WELT Wissen_2015_8
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EDITORIAL<br />
Carsten Könneker<br />
Chefredakteur<br />
koenneker@spektrum.de<br />
AUTOREN IN DIESEM HEFT<br />
Was wird aus diesem »Baby«?<br />
<strong>Wissen</strong>schaftlerinnen und <strong>Wissen</strong>schaftlern fällt es oft schwer, ihre Forschung in einfache<br />
Worte zu fassen. Die meisten haben nie wirklich gelernt, zu veranschaulichen,<br />
was sie tun und herausgefunden haben. Andere gar hegen prinzipielle Vorbehalte: Sprachliche<br />
Vereinfachung bedeute automatisch inhaltliche Verfälschung, daher solle man als Experte<br />
lieber die Finger davon lassen. Doch diese Ansicht ist falsch. Ganz abgesehen von der<br />
Frage, ob Forscher nicht verpflichtet sind, der Gesellschaft zu erklären, was sie machen –<br />
sprachliche Veranschaulichung ist nicht erst Teil der Popularisierung; sie dient bereits dem<br />
Erkenntnisprozess. Denn schon in der internen Fachkommunikation prägen <strong>Wissen</strong>schaftler<br />
Spachbilder und versichern sich so gegenseitig neuer Einsichten.<br />
Freilich: Vergleiche haben immer nur eine begrenzte Aussagekraft; einen bestimmten Aspekt<br />
eines Phänomens beschreiben sie gut, andere hingegen nicht. Ein Schwarzes Loch etwa<br />
ist kein Loch, sondern im Gegenteil ultradichte Materie. Dennoch erfüllt der metaphorische<br />
Ausdruck seine Funktion. So wie alle Dinge in ein Loch im Boden fallen, wenn man sie darüberhält<br />
und loslässt, stürzt alle Materie ab einer gewissen Grenze auf ebenjene raumzeitliche<br />
Singularität zu, deren Existenz die allgemeine Relativitätstheorie vor 100 Jahren voraussagte.<br />
Und da nichts dem Einflussbereich eines solchen Objekts entrinnt, dieses also keine Signale<br />
aussendet oder reflektiert, ist es – bildlich gesprochen – »schwarz«.<br />
Einen provokanten Vergleich formulierte der Chemienobelpreisträger Eric Betzig gerade<br />
auf der Lindauer Nobelpreisträgertagung: »Jede neue Technologie ist wie ein Baby. Du hoffst,<br />
dass es einmal Präsident wird oder Krebs heilt, und bist am Ende froh, wenn es nicht im Knast<br />
landet.« Eine bemerkenswerte Aussage für einen Forscher, der im vergangenen Jahr für die<br />
Erfindung einer neuen Technologie, der superauflösenden Fluoreszenzmikroskopie, mit<br />
dem höchsten <strong>Wissen</strong>schaftspreis geehrt wurde (Spektrum der <strong>Wissen</strong>schaft 12/2014, S.10;<br />
Betzigs Lindauer Vortrag im Netz: www.mediatheque.lindau-nobel.org).<br />
Auf keinen Beitrag in diesem Heft passt Betzigs Bonmot besser als auf unsere Titelgeschichte<br />
des Neurowissenschaftlers Tony Prescott von der University of Sheffield über<br />
die Entwicklung eines Roboters mit künstlichem Bewusstsein (S. 80). Die Frage, ob dieses<br />
»Baby« namens iCub oder einer seiner Nachfolger einmal die kühnen Träume ihrer Erfinder<br />
zum Wohl der Menschen verwirklichen wird oder aber »im Knast« endet, ist für mich eine<br />
der spannendsten des 21. Jahrhunderts.<br />
Eine anregende Lektüre wünscht<br />
Ihr<br />
Der Molekularbiologe Stefano<br />
Piccolo und sein Team haben<br />
gezeigt, wie schon mechanische<br />
Kräfte eine Zelle grund legend<br />
verändern können: sie etwa dazu<br />
bringen, sich wie eine Tumorzelle<br />
zu verhalten (S. 20).<br />
Max-Planck-Direktor Peter H.<br />
Seeberger forscht an vorderster<br />
Front über neue Impfansätze<br />
mit »Design«-Zuckern. Kürzlich<br />
hat ihn die Fachzeitschrift<br />
»Medicine Maker« als einzigen<br />
Deutschen in die Top Ten der<br />
weltweit führenden Medikamententwickler<br />
gewählt (S. 28).<br />
Wie es den Hethitern gelang,<br />
die kosmologischen Vorstellugen<br />
anderer Völker mit den eigenen<br />
zu verbinden, beschreibt ab S. 62<br />
die Altorientalistin Susanne<br />
Görke von der Johannes Gutenberg-Universität<br />
Mainz.<br />
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