ist<br />
übrigens ein indianischer Ausdruck aus der Gegend von Springfield/Ohio,<br />
wo es auch einen Lagonda Creek gibt. Das Wort bezeichnet<br />
die Hörner von Böcken und im übertragenen Sinne einen<br />
Strom mit Nebenflüssen wie den besagten Lagonda Creek<br />
– Wilbur Gunn verbrachte dort seine Kindheit.<br />
1957 kam der DB Mark III auf den Markt; er wies eine Heckklappe<br />
auf und war mit Motorsport-erprobten Scheibenbremsen ausgestattet.<br />
Nach wie vor produzierte Aston Martin potente Rennwagen;<br />
allein der wunderschöne DBR1 holte in den späten Fünfzigern<br />
dank Dreiliter-Motor fünf Rundenrekorde in Le Mans; der<br />
grösste Erfolg war 1959 der Gewinn der Sportwagen-Weltmeisterschaft.<br />
Viele berühmte Fahrer wie Moss, Shelby, Trintignant,<br />
Collins, Frère, Clark und andere fuhren Aston Martin; Rennleiter<br />
war zu dieser Zeit ein gewisser John Wyer, der später die Siege<br />
der Ford GT40 und danach die Porsche-917-Equipe managte.<br />
Eine neue Ära brach 1958 mit dem neuen DB4 an, der eine von<br />
Touring in Mailand gezeichnete Karosserie in leichter Superleggera-Bauweise<br />
und einen 3,7-L-Motor aufwies. Es war ein waschechter<br />
GT, der da von 1958 bis ’64 gebaut wurde. Dieses Coupé<br />
teilte sich die Plattform mit einem Exoten, denn sie bildete auch<br />
die Basis für den identisch motorisierten Lagonda Rapide, eine<br />
luxuriöse Limousine, die es zwischen 1961 und ’64 aber lediglich<br />
auf eine Stückzahl von 55 Exemplaren brachte. Es dauerte dann<br />
zehn Jahre, bis wieder ein Lagonda vorgestellt wurde.<br />
Aston Martin zog sich in jenen Tagen aus dem Rennsport zurück<br />
und konzentrierte sich auf die Serienfertigung. Ende 1963 erschien<br />
– mit vier Liter Hubraum und einem Fünfganggetriebe –<br />
der eingangs erwähnte DB5. Aber warum eigentlich James<br />
Bond? Die Filmproduzenten traten damals an Aston Martin heran,<br />
weil 007-Autor Ian Fleming seinen Agenten in späteren Büchern<br />
einen DB Mark III steuern liess. Als 1964 das Buch «Goldfinger»<br />
verfilmt werden sollte, war der aktuelle Aston eben der<br />
DBR1, 1956–59 DB6, 1965–70 DBS, 1967–72 AM V8, 1972–89<br />
080 VECTURA #7
CENTENNIAL<br />
ganz neue DB5… Auch Schauspieler und andere Prominente<br />
begannen anschliessend, sich für die Marke zu interessieren.<br />
Schon bald kam der DB6 – identisch motorisiert, aber mit Kamm-<br />
Heck. Er wurde bis 1969 gebaut; die offene Short-Chassis-Version<br />
nannte sich erstmals «Volante».<br />
Designer William Towns zeichnete im Jahre 1966 den DBS<br />
getauften Nachfolger – und damit eine neue Aston-Martin-Ära.<br />
Der Übergang vollzog sich fliessend, denn der DB6 war drei weitere<br />
Jahre lang im Angebot (zuletzt als Mark II) und verkaufte sich<br />
immer noch gut. Mit dem DBS hatte er nur den Motor gemein;<br />
optisch lagen Welten zwischen beiden Modellen. Das jüngere war<br />
grösser und schwerer, was den Sechszylinder überforderte. Deshalb<br />
entwickelte das Team um Ingenieur Tadek Marek einen 5,3-L-<br />
V8 mit vier oben liegenden Nockenwellen, der 1969 im DBS V8<br />
debütierte. Damals drehte man die Serie «Die Zwei» (The Persuaders)<br />
mit Roger Moore und Tony Curtis. Moore alias Lord Brett<br />
Sinclair fuhr einen bahamagelben DBS, der zwar noch den<br />
Sechszylinder unter der Haube hatte, aber mit seinen Alufelgen<br />
auf V8 machte – der stärkere Motor war noch nicht serienreif.<br />
Derweil kündigten sich weitere Veränderungen an. Der Besitz von<br />
Aston Martin war das Hobby von David Brown – und gleichzeitig<br />
eine schwere Last. Aufgrund dauernder Verluste musste er sich<br />
1972 auf Druck der Aktionäre seiner Firmengruppe von den<br />
Sportwagen trennen. Aston Martin ging wieder einmal durch<br />
mehrere Hände; erst 1987 stabilisierten sich die finanziellen Verhältnisse<br />
mit einer 75-prozentigen Ford-Übernahme. Was sich<br />
indes nie änderte, war die Tatsache, dass Aston Martin immer zur<br />
Sport- und Luxuswagen-Elite gehört hat. Die Autos waren teuer<br />
und sehr individuell, boten aber auch genug Platz für lange Reisen.<br />
Viele Konkurrenten sind dagegen eher knapp bemessene<br />
Zweisitzer gewesen, in die gerade noch eine Golftasche passte.<br />
Ganz anders die komfortablen Autos aus Newport Pagnell – oder<br />
der ab 1976 produzierte Aston Martin Lagonda, eine avantgardistische<br />
Stufenheck-Limousine. Sie war Futurismus in Reinkultur<br />
und begeisterte vor allem arabische Käufer; bis 1990 entstanden<br />
645 Exemplare – es sind die bis heute letzten Lagonda gewesen.<br />
Die robusten V8-Modelle von Aston Martin wurden mit einigen<br />
Retuschen und in verschiedenen Varianten bis 1989 weitergebaut.<br />
Nach wie vor in reiner Handarbeit dengelte man in Newport<br />
Pagnell damals Virage, V8 Coupé und Vantage, dessen 557 PS<br />
starke Basisversion 1999 den Gipfel dieser Baureihen markierte.<br />
Viele Teile- und Einbaukontrollen, die Prüfungen der diversen<br />
Lackschichten plus mehrere Testfahrten mit extra dafür eingebauten<br />
Testsitzen und Testrädern stellten sicher, dass sich jedes<br />
neue Auto auch wie ein Aston anfühlte und fuhr. Selbst der Motorenbau<br />
hatte Manufaktur-Charakter: Nach der Montage und<br />
sorgfältigen Testläufen versahen die Techniker den Ventildeckel<br />
jedes Aggregats mit einem kleinen Messingschild, auf dem ihr<br />
Name stand. Das Werk behielt – wie bei Rolls-Royce und Bentley<br />
– von allen Neuwagen ein Stück Leder und Holz zurück. Im Falle<br />
eines Kratzers verfügte man so über Ersatz gleicher Maserung<br />
oder Zeichnung. Die Innenausstattung eines Astons bestand aus<br />
zehn Häuten, die in der hauseigenen Sattlerei verarbeitet wurden;<br />
auch die meist hochflorigen Wilton-Teppiche hat man vor Ort zugeschnitten,<br />
vernäht und gesäumt.<br />
Die Herstellung eines Wagens nahm drei Monate in Anspruch,<br />
doch die Tage der manuellen Kleinserienproduktion waren<br />
gezählt. Mit solchen Methoden erreichte Aston Martin selten<br />
eine Jahresproduktion von 500 Einheiten – das war zu wenig, um<br />
zu überleben, aber zu viel zum Sterben. Zumal man damals auch<br />
noch vornehme Servicegewohnheiten pflegte: Eine Kundin aus<br />
London hatte mal Motorenprobleme mit ihrer Lagonda-Limousine.<br />
Sie rief bei Aston an und es kam genau jener Techniker vorbei,<br />
der ihren Motor einst gebaut hatte. Der fand den Fehler und behob<br />
ihn vor Ort.<br />
Mit dieser traditionell geprägten Markenphilosophie fuhr Aston<br />
Martin in die 1990er-Jahre, war aber zum Umdenken gezwungen:<br />
Um künftigen Abgas-Bestimmungen in den USA und anderen<br />
Ländern zu genügen, musste mit möglichst geringem Kostenaufwand<br />
ein neues Modell entwickelt werden. Die Lösung<br />
kam mit der Plattform des Jaguar XK8, auf der 1993 ein eleganter,<br />
von Ian Callum gezeichneter DB7 entstand. In der eigens dafür<br />
umgebauten Jaguar-/TWR-Fabrik in Bloxham wurde das Auto<br />
endmontiert. Es wäre verwegen, schon von Fliessbandproduktion<br />
zu sprechen, aber die Stückzahlen des zunächst mit einem<br />
neuen Sechszylinder angetriebenen Coupés schnellten tatsächlich<br />
in die Höhe. Statt der bisher rund 150 Autos pro Jahr verkaufte<br />
man in den späten 90ern schon 600! 1995 kam die Stoffdach-<br />
Variante hinzu, 1999 erhielt der Bestseller sogar ein V12-Triebwerk.<br />
Anno 2000 stieg der Absatz auf das Rekordvolumen von 1000<br />
Autos und noch im Sommer des gleichen Jahres hatte die Aston<br />
Martin Lagonda Ltd. wieder mal einen neuen Chef – den<br />
Lagonda, 1976–89 Virage, 1989–95 DB7, 1994–99 DB7 Zagato, 2002–03<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 081
CENTENNIAL<br />
Lenkte Aston Martin gekonnt in die Neuzeit: Ulrich Bez<br />
Geburtstagsgeschenk: Mit der Roadster-Studie CC100 gewährt die<br />
Marke einen Ausblick auf die Formsprache kommender Baureihen<br />
wichtigsten seit David Brown: Der Vollblut-Ingenieur Ulrich Bez<br />
hatte zuvor in leitender Stellung für Porsche, BMW und Daewoo<br />
gearbeitet und eine klare Strategie: «Es gibt zwei Arten England<br />
– Patchwork – zum Beispiel romantische, aber windschiefe Häuser<br />
– und High Tech, wie es die hier angesiedelten Formel-<br />
1-Teams bieten. Aston Martin kommt von der ersten Seite. Wir<br />
gehen jetzt zur anderen.»<br />
Das konstruktive Rüstzeug für diese ambitionierte Absicht<br />
bildete eine genietete und verklebte Spaceframe-Plattform aus<br />
Aluminium und Karbon, die sich adaptiv verwenden liess und eine<br />
bisher ungekannte Modellvielfalt ermöglichte: Abgesehen vom<br />
Toyota-basierten Luxus-Kleinwagen Cygnet (seit 2011) weisen<br />
alle Aston Martin ab dem 2001 eingeführten damaligen Flaggschiff<br />
Vanquish dieses Konzept auf. Das führte zum neuen Bez-<br />
Claim «Power, Beauty and Soul» und dem gewünschten Wachstum,<br />
welchem 2007 leider auch der angestammte Firmensitz<br />
Newport Pagnell zum Opfer fiel: Heute befindet sich dort nur<br />
noch der Reparaturservice. Schon 2003 bezog das Hauptquartier<br />
einen schicken Neubau in Gaydon, Warwickshire. Die Modellpalette<br />
wurde 2004 um den DB9 erweitert, dann kamen das knackige<br />
Einstiegsmodell V8 Vantage (2005) und ein neuer DBS<br />
(2007). Inzwischen gibt es drei Coupés, zwei Cabrios (Roadster<br />
und Volante) plus verschiedene Sondermodelle und Kleinserien,<br />
einige mit Zagato-Karosserie. Geschicktes Merchandising und<br />
elitäre Kooperationen, etwa mit dem Schweizer Uhrenlabel Jaeger-LeCoultre,<br />
unterstreichen bis heute das Image. Auch der<br />
Rennsport wird unter Bez wieder sehr gepflegt, unter anderem<br />
mit regelmässigen Teilnahmen an Endurance-Veranstaltungen.<br />
Der Name Lagonda wurde bisher nicht wiederbelebt; die seit<br />
2009 angebotene Limousine heisst Aston Martin Rapide. Im gleichen<br />
Jahr wurde lediglich eine klobige Geländewagenstudie auf<br />
Mercedes-Basis mit dem Lagonda-Schriftzug garniert.<br />
Trotz der insgesamt sehr positiven Entwicklung – 2011 erreichte<br />
Aston Martin mit über 4000 Autos einen neuen Absatzrekord –<br />
entschloss sich Ford bereits 2006 zum Rückzug und verkaufte<br />
seine Anteile an ein britisch-arabisches Konsortium unter der Leitung<br />
des ehemaligen Rallye- und F1-Teamchefs David Richards.<br />
Vor wenigen Wochen gesellte sich eine italienische Investmentgruppe<br />
hinzu und es bleibt abzuwarten, wie es weitergeht. Mit<br />
dem Rapide S wurde 2012 eine neue Motorengeneration eingeführt<br />
– nach wie vor kommen alle Acht- und Zwölfzylinder aus<br />
einer Aston-Martin-Fertigung, die sich auf dem Gelände von Ford<br />
Europa in Köln befindet. Fest steht, dass das geflügelte Markenlogo<br />
noch nie so hell strahlte wie heute. Das ist das Verdienst von<br />
Ulrich Bez, der im November 70 Jahre alt wird. Auch die 007-Renaissance<br />
geht auf sein Konto – und die Dienstwagen des Geheimagenten<br />
Ihrer Majestät sind in der öffentlichen Wirkung gar<br />
nicht hoch genug einzuschätzen.<br />
Mehr zum Thema<br />
V12 Vanquish, 2001–07 V8 Vantage, seit 2005 One-77, 2010–12 Rapide, seit 2011<br />
082 VECTURA #7
THE NEW JAGUAR F-TYPE.<br />
YOUR TURN.<br />
Nur JAGUAR kann einen Sportwagen wie den neuen F-TYPE erschaffen.<br />
Wir haben unser ganzes Know-how und unsere ganze Leidenschaft für<br />
sportliche Fahrdynamik und atemberaubende Eleganz in seine Entwicklung<br />
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WWW.F-TYPE.CH<br />
JaguarSchweiz<br />
HOW ALIVE ARE YOU?
084 VECTURA #7
ABGEFAHREN<br />
Cuba<br />
Libre<br />
Wer neben Zigarren auch Oldtimer liebt,<br />
sollte die Karibikinsel besuchen, solange sie<br />
noch vom Castro-Clan regiert wird.<br />
48 000 klassische US-Strassenkreuzer sind<br />
hier im täglichen Einsatz, doch ihr sozialistisches<br />
Reservat ist bedroht<br />
Text Adriano Cimarosti · Fotos Collection Maniago, Robert Waltmann<br />
Im Januar 1959, als der ehemalige Jurist Fidel Castro und seine Gefolgsleute<br />
den bisherigen Präsidenten und Diktator Kubas Fulgencio Batista<br />
endgültig vertrieben hatten und nach Abschluss der «Revolución» ein vollkommen<br />
neues Kapitel in der Geschichte der Insel begann, da zählte man auf<br />
Kuba exakt 180 551 Autos. Es waren vorwiegend amerikanische Modelle, darunter<br />
24% Chevrolet, 16% Ford sowie je 8% Plymouth und Dodge. Heute, nach<br />
rund einem halben Jahrhundert, sollen es noch knapp 50 000 US-Wagen sein.<br />
An die 5000 dieser von den Einheimischen «Almendrones» genannten Detroit-<br />
Veteranen befinden sich in der 2,2-Millionen-Hauptstadt Havanna und gehören<br />
dort selbstverständlich zu den Attraktionen, insbesondere für die Touristen. Die<br />
führen sich für relativ kleines Geld eine Stadtrundfahrt im Strassenkreuzer zu<br />
Gemüte. So gesehen kann man Havanna als Welthauptstadt der Oldtimer bezeichnen.<br />
Die Taxis gehören übrigens dem Staat, so auch das den Bauern «geschenkte»<br />
Kulturland, denn nach wie vor ist Kuba eine sozialistische Republik,<br />
gezeichnet von der Marktwirtschaft.<br />
Wirkt wie eine alte Postkarte, ist aber ein<br />
aktuelles Foto: Strassenszene in Havanna<br />
Handelsblockade der USA Wer nun glaubt, im Nostalgie-Taxi wohlgefedert<br />
über die teilweise recht holprigen Strassen gleiten zu können, wird oft enttäuscht:<br />
Im Verlaufe der Dekaden haben normale Abnützung, improvisierter Service der<br />
mangelhaft ausgerüsteten Garagen und insbesondere der totale Mangel an Ersatzteilen<br />
tiefe Spuren hinterlassen – die USA verhängten 1961 ein Wirtschaftsembargo.<br />
Doch Kubaner behaupten von sich: «Wir finden immer eine Lösung!»<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 085
Besitzer eines Autos zu sein, ist in Kuba übrigens eine Ausnahmeerscheinung<br />
und betrifft weniger als ein Prozent der Bevölkerung.<br />
Es sind geschickte Handwerker, die mit knappen Hilfsmitteln<br />
zu improvisieren verstehen. Man muss übrigens nicht<br />
überrascht sein, wenn der Taxichauffeur plötzlich meint, dass er<br />
an sich diplomierter Arzt sei, aber mit dem Taxi, das zwar der<br />
staatlichen Gesellschaft GranCar gehöre, verdiene er mehr (auch<br />
dank der Trinkgelder) als die rund 30 Euro pro Monat, die ihm als<br />
Mediziner zustünden. Es ist nun auch gut möglich, dass der Wagen<br />
plötzlich bockt und stillsteht, worauf der Driver für einige Minuten<br />
aussteigt, unter der Motorhaube verschwindet und nach<br />
ein paar Minuten mit einem «no problema» wieder seinen Platz<br />
hinter dem Volant einnimmt.<br />
Chevy-Lada oder Studebaker-Moskvitch Dauert der Zwischenstopp<br />
etwas länger und die Passagiere steigen beunruhigt<br />
aus, können sie eventuell überrascht feststellen, dass im Chevrolet<br />
anno 1955 nicht der ihm zustehende V8-Motor steckt, sondern<br />
ein Lada- oder Wolga-Vierzylinder. Kleinvolumigere Ersatzaggregate<br />
werden wegen ihres wesentlich geringeren Verbrauchs<br />
bevorzugt, weil der Treibstoff für Kubaner sehr teuer ist. Besonders<br />
begehrt sind Mercedes-Diesel, aber selbst für eine Einheit,<br />
die bereits viele Kilometer hinter sich hat, müsse man 4000 bis<br />
5000 Dollar bereithalten. Man kann auch einem Studebaker mit<br />
Moskvitch-Motor und Nissan-Scheibenbremsen begegnen.<br />
In den siebziger und achtziger Jahren hat man viele der in Moskau<br />
ausgeleierten Autos noch in Richtung «Perle der Karibik» befördert,<br />
aber nach dem allmählichen Zusammenbruch des befreundeten<br />
Ostblocks versiegte auch diese Quelle. Doch noch immer zirkulieren<br />
zahlreiche der einst in Togliatti produzierten und vom Fiat 124<br />
inspirierten Lada auf Kubas Strassen. Viele dieser kantigen russischen<br />
und weiss gespritzten Fünfplätzer mit der Aufschrift «Patrulla»<br />
werden von der allgegenwärtigen Polizei gefahren.<br />
Als Autolieferant ist China nachgerutscht und auch Korea ist in<br />
das Kuba-Geschäft eingestiegen. Der Neuwagenhandel war übrigens<br />
während eines halben Jahrhunderts verboten; erst 2011<br />
hat man diese Regel gelockert. Seither zirkulieren auch einige<br />
wenige BMW, Mercedes, Audi, VW, Peugeot, Renault oder<br />
Citroën, aber es sind entweder Autos von Diplomaten oder sie<br />
gehören ausländischen Unternehmern. Hie und da trifft man einen<br />
Fiat 126 P, der noch bis 2000 in Polen gebaut wurde.<br />
Export-Verbot Die Auto-Liebe der Kubaner gilt aber ihren alten<br />
Amis und sie erhalten diese auch bei manchmal üppigem<br />
Rost am Leben, solange es geht. Ein Bus-Chauffeur teilte uns<br />
mit, dass die Chinesen bereit wären, zwei neue Wagen aus ihrer<br />
Produktion gegen einen alten Ami einzutauschen, doch die Regierung<br />
in Havanna hat das strikt abgelehnt. Auch wer als Ausländer<br />
glaubt, mit karibischen Oldtimern das grosse Geschäft<br />
086 VECTURA #7
ABGEFAHREN<br />
bildlegende<br />
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088 VECTURA #7<br />
ABGEFAHREN
RUBRIKEN<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 089
090 VECTURA #7<br />
RUBRIKEN
ABGEFAHREN<br />
machen zu können, wird sogleich enttäuscht sein, denn die Autos<br />
dürfen überhaupt nicht ausgeführt werden – sie gelten als<br />
Kulturgut dieses Landes. Es zirkulieren zwar viele schön restaurierte<br />
Exemplare, die beispielsweise für Hochzeiten verwendet<br />
werden – oder für den stilvollen Transport hoher Politiker, die<br />
vom Flughafen zum imposanten «Hotel Nacional de Cuba»<br />
chauffiert werden, wo einst schon die New Yorker Mafia mit<br />
Lucky Luciano oder Vito Genovese an der Spitze zu hausen<br />
pflegte. Im «Nacional» stiegen einst auch Berühmtheiten wie Gary<br />
Cooper, Frank Sinatra, Buster Keaton, Johnny Weissmüller, Tyron<br />
Power, Errol Flynn, Marlene Dietrich, der Boxer Rocky Marciano<br />
oder der gerne bei mehreren Mojitos an der Bar verweilende<br />
Ernest Hemingway ab.<br />
Zurück auf kubanische Strassen: Ein grosser Teil jener Detroiter<br />
Sechs- oder Achtzylinder, die noch nicht durch Einheiten asiatischer<br />
Provenienz ersetzt worden sind, befindet sich heute in heruntergewirtschaftetem<br />
Zustand und würde nach hiesigen Vorstellungen<br />
keine technische Abnahme bestehen. Auch in Kuba<br />
bekommen Autos zwar für die bestandene Kontrolle einen der<br />
begehrten Kleber an die Windschutzscheibe gedrückt. Man erzählt<br />
jedoch, dass es durchaus möglich sei, einen kritischen Kandidaten<br />
mittels einiger zusätzlicher Pesos Cubanos spielend durch<br />
den behördlichen Engpass zu schleusen. Von Abgasvorschriften<br />
ist hier ohnehin keine Rede. Aus der nüchternen Perspektive europäischer<br />
Oldtimer-Sammler wäre eine Totalrestaurierung im Sinne<br />
von «Best of Show» bei vielen Exemplaren kaum noch zu verantworten,<br />
denn die Wertzunahme würde die anfallenden Kosten einer<br />
rigorosen Verjüngungskur niemals decken.<br />
Von wegen klassenlos Im heutigen Strassenbild Kubas fällt<br />
auf, dass Autos mit verschiedenfarbigen Kontrollschildern unterwegs<br />
sind. Schwarz ist für Diplomaten, Weiss für Minister,<br />
Gelb für Privatleute, Blau für Taxis und Staatsbedienstete, Grün<br />
für das Verteidigungsministerium, Rot für Touristen und Orange<br />
für ausländische Unternehmer, welche in Joint Ventures investieren<br />
wollen. Jeder weiss also gleich, mit welcher Gattung<br />
Mensch er es zu tun hat.<br />
Kubas erster Pw tauchte 1898 auf, nachdem man die Spanier<br />
aus dem Land vertrieben hatte. Der Spanier José Munoz hatte<br />
das französische Modell – die Marke ist uns leider nicht bekannt<br />
– ins Land gebracht. Im Rahmen des Karnevals bestand das Vehikel<br />
seine Premiere vor dem einheimischen Volk mit Bravour,<br />
obgleich es bloss zehn Stundenkilometer schnell war. Unter<br />
Oberaufsicht der USA wurde Kuba 1902 zur Republik, die neue<br />
Verfassung ermöglichte jedoch den Vereinigten Staaten ein unbeschränktes<br />
Interventionsrecht. 19<strong>13</strong> tauchte der erste Ford T,<br />
zwei Jahre danach der erste Chevrolet auf. Letzterer sollte es zur<br />
beliebtesten Marke bringen; Louis Chevrolet himself hat zwischen<br />
1920 und 1924 mit den von ihm konstruierten Frontenac auf Kuba<br />
Rennen bestritten. 1916 hatte Ford bereits eine Vertriebsorganisation<br />
auf der ganzen Insel aufgebaut.<br />
Im Verlaufe der Jahre wurde Kuba zum Ferienparadies der Amerikaner,<br />
zumal es auch nur 90 Meilen von Florida entfernt liegt. Das<br />
Nachtleben in Havanna blühte, es entstanden von amerikanischen<br />
Mafiageldern finanzierte Spielkasinos, viele US-Bürger liessen<br />
sich in luxuriösen Villen nieder. 1940 kam Fulgencio Batista auf<br />
den Präsidentenstuhl und pflegte die Beziehungen zu den USA<br />
mehr denn je. Amerikanische Autos standen hoch im Kurs.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 091
ABGEFAHREN<br />
Im Dezember 1956 wurde im Stadion von Havanna gar eine gross<br />
angelegte Präsentation amerikanischer Modelle des Jahrgangs<br />
1957 inszeniert, 40 000 Zuschauer wohnten der Show bei. Etwa<br />
zeitgleich landete Fidel Castro zusammen mit dem einstigen argentinischen<br />
Arzt Ernesto «Che» Guevara nach mexikanischem<br />
Exil und in Begleitung von 80 Aufständischen mit der Motoryacht<br />
«Granma» auf Kuba – es war der Beginn des Guerillakriegs.<br />
In den 1950er-Jahren standen<br />
US-amerikanische Neuwagen<br />
bei den Kubanern hoch im Kurs.<br />
Dann kamen Che und Fidel…<br />
Fangios Entführung Kaum einer weiss noch, dass der Motorsport<br />
auf Kuba politisch instrumentalisiert worden ist. Von 1957<br />
bis 1960 gab es viermal einen Grand Prix von Kuba, der für<br />
Sportwagen ausgeschrieben war. Der 5,5 Kilometer messende<br />
Circuit bestand teilweise aus der berühmt-breiten Küstenstrasse<br />
Malecón, die auch an der Bucht Havannas vorbeiführt. Der Grand<br />
Prix 1958 war auf den 23. Februar terminiert und prominent<br />
besetzt: Juan Manuel Fangio und Caroll Shelby jeweils auf<br />
Maserati 450 S, Stirling Moss auf Ferrari 315, Masten Gregory auf<br />
Ferrari 375 plus und Wolfgang von Trips auf Ferrari 315 S zählten<br />
auf der Teilnehmerliste zu den grossen Protagonisten, wobei<br />
Fulgencio Batista allein für Fangio 7000 Dollar als Gage hinblätterte.<br />
Diese «Geldverschwendung» ärgerte den Rebellen Castro<br />
so sehr, dass er Fangio kidnappen liess und am Rennwochenende<br />
in einer Luxusvilla gefangen hielt. Man wollte Batista damit<br />
092 VECTURA #7
RUBRIKEN<br />
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094 VECTURA #7
ABGEFAHREN<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 095
ABGEFAHREN<br />
den renommiertesten Star entreissen und dem verhassten Diktator<br />
damit die Show stehlen. Amüsante Anekdote am Rande: Auf<br />
dem Weg ins Weekend fuhr einer der Entführer noch schnell bei<br />
sich zu Hause vorbei, um seiner Frau und seinem Vater den fünffachen<br />
Weltmeister vorzustellen. Fangio wurde sehr gut behandelt;<br />
nach 28 Stunden war er wieder frei und man teilte der argentinischen<br />
Botschaft mit, wo man den Campionissimo abholen<br />
könne. Die Tat der Rebellen erregte weltweit grosses Aufsehen.<br />
Bei dem von Dilettanten organisierten Rennen dagegen – die Fahrer<br />
mussten ihre privaten Stoppuhren zur Verfügung stellen, um die<br />
Zeitnahme zu ermöglichen – gab es schon nach fünf Runden einen<br />
schweren Unfall, als der Kubaner Armando Cifuentes mit seinem<br />
Ferrari 250 Testa Rossa auf dem Platz gleich hinter dem «Hotel<br />
Nacional» ins Publikum schleuderte und dabei fünf Menschen ums<br />
Leben kamen. Schrecklich. Rote Flaggen, Rennabbruch – Masten<br />
Gregory und Stirling Moss lagen zu diesem Zeitpunkt vorne und<br />
teilten sich das Preisgeld. Die letzte Auflage des Grand Prix von<br />
Kuba lief wie erwähnt 1960 und es gewann wieder Stirling Moss,<br />
diesmal auf einem Maserati T61 «Birdcage». Lang ist’s her.<br />
Kuba bietet heute ein vielschichtiges Bild: In den Städten stehen<br />
Prachtbauten des Klassizismus, des Empire sowie des Jugendstils<br />
neben baufälligen, bröckelnden und teilweise noch bewohnten<br />
Rui nen, in welchen grosse Armut vorherrscht. Neuere Aussenquartiere<br />
sind von Plattenbauten geprägt. Trinkwasser ist manchmal<br />
knapp und es gibt auch einen Riesenbedarf an öffentlichen<br />
Verkehrsmitteln: Entlang grosser Strassen trifft man immer wieder<br />
auf Menschengruppen, die – bewacht von einem Beamten in gelber<br />
Uniform – mit Geldscheinen winken und damit um eine Mitfahrgelegenheit<br />
bitten, wobei Autofahrer von Amtes wegen verpflichtet<br />
sind, den oder die Anhalter mitzunehmen, sofern genügend Platz<br />
im Wagen vorhanden ist. Viele Nutzfahrzeuge sind mit Holzbänken<br />
ausgerüstet, auf denen die Passagiere eng zusammengedrängt<br />
reisen und sich dabei lautstark unterhalten.<br />
Veränderungen in Sicht Kubaner sind fröhliche Leute, die<br />
Musik lieben, vor allem Salsa, Mambo oder Rumba. Die meisten<br />
von ihnen müssen mit einem kargen Lohn über die Runden kommen.<br />
Medizinische Versorgung und Schulen bis hinauf zur Universität<br />
sind zwar gratis, aber schwer haben es die Menschen<br />
allemal. Es gibt kaum Wohlstand. Auf der Strasse bettelt eine alte<br />
Frau um ein cuc (Peso) oder um ein Stück Seife für die Grosskinder,<br />
gebettelt wird sogar um einen Kugelschreiber, der in der<br />
Schule gebraucht werde. Lebensmittel wie Reis, Eier, Fisch oder<br />
Fleisch sind teilweise rationiert. Der sieche Gesundheitszustand<br />
von Fidel Castro und die desolaten Staatsverhältnisse nähren<br />
derweil bei vielen die Hoffnung, dass demnächst alles besser<br />
werden wird und Kuba sich vom Kommunismus lossagen kann.<br />
Dann kämen Coca-Cola und McDonald’s – und auch Chevy-<br />
Ersatzteile. Ob Letzteres dem Charme der kubanischen Kisten<br />
tatsächlich förderlich ist, bleibt abzuwarten. So makaber es klingen<br />
mag: Es sind gerade der Mangel und die Improvisationskunst,<br />
welche diese Autos so einzigartig machen.<br />
Mehr zum Thema<br />
096 VECTURA #7
Mitsubishi Premiere<br />
All-New OUTLANDER mit<br />
innovativen Assistenzsystemen.<br />
Abb.: Outlander DID Navigator eAssist<br />
Weltpremiere: ab September<br />
auch als 4WD Plug-in Hybrid<br />
Mitsubishi präsentiert die 3. Generation des erfolgreichen<br />
Outlander: leichter, sparsamer, hochwertiger, sicherer und noch<br />
familienfreundlicher. All-Wheel Control 4WD mit Eco-Mode,<br />
5 oder 7 Sitze, variabler Laderaum bis 1’735 Liter, innovative<br />
Assistenzsysteme eAssist (Adaptiver Tempomat, City-Notbrems-<br />
Assistent, Spurhalte-Assistent), 5-Stern-Euro-NCAP-Test, neue<br />
Benzin-/Dieselmotoren mit Stopp-Start-Automatik, 2-Zonen-Klimaanlage,<br />
Smart Key, Wide-Vision Xenon, Touchscreen Navigation.<br />
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RUBRIKEN<br />
Erfolgreich<br />
durchgeboxt<br />
1923 stellte BMW die Motorradwelt<br />
mit einem Zweizylinder-Boxer-Modell<br />
auf den Kopf. 90 Jahre später liefert<br />
die modernste Ausbaustufe dieses<br />
Konstruktionsprinzips immer noch<br />
viel Dampf. Ein Ende der Erfolgsgeschichte<br />
ist derweil nicht in Sicht:<br />
Wir verbeugen uns mit einem Rückblick<br />
– und der Aussicht auf kommende<br />
Maschinen<br />
Text Markus Schmid · Fotos Werk<br />
098 VECTURA #7
CHRONIK<br />
Das Frontprofil ist unverkennbar. Über dem Rundscheinwerfer<br />
ist ein Lenker und darunter, gleich hinter<br />
dem Vorderrad, ragen waagerecht zwei dicke<br />
Beulen hervor – die Zylinder eines Boxermotors.<br />
Es gibt nur einen Motorradhersteller, der so etwas baut. Die<br />
BMW-Boxermaschinen knattern seit nunmehr 90 Jahren durch<br />
alle Welt – weil es inzwischen so viele gibt, aber auch, weil sie fast<br />
unzerstörbar sind. Das Fahrgefühl ist ebenso einzigartig wie die<br />
Optik, ganz besonders bei den älteren Jahrgängen. Und das liegt<br />
vornehmlich am Rückdrehmoment, das sich besonders gut im<br />
Leerlauf erfahren lässt: Bei diesem Phänomen drückt sich die<br />
ganze Maschine bei jedem Gasstoss von innen an den rechten<br />
Oberschenkel und wackelt dabei mit ihren Zylindern im Takt.<br />
Geschuldet ist diese indiskrete Annäherung den Massen einer<br />
längs liegenden Kurbelwelle und deren Schwungmasse. Diese<br />
konstruktive Auslegung sorgt auch dafür, dass die Hinterhand<br />
einer Boxer-BMW anders als bei anderen Töff beim entschlossenen<br />
Gasgeben erheblich aus den Federn steigt und beim Gaswegnehmen<br />
absackt. Bei Modellen vor Baujahr 1987 ist der Effekt<br />
dramatisch: Wer das Phänomen nicht kennt, wird in jeder<br />
Kurve von anderen Zweirädern abgehängt, während die eigene<br />
Kiste bereits mit allen Anbauteilen auf der Fahrbahn schleift. Merke:<br />
Offenes Gas in der Kurve ist hier gleichbedeutend mit massiv<br />
erhöhter Schräglagenfreiheit, also Kurvenspeed.<br />
1987 lancierte BMW aus diesem Grund den sogenannten Paralever<br />
– eine Parallelogramm-artige Abstützung des Kardans, der<br />
ein zweites Kreuzgelenk vor dem Kegelradgetriebe des Hinterrads<br />
erhielt. Der Paralever reduzierte das Phänomen des steigenden<br />
Hecks beim Gasgeben massiv und machte so das Fahrverhalten<br />
neutraler. Neukunden freute es, altgediente Fahrensleute<br />
trauerten dem verlorenen Vorsprung nach.<br />
Als Motorrad-Testfahrer habe ich in den 80er- und 90er-Jahren<br />
Dutzende BMW-Boxer bewegt. Dabei ist immer der gleiche Eindruck<br />
geblieben: Keine dieser Maschinen glänzte in ihrem Segment<br />
mit einer Top-Motorleistung – aber immer mit einer ab<br />
Standgas druckvollen und im normalen Strasseneinsatz perfekt<br />
abrufbaren Power in genau jenem Drehzahlbereich, der Sinn<br />
machte. Anders formuliert: Was nützt dir das Einliter-Superbike<br />
mit 180 PS bei <strong>13</strong> 000 Touren, wenn du dauernd mit 3000 bis<br />
6000 unterwegs bist und der Rennmotor dort ein Leistungsloch<br />
hat? Genau in diesen Bereichen produziert ein BMW-Boxer seine<br />
besten Durchzugswerte!<br />
Es sind diese Eigenarten, welche eine Boxer-BMW so einzigartig<br />
machen. Deren Geschichte reicht weit an die Anfänge des Herstellers<br />
zurück. Der 6. März 1916 gilt zwar als Geburtstag der Firma<br />
BMW – in knapp drei Jahren wird also ganz gross aufgetischt.<br />
Hervorgegangen ist das Unternehmen jedoch aus der 19<strong>13</strong> gegründeten<br />
«Rapp Motorenwerke GmbH» und der «Gustav Otto<br />
Flugmaschinenfabrik» – den Namen «Bayerische Motoren Werke<br />
GmbH» trug die Firma erst ab 1917, zur AG wurde sie 1918. Von<br />
der Fliegerei blieb das weissblaue Emblem, das einen rotierenden<br />
Propeller stilisiert. Tatsache ist auch, dass am Ende des Ersten<br />
Weltkrieges die Nachfrage für die vorher so begehrten<br />
Erster Boxermotor: der M2B 15 von 1921<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 099
CHRONIK<br />
Die frühen Jahre: BMW R32 von 1923<br />
Flugmotoren schlagartig zusammenbrach. Wollte BMW überleben,<br />
musste man sich zwangsläufig nach anderen Geschäftsfeldern<br />
umsehen. Unter anderem stellten die Bayern 1920 einen von<br />
dem genialen Flugzeugmotorenkonstrukteur Max Friz gezeichneten<br />
Zweizylinder-Boxermotor, den M2B 15, her und verkauften ihn<br />
an Motorradmarken wie Helios. Dort baute man die Kurbelwelle<br />
quer ein, was wegen der liegenden Zylinder einen extrem langen<br />
Rahmen bedingte. Die Helios wurde so zur unfahrbaren Krücke.<br />
BMW entschloss sich schliesslich dazu, selbst ganze Motorräder<br />
herzustellen – und zwar gute, verkäufliche. Für den Autosalon Paris<br />
1923 konstruierte Friz unter Zeitdruck eine komplette Maschine,<br />
die revolutionäre R32. Sie wurde zur konstruktiven Sensation.<br />
In ihrem Doppel-Stahlrohrrahmen hing – Novum bei einem Motorrad<br />
– der Boxermotor, aber nun mit längs liegender Kurbelwelle<br />
und zwei quer zur Fahrtrichtung angeordneten Zylindern, die<br />
so optimal vom Fahrtwind gekühlt wurden. Hinter dem angeblockten,<br />
handgeschalteten Dreiganggetriebe führte – bei der<br />
Längskurbelwelle eigentlich logisch, aber zuvor von niemandem<br />
erkannt oder umgesetzt – eine Kardanwelle zum Hinterrad. Das<br />
bereits in diesem ersten Modell realisierte Prinzip wurde zur prägenden<br />
Konstante in der Geschichte der Motorrad-Antriebstechnologie<br />
von BMW. Der seitengesteuerte Viertakt-Twin leistete aus<br />
494 ccm und einem quadratischen Bohrungs-Hub-Verhältnis bei<br />
3200/min solide 8,5 PS. Die R32 wog fahrfertig 122 Kilo, lief<br />
100 Stundenkilometer Spitze und kostete 2200 Reichsmark. Baldige<br />
Renneinsätze bewiesen, was das Bike draufhatte – von Anfang<br />
an war es für Siege gut.<br />
In München ruhte man sich aber nicht auf den Lorbeeren aus.<br />
Schon 1925 folgte das Sportmodell R37 mit damals einzigartigen<br />
Aluminium-Zylinderköpfen und Stossstangen-betätigten, hängenden<br />
Ventilen über Stahlzylindern. Der Boxermotor lieferte jetzt<br />
schon 16 PS bei 4000/min – und wurde 1928 für die neue R62 auf<br />
745 Kubik aufgestockt. Ergebnis: 18 PS bei entspannten 3400<br />
Touren. 1929 entwarf BMW für die R63 erstmals einen Kurzhubmotor,<br />
der 24 PS bei 4000/min mobilisierte und für Rekordfahrten<br />
eine Kompressor-Aufladung erhielt. Auf einer solchen Maschine<br />
stellte Ernst Henne noch im gleichen Jahr mit 216,8 km/h den<br />
ersten von insgesamt 76 neuen Geschwindigkeitsweltrekorden<br />
bis 1937 auf.<br />
Die Zeichen standen derweil auf Fortschritt: Bei der ab 1929 gebauten<br />
R16 führte BMW 1932 die Zweivergaser-Technik ein.<br />
Fahrwerksseitig wurde der gelötete Rohrrahmen in den Modellen<br />
R12 und R17 ab 1934 von einem Pressstahlkonstrukt abgelöst.<br />
1935 erhielten dieselben Modelle anstelle der zuvor üblichen<br />
Auslegefeder eine Rennsport-erprobte, hydraulisch gedämpfte<br />
Teleskopgabel. 1936 erfolgte in der neuen R5 die Einführung von<br />
kettengetriebenen, oberhalb der Kurbelwelle platzierten Nockenwellen<br />
und eines Vierganggetriebes mit Fussschalthebel. 1938<br />
stellte man mit der neuen R51 die vorher im Geländesport getestete<br />
Geradweg-Hinterradfederung vor. Unterdessen hatte man<br />
ausschliesslich für den Rennsport den vielleicht legendärsten<br />
Boxer-Twin entwickelt – es war der Kompressor-fähige RS-Motor<br />
mit Königswellenantrieb für die Zweiventilköpfe, doch dann erzwang<br />
der Zweite Weltkrieg eine Entwicklungspause.<br />
Jahre später grub man die Konstruktion aber wieder aus und baute<br />
ein paar Dutzend Motoren – jetzt ohne Kompressor, da die Reglements<br />
inzwischen jede Aufladung verboten. Die Triebwerke<br />
wurden an Werk- und Privatfahrer verteilt und errangen im Gespann-Sport<br />
von Anfang der 1960er bis 1972 praktisch jeden<br />
WM-Titel. Schon 1952 hatte BMW die R68 herausgebracht, deren<br />
Boxer aus knapp 600 Kubik starke 35 PS bei 7000/min schöpfte<br />
– es war die erste BMW mit einer Top Speed von 160 km/h, was<br />
für die Marktakzeptanz eminent wichtig gewesen ist. Und 1955<br />
feierte schliesslich das Vollschwingen-Fahrwerk in den Modellen<br />
R50 und R69 Premiere: Statt Teleskopgabel und Geradwegfederung<br />
kamen eine geschobene Langschwinge vorn und eine<br />
Zweiarmschwinge hinten zum Einsatz, was für zuvor nie gekannten<br />
Fahrkomfort sorgte. Die Kardanwelle war nun erstmals in den<br />
Schwingenholm integriert. 1960 wurde mit der R69 S (für Sport)<br />
der bisherige Schwingsattel durch eine Sitzbank ersetzt, was<br />
auch den Komfort spürbar verbesserte.<br />
1969 debütierte schliesslich die Baureihe /5 – und brachte eine<br />
komplette Revision des Boxers mit sich, die bis 1993 stilprägend<br />
sein sollte. Dessen konstruktive Kennzeichen waren die unterhalb<br />
der Kurbelwelle und Zylinder platzierten Nockenwellen und Stösselstangen.<br />
Zugleich gab es das Comeback einer weiterentwickelten<br />
Teleskopgabel. Als weitere Neuheit verwendete man fortan<br />
einen grundsoliden Doppelschleifen-Stahlrohrrahmen mit<br />
ovalem Rohrquerschnitt. Die R75/5 erhielt Gleichdruckvergaser,<br />
welche Ansprechverhalten und Laufkultur verbesserten, sowie<br />
einen E-Starter.<br />
1973 brachte die Baureihe /6 und mit ihr eine Hubraumerhöhung<br />
auf 898 ccm sowie den Wechsel vom Vier- zum Fünfganggetriebe.<br />
Die BMW R90 S wiederum war das weltweit erste Grossserienmotorrad<br />
mit einer lenkerfest montierten Verkleidung – ein Meilenstein<br />
in der Geschichte der aerodynamischen Optimierung.<br />
Noch konsequenter wurde die Windkanal-Forschung bei der 1976<br />
zusammen mit der Baureihe /7 präsentierten BMW R100 RS umgesetzt,<br />
war sie doch das international erste Serienmotorrad mit<br />
Vollverkleidung. Mittlerweile bot der um weitere 4 Millimeter aufgebohrte<br />
Boxer knapp einen Liter Hubraum und 70 PS.<br />
1980 definierte BMW nach dem ersten Sieg an der Rallye Paris–<br />
Dakar mit der speziell aufgebauten Geländesportmaschinen<br />
100 VECTURA #7
Biker-Romantik: Postkarte aus den 1930er-Jahren<br />
Senior Tourist Trophy 1939 auf der Isle of Man:<br />
Es siegt Georg Meier auf seiner Kompressor-BMW<br />
Sommer 1953: eine R51/3 in den Schweizer Bergen<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 101
Einsatzbereit: Schweizer Polizei 1954 auf R51/3-Dienstmaschinen…<br />
auf Basis der R75/5 ein neues Motorradsegment – gerade noch<br />
rechtzeitig, denn die Bayern hatte sich lange auf ihren Lorbeeren<br />
ausgeruht und waren von den Japanern rechts überholt worden,<br />
dazu kam ein schwacher Dollarkurs. Das erste Serienmodell, die<br />
BMW R80 G/S (für Gelände/Strasse, nicht Geländesport!), sollte<br />
sich über die Jahre hunderttausendfach verkaufen und dabei immer<br />
den grössten verfügbaren Boxermotor erhalten. Sie trug<br />
auch die erste Einarmschwinge im Motorrad-Grossserienbau,<br />
was weitere Vorteile brachte: weniger Gewicht, sensibleres Ansprechen<br />
der Hinterradfederung, einfacher Radwechsel.<br />
1993 kam mit der R1100 RS ein komplett neu konstruierter Boxer-<br />
Twin. Dieser Motor wies jetzt einen Hubraum von 1085 ccm, Vierventilzylinderköpfe,<br />
dazu seitlich hoch liegende Nockenwellen,<br />
Saugrohr-Einspritzung und einen Dreiwege-Katalysator auf. Sein<br />
Block fungierte jetzt ausserdem als komplett tragendes Teil,<br />
Front- und Heckrahmen waren an ihm verschraubt. Eine revolutionäre<br />
Novität stellte auch die Vorderradführung mittels «Telelever»<br />
dar – eine Kombination aus Teleskopgabel und Dreieckslenker.<br />
Dank dieser Lösung liessen sich die Aufgaben von<br />
Radführung und Dämpfung trennen. In den folgenden Jahren bis<br />
1997 hat BMW den Boxer-Hubraum weiter bis auf 1170 Kubikzentimeter<br />
aufgestockt. Die potenteste Version erschien 2007 in<br />
Form der HP 2 Sport mit je zwei oben liegenden Nockenwellen<br />
pro Zylinder – und einer Höchstleistung von <strong>13</strong>3 PS bei 8750/min.<br />
Die Boxer-Entwicklung und -Geschichte ist damit noch lange<br />
nicht zu Ende. Für den Jahrgang 20<strong>13</strong> brachte BMW in der<br />
… im Wallis während den späten 1950ern mit einer R50…<br />
102 VECTURA #7
CHRONIK<br />
BMW und andere Motorkonzepte Bis 1982 war<br />
klar: Ein Boxer-Zweizylinder-Viertaktmotor gehört zur Marke.<br />
Dennoch hatte BMW zwischen 1925 und ’66 auch Einzylinder-<br />
Viertakter im Programm (von 1925 bis ’27 den Typ R39; von<br />
1931 bis ’40 die Typen R2, R3, R4, R20 sowie R23 und von 1948<br />
bis ’66 die Typen R24 bis R27). Auf der Suche nach neuen Käufern<br />
führte man 1983 die K100 mit wassergekühltem Reihenvierzylinder-Viertakter<br />
ein – und mit dem ein Allerwelts-Motorkonzept.<br />
Etwas Besonderes wollte man sich trotzdem erhalten. Also<br />
baute man ihn längs liegend in den Brückenrahmen ein, woraufhin<br />
die Engländer den leicht spöttischen Kosenamen «flying<br />
brick» (fliegender Ziegelstein) erfanden. Seither wurden neben<br />
den traditionellen Boxer-Twins und wieder aufgenommenen Einzylindern<br />
auch weitere Reihenmotoren mit zwei, drei, vier und<br />
sechs Zylindern produziert. ms<br />
… und Anfang der 1960er auf einer vollverkleideten R60 in Basel<br />
Supersportlich, teilverschalt und heute wieder gefragt: R90 S, hier der Jahrgang 1975<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 103
Chronik<br />
neuesten Version der BMW R1200 GS einen total überarbeiteten<br />
Boxermotor heraus, der nicht mehr eine Öl-Luftkühlung, sondern<br />
eine Flüssigkeitskühlung der Zylinder aufweist. Dieser Wechsel ist<br />
nicht ausschliesslich dem thermischen Haushalt, sondern mindestens<br />
ebenso einer besseren Dämpfung der mechanischen<br />
Geräusche geschuldet.<br />
Das Jahr 20<strong>13</strong> steht ganz im Zeichen des 90-jährigen Boxer-Geburtstags.<br />
Schon im Winter wurden die R1200 R, R1200 GS Adventure<br />
und R1200 RT als Jubiläumseditionen mit schwarzer Lackierung,<br />
goldenen Bremssätteln und einer «90 Jahre Boxer<br />
Sondermodell»-Plakette lanciert. Ohne grosse Werbung hat<br />
BMW allein in der Schweiz 200 Stück verkauft – wer noch eine<br />
haben möchte, sollte sich beeilen.<br />
Zog BMW Motorrad 1980 aus der Krise: die Reiseenduro R80 G/S<br />
Zuletzt liess der Hersteller bei Roland Sands, dem aktuellen US-<br />
Custom-Papst, eine Designstudie zum 40sten Geburtstag der<br />
Ikone R90 S anfertigen. Das Bike nennt sich «Concept Ninety», ist<br />
in Daytona-Orange gehalten und sieht ebenso böse wie reduziert<br />
aus. Wir vermuten, dass es nicht das einzige Boxer-Modell im<br />
Retro-Stil bleiben wird. Was natürlich bleibt, ist das unverkennbare<br />
Frontprofil…<br />
Mehr zum Thema<br />
Cafe Racer im Retro-Look: Die «Concept Ninety» wurde im Frühling präsentiert<br />
104 VECTURA #7
DER NISSAN 370Z NISMO.<br />
PERFORMANCE ENTFESSELT.<br />
344 PS (253 kW). Von 0 – 100 in 5.2 Sekunden. Und das ab<br />
Fr. 64 300.–, inkl. Gratis-Rennfahrerlizenz-Lehrgang. Hört<br />
sich gut an? Dann solltest du erstmal seinen Motor aufheulen<br />
hören – und erleben, wie es sich anfühlt, ihn zu fahren. Bist du<br />
bereit für die Herausforderung? Dann erlebe die Power von<br />
Nismo. Jetzt entfesselt im 370Z. Infos auf www.nissan.ch.<br />
NISSAN 370Z Nismo, 3.7 l V6, 344 PS (253 kW), Gesamtverbrauch l/100 km: kombiniert 10.6; CO2-Emissionen kombiniert: 248 g/km; Energieeffi zienz-Kategorie: G. Durchschnittswert CO2-Emissionen<br />
der Personenwagen in der Schweiz: 153 g/km.
Comeback des<br />
Stufenhecks<br />
Ein Rucksack auf dem Rücken galt einst als spiessig. doch jetzt wird diese<br />
Karosserieform neu entdeckt, wie ein ZEHN aktuelle Beispiele zeigen<br />
Text Stefan Lüscher · Fotos Werk<br />
Grosse Limousinen weisen in der Regel ein klassisches Stufenheck<br />
auf. Dreibox-Design nennt sich das in der Fachsprache – es beschreibt<br />
Motorraum, Fahrgastzelle und Kofferraum. Dieses Layout<br />
hat spätestens seit Erfindung der selbsttragenden Karosserie Tradition,<br />
insbesondere eben bei grösseren, meist konservativ geformten<br />
Fahrzeugen. Bei Kompakt- und Kleinwagen geniesst der<br />
horizontale Kofferraumdeckel in unseren Breitengraden dagegen<br />
wenig Zuspruch. Weltweit gesehen ist diese Spezies allerdings<br />
stark verbreitet; auch in Europa geniesst die Bauform in bestimmten<br />
Regionen grosse Beliebtheit: Spanien, Griechenland und Russland<br />
sind Stufenheckländer. Dort werden mitunter auch Modelle<br />
angeboten, die es bei uns gar nicht gibt. Schweizer bevorzugen<br />
fünftürige Schrägheck-Limousinen oder SUV mit Heckklappen,<br />
hinter denen variable Laderäume stecken. Geht es nach der aktuellen<br />
Modellpolitik vieler Hersteller, sollen sich solche Vorlieben aber<br />
bald ändern. Verkauft wird uns das unter anderem als eine Art Gegentrend<br />
zu den voluminösen Blechschachteln, kurz: den Minivans.<br />
Kompakt-Limousinen sehen klar besser aus – vor allem, wenn sie<br />
auf 19- und noch mehr Zoll-Felgen stehen. Aber reicht das zum<br />
Erfolg? Oder ergeht es den Newcomern wie einst dem VW Jetta<br />
(oder Bora), welche hier nie Standing Ovations bekamen? Urteilen<br />
Sie selbst!<br />
Audi A3<br />
Nach dem Dreitürer und dem fünftürigen Sportback legt Audi den<br />
A3 erstmals als Sedan mit vier Türen auf. Der wurde für China<br />
entwickelt, wird ab Spätsommer aber auch bei uns angeboten.<br />
Dank elegant geschwungener Dachlinie ist er neun Millimeter flacher<br />
als seine Schwestermodelle, überragt den Sportback mit<br />
seiner Länge von 4,46 Meter um ganze 15 cm. Der Kofferraum<br />
fasst 425 Liter, eine Durchladeöffnung schafft zusätzlichen Platz.<br />
Technisch lehnt sich die Kompakt-Limo an ihre bekannten A3-<br />
Geschwister an. Die Motoren (vier Benziner, drei Diesel) leisten<br />
105 bis 184 PS, es gibt Vorder- oder Allradantrieb und den 300 PS<br />
starken S3 quattro als Krönung. Die Preise stehen noch nicht fest.<br />
BMW 3er<br />
Der 3er ist ein Klassiker, sein Stufenheck längst etabliert. Warum<br />
das so ist? Weil es immer gut aussieht! Das aktuelle Modell ist die<br />
sechste Generation, misst in der Länge 4,63 Meter und ist Hauptkonkurrent<br />
von Audi A4 und Mercedes C-Klasse. Das Kofferraumvolumen<br />
beträgt 480 Liter. Nebst traditionellem Hinterradantrieb<br />
steht auch Allradantrieb zur Wahl, der bei BMW xDrive heisst. Die<br />
Motorenpalette umfasst Benziner und Diesel mit 143 bis 306 PS,<br />
dazu kommt der Active Hybrid 3 mit einer Systemleistung von<br />
340 PS. Die Preise beginnen bei 46 800 Franken. Auf den 420 PS<br />
starken M3 müssen Limo-Kunden inzwischen verzichten – es gibt<br />
ihn nur noch als Coupé und Cabrio. Der 3er ist die aktuell kleinste<br />
BMW-Limousine; die aktuell zweite 1er-Reihe wird es frühestens<br />
2015 mit Stufenheck geben.<br />
106 VECTURA #7
showroom<br />
Chevrolet Cruze<br />
Der gefällige Amerikaner wird in Südkorea gebaut und ist technisch<br />
mit dem Opel Astra verwandt. Die viertürige Version misst in<br />
der Länge 4,61 Meter und verfügt über einen Kofferraum mit 450 L<br />
Inhalt, der sich mittels Durchladeöffnung erweitern lässt. Als Antriebsquelle<br />
für die Vorderräder stehen beim Sedan vier Triebwerke<br />
mit 124 bis 163 PS zur Wahl. Optional können die Topmotorisierungen<br />
mit einem Sechsstufenautomaten kombiniert werden.<br />
Das Auto bietet keine aufregenden Features, aber vielleicht ist<br />
gerade das seine Stärke. Die Preisspanne reicht von 19 400 bis<br />
31 500 Franken.<br />
Lexus IS<br />
Eigenständig ist der Lexus IS auch in der nunmehr dritten Modellgeneration<br />
geblieben: Es gibt ihn ausschliesslich als Stufenheck-<br />
Limousine, neu aber auch mit Vollhybrid-Antrieb. Ein Elektromotor<br />
mit 106 kW (143 PS) unterstützt den Vierzylinder-2,5-Liter-Benziner<br />
mit 181 PS; als Systemleistung können 223 PS mobilisiert<br />
werden. Alternativ ist der IS auch als reiner Benziner mit 209 PS<br />
erhältlich. Der auf 4,67 Meter Länge gewachsene Viertürer bietet<br />
deutlich mehr Platz als der Vorgänger. Der Kofferraum fasst 480<br />
Liter, beim Hybrid sind es 450. Der IS 250 kostet ab 46 900 Franken,<br />
das Hybridmodell IS 300h ab 48 900 Franken.<br />
Mercedes CLA<br />
Dieser Benz ist ein Schönling mit ganz besonderer Anziehungskraft.<br />
Technisch basiert er auf dem neuen Kompaktmodell A-Klasse,<br />
optisch orientiert er sich aber frech an der erfolgreichen Coupé-Limousine<br />
CLS. In der Länge wurde er zur A-Klasse um 34 cm<br />
auf 4,63 Meter gestreckt – bei identischem Radstand von 2,7 Meter.<br />
Das Gepäckabteil fasst 470 Liter. Als Antriebe stehen zwei<br />
Diesel mit <strong>13</strong>6 und 170 PS sowie drei Benziner mit 122, 156<br />
und 211 PS zur Wahl. Angetrieben werden die Vorderräder. Die<br />
Preise beginnen bei 43 900 Franken. Im Spätsommer folgt der<br />
CLA 45 AMG 4Matic mit 360 PS und Allradantrieb.<br />
Renault Fluence<br />
In unseren Breitengraden tritt dieser Franzose höchst selten auf.<br />
Denn während er in Osteuropa und der Türkei mit diversen Verbrennungsmotoren<br />
angeboten wird, gibt es ihn in der Schweiz ausschliesslich<br />
in der Modellvariante Z.E. mit Elektroantrieb. Der leistet<br />
71 kW, die Batterien mit ihrer Kapazität von 22 Kilowattstunden<br />
ermöglichen nach Werk eine Reichweite von 185 Kilometer, was in<br />
der Praxis rund 120 km entspricht. Der geräumige Fronttriebler gefällt<br />
durch Unauffälligkeit. Er ist 4,75 Meter lang, sein Kofferraum<br />
fasst 315 Liter. Der Preis: ab 30 600 Franken plus Batteriemiete.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 107
showroom<br />
Skoda Rapid<br />
Viel Platz, bezahlbare und moderne Technik vom Volkswagen-<br />
Konzern sowie ein solides, zeitloses Design – das ist der Skoda<br />
Rapid, das tschechische Schwestermodell des Seat Toledo. Wie<br />
dieser überzeugt er auf einer Länge von 4,48 Meter mit einem<br />
überdurchschnittlich grossen Laderaum, der ebenfalls 550 bis<br />
1490 Liter schluckt. Beladen lässt sich der als klassisches Stufenheckmodell<br />
getarnte Rapid wie das Seat-Pendant über eine weit<br />
öffnende, optisch geschickt kaschierte Heckklappe. Die Motoren<br />
(drei Benziner, ein Diesel) leisten 86 bis 122 PS, ab 17 490 Franken<br />
geht es los.<br />
Subaru Impreza<br />
Echten Kultstatus geniesst die auf vielfachen Kundenwunsch wieder<br />
ins Repertoire aufgenommene Sportlimousine WRX STi. Der<br />
4,42 Meter lange Viertürer verfügt über einen 420 L grossen Laderaum<br />
(Hatchback: 380 L). Wichtiger dürften vielen WRX-STi-Fans<br />
aber der grosse, charakteristische Heckflügel – eine Reminiszenz<br />
an einstige Rallyeerfolge – und das unwiderstehliche Temperament<br />
sein. Ein 2,5-Liter-Turboboxer mit tiefem Schwerpunkt generiert<br />
bissige 300 PS und 407 Nm, die nach Art des Hauses permanent<br />
auf alle vier Räder übertragen werden. Ab 45 100 Franken ist<br />
man dabei – so viel Leistung gibt es nirgends günstiger!<br />
Suzuki Kizashi<br />
Das mit 4,65 Meter Länge noch kompakte Stufenheckmodell<br />
überrascht, weil es von einem Klein- und Geländewagen-Spezialisten<br />
gebaut wird. Das tut seiner Attraktivität aber keinen Abbruch.<br />
Der viertürige Japaner überzeugt durch modernes Design,<br />
Eigenständigkeit und einen Laderaum mit 460 Liter Fassungsvermögen.<br />
Der Kizashi kann wahlweise als Allrad-Limousine mit optionalem,<br />
stufenlosem CVT-Getriebe oder reinem Frontantrieb<br />
bestellt werden. Als Kraftquelle kommt ein durchzugsstarker<br />
2,4-Liter-Benziner mit 178 PS zum Einsatz. Besonders attraktiv<br />
sind die Schweizer Sondermodelle «Sergio Cellano». Kostenpunkt:<br />
ab 35 990 Franken.<br />
Volvo S60<br />
Der emotional gestylte Schwede versteckt seine Gesamtlänge<br />
von 4,63 Meter in einer Coupé-haften Erscheinung: Das Stufenheck<br />
verschwindet fast in der elegant abfallenden Dachlinie, fasst<br />
aber brauchbare 390 Liter und bietet eine zusätzliche Durchlademöglichkeit.<br />
Das Motorenangebot ist üppig: Zur Wahl stehen jeweils<br />
vier Vierzylinder-Turbobenziner und Fünfzylinder-Turbodiesel,<br />
die zwischen 115 bis 304 PS leisten. Ausserdem kann man<br />
zwischen Front- und Allradantrieb sowie manuellen und automatischen<br />
Sechsganggetrieben wählen. Die Preise beginnen bei<br />
38 600 Franken.<br />
108 VECTURA #7
HAT KANTEN, LIEBT KURVEN.<br />
DER NEUE CADILLAC ATS.<br />
CADILLAC ATS<br />
NORTH AMERICAN CAR<br />
OF THE YEAR 20<strong>13</strong><br />
Der charakterstärkste und fahraktivste Herausforderer<br />
in der Premium-Mittelklasse seit Langem.<br />
Cadillac ATS 2,0 l Turbo, 4-Türer, 1998 cm 3 , 203 kW/276 PS. Offizieller<br />
Kraftstoffverbrauch (l/100 km): 8,6 l bis 8,2 l; offizielle spezifische CO 2 -<br />
Emission (g/km): 199 g bis 191 g. Effizienzklasse: G bis F. Die durchschnittliche<br />
CO 2 -Emission aller in der Schweiz verkauften Neuwagen beträgt 153 g/km.<br />
WWW.CADILLACEUROPE.COM/ATS
Über Sportcoupés<br />
zur Limousine<br />
110 VECTURA #7
Historie<br />
Ende der 1960er-Jahre standen zahlungskräftige Kunden in Modena Schlange<br />
für ein Auto, das nach einem heissen Wüstenwind benannt war. Anfang<br />
der Neunziger lebte die Bezeichnung wieder auf, ab kommendem Herbst<br />
schmückt sie eine weitere Baureihe. Wir präsentieren die Modellgeschichte<br />
des Maserati Ghibli<br />
Text Dieter Günther · Fotos Werk, Archiv Günther<br />
Der Dreizack zählte stets zum erlesenen Kreis italienischer<br />
Supersportwagen. 1914 von den Maserati-<br />
Brüdern Alfieri, Bindo, Ernesto und Ettore in Bologna<br />
gegründet und 1937 in das Industrie-Imperium der Orsis eingegliedert,<br />
etablierten seit 1926 reinrassige Rennwagen wie<br />
der legendäre 250F, auf dem Juan Manuel Fangio 1957 Weltmeister<br />
wurde, den Ruf der inzwischen in Modena ansässigen<br />
Edelschmiede – in VECTURA #2 haben wir bereits ausführlich<br />
darüber berichtet. Doch nicht nur auf der Rennstrecke sorgte<br />
Maserati für Aufsehen, sondern auch mit kostbaren, hochkarätigen<br />
Sportwagen. Wie eben dem Ghibli.<br />
Diese hinreissende Schöpfung debütierte im Herbst 1966 auf<br />
dem Turiner Salon und fesselte das Publikum sofort. Aus welcher<br />
Perspektive man das rassige Coupé auch betrachtete – es faszinierte<br />
mit seiner streng geometrischen, ebenso aggressiven wie<br />
harmonischen Linienführung. Den Ruhm für diesen brillanten<br />
Entwurf durfte Ghia in Turin für sich beanspruchen, wenngleich er<br />
jenem jungen Mann gebührte, der damals als Chefdesigner bei<br />
dem italienischen Karosseriebetrieb wirkte – Giorgio Giugiaro.<br />
Zum noblen Äusseren des Zweisitzers passte das geräumige Interieur,<br />
wo reichlich Leder, ein üppig bestücktes Armaturenbrett<br />
mit dem Maserati-üblichen Haltegriff sowie ein eher zierliches,<br />
höhenverstellbares Holzlenkrad auf den Fahrer warteten.<br />
Wer probegesessen und einen letzten Blick auf die wundervolle<br />
Ghibli-Aussenhaut geworfen hatte, würde sich nun der technischen<br />
Auslegung zuwenden. Und vermutlich eine Enttäuschung<br />
erleben, denn der Maserati gab sich stockkonservativ. Dass sein<br />
Motor vorne lag, mochte noch angehen; dass er aber mit einer<br />
starren Hinterachse daherkam und die sich auch noch an Blattfedern<br />
abstützte, konnte Sportwagen-Kenner schon irritieren.<br />
Auch beim Preis langte Maserati kräftig zu. In der Schweiz schlug<br />
der Ghibli 1967 mit 65 500 Franken zu Buche, er war damit gut<br />
10 000 Franken teurer als ein Ferrari 275 GT/B4. Dennoch gönnten<br />
sich solvente Sportwagen-Liebhaber auf der ganzen Welt einen<br />
Maserati Ghibli – wie etwa Henry Ford II. In diesen Preisregionen<br />
wurde nun mal anders gekauft als in der Mittelklasse.<br />
Zumal die übrige Technik begeisterte. Das Triebwerk des Ghibli<br />
ging auf den Maserati 450 S zurück, einen der furiosesten Rennsportwagen<br />
der Nachkriegszeit. Mit diesem Geschoss, das aus<br />
4,5 Liter Hubraum über 400 PS mobilisierte, wollte Maserati 1957<br />
die Sportwagen-Weltmeisterschaft gewinnen – und scheiterte<br />
knapp und tragisch. Beim letzten und entscheidenden Rennen<br />
am 3. November in Caracas eliminierten sich die beiden verbliebenen<br />
Werk-Maserati gegenseitig: Joakim Bonnier im 300 S und<br />
sein Team-Gefährte Schell im schnelleren 450 S kollidierten; beide<br />
mussten das Rennen beenden. Immerhin besass Maserati<br />
Damals hochmodern: Klappscheinwerfer<br />
Klare Sache: schnörkelloses Heck<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 111
Meisterhaft: der erste Giugiaro-Entwurf<br />
Bezaubernd:<br />
Spyder offen…<br />
… und mit Hardtop<br />
112 VECTURA #7
Historie<br />
nun einen atemberaubenden Motor, der nicht nur für den Rennsport<br />
weiterentwickelt wurde. So kam der (natürlich modifizierte)<br />
V8 – übrigens der erste Maserati-Achtzylinder nach dem Kriege<br />
– zunächst im 5000 GT zum Einsatz, einem Sportwagen von allerhöchster<br />
Klasse. Etwas ziviler ging es mit dem Quattroporte,<br />
dem Mexico und eben dem Ghibli weiter. Ähnlich lang wie der<br />
Stammbaum dieses Triebwerks ist die Liste seiner Konstrukteure.<br />
Sie beginnt 1952, als der berühmte Gioacchino Colombo (vorher<br />
bei Alfa Romeo und Ferrari tätig) Maserati-Chefkonstrukteur<br />
wurde. Dieser Herr soll die Idee zu einem entsprechenden Entwurf<br />
gehabt und sogar schon mit zwei Vierzylinder-Blöcken herumexperimentiert<br />
haben. Allerdings sollte sein Gastspiel bei Maserati<br />
von nur kurzer Dauer sein, ebenso wie das seines<br />
Nachfolgers Vittorio Bellentani, der das Projekt fortführte. Als er<br />
von Giulio Alfieri abgelöst wurde, konnte dieser auf entsprechende<br />
Ausarbeitungen Bellentanis zurückgreifen und die Aufgabe zu<br />
Ende führen. Schliesslich sei noch der legendäre Guerrino<br />
Bertocchi erwähnt, der schon 1926 zu Maserati kam und hier als<br />
Chef-Tester, Werkstatt-Meister und guter Geist für alles wirkte.<br />
Imponierend waren nicht nur die Eckdaten, sondern auch der<br />
Aufbau des Achtzylinders. Gründlich überarbeitet, leistete er im<br />
intern Tipo 115 genannten Ghibli mindestens 310 PS, die bei<br />
5500 Touren anfielen. Für die Steuerung der V-förmig hängenden<br />
Ventile sorgten je zwei oben liegende Nockenwellen pro Zylinderreihe,<br />
die ihrerseits über Ketten von der vierfach gelagerten Kurbelwelle<br />
angetrieben wurden. Zylinderblock und -kopf bestanden<br />
aus Leichtmetall, nasse, also auswechselbare Laufbüchsen erleichterten<br />
Motorüberholungen, und für die Aufbereitung zündfähigen<br />
Gemischs standen nicht weniger als vier Weber-Doppelvergaser<br />
bereit. Trockensumpfschmierung mit separatem<br />
Behälter (daher der flache Vorderbau!) und ein relativ niedriges<br />
Verdichtungsverhältnis von 8,8:1 waren weitere Merkmale dieses<br />
auch optisch wunderschönen Motors, der noch einen weiteren<br />
Vorteil besass: Er galt als ausgesprochen robust! Damit erreichte<br />
ein 1969 getestetes Coupé die Höchstgeschwindigkeit von<br />
275 km/h – ein absoluter Traumwert, der selbst Jahre später<br />
noch zu einem Spitzenplatz unter den Schnellsten der Schnellen<br />
gereicht hätte. Selbst bei hohen Tempi vermittelte der Ghibli ein<br />
bemerkenswertes Gefühl der Sicherheit. Was massgeblich an<br />
der aufwendigen Bremsanlage lag, die mit vier Scheibenbremsen,<br />
einem ausgeklügelten, servounterstützten Zweikreissystem<br />
sowie je zwei Bremssätteln vorne operierte. Allerdings: Wer mit<br />
dem Ghibli schnell sein wollte, musste zupacken können – die<br />
Bedienung von Bremse, Kupplung und Lenkung erforderte Kraft.<br />
Aber die Zeit blieb nicht stehen, auch für den Ghibli nicht. Zumal<br />
die Konkurrenz in Maranello ebenfalls nicht schlief… Um die (für<br />
einen Supersportwagen) hohen Verkaufszahlen zu halten, musste<br />
sich Maserati etwas einfallen lassen. Das war auch den<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 1<strong>13</strong>
Verantwortlichen klar. Also beauftragten sie Ghia, dem Coupé<br />
eine Offen-Version zur Seite zu stellen - ein Wunsch, den man in<br />
der Turiner Via Agostino da Montefeltro gerne erfüllte. So konnte im<br />
November 1968 der entzückten Öffentlichkeit der Ghibli Spyder<br />
präsentiert werden. Er stand, wie sich das für ein italienisches<br />
Auto damals gehörte, wieder auf dem Turiner Salon und schien<br />
wie die Verkörperung des Traums vom sonnigen Süden. Dass<br />
seine Linienführung nicht so harmonisch und ausgewogen wie<br />
die des Coupés wirkte, liess sich angesichts des gebotenen<br />
Frischluft-Vergnügens verschmerzen. Sogar ein Hardtop konnte<br />
ab Werk geliefert werden.<br />
Trotzdem: Obwohl sich der Ghibli gut verkaufte, stellte sich die<br />
finanzielle Situation des Unternehmens düster dar. Vater und<br />
Sohn Orsi, denen bekanntlich Maserati gehörte, entschlossen<br />
sich jedenfalls, Firmenanteile an Citroën zu veräussern: Insgesamt<br />
sollte der französische Hersteller bis Ende der 1960er-Jahre<br />
60 Prozent des Maserati-Kapitals halten. Dass sich so manche<br />
italienische Nobelmarke in einer ähnlichen Situation befand und<br />
auch Ferrari etwa gleichzeitig seine Unabhängigkeit verlor, dürfte<br />
ein nur schwacher Trost gewesen sein.<br />
Um den Absatz – mit Blickrichtung auf den immer noch lukrativen<br />
US-Markt – anzukurbeln, tat die Firmenleitung etwas Ungewöhnliches,<br />
zumindest für einen Hersteller von Supersportwagen: Maserati<br />
führte ein automatisches Getriebe ein! Wem die serienmässige<br />
ZF-Fünfgangschaltung zu viel Arbeit machte, konnte seinen<br />
Ghibli nun mit einer Borg-Warner-Box und – wenn schon, dann<br />
gleich richtig – einer Servolenkung (ebenfalls von ZF) ordern. Allein<br />
mit der Erhöhung des Bedienungskomforts mochte sich freilich<br />
niemand in Modena zufriedengeben. Folglich machte sich<br />
Chefingenieur Giulio Alfieri an die Arbeit und vergrösserte, dank<br />
einer anderen Kurbelwelle, den Ghibli-Hubraum auf 4,9 Liter. Viel<br />
änderte sich dadurch in Sachen PS-Leistung nicht: Das nun<br />
115/49 genannte Triebwerk mobilisierte 335 PS, die nach wie vor<br />
bei 5500 U/min anlagen; auch das maximale Drehmoment wuchs<br />
nur bescheiden: Statt 441 Newtonmeter bei 4000/min bot der<br />
Neuling nun 480 Nm bei gleicher Drehzahl. Eingeführt wurde diese<br />
Änderung Anfang 1970. Sie bescherte dem Ghibli, der nun die<br />
Zusatzbezeichnung 5000 SS trug, aber auch geänderte Ausstattungs-Details<br />
wie etwa ein bedienungsfreundlicheres Armaturenbrett,<br />
bei dem die Kippschalter ersetzt worden waren – eine Modifikation,<br />
die auch dem 4,7-L-Modell zugutekam.<br />
Zu diesem Zeitpunkt spielte der Ghibli schon nicht mehr die entscheidende<br />
Rolle bei Maserati. Einerseits arbeitete man an einem<br />
Frontmotor-Nachfolger, der als Khamsin 1972 auf dem Turiner Salon<br />
seine Aufwartung machen und kurz darauf in Serie gehen sollte.<br />
Andererseits stand das Bora genannte Mittelmotor-Coupé kurz<br />
vor seiner Vollendung. Vive la France – es lebe das Citroën-Kapital!<br />
So kam es, dass der Ghibli bis 1973 gebaut wurde. Dann stellte<br />
Maserati die Produktion dieses herrlichen Sportwagens ein – etwa<br />
zum gleichen Zeitpunkt, als Ferrari den 365 GT/B in Pension<br />
schickte. Sogar die Produktionszahlen dieser beiden sich in vielen<br />
Punkten ähnelnden Hochkaräter entsprachen sich weitgehend:<br />
Während Ferrari 1412 Exemplare (davon 127 Spider) verkaufte,<br />
konnte Maserati 1122 Coupés und 125 Spyder absetzen. Womit<br />
bewiesen ist, dass es nicht immer zwölf Zylinder sein müssen!<br />
Für einen guten Ghibli<br />
werden längst stolze<br />
Preise bezahlt<br />
114 VECTURA #7
Historie<br />
Weniger heiss, aber sehr erfolgreich:<br />
Maserati Ghibli II<br />
(1992–’97)<br />
Maserati liess den klangvollen Modellnamen im November<br />
1992 auferstehen und präsentierte einen<br />
neuen Ghibli, dessen Fertigung schon wenig später<br />
anlief. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Argentinier Alejandro<br />
de Tomaso, ein seit Jahrzehnten in Italien lebender Entrepreneur<br />
und Ex-Rennfahrer, bei Maserati das Sagen – noch. De<br />
Tomaso, der unter eigenem Namen Sportwagen baute, hatte<br />
die exklusive Manufaktur 1975 übernommen, auf industrielle<br />
Produktionsweise getrimmt und mit dem 1982 vorgestellten<br />
Biturbo vor dem Ruin gerettet. Als zwei- und viertürige Limousine<br />
sowie als Spyder erwies sich diese sportlich-elegante<br />
Baureihe als Zugpferd, das der Marke mit dem Dreizack<br />
bisher nie gekannte Produktionszahlen bescherte. Und<br />
die geschärften Varianten Karif und Shamal zeigten, dass<br />
das Biturbo-Thema genug Raum für noch aufregendere Variationen<br />
liess.<br />
Jetzt, Ende 1992, war die Luft raus, befanden sich die Produktionszahlen<br />
im Sturzflug. Nicht unerwartet zog sich Alejandro de<br />
Tomaso zurück, dafür übernahm Fiat 1993 die Aktienmehrheit an<br />
Maserati. In dieser kritischen Situation erschien also der neue<br />
Ghibli, der als knapp 260 km/h schnelles Sportcoupé mit vier<br />
Sitzen gekonnt Stilmerkmale des Biturbo und des Shamal verknüpfte.<br />
Zunächst ausschliesslich mit einem dank zweier Turbolader<br />
305 PS starken Zweiliter-V6, Katalysator und Fünfgang-<br />
Schaltgetriebe am Start, ergänzte im Jahr darauf eine (nicht auf<br />
allen Märkten verfügbare) 2,8-L-Version das Programm, die<br />
280 PS leistete und wahlweise mit einem manuellen Sechsgangoder<br />
einem automatischen Getriebe geliefert werden konnte. Sogar<br />
eine eigene Rennserie gab es, den Ghibli Open Cup, aus dem<br />
ein besonders dynamisches, Ghibli Cup genanntes Sondermodell<br />
für den alltäglichen Strassenverkehr entwickelt wurde. Obwohl<br />
streng genommen eine Notlösung, schlug sich der 1994<br />
satte 99 500 Franken teure Ghibli tapfer: Bis 1997 entstanden<br />
knapp 2200 Exemplare. Chapeau!<br />
Mehr zum Thema<br />
Sommer 20<strong>13</strong><br />
115
RUBRIKEN<br />
Alternative<br />
für Geniesser<br />
Mit dem sechsten und über 5,25 Meter langen Quattroporte<br />
spricht Maserati vorwiegend US- und asiatische Käufer an. Umso wichtiger<br />
wird für Europa ein neues Modell, das Sportlichkeit und<br />
Raumangebot auf attraktive Weise zu kombinieren versteht.<br />
Wir präsentieren – Ghibli den Dritten<br />
Text Matthias Pfannmüller · Fotos Werk
Vorstellung<br />
Standortbestimmung:<br />
Obwohl knapp fünf Meter lang,<br />
spricht der Hersteller von seiner<br />
«ersten mittelgrossen Sport-Luxuslimousine»<br />
Die Schlichtheit der Modellbezeichnung täuscht: Eine<br />
Luxuslimousine einfach «Viertürer» zu nennen, hat<br />
aber weniger mit Pragmatismus denn vorsichtiger<br />
Bescheidenheit zu tun. Denn als Maserati 1963 und damit vor<br />
genau 50 Jahren den ersten Quattroporte vorstellte, waren<br />
die Claims in der automobilen Oberklasse weitgehend abgesteckt.<br />
Teutonische S-Klassen, nebelfeuchte Silver Cloud<br />
oder Continental und – vielleicht noch – transatlantische de-<br />
Ville machten das Buhlen um besonders solvente wie anspruchsvolle<br />
Kunden unter sich aus. Einen repräsentativen<br />
Wagen aus Italien hatte es dagegen seit den 1940er-Jahren<br />
nicht mehr gegeben: Isotta Fraschini war Geschichte, der De<br />
Tomaso Deauville folgte erst acht Jahre später.<br />
Umso mehr Beachtung fand der viertürige Maserati, und die<br />
Erwartungen wurden nicht enttäuscht – sportlich war er, gut<br />
verarbeitet und komfortabel dazu. Allein die Stückzahlen blieben<br />
bescheiden, was aber weniger am Auto, sondern der damaligen<br />
wirtschaftlichen Situation unserer südlichen Nachbarn<br />
gelegen hat. Im Ausland galt der 4porte zunächst als Exot,<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 117
Vorstellung<br />
was sich im Laufe der vier folgenden Modellgenerationen aber ändern<br />
sollte. Seit Anfang Jahr gibt es nun eine sechste Auflage und<br />
die ist deutlich grösser und teurer als ihre Vorgänger. Damit positioniert<br />
sich die Fiat-Tochter geschickt oberhalb von Audi, BMW,<br />
Jaguar, Lexus und Mercedes, aber auch unterhalb von Bentley<br />
oder Rolls-Royce. In dieser Lücke hofft man auf mehr Volumina,<br />
und das vorrangig in Asien, wo Chauffeur-Limousinen besonders<br />
gefragt sind. Maserati hat ambitionierte Ziele: Bis 2015 will man jährlich<br />
50 000 Autos verkaufen. Zum Vergleich: 2012 lieferte man 6288<br />
Fahrzeuge aus, was einer Steigerung von zwei Prozent gegenüber<br />
dem Vorjahr entspricht. Um die Vorgabe zu erreichen, muss also<br />
mit grosser Kelle angerührt werden, und gross sind die Modeneser<br />
Modelle inklusive Gran Tourismo und Gran Cabrio allemal.<br />
In Europa tut sich damit eine Lücke auf – und die soll ab September<br />
eine mit 4,97 Meter Länge etwas kompaktere Stufenheck-Limousine<br />
schliessen, die Ende April auf dem Salon in<br />
Shanghai präsentiert wurde. Ihr Name ist exklusiver als der des<br />
Quattroporte: Ghibli wird sie heissen und damit bezieht man<br />
sich auf elitäre Vorfahren (siehe Seite 110). Intern spricht man<br />
also vom Ghibli III, und dessen Stahlkarosserie wartet trotz insgesamt<br />
klassischer Maserati-Linien mit markanten Gesichtszügen<br />
oder sehnig akzentuierten Flanken auf. Damit ist schon<br />
rein optisch ein Statement zum eher barocken 4porte gesetzt,<br />
was sportive Käufer zusätzlich locken dürfte. Die italienische<br />
Grandezza wurde im hauseigenen Centro Stile entworfen – und<br />
fährt der Phalanx der genannten Rivalen auch technisch in die<br />
Parade. Als Kraftquelle fungieren nämlich hochmoderne<br />
118 VECTURA #7
Wie man es von Maserati erwartet,<br />
bietet auch der neue Ghibli einen opulenten Innenraum<br />
mit viel Leder und allerhand Komfort-Features<br />
V6-Biturbomotoren mit jeweils drei Liter Hubraum und Stopp-<br />
Start-System – zwei Benziner (330/410 PS sowie 500/550 Nm)<br />
oder ein Selbstzünder mit 275 PS und besonders sattem Drehmoment<br />
von 600 Nm. Es handelt sich dabei um den ersten<br />
Diesel der Markengeschichte: Das Common-Rail-Aggregat<br />
wurde unter der Leitung des früheren Ferrari-Motorenkonstrukteurs<br />
Paolo Martinelli entwickelt und soll bei aller Kraft besonders<br />
sparsam sein; der Hersteller verspricht einen Durchschnittsverbrauch<br />
von unter sechs Liter auf 100 Kilometer – und<br />
kernigen Klang mittels «Active Sound System», welches sich<br />
per Sport-Taste in der Mittelkonsole variieren lässt.<br />
Alle neuen Ghibli entsprechen technisch weitgehend dem aktuellen<br />
Quattroporte, verfügen also über eine ZF-Achtstufenautomatik<br />
und Heckantrieb. Das Topmodell Ghibli S kann wahlweise mit<br />
einem Q4 genannten adaptiven Allradantrieb geordert werden.<br />
Letzterer verteilt die Kraft situativ von 0:100 bis zu 50:50 auf Vorder-<br />
und Hinterräder, die in den Dimensionen 19, 20 oder 21 Zoll<br />
verfügbar sind. Dank besserer Traktion beschleunigt die Q4-Modellvariante<br />
in 4,8 Sekunden auf 100 km/h; der kleinere Benziner<br />
schafft das in 5,6, der Diesel in 6,3 Sekunden. Als Topspeed gibt<br />
das Unternehmen 263 km/h für die Basis, 284 km/h für den<br />
Ghibli S (Q4: 284) und 250 Stundenkilometer für den Turbodiesel<br />
an. Üppig dimensionierte Scheibenbremsen verzögern nachhaltig;<br />
selbst der 1870 Kilo schwere Ghibli S Q4 steht aus Tempo<br />
100 schon nach 36 Meter. Ausserdem ist der Ghibli das einzige<br />
Fahrzeug dieses Segments, das serienmässig über ein mechanisches<br />
Sperrdifferential verfügt.<br />
Über die Preise will Maserati erst nach Redaktionsschluss informieren.<br />
Fest steht bereits, dass die Topversion unter 100 000<br />
Franken kosten soll. Das legt einen Einstieg um 85 000 Franken<br />
nahe, womit sich der Italiener sehr kompetitiv gibt und als günstigster<br />
aller Maserati antritt. Trotzdem darf ruhigen Gewissens<br />
davon ausgegangen werden, dass in puncto Ausstattung auf<br />
nichts verzichtet werden muss. Das Cockpit ist bewusst fahraktiv<br />
gestaltet, ohne auf die Insignien der Oberklasse zu verzichten.<br />
Auch das Innenraumangebot steht dank einem Radstand von<br />
knapp drei Meter dem von S-Klasse und Co in nichts nach. Das<br />
Kofferraumvolumen beträgt 500 Liter.<br />
Auf die Performance des Ghibli darf man also gespannt sein –<br />
sowohl fahrdynamisch als auch bei den Verkaufszahlen. Uns gefällt<br />
der Italiener gut, weil er die Traditionsmarke in die richtige<br />
Richtung führt. Denn bei dieser dritten Baureihe wird es angesichts<br />
der Absatzplanung kaum bleiben: Im Gespräch ist unter<br />
anderem ein edler Ableger des kommenden Alfa Romeo C4, mit<br />
dem Maserati auch jüngere Kunden ansprechen würde.<br />
Mehr zum Thema<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 119
120 VECTURA #7
perspektive<br />
La dolce vita<br />
Ja, auch Maserati wird 100 Jahre alt, allerdings erst ende 2014.<br />
Gefeiert wird aber schon diesen Herbst in Montreux: Infos zu einem<br />
Marken-Event der Dreizack-Klasse<br />
Text Simon Baumann<br />
Sonnenstrahlen glitzern im Wasser. Verdi-Klänge wabern<br />
über den Parkplatz; ab und zu werden sie von<br />
trockenen Gasstössen unterbrochen. So ungefähr darf<br />
man sich vorstellen, was vom 19. bis 22. September in Montreux<br />
passiert. Dann nämlich lädt der Maserati Club Schweiz<br />
als saisonaler Gastgeber zur «Maserati International Rally»<br />
(www.mir20<strong>13</strong>.ch), die jährlich an verschiedenen Orten ausgetragen<br />
wird und 2012 in Belgien stattfand. Die kommende<br />
Spätsommer-Veranstaltung wird vom Werk sowie weiteren<br />
Sponsoren unterstützt und ist etwas Besonderes, bildet sie<br />
doch den Auftakt zum «Centenario», dem 100. Geburtstag der<br />
italienischen Traditionsmarke. Ergo gibt es ein attraktives Rahmenprogramm,<br />
und dazu passt auch das Motto der Veranstaltung<br />
«99 Years of Passion».<br />
Maserati – das ist Rennsport, Lebensart und natürlich Bella Italia.<br />
Der seit nunmehr 20 Jahren zum Fiat-Konzern zählende Hersteller<br />
hat sich für die Zukunft viel vorgenommen (siehe Seite 118). So gilt<br />
es nicht nur die Vergangenheit zu zelebrieren, sondern auch in die<br />
Zukunft zu schauen: Neben 120 Renn- und Serienfahrzeugen aller<br />
Epochen wird der neue Ghibli in Montreux zu sehen sein; Probefahrten<br />
sind ebenfalls möglich.<br />
Austragungsort der Rally ist das Fünfsterne-Hotel Fairmont Palace,<br />
welches auch über eine grosse Tiefgarage verfügt. Eingeladen sind<br />
Modelle sämtlicher Baujahre und -reihen sowie OSCA und sonstige<br />
Hybride, die Maserati-Gene in sich tragen und aus ganz Europa<br />
erwartet werden. Einzige Bedingung: Jedes teilnehmende Fahrzeug<br />
muss für den Strassenbetrieb zugelassen, verkehrstauglich<br />
und ausreichend versichert sein. Auch lehnen die Veranstalter jegliche<br />
Verantwortung oder Haftung ab, aber das ist üblich bei derartigen<br />
Anlässen.<br />
Programm MIR 20<strong>13</strong><br />
19. bis 22. September in Montreux<br />
Donnerstag<br />
> Ankunft der Teilnehmer im Fairmont Le Montreux Palace<br />
> Ab 19 Uhr Drinks, Dinner und Briefing im Hotel<br />
Freitag<br />
> Autotour durch die Romandie<br />
> Besuch eines Uhrenherstellers im Jura;<br />
> Mittagessen vor Ort<br />
> Rückfahrt<br />
> Schweizer Abend in einem nahegelegenen Château<br />
(Shuttle ab/an Hotel)<br />
Samstag<br />
> Ausfahrt durch die Berge des Kantons Waadt<br />
> Lunchstopp auf dem Col des Mosses<br />
> Ab <strong>13</strong>:30 Concours d’Elégance<br />
auf dem Marktplatz von Montreux<br />
> Ab 19:30 Gala-Dinner mit Preisverleihung<br />
und Überraschungsgästen im Hotel<br />
Sonntag<br />
> Frühstück und individuelle Heimreise<br />
> Optionale Aktivitäten<br />
Schon jetzt steht fest, dass es sich um ein herausragendes Treffen<br />
handeln wird, das die gesamte Markengeschichte abbildet. Hingehen<br />
lohnt sich also; das Zuschauen, Staunen und Fotografieren ist<br />
gratis. Anders für die Teilnehmer: Das komplette Wochenend-Paket<br />
kostet pro Person ab 2150 Franken und beinhaltet neben der standesgemässen<br />
Unterkunft auch Verpflegung und Getränke; die<br />
meisten Plätze waren bei Redaktionsschluss schon vergeben. Was<br />
bleibt zu sagen? Bienvenue à Montreux!<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 121
oldtimer<br />
Party<br />
time<br />
Partyti<br />
Jeden Sommer versammeln sich<br />
viele Menschen an illustren Orten,<br />
um ihrer Liebe zum Automobil Ausdruck<br />
zu verleihen. Den Auftakt<br />
machen traditionell Villa d’Este<br />
und Mille Miglia, dann geht es<br />
Schlag auf Schlag bis in den Herbst.<br />
Wir huldigen diesen besonderen<br />
Motor-Momenten mit dem Ausblick<br />
auf herausragende Events, die<br />
man einmal besucht haben sollte<br />
Text map · Fotos Dermo S. Kane, Andy Mettler, Gabriele Spalluto, map<br />
Ob in den Alpen oder an der Küste, ob Europa oder<br />
Übersee: Die Oldtimer-Begeisterung kennt keine<br />
Grenzen. Allen Restriktionen und Ausgrenzungen<br />
zum Trotz ist unser liebstes Fortbewegungsmittel immer noch<br />
für Besucherrekorde gut. Mehr noch – je mehr es verteufelt<br />
wird, umso intensiver entwickelt sich der weltweite Klassik-<br />
Kult. In den letzten Jahren hat sich die Zahl einschlägiger Veranstaltungen<br />
vervielfacht. Und während der warmen Jahreszeit<br />
gibt es praktisch kein Wochenende mehr, an dem nicht<br />
irgendwo Motoren aufheulen. Die Anlässe selbst könnten dabei<br />
kaum unterschiedlicher sein: Von ambitionierten Landstrassenrallyes<br />
über Rundstreckenrennen, Markentreffen und<br />
Schönheitswettbewerbe bis hin zu Stern-, Fern- oder reinen<br />
Kaffeefahrten wird alles geboten. Das Leuchten in den Augen<br />
der Teilnehmer und Zuschauer ist aber immer das gleiche.<br />
VECTURA präsentiert fünf verschiedene Termine, die exemplarisch<br />
für die vielen anderen ihrer Art stehen: Es sind immer auch<br />
Familien-Erlebnisse, weil sie Männer, Frauen und Kinder gleichermassen<br />
zu begeistern wissen. Das Rahmenprogramm ist entsprechend<br />
vielseitig; Langeweile kommt hier nicht auf. Dazu sind<br />
die Austragungsorte selbst spektakulär genug und locken mit<br />
allerlei Abwechslung für Gross und Klein. Mit USA, Deutschland<br />
und Grossbritannien schweifen wir in die Ferne, zwei Events finden<br />
in der Schweiz statt und sind deshalb besonders zu empfehlen.<br />
Natürlich geht es bei solchen Gelegenheiten um Atmosphäre.<br />
Deshalb sollen hier Bilder sprechen und das Gefühl vermitteln,<br />
wie es wäre, hautnah dabei zu sein. Viel Vergnügen!<br />
122 VECTURA #7
me<br />
British Classic<br />
Car Meeting<br />
11. – 14. Juli<br />
Mountains high Nicht nur in und um St. Moritz ist diese Veranstaltung<br />
inzwischen eine Institution: Das British Classic Car Meeting<br />
– kurz BCCM – hat auch über Schweizer Grenzen hinaus einen<br />
hervorragenden Ruf. Diesen Sommer findet das Treffen<br />
bereits zum 20sten Mal statt und dauert deshalb nicht nur zwei,<br />
sondern drei Tage. Einmal mehr zelebriert das BCCM die feine<br />
englische Art auf vier Rädern und bietet Teilnehmern wie Zuschauern<br />
damit ein Spektakel der Extraklasse. Eine Alpenrallye<br />
mit traumhafter Route, der Schönheitswettbewerb oder Fish and<br />
Chips zählen dabei zu den traditionellen Zutaten. Zum Jubiläum<br />
werden die rund 200 gemeldeten Fahrzeuge zusätzlich eine<br />
«Horseshoe Challenge» bestreiten – bei diesem Hill Climb geht es<br />
darum, die steile Strecke zweimal in möglichst identischer Zeit zu<br />
bestreiten. Für Spannung ist also gesorgt: Ladies and Gentlemen,<br />
please start your engines! www.bccm-stmoritz.ch<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 123
124 VECTURA #7
oldtimer<br />
Monterey<br />
Car Week<br />
12. – 18. AUGUST<br />
Unbegrenzte Möglichkeiten Sie wollen mit Jay Leno oder<br />
George Lucas sprechen und dabei die seltensten Oldtimer der<br />
Welt ansehen – in einem perfekten Zustand, wie es ihn seinerzeit<br />
nicht mal ab Werk gab? Dann müssen Sie nach Kalifornien!<br />
Am 18. Loch des Golfclubs von Pebble Beach versammeln sich<br />
alljährlich die Schönsten der Schönen in der Hoffnung, zum<br />
«Best of Show» gekürt zu werden. Der 1950 erstmals ausgetragene<br />
Wettbewerb ist auch ein Gesellschaftsspiel der US-amerikanischen<br />
High Society und wird in diesen Kreisen sehr ernst<br />
genommen. Top-restauriert und auf Hochglanz poliert treten die<br />
Sammlerstücke an, und das fein säuberlich sortiert in verschiedenen<br />
Klassen. Wer diese Wattestäbchen-Pingeligkeit nicht erträgt,<br />
freut sich über die 2001 eingeführte Kategorie «Preservation<br />
Cars», in der Patina ausdrücklich erwünscht ist. Doch der<br />
Concours d’Elegance von Pebble Beach setzt nur den Schlusspunkt<br />
der Monterey Car Week: Eine ganze Woche lang dreht<br />
sich hier alles um die Liebe zum Automobil. Es gibt einen sehenswerten<br />
Concorso Italiano oder die «Legends of the German<br />
Autobahn», zahlreiche Auktionen, Teilemärkte, Markentreffen<br />
und nicht zuletzt die historischen Rennen in Laguna Seca gleich<br />
um die Ecke. Und das alles in traumhafter Landschaft und mit<br />
Blick auf den Pazifik – we love it! www.montereycarweek.com<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 125
oldtimer
RUBRIKEN<br />
Betörende Formen, traumhaftes Ambiente:<br />
Der Concorso Italiano zählt für viele zu<br />
den absoluten Highlights der Monterey Car Week<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 127
RUBRIKEN<br />
Passione<br />
Engadina<br />
23. – 25. AUGUST<br />
Hier treffen sich ausschliesslich<br />
italienische Klassiker<br />
bis Baujahr 1983<br />
128 VECTURA #7
Wiederholungstäter Eine ähnliche Veranstaltung wie das<br />
BCCM (siehe Seite 122), sogar am gleichen Ort – aber mit einem<br />
feinen Unterschied: Hier treffen sich ausschliesslich italienische<br />
Klassiker bis Baujahr 1983! Das Event wird 20<strong>13</strong> zum zweiten<br />
Mal ausgetragen und Organisator Paolo Spalluto hat sich vorgenommen,<br />
eine Fünf-Sterne-Veranstaltung in Graubünden zu<br />
etablieren. Namhafte Sponsoren und das automobile Umfeld –<br />
in diesem Jahr wird Jubilar Lamborghini als Gastmarke auftreten<br />
– sind da vielversprechende Indizien. Ausserdem kommt<br />
Motoren- und Rennwagenkonstrukteur Mauro Forghieri, um<br />
über seine Zeit bei Ferrari, Lamborghini und Bugatti zu erzählen<br />
– bravissimo! www.passione-engadina.ch<br />
oldtimer
RUBRIKEN<br />
Schloss<br />
Bensberg<br />
Classics<br />
06. – 08. September<br />
Fürstlicher Rahmen Längst haben die Hersteller die positive Wirkung namhafter Oldtimer-<br />
Termine erkannt. Und während beispielsweise die elitäre Concorso d’Eleganza Villa d’Este von<br />
BMW organisiert wird, ist Bensberg ein hochkarätiges Event der Volkswagen Group. Dass es sich<br />
dennoch um keine PR-Veranstaltung handelt, liegt nicht zuletzt am Konzept: Hier ist jede klassische<br />
Automarke herzlich willkommen. Unter dem Motto «very important cars only» startet die<br />
diesjährige SBC zum fünften Mal und dürfte ähnlich exklusiv ausfallen wie bisher. Zugelassen sind<br />
herausragende Fahrzeuge und Einzelstücke bis Baujahr 1979, die selbst Autokenner begeistern<br />
können. Neben dem temporären Open-Air-Museum im Park gibt es eine Rallye Historique durch<br />
das Bergische Land; der sonntägliche Concours d’Elégance wird zusätzlich durch eine prominente<br />
Jury und den FIVA-A-Status geadelt. www.sbc20<strong>13</strong>.de<br />
<strong>13</strong>0 VECTURA #7
oldtimer<br />
Sommer 20<strong>13</strong> <strong>13</strong>1
RUBRIKEN<br />
«Very important cars only»:<br />
elitärer Rahmen,<br />
aussergewöhnliche Autos<br />
<strong>13</strong>2 VECTURA #7
www.prestig<strong>emag</strong>.ch<br />
THEim Jahr.<br />
LuxuRy<br />
WAy oF<br />
LIFE<br />
Abonnieren Sie<br />
jetzt PRESTIGE<br />
für nur CHF 39.–
RUBRIKEN<br />
Goodwood<br />
Revival<br />
<strong>13</strong>. – 15. September<br />
<strong>13</strong>4 VECTURA #7
oldtimer<br />
Nobody does it better Wenn der Earl of March auf sein malerisches<br />
Anwesen bittet, kommt alles, was Rang, Namen oder Räder<br />
hat. Neben dem Festival of Speed, das jeweils im Juli stattfindet<br />
und 20<strong>13</strong> zum 20sten Mal ausgetragen wird, gilt das<br />
Goodwood Revival als Delikatesse: Akteure wie Publikum werden<br />
nämlich angehalten, sich zeitgenössisch zu kleiden. Und so<br />
begeben sich alle rund um die Rennstrecke auf eine einzigartige<br />
Zeitreise – alte Flugzeuge inklusive. Dass der nur rudimentär abgesperrte<br />
Goodwood-Circuit zu den gefährlichsten seiner Art<br />
zählt, macht die Sache noch authentischer. Und während der Ruf<br />
nach mehr Sicherheit immer lauter wird, buchen wir schnell noch<br />
ein paar Tickets. www.goodwood.co.uk<br />
Sommer 20<strong>13</strong> <strong>13</strong>5
oldtimer<br />
RUBRIKEN<br />
Goodwood ist gleichzeitig<br />
Motor-Mekka und<br />
Gesellschafts-Event in Einem
Zürich-Dielsdorf<br />
Renntag<br />
Green Turf presented by Gübelin<br />
Tickets<br />
im Vorverkauf<br />
bei Ticketcorner<br />
CHF 10.–<br />
günstiger<br />
www.ticketcorner.ch<br />
So, 30. Juni | Ab 10:30 Uhr<br />
Parkrennbahn Dielsdorf<br />
www.greenturfracing.ch
Nachwuchsförderung à la Goodwood:<br />
Parc Fermé für Junior-Piloten<br />
<strong>13</strong>8 VECTURA #7
oldtimer<br />
Sommer 20<strong>13</strong> <strong>13</strong>9
fahrtenbuch<br />
18 Länder in 45 Tagen<br />
Mit einem Kleinwagen durch Eurasien<br />
Übernachten im Freien unter dem sternenklaren Himmel,<br />
Abendbrot am Lagerfeuer und Tag für Tag dem Horizont entgegenreisen<br />
– wer träumt schon nicht davon? Wir nahmen zu dritt<br />
an der Mongol Rally teil und legten dabei knapp 19 000 Kilometer<br />
zurück. Das wohlbemerkt in einem gebrauchten Fiat Panda<br />
4x4 Baujahr 2004, der zuvor bei der Schweizerischen Post im<br />
Einsatz war und für den Trip komplett umgerüstet werden<br />
musste. Aber wie kommt man auf eine solche Idee?<br />
Die Mongol Rally ist alles andere als ein Hochglanz-Event. Erstmals<br />
ausgetragen wurde sie 2004 mit lediglich sechs Teilnehmern;<br />
inzwischen starten an die 300 Teams. Diesen Sommer findet das<br />
etwas andere Strassenrennen das zehnte und vielleicht letzte Mal<br />
statt. Der Veranstalter (www.theadventurists.com) ist eine herrlich<br />
schräge britische Organisation und richtet inzwischen auch andere<br />
Verrücktheiten aus, etwa den Rickshaw Run quer durch<br />
Indien oder die Mototaxi Junket in Peru. Die Tatsache, dass an<br />
der Mongol Rally in der Regel nur rund 60 Prozent der Teams<br />
den Zielort Ulaanbaatar erreichen, hält nur wenige Abenteurer<br />
davon ab, an diesem legendären Hardcore-Marathon mitzumachen.<br />
Die Mongol Rally als Rennen zu betiteln, mag für viele etwas<br />
zynisch klingen. Als Charity-Anlass verfolgt sie nämlich<br />
auch einen sozialen Zweck. Alle Teilnehmer verpflichten sich,<br />
eine gewisse Summe für wohltätige Organisationen zu sammeln,<br />
und spenden im Anschluss ihr Fahrzeug. Mit dem erzielten<br />
Erlös werden gemeinnützige Entwicklungsprojekte in der<br />
Mongolei unterstützt. Auch in puncto Fahrzeug geben die Organisatoren<br />
strikte Regeln vor: Das Auto darf bei Rennantritt<br />
höchstens zehn Jahre alt sein und maximal 1,2 Liter Hubraum<br />
haben. So betrachtet hat die lange Reise in die Mongolei mehr<br />
meditativen Charakter…<br />
Als wir 2010 erstmals von der Rally hörten, waren wir sofort fasziniert<br />
und beschlossen, mitzumachen. Wir waren reiselustig<br />
und wollten etwas erleben – der Weg ist das Ziel. Die Vorbereitung<br />
gestaltete sich jedoch extrem aufwendig: Fahrzeugbeschaffung<br />
und -vorbereitung, Visaanträge, eine Auflistung der<br />
wichtigsten kyrillischen Schriftzeichen oder die Auseinandersetzung<br />
mit korrupten Grenzbeamten nahmen rund zwei Jahre<br />
in Anspruch. In dieser Phase werden potentielle Teilnehmer weder<br />
beim Kauf eines geeigneten Fahrzeuges noch bei der Wahl<br />
der Reiseroute unterstützt. Jedes Team muss alles selbst organisieren<br />
und auch während der Fahrt bieten die Briten keinerlei<br />
Hilfestellungen an. Volles Risiko also – nicht zuletzt bei der Finanzierung,<br />
wenn die Karre irgendwo in der kasachischen Steppe<br />
liegen bleibt und auf Biegen und Brechen wieder zurück<br />
nach Europa geschafft werden muss.<br />
Doch wir hatten Glück und mit Stefan auch einen ausgebildeten<br />
Mechaniker an Bord, der sich für den Panda entschied und ihn<br />
auswendig lernte. Es war eine aufregende Zeit und passenderweise<br />
nannten wir uns fortan «Pandanauten». Manuel und ich kümmerten<br />
uns derweil um die Finanzierung; mit einem umfassenden<br />
Konzept wurden gezielt Sponsoren angefragt, Spenden-Events<br />
veranstaltet und Merchandising-Artikel angefertigt. So konnten einerseits<br />
ein gewisser Teil der Reisekosten gedeckt und andererseits<br />
Gelder für das von uns unterstützte Hilfswerk gesammelt<br />
werden (www.freundeskreis-mongolei.org). Die Regel ist das nicht:<br />
Andere Teams kratzen nur den Mindestspendenbetrag von 1000<br />
Pfund zusammen und fahren auf eigene Rechnung drauflos. Uns<br />
war das zu unsicher, doch um das ganze Projekt überhaupt stemmen<br />
zu können, waren wir im Vorfeld auf fremde Hilfe angewiesen.<br />
Über 15 Freunde halfen mit, die genannten Punkte abzuarbeiten.<br />
140 VECTURA #7
Je näher der Rennstart im südenglischen Goodwood rückte,<br />
desto intensiver wurden die Diskussionen über die «richtige»<br />
Ausrüstung. War es wirklich notwendig, eine komplette Feldküche<br />
mitzunehmen? Oder gar Ersatz-Stossdämpfer? Rückblickend<br />
hätten wir wohl auf vieles verzichten können, nur darauf<br />
nicht… Am Vorabend der Abreise verluden wir schliesslich nach<br />
dem Ausschlussverfahren: Was uns nicht wirklich nützlich erschien,<br />
zu sperrig oder unhandlich war, wurde zurückgelassen.<br />
Alles andere verstauten wir nicht nur im Kofferraum, sondern<br />
auch auf der Rückbank, unter der Motorhaube oder auf dem<br />
Dachgepäckträger. Letzterer trug ein Vielfaches der zugelassenen<br />
Last und zu Stefans Erstaunen liess sich der Fiat dennoch<br />
ganz passabel steuern.<br />
Die ersten Stints waren aufgrund hervorragender europäischer<br />
Strassenverhältnisse noch keine Bewährungsprobe für den gelben<br />
Flitzer. Auch für die Besatzung war der Weg nach England<br />
und zurück – abgesehen vom anhaltenden Regen – Erholung<br />
pur. Der Panda kämpfte sich tapfer über die Autobahn; Verständigungsschwierigkeiten<br />
gab es noch nicht. Dies änderte sich<br />
schlagartig mit der Einreise in den Iran. Plötzlich waren alle Schilder<br />
in Farsi angeschrieben und die Leute sprachen kein oder nur<br />
sehr wenig Englisch. Wir schafften es trotzdem, den gebrochenen<br />
Dachträger schweissen zu lassen – für 80 Rappen. Überall<br />
wurden wir Pandanauten mit offenen Armen empfangen. Kaum<br />
tauchte der leuchtend gelbe Fiat in einem Dorf auf, kam gleich<br />
die halbe Bevölkerung zusammen, um das Fahrzeug zu begutachten,<br />
die Karosserie zu signieren und drei Luzerner mit Früchten<br />
und Gemüse zu beschenken. Einmal hielt man uns gar für<br />
eine Rock-Band… Die überschwängliche Gastfreundschaft und<br />
Herzlichkeit hielt auch in den folgenden Reiseländern Turkmenistan,<br />
Usbekistan, Kasachstan und Russland an; Sprachbarrieren<br />
wurden zur Nebensache. Kommuniziert wurde mit Händen,<br />
Füssen und nicht zuletzt auch Zeichnungen oder Fotos.<br />
Schwierigkeiten liessen trotzdem nicht lange auf sich warten.<br />
Obschon die vielverbreitete Korruption nicht überall offensichtlich<br />
war, mussten wir uns einige Male auf fadenscheinige Diskussionen<br />
einlassen. Insbesondere in Kasachstan gab es nicht<br />
viel zu lachen. Aufgrund eines fehlenden Registrierungsstempels<br />
landeten wir sogar vor Gericht und wurden verurteilt – allerdings<br />
nicht wegen des fehlenden Stempels, sondern wegen<br />
angeblich abgelaufener Reisevisa. Bis heute ist unklar, ob die<br />
Verhandlung nur inszeniert war – es existiert weder ein Protokoll<br />
noch gibt es den Zahlungsbeleg. Das Bussgeld in vierstelliger<br />
Höhe musste bar überreicht werden und wir waren letztlich nur<br />
noch froh, Kasachstan und seine unwirklich glitzernde Hauptstadt<br />
Astana nach vier Tagen Untersuchungshaft verlassen zu<br />
können. Glücklicherweise gehörte eine solche Beamtenwillkür<br />
nicht zur Tagesordnung und die unglaubliche Schönheit der<br />
Landschaft verdrängte den Ärger.<br />
Abenteuerlich war auch die Nahrungsbeschaffung, vor allem während<br />
des Ramadan. In den orientalischen Ländern herrscht ein<br />
ganz anderer Tagesrhythmus, der erst einmal gelernt werden will.<br />
Der Speiseplan selbst ist sehr vielseitig – es gibt zahlreiche Variationen<br />
von Schaschlik, Gemüse, Reiseintöpfen und dazu oftmals<br />
gegorene Stutenmilch, für die es einen starken Magen braucht.<br />
Begegnung der etwas anderen Art am ausgetrockneten Aralsee<br />
Auf einer solchen Reise gibt es unzählige Orte, Begegnungen<br />
oder Erlebnisse, die eine Erwähnung verdient hätten. Zu den absoluten<br />
Höhepunkten gehörte der Abstecher zum Gaskrater von<br />
Darvaza in der turkmenischen Wüste. Ursprünglich von den Sowjets<br />
zur Erdgasgewinnung gebaut, explodierte die Anlage Anfang<br />
der 1970er-Jahre. Seither klafft an dieser Stelle ein Loch mit<br />
über 100 Meter Durchmesser, in dem es bis heute brennt. Bei<br />
Nacht ist der Krater schon von weitem deutlich zu erkennen.<br />
Fehlt nur noch der Teufel, und Reisende hätten wirklich das Gefühl,<br />
auf direktem Weg in die Hölle zu fahren. Faszinierend war<br />
auch die alte Seidenstrassen-Route, der wir bis Bukhara folgten.<br />
In den zentralasiatischen Ländern war gleichzeitig auch Schluss<br />
mit guten Strassen. Obschon es immer wieder neu gebaute Abschnitte<br />
gab, mussten wir abseits der «richtigen» Strasse fahren<br />
– und oftmals entscheiden, welches Loch dem Fiat weniger<br />
Schaden zufügen würde. Auf manchen Pisten hatten wir dagegen<br />
gar keine Wahl und der Panda litt immer stärker unter den<br />
Fahrbahnverhältnissen – nach und nach gaben die Stossdämpfer<br />
den Geist auf. Weil aber die nächste Fiat-Garage einige tausend<br />
Kilometer weit weg war, musste improvisiert werden. Wir<br />
behalfen uns schliesslich mit Klostöpseln vom Markt, aus denen<br />
wir Gummiringe schnitten, um das Fahrwerk höher zu legen: Es<br />
hat tatsächlich funktioniert! Überhaupt hielten sich die Schäden<br />
in erfreulichen Grenzen: Eine lose Lenksäule festschrauben, das<br />
war’s eigentlich. Einzig in der Mongolei musste nochmals eine<br />
Garage aufgesucht werden, wo wir die Ersatzbatterie und einen<br />
Werkzeugsatz gegen einen – man glaubt es kaum – fast neuen<br />
Fiat-Stossdämpfer eintauschen konnten. Der stammte aus einem<br />
gestrandeten Panda, der im Vorjahr an der Mongol Rally<br />
teilgenommen und aufgegeben hatte. Wir kamen dagegen<br />
durch – und konnten unsere Wagenschlüssel schon wenige Tage<br />
und insgesamt 1400 Liter Benzin später in Ulaanbaatar gegen<br />
ein wohlverdientes kaltes Bier eintauschen.<br />
V.l.n.r.: Daniel Meier (28), Stefan Haldi (29) und Manuel Bossard (24)<br />
aus dem Kanton Luzern kennen sich seit Kindesbeinen an. Gemeinsam beschlossen<br />
sie vor drei Jahren, an der Rally 2012 teilzunehmen. Die Erlebnisse<br />
ihrer Reise und mehr gibt es unter www.pandanauten.ch<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 141
Der Zwei-Millionen-Deal<br />
Ende 20<strong>13</strong> ist es 80 Jahre her, dass der heute grösste Automobilhersteller<br />
der Welt beschloss, eine Autoabteilung zu gründen. Bislang baute<br />
man in den Toyoda Automatic Loom Works nämlich nur Webstühle. Und das<br />
wäre auch beinahe so geblieben<br />
Text Roland Löwisch · Fotos Werk<br />
Kiichiro Toyoda redet sich während einer eilig anberaumten<br />
Vorstandssitzung die Seele aus dem Leib.<br />
«… Eine Gesellschaft ist wie ein Lebewesen», sagt er<br />
gestenreich, «sie sollte nicht bei einem Produkt bleiben. Darf<br />
ich ausserdem daran erinnern, dass Sakichi genau dasselbe<br />
dachte?» Damit meint er Sakichi Toyoda, seinen Vater und den<br />
Firmengründer des weltweit anerkannten Webstuhlherstellers<br />
Toyoda Automatic Loom Works. «Wir sind ein Maschinenbaubetrieb,<br />
keine Kosmetikfirma und auch kein Textilunternehmen»,<br />
fährt Kiichiro eindringlich fort, «deshalb möchte ich Sie<br />
bitten, an das Automobil zu denken. Wir könnten unsere Satzung<br />
jederzeit so ergänzen, dass sie Forschung und Versuchsbau<br />
von Automobilen zuliesse…» Es ist der 30. Dezember<br />
1933. Kiichiro ist fast fertig. Jetzt kann er nur noch hoffen.<br />
Firmengründer Sakichi Toyoda wurde am 14. Februar 1867 in<br />
Yamaguchi geboren. Er musste Zimmermann lernen, wie sein<br />
Vater Ikichi, aber seine Gedanken waren nicht beim Holz. Obwohl<br />
in Yamaguchi alle vom Ackerbau lebten, stand in jedem<br />
Haus ein Webstuhl – das Weben gehört zu den ältesten japanischen<br />
Handwerkskünsten. Inzwischen war aber die glatte<br />
Baumwolle aus dem Westen der japanischen Machart überlegen.<br />
Sakichi wollte kein Zimmermann sein. Traditionen waren<br />
nicht seine Sache – umso mehr faszinierte ihn der Vortrag eines<br />
Lehrers, den er als 18-Jähriger hörte: Man müsse vom Westen<br />
lernen, sagt der weise Mann, sich neue Methoden zu eigen machen,<br />
geistiges Eigentum patentieren lassen. Da beschloss Sakichi,<br />
Erfinder zu werden.<br />
Seine erste Idee: Webstühle effizienter machen! Fünf Jahre würde<br />
er mit diesem «Nebenjob» beschäftigt sein. 1890 besuchte er die<br />
erste nationale Industrieausstellung in Tokio, auf der 1700 der<br />
neuesten ausländischen Erzeugnisse zu sehen waren. 14 Tage<br />
blieb Sakichi dort, zeichnete verschiedene Systeme und Techniken<br />
ab. Anschliessend besuchte er mehrere Webereien, um die<br />
Stühle in Aktion zu sehen. Im Herbst 1890 hatte er seinen ersten<br />
eigenen Webstuhl fertiggestellt, meldete den zum Patent an und<br />
zog nach Tokio, um Unternehmer zu werden. Zwar scheiterte er<br />
zunächst, gab aber nicht auf. Sein nächstes Ziel: bessere Garnhaspel-Maschinen.<br />
Diesmal klappte es – auch mit dem Nachwuchs:<br />
Aus einer Zwangshochzeit ging sein Sohn Kiichiro hervor.<br />
Für den hatte Sakichi allerdings keine Zeit – Maschinen waren<br />
seine Welt. Beim Mitsui-Konzern heuerte er als Chefingenieur an,<br />
nebenbei führte er noch seine eigene Firma Toyoda Shokai. Ab<br />
Sakichi Toyoda Kiichiro Toyoda Risaburo Toyoda<br />
142 VECTURA #7
Motormenschen<br />
Kiichiro wusste:<br />
Ein Auto ist viel komplizierter<br />
als ein Webstuhl<br />
Ständig weiterentwickelt: Toyoda-Webstuhl<br />
1906 stellte er dort monatlich über 100 Webstühle her und<br />
forschte parallel an Stahlwebstühlen. Der grosse Durchbruch<br />
blieb aber aus und deshalb reiste Toyoda im Mai 1910 nach Amerika<br />
– als Emigrant. Hier begegnete er der industriellen Zukunft<br />
und erkannte zudem mechanische Ähnlichkeiten bei Webstühlen<br />
und Autos – die USA produzierten zu dieser Zeit schon rund<br />
100 000 Personenwagen pro Jahr… Voller Elan kehrte Sakichi<br />
nach Japan zurück und baute nun vollautomatische Webstühle.<br />
Ab 1918 hiess seine neue Firma Toyoda Spinning & Weaving<br />
Company.<br />
Obwohl ihr Verhältnis nicht das Beste war, zog Kiichiro Toyoda in<br />
dieser Zeit zu seinem Vater. Und obwohl er ein schlechter und<br />
unaufmerksamer Schüler war, besuchte er die höhere Schule.<br />
Sein Interesse galt der Technik und da war er hellwach: Nachdem<br />
er einige Maschinen skizziert hatte, perfektionierte Kiichiro den<br />
vollautomatischen Webstuhl seines Vaters.<br />
Am 1. September 1923 wurde Tokio von einem schweren Erdbeben<br />
der Stärke 7,9 erschüttert. Gerade mal <strong>13</strong> 000 Autos waren<br />
damals im Land zugelassen – hauptsächlich Taxis, Omnibusse,<br />
Firmenwagen und kaum Privatwagen. Für Aufräumarbeiten<br />
brauchte Japan dringend mehr Fahrzeuge – deshalb senkte es<br />
die Einfuhrzölle auf Autos und 800 Lkw-Chassis aus den USA<br />
durften so ins Land. Schon 1907 hatte das Heereswaffenamt im<br />
Russisch-Japanischen Krieg zwar eine Versuchsfertigung für<br />
Lastwagen aufbauen lassen, doch die verlief im Sande. Zu Beginn<br />
des Ersten Weltkrieges besass die japanische Armee ganze<br />
zehn Autos – die Briten im Vergleich 20 000 Stück und die Vereinigten<br />
Staaten immerhin 15 000. Anfang der 1920er-Jahre versuchte<br />
die japanische Armee erneut, eigene Autos auf die Räder<br />
zu stellen, und nahm dazu erstmals ausländische Hilfe in Anspruch:<br />
Ford durfte in Japan Autos montieren und gründete im<br />
April 1924 mit vier Millionen Yen Kapital «Ford Japan» in Yokohama.<br />
1925 zog GM nach und investierte in Osaka acht Millionen<br />
Yen. Ford verdoppelte daraufhin sein Kapital in Japan – gegen so<br />
viel Macht und Geld hatte die heimische Industrie keine Chance.<br />
1924 beendete Kiichiro, seines Zeichens inzwischen ein fähiger<br />
Ingenieur, die Arbeit am vollautomatischen Webstuhl. Sein Vater<br />
Sakichi gründete 1927 die Toyoda Automatic Loom Works und<br />
nahm die Produktion auf. Andere Firmen kauften seine Rechte an<br />
der Webstuhlproduktion, Sakichi verdiente auf einmal viel Geld<br />
und glaubte an die Zukunft des Automobils. Kiichiro sollte das<br />
Autoprojekt forcieren, doch er wusste: Ein Auto ist viel komplizierter<br />
als ein Webstuhl. So fehlten ihm zum Beispiel die erforderlichen<br />
Spezialstähle. Doch Sakichi liess nicht locker – und schickte<br />
seinen Sohn nach Amerika. Zurück in Japan zerlegte Kiichiro<br />
zunächst einen kleinen Motorradmotor Marke Smith mit 60 Kubik.<br />
Sakichi erlebte die Folgen allerdings nicht mehr: Er erkältete sich<br />
und starb am 30. Oktober an akuter Lungenentzündung. Während<br />
Kiichiro den Smith-Motor in zehn Prototypen nachbauen<br />
liess, legten die Amis in Japan kräftig zu: 1929 bauten GM und<br />
Ford zusammen knapp 30 000 Autos, über 50 000 weitere wurden<br />
eingeführt. Lediglich 437 Autos in Japan stammten aus einheimischer<br />
Produktion – mit Armeevorgaben von 1918. Im Jahr<br />
1930 gab es nur drei japanische Autohersteller, deren Wagen per<br />
Hand zusammengebaut wurden. Da schraubten die Amerikaner<br />
bereits an 1000 Meter langen Fliessbändern; alle 25 Minuten war<br />
ein Auto fertig.<br />
Zu dieser Zeit kam Risaburo Toyoda ins Spiel. Er trug von Geburt<br />
einen anderen Familiennamen, war er doch der Sohn von Mitsui-<br />
Chef Ichizo Kodama. Weil Sakichi Toyoda aber schon vor Jahren<br />
einen Schwiegersohn für seine Tochter Aiko sowie einen tüchtigen<br />
Geschäftsführer für seine Firma suchte, der unbedingt Toyoda<br />
heissen sollte, adoptierte er kurzerhand Risaburo und vermählte<br />
ihn mit seiner Tochter. Weil Risaburo älter war als Kiichiro,<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 143
Motormenschen<br />
Der erste Toyota: Modell AA Baujahr 1935<br />
Ein Hauch Komfort: AA-Interieur<br />
galt er nun als Erstgeborener und damit auch als wichtigstes Kind<br />
und Erbfolger der Familie Toyoda. Kiichiro würde sich damit nie<br />
so richtig abfinden können.<br />
Risaburo war 1930 für die Toyoda Automatic Loom Works und<br />
alle ihre Arbeiter verantwortlich. Er wusste, wie intensiv Kiichiro<br />
am Auto arbeitete – und reagierte gespalten. Einerseits war er<br />
nicht der leibliche Sohn Sakichis, andererseits trug er eine grosse<br />
Verantwortung. Eine mögliche Autoproduktion müsste ein paar<br />
Jahre lang aus Gewinnen der Toyoda Automatic Loom Works gespeist<br />
werden – konnte der Autobau wirklich so wichtig sein?<br />
Risaburo und Kiichiro gingen sich so weit wie möglich aus dem<br />
Weg, doch im September 1933 empfing Risaburo seinen Stiefbruder.<br />
Der erklärte ihm, dass die Prototypenfertigung eines Motorrads<br />
erfolgreich abgeschlossen wurde und nun mehr Geld für<br />
die angedachte Automobilentwicklung notwendig sei. Im Jahr<br />
1933 hatten die Toyoda Automatic Loom Works eine Million Yen<br />
Kapital und machten 182 000 Yen Gewinn; der Umsatz lag bei<br />
knapp zwei Millionen Yen. Kiichiro hatte inzwischen in seiner<br />
Werkstatt einen 1933er-Chevrolet zerlegt und genau untersucht.<br />
Jetzt überlegte er, ein eigenes Stahlwerk zu bauen…<br />
Risaburo wurde in diesen Tagen nicht nur von Kiichiro bedrängt:<br />
Die Firma Nihon Sangyo (kurz darauf Jidosha Seizo und schon<br />
wenig später Nissan Motor Company) hatte die Herstellungsund<br />
Verkaufsrechte am Kleinwagen Datsun erworben und weitere<br />
zehn Millionen Yen zur Verfügung. Nissan plante eine stattliche<br />
Fabrik auf 68 000 Quadratmeter Gelände, gut ein Drittel<br />
davon sollte bebaut werden. Das geplante Montageband war<br />
75 Meter lang und für 10 000 Datsun pro Jahr ausgelegt. Das<br />
Werk entsprach damit achtmal der Grösse, die Kiichiro für Toyoda<br />
geplant hatte. Zusätzlich drohten vom japanischen Militär<br />
protektionistische Automobilgesetze: Staatliche Unterstützung<br />
sollte es nur noch für Firmen geben, die eine Serienfertigung<br />
vorweisen konnten.<br />
Risaburo muss zur Entscheidung, Geld für eine Automobilproduktion<br />
zur Verfügung zu stellen, eine ausserplanmässige Vorstandssitzung<br />
einberufen. Hauptredner ist Kiichiro Toyoda, und<br />
seine Ansprache beeindruckt. Sie endet mit den Worten: «Es liegt<br />
im nationalen Interesse, in Japan eine Automobilindustrie zu<br />
gründen…» Daraufhin bewilligt der Vorstand der Toyoda Automatic<br />
Loom Works am 30. Dezember 1933 tatsächlich eine Kapitalerhöhung<br />
von zwei Millionen Yen, um diese neue Abteilung aufzubauen,<br />
die man rückwirkend zum 1. September 1933 gründet.<br />
Ausserdem wird die Autofertigung in die Statuten aufgenommen.<br />
Am 29. Januar 1934 stockt die Aktionärsversammlung das Kapital<br />
auf drei Millionen Yen auf, weil das zuvor bewilligte Geld nicht<br />
ausreichen wird. Im Nu sind fünf Millionen Yen weg, aber 1000<br />
Mitarbeiter eingestellt. Risaburo Toyoda tobt. Schon im September<br />
1934 ist der erste Motor namens Typ A, ein Sechszylinder mit<br />
3389 Kubik, einsatzbereit. Doch das Aggregat leistet nur 30 PS<br />
– sein Vorbild, der besagte Chevy-Motor, schafft 60 PS. Erst mit<br />
viel Nacharbeit erreicht die Toyoda-Maschine 62 PS und alle sind<br />
zufrieden. Im Mai 1935 ist schliesslich der erste Prototyp namens<br />
A1 fertig. Er ähnelt sehr seinem Vorbild, dem DeSoto Airflow. Alles<br />
bis auf Motorblock, Zylinderkopf, Getriebegehäuse und ein<br />
paar Zubehörteile ist kopiert worden. Danach produziert man<br />
noch zwei Prototypen, bevor der Automobilbau zunächst eingestellt<br />
wird – Lastwagen sind wichtiger. Der Lw-Prototyp G1 ist am<br />
25. August 1935 fertig, sechs Meter lang und für 1,5 Tonnen<br />
Nutzlast ausgelegt. Sein Motor entspricht dem es A1. Am<br />
14. September 1935 stellt Toyoda in Tokio erstmals das gesamte<br />
Produktportfolio aus – den AA als verbesserten A1, die offene<br />
Version AB und den weiterentwickelten Laster GA. Risaburo Toyoda<br />
will jetzt nur noch eines: die Namensänderung von Toyoda<br />
in Toyota. Grund: Für Toyoda braucht man zehn Pinselstriche –<br />
und die bringen kein Glück. Der Name Toyota benötigt dagegen<br />
nur acht – in Japan gilt das als Glückszahl und zudem als Zeichen<br />
für Wachstum…<br />
Mehr zum Thema<br />
144 VECTURA #7
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[lat.: das Fahren]<br />
#7 | Sommer 20<strong>13</strong><br />
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Travel in Style<br />
Silbrig glänzende Wohnwagen «Made in USA» sind die Stars auf jedem<br />
Campingplatz. Begonnen hat der Kult vor rund 80 Jahren<br />
Text Armin Heun/map · Fotos Werk<br />
Airstream – das klingt nach Aerodynamik und bedeutet<br />
so viel wie Luftstrom oder Fahrtwind. In Verbindung mit<br />
dem gleichnamigen Reisewohnwagen US-amerikanischer<br />
Abstammung fügt sich gleich das passende Bild zusammen:<br />
das klassische Design, die glänzende Leichtmetallbehausung<br />
mit allem Komfort, endlose Highways, ein laues Lüftchen<br />
bei entspanntem Tempo, dazu der Sonnenuntergang am Strand.<br />
Es wäre jedoch stereotyp, einen Airstream auf dieses Klischee zu<br />
reduzieren. Die mobilen Luxussuiten aus Jackson Center/Ohio<br />
sind längst Legende, gebaut für den American Dream «on the<br />
road» und jeden, der ihn erleben will.<br />
Die Geschichte dieser Wohnwagen-Ikone begann 1927. Damals<br />
kaufte der reiselustige Anwalt Wally Byam ein Ford-T-Fahrgestell<br />
und stattete es mit einem ausklappbaren Faltzelt aus. Das funktionierte<br />
zwar, war aber auch sehr umständlich, zumal Byam so<br />
nicht viel Ausrüstung transportieren konnte. Sein nächster Versuch<br />
bestand aus Holzfaserplatten, wies aber noch einige Detailmängel<br />
auf. Dafür kam er auf die schlaue Idee, eine kleine Broschüre<br />
herauszugeben, die den Titel «Wie baue ich mir für 100<br />
Dollar einen Wohnwagen» trug. Für seine Tipps verlangte er jeweils<br />
einen Dollar – und verkaufte sie 15 000-mal!<br />
Anfang der 1930er-Jahre wurde auch William Hawley Bowlus<br />
(siehe Kasten rechts) auf Byam aufmerksam – und stellte ihn als<br />
Werbefachmann für seine genialen, aber teuren und deshalb<br />
schwer verkäuflichen Aluminium-Wohnwagen ein. Die Weltwirtschaftskrise<br />
tat ein Übriges: Bowlus musste Konkurs anmelden.<br />
Byam übernahm daraufhin die Firma und baut ab 1936 einen<br />
ähnlichen, wenn auch weiterentwickelten «Clipper»-Caravan, den<br />
er unter dem Label «Airstream» verkaufte und trotz Leichtmetallbauweise<br />
etwas günstiger anbot. Dass Byam für seine Kundschaft<br />
ausserdem weite Fernreisen organisierte, kurbelte das Interesse<br />
zusätzlich an – der Kult war geboren! Und mit ihm die<br />
Nachahmer: Avion, Silver Streak, Spartan oder Streamline sind<br />
nur einige Konkurrenten gewesen – und alle längst wieder Geschichte.<br />
Nur Airstream ist es gelungen zu überleben und erfreut<br />
sich bis heute einer weltweiten Fangemeinde, die niemals einen<br />
normalen Wohnwagen kaufen würde.<br />
In der Wahrnehmung fahrender Menschen gilt die Marke als Ikone,<br />
auch wenn das abgedroschen klingen mag. Immerhin steht ein<br />
Airstream im New Yorker Museum of Modern Art, John F. Kennedy<br />
setzte ihn als Wahlkampfbüro ein und die NASA einen extra angefertigten<br />
«Astrovan» als mobile Quarantäne-Station für heimge-<br />
146 VECTURA #7
kehrte Astronauten – nur für den Fall, dass die sich eine Mond-<br />
Grippe eingefangen haben könnten. Es war übrigens eine Tradition,<br />
die bis zum Ende des Space-Shuttle-Programms fortgeführt wurde.<br />
Nicht zuletzt ist die Liste jener Hollywoodstars, welche einen<br />
Airstream besassen, genauso lang wie eine durchschnittliche Dankesrede<br />
nach dem Erhalt des Oscars. Auch an aktuell prominenten<br />
Besitzern mangelt es nicht: So lebte Lenny Kravitz lange Zeit in<br />
seinem Airstream am Strand von Malibu Beach, Tom Hanks bekam<br />
einen von seiner Frau geschenkt, Sandra Bullock benutzt ihren<br />
als Gartenhaus und auch Denzel Washington, Sean Penn,<br />
Matthew McConaughey oder Brad Pitt gehören zur Kundschaft.<br />
Reloaded: Bowlus Road Chief Das Vorbild aller Stromlinien-Wohnwagen<br />
heisst Bowlus Road Chief. Erdacht vom Flugzeugkonstrukteur<br />
William Hawley Bowlus – er baute die «Spirit<br />
of St. Louis», mit der Charles Lindbergh 1927 den Atlantik<br />
überquerte –, bestach dieser Trailer mit seiner genieteten Aluminiumhaut,<br />
windschlüpfigen Form und geringem Gewicht<br />
von unter 550 Kilo. Zwischen 1934 und ’36 entstanden rund<br />
80 Exemplare, die Überlebenden sind heute entsprechend<br />
gesucht und teuer. Zu den glücklichen Besitzern eines Originals<br />
gehört auch der passionierte Sammler von Stromlinien-<br />
Automobilen, John Long IV aus Oxnard bei Los Angeles. Er<br />
restaurierte seinen Road Chief und beschloss 2010, den Klassiker<br />
in aktualisierter Form nachzubauen und damit auch anderen<br />
zugänglich zu machen. Mit 7,2 Meter über alles etwas<br />
länger und geräumiger, wiegt die Ende 2012 fertiggestellte<br />
Neuinterpretation immer noch unter einer Tonne und kann<br />
deshalb auch von einem Kompaktwagen gezogen werden.<br />
Das Interieur ist geschmackvoll, bietet neben Wohn- und<br />
Schlafraum auch Küche und Duschbad. Besonderer Clou:<br />
Durch eine Bugtür lässt sich sperriges Sportgerät einladen<br />
und auch sicher befestigen. Eine Klimaanlage oder die moderne<br />
Elektronik sind unsichtbar integriert. Der stylishe Wohnwagen<br />
kommt wahlweise mattiert oder hochglanzpoliert und<br />
ist kein Sonderangebot: Er kostet ab 100 000 Dollar und<br />
wird nur auf Bestellung in Handarbeit zusammengebaut<br />
(www.bowlusroadchief.com). Exporte ausserhalb der USA<br />
sind eigentlich nicht vorgesehen, doch bei ernsthaften Anfragen<br />
will man gerne versuchen, die gesetzlichen Vorgaben des<br />
jeweiligen Landes zu berücksichtigen. map<br />
Der Airstream-Hype ist derweil nicht auf die Vereinigten Staaten<br />
beschränkt. Schon 1948 hatte Byam die ersten «Land-Yachten»<br />
nach Europa gebracht, um mit ihnen den Kontinent zu bereisen.<br />
Als Höhepunkte seiner Abenteuerlust gelten die beiden bekanntesten<br />
Touren – die 18 000 Meilen von Kapstadt nach Kairo<br />
in den Jahren 1959 bis ’60 und die 35 000 Meilen von Singapur<br />
nach Lissabon 1964/65. Das wiederum gewann schnell die Aufmerksamkeit<br />
von abenteuerhungrigen Amerikanern: Anfang der<br />
1960er besuchten Tausende die Airstream-Fabrikation, die Verkaufszahlen<br />
explodierten und 1974 kamen unglaubliche<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 147
markenkult<br />
JFK nutzte seinen Airstream auch noch als US-Präsident<br />
In den letzten Jahren erlebte das Unternehmen eine wahre Renaissance.<br />
Inzwischen Tochterunternehmen des Nutzfahrzeug-<br />
Konzerns Thor Industries, profitiert Airstream von Synergien,<br />
kann aber unabhängig agieren. Jährlich werden Hunderte<br />
Wohnwagen gebaut; die Werkführung gehört laut Fox News zu<br />
den zehn besten in den Staaten. Parallel bietet man die «Silver<br />
Bullets» auch in speziellen EU-Ausführungen an. Diese Modelle<br />
werden in den USA vorproduziert und in England nach europäischen<br />
Standards zusammengebaut. Selbst in China ist<br />
Airstream mittlerweile präsent; längst gibt es mehrere Modelle<br />
in verschiedenen Längen und Ausstattungsvarianten. Kurzum:<br />
Der «American Way of Caravaning» ist heute wieder so lebendig<br />
wie einst.<br />
4493 Wohnwagen zu einem Airstream-Treffen in den USA! Die<br />
technische Entwicklung, aber auch Ölkrise und Rezession zwangen<br />
Airstream dazu, mit Fiberglas und anderen Materialien, aber<br />
auch Spezialausführungen für die verschiedensten Zwecke zu<br />
experimentieren. Eines aber hat es während aller Höhen und Tiefen<br />
immer gegeben – die wunderschönen Aluminium-Modelle,<br />
von denen erstaunliche 70 Prozent aller je hergestellten Exemplare<br />
heute noch existieren.<br />
Mehr zum Thema<br />
148 VECTURA #7
So cool kann heiss sein.<br />
Der Subaru BRZ. Mit 200 PS starkem Boxermotor und Heckantrieb.<br />
Schon ab Fr. 39’800.– (man., abgebildetes Modell).<br />
Energieeffizienz-Kategorie G/F, CO 2 181/164 g/km, Verbrauch<br />
gesamt 7,8/7,1 l /100 km (man./Aut.). Fr. 41’800.– (Aut.).<br />
Durchschnitt aller in der Schweiz verkauften Neuwagenmodelle<br />
(markenübergreifend): 153 g/km.<br />
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Unverbindliche Preisempfehlung netto, inkl. 8% MWSt.<br />
Preisänderungen vorbehalten.
150 VECTURA #7<br />
zieleingabe
Ein Heim in der<br />
Fremde<br />
Bei der Wahl einer passenden<br />
Destination schweifen wir diesmal<br />
in die Ferne. Es geht nach<br />
Marrakesch, und das mit allem<br />
erdenklichen Komfort britischen<br />
Fahrzeugbaus. Nur eines<br />
würden wir beim nächsten Mal<br />
anders machen – mehr<br />
Zeit einpacken<br />
Text Peter Hawkins<br />
Fotos Matthew Howell, Ben Samuelson, Marqués de Riscal<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 151
Auffälliger geht es kaum. Das haben wir schon<br />
auf der ganzen Anreise gemerkt und es wird<br />
uns hier, am südlichsten europäischen Grenzposten<br />
in Ceuta, nochmals deutlich vor Augen<br />
geführt. Schliesslich fahren wir <strong>13</strong> Meter<br />
des glänzendsten, mit insgesamt<br />
215 000 Franken aber auch teuersten<br />
Aluminiums, das man derzeit auf Rädern<br />
kaufen kann. Der neue Range<br />
Rover ist in Marokko noch völlig<br />
unbekannt und auch die silberne<br />
Riesenpille im Schlepptau<br />
dürfte hier noch nicht allzu oft<br />
gesichtet worden sein…<br />
Nach einer etwas längeren Fahrzeug-<br />
und Ausweiskontrolle verlassen wir diesen europäischen<br />
Zipfel und sind gleich mittendrin im nordafrikanischen Getümmel<br />
– um uns herum verbeulte Autos, die ausschliesslich aus den<br />
80ern stammen, dazwischen ein paar Eselkarren und Fahrräder.<br />
In unserem Edelschlitten ist das ein Kulturschock, auch für die<br />
anderen. Es geht zunächst nur im Schritttempo voran, und das<br />
vollkommen geräuschlos – die Laufruhe des Range-Motors und<br />
seine Doppelverglasung lassen die Welt um uns herum noch surrealer<br />
erscheinen. Keine Frage: Mit dem intelligentesten Wohnwagen<br />
der Welt, gezogen vom derzeit modernsten, elegantesten<br />
Geländewagen, sind wir auf unserer Tour äusserst privilegiert<br />
unterwegs. Der Trip war von langer Hand vorbereitet worden und<br />
beruhte auf einer Frage: Schon der alte Range Rover ist ein ziemlich<br />
gutes Zugfahrzeug gewesen, aber wie würde sich der neue<br />
anstellen, mit einem immerhin 2,4 Tonnen schweren Luxus-<br />
Wohnwagen am Haken? Bei Land Rover in Solihull fand man Gefallen<br />
an unserer Idee und stellte uns mit dem 4.4 SDV8 einen<br />
bestens motorisierten Testwagen zur Verfügung.<br />
In gewissem Sinne handelt es sich bei unserem «Roadtrain» um<br />
ein britisches Gespann, denn der US-amerikanische Hersteller<br />
Airstream (siehe S. 146) hat seine Wohnwagen über die letzten<br />
paar Jahre hinweg im Lake District direkt an der M6 bei Tebay<br />
entworfen und produziert. Unser Modell heisst International 684<br />
und bildet die Speerspitze des aktuellen Angebots. Wie es sich<br />
für die Kultmarke gehört, zeigt auch der 684 (die Ziffern beziehen<br />
sich auf die Länge von 6,8 Meter und die Anzahl der Betten) aussen<br />
poliertes Alu; allein moderne Leichtmetallfelgen sind ein opti-<br />
152 VECTURA #7
RUBRIKEN<br />
zieleingabe<br />
sches Zugeständnis an die Gegenwart. Von innen erinnert der<br />
Airstream an die Suite eines kleinen Luxushotels: Komfort ist<br />
Trumpf und das Leder in unserem Demo-Modell knallrot, worüber<br />
man sich streiten mag (natürlich kann jede andere nur denkbare<br />
Farbe bestellt werden). Die Verarbeitung macht Freude; an<br />
Bord sind Arbeitsplatten aus schickem Corian oder ein riesiger<br />
Flachbildfernseher. Trotz der Tatsache, dass man mittlerweile einen<br />
noch breiteren 684 (2,5 Meter im Vergleich zu unserem<br />
2,3-Meter-Modell) kaufen kann, ist unser Airstream innen sehr<br />
geräumig. Achtern im Heck steht ein vollwertiges Doppelbett mit<br />
viel Stauraum drum herum; dazu kommt eine gut proportionierte<br />
Nasszelle. Mittschiffs ist eine Bordküche mit genügend Ausstattung<br />
untergebracht, um auch eine grössere Gruppe satt zu kriegen.<br />
Ganz vorne befinden sich der Esstisch und ein Sofa, das<br />
man mit wenigen Handgriffen in ein weiteres Doppelbett umfunktionieren<br />
kann.<br />
Wenn man unabhängig bleiben und von einem Kontinent zum<br />
anderen fahren will, gibt es wohl nichts Besseres als den<br />
Airstream. Schon gar nicht, wenn vorne ein Range mit elektrisch<br />
ausfahrbarer Kupplung zieht. Unser Roadtrip begann im pulsierenden<br />
Land-Rover-Werk Solihull, dessen Selbstbewusstsein<br />
auch Beweis ist für die sehr lebendige und gute Autoindustrie in<br />
Grossbritannien. Von dort aus fuhren wir bei strömendem Regen<br />
auf der M40 Richtung Süden bis nach Portsmouth, um uns einzuschiffen.<br />
Bei normaler Reisegeschwindigkeit dreht der 339 PS<br />
Ob vor dem «Marqués de Riscal»<br />
oder an den Sandstränden Marokkos –<br />
der Airstream macht überall eine<br />
hervorragende Figur<br />
starke Turbodiesel des Top-Range nur knapp über 1000 Touren.<br />
Und obwohl die ganze Fuhre rund fünf Tonnen auf die Waage<br />
bringt, gab es keine Steigung, die uns gezwungen hätte, langsamer<br />
zu werden. Okay, so geschah es im seichten England, aber<br />
ganz im Ernst: Der neue Range Rover zieht so mühelos davon,<br />
dass man ab und an vergessen mag, dass hinten noch etwas<br />
dranhängt.<br />
In Portsmouth parkten wir auf einer Brittany-Fähre, die uns nach<br />
Santander bringen und so runde 1000 Kilometer Strasse einsparen<br />
würde. Schliesslich waren es die Strecken im Süden, auf die<br />
wir uns freuten! Die Fähre selbst ist zu empfehlen; sie hat elegante<br />
Restaurants an Bord, mehr als akzeptable Kabinen, WLAN<br />
und sogar Handyempfang. Doch nach zwei Nächten und<br />
33 Stunden auf See waren wir wieder Asphalt-reif. Am Flughafen<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 153
RUBRIKEN<br />
Technische Daten<br />
Airstream International 684 2.3m<br />
Series 2<br />
Konzept Fullsize-Luxuswohnwagen mit US-amerikanischen Wurzeln.<br />
Semi-Monocoque, Leichtbauweise (Aluminiumrahmen und<br />
-beplankung). Glaswolle-Isolierung, Panoramafenster aus<br />
Echtglas. Interieur mit kompletter Möblierung inkl. Tisch-<br />
Sitzgruppe, Radio/CD/MP3, Küche (inkl. Corian-Arbeitsplatte,<br />
Flammenherd mit Ofen, Spüle, Kühlschrank und Gefrierfach),<br />
Duschbad/WC und vier vollwertigen Schlafplätzen plus individueller<br />
Ausstattung (Klimaanlage, Onboard-Stromaggregat,<br />
Leder, Satelliten-TV, Solarpanels, Markise etc.). Wasser-, Abwasser-<br />
und Stromanschluss für den stationären Gebrauch.<br />
Vollbeheizung mit 7,5 kW Leistung<br />
Abmessungen (L/B/H) in cm<br />
Reifen und Räder<br />
Kabinenvolumen (L/B/H)<br />
Leergewicht in kg<br />
Zulässiges Zuggewicht in kg<br />
Kuplungshöhe in cm<br />
Max. Kupplungslast in kg<br />
Preis ab CHF<br />
825/228,5/265<br />
185/60 R 15 auf 5,5 J<br />
680,5/212,5/199<br />
2250<br />
2680<br />
150<br />
46,5<br />
75 900.–<br />
154 VECTURA #7
RUBRIKEN<br />
Bilbao stieg unser Fotograf Matt ein und hatte auch schon Pläne<br />
für erste Bilder. Doch keiner von uns war auf die Schönheit dieses<br />
Küstenabschnitts gefasst.<br />
Unser erstes Ziel lag in den Bergen: Das Weingut und Hotel Marqués<br />
de Riscal ist ein atemberaubendes Gebäude, designt von<br />
Frank Gehry, dessen exzessiver Verbrauch an Aluminium international<br />
bekannt ist. Diese Parallelen zum neuen Range und unserem<br />
Wohnwagen machten den Ort zur adäquaten Foto-Location.<br />
Und während die Sonne unterging, diskutierten wir bei einer<br />
schönen Flasche Rioja, dass wir in weniger als 36 Stunden schon<br />
in Marokko sein und bereits in sechs Tagen wieder durch Spanien<br />
zurückfahren würden…<br />
Unsere Airstream-Premiere fand auf dem Campingplatz Fuentes<br />
Blancas in Burges statt, den wir in stockdunkler Nacht und bei eisiger<br />
Kälte erreichten. Nachdem wir die Stützen fixiert, unser Abwassersystem<br />
angeschlossen und die Heizung angeworfen hatten, zogen<br />
wir los – um noch mehr Rioja und etwas zu essen zu kaufen.<br />
Noch vor Sonnenaufgang waren wir wieder unterwegs, denn bis<br />
zum nächsten Nachtlager galt es, knapp 900 Kilometer abzuspulen.<br />
Die sagenhaften spanischen Autobahnen bilden die perfekte<br />
Umgebung für den Range Rover. Dank seinem überragenden<br />
Fahrwerk, dessen Luftfederung alles glattbügelt, was nicht glatt<br />
ist, gleitet er wie auf Wolken dahin. Auf der Iberischen Halbinsel<br />
gibt es streckenweise aber auch legendäre Schlaglöcher und wir<br />
haben einige gesehen, jedoch nie gespürt. Und dann, auf einer<br />
Höhe von circa 1000 Meter über dem Meeresspiegel, schwächelte<br />
der Range erstmals: Während einer besonders langen und<br />
schwierigen Steigung schaffte er es nicht, die programmierte Geschwindigkeit<br />
des Tempomaten zu halten. Also gab ich Gas, aber<br />
etwas zu viel – und schon schoss unser Gespann nach vorne, als<br />
gäbe es kein Morgen. Das satte Drehmoment von 700 Nm ist in<br />
Kombination mit der Achtgang-Automatik schon eine Klasse für<br />
sich. Als wir die andere Seite des Berges wieder hinunterfuhren,<br />
nahmen wir heftige Seitenwinde wahr, was uns kurz beunruhigte.<br />
Der serienmässige Stabilitätsassistent des Range Rover bremst<br />
jedoch jedes einzelne Rad gefühlvoll ab, um Schlingern zu verhindern,<br />
bevor es überhaupt beginnt. Grossartig!<br />
Den zweiten Camp-Platz erreichten wir erneut im Dunkeln und<br />
stellten begeistert fest, dass man über die Strasse von Gibraltar<br />
hinweg schon die Lichter Afrikas sehen konnte! Wenige Stunden<br />
später, nach einer kurzen Fährpassage, erreichten wir die spanische<br />
Enklave Ceuta.<br />
Und jetzt sind wir tatsächlich hier, parken den Range, schliessen<br />
ihn gut ab, klettern einen Hügel hinauf und geniessen den Augenblick.<br />
Dann geht es weiter, es wird bergiger als bisher, doch der<br />
Range gibt sich unbeeindruckt. Marokkanische Strassen sind<br />
generell in keinem sehr guten Zustand, jedoch kaum schlechter<br />
als einige britische. Wir bleiben zunächst auf der Autobahn Richtung<br />
Rabat und Casablanca, wo wir auch erstmals tanken. Die<br />
Raststätte ist aufgeräumt und sauber, der Sprit unglaublich billig.<br />
Vor der Weiterfahrt unterhalten wir uns noch mit dem Fahrer eines<br />
in Genf registrierten Pinzgauer und erfahren, dass er ein Arzt<br />
und auf dem Weg nach Malawi ist. Sein Fahrzeug sieht aus wie<br />
das unbequemste Transportmittel aller Zeiten. Beeindruckt von<br />
den Nehmerqualitäten und der Furchtlosigkeit dieses Mannes<br />
entern wir demütig unsere Luxussänfte mit den beheiz- oder<br />
kühlbaren Massagesitzen plus Landyacht im Schlepptau.<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 155
zieleingabe<br />
Weiter geht’s durch den Norden des Landes, das hier tatsächlich<br />
aussieht wie Norditalien. Einziger Unterschied: Auf den Wiesen<br />
am Strassenrand grasen keine Kühe, sondern Kamele. Kurz vor<br />
Rabat beschliessen wir aus gutem Grund, die engen Strassen<br />
der Stadt zu meiden, und steuern direkt unseren nächsten Campingplatz<br />
Océan Bleu an, der direkt am Strand von Mohammedia<br />
ausserhalb Casablancas liegt. Dort hat bereits ein Paar aus Cornwall<br />
samt Baby sein Zelt aufgeschlagen: Es will mit seinem Allrad-<br />
Camper gen Süden und mal schauen, wohin der weitere Weg sie<br />
führen wird. Ein anderer Brite trifft mit einem Motorrad ein, das er<br />
kürzlich für 150 Euro gekauft hat. Jetzt will er es wissen – Sahara<br />
und zurück. Als wir seine karge Ausrüstung sehen, kommen wir<br />
uns schon etwas verweichlicht vor. Doch beim Anblick der örtlichen<br />
sanitären Anlagen sind wir wieder sehr froh, unsere eigene<br />
dabei zu haben…<br />
In der Frühe servieren wir dem Biker eine Tasse guten englischen<br />
Frühstückstees sowie Toast und Marmite, dann brechen<br />
wir auf. Marrakesch ruft und die Landschaft wird immer beeindruckender.<br />
Obwohl wir weiterhin auf der Mautstrasse unterwegs<br />
sind – sie ist den meisten Einheimischen zu teuer und deswegen<br />
sehr leer –, kriegen wir viel von der Umgebung mit. Häuser aus<br />
roten Ziegelsteinen und kleine Schafherden säumen die Strecke<br />
auf unserem Weg, als es immer sandiger und steiniger wird. Kurz<br />
vor der knapp tausendjährigen Metropole nimmt der Verkehr wieder<br />
zu: Teils hupende Taxis versuchen sich zwischen Range und<br />
Airstream zu drängen, schwer beladene Mopeds mit einer kompletten<br />
Familie samt Wocheneinkauf hinten drauf jonglieren im<br />
Zentimeterabstand um uns herum. Es ist Stress pur und wir sind<br />
froh, einen geeigneten Parkplatz zu erreichen. Von dort aus besuchen<br />
wir die historische Altstadt zu Fuss, doch unser tatsächliches<br />
Ziel liegt noch etwas weiter südlich: Es ist das Atlasgebirge,<br />
welches sich ungefähr 40 Kilometer südlich von Marrakesch in<br />
schwindelerregende Höhen erstreckt. Also lassen wir die Ebene<br />
und das bunte Treiben hinter uns. Mit Einbruch der Dunkelheit<br />
suchen wir uns am Fuss der Berge einen geeigneten Rastplatz<br />
und machen es uns im Airstream gemütlich, der schon ein vertrautes<br />
Zuhause geworden ist.<br />
156 VECTURA #7
Ziehmoment: Fünf Tonnen<br />
Gesamtwicht am Hang<br />
sind kein Problem für den<br />
neuen Range Rover<br />
Sommer 20<strong>13</strong> 157
zieleingabe<br />
Früh am nächsten Morgen gilt es, den nicht nur geografischen<br />
Höhepunkt unserer Reise zu erklimmen. Der Weg wird anspruchsvoller<br />
und steiler, auch die Beschaffenheit der Menschen<br />
und des Bodens verändert sich. Einheimische grüssen<br />
uns mit einem würdevollen, fast feierlichen Nicken, wenn wir an<br />
ihnen vorbeifahren. Das tun wir immer langsamer, denn die Pisten<br />
werden enger und kurviger, während es auf einer Seite oftmals<br />
ungesichert in die Tiefe geht. Und dann erreichen wir den<br />
Gipfel in Oukaimeden, einem kleinen Ort auf 2700 Meter Höhe.<br />
Neben der kleinen Militärbasis ist er besser bekannt für sein<br />
Skigebiet.<br />
Das Panorama ist sensationell. Trotzdem werden wir etwas<br />
wehmütig, denn Oukaimeden ist auch der Wendepunkt unseres<br />
ausschweifend-dekadenten Luxus-Trips. Von nun an geht es<br />
wieder 3000 Kilometer zurück, also richten wir unser Gespann<br />
am nächsten Tag Richtung Nordwesten aus. Schon zur Mittagszeit<br />
haben wir Marrakesch passiert, erneut Wüste erreicht – und<br />
rekapitulieren mit Cruise Control: viel erlebt in den letzten Tagen!<br />
Es waren derer zu wenige und alle sind sich einig, dass<br />
unser exzellentes Gespann eigentlich längere Ferien und noch<br />
mehr Abenteuer verdient hätte.<br />
Den Kilometer-Marathon steckt das Material jedenfalls klaglos<br />
weg; auch für uns Passagiere ist es ein Spaziergang. Am Ende<br />
werden wir 836 Liter Diesel verbraucht haben – ein guter Wert für<br />
unseren «Road Train». Allein nächtliche Etappen durch Nordafrika<br />
können wir niemandem empfehlen – sie sind gespickt mit komplett<br />
unbeleuchteten Eselkarren und Schlaglöchern von der<br />
Grös se eines Kleinwagens. Aber auch das schaffen wir, bevor am<br />
Horizont wieder die Alte Welt vor uns auftaucht. Was wir gerne<br />
dorthin mitnehmen würden? Den marokkanischen Himmel!<br />
Mehr zum Thema<br />
158 VECTURA #7
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www.prestigemedia.ch | CHF 10.–<br />
9 772235 369009<br />
RUBRIKEN Impressum<br />
Herausgeberin Prestige Media AG,<br />
Bösch 73, CH-6331 Hünenberg (ZG)<br />
Verleger Francesco J. Ciringione<br />
Verlagsleitung Boris Jaeggi<br />
Chefredaktor Matthias Pfannmüller (map)<br />
m.pfannmueller@prestigemedia.ch<br />
Marketing- und Anzeigenleitung<br />
Cumi Karagülle ck@prestigemedia.ch<br />
Gestaltung Tobias Merz<br />
t.merz@prestigemedia.ch<br />
Autoren dieser Ausgabe Simon Baumann,<br />
Clauspeter Becker, Adriano Cimarosti,<br />
Gisbert L. Brunner, Dieter Günther,<br />
Peter Hawkins, Armin Heun,<br />
Hubertus Hoslin, Stefan Lüscher,<br />
Roland Löwisch, Daniel Meier,<br />
Klaas Rosenboom, Markus Schmid,<br />
Mark Stehrenberger<br />
Fotografen dieser Ausgabe Christian Bittmann,<br />
Adriano Cimarosti, Nick Dimbleby,<br />
Matthew Howell, Dermo S. Kane,<br />
Andy Mettler, Ben Samuelson,<br />
David Shepherd, Gabriele Spalluto,<br />
Robert Waltmann, Ian G.C. White, map<br />
Lektorat Andreas Probst<br />
Produktionsleitung Nicole Senn<br />
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Verlag / Produktion Prestige Media AG,<br />
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Telefax +41 (0) 61 335 60 88<br />
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Einzelnummer CHF 10.–<br />
Jahresabo CHF 39.–<br />
Erscheinungsweise vierteljährlich<br />
WEMF 2012/<strong>13</strong> – 14 368 Exemplare<br />
Wiedergabe von Artikeln und Bildern,<br />
auszugsweise oder in Ausschnitten, nur mit<br />
ausdrücklicher Genehmigung der Redaktion.<br />
Für unverlangte Zusendungen wird von<br />
Redaktion und Verlag jede Haftung abgelehnt<br />
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liegt ab dem<br />
09. September<br />
20<strong>13</strong> am Kiosk.<br />
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Titelfoto Aldo Ferrero<br />
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