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Katalog "Was wirklich wirklich ist - Tango für Senioren".pdf

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mirko bonné<br />

Tausend s chriTTe<br />

Zu den <strong>Tango</strong>bildern<br />

von Jana Osterhus<br />

Unvergesslich geblieben <strong>ist</strong> mir ein halber Tag Ende November vor acht Jahren, ein argentinischer<br />

Hochsommertag. Mit einem Roman über Shackletons Endurance-Expedition war ich<br />

als Bordautor auf eine Kreuzfahrt eingeladen, in Feuerland sollte die Antarktisreise beginnen.<br />

Bevor wir von Buenos Aires nach Ushuaia flogen, konnten die zume<strong>ist</strong> betuchten Passagiere<br />

und ich einen Tag am Rio de la Plata verbringen, und so ging ich mittags am Obelisken los und<br />

hinauf nach Recoleta, in ein Viertel, von dem ich nur wusste, dass dort Evita Perón begraben liegt.<br />

Über den wie ein Silbertablett funkelnden Strom kam duftender Wind und blies die violetten<br />

Blüten der großen Stadtbäume durch die Häuserzeilen. Zerbeulte Straßenkreuzer und<br />

Busse fuhren hupend umher, und gegenüber dem Friedhof öffnete sich ein Park, darin saßen<br />

auf Bänken lauter Leute und lauschten einer betörend schönen Musik, die mir nicht nur vollkommen<br />

zu dem Licht, dem warmen, würzigen Wind und der sommerlichen Entschleunigung<br />

zu passen schien, sondern mir vorkam, als stelle sie das Wesen der ganzen zurückhaltenden und<br />

zugleich zum Bersten erfüllten Lebendigkeit dar. Ich sah, es waren ein paar betagte Musiker,<br />

die in dem Park argentinische <strong>Tango</strong>melodien spielten. Unter den Bäumen tanzten Frauen<br />

und Männer, vor allem aber ältere Damen und Herren mit langsamen Schritten, gleitenden<br />

Bewegungen und so bedachten wie stolzen Gesten.<br />

Fast alles, was ich in Recoleta erlebte, finde ich auch in den Gemälden, Zeichnungen,<br />

Collagen und Übermalungen von Jana Osterhus. Ihre Tanz und Seniorentango darstellenden<br />

Acrylbilder wie „Nostalgia“ und „Wie die Liebe <strong>wirklich</strong> <strong>ist</strong> …“, die 2014 entstanden, oder das<br />

Tuschzeichnung und Acrylmalerei vereinigende und in seiner Farbigkeit fast zaubrisch wie ein<br />

Sommerbild August Mackes anmutende „La princesa – Die Prinzessin“ von 2015 geben dabei<br />

jedoch nicht nur eine eigene, der Zeit enthobene Stimmung wieder.<br />

Für Jana Osterhus und ihren Partner Helmut Fuchs sind es im schnelllebigen urbanen und<br />

medialen Alltag von heute nur mehr schwer in Worte zu fassende subjektive wie zwischenmenschliche<br />

Empfindungen, die der <strong>Tango</strong> im Allgemeinen, insbesondere aber das Tanzen für<br />

und mit Senioren weckt. Ungeahnte Möglichkeiten zu Improvisation und Begegnung findet<br />

Jana Osterhus während der mit Seniorinnen und Senioren erlebten Tanzstunden, Nähe und<br />

Empathie, „Zu-Neigung“ entdeckt Helmut Fuchs darin und will er weitervermitteln. Achtsamkeit<br />

und Innigkeit, zwei aus dem Sprachschatz so gut wie verschwundene Begriffe, stehen<br />

für den langjährigen <strong>Tango</strong>tänzer, Sänger und Musiker ebenso im Mittelpunkt des Austauschs<br />

mit alten Menschen wie für die Malerin und Tänzerin Jana Osterhus.<br />

Schon zwei einfacher anmutenden Collagen wie den 2015 entstandenen „Aire“ und „Catedral“<br />

merkt man auf den ersten Blick an, wie es Jana Osterhus auch in ihrer bildnerischen<br />

Arbeit um Innigkeit und Achtsamkeit zu tun <strong>ist</strong> – ihrer Hervorrufung ebenso wie ihrer Darstellung.<br />

In wenigen sehr genau gesetzten Linien, die jedes Detail in sich fassen, bilden die zwei<br />

vor einem das Bild halbierenden roten Vorhang miteinander tanzenden Figuren von „Catedral“<br />

eine gerade in ihrem zueinander gewahrten Abstand bewegende Nähe ab.<br />

Noch stärker vermittelt diesen Eindruck die übermalte Collage „Corazón de Oro –<br />

Herz aus Gold“, die in erster Fassung als Linoldruck 2007 entstand. Eine Frau im nachtdunklen,<br />

wie mit Gestirnen gepunkteten Kleid tanzt darauf <strong>Tango</strong> mit einer mannsgroßen Zikade,<br />

Grille, einem Grashüpfer oder Heupferd. Das Auge ihres zugleich gespenstischen und von<br />

Leidenschaft erfüllten Tanzpartners fixiert die Tänzerin durchdringend und wirkt wie einer<br />

der Sternenflecke auf ihrem Kleid. Sein Jacket sind seine angelegten Flügel. Die langen Fühler

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