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<strong>Information</strong><br />

<strong>Albanien</strong><br />

Aktuelle Lage<br />

Rechtsstaatlichkeit<br />

Menschenrechtslage<br />

Oktober 2015


3<br />

Urheberrechtsklausel<br />

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich<br />

geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich<br />

vom Urheberrecht zugelassen ist, insbesondere eine<br />

Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung<br />

und/oder eine Einspeicherung und Verarbeitung,<br />

auch auszugsweise, in elektronischen Systemen ist nur<br />

mit Quellenangabe und vorheriger Genehmigung des<br />

Bundesamtes gestattet.<br />

Die Inhalte dürfen ohne gesonderte Einwilligung lediglich<br />

für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch<br />

sowie ausschließlich amtsinternen Gebrauch abgerufen,<br />

heruntergeladen, gespeichert und ausgedruckt werden,<br />

wenn alle urheberrechtlichen und anderen geschützten<br />

Hinweise ohne Änderung beachtet werden.<br />

Copyright statement<br />

This report/information is subject to copyright rules/<br />

all rights reserved. Any kind of use of this report/information<br />

- in whole or in part - not expressly admitted by<br />

copyright laws requires approval by the Federal Office of<br />

Migration and Refugees (Bundesamt). Especially reproduction,<br />

adaptation, translating, microfilming, or uploading<br />

in electronic retrieval systems - is allowed only upon<br />

prior approval by the Bundesamt provided the source is<br />

acknowledged.<br />

Use of the report/information may be made for private,<br />

non commercial and internal use within an organisation<br />

without permission from the Bundesamt following copyright<br />

limitations.<br />

Disclaimer<br />

Die <strong>Information</strong> wurde gemäß der EASO COI Report<br />

Methodology (2012), den gemeinsamen EU-Leitlinien für<br />

die Bearbeitung von <strong>Information</strong>en über Herkunftsländer<br />

(2008) sowie den Qualitätsstandards des Bundesamtes<br />

für Migration und Flüchtlinge (2013) auf Grundlage<br />

sorgfältig ausgewählter und zuverlässiger <strong>Information</strong>en<br />

erstellt. Wurden <strong>Information</strong>en im Rahmen sogenannter<br />

Fact-Finding-Missions in den Herkunftsländern gewonnen,<br />

erfolgte dies unter Berücksichtigung der gemeinsamen<br />

EU-Leitlinien für (gemeinsame)Fact-Finding-Missions<br />

(2010). Alle zur Verfügung gestellten <strong>Information</strong>en<br />

wurden mit größter Sorgfalt recherchiert, bewertet und<br />

aufbereitet. Alle Quellen werden genannt und nach wissenschaftlichen<br />

Standards zitiert.<br />

Die vorliegende Ausarbeitung erhebt keinen Anspruch<br />

auf Vollständigkeit. Findet ein bestimmtes Ereignis, eine<br />

bestimmte Person oder Organisation keine Erwähnung,<br />

bedeutet dies nicht, dass ein solches Ereignis nicht stattgefunden<br />

hat oder die betreffende Person oder Organisation<br />

nicht existiert. Der Bericht/die <strong>Information</strong> erlaubt<br />

keine abschließende Bewertung darüber, ob ein individueller<br />

Antrag auf Asyl-, Flüchtlings- oder subsidiären<br />

Schutz berechtigt ist. Die benutzte Terminologie sollte<br />

nicht als Hinweis auf eine bestimmte Rechtauffassung<br />

verstanden werden. Die Prüfung des Antrags auf Schutzgewährung<br />

muss durch den für die Fallbearbeitung<br />

zuständigen Mitarbeiter erfolgen. Die Veröffentlichung<br />

stellt keine politische Stellungnahme des Bundesamtes<br />

für Migration und Flüchtlinge dar.<br />

Diese Ausarbeitung ist öffentlich.<br />

Disclaimer<br />

The information was written according to the „EASO COI<br />

Report Methodology“ (2012), the „Common EU guidelines<br />

for processing factual COI“ (2012) and the quality standards<br />

of the Federal Office for Migration and Refugees<br />

(Bundesamt) (2013). It was composed on the basis of carefully<br />

selected and reliable information. <strong>Information</strong> from<br />

so-called fact-finding missions in countries of origin is<br />

provided in accordance with EU directives for (common)<br />

fact-finding missions (2010). All information provided<br />

has been researched, evaluated and analyzed with utmost<br />

care within a limited time frame. All sources used are<br />

referenced and cited according to scientific standards.<br />

This document does not pretend to be exhaustive. If a<br />

certain event, person or organization is not mentioned,<br />

this does not mean that the event has not taken place or<br />

that the person or organization does not exist. This document<br />

is not conclusive as to the merit of any particular<br />

claim to international protection or asylum. Terminology<br />

used should not be regarded as indication of a particular<br />

legal position. The examination of an application for<br />

international protection has to be carried out by the responsible<br />

case worker. The information (and views) set


4<br />

out in this document does/do not necessarily reflect the<br />

official opinion of the Bundesamt and makes/make no<br />

political statement whatsoever.<br />

This document is public.<br />

Abstract<br />

Seit dem politischen Umbruch 1990/91 hat <strong>Albanien</strong><br />

enorme Fortschritte beim Demokratisierungsprozess<br />

gemacht. Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie,<br />

vom Kommunismus zur Marktwirtschaft bleibt jedoch<br />

schwierig. Das demokratische System krankt immer noch<br />

an vielen Defiziten, die auf historische, politische und<br />

kulturelle Faktoren zurückzuführen sind. Wirtschaftlich<br />

gehört das Land noch immer zu einem der ärmsten Europas,<br />

ca. jeder Vierte der knapp drei Millionen Einwohner<br />

lebt unter dem Existenzminimum. Seit dem Wegfall der<br />

Visapflicht für albanische Staatsangehörige 2010 und der<br />

Wirtschaftskrise in Europa steigt der Migrationsdruck<br />

und damit auch die Zahl der albanischen Asylantragsteller<br />

in Europa wieder an. Waren zunächst Frankreich,<br />

Schweden und Belgien die Hauptzielländer für Asylmigration<br />

aus <strong>Albanien</strong>, haben seit Herbst 2013 auch in<br />

Deutschland die Zugangszahlen deutlich zugenommen.<br />

Seit Anfang des Jahres 2015 steigen die Zugangszahlen<br />

explosionsartig an und haben im ersten Halbjahr außerordentliche<br />

Dimensionen erreicht. Als Asylgrund werden<br />

neben wirtschaftlichen und sozialen Problemen Bedrohungen<br />

durch Dritte (Blutrache, Organisierte Kriminalität)<br />

und familiäre Konflikte oder Gewalt vorgetragen.<br />

Der vorliegende Bericht behandelt daher die allgemeine<br />

politische Lage und Entwicklung, die Rechtsstaatlichkeit<br />

und die Menschenrechtslage.<br />

Albanian asylum seekers increases in Europe again. First<br />

France, Sweden and Belgium were the main countries<br />

of destination for asylum migration from Albania. But<br />

since fall of 2013 in Germany the access numbers have<br />

increased clearly. They have risen explosively since the<br />

beginning of 2015 and finally reached exceptionally proportions<br />

in the first half of 2015. As grounds for asylum<br />

in addition to economic and social problems also threats<br />

by third parties (blood feud, organized crime) and family<br />

conflicts or violence are presented. This report deals<br />

therefore with the general political situation and development,<br />

the rule of law and the human rights situation.<br />

abstract<br />

Since the political change 1990/91 Albania has made<br />

enormous progress in the process of democratization,<br />

but the transition from dictatorship to democracy, from<br />

communism to market economy remains difficult. The<br />

democratic system suffers from many deficiencies, which<br />

are due to historical, political and cultural factors. In economic<br />

terms, the country is still one of the poorest in Europe,<br />

every fourth of the barely three million inhabitants<br />

live below the poverty line. Since the abolition of the visa<br />

regime for Albanian citizens 2010 and the economic crisis<br />

in Europe, the migration pressure and the number of


5<br />

Inhalt<br />

Vorbemerkung 7<br />

1<br />

2<br />

3<br />

Aktuelle Lage 8<br />

1.1 Außenpolitische Lage 8<br />

1.2 Innenpolitische Lage 10<br />

1.3 Sicherheitslage 11<br />

1.4 Wirtschaftliche und soziale Lage 11<br />

1.5 Gesellschaftliche Entwicklung 14<br />

1.6 Migration 15<br />

Demokratische Strukturen und Rechtsstaatlichkeit 17<br />

2.1 Demokratische Strukturen 17<br />

2.2 Mehrparteiensystem 18<br />

2.3 Freie Betätigungsmöglichkeit für die Opposition 19<br />

2.4 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 19<br />

2.5 Meinungs- und Pressefreiheit 19<br />

2.6 Justiz und Polizei 19<br />

2.7 Korruption 21<br />

2.8 Organisierte Kriminalität 22<br />

2.9 Extremismus 22<br />

Menschenrechtslage 25<br />

3.1 Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, „Verschwindenlassen“ 25<br />

3.2 Unmenschliche und erniedrigende Bestrafung, Haftbedingungen 25<br />

3.3 Unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Folter 26<br />

3.4 Willkürliche Verhaftungen, lang andauernde Untersuchungshaft 27<br />

3.5 Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis allgemein 27<br />

3.6 Lage sexueller Minderheiten (LGBTI Gemeinschaften) 27<br />

3.7 Situation von Frauen und Kindern 28<br />

3.8 Menschenhandel 30<br />

3.9 Lage der Minderheiten 31<br />

3.10 Lage der Religionsgemeinschaften 33<br />

3.11 Lage von Rückkehrern / Reintegration 34<br />

3.12 Blutrache 34<br />

Schlussbemerkung 35<br />

Anhang 36<br />

1. Zeittafel 36<br />

2. Karte 38


7<br />

Vorbemerkung<br />

Nach vier Jahrhunderten osmanischer Herrschaft wurde<br />

<strong>Albanien</strong> am 28.11.1912 in den heutigen Grenzen gegründet<br />

und erstmals ein unabhängiger Staat. Fast die Hälfte<br />

der von Albanern besiedelten Gebiete fiel allerdings an<br />

die Nachbarstaaten (heute: Kosovo, Mazedonien, Serbien,<br />

Montenegro). Nach den Wirren der beiden Weltkriege<br />

übte von 1944 bis 1991 die kommunistische „Partei der<br />

Arbeit <strong>Albanien</strong>s“ unter Enver Hoxha (später Ramiz Alia)<br />

eine totalitäre Herrschaft aus. Vier Jahrzehnte beherrschte<br />

er das Land mit eiserner Hand. 60.000 Albaner wurden<br />

aus politischen Gründen verhaftet oder verbannt, an<br />

die 6.000 Hinrichtungen sollen stattgefunden haben.<br />

<strong>Albanien</strong> galt bis 1990 als letzte Bastion des Stalinismus<br />

in Europa. Das Land war vollkommen isoliert. Mit den<br />

Studentendemonstrationen 1990/91 setzte ein Wandlungsprozess<br />

ein. Anfänglich drohte das Land in Gewalt<br />

und Anarchie zu versinken. Besonders der Massenexodus<br />

und die Hungersnot von 1991/92 sowie die sog. Pyramiden-Krise<br />

von 1997 führten zu chaotischen Zuständen.<br />

Obwohl das Land nicht wie die ex-jugoslawischen Republiken<br />

in einen militärischen Konflikt hineingezogen<br />

wurde, war dieser Zusammenbruch eine traumatische<br />

Erfahrung.<br />

Fast 25 Jahre nach der Wende ist <strong>Albanien</strong> noch immer<br />

von einem grundlegenden Umbruch gekennzeichnet.<br />

Kein anderes Land der Region hatte eine schlechtere und<br />

kompliziertere politische wie wirtschaftliche Ausgangslage<br />

für den Demokratisierungsprozess als <strong>Albanien</strong>.<br />

Trotz erreichter Fortschritte wird die Entwicklung des<br />

Landes durch die starke politische Polarisierung der albanischen<br />

Gesellschaft, durch traditionelle und aus Zeiten<br />

des Totalitarismus übernommene Verhaltensweisen, die<br />

Schwäche des Staates und seiner Institutionen sowie die<br />

starke Durchsetzung der albanischen Gesellschaft mit<br />

Korruption und organisiertem Verbrechen gebremst. Ein<br />

generelles Problem <strong>Albanien</strong>s ist die noch immer vorherrschende<br />

Rückständigkeit großer Teile des Landes.<br />

Es bedarf weiterer politischer Stabilität und der Konsolidierung<br />

der Demokratie, damit das Land die Lösung<br />

seiner Hauptprobleme (Gewährleistung der uneingeschränkten<br />

Achtung der Menschen rechte; Bekämpfung<br />

von Betrug, Korruption, organisierter Kriminalität und<br />

illegalem Handel; Funktionieren von Polizei und Justiz<br />

etc.) angehen kann. <strong>Albanien</strong> ist nach wie vor eines der<br />

ärms ten Länder Europas. 7 % der Bevölkerung leben<br />

unter der extremen Armutsgrenze, 17,7 % sind offiziell<br />

arbeitslos. Die Sozialsysteme bieten keine angemessene<br />

Versorgung. Hinzukommt eine große Unzufrie denheit<br />

über die Staatsführung, Korruption und Vetternwirtschaft.<br />

Seit Beginn der Wirtschaftskrise 2009 haben<br />

tausende albanische Migranten ihre Arbeit in Italien und<br />

Griechenland verloren und waren gezwungen in ihre<br />

Heimat zurückzukehren. Nur wenige von den Rückkehrern<br />

konnten in <strong>Albanien</strong> wieder Fuß fassen. Seit Anfang<br />

des Jahres 2015 hat eine Emigrationswelle das Land erfasst.<br />

Allein in Deutschland haben dieses Jahr über 40.000<br />

Albaner Asyl beantragt. Als Asylgrund werden neben<br />

wirtschaftlichen und sozialen Problemen v. a. Bedrohungen<br />

durch Dritte (Blutrache, Organisierte Kriminalität)<br />

und familiäre Auseinandersetzungen oder Gewalt<br />

vorgetra gen. Der vorliegende Bericht behandelt daher die<br />

allgemeine politische Lage und Entwicklung, die Rechtsstaatlichkeit<br />

und die Menschenrechtslage.


8<br />

1<br />

Aktuelle Lage<br />

Staatsname<br />

Staatsform<br />

Republik <strong>Albanien</strong> (Republika e Shqipërisë)<br />

Parlamentarische Republik<br />

Staatsoberhaupt Bujar Nishani (seit 24.07. 2012)<br />

Premierminister Edi Rama (seit 10.09.2013)<br />

Fläche<br />

Bevölkerung<br />

Religion<br />

28.800 qkm<br />

2,8 Mio. (Zensus 2011 1 ): rund 83 % Albaner, 0,87 % Griechen, 0,2 % Mazedonier, 0,4 % Roma/Ägypter<br />

Ca. 60 % Muslime, 6,75 % Orthodoxe, ca. 10 % Katholiken<br />

Arbeitslosigkeit 17,7 %<br />

BIP/Kopf<br />

3.486 Euro<br />

1.1 Außenpolitische Lage<br />

Seit der Wende Anfang der 1990er Jahre sieht <strong>Albanien</strong><br />

seine Zukunft in Europa. Die zügige Westintegration wurde<br />

von Washington unterstützt. <strong>Albanien</strong> ist bisher als<br />

einziges Land des westlichen Balkans Mitglied der NATO.<br />

Außerdem ist es Mitglied der Vereinten Nationen (UN),<br />

der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in<br />

Europa (OSZE) und des Internationalen Währungsfonds<br />

(IWF). Mit der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und<br />

Assoziierungsabkommens (SAA) im Juni 2006 mit der<br />

EU wurden die unternommenen Reformanstrengungen<br />

<strong>Albanien</strong>s, die stabile Wirtschaftslage und die konstruktive<br />

regionale Rolle des Landes gewürdigt. Im April 2009<br />

beantragte es die Aufnahme in die EU. Unter Berücksichtigung<br />

der bis dato erreichten Fortschritte wurde im<br />

November 2010 eine visumsfreie Regelung eingeführt.<br />

Auf den Kandidatenstatus hat das Land allerdings lange<br />

warten müssen. Dreimal hat die EU-Kommission den<br />

Antrag abgelehnt. Korruption, Vetternwirtschaft und<br />

organisierte Kriminalität belasteten den Prozess der Demokratisierung.<br />

Ein weiterer Grund des Wartens war die<br />

1 Republic Albania (2011): Population and Housing<br />

Census 2011; http://www.instat.gov.al/media/178070/rezultatet_kryesore_t__censusit_t__popullsis__dhe_banesave_2011_n__shqip_ri.pdf<br />

(Abruf<br />

am 05.10.2015)<br />

starke Polarisierung zwischen den zwei rivalisieren den<br />

Volksparteien, die in den letzten 23 Jahren im Wechsel<br />

regierten. Im Juni 2014 erfolgte endlich die Verleihung<br />

des EU-Kandidatenstatus, obwohl das Land weiterhin<br />

viele Probleme hat. Durch die reibungslos verlaufenen<br />

Parlamentswahlen im Juni 2103 habe das Land seine<br />

demokratische Reife unter Beweis gestellt, so die Begründung<br />

der Kommission. 2 Damit die Beitrittsverhandlungen<br />

tatsächlich beginnen können, fordert die EU weitere<br />

Anstrengungen. <strong>Albanien</strong> muss die Justiz und Verwaltung<br />

reformieren und sich auf die Einhaltung von Recht und<br />

Gesetz konzentrieren. Der Schutz von Minderheiten und<br />

der Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen<br />

müssen verstärkt werden. 3<br />

2 Deutsche Welle (27.06.2014): <strong>Albanien</strong> am Anfang<br />

eines langen Weges in die EU, http://www.dw.com/<br />

de/albanien-am-anfang-eines-langen-weges-indie-eu/a-17741553<br />

(Abruf am 31.08.2015)<br />

3 Deutscher Bundesrat (07.11.2014) Drucksache:<br />

551/14: Unterrichtung durch die Europäische<br />

Kommission: Erweiterungsstrategie<br />

und wichtigste Herausforderungen 2014-201;<br />

Http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2014/0501-0600/551-14.pdf?__<br />

blob=publicationFile&v=1 (Abruf am 19.08.2015)


9<br />

<strong>Albanien</strong>s Außenpolitik ist darauf gerichtet, zu den Nachbarstaaten<br />

solide Beziehungen aufzubauen und die Zusammenarbeit<br />

in der Region zu fördern. Dabei spielt das<br />

Land eine konstruktive Rolle im Aufbau gemeinsamer<br />

Sicherheits- und Wirtschaftsstrukturen in der Region,<br />

namentlich in Kosovo. Die Verbindungen nach Kosovo,<br />

das mehrheitlich von albanisch-stämmiger Bevölkerung<br />

bewohnt wird, sind eng. Die Unabhängigkeitserklärung<br />

Kosovos am 17.02.2008 wurde von der albanischen Regierung<br />

sehr begrüßt und von der Bevölkerung gefeiert.<br />

Dennoch sind Bestrebungen nach einem „Groß-<strong>Albanien</strong>“<br />

kein Element der offiziellen albanischen Außenpolitik.<br />

4<br />

Abbildung 1:<br />

Flagge „Großalbanien“<br />

Schwierig ist das Verhältnis <strong>Albanien</strong>s zu Serbien. In den<br />

vergangenen Jahrzehnten gab es praktisch keine Beziehungen<br />

zwischen den beiden Ländern. Weil <strong>Albanien</strong><br />

auch in kommunistischer Zeit komplett isoliert war, gab<br />

es auch lange keine Verbindungen zu Jugoslawien. 5 Der<br />

Konflikt zwi schen Serben und Albanern geht zurück bis<br />

zum Berliner Kongress 1878, als große Teile des albanischen<br />

Siedlungsgebietes unter serbische Kontrolle<br />

geriet. Dass nach den Balkankriegen 1912 ein albanischer<br />

Staat entstand, hat daran nichts geändert. Das schlechte<br />

Verhältnis spitzte sich mit der Vertreibung der kosovoalbanischen<br />

Bevölkerung Ende der 1990er Jahre und<br />

der Unabhängigkeit Kosovos 2008 zu. Inzwischen findet<br />

zwar auf politischer Ebene ein Normalisierungsprozess<br />

zwi schen Serbien, Kosovo und <strong>Albanien</strong> statt, den noch<br />

sind bei vielen Menschen Ressentiments gegenüber der<br />

anderen Volksgruppe geblieben. Die Ausschreitungen<br />

während des Qualifikationsspiels zur Fußball-Europameisterschaft<br />

zwischen Serbien und <strong>Albanien</strong> im Oktober<br />

2014 werfen ein Schlaglicht auf die Beziehungen der Länder.<br />

Das Spiel in Belgrad wurde wegen Ausschreitungen<br />

abgebrochen. Auslöser war die per Drohne manö vrierte<br />

Flagge eines „Großalbaniens“ (siehe Ab bildung 1).<br />

Dieses „Großalbanien“ umfasst neben <strong>Albanien</strong> und<br />

Kosovo auch das südserbische Presevotal, den Westen<br />

Mazedoniens sowie Teile Montenegros und Nordgriechenlands.<br />

In mehreren Städten Nord serbiens kam es zu<br />

Zerstörungen albanischer Bäckereien und Imbisse. Die<br />

serbische Sonderpolizei musste Lokale in Novi Sad schützen.<br />

Auch eine Moschee wurde zur Zielscheibe serbischer<br />

Natio nalisten. Der Vorfall sorgte auch für Unruhe in Kosovo<br />

und führte zu gewaltsamen Zusammenstö ßen zwischen<br />

Serben und Albanern in Wien. Der für den 22.10.14<br />

geplante erste Besuch des albani schen Staatspräsidenten<br />

seit 68 Jahren in Serbien wurde zunächst verschoben,<br />

fand dann aber im November statt. Im Mai 2015 folgte<br />

der Gegenbesuch in dem Bemü hen, Fortschritte im<br />

zwischen staatlichen Verhältnis zu erreichen. Schließlich<br />

haben Serbien und <strong>Albanien</strong> völlig unterschiedliche Haltungen<br />

gegenüber der Unabhängigkeit Kosovos. 6<br />

Auch das albanisch-griechische Verhältnis ist schwierig.<br />

Zum einen wegen des Engagements des griechischen<br />

4 Auswärtiges Amt (Mai 2015): Länderinfos <strong>Albanien</strong><br />

– Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/<br />

DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />

Aussenpolitik_node.html<br />

5 derStandard (27.05.2015): Franzosen und Deutsche<br />

als Vorbilder für Serben und Albaner, http://derstandard.at/2000016473367/Franzosen-und-Deutscheals-Vorbild-fuer-Serben-und-Albaner<br />

(Abruf am<br />

19.08.2015)<br />

6 Deutsche Welle (26.05.2015) : Erster Staatsbesuch:<br />

Serbischer Premier in <strong>Albanien</strong>, http://www.<br />

dw.com/de/erster-staatsbesuch-serbischer-premierin-albanien/a-18476360


10<br />

Staates, der griechisch-orthodoxen Kirche und nationalistischer<br />

Verbände zugunsten der griechischen Minderheit,<br />

aber auch wegen der Entschädigungsforderungen<br />

seitens der Nachfah ren von albanischen Muslimen<br />

(Çamen), die nach dem Zweiten Weltkrieg als angebliche<br />

Kollabo rateure der Italiener aus Nordgriechenland<br />

vertrieben wurden. 7 Nach dem Abbruch des EM-Qualifikationsspiels<br />

zwischen Serbien und <strong>Albanien</strong> trugen 100<br />

Personen Transparente mit alba nisch-nationalistischen<br />

Botschaften und zerschmetterten Schaufenster von<br />

Läden und Automobile der griechischen Minderheit im<br />

Dorf Dervičan an der albanisch-griechischen Grenze. 8<br />

1.2 Innenpolitische Lage<br />

Die innenpolitische Lage wird seit Jahren vom Gegensatz<br />

zwischen der konservativen Demokrati schen Partei <strong>Albanien</strong>s<br />

(PD) und der sozialdemokratisch orientierten Sozialistischen<br />

Partei Albani ens (PS) geprägt. Beide stehen<br />

sich unversöhnlich gegenüber und haben eine Reihe von<br />

kleineren Parteien als (teils wechselnde) Bündnispartner<br />

um sich geschart. Ein wichtiger Akteur dabei ist die<br />

Demokratische Partei (PD) des ehemaligen Ministerpräsident<br />

Sali Berisha, in der sich die antikom munistische<br />

Opposition 1991 organisiert hat. Sali Berisha war in den<br />

letzten zwei Jahrzehnten der dominierende Politiker.<br />

Trotz Mitgliedschaft in der Demokratischen Partei zählt<br />

er eigentlich zur „alten Garde“. Seine Kritiker werfen ihm<br />

groß angelegte Korruption und Vetternwirtschaft vor.<br />

Auch offene Wahlfälschungen sollen auf sein Konto gehen.<br />

Gegenspieler ist die Sozialistische Par tei <strong>Albanien</strong>s<br />

(PS) unter Edi Rama (vorher unter Fato Nano), die aus<br />

der kommunistischen Partei der Arbeit <strong>Albanien</strong>s (PPSH)<br />

hervorgegangenen ist. Zwischen den beiden Partien gibt<br />

es seit 20 Jahren nicht nur Meinungsverschiedenheiten,<br />

sondern tiefgründige Abneigung und ritualisierten Streit.<br />

Die parlamentarischen Auseinandersetzungen waren und<br />

sind geprägt von permanentem Konflikt zwischen der PD<br />

und der PS: um ideologische Zuordnungen des Lagers,<br />

um Verbindungen zum früheren kommunistischen Re-<br />

7 Schmidt-Neke, Michael (2014): Handbuch Balkan:<br />

<strong>Albanien</strong> in Europa. Slavistische Studienbücher<br />

Wiesbaden<br />

8 Voice of Serbia (2014): Albanische Extremisten<br />

griffen griechische Minderheit an; http://www.ser-<br />

biennachrichten.com/index.php/gesellschaft/1101-<br />

schockierend-albanische-extremisten-griffen-griechische-minderheit-an<br />

gime, über inhaltliche Themen, um die Rechtsmäßigkeit<br />

der Wahlen und um die Besetzung von Richterpositionen.<br />

Das Parlament <strong>Albanien</strong>s funktionierte durch diesen<br />

Dauerstreit bisher nur sehr eingeschränkt, ein konstruktiver,<br />

politischer Dialog war nicht gegeben. Selbst Gewaltanwendung<br />

war nicht tabu. Im Parlament <strong>Albanien</strong>s<br />

gab es mehrfach tumultartige Auseinandersetzungen mit<br />

enormem Körpereinsatz. 9<br />

Seit dem Ende des Kommunismus gab es keine Parlamentswahl,<br />

deren Ergebnis die unterlegene Partei<br />

akzeptiert hätte. Nach dem Kopf-an-Kopf-Rennen bei<br />

der Wahl 2009 und dem erneuten knappen Sieg der PD<br />

unter Berisha, war die Enttäuschung der Opposition<br />

sehr groß. Das führte zu einem fast permanenten Boykott<br />

des Parlaments, zu Protesten auf der Straße und zu<br />

einem Hunger streik von Abgeordneten der PS. Im Jahr<br />

2011 kam es anlässlich einer Großdemonstration gegen<br />

die Regierung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />

zwischen den Protestierenden und der Polizei. Vier Menschen<br />

kamen ums Leben. Rund 120 Personen, darunter<br />

auch viele Polizisten, wurden verletzt. Oppositionsführer<br />

Edi Rama sprach von den Getöteten als Helden, die sich<br />

geopfert hätten. Berisha bezeichnete die Auseinandersetzungen<br />

als Versuch der Opposition, die Regierung durch<br />

einen Putsch zu stürzen. Die europäischen Botschaften<br />

und die EU mussten die Wogen glätten und verhandelten<br />

mit beiden Kontrahenten, um die Lage zu beruhigen. 10<br />

Erstmals nach der Wahl im Juni 2013 konnte die PS ein<br />

Sieg erringen und Sali Berisha räumte seine Wahlniederlage<br />

ein. Die Wahl selbst verlief laut OSCE weitgehend<br />

reibungslos. In Anerkennung des diesmal demokratisch<br />

und glatt verlaufenden Machtwechsels und der von der<br />

Regierung Rama eingeleiteten Reformpoli tik hat die EU<br />

<strong>Albanien</strong> im Juni 2014 den EU-Beitrittskandidatenstatus<br />

verliehen. 11<br />

9 Konrad-Adenauer-Stiftung (Februar 2011): Der<br />

Dauerstreit zwischen Regierung und Opposition<br />

eskaliert; http://www.kas.de/albanien/de/publications/21981/<br />

(Abruf am 05.08.2015)<br />

10 Konrad-Adenauer-Stiftung (Februar 2011): Der<br />

Dauerstreit zwischen Regierung und Opposition<br />

eskalierte; http://www.kas.de/albanien/de/publications/21981/<br />

(Abruf am 05.08.2015)<br />

11 Auswärtiges Amt (November 2014): Länderinformationen,<br />

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/<br />

Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />

Innenpolitik_node.html (Abruf am 13.05.2015)


11<br />

Die aktuelle Regierungskoalition unter Premierminister<br />

Edi Rama 12 (PS) setzt sich aus folgenden Parteien und<br />

Fraktionen zusammen: der Sozialistischen Partei (PS,<br />

65 Sitze), der Sozialistischen Bewegung für Integration<br />

(LSI, 16 Sitze), der Menschenrechtspartei (PBDNJ, 1<br />

Sitz) und der Christdemokra tischen Partei (PKDSH, 1<br />

Sitz). In der Opposition befinden sich die Fraktion der<br />

Demokratischen Partei (PD, 50 Sitze), die Albanische<br />

Republikanische Partei (RP, 3 Sitze) und die Partei für<br />

Gerechtigkeit, Integration und Einheit (PDIU, 4 Sitze).<br />

Erklärte Hauptziele der seit Sep tember 2013 amtierenden<br />

Regierung unter Führung der Sozialistischen Partei von<br />

Premierminister Edi Rama sind die weitere Annäherung<br />

an die Europäische Union und die Durchsetzung der dazu<br />

notwendigen Reformen auf allen politischen Ebenen.<br />

Dazu gehören die effektive Bekämpfung der organisierten<br />

Kriminalität und der auf allen Ebenen grassierenden<br />

Korruption. Daneben sind die Verbesserung der rückständigen<br />

Infrastruktur sowie die Schaffung eines investitionsfreundlichen<br />

Wirtschaftsklimas die wichtigsten<br />

Aufgaben. Edi Rama hat entschlossene Reformschritte<br />

zur Stär kung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet und<br />

verzeichnet erste Erfolge im Kampf gegen Korruption<br />

und organisiertes Verbrechen. Im Jahr 2014 wurde die<br />

lang fällige Gebietsreform verabschiedet, die künftig die<br />

Staatsfläche in 61 Städte einteilt. 13<br />

Im Juni 2015 fanden Kommunalwahlen statt. Regierung<br />

und Opposition sahen diese als landeswei ten Stimmungstest,<br />

weshalb im Wahlkampf nationale Themen<br />

dominierten. Die Begleitung des Wahlkampfes durch<br />

internationale Beobachter war diesmal besonders stark.<br />

12 Edi Rama (geb. 04.07.1964 in Tirana) ist Kunstprofessor.<br />

Er beteiligte sich aktiv an der ersten Demokratiebewegungen<br />

in <strong>Albanien</strong> Anfang der 1990er<br />

Jahre. Er lebte als Künstler von 1995-97 in Paris. Seit<br />

Oktober 2005 ist er Vorsitzender der Sozialistischen<br />

Partei <strong>Albanien</strong>s (PS). Zwischen 2000 und 2011 war<br />

er Bürgermeister von Tirana. Als Bürgermeister<br />

organisierte er Studenten, um ganze Stadtviertel zu<br />

reinigen, Parks zu erneuern, Bäume zu pflanzen und<br />

Gehsteige instand zu setzen. Er wurde zum Weltbürgermeister<br />

2004 gewählt und stand auf der Time<br />

Magazine Liste der Europäischen Helden 2005. Seit<br />

dem 10.09.2013 ist er der 12. Ministerpräsident <strong>Albanien</strong>s<br />

(Wikipedia).<br />

13 Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung<br />

und Zusammenarbeit BMZ https://www.bmz.<br />

de/de/was_wir_machen/laender_regionen/Mittel-<br />

Ost-und-Suedosteuropa/albanien/zusammenarbeit/index.html<br />

Zum einen galten die Wahlen als Test für die demokratische<br />

Entwicklung des Landes, nachdem <strong>Albanien</strong> 2014<br />

den Status eines EU-Kandidaten zuerkannt bekommen<br />

hatte. Zum anderen waren Wahlen in den vergangen<br />

Jahren oft von Manipulationen bis hin zur Gewalt und<br />

überschattet gewesen. Als größtes Problem im Rahmen<br />

der Manipulationsversuche war auch diesmal wieder<br />

der mehr oder weniger offene Stimmenkauf. Dieser fand<br />

sowohl im Vorfeld statt als auch am Wahltag selbst. Die<br />

Vorwürfe der Opposition konnten in zahlreichen Fällen<br />

nachgewiesen und auch von internationalen Beobachtern<br />

weitestgehend bestätigt werden. Jedoch wurden<br />

sowohl von den internationalen als auch nationalen<br />

Wahlbeobachtern und schließlich der Zentralen Wahlkommission<br />

die Wahlen nicht beanstandet oder die<br />

Ergebnisse in Frage gestellt. Bei den Kommunalwahlen<br />

konnte sich die regierende Links koalition durchsetzen<br />

(sie gewann 46 der 61 Bürgermeisterämter und auch in<br />

allen wichtigen gro ßen Städten wie Tirana, Durres, Korca,<br />

Elbasan und Vlora). Die Opposition mit dem neuen PD-<br />

Vorsitzendem Luzim Basha (ehemals Bürgermeister von<br />

Tirana) musste eine herbe Niederlage hin nehmen. 14<br />

1.3 Sicherheitslage<br />

Die Sicherheitslage ist stabil. Während der Kosovo-Krise<br />

1999 erwies sich <strong>Albanien</strong> als Stabilitäts faktor in der<br />

Region. Die Regierung bekannte sich zur Haltung der<br />

internationalen Gemeinschaft gegenüber Jugoslawien<br />

und distanzierte sich von Extremisten in Kosovo. Auch<br />

von den gewalttäti gen Ausschreitungen der albanischstämmigen<br />

Mazedonier im Frühjahr und Sommer 2001<br />

distan zierte sich die albanische Regierung deutlich und<br />

umfassend. Beeinträchtigend für die allgemeine Sicherheitslage<br />

sind nur die relativ hohe Kriminalitätsrate, die<br />

in den letzen fünf Jahren wieder zu genommen hat sowie<br />

neue Bedrohungen durch radikale Islamisten (vgl. unter<br />

2.8. und 2.9).<br />

1.4 Wirtschaftliche und soziale Lage<br />

Im Jahr 1988 stufte der Entwicklungshilfeausschuss der<br />

Organisation für wirtschaftliche Zusam menarbeit und<br />

Entwicklung (OECD) <strong>Albanien</strong> als Entwicklungsland ein.<br />

14 Konrad-Adenauer Stiftung (26.07.2015): Kommunalwahlen<br />

in <strong>Albanien</strong>, http://www.kas.de/wf/doc/<br />

kas_42073-1522-1-30.pdf?150716154451


12<br />

<strong>Albanien</strong> war zu der Zeit das am wenigsten entwickelte<br />

Land Europas, mit einem Lebensstandard, der dem eines<br />

Dritten weltlandes entsprach. Das jähe Ende der Planwirtschaft<br />

und die Auflösung der landwirtschaftlichen<br />

Genossenschaften, verbunden mit der Entwertung des<br />

albanischen Lek, führten zu Massenarbeitslo sigkeit und<br />

Einkommen und Renten, die ein Überleben nicht ermöglichten.<br />

Die wichtigste Strategie der Bevölkerung dagegen<br />

war und ist (neben einer florierenden Schattenwirtschaft)<br />

die Arbeitsmigration. Die extrem liberale Wirtschaftspolitik<br />

der ersten Regierungen führte neben ernsthaften<br />

Investionen aber auch zu unseriösen Geschäftenspraktiken.<br />

Die als „Pyramidengesellschaften“ bekannten Anlagefonds<br />

kosteten Hundertausend Menschen ihre gesamten<br />

finanziellen Reserven, was 1997 zu einem neuerlichen<br />

Zusammenbruch der staatlichen Strukturen führte. Erst<br />

danach hat sich Albanies Wirtschaft konsolodiert. Mit<br />

Wachstumsraten von durchschnittlich 6 % ist <strong>Albanien</strong><br />

in den Jahren bis 2010 sogar aufgerückt in die Reihe der<br />

„Länder mittleren Einkommens“. Danach schwächte sich<br />

das Wachstum wieder stark ab. Im Zuge der euro päischen<br />

Schuldenkrise und regionaler Stagnation sank auch in<br />

<strong>Albanien</strong> das Wachstum von 6 % (im Durchschnitt der<br />

Jahre 2000-2010) auf 0,7 % im Jahr 2013. Nach knapp 2 %<br />

im Jahr 2014 wird für 2015 mit einem Wachstum von<br />

2,5 % gerechnet. 15<br />

Laut Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2014 gehört<br />

<strong>Albanien</strong> zu der Gruppe der Marktwirt schaften mit<br />

Funktionsdefiziten. Die Wirtschaft wurde 2014 schlechter<br />

bewertet als 2012, da es geringere Rücküberweisungen<br />

aus dem Ausland gab. 16 Noch heute gehört der landwirtschaftlich<br />

geprägte Staat im europäischen Vergleich<br />

zu den ärmsten Ländern. Auf dem Human Development<br />

Index rangiert <strong>Albanien</strong> auf Platz 70 von 187 Ländern. Die<br />

Arbeitslosenrate steigt seit 2012 (13,4 %) wieder an und<br />

liegt offiziell bei 17,7 %. 17 Allerdings handelt es sich hierbei<br />

nur um registrierte Arbeitslose. Man geht von einer<br />

verdeckten Arbeitslosigkeit von weiteren rund 15 % aus. 18<br />

Der Anteil der Schattenwirtschaft soll bei 40 - 60 % aller<br />

wirtschaftlichen Aktivitäten liegen. 19 Von Arbeitslosigkeit<br />

betroffen sind vor allem junge Menschen, Minderheiten<br />

und Rückkehrer. Die Jugendarbeistlosigkeit soll bis zu<br />

50 % betragen. Der Anteil der Jugendlichen, der weder in<br />

Arbeit noch in Ausbildung ist, beträgt 30 %. Ein „National<br />

Action Plan for Youth 2014-20“ (Ausbildung, Beschäftigung,<br />

Gesundheit) ist in Arbeit. 20<br />

<strong>Albanien</strong> ist ein typisches Importland. Das Handelsbilanzdefizit<br />

ist groß. Es gibt nur wenig industrielle<br />

Arbeitsplätze. Rund 60 % der Wertschöpfung entfällt<br />

auf den Dienstleistungssektor, der vor allem durch<br />

die Finanzwirtschaft, den Handel und den Tourismus<br />

gespeist wird. Knapp die Hälfte der Erwerbstätigen ist<br />

in der Landwirtschaft tätig, deren Großteil jedoch der<br />

Subsistenzwirtschaft, also dem Eigenbedarf dient. Die<br />

Produktivität in der Landwirtschaft ist auch heute noch<br />

sehr gering. Hauptprobleme sind der Mangel an Kapital<br />

für Investitionen, unzureichende Bewässerungssysteme,<br />

veraltete Produktionsmethoden und die starke Zerstückelung<br />

der Anbauflächen. Der Großteil des BIP wird in<br />

der Küstenregion erwirtschaftet, insbesondere im Raum<br />

Tirana/Durres. Dagegen ist in vielen unwegsamen Bergregionen<br />

eine soziale und ökonomische Entwicklung<br />

kaum spürbar. Es findet eine erhebliche Binnenwanderung<br />

aus strukturschwachen Gebieten in die Städte<br />

statt. 21 <strong>Albanien</strong> hat immer noch Probleme im Bereich<br />

der Infrastruktur, besonders in den ländlichen Regionen.<br />

In abgelegenen Bergregionen bleiben Haushalte mehrere<br />

Tage ohne Strom. Aber auch in den Städten sind Stromausfälle<br />

nicht selten.<br />

Der monatliche Durchschnittslohn beträgt 377 Euro. 22<br />

Die Schere zwischen dem oft sehr geringen Familieneinkommen<br />

aus Inlandsbezügen und den (zumindest in der<br />

Hauptstadt Tirana und den anderen größeren Städten)<br />

15 Auswärtiges Amt ( Mai 2015): <strong>Albanien</strong> Wirtschaft<br />

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/Wirtschaft_<br />

node.html<br />

16 BTI 2014: Regionalbericht Ost-Mittel und Südosteuropa;<br />

http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_<br />

download/BTI_2014_Regionalbericht_Ostmittel-_<br />

und_Suedosteuropa.pdf (Abruf am 17.08.2015)<br />

17 Auswärtiges Amt, Länderinformationen a.a.O.<br />

18 Friedrich-Ebert-Stiftung (Juni 2015): <strong>Albanien</strong> vor<br />

den Kommunalwahlen http://library.fes.de/pdffiles/id-moe/11471.pdf,<br />

Abruf am 10.08.2015<br />

19 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

20 European Commission, Progress Report, Albania,<br />

October 2014<br />

21 Auswärtiges Amt, Länderinformationen <strong>Albanien</strong>,<br />

Mai 2015<br />

22 Auswärtiges Amt, ebd.


13<br />

hohen Lebenshaltungskosten wurde in vielen Fällen<br />

durch regelmäßige Zahlungen von ins Ausland (vor allem<br />

nach Italien und Griechenland) gegangenen Familienangehörigen<br />

geschlossen. 23 Aufgrund der Wirtschaftskrise<br />

und der damit einsetzenden Rückkehr, hat die albanische<br />

Diaspora im Ausland seit 2013 spürbar weniger Geld in<br />

die Heimat überwiesen als in den Jahren davor. Angaben<br />

der Zentralbank zufolge entsprach der Rückgang einem<br />

Minus von 26,5 % gegenüber dem Vorjahr. 24<br />

Bei der Armutsbekämpfung erzielte <strong>Albanien</strong> zunächst<br />

Erfolge. Von 2002 bis 2008 sank der Bevölkerungsanteil<br />

der Armen von 25,4 auf 12,4 %, der Anteil der in extremer<br />

Armut (weniger als 1 USD pro Tag) lebenden Personen<br />

fiel von 4,7 auf 1,2 %. Im Jahr 2012 betrug der Anteil der<br />

Armen aber wieder 14,3 %. 25 In absoluter Armut (weniger<br />

als 2,5 USD pro Tag) leben 4,3 %. 26<br />

Eine Vielzahl von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen<br />

engagiert sich im sozialen Bereich.<br />

Auch die UN unterstützt <strong>Albanien</strong> bei Reformen. 27<br />

Im Jahr 2012 nahm die Regierung einen zweiten Plan<br />

„Social Protection and Social Inclusion“ für den Zeitraum<br />

2013-2020 an. Dieser enthält neue wirtschaftliche Hilfen<br />

für arme Familien und Sozialunterstützungen für Kinder,<br />

Minderheiten, Behinderte, ältere Personen und Opfer<br />

von Menschenhandel. 28 Im Rahmen dieses Plans wird<br />

das Gesetz für Sozialhilfe überarbeitet, im Februar 2015<br />

wurde ein Kinderschutz-Protokoll verabschiedet. 29 Der<br />

albanische Staat gewährt bedürftigen Familien bei der<br />

Erfüllung bestimmter Kriterien eine geringe Sozialhilfe.<br />

Laut Zensus 2011 erhielten 9,4 % der Albaner und 53 %<br />

der Roma/Ägypter staatliche Beihilfen. 30 Grundnahrungsmittel,<br />

in erster Linie Brot, werden subventioniert.<br />

Insbesondere im ländlichen Bereich kommt der Großfamilie<br />

nach wie vor die Rolle zu, Familienmitglieder in<br />

Notlagen aufzufangen. 31<br />

Nach dem Systemwechsel sank die Zahl der Gesundheitseinrichtungen<br />

zunächst drastisch, sie stieg erst ab 2003<br />

durch die Einrichtung von Ambulanzen und dörflichen<br />

Gesundheitsstationen wieder an. 32 Im Jahr 2010 gab es 44<br />

Krankenhäuser, 2.079 Ambulanzen und 475 Gesundheitsstationen.<br />

Medizini sches Personal ist aber knapp, es gibt<br />

lediglich 1,1 Ärzte pro 1.000 Einwohner (1,9 in Bos nien,<br />

2,1 in Montenegro, 3,0 in Moldawien) und 3,9 Pflegekräfte<br />

und anderes Personal pro 1.000 Einwohner (Bosnien 5,6;<br />

Montenegro 5,4; Moldawien 6,5). 33<br />

Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern<br />

und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos. Da<br />

Ärzte und Pflegepersonal jedoch nur geringe Gehälter<br />

erhalten, müssen die Patienten in der Praxis erhebliche<br />

Zuzahlungen leisten. Das Gesundheitswesen ist hochgradig<br />

korruptionsbe lastet; Bestechungsgelder werden<br />

verlangt und gezahlt. Ärzte und Pflegepersonal sehen sich<br />

auch Bedrohungen und Übergriffen durch Angehörige<br />

von Patienten ausgesetzt, wenn der erwartete Heilungs-<br />

23 Munzinger Online/Länder - Internationales Handbuch,<br />

„<strong>Albanien</strong> - Soziales und Bildung“ (26.03.2013);<br />

http://www.munzinger.de/document/03000ALB040<br />

(Abruf am 11.8.2015)<br />

24 Germany Trade and Invest - GTAI (17.06.2014): <strong>Albanien</strong><br />

steuert auf ein Wirtschaftswachstum von<br />

knapp 2 % zu; http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/<br />

DE/Trade/Maerkte/suche,t=albanien-steuert-<br />

2014-auf-ein-wirtschaftswachstum-von-knapp-<br />

2-zu,did=1032718.html (Abruf am 11.08.2015)<br />

25 The Worldbank (2015): Data Albania, http://<br />

data.worldbank.org/country/albania (Abruf am<br />

11.08.2015)<br />

26 Auswärtiges Amt, a.a.O..<br />

27 Government of Albania and United Nations:<br />

Progress Report 2014, http://www.al.undp.org/<br />

content/dam/albania/docs/2014%20Progress%20<br />

Report_Albania_FINAL%20compressed.pdf (Abruf<br />

am 12.08.2015)<br />

28 European Commission, Albania 2013 Progress Report<br />

29 UNICEF – Albania: Social Care Reform; http://www.<br />

unicef.org/albania/children_24924.html<br />

30 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />

Egyptians in Albania:a socio-demographic and economic<br />

profile based on the 2011 census; http://www.<br />

al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%20<br />

2011%20Profile%20of%20Roma%20and%20Egyptians%20final.pdf<br />

(Abruf am 02.09.2015)<br />

31 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

32 List of Public Hospitals in Albania; http://www.<br />

euraxess.al/documents/PublicHospitals.pdf (Abruf<br />

am 12.08.2015)<br />

33 UNICEF (23.07.2015): Child Notice http://www.refworld.org/docid/55b0dda14.html


14<br />

erfolg nicht eintritt. 34 Ausstattung und Hygiene der staatlichen<br />

Krankenhäuser und Polikliniken lassen erheblich<br />

zu wünschen übrig. Die Ärzte sind zwar im Regelfall gut<br />

ausgebildet, beim Pflegepersonal sind jedoch Defizite zu<br />

verzeichnen. Kompliziertere Behandlungen können nur<br />

in Tirana und in anderen größeren Städten durchgeführt<br />

werden. Die Situation in psychiatrischen Kliniken ist<br />

erschreckend. Einige gut ausgestattete Privatkliniken<br />

bieten in den größeren Städten ihre Dienste an; sie sind<br />

jedoch für einen Großteil der Bevölkerung zu teuer. Die<br />

Versorgung mit Medikamenten stellt kein Problem dar.<br />

Die örtlichen Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment<br />

von gängigen Medikamenten an, die zum großen<br />

Teil aus der EU importiert werden. Es besteht die Möglichkeit,<br />

weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen.<br />

Die staatliche Krankenversi cherung übernimmt<br />

in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei<br />

Standard-Medikamen ten. Teurere Medikamente oder<br />

solche für außergewöhnliche Krankheiten gehen zu Lasten<br />

des Pa tienten. 35<br />

Das Institut für Gesundheitsversicherungen (Health<br />

Insurance Institute) trägt die Kosten für primäre Gesundheitsversorgung<br />

und erstattet die Kosten für bestimmte<br />

Medikamente zurück. Vollständig versicherte Personengruppen<br />

sind Pensionierte, Arbeitslose, Studierende, Kinder<br />

und Jugendliche bis achtzehn Jahren. Ebenfalls abgedeckt<br />

sind Personen, die an bestimmten Krankheiten (wie<br />

z. B. Krebs, Tuberkulose) leiden oder eine Nierentransplantation<br />

benötigen. Die übrige Bevölkerung ist gesetzlich<br />

verpflichtet eine jährliche Versicherungsprämie zu<br />

zahlen und bekommt ein individuelles „Health Booklet“.<br />

Die Höhe der Prämie variiert je nach Wohnort. Nachteilig,<br />

insbesondere für so zial schwächere Personengruppen,<br />

wirkt sich dabei die hohe Korruptionsanfälligkeit aus. 36<br />

Beson ders in ländlichen Gebieten sind der Zugang und<br />

die Versorgung weiter schwierig. Es wurden Schritte<br />

34 European Commission, Albania 2014 Progress Report<br />

Munzinger Online/Länder - Internationales Handbuch,<br />

„<strong>Albanien</strong> - Soziales und Bildung“ (26.03.2013);<br />

http://www.munzinger.de/document/03000ALB040<br />

(Abruf am 11.8.2015)<br />

35 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

36 Schweizer Flüchtlingshilfe SFH (13.2.2013): Posttraumatische<br />

Belastungsstörungen, Blutrache<br />

unternommen, um auch dort den Zugang für Roma zu<br />

Gesundheitsversorgung durch Ge meindeschwestern<br />

und Hausbesuche zu verbessern. Ernährungsprogramme<br />

laufen weiter. Die Un terernährung von Kindern gibt nach<br />

wie vor Anlass zu ernster Sorge. 37<br />

1.5 Gesellschaftliche Entwicklung<br />

<strong>Albanien</strong> hat nach dem Fall des Kommunismus einen<br />

grundlegenden Umbruch erlebt. Plötzlich sollte die albanische<br />

Gesellschaft von einer hermetisch isolierten<br />

zu einer offenen Gesellschaft transformiert worden. Der<br />

neue Staat war „improvisiert“, ohne demokratische Tradition,<br />

der keine Verantwortung für die Bürger übernahm.<br />

Wirtschaftsliberalismus und ein sich rasch ausbreitender<br />

Kapitalismus trafen das Land unvorbereitet. Privatisierung<br />

führte zu großen sozialen Diskrepanzen und teilte<br />

die Bevölkerung in arm und reich. Korruption und Nepotismus<br />

waren die Folgen. Die albanische Gesellschaft<br />

leidet noch heute unter einem gebrochenen Verhältnis<br />

der Bürger zu Ge meinwesen und Staat. Deshalb werden<br />

Bestechung und Steuerhinterziehung nicht als unsoziale<br />

Handlungen verstanden. 38 Viele demokratische Gesetze,<br />

die seit der Öffnung des Landes implementiert wurden,<br />

finden keine Entsprechung in den gesellschaftlich verankerten<br />

Normen und Werten. 39<br />

Die staatliche Ordnung konnte sich vor allem im Norden<br />

<strong>Albanien</strong>s kaum etablieren, so dass die Menschen auf<br />

Grund des entstandenen Vakuums auf überlieferte Regeln<br />

zurückgriffen. Im Chaos des postkommunistischen<br />

<strong>Albanien</strong>s kam es zu einer Renaissance des Gewohnheitsrechts<br />

und der Blutrache (vgl. unter 3.12). Traditionelle<br />

Rollenteilung und Verhaltensregeln sind häufig noch eine<br />

Selbstverständlichkeit. In Teilen der albanischen Gesellschaft,<br />

vor allem in den ländlichen nördli chen Gebieten<br />

(v. a. in den Distrikten Shkoder, Lezha, Kukes, Diber)<br />

werden noch heute viele Be reiche des Alltagslebens,<br />

insbesondere die Regeln des Familienlebens auch von<br />

37 European Commission (10.2014): Albania Progress<br />

Report<br />

38 Iris Hescht (2007): Albanische Identitäten in der Veränderung;<br />

http://www.kakanien-revisited.at/beitr/<br />

emerg/IHerscht1.pdf<br />

39 Norma Osterberg-Kaufmann (2011): Erfolg und<br />

Scheitern von Demokratiserungsprozessen (S. 67),<br />

Wiesbaden VS Verlag für Sozialwissenschaften.


15<br />

den Normen und Regeln des Gewohnheitsrechts<br />

(des sog. Kanuns) bestimmt.<br />

Dieses ursprünglich ungeschriebene<br />

Rechtssystem bestimmte die wesentlichsten<br />

Aspekte des Sozialverhaltens in den<br />

abgelegenen und sonst gesetzlosen Gegenden<br />

Nordalbaniens. Der Kanun ist Strafrecht,<br />

Zivilrecht und öffentliches Recht<br />

in einem und Wurzel der traditionellen<br />

Wertemuster. Patriarchalität, patrilineare<br />

Abstam mung, Ehre und Waffen spielen<br />

in der albanischen Gesellschaft noch immer<br />

eine wesentliche Rolle. Zur Sühnung<br />

von Tötungen und Ehrverletzungen oder<br />

zur Beseitigung der Schande ist auch die<br />

Blutrache in <strong>Albanien</strong> weiterhin präsent.<br />

Das Gewohnheitsrecht steht in Konkurrenz,<br />

teilweise in Widerspruch zu den<br />

Bestimmungen des staatlichen Rechts. Auf<br />

welche Normenkategorie sich der Einzelne<br />

bezieht, hängt von verschiedenen Faktoren ab; so von<br />

der Akzeptanz staatlicher oder ge wohnheitsrechtlicher<br />

Normen, von „traditioneller“ oder „moderner“ Lebensführung,<br />

von strategi schen Vorteilen, vom sozialen Umfeld<br />

und ob staatliche Institutionen Recht durchsetzen<br />

können. 40<br />

Eine Zivilgesellschaft ist kaum verankert. Die erste Nichtregierungsorganisation<br />

wurde 1990 ge gründet. Kurz nach<br />

den Studentendemonstrationen hat eine Gruppe von<br />

Professoren und Journalis ten einen nicht-politischen<br />

Verein gegründet, das Albanische Helsinki Komitee (HAK<br />

- Komiteti Shqiptar i Helsinkut). Bis heute ist die Zivilgesellschaft<br />

relativ schwach und schlecht organisiert. Relevante<br />

soziale Interessen wie Frauenrechte oder soziale<br />

Gerechtigkeit sind unterrepräsentiert. Einzige Ausnahme<br />

ist die MJAFT („Genug“), die öffentlichkeitswirksam Missstände<br />

anprangert. 41<br />

Abbildung 2: Von 1990 bis 1992 haben Tausende das Land verlassen 43<br />

1.6 Migration<br />

Die albanische Migration gilt als welt weit einmalig aufgrund<br />

ihrer Intensität innerhalb einer kurzen Zeitspanne.<br />

Nachdem Auswanderung unter dem kommunistischen<br />

Regime fast ein hal bes Jahrhundert lang verboten war,<br />

kam es in den 1990er Jahren zu einer massi ven Abwanderung<br />

(vgl. Abbildung 2), die sich in der Folgezeit weiter<br />

intensi vierte. 42 Nach dem Zusammenbruch der Pyramidenspekulationen<br />

im Jahr 1997 gab es einen neuen<br />

Abwanderungsschub von ungefähr 70.000 Menschen<br />

in nur wenigen Monaten. 44 Bis zum Jahr 2010 sind rund<br />

1,4 Millionen Albaner ausgewandert (das entspricht der<br />

Hälfte der aktuell ca. 2,8 Millionen Einwohner) und lebt<br />

im Ausland (Europa, Nordamerika), während viele weitere<br />

Albaner innerhalb des Landes migrierten. Mittlerweile<br />

lebt mehr als die Hälfte der Bewohner in städtischen<br />

40 Vgl. BAMF, <strong>Information</strong>, <strong>Albanien</strong> Blutrache (April<br />

2014)<br />

41 Norma Osterberg-Kaufmann (2011: S.52).<br />

42 Bundeszentrale für politische Bildung (2013): <strong>Albanien</strong>;<br />

http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/159260/albanien<br />

(Abruf am 17.08.2015)<br />

43 European Stability Imitative; http://www.esiweb.<br />

org/index.php?lang=de&id=311&film_ID=3&slide_<br />

ID=27<br />

44 European Stability Initiative; Massenexodus; http://<br />

www.esiweb.org/index.php?lang=de&id=311&film_<br />

ID=3&slide_ID=27, (Abruf am 17.08.2015)


16<br />

Gegenden und nur noch 46 % leben auf dem Land. 45 Die<br />

Migration ist primär wirtschaftlich motiviert (schlechte<br />

Lebensbedingungen, hohe Arbeitslosigkeit, geringe Löhne).<br />

Ein Großteil der Bevölkerung ging nach Griechenland<br />

(rund 700.000) und Italien (500.000). Da diese beiden<br />

Länder in den vergangenen Jahren besonders stark von<br />

der Wirtschaftskrise getroffen wurden, sahen sich immer<br />

mehr Albaner gezwungen, diese Länder wieder zu verlassen.<br />

Nach An gaben der albanischen Statistikagentur<br />

sind von 2009 bis 2013 133.000 Arbeitsmigranten aus<br />

Grie chenland und Italien zurückgekehrt, von denen aber<br />

lediglich 8 % wieder Fuß fassen konnten. 46<br />

Seit dem Wegfall der Visapflicht für albanische Staatsangehörige<br />

2010 steigt auch die Zahl der al banischen<br />

Asylantragsteller in Europa wieder an. Waren zunächst<br />

Frankreich, Schweden und Bel gien die Hauptzielländer<br />

für Asylmigration aus <strong>Albanien</strong>, haben seit Herbst 2013<br />

auch in Deutsch land die Zugangszahlen deutlich zugenommen.<br />

Seit Jahresanfang sind die Zahlen explosionsartig<br />

angestiegen und erreichten eine ungeahnte Größe<br />

Mitte des Jahres.<br />

45 Population and Housing Census (12.2011); http://<br />

www.instat.gov.al/media/155863/instat_paraprake.<br />

pdf (Abruf am 26.08.2015)<br />

46 Balkan Insight (08.10.2014): Returned Albania Migrants<br />

Face Hardship, Study Shows, http://www.<br />

balkaninsight.com/en/article/returned-albaniamigrants-face-hardships-at-home,<br />

(Abruf am<br />

26.08.2015)


17<br />

2<br />

Demokratische Strukturen<br />

und Rechtsstaatlichkeit<br />

Die NGO Freedom House bezeichnet <strong>Albanien</strong> 2015<br />

als „partly free“ und vergibt auf der Punkte skala von<br />

1-7 eine 3.0. Vom Bertelsmann Transformationsindex<br />

(BTI) erhält das Land 6,55 Punkte von 10 und wird als<br />

„defekte Demokratie“ bezeichnet. Mängel existieren vor<br />

allem im Bereich der politischen Repräsentation und<br />

zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation sowie bei der<br />

Rechtsstaat lichkeit und der Medienfreiheit. Polarisierung<br />

und Machtmonopolisierung beeinträchtigen die Demokratie.<br />

47<br />

2.1 Demokratische Strukturen<br />

Im Dezember 1990 wurde ein Mehrparteiensystem<br />

eingeführt, erste freie Wahlen fanden 1991 statt. Umfassende<br />

Reformen zur Gewährleistung der Menschenrechte<br />

wurden ab 1991/1992 eingeleitet. In einem ersten<br />

Verfassungsgesetz vom 29.04.1991 wurden wesentliche<br />

rechtsstaatliche Prinzipien wie parlamentarische Demokratie,<br />

Gewaltenteilung und die wichtigsten Grundrechte<br />

verankert. Im November 1998 wurde per Referendum die<br />

unter internationaler Mitwirkung erarbeitete Verfassung<br />

verabschiedet. 48 Die parlamentarische Republik <strong>Albanien</strong><br />

ist nach dieser Verfassung ein demokrati scher Rechtsstaat<br />

auf der Grundlage von Pluralismus und Gewaltenteilung,<br />

der die Grundrechte und -freiheiten sowie den Schutz<br />

der Minderheiten gewährleistet. Staatsoberhaupt ist der<br />

Staatspräsident (seit Juli 2012 Bujar Nishani). Der Premierminister<br />

(seit September 2013 Edi Rama - PS) führt die<br />

Regierung an, während der Präsident nur beschränkte<br />

ausführende Macht besitzt. <strong>Albanien</strong> verfügt über ein<br />

Ein kammerparlament mit 140 Abgeordneten.<br />

Seit 1991 wechselten sich die Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s<br />

(PD) und die Sozialistischen Partei (PS) mit der<br />

Regierungsbildung ab. 49 Bis zur Parlamentswahl 2013 gab<br />

es keine Wahlen, deren Ergebnis die unterlegene Partei<br />

akzeptiert hätte. Parlamentsboykott hatte Tradition.<br />

Kompromisse konnten dabei vielfach erst durch das Eingreifen<br />

internationaler Vermittler ausgehandelt werden.<br />

Auf Druck der EU hat das Land 2010 einen nationalen<br />

Aktionsplan beschlossen. Dieser beinhaltet unter anderem<br />

die Gewährleistung eines funktionierenden Parlaments<br />

und entsprechender parla mentarischer Verfahren<br />

sowie eine Reform des Wahlrechts, der öffentlichen<br />

Verwaltung, die Stär kung der Rechtstaatlichkeit sowie die<br />

Bekämpfung der Korruption und organisierten Kriminalität.<br />

50 Nur schleppend gelang es in den letzen Jahren<br />

Verwaltungs- und Regierungsstrukturen effizienter zu<br />

gestalten. Mangelnde Professionalität, niedrige Gehälter,<br />

Politisierung und Nepotismus beein trächtigen noch immer<br />

die Qualität der öffentlichen Verwaltung. Bis heute<br />

wird die Postenvergabe nach politischem Wohlverhalten<br />

und weniger nach Eignung vergeben. Dennoch konnten<br />

neben einer neuen Verfassung, eine Verwaltungsreform<br />

und zahlreiche weitere Reformen eingeleitet bzw. vollzogen<br />

werden.<br />

47 BTI 2014: Regionalbericht Ost-Mittel und Südosteuropa;<br />

http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_<br />

download/BTI_2014_Regionalbericht_Ostmittel-_<br />

und_Suedosteuropa.pdf (Abruf am 17.08.2015)<br />

48 Auswärtiges Amt (November 2014): Länderinformationen,<br />

http://www.auswaertiges-amt.de/DE/<br />

Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />

Innenpolitik_node.html (Abruf am 13.05.2015)<br />

Vgl. Zeittafel im Anhang<br />

49 Von 1992 bis 1997 und 2005 bis 2013 regierten die<br />

Demokraten; von 1997 bis 2005 und wieder ab 2013<br />

die Sozialisten.<br />

50 Treffpunkt Europa (17.07.2014): Und ewig lockt Europa:<br />

<strong>Albanien</strong> auf dem Weg zum EU-Beitritt, http://<br />

www.treffpunkteuropa.de/und-ewig-lockt-europaalbanien-auf-dem-weg-zum-eu-beitritt


18<br />

2.2 Mehrparteiensystem<br />

Während der sozialistischen Herrschaft hat es in <strong>Albanien</strong><br />

keinen politischen Pluralismus gegeben. Die Partei der<br />

Arbeit (PPSH) war das zentrale Verfassungsorgan. Unabhängige<br />

politische Parteien wurden erst 1990 zugelassen.<br />

Die Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (PD) war die die erste<br />

Oppositi onspartei, die sich gründete. Die Sozialistische<br />

Partei (PS) ist die Nachfolgepartei der PPSH. Seit dem hat<br />

sich ein zwei Lager-System gebildet, angeführt von der<br />

PD und der PS. Diese Parteien sind bis heute stark hierarchisch,<br />

personalisiert und klientelistisch. So wurde die<br />

PD von 1991 bis 2013 von Sali Berisha angeführt. Auch<br />

die PS wurde seit 1991 von ihrem Vorsitzenden Fato<br />

Nano domi niert und erst 2005 von Edi Rama abgelöst<br />

(vgl. 1.2). Neben der PD und der PS hat nur noch die vom<br />

Parlamentspräsidenten Ilir Meta geführte Sozialistische<br />

Bewegung für Integration (LSI) ein größeres Gewicht. Im<br />

Vorfeld der Parlamentswahlen 2013 verließ Ilir Meta und<br />

dessen Partei die seit 2009 gebildete Koalition mit den<br />

Demokraten, um zu den Sozialisten überzuwechseln. Seit<br />

September 2013 bilden sie zusammen die Regierung.<br />

In <strong>Albanien</strong> haben die Parteien weder Grundsatzprogramme<br />

noch ideologisch festgelegte Profile. Sie orientieren<br />

sich stattdessen vorrangig an ihren Vorsitzenden und<br />

deren Interessen. Das Parteien system ist sowohl auf nationaler<br />

wie auf kommunaler Ebene verkrustet. Die jeweiligen<br />

Wahlgewin ner verteilen die Arbeitsplätze (bis hin zu<br />

den Pförtnerposten) in der öffentlichen Verwaltung und<br />

anderen öffentlichen Institutionen an ihre Anhänger. Es<br />

geht bei Wahlen stets auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen,<br />

die Parteien der jeweiligen Opposition versprechen<br />

ihrer Klientel, ihnen Be schäftigung zu verschaffen.<br />

Angesichts der extrem hohen Arbeitslosenzahl sind die<br />

Parteien somit zu den größten „Arbeitsagenturen“ aufgestiegen.<br />

51<br />

Bei der letzten Wahl 2013 sind 66 Parteien und zwei<br />

Bündnisse angetreten, die<br />

Linke Koalition:<br />

Die „Allianz für ein europäisches <strong>Albanien</strong>“ (Aleanca për<br />

Shqipërinë Europiane) besteht aus insgesamt 35 Oppositionsparteien.<br />

Angeführt von Edi Rama (PS) erhielt sie<br />

58 % der Stimmen und 84 Sitze:<br />

• Sozialistische Partei (Socialiste Partia e Shqipërisë /<br />

PS)<br />

• Sozialistische Bewegung für Integration (Lëvizja<br />

Socialiste për Intigrim / LSI),<br />

• Union Partei für Menschenrechte (Partia Bashkimi<br />

Per Te Drejtat e Njeriut / PUB),<br />

• Christlich-Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (Partia<br />

Kristian Demokrate e Shqipërisë / PKDSh ).<br />

Rechte Koalition:<br />

Die „Allianz für Arbeit, Wohlstand und Integration“<br />

(Aleanca për Punësim, Mirëqenie dhe Integrim) bestehend<br />

aus 25 Parteien. Angeführt von Sali Berisha (PD)<br />

bekam sie 39 % der Stimmen und 56 Sitze:<br />

• Demokratische Partei (Partia Demokratike e<br />

Shqipërisë / PD),<br />

• Republikanische Partei (Partia Republikane e<br />

Shqipërisë / PR),<br />

• Partei für Gerechtigkeit, Integration und Einheit<br />

(Partia për Drejtësi, Integrim dhe Unitet / PDIU). 52<br />

Darüber hinaus sind im Parlament vertreten:<br />

• Vereinigung für die Menschenrechte (PBDNJ)<br />

(für die griechische Minderheit)<br />

• Christlich-Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (PKD).<br />

Nicht im Parlament vertreten, aber mit einer gewissen<br />

politischen Bedeutung sind:<br />

• Neuer Demokratischer Wind (FRD),<br />

• Agrar- und Umweltpartei (PAA),<br />

• Christdemokratische Partei (PDK),<br />

• Demokratische Allianz (AD),<br />

• Partei Soziale Demokratie (PDS) und<br />

• Sozialdemokratische Partei (PSD). 53<br />

51 Friedrich-Ebert-Stiftung (Juni 2015): <strong>Albanien</strong> vor<br />

den Kommunalwahlen; http://library.fes.de/pdffiles/id-moe/11471.pdf<br />

(Abruf am 05.08.2015)<br />

52 Konrad-Adenauer-Stiftung (24.06.2013); Die Parlamentswahlen<br />

in der Republik <strong>Albanien</strong>; http://www.<br />

kas.de/albanien/de/publications/34809/<br />

53 Das politische System in <strong>Albanien</strong>; http://www.<br />

albanien-dafg.de/das-politische-system-in-albanien/<br />

(Abruf am 04.08.2015)


19<br />

2.3 Freie Betätigungsmöglichkeit für<br />

die Opposition<br />

Es gibt eine Vielzahl offiziell registrierter Parteien verschiedener<br />

Ausrichtungen. Die Opposition kann sich<br />

frei betätigen. Im Jahr 2014 organisierte die Opposition<br />

mehrere Proteste gegen die Regierung, die alle friedlich<br />

blieben. Insbesondere in den Anfangsjahren der Republik<br />

kam es zu Behinderungen der politischen Opposition.<br />

Im Krisenjahr 1997 war die Verfolgung oppositioneller<br />

Politiker alltäglich. 54 Bei allen vergangenen Wahlen waren<br />

gewaltsame Übergriffe und Auseinandersetzungen<br />

zu verzeichnen. Erstmals 2013 wurde der Machtwechsel<br />

relativ friedlich vollzogen, aber auch 2013 wurde ein<br />

Politiker bei einer Schießerei getötet und zwei weitere<br />

Personen schwer verletzt. 55 Das politische Klima ist inzwischen<br />

zwar gemäßigter aber immer noch geprägt<br />

von Klientelwirtschaft und Korruption. Parteipolitische<br />

Zugehörigkeit bzw. Abhängigkeiten wirken weit in alle<br />

Aspekte des gesellschaftlichen Lebens hinein.<br />

2.4 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit<br />

Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wird im<br />

Allgemeinen respektiert. Demonstrationen sind möglich<br />

und verlaufen seit 2011 friedlich. NGOs können ohne<br />

Einschränkungen arbeiten, ha ben aber nur geringen<br />

politischen Einfluss. 56<br />

2.5 Meinungs- und Pressefreiheit<br />

Nach Einführung der Pressefreiheit 1991 war der Zeitungsmarkt<br />

überwiegend von Organen der Parteien und<br />

Verbände dominiert. Heute ist das Fernsehen das wichtigste<br />

Medium. Zeitungen erscheinen nur in geringen<br />

Auflagen und spielen vor allem auf dem Land kaum eine<br />

Rolle. Außerdem nutzt die Bevölkerung auch Radio- und<br />

54 Norma Osterberg-Kaufmann, VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />

Wiesbaden 2011; Erfolg und Scheitern<br />

von Demokratisierungsprozessen (S. 51)<br />

55 Konrad-Adenauer-Stiftung ( 24.06.2013): Die Parlamentswahlen<br />

in <strong>Albanien</strong><br />

56 Freedom House (2015): Freedom of the World - Albania,<br />

https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2015/albania#.Ve7h3dIViUk<br />

Fernsehprogramme aus Italien und Griechenland. 57 Die<br />

Medien sind Sprachrohre von Wirtschaftsinteressen,<br />

die eng mit politischen Parteien verwoben sind. Viele<br />

Rundfunkanstalten sind im Besitz einflussreicher Unternehmer,<br />

die eine deutliche politische Linie vorgeben. Die<br />

durch Verfassung gewährleistete Meinungs- und Pressefreiheit<br />

wird im Allge meinen respektiert. Es gibt jedoch<br />

Berichte, wonach Regierung und Wirtschaft die Medien<br />

in unan gemessener Weise – bis hin zur Bedrohung von<br />

Journalisten – beeinflussen. 58 Obwohl körperliche Attacken<br />

gegen Journalisten selten sind, ist die Androhung<br />

von Gewalt nicht unüblich. Vor allem, wenn es um Themen<br />

wie organisierte Kriminalität oder Korruption geht.<br />

Häufig kommt es zu Kla gen gegen Journalisten wegen<br />

Verleumdung. 59 Nach Jahren einer überwiegend negativen<br />

oder stagnierenden Entwicklung gibt es nun spürbare<br />

Fortschritte bei der Pressefreiheit. Nach der Rang liste<br />

von „Reporter ohne Grenzen“ aus 2015 rückte <strong>Albanien</strong><br />

von Rang 102 (2013) auf Platz 82 von 180 Ländern vor. Im<br />

September 2014 wurde ein <strong>Information</strong>sfreiheitsgesetz<br />

verabschiedet, um dem Zugang der Medien zu staatlichen<br />

<strong>Information</strong>en zu verbessern. 60<br />

2.6 Justiz und Polizei<br />

Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. Tatsächlich<br />

ist sie noch immer stark politisiert, wenig professionell<br />

und korruptionsanfällig. Daneben verhindern<br />

beschränkte Mittel, dass die Justiz unabhängig und<br />

effizient arbeitet. Derzeit ist noch immer eine Kultur<br />

der Straflosigkeit und fehlen der Implementierung von<br />

Regelwerken festzustellen. Nepotismus ist aufgrund der<br />

clanbasierten Gesellschaftsstrukturen und der geringen<br />

Größe des Landes allgegenwärtig. Administrative Kapazitäten<br />

sind gering ausgeprägt. Aufgrund der Schwäche<br />

der Institutionen des Staates werden viele Rechtsverstöße<br />

57 Reporter ohne Grenzen: <strong>Albanien</strong> https://www.<br />

reporter-ohne-grenzen.de/albanien/ (Abruf am<br />

19.08.2015)<br />

58 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

59 Konrad-Adenauer-Stiftung (2015): Media Freedom<br />

in Albania, http://www.kas.de/wf/en/71.13549/ (Abruf<br />

am 19.08.2015)<br />

60 Freedom House (2015): Freedom of the World - Albania,<br />

https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2015/albania#.Ve7h3dIViUk


20<br />

entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße<br />

verfolgt. Untersuchungshäft linge müssen teilweise sehr<br />

lange auf den Beginn ihrer Prozesse warten. Verfahren<br />

können mitunter mehrere Jahre in Anspruch nehmen.<br />

Mangelnde Qualifikation und Anfälligkeit der Richter<br />

für Kor ruption führen zu rechtsstaatlich zweifelhaften<br />

Ergebnissen. 61<br />

Die Justizreform gehört (neben der Bekämpfung von<br />

Korruption und organisiertem Verbrechen) deshalb<br />

zu den Schlüsselbedingungen für den Prozess der EU-<br />

Annäherung. Die neue Regierung ist entschlossen, glaubwürdige<br />

Fortschritte zu erzielen. Seit Herbst 2014 ist eine<br />

Rechtsberatungsmis sion der EU (EURALIUS) tätig, die<br />

der Regierung helfen soll, die richtigen Reformschritte<br />

zu identifizieren und umzusetzen. Die komfortable<br />

Mehrheit der Regierungskoalition lässt nun auch Verfassungsänderungen<br />

zu. Entscheidend für den Erfolg und<br />

die Glaubwürdigkeit der Reform wird sein, ob korrupte<br />

Richter aus ihren Ämtern entfernt werden. Eine Justizkommission<br />

wurde im No vember 2014 gegründet. Sie soll<br />

einen Gesetzesentwurf für die Reform des Justizwesens<br />

ausarbei ten. Ihre ersten Vorschläge umfassen die Entpolitisierung<br />

des Justizwesens. 62<br />

Im Juni 2015 hat eine vom Parlament eingesetzte Kommission<br />

ihren offiziellen Bericht zu den Zu ständen im<br />

albanischen Justizsystem veröffentlicht. 63 Die Spezialisten<br />

beschreiben korrupte Prakti ken als endemisches<br />

Problem auf allen Ebenen. Transparency International<br />

untersucht dabei die Anfälligkeit für unlauteres Verhalten<br />

in der öffentlichen Verwaltung. 100.000 bis 300.000<br />

USD soll etwa der Preis für einen Richterposten betragen.<br />

Damit wird direkt beim Hohen Justizrat interve niert, der<br />

für die Besetzung der Richterposten verantwortlich ist.<br />

Solche Summen werden demnach aber auch bezahlt, um<br />

die Versetzung von dörflichen Gerichten in die Städte zu<br />

erwirken oder zu beschleunigen – dorthin, wo mehr Bestechungsgelder<br />

zu erwarten sind. Polizisten können mit<br />

Geldzuwendungen veranlasst werden, Beweise zu unterschlagen,<br />

Staatsanwälte, um Verfahren fal len zu lassen<br />

und Richter, um diese unnötig in die Länge zu ziehen. 64<br />

Menschenrechtsorganisationen kritisieren insbesondere,<br />

dass es zu Verletzungen der Rechte von Angeklagten<br />

im Rahmen des Gerichtsprozesses komme. Viele Bürger<br />

hätten Schwierigkeiten beim Zugang zum Justizsystem.<br />

Dieser scheitere oft aus finanziellen Gründen. Ein<br />

Prozesskosten hilfe-Gesetz wurde zwar schon 2008 verabschiedet<br />

und eine Legal Aid Kommission gegründet. Allerdings<br />

habe sich das Gesetz in der Praxis nicht bewährt.<br />

Die Legal Aid Kommission arbeite ineffizient und wenig<br />

transparent. Prozesskostenhilfe in Zivilsachen würde<br />

vielen verweigert, vor allem Randgruppen wie den Roma.<br />

Am häufigsten werde Prozesskostenhilfe von NGOs zur<br />

Verfü gung gestellt. Pflichtverteidiger seien schlecht bezahlt<br />

und wenig professionell. Problematisch sei auch die<br />

Nicht-Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen sowie<br />

lange Verfahrensdauern.<br />

Im Jahr 2014 entschied der Europäische Gerichtshof für<br />

Menschenrechte (EGMR), dass <strong>Albanien</strong> die Menschenrechte<br />

in vier Fällen verletzt hat: eine Entscheidung über<br />

das Recht auf ein faires Ver fahren, eine Entscheidung<br />

über die Dauer der Verfahren und zwei weitere Entscheidungen<br />

über die Nicht-Durchsetzung der Rechte. 65<br />

61 U.S. Department of State (25.06. 5.2015): Human<br />

Rights Report Albania for 2014<br />

Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB;<br />

US Department of State (05.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

62 Wirtschaftsblatt (10.06.2015): Korruption: 300.000<br />

US-$ Schmiergeld für einen Richterposten; http://<br />

wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa_<br />

cee/4751559/Korruption_300000-US-Schmiergeldfur-einen-Richterposten<br />

(Abruf am 20.08.2015)<br />

63 Balkan Insight (09.06.2015): Albanian Justice System<br />

Slammed as Totally Corrupt, http://www.balkanin-<br />

sight.com/en/article/judges-in-albania-pays-up-to-<br />

300-000-for-their-positions-report-says (Abruf am<br />

20.08.2015)<br />

64 Wirtschaftsblatt (10.06.2015): Korruption: 300.000<br />

US-$ Schmiergeld für einen Richterposten<br />

65 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />

in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />

country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />

am 31.08.2015)<br />

http://www.civilrightsdefenders.org/country-reports/human-rights-in-albania/


21<br />

Die albanische Staatspolizei ist gegliedert in fünf Abteilungen,<br />

12 Polizeidirektionen auf regionaler Ebene, 43<br />

Kommissariate und sieben regionalen Grenz- und Migrationsdirektionen.<br />

66<br />

Kennzeichnend für die albanische Polizei ist ihre stark<br />

hierarchische Ausrichtung und Abhängigkeit von politischen<br />

Steuerungsmechanismen. Polizeiliche Aktivitäten<br />

werden oft von der jeweiligen politischen Interessenlage<br />

beeinflusst. Die Regierung arbeitet aber an einer Professionalisierung<br />

der Po lizei und unternimmt Anstrengungen,<br />

durch verstärkt Kontrollmaßnahmen, Lehrgänge zur<br />

Be rufsethik, Verbesserung der Besoldung und drastische<br />

Maßnahmen im Falle des Verstoßes gegen Dienstvorschriften<br />

die Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Auch<br />

wenn sich das Bild der Polizei in der Bevölkerung durchaus<br />

zum Positiven entwickelt, steht Minderheitenschutz,<br />

z. B. bei Roma oder Migranten, noch nicht im Fokus.<br />

Dank personeller Umbesetzungen, Umstrukturierung<br />

und Lohnerhöhungen hat sich der Ruf der Polizei verbessert.<br />

67<br />

Laut dem jüngsten Menschenrechtsbericht des US Department<br />

of State ist Polizeigewalt und Korrup tion weiterhin<br />

ein Problem. Polizeibeamte vollziehen das Gesetz<br />

nicht immer in gleicher Weise. Verflechtungen zwischen<br />

Politik und Kriminalität, schlechte Infrastruktur, mangelhafte<br />

Ausrüstung, inadäquate Beaufsichtigung, mangelhafte<br />

Führung und geringe Motivation beeinflussen<br />

oft die Vollstreckung des Gesetzes. Ein internes Kontrollorgan<br />

(Internal Control Service) untersucht und ahndet<br />

Amtsvergehen. Auch der Ombudsmann bearbeitet Beschwerden<br />

gegen Polizeibeamte v. a. wegen Problemen<br />

bei Festnahmen und Verhaftungen. Laut Ombudsmann<br />

gibt es eine bessere Zu sammenarbeit der Sicherheitskräfte<br />

bzgl. der Untersuchungen, sowie eine vermehrte<br />

Umsetzung seiner Empfehlungen im Bereich Misshandlungen.<br />

Im Jahr 2014 wurden die Gehälter der Polizeibeamten<br />

erhöht. Im August 2014 wurden 400 weibliche<br />

66 SAPC Programme: Survey on Local Safety Management<br />

System, Final Report June 2015 ;<br />

http://www.cp-project.al/wp-content/uploads/2015/06/narrative-report-2015.pdf<br />

(Abruf am<br />

28.08.2015)<br />

67 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

Beamte eingestellt. 68 Außerdem wurde ein Reihe von<br />

Gesetzesinitiativen im Hinblick auf Polizeireformen und<br />

zur Einrichtung eines Nationa len Untersuchungsbüros<br />

(National Bureau of Investigation) vorgenommen und die<br />

internationale Zusammenarbeit durch die Implementierung<br />

von Auslieferungsabkommen erhöht. 69<br />

2.7 Korruption<br />

Korruption tritt in <strong>Albanien</strong> in einer sehr hohen Intensität<br />

auf. Laut Transparency International er reichte<br />

<strong>Albanien</strong> in der Wertung für das Jahr 2014 nur 33 von 100<br />

möglichen Punkten und liegt damit auf Platz 110 von<br />

175. 70 Korruption ist in allen Bereichen der Regierung<br />

und öffentlichen Verwaltung verbreitet, besonders aber<br />

in der Justiz und im Gesundheitsbereich. 71<br />

Zur Korruptionsbekämpfung wurde 2012 die Verfassung<br />

hinsichtlich der Bestimmungen über die Immunität der<br />

Parlamentarier und Staatsfunktionäre geändert. Insgesamt<br />

waren bislang die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung<br />

aber noch wenig erfolgreich. Sie sind deshalb<br />

auch eine der Schlüsselbedingungen für den Prozess der<br />

EU-Annäherung. Die im Juni 2013 neu gewählte Regierung<br />

hat die Bekämpfung der Korruption im Rahmen ihres<br />

Programms zur Priorität erklärt. Schon im November<br />

2013 wurde ein nationaler Anti-Korruptions-Koordinator<br />

installiert und eine neu strukturierte Einheit eingerichtet,<br />

die sich nur auf interne Verwaltungskontrolle konzentriert.<br />

Im April 2014 wurde eine Anti-Korruptionsstrategie<br />

entwickelt. 72 2014 wurde der Strafrahmen erhöht. Allein<br />

die geltenden Bestimmungen werden nicht effizient<br />

umgesetzt und korrupte Beamten werden häufig nicht<br />

68 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

69 European Commission (10.2014): Albania Progress<br />

Report<br />

70 Transparency International : Corruption Index 2014;<br />

https://www.transparency.org/cpi2014/results (Abruf<br />

am 20.08.2015)<br />

71 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

72 European Commission (04.06.2014) : Report on<br />

Albania’s Progress in the Fight Against Corruption<br />

and Organized Crime and in the Judicial Reform,<br />

http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2014/al_report_june_2014.pdf<br />

(Abruf am<br />

20.08.2015)


22<br />

bestraft. Von Januar bis Juni 2014 führten die acht Untersuchungseinheiten<br />

(Joint Investigate Unit - JUI) Untersuchungen<br />

in 762 Fällen von Korruption durch. Es kam zu<br />

131 Ankla gen, 129 Fälle wurden abgeschlossen und 183<br />

Angeklagte wurden verurteilt. 73<br />

2.8 Organisierte Kriminalität<br />

Teile der albanischen Gesellschaft sind von einem hohen<br />

Gewaltniveau geprägt (Wiederaufleben der Blutrachetradition,<br />

hohe Verbreitung von Schusswaffen, organisierte<br />

Kriminalität). Im Vergleich zu anderen europäischen<br />

Ländern hat <strong>Albanien</strong> eine relativ hohe Kriminalitätsrate.<br />

2012 betrug die Rate an Mordfällen pro Jahr vier pro<br />

100.000 Einwohner (Deutschland 0,8; Serbien 1,2). 74 Laut<br />

dem „Crime and Safety Report“ des State Department hat<br />

sich die Kriminalitätsrate in den letzten fünf Jahren erhöht.<br />

Im Jahr 2014 wurden 72 Bombenanschläge in Autos<br />

und Privatwohnungen gezählt, die mit internen Disputen<br />

über geschäftliche, politische oder kriminelle Aktivitäten<br />

in Verbindung standen. Im Norden des Landes spielen<br />

mächtige Familienclans eine wesentliche Rolle. Diese<br />

nutzten die Wirren nach dem Zusammenbruch des<br />

Kommunismus, mafiöse Strukturen aufzubauen und<br />

sich Machtpositionen in Wirtschaft und Verwaltung zu<br />

sichern. Die Öffnung <strong>Albanien</strong>s zum Westen ermöglichte<br />

der Mafia in der Folge die Internationalisierung ihrer<br />

kriminellen Machenschaften, die alle lukrativen Bereiche<br />

wie Menschenhandel, Rauschgifthandel und Schutzgelderpressung<br />

umfassen. Polizei- und Sicherheitskräfte<br />

konnten in jüngster Zeit zwar gewisse Erfolge bei der<br />

Bekämpfung des illegalen Waffen- und Drogenhandels<br />

erzielen, organisierte Kriminalität ist jedoch weiterhin<br />

präsent. 75<br />

Die neue Regierung hat angekündigt, verstärkt gegen<br />

organisierte Kriminalität vorzugehen und kann auch<br />

erste Erfolge vorweisen. Im Juni 2014 gelang ein Schlag<br />

gegen die Drogenmafia. In dem Ort Lazarate wurden<br />

Hunderttausend Marihuana-Stauden zerstört. Marihuana<br />

73 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

74 Homicide Monitor; http://homicide.igarape.org.br/<br />

(Abruf am 28.05.2015)<br />

75 U.S. Department of State (OSAC) (08.05.2015): Albania<br />

2015 Crime and Safety Report https://www.osac.<br />

gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=17616<br />

(Abruf am 24.08.2015)<br />

zählt zu den einträglichsten Exportartikeln des Landes. 76<br />

Im Februar 2015 wurden ein Auftragskiller und mehrere<br />

Personen, die dem organisierten Verbrechen zugeordnet<br />

werden, verhaftet. Im Jahr 2014 wurden die Anzahl der<br />

Beamten und die Gehälter um 10 % erhöht. Ein Team<br />

für den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption<br />

hat verbesserte Ermittlungsmethoden in Gang<br />

gebracht. Dadurch hat sich die Zahl der Ermittlungen<br />

und Anklagen erhöht. Auch die Zahl der Verurteilungen<br />

wegen Korruption und Geldwäsche ist gestiegen, ebenso<br />

die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Menschen-<br />

und Drogenhandel. Ein nationales Ermittlungsbüro<br />

(National Bureau of Investigation) wurde eingerichtet,<br />

die internationale Zusammenarbeit weiter intensiviert. 77<br />

Dabei kann nicht übersehen werden, dass Politik und<br />

Justiz tief in kriminelle Machenschaften ver strickt sind.<br />

Trotz Warnungen des amerikanischen Botschafters und<br />

einiger Botschafter der EU-Mitgliedstaaten setzte Ministerpräsident<br />

Rama zu den Lokalwahlen im Juni 2015<br />

Kandidaten auf die Listen, die unter dem Verdacht standen,<br />

Verbrechen begangen zu haben. Die Demokratische<br />

Partei zog einen ihrer Kandidaten, der wegen Drogenhandels<br />

verurteilt wurde, zurück. Die Sozia listen zogen<br />

ihrerseits keine Konsequenzen. In Kruja und in Kavaja,<br />

zwei kleinen Städten in Mittel albanien, wurden sozialistische<br />

Kandidaten als Bürgermeister gewählt, die schon<br />

einmal wegen Drogenhandels verhaftet worden waren. 78<br />

2.9 Extremismus<br />

Radikaler Islam<br />

(vgl. 3.10 Lage der Religionsgemeinschaften)<br />

Schätzungen zufolge bekennen sich rund 60 % der 2,8<br />

Millionen Albaner zum sunnitischen Islam. Grundsätzlich<br />

bestimmt religiöse Toleranz den Alltag der Albaner,<br />

die stolz sind auf die Harmonie, die zwischen den Anhän-<br />

76 FAZ (26.08.2015): In <strong>Albanien</strong> gedeiht das organisierte<br />

Verbrechen, http://www.faz.net/aktuell/politik/<br />

ausland/europa/in-albanien-gedeiht-das-organisierte-verbrechen-13765129.html<br />

77 European Commission (04(06.2014): Report on<br />

Albania’s Progress in the Fight Against Corruption<br />

and Organized Crime and in the Judicial Reform;<br />

http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2014/al_report_june_2014.pdf<br />

78 FAZ (26.08.2015): In <strong>Albanien</strong> gedeiht das organisierte<br />

Verbrechen,


23<br />

gern der Religionen besteht. Die Geschichte <strong>Albanien</strong>s<br />

kennt keinen religi ösen Extremismus. Nach der Wende<br />

haben sich aber auch in <strong>Albanien</strong> rund 20 arabischislamische<br />

Organisationen niedergelassen, die Moscheen<br />

finanzierten und Bildungsstipendien an Tausende<br />

formbare junge Muslime vergaben. Viele dieser jungen<br />

Männer kehrten als religiöse Eiferer zurück. Im Jahr 1998<br />

wurden vier Personen in den Räumen der „Revival of<br />

Islamic Heriatge Society“ ver haftet, die Verbindungen<br />

zum „Egyptian Islamic Jiahd“ hatten und die ein Bombenattentat<br />

auf die amerikanische Botschaft in Tirana<br />

planten. 79 Auch wenn in jüngster Zeit der Einfluss von<br />

Islamisten zunimmt, zeichnen sich die beiden dominierenden<br />

Richtungen des Islams (Sunniten und Bektaschi)<br />

durch große Toleranz gegenüber Andersgläubigen aus.<br />

Bislang haben radikale Islamisten in <strong>Albanien</strong> noch wenig<br />

Zulauf. Meldungen zufolge, versuchen islamistische<br />

Kreise aber zunehmend auch in <strong>Albanien</strong> Nachwuchs zu<br />

rekrutieren. Man geht von rund 140 aktiven Kämpfern<br />

aus <strong>Albanien</strong> aus, die sich dem IS angeschlossen haben<br />

sollen. 80 Offiziell verurteilt die Muslimische Gemeinschaft<br />

<strong>Albanien</strong>s (MCA) den radikalen Islam, dennoch gibt es<br />

mehrere Moscheen, in denen die radikale „Takfiri“ Vision<br />

des Islams verbreitet wird. 81<br />

Im Rahmen des Strategie- und Aktionsplans für die<br />

Bekämpfung des Terrorismus wurden im Juli 2014 das<br />

Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung geändert.<br />

Danach können nun Strafen bis zu 15 Jahren für die<br />

Beteiligung an einem oder die Rekrutierung für einen<br />

bewaffneten Konflikt außerhalb <strong>Albanien</strong>s verhängt<br />

werden. Im Oktober 2013 wurde ein neues Gesetz gegen<br />

Terrorismusfinanzierung verabschiedet. Im Jahr 2014<br />

wurden 13 Personen verhaftet, die in einer Moschee<br />

am Stadtrand von Tirana 70 Personen rekrutiert haben<br />

sollen. 82 Neun Personen wurden wegen Terrorismus an-<br />

79 Combating Terrorism Center (April 2015): Ethnic<br />

Albanian foreign fighters in Iraq and Syria;<br />

https://www.ctc.usma.edu/posts/ethnic-albanianforeign-fighters-in-iraq-and-syria<br />

80 Süddeutsche Zeitung (05.10.2014): Rekruten für<br />

die Terrorarmee; www.sueddeutsche.de/politik/<br />

kampf-gegen-den-is-rekruten-fuer-die-terrorarmee-1.2159100s-rekruten-fuer-die-terrorarmee-1.2159100<br />

81 Jamestown Foundation (15.05.2015): Ethnic Albanian<br />

Foreign Fighters and the Islamic State, www.ecoi.<br />

net<br />

82 Ebd.<br />

geklagt, zwei davon waren Imame (u. a. Bujar Hysa, Imam<br />

der Moschee Unaza e Re). 83<br />

Nationalismus<br />

Der albanische Nationalismus, die sog. „Rilindja“ (nationale<br />

Wiedergeburt) bzw. die „Albanische Frage“, entstand<br />

nach dem Berliner Kongress 1878 als große Teile des albanischen<br />

Siedlungsgebietes unter serbische und bulgarische<br />

Kontrolle gerieten. Dies ist bis heute als historische<br />

Ungerechtigkeit tief im nationalen Gedächtnis verbucht.<br />

Auch nach der Proklamation des albanischen Staates<br />

1912 blieb für <strong>Albanien</strong> ein Territorium übrig, das wesentlich<br />

kleiner war als die albanischen Siedlungsgebiete<br />

es gewesen sind. Demzufolge lebt noch heute ca. ein Drittel<br />

der albanischen Bevölkerung in Kosovo, Mazedonien,<br />

Serbien und Montenegro. Die aus dieser Zeit stammende<br />

Idee eines Zusammenschlusses aller Albaner in einem<br />

gemeinsamen Staat (Großalbanien) übt auf viele auch<br />

heute eine große Faszination aus.<br />

Diese nationalistische Grundstimmung ließ sich u. a. anlässlich<br />

der Feiern zum hundertjährigen Bestehen <strong>Albanien</strong>s<br />

2012 erkennen. Der frühere Premier Berisha rief die<br />

Nation auf, „jede Minute, jede Stunde und jeden Tag“ zur<br />

Verwirklichung der nationalen Vereinigung der Albaner<br />

beizutragen. In den albanischen Medien entspann sich<br />

eine intensive Diskussion über die Zukunftsperspektiven<br />

eines <strong>Albanien</strong>s in seinen „natürlichen“ (sprich: ethnischen)<br />

Grenzen. 84 Im Zuge des Wahlkampfes 2013 agierten<br />

zwei Parteien mit nationalistischen Aussagen und der<br />

Forderung nach einer Vereinigung aller Albaner in einem<br />

Staat: die AK (Allianz Rot-Schwarz) und die PDIU (Partei<br />

für Recht, Integration und Einheit). Die Ende 2012 gegründete<br />

„Allianz Rot-Schwarz“, die primär junge Wähler<br />

anzieht, macht keinen Hehl aus ihrer großalbanischen<br />

Ideologie. Dennoch scheiterten die Bemühungen, sich als<br />

dritte Kraft neben der Demokratischen Partei (PD) und<br />

der Sozialistischen Partei (PS) zu etablieren - die Partei<br />

schaffte nicht den Sprung ins Parlament. Anders die 2005<br />

gegründete PDIU, die in erster Linie die Interessen der<br />

Çamen vertritt, der Nachkommen albanischer Vertriebe-<br />

83 U.S. Department of State (25 June 2015): Country<br />

Report on Terrorism 2014, http://www.refworld.org/<br />

docid/5587c75d9.html<br />

84 Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)<br />

(03.07.2013): Die albanische Frage nach der Wende;<br />

http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurzgesagt/die-albanische-frage-nach-der-wende-intirana.html


24<br />

ner aus dem Zweiten Weltkrieg, die in der Region Epirus<br />

im Nordwesten Griechenlands ansässig waren. Die PDIU<br />

fordert nicht nur die Vereinigung aller Albaner aus <strong>Albanien</strong>,<br />

Kosovo, Mazedonien, Montenegro und dem südserbischen<br />

Presevo-Tal. Sie verlangt auch, dass Griechenland<br />

den Çamen die enteigneten Grundstücke zurückgibt oder<br />

sie entschädigt. Mit solchen Forderungen war die PDIU<br />

bei den Parlamentswahlen 2013 mit 2,6 % der Stimmen<br />

relativ erfolgreich. 85 Auch Ministerpräsident Edi Rama<br />

spielt in dem Bewusstsein, dass die internationale Gemeinschaft<br />

neue Grenzziehung auf dem Balkan fürchtet,<br />

die nationalistische Karte und drohte jüngst, ein isoliertes<br />

<strong>Albanien</strong> ohne europäische Perspektive könne sich mit<br />

Kosovo vereinen. Experten vertreten die Ansicht, dass die<br />

Forderung nach einem Großalbanien als Ablenkungsmanöver<br />

von realen Problemen, wie Armut und Korruption<br />

benutzt werde. Der albanische Nationalismus stelle keine<br />

konkrete Bedrohung im Sinne einer Bereitschaft zum<br />

Krieg gegen die Nachbarn dar. Allerdings sei die schlechte<br />

wirtschaftliche Lage <strong>Albanien</strong>s eine Gefahr, die das nationalistische<br />

Gedankengut forcieren könne. 86<br />

85 Deutsche Welle (DW) (11.07.2013): Albanischer Nationalismus<br />

eine Gefahr? http://www.dw.com/de/<br />

albanischer-nationalismus-eine-gefahr-f%C3%BCrdie-region/a-16936236<br />

86 Ebd.


25<br />

3<br />

Menschenrechtslage<br />

Der Schutz der zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und<br />

politischen Rechte und das Verbot jeglicher diskriminierender<br />

Behandlung der Minderheitengruppen sind in der<br />

Verfassung garantiert. Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />

sowie das Europäische Übereinkommen zur<br />

Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender<br />

Behandlung oder Strafe wurden von <strong>Albanien</strong><br />

ratifiziert, ebenso die Mehrzahl der UN-Übereinkommen<br />

zu den Menschenrechten. Politische Verfolgung, Folter,<br />

Zensur oder staatliche Repression gegenüber bestimmten<br />

Personen oder Personengruppen wegen ihrer Nationalität,<br />

politischen Überzeugung, Rasse oder Zugehörigkeit<br />

zu einer Religionsgemeinschaft oder sozialen Gruppe<br />

finden nicht statt. Neben mangelnder Rechtsstaatlichkeit<br />

gibt es aber ernste Menschenrechtsprobleme wie häusliche<br />

Gewalt, Diskriminierung von Minderheiten und<br />

Frauen, Polizeigewalt sowie unzulängliche Gefängnisbedingungen.<br />

Die albanische Regierung hat einen Ombudsmann eingesetzt,<br />

den die Bürger bei Menschenrechtsverletzungen<br />

anrufen können. Er untersucht entsprechende Missstände<br />

und kann gerichtliche Verfahren einleiten. Er veröffentlicht<br />

jährliche Empfehlungen und Berichte zur Situation<br />

der Menschenrechte. 87 Auch das albanische Helsinki<br />

Komitee berichtet regelmäßig über Entwicklungen und<br />

Probleme im Menschenrechtsbereich. 88<br />

3.1 Willkürliche und ungesetzliche<br />

Tötungen, „Verschwindenlassen“<br />

Es gibt keine Berichte über willkürliche oder ungesetzliche<br />

Tötungen durch die Regierung, auch nicht über politisch<br />

motiviertes „Verschwindenlassen“.<br />

3.2 Unmenschliche und erniedrigende<br />

Bestrafung, Haftbedingungen<br />

Die Todesstrafe ist abgeschafft. Fälle von unmenschlicher<br />

oder erniedrigender Bestrafung sind nicht bekannt.<br />

Die Haftbedingungen in vielen albanischen Gefängnissen<br />

und in den Einrichtungen für Untersuchungshäftlinge<br />

entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die<br />

Situation verbessert sich mit internationaler Finanzhilfe,<br />

insbesondere der EU-Kommission, langsam. Eine<br />

zunehmend bedeutende Rolle spielt die Institution des<br />

Ombudsmannes, der unangemeldete Kontrollvisiten in<br />

Polizeikommissariaten und Einrichtungen des Strafvollzugs<br />

tätigt und Missstände beim albanischen Innenministerium<br />

anhängig macht. 89<br />

Laut dem Bericht des US Department of State variieren<br />

die Haftbedingungen in den Gefängnissen je nach Einrichtung.<br />

Nach und nach werden ältere Einrichtungen<br />

geschlossen. Anstalten die nach 1991 erbaut wurden<br />

erfüllen in der Regel die internationalen Standards. Die<br />

Bedingungen in den Frauengefängnissen sind generell<br />

besser als bei den Männern. Insbesondere die Bedingungen<br />

im Gefängnis Jordan Misja in Tirana ist nicht mehr<br />

zumutbar für Häftlinge. Völlig unzureichend sind die<br />

87 Offizielle Website - Avokati I popullit: http://www.<br />

avokatipopullit.gov.al/en;<br />

Vgl. auch: UN (05.09.2014) <strong>Information</strong> presented<br />

by the Albanian People’s Advocate: (Ombudsman)<br />

report on the human rights situation in Albania,<br />

https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1411473638_<br />

g1415655.pdf (Abruf am 25.08.2015)<br />

88 Albanian Helsinki Committee: Human Rights<br />

Report 2014; http://ahc.org.al/web/images/publikime/en/Humane_Rights_Report_2014.pdf<br />

(Abruf<br />

27.08.2015)<br />

89 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB


26<br />

Bedingungen auf den Polizeistationen und temporären<br />

Haftzentren, mit Ausnahme der Regionalpolizeidirektion<br />

und dem Haftzentrum in Tirana, das die Regierung im<br />

Laufe des Jahres 2014 wieder aufgebaut hat. 90 Bauliche<br />

Mängel, unzureichende Sanitäreinrichtungen, schlechtes<br />

und knapp bemessenes Essen, fehlende Heizung,<br />

Ungezieferbefall, Beengtheit und Überbelegung sind die<br />

Kritikpunkte. Es fehlt an einer angemessenen ärztlichen<br />

Versorgung; insbesondere psychisch kranke Gefängnisinsassen<br />

erhalten häufig nicht die erforderliche Fürsorge<br />

und Behandlung. Eine regelmäßige Versorgung mit Zeitungen<br />

und Zeitschriften bzw. Ausbildungs- oder Freizeitangebote<br />

besteht nicht. In einigen Gefängnissen sind<br />

Hofgang oder Außenaktivitäten nicht erlaubt. Besuch<br />

kann eingeschränkt empfangen werden, jedoch oft nur<br />

sehr kurz und nach Gutdünken des Gefängnispersonals.<br />

Bedenklich ist, dass der Zugang zu einem Rechtsanwalt<br />

vielfach erschwert ist oder sogar gänzlich verhindert<br />

wird. Problematisch ist insbesondere auch die Situation<br />

jugendlicher Straftäter. Es gibt Berichte über Misshandlungen<br />

durch Gefängnispersonal und es fehlt zudem an<br />

jugendstrafrechtlicher Gerichtsbarkeit und Rehabilitationsprogrammen,<br />

die auf die Bedürfnisse Jugendlicher<br />

zugeschnitten sind. 91<br />

Die Regierung erlaubt lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen,<br />

den Medien und dem Internationale<br />

Komitee des Roten Kreuzes sowie internationalen<br />

Organisationen wie dem Europarat-Ausschuss zur Verhütung<br />

von Folter, die Haftbedingungen zu überwachen.<br />

Im April 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz,<br />

das die Rechte von Häftlingen und Standards für ihre<br />

Behandlung, einschließlich angemessener medizinischer<br />

Behandlung festschreibt. Beschwerden von Gefangenen<br />

können unter Verschluss an den Ombudsmann oder an<br />

die Gerichts- bzw. Verwaltungsbehörden gerichtet werden.<br />

Der Ombudsmann erhielt bis August 2014 103 Beschwerden.<br />

Davon waren 30 gerechtfertigt. Der Ombudsmann<br />

und NGOs berichten, dass sich die Bedingungen in<br />

den meisten Gefängnissen gebessert hätten, wenngleich<br />

es weiterhin ernste Probleme in einigen Einrichtungen<br />

gibt. 92 Auch das albanische Helsinki Komitee berichtet<br />

ausführlich über zahlreiche Missstände in den Haftanstalten,<br />

es wird aber auch positiv vermerkt, dass 2014<br />

neue Einrichtungen in Berat, Skoder und Tropoje eröffnet<br />

wurden und die Einrichtung in Kukes geschlossen<br />

werden konnte. 93<br />

3.3 Unmenschliche und erniedrigende<br />

Behandlung, Folter<br />

<strong>Albanien</strong> hat die Konvention der Vereinten Nationen<br />

gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder<br />

herabwürdigende Bestrafungen samt Fakultativprotokoll<br />

ebenso wie das Europäische Übereinkommen zur<br />

Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender<br />

Behandlung oder Strafe ratifiziert. Art. 25 der<br />

Verfassung verbietet explizit Folter und jegliche grausame,<br />

unmenschliche oder erniedrigende Behandlung<br />

oder Bestrafung. Die im albanischen Strafgesetzbuch<br />

vorgesehenen Strafen orientieren sich auch hinsichtlich<br />

des Strafmaßes an europäischen Standards. Es gibt keine<br />

unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen. Das Strafgesetzbuch<br />

wird kontinuierlich überarbeitet, um westlichen<br />

Standards zu entsprechen.<br />

Nach übereinstimmenden Erkenntnissen nationaler und<br />

internationaler Menschenrechtsorganisationen gibt es<br />

noch immer Fälle von Gewalt und teilweise schweren<br />

Misshandlungen seitens oder im Verantwortungsbereich<br />

der Polizei, vorrangig während sich Personen in<br />

Polizeigewahrsam befinden, jedoch auch in Untersuchungs-<br />

und Vollstreckungshaft. Es wird jedoch nicht<br />

auf staatliche Anweisung gefoltert. Im Jahr 2013 führte<br />

der Ombudsmann 27 Untersuchungen durch. Er erhielt<br />

29 Beschwerden, von denen 15 zur Zufriedenheit der<br />

Kläger gelöst wurden. Gegen 13 Polizeibeamte wurde<br />

Strafverfolgung beantragt, in zwei Fällen handelte es sich<br />

um Folter. Dies bedeutet einen Rückgang der Folterfälle<br />

von 60 % im Vergleich zum Jahr 2012 und einen Anstieg<br />

der Rechtsverfolgung um mehr als 60 %. 94 Die Anti-Folter<br />

Kommission des Europarates besuchte im Februar 2014<br />

diverse Haftanstalten und stellte Verbesserungen seit<br />

90 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

91 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

92 U.S. Department of State (06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

93 Albanian Helsinki Committee: Human Rights<br />

Report 2014; http://ahc.org.al/web/images/publikime/en/Humane_Rights_Report_2014.pdf<br />

(Abruf<br />

27.08.2015)<br />

94 European Commission (08.10.2014): Albania Progress<br />

Report 2014


27<br />

dem letzten Besuch 2010 fest. 95 Laut dem Jahresbericht<br />

2015 von Amnesty International herrscht aber nach wie<br />

vor weitgehend Straflosigkeit in Fällen mutmaßlicher<br />

Misshandlungen durch Sicherheitskräfte. Im Mai 2014<br />

richtete das Parlament eine neue Institution für interne<br />

Angelegenheiten und Beschwerden ein, um gegen Polizeikorruption<br />

und Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.<br />

Im August 2014 wurde der Leiter des Bereichs<br />

Öffentliche Ordnung der Staatspolizei in Kukës wegen<br />

Amtsmissbrauchs und unrechtmäßigem Freiheitsentzug<br />

angeklagt, nachdem er einen Häftling misshandelt hatte.<br />

96<br />

3.4 Willkürliche Verhaftungen, lang<br />

andauernde Untersuchungshaft<br />

Laut Gesetz muss die Polizei die Verfolgungsbehörden<br />

sofort von einer Verhaftung informieren. Es gab keine<br />

Berichte von geheimen Verhaftungen, aber über Festnahmen,<br />

die nicht im Einklang mit dem albanischen<br />

Recht erfolgten. Außerdem gibt es gelegentlich Fälle, in<br />

denen die Polizei Personen zwecks Befragung für außerordentliche<br />

Zeitspannen festnahm, ohne sie formell zu<br />

verhaften. 97<br />

Untersuchungshäftlinge müssen teilweise sehr lange auf<br />

den Beginn ihrer Prozesse warten. Verfahren können mitunter<br />

mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Der Europarat<br />

bemängelt u. a. die oft unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft<br />

bis zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens,<br />

insbesondere bei Jugendlichen. 98<br />

3.5 Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis<br />

allgemein<br />

Aufgrund der Schwäche der Institutionen des Staates<br />

werden viele Rechtsverstöße entweder gar nicht oder<br />

nicht in ausreichendem Maße verfolgt. Insbesondere<br />

die Strafverfolgung und Verurteilung von Beamten, die<br />

Missbräuche begangen haben, ist sporadisch und widersprüchlich,<br />

auch wenn die Regierung ihre Bemühungen<br />

verstärkt hat. Mangelnde Qualifikation und Anfälligkeit<br />

der Richter für Korruption führen zu rechtsstaatlich<br />

zweifelhaften Ergebnissen. 99 (vgl. auch unter 2.6 Justiz<br />

und 2.7 Korruption)<br />

3.6 Lage sexueller Minderheiten<br />

(LGBTI Gemeinschaften)<br />

Homosexualität ist seit 1995 nicht mehr strafbar. 2010<br />

wurde ein Antidiskriminierungsgesetz inklusive des<br />

Merkmals „sexuelle Orientierung“ eingeführt. Im Mai<br />

2013 wurde das Strafgesetzbuch reformiert und Schutzvorschriften<br />

gegen Hassverbrechen und Hassreden<br />

auch im Hinblick auf die sexuelle Orientierung und der<br />

Geschlechtsidentität eingefügt. 100 In Tirana wurden „shelters“<br />

errichtet, in den auch LGBT 101 Personen um Schutz<br />

nachsuchen können. 102 Albanische NGOs, die sich für deren<br />

Akzeptanz einsetzen, sind „pink embassy“, „Pro LGBT“<br />

und „Aleanca LGBT“. Es gibt Initiativen der Regierung in<br />

Zusammenarbeit mit NGOs homophobe Einstellungen<br />

zu bekämpfen. Auch die Polizei kooperiert mit NGOs,<br />

um bei Bedarf Schutz zu gewährleisten. 103 Im Jahr 2014<br />

95 Council of Europe (18.02.2014): Anti-torture Committee<br />

visits Albania, http://www.cpt.coe.int/documents/alb/2014-02-18-eng.htm<br />

96 Amnesty International, Amnesty Report 2015 <strong>Albanien</strong>,<br />

http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />

albanien?destination=node%2F668 (Abruf am<br />

10.09.2015)<br />

97 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania for 2014<br />

98 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

99 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

100 Freedom House (2014): Albania- Freedom in the<br />

World; https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2014/albania#.VeQdl9IViUk<br />

101 LGBTTI = Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual,<br />

Transgender, Intersexual<br />

102 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />

in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />

country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />

am 31.08.2015)<br />

103 UK Home Office: Country <strong>Information</strong> and<br />

Guidance Albania: Sexual orientation and gender<br />

identity, 13.10.2014, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/<br />

file/363355/CIG_Albania_Sexual_orientation_and_<br />

gender_identity_2014_10_13.pdf


28<br />

wurde die Polizei mit einem Preis „LGBT-Verbündeter<br />

des Jahres“ („LGBT Ally of Year“) ausgezeichnet. Der Antidiskriminierungsbeauftragte<br />

registrierte aber weiterhin<br />

Beschwerden von LGBT-Personen und Organisationen. 104<br />

Auch gibt es Fälle, in denen Offizielle abfällige homophobe<br />

Aussagen machen und Fälle, in denen die Polizei keine<br />

geeigneten Schutzmaßnahmen ergriffen hat. 105<br />

Nach wie vor ist in der albanischen Gesellschaft die<br />

Akzeptanz von Homosexuellen, Transvestiten oder<br />

transsexuellen Personen sehr gering. Bekennende Homosexuelle<br />

werden von ihren Familien oft ausgegrenzt<br />

oder schikaniert. 106 Familiäre Strukturen bestimmen<br />

das gesellschaftliche Leben, nichts ist wichtiger als die<br />

öffentliche Wahrnehmung. Homosexualität wird tot<br />

geschwiegen. Es gibt selbst in Tirana keine öffentlichen<br />

Orte (Clubs, Bars etc.), wo sich LGBT-Personen treffen<br />

könnten. Verabredungen werden in Chatrooms getroffen<br />

und finden dann unter höchster Geheimhaltung statt.<br />

Mit dem Aufkommen von Facebook entwickeln sich<br />

langsam neue Möglichkeiten. Es gibt eine geschlossene<br />

Gruppe „LGBTs in Tirana“, wo sich Gleichgesinnte treffen<br />

können. 107 Eine 2012 erstmals geplante Gay-Pride-Parade<br />

musste kurzfristig abgesagt werden, nachdem auch von<br />

Regierungsvertretern massive Drohungen ausgesprochen<br />

worden waren. Einige wenige Aktivisten veranstalteten<br />

stattdessen einen Tag vor dem geplanten Umzug eine<br />

Fahrrad-Demonstration, bei der die Materie erstmals<br />

öffentlich thematisiert wurde. Im Mai 2014 fand in Tirana<br />

schließlich eine Gay-Pride-Parade statt. Diesmal wurden<br />

keine Zwischenfälle registriert.<br />

3.7 Situation von Frauen und Kindern<br />

Frauen und Männer sind rechtlich gleichgestellt. Viele<br />

Familienverhältnisse sind jedoch weiterhin patriarchal<br />

geprägt. Besonders im Nordosten des Landes sind Frauen<br />

(und Kinder) vielfältigen Formen von Diskriminierung<br />

und Gewalt ausgesetzt, da sie im patriarchalischen Verständnis<br />

als untergeordnet angesehen werden. Dies führt<br />

dazu, dass sie oft früh die Schule verlassen, eine wesentlich<br />

höhere Arbeitslosenquote als Männer aufweisen, erschwerten<br />

Zugang zu Land und Grundstücken und wenig<br />

politisches Mitspracherecht haben sowie in wichtigen<br />

Funktionen kaum repräsentiert sind. Vielfach besteht die<br />

Gleichheit von Mann und Frau bezüglich des Erbrechts<br />

und des Eigentums nur de jure. 108 In streng patriarchalisch<br />

geprägten Familien hängt die Ehre auch vom Verhalten<br />

der weiblichen Familienmitglieder ab. Wird eine<br />

Ehrverletzung durch die Frau begangen (Untreue, uneheliches<br />

Kind, Ungehorsam etc.) kann es zu „Ehrenmorden“<br />

kommen oder die Frau wird aus dem Familienverband<br />

ausgestoßen. Verheiratung minderjähriger bzw. auch<br />

schon volljähriger Töchter gegen ihren Willen (mit ggf.<br />

älteren Männern) kommt vor, und zwar in erster Linie<br />

in ländlichen Gebieten und bei der Roma-Bevölkerung.<br />

Jede zehnte Frau wird laut UNICEF-Statistiken vor ihrem<br />

18. Geburtstag verheiratet, 31 % der Roma-Mädchen<br />

im Alter von 13-17 Jahren. 109 Etwa jede dritte Frau wird<br />

Opfer häuslicher Gewalt. Laut UNICEF sind 13,3 % der<br />

schulpflichtigen Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs.<br />

Bei Frauen aus ländlichen Gegenden erleiden bis zu 60 %<br />

häusliche Gewalt, davon rund 8 % sexuelle Gewalt. 110<br />

104 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />

105 UK Home Office (13.10.2014): Country <strong>Information</strong><br />

and Guidance: Sexual orientation and gender<br />

identity, https://www.gov.uk/government/uploads/<br />

system/uploads/attachment_data/file/363355/<br />

CIG_Albania_Sexual_orientation_and_gender_identity_2014_10_13.pdf<br />

106 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />

in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />

country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />

am 31.08.2015)<br />

107 Der Tagesspiegel (07.08.2015): Schwul in <strong>Albanien</strong>,<br />

http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/<br />

schwul-in-albanien-der-erste-der-das-schweigenbricht/12101170.html<br />

Bis 2003 existierte keine rechtliche Definition von häuslicher<br />

Gewalt. Erst dann trat ein Familiengesetz in Kraft,<br />

in dem die Rechte in häuslichen Gewaltfällen gestärkt<br />

wurden. Seitdem hat <strong>Albanien</strong> weitere wichtige Maßnahmen<br />

ergriffen. Ein Gesetz zur Prävention und zum Schutz<br />

vor häusliche Gewalt (Domestic Violence Law) ist Mitte<br />

108 Norma Osterberg-Kaufmann, VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />

Wiesbaden 2011; Erfolg und Scheitern<br />

von Demokratisierungsprozessen (S. 68)<br />

109 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 – Albania;<br />

SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (13.2.2013):<br />

<strong>Albanien</strong>: Posttraumatische Belastungsstörung;<br />

Blutrache<br />

110 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />

in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />

country-areports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />

am 31.08.2015)


29<br />

2007 in Kraft getreten. Im Jahr 2007 hat die Regierung<br />

eine erste nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und<br />

für Gleichberechtigung ausgearbeitet. Im November 2008<br />

richtete die Polizei von Tirana eine Sondereinheit für die<br />

Bekämpfung der familiären Gewalt ein. Nach Einführung<br />

des Gesetzes war die Zahl der gemeldeten Fälle von 274<br />

im Jahr 2007 auf 990 in den ersten neun Monaten des<br />

Jahres 2009 gestiegen. Offiziellen Angaben zufolge behandelten<br />

die Gerichte 640 Anträge von Opfern auf Schutzanordnungen.<br />

111 Ein Kooperationsabkommen zwischen<br />

der Polizei und zwei NGOs in Tirana soll sicherstellen,<br />

dass Frauen Unterstützung bei der Erwirkung einer<br />

Schutzanordnung erhalten. Auch in anderen Ballungsgebieten<br />

und Polizeidistrikten wurden bis Ende 2008 Sondereinheiten<br />

bei der Polizei für Fälle häuslicher Gewalt<br />

und zum Schutz der Kinder eingerichtet. 112 Am 19.12.2011<br />

unterzeichnete <strong>Albanien</strong> die Konvention des Europarates<br />

zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen<br />

Frauen. 113 Im Jahr 2012 wurden 2.526 Fälle familiärer<br />

Gewalt gemeldet, 345 mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl<br />

der beantragten Schutzanordnungen von Gewaltopfern<br />

nahm zu. Eine Änderung des Strafgesetzbuches, durch<br />

die familiäre Gewalt als Straftatbestand mit bis zu fünf<br />

Jahren Haft geahndet werden kann, trat im April 2012 in<br />

Kraft. 2012 erfolgten Änderungen der Strafprozessordnung<br />

in Bezug auf häusliche Gewalt. 114<br />

Schon 1994 entstand in Tirana das erste Frauenzentrum,<br />

1996 das erste Frauenhaus. Inzwischen gibt es ein Netz<br />

von Beratungsstellen an verschiedenen Orten, auch in<br />

ländlichen Gegenden. 115 Die Regierung eröffnete im April<br />

2011 ein neues Frauenhaus in Tirana, das allerdings Frau-<br />

en nur mit einer richterlichen Anordnung aufnimmt 116<br />

In und außerhalb Tiranas gibt es mehrere von NGOs<br />

geführte „shelters“, z. B. in Berat, Korca, Elbasan, Vlora. 117<br />

Regierung und etliche NGOs haben rund um die Uhr<br />

geschaltete kostenfreie Notrufnummern für Opfer von<br />

Menschenhandel, häuslicher Gewalt sowie Kinder- und<br />

Jugendlichen-Seelsorge eingerichtet.<br />

Vergewaltigung, einschließlich Vergewaltigung in der<br />

Ehe, ist zwar strafbar, allerdings fehlt es noch immer an<br />

einer wirksamen Umsetzung des Gesetzes. Insbesondere<br />

Vergewaltigung in der Ehe wird von der Öffentlichkeit<br />

und den Behörden nicht als ein Verbrechen betrachtet.<br />

Nur wenige Opfer stellen Strafanzeigen deswegen,<br />

nur selten kommt es zu Verurteilungen. 118 Im Juni 2014<br />

veröffentlichte der Hohe Justizrat einen Bericht zur Verhandlung<br />

von Fällen familiärer Gewalt vor 38 Gerichten<br />

und empfahl Änderungen in Recht und Rechtsprechung.<br />

Dem Bericht zufolge waren die Strafverfahren langwierig,<br />

und die Gerichte verstießen gegen Verfahrensfristen<br />

für die Prüfung von Schutzanordnungen und den Erlass<br />

von Beschlüssen. Bis Ende September 2014 wurden der<br />

Polizei 3.094 Fälle familiärer Gewalt gemeldet. Nur gut<br />

ein Drittel (1.292) der Anzeigen zog eine strafrechtliche<br />

Verfolgung nach sich. Ende September hatten 1.882 Frauen<br />

in Zivilverfahren um eine Schutzanordnung ersucht.<br />

Allerdings zogen beispielsweise vor dem zuständigen<br />

Gericht in Tirana über zwei Drittel der Betroffenen ihren<br />

Antrag auf eine Schutzanordnung wieder zurück oder<br />

verfolgten ihn nicht weiter. In den Fällen, in denen tatsächlich<br />

Schutzanordnungen erlassen worden waren,<br />

wurden sie häufig nicht durchgesetzt. 119<br />

111 Amnesty International, Annual Report <strong>Albanien</strong><br />

2010, http://www.amnestyusa.org/research/reports/<br />

annual-report-albania-2010 (Abruf am 31.08.2015)<br />

112 Amnesty International, Häusliche Gewalt in<br />

<strong>Albanien</strong> 2010, http://www.amnesty.de/files/<br />

EUR110012010_HaeuslicheGewalt_Broschuere.pdf.<br />

(Abruf am 31.08.2015)<br />

113 Amnesty International, Public Statement, 19 December<br />

2011, AI Index: EUR 11/002/2011, https://<br />

www.amnesty.org/.../eur110022011en.pd (Abruf am<br />

02.09.2015)<br />

114 Europäische Kommission, Schlussfolgerungen 2012;<br />

http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2012/package/al_conclusions_2012_de.pdf.<br />

115 Amnesty International, Familiäre Gewalt in <strong>Albanien</strong>,<br />

http://www.amnesty-frauen.de/pdf-rtf/albanien/Hintergrund.pdf.<br />

116 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />

117 IRB - Immigration and Refugee Board of Canada:<br />

Albania: Domestic violence, including legislation,<br />

state protection and support services available to<br />

victims (2011-April 2014) [ALB104859.E], 30. April<br />

2014 (www.ecoi.net).<br />

118 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />

119 Amnesty International ; Amnesty Report Albania<br />

2015 http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />

albanien?destination=node%2F668 (Abruf am<br />

10.09.2015)


30<br />

Kinder: Die albanische Verfassung und andere Rechtsvorschriften<br />

enthalten umfassende Schutzvorschriften<br />

für Kinder und Jugendliche. Im Jahr 2010 wurde das<br />

Gesetz zum Schutz der Rechte der Kinder verabschiedet,<br />

das neue institutionelle Strukturen etabliert. So wurden<br />

weitere Kinderschutz-Center gegründet, <strong>Information</strong>sund<br />

Aufklärungskampagnen organisiert sowie Gesetzesvorschläge<br />

für ein umfassendes Minderjährigenschutzgesetz<br />

(inkl. Kinderarbeit als Straftatbestand) gemacht.<br />

Außerdem unterschrieb die Regierung ein Memorandum<br />

of Understanding mit der International Labour Organization<br />

(ILO) zur Abschaffung von Kinderarbeit. 120 Die<br />

Grundbildung ist kostenlos, es besteht eine neunjährige<br />

Schulpflicht. Allerdings müssen Transport und Bücher<br />

selbst bezahlt werden. Die Gesundheitsversorgung für<br />

Kinder und Jugendliche bis achtzehn Jahren ist kostenlos.<br />

Die Sozialämter unterhalten neun Wohneinrichtungen<br />

für Kinder; in diesen arbeiten insgesamt 200 Mitarbeiter.<br />

121<br />

Rund 30 % der albanischen Bevölkerung sind zwischen<br />

0-19 Jahre. Viele Kinder und Jugendliche sind die Leidtragenden<br />

von Armut und Arbeitslosigkeit und häufig einer<br />

großen Vernachlässigung und Verwahrlosung ausgesetzt.<br />

Vielfach werden Kinder aufgrund der Armut ihrer Familien<br />

in Waisenhäuser abgegeben. Diese sind oftmals sehr<br />

schlecht ausgestattet. Berichten zufolge werden Kinder<br />

dort häufig Opfer sexueller Gewalt oder zum Betteln<br />

gezwungen. Im Mai 2014 veröffentlichte die albanische<br />

Regierung einen nationalen Report über Straßenkinder.<br />

Danach gibt es mehr als 2.500 Kinder, die auf der Straße<br />

Betteln oder sonstige Arbeiten (Müllsammeln, Autoscheiben<br />

putzen) verrichten, 75 % davon sind Roma-Kinder. 122<br />

Die Kindersterblichkeitsrate unter fünf Jahren beträgt<br />

14,9 pro 100.000 Kinder. Sie liegt damit deutlich höher als<br />

in den Nachbarländern Bosnien und Herzegowina, Mazedonien<br />

(6,6) und Montenegro (5,3) und etwas niedriger<br />

als in der Republik Moldau (15,4). Eine Erhebung aus dem<br />

Jahr 2010 ergab, dass 19 % der Kinder an Unterernährung<br />

leiden. Laut UNICEF werden 77 % Opfer von häuslicher<br />

Gewalt. Wobei Gewalt gegen Kinder in Familien und<br />

120 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

121 UNICEF (July 2015): Child Notice, http://www.<br />

refworld.org/docid/55b0dda14.html (Abruf am<br />

18.09.2015)<br />

122 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />

Schulen üblich ist und sogar von den Kindern selbst als<br />

normal bzw. sogar als richtig betrachtet wird. Daher werden<br />

solche Vorfälle oft nicht gemeldet oder aufgezeichnet.<br />

3.8 Menschenhandel<br />

<strong>Albanien</strong> ist Ausgangsland für den Handel mit Männern,<br />

Frauen und Kindern zum Zweck sexueller Ausbeutung<br />

und Zwangsarbeit, einschließlich erzwungener Bettelei.<br />

Opfer sind überwiegend Mädchen und Frauen zwischen<br />

15 und 25 Jahren aus ländlichen Gegenden. Die Hälfte der<br />

Opfer ist unter 18 Jahren, 90 % der Opfer sind Albanerinnen.<br />

Roma-Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von<br />

Zwangsarbeit (Betteln) zu werden.<br />

Die Regierung unternimmt erhebliche Anstrengungen<br />

zur Bekämpfung des Menschenhandels. Seit Februar 2005<br />

verpflichtet die nationale Strategie (National Strategy<br />

of Fight against Trafficking in Human Beings) mehrere<br />

Ministerien zur Zusammenarbeit und stellt auch sicher,<br />

dass relevante nichtstaatliche Organisationen einbezogen<br />

werden. Seit November 2005 gibt es das Büro des Nationalen<br />

Koordinators für den Kampf gegen Menschenhandel.<br />

Eine kurz darauf im Innenministerium eingerichtete<br />

Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel unterstützt das<br />

Büro. Im Februar 2007 ratifizierte <strong>Albanien</strong> die Konvention<br />

des Europarats gegen Menschenhandel. Im Februar<br />

2011 billigte die Regierung eine nationale Anti-Trafficking-Strategie<br />

2011-2013. Eine weitere Strategie 2014<br />

-2016 wurde verabschiedet. Erstmals erhält das Büro des<br />

Nationalen Koordinator ein eigenes Budget. Es wurden<br />

drei mobile Einheiten in Tirana, Vlora und Elbasan gegründet,<br />

was zu einer erhöhten Identifikation von Opfern<br />

und potenziellen Opfern führte. 123<br />

Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution<br />

kann mit Strafe von fünf bis 15 Jahren Haft geahndet<br />

werden. Sind Kinder Opfer, erhöht sich das Strafmaß.<br />

Das Strafgesetzbuch wurde um eine Klausel in Bezug auf<br />

Zwangsarbeit von Kindern erweitert. Auch im Hinblick<br />

auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />

wurden die notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen<br />

und die Strafprozessordnung entsprechend<br />

angepasst. Polizeibeamte werden routinemäßig in der<br />

123 European Commission, Progress Report Albania ,<br />

October 2014


31<br />

Bekämpfung des Menschenhandels geschult und ausgebildet,<br />

ebenso Richter und Sozialarbeiter. Im Jahr 2006<br />

wurden Anlaufstrukturen für Menschenhandelsopfer<br />

auf nationaler und lokaler Ebene geschaffen. Außerdem<br />

wurden durch verstärkte Prävention und Schulung der<br />

Mitarbeiter sozialer Einrichtungen die Identifizierung<br />

und der Schutz potentieller Opfer verbessert. Eine landesweite<br />

gebührenfreie Telefon-Hotline wurde eingerichtet.<br />

Im Jahr 2008 wurden 20 speziell geschulte Beamtinnen<br />

auf verschiedene Polizeieinheiten des Landes verteilt. Im<br />

Jahr 2012 wurden 114 Richter, Staatsanwälte und Beamte<br />

geschult. 124<br />

Strafrechtliche Verfolgung findet insgesamt selten statt,<br />

weil viele Opfer Vergeltungsmaßnahmen befürchten und<br />

ihre Familien Druck ausüben, keine Anzeigen zu stellen<br />

oder Anzeigen wieder zurückzuziehen. Auch die Zahl der<br />

Verurteilungen ist noch sehr gering. Im Jahr 2010 kam es<br />

zu 11 Verurteilungen wegen Menschenhandels; 2012 kam<br />

es zu zwei Verurteilungen. 2013 wurden 24 Fälle untersucht,<br />

93 Opfer wurden identifiziert und in Schutzhäuser<br />

untergebracht. 125 Für die Opferbetreuung erhöhte die<br />

Regierung im Jahr 2008 ihren Etat um 16 % auf 262.000<br />

USD. Mittlerweile gibt es zwei Aufnahmeeinrichtungen<br />

(reception centers) für Frauen, die Opfer des Menschenhandels<br />

geworden sind, eines in staatlicher Trägerschaft<br />

und eines, das von einer Nichtregierungsorganisation<br />

geführt wird. Die Regierung eröffnete im April 2011 ein<br />

neues Frauenhaus in Tirana, das allerdings Frauen nur<br />

mit einer richterlichen Anordnung aufnimmt. NGOs<br />

betreiben vier „shelters“. 126<br />

3.9 Lage der Minderheiten<br />

In <strong>Albanien</strong> leben laut letzter Volkszählung von 2011 2,8<br />

Millionen Menschen, davon sind rund 83 % Albaner. Es<br />

gibt drei nationale Minderheiten (Griechen, Mazedonier<br />

und Serben/Montenegriner) und zwei ethno-linguistische<br />

Gruppierungen (Aromunen/Vlachen und Roma).<br />

124 U.S. State Department, Albania Trafficking in Persons<br />

Report 2009, 2010, 2013, 2014<br />

125 U.S. State Department, Albania Trafficking in Persons<br />

Report 2009, 2010, 2013, 2014<br />

126 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

14 % haben keine Ethnie angegeben. Die Anzahl von<br />

Bulgaren, Türken u. a. Minderheiten ist unbekannt. Die<br />

Minderheiten sind weitgehend integriert und vertreten<br />

ihre Interessen in Vereinigungen, z. T. auch mit starker<br />

Unterstützung ihrer Mutterländer. Lediglich die Gruppe<br />

der Roma stößt in der Bevölkerung teilweise auf eine<br />

ablehnende Haltung. 127<br />

Der Schutz der zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und<br />

politischen Rechte und das Verbot jeglicher diskriminierender<br />

Behandlung der Minderheitengruppen sind<br />

in der Verfassung garantiert. Im Jahr 2004 wurde ein<br />

staatliches Komitee für Minderheiten eingerichtet, in<br />

dem Repräsentanten der drei anerkannten nationalen<br />

Minderheiten und der Aromunen und Roma vertreten<br />

sind. Seit 2010 existiert ein Antidiskriminierungsgesetz;<br />

als Kontrollinstitutionen agieren das „State Committee<br />

on Minorities“, der seit Mai 2010 tätige Antidiskriminierungsbeauftragte<br />

und der Ombudsmann. 128 Ein umfassendes<br />

Regelungskonzept zum Minderheitenschutz ist<br />

bislang noch nicht verwirklicht. 129<br />

Die Gruppe der Roma lebt seit 600 Jahren in <strong>Albanien</strong>,<br />

es gibt vier Stämme: Herli, Meckar, Kurtof und Cergar,<br />

die die gleiche Sprache sprechen und eine gemeinsame<br />

Kultur haben. 130 Daneben gibt es die Albanisch sprechenden<br />

Balkan-Ägypter. 131 Bei der letzten Volkszählung 2011<br />

gaben von den 2,8 Millionen Menschen lediglich 0,4 %<br />

(11.669 Personen) an, Roma (8.301) bzw. Balkan-Ägypter<br />

127 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

128 UK Home Office (11.2014): Country <strong>Information</strong> and<br />

Guidance Albania: Minority ethnic groups, https://<br />

www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/<br />

attachment_data/file/375421/CIG_Albania_Minority_ethnic_groups.pdf<br />

(Abruf am 08.09.2015)<br />

129 ouncil of Europe (10.01.2011), Third report submitted<br />

by Albania pursuant to Art. 25 of the Framework<br />

Convention for the protection of national minorities,<br />

http://www.unhcr.org/refworld/<br />

pdfid/4d2ec61b2.pdf<br />

130 European Commission, Analytical Report Albania,<br />

November 2010<br />

131 Balkan-Ägypter betrachten sich selbst als Nachfahren<br />

der Ägypter. Sie bilden eine mehrheitlich<br />

albanischsprachige Teilminderheit der südosteuropäischen<br />

Roma. Nebsen dem Hauptsiedlungsgebiet<br />

in Kosovo finden sich kleinere Gruppen auch in<br />

anderen Gebieten des Balkans, so zum Beispiel in<br />

<strong>Albanien</strong>.


32<br />

(3.368) zu sein. Schätzungen zufolge soll es aber zwischen<br />

80.000 und 100.000 Roma/Ägypter in <strong>Albanien</strong> geben. 132<br />

Laut UNHCR gab es 2011 7.443 staatenlose Personen, von<br />

denen die meisten Roma-Kinder seien. Gründe für Staatenlosigkeit<br />

sind u. a. eine grenzüberschrei tende Migration<br />

und das Versäumnis der Eltern, ihre Kinder bei der<br />

Geburt zu registrieren. 133 Schon 2009 wurde das Gesetz<br />

geändert, wodurch 7.000 neue Registrierungen ermöglicht<br />

wur den. 134 Dennoch werden zu Hause geborene<br />

Kinder häufig nicht angemeldet, weil hierfür ein offizieller<br />

Wohnsitz Voraussetzung ist. 135<br />

Die Minderheit, die seit Jahrhunderten in <strong>Albanien</strong> lebt,<br />

ist großteils schwierigen Lebensbedingun gen und Diskriminierungen<br />

ausgesetzt. Roma stoßen vielfach auf Ablehnung<br />

und leben meist am Rande der Gesellschaft. Laut<br />

offiziellen Statistiken gibt es jedoch kaum gewalttätige<br />

Auseinandersetzungen zwischen Albanern und Roma,<br />

da es wenig Berührungspunkte zwischen den Volksgruppen<br />

gibt. Dennoch kommt es hin und wieder zu<br />

Übergriffen. Ethnisch motivierte Gewaltakte gegenüber<br />

Roma sind aber nicht in größerer Zahl dokumentiert. Die<br />

Lebensbedingungen der Roma/Ägypter sind deutlich<br />

schlechter als die der Albaner. Trotz einiger Fortschritte<br />

ist der Zugang zu Arbeitsmarkt, Schule und Gesundheitsversorgung<br />

aufgrund von Armut, Unkenntnis oder<br />

mangelnder Registrierung erschwert. Sie leben häufig<br />

am Rande der Städte in teils illegalen Siedlungen bzw.<br />

Slums (36 %). Größere Konzentrationen gibt es in Tirana,<br />

Elbasan, Korçë, Lushnjë, Fier Fushë-Krujë and Berat. Etwa<br />

15 % der Roma wohnen in Baracken, Zelten, Hütten oder<br />

in anderen prekären Behausungen, teils ohne fließendes<br />

Wasser oder Strom. Viele der illegalen Siedlungen sind<br />

von Zwangsräumungen bedroht. Im April 2014 forderten<br />

einige der von Räumung bedrohten 100 Roma-Familien<br />

aus Selita (Region Tirana) auf einer Demonstration Er-<br />

132 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />

Egyptians in Albania: a socio-demographic and economic<br />

profile based on the 2011 census, http://www.<br />

al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%20<br />

2011%20Profile%20of%20Roma%20and%20Egyptians%20final.pdf<br />

(Abruf am 02.09.2015)<br />

133 U.S. State Department (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania 2014<br />

134 UNDP, Albania, 22.02.2011, Partners discuss the<br />

status of civil registration in the Roma and Egyptian<br />

Communities in Albania, http://www.undp.org.al/<br />

index.php?page=detail&id=168<br />

135 U.S. State Department (25.06.2015): Human Rights<br />

Report Albania 2014<br />

satzwohnraum. Im Mai lehnte die Regierung einen Änderungsvorschlag<br />

für das Gesetz zur Legalisierung illegaler<br />

Gebäude ab. Die Gesetzesänderung war Gegenstand einer<br />

von 6.000 Roma und Ägyptern unterzeichneten Petition<br />

gewesen, in der verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen<br />

gegen rechtswidrige Zwangsräumungen sowie angemessene<br />

alternative Unterbringungen gefordert wurden. Im<br />

Juli 2014 erließ der UN-Menschenrechtsausschuss eine<br />

vorläufige Schutzmaßnahme, um den Abriss der Häuser<br />

von sieben Roma-Familien in der Stadt Elbasan auszusetzen,<br />

solange ihre Klageanhörung und Schadensersatzforderungen<br />

noch anhängig waren. Das Ministerium<br />

für Stadtentwicklung und Tourismus und die staatliche<br />

Wohnungsbehörde beabsichtigten, den Bestand an Sozialwohnungen<br />

zu erhöhen und ein Anrecht für Personen<br />

aus mangelhaften Wohnverhältnissen zu gewähren. Im<br />

Februar 2014 verkündete das Ministerium eine neue<br />

Wohnraumstrategie, durch die Roma und Ägypter stärker<br />

einbezogen, die Legalisierung informeller Siedlungen gefördert<br />

und der Zugang zu Wasser und Sanitäreinrichtungen<br />

verbessert werden sollen. Laut Amnesty International<br />

seien bisher jedoch kaum Fortschritte zu verzeichnen. 136<br />

Etwa 78 % der Roma leben in Armut. Über 50 % waren<br />

2011 laut Zensus „ohne Beschäftigung“. Ca. 96 % der beschäftigten<br />

Roma haben keinen Arbeitsvertrag, rund 93 %<br />

zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge und 40 % sind<br />

Analphabeten. 137 45 % der Roma-Kinder im Alter von 6-9<br />

Jahren und knapp 7 % der Ägypter besuchen keine Schule<br />

(Albaner: rd. 3 %). Von den ca. 2.500 Kindern, die auf der<br />

Straße Betteln oder sonstige Arbeiten (Müllsammeln,<br />

Autoscheiben waschen) verrichten, sind 75 % Roma. 138<br />

Bedingt durch Armut und prekäre Wohnbedingungen ist<br />

der Gesundheitszustand der Roma-Bevölkerung deutlich<br />

schlechter als der der Albaner. Sie haben eine höhere<br />

Belastung durch Asthma, chronische Bronchitis, Arthritis<br />

und Depressionen. Zahlen zur Lebenserwartung/Sterberate<br />

liegen nicht vor. Man geht aber davon aus, dass die<br />

136 Amnesty International, Amnesty Report 2015 <strong>Albanien</strong>,<br />

http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />

albanien?destination=node%2F668<br />

137 European Center for Minority Issues (ECMI-Working<br />

Paper 84- February 2015): Accessible Justice<br />

System for All: The Case of Roma Minority in Albania,<br />

http://www.ecmi.de/uploads/tx_lfpubdb/<br />

ECMI_Working_Paper_84.pdf (Abruf am 02.09.2015)<br />

138 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />

on Human Rights Practices 2014 - Albania


33<br />

Lebenserwartung geringer und die Säuglingssterblichkeit<br />

höher ist als die der albanischen Bevölkerung. 139<br />

<strong>Albanien</strong> hat in den letzten Jahren formal einige Anstrengungen<br />

zur Integration von Roma unternommen.<br />

Das Land nimmt mit einem eigenen Aktionsplan an der<br />

Initiative „Dekade zur Inklusion von Roma“ teil und hat<br />

Leitlinien für die Roma-Politik formuliert. Zentrales<br />

Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen und<br />

die gesellschaftliche Inklusion. <strong>Albanien</strong> verabschiedete<br />

schon 2003 die „Nationale Strategie für die Verbesserung<br />

der Lebensbedingungen der Roma 2003-2015“, die durch<br />

die „Strategie für soziale Integration 2007-2013“ ergänzt<br />

wurde. 2008 wurde eine Registrierungskampagne durchgeführt.<br />

Im März 2009 wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe<br />

für die Umsetzung der nationalen Strategie<br />

gegründet. Hierbei wurden einige Schritte unternommen,<br />

um Wohnraum und Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

zu verbessern. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft<br />

erließ eine Anweisung, die Roma-Kindern den<br />

Schulbesuch auch ohne Registrierung ermöglicht. 140 Im<br />

Oktober 2010 wurde ein nationaler Aktionsplan für 2010-<br />

2015 verabschiedet, das Budget betrug ca. 23 Millionen<br />

USD. 141 Eine Quote für Roma in Bachelor und Master-<br />

Studiengängen wurde implementiert. Kampagnen zur<br />

Registrierung und Veranstaltungen, die die Problematik<br />

ins Bewusstsein der Bevölkerung bringen sollen, finden<br />

statt. Verstärkt werden Konferenzen und Diskussionsforen<br />

sowie <strong>Information</strong>s- und Integrationskampagnen<br />

von den in <strong>Albanien</strong> tätigen Roma-NGOs sowie vor allem<br />

von internationalen Partnern (EU, UNDP, Weltbank etc.)<br />

initiiert. 142 Noch ist die Umsetzung der Politik zur Einbeziehung<br />

der Roma und zur Verbesserung ihres Zugangs<br />

zu sozialem Schutz und sozialen Diensten aber unzureichend.<br />

143<br />

139 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />

Egyptians in Albania:a socio-demographic and<br />

economic profile based on the 2011 census; http://<br />

www.al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%202011%20Profile%20of%20Roma%20and%20<br />

Egyptians%20final.pdf (Abruf am 02.09.2015)<br />

140 European Commission: Albania Progress Report,<br />

Oct. 2009).<br />

141 U. S. State Department, Human Rights Report, Albania,<br />

April 2011<br />

142 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

143 European Commission, Progress Report Albania,<br />

08.10.2014<br />

3.10 Lage der Religionsgemeinschaften<br />

Im Jahr 1967 war ein Religionsverbot erlassen worden,<br />

erst 1990 wurde die Religionsfreiheit wieder hergestellt.<br />

Schätzungen zufolge bekennen sich heute rund 57 % der<br />

2,8 Millionen Albaner zum sunnitischen Islam. Etwa zwei<br />

Prozent sind Bektashi, eine dem islamischen Sufismus<br />

nahestehende Glaubensrichtung. Die Zahl der orthodoxen<br />

Christen liegt bei ca. 6,75 %, die der Katholiken bei<br />

10 %. Die meisten Katholiken leben im Norden, Orthodoxe<br />

eher im Süden, während die Muslime über das ganze<br />

Land verteilt sind.<br />

<strong>Albanien</strong> ist ein säkularer Staat. Die Verfassung garantiert<br />

die freie Religionsausübung. Staatliche Repression wegen<br />

Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft findet<br />

nicht statt. Keine Religionsgemeinschaft wird durch<br />

staatliche Maßnahmen bevorzugt oder diskriminiert. Die<br />

wichtigsten religiösen Gruppen leben in bemerkenswerter<br />

Toleranz zusammen. 144<br />

<strong>Albanien</strong> wird oft als ein multikonfessioneller Staat der<br />

besonderen Art bezeichnet. Religion spielt in der Geschichte<br />

der Albaner grundsätzlich keine große Rolle.<br />

Es gab und gibt kaum religiöse Konflikte. Die beiden<br />

dominierenden Richtungen des Islams (Sunniten und<br />

Bektashi) zeichnen sich grundsätzlich durch große Toleranz<br />

gegenüber Andersgläubigen aus. Bis zum Jahr 395<br />

n. Chr. lag das Gebiet des heutigen <strong>Albanien</strong> im Zentrum<br />

des Römischen Reiches und gehörte zu den Illyrischen<br />

Provinzen. Mit Übernahme des Christentums zur römischen<br />

Staatsreligion wurde vor allem die nordalbanische<br />

Region christianisiert. Unter osmanischer Herrschaft<br />

(ab dem 16. Jhd.) traten viele Christen aus gesellschaftlichen<br />

und wirtschaftlichen Gründen zum Islam über. Oft<br />

konvertierte zunächst nur das Familienoberhaupt; seine<br />

Angehörigen blieben aber Christen. Es bildeten sich Formen<br />

eines islamisch-christlichen Synkretismus heraus.<br />

Im 19. Jahrhundert erstarkte der Nationalgedanke und es<br />

entwickelte sich der Spruch: Die Religion der Albaner ist<br />

das Albanertum. Das Albanertum galt als das verbindende<br />

Element der unterschiedlichen Konfessionen. Auch<br />

die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung während der<br />

kommunistischen Ära bewirkt bis heute, dass sich (katholische<br />

und orthodoxe) Christen und Muslime mit viel<br />

gegenseitigem Respekt begegnen. Aufgrund der Situation<br />

144 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB


34<br />

in kommunistischer Zeit sind interreligiöse Heiraten in<br />

<strong>Albanien</strong> heute keine Seltenheit, während dies in den<br />

anderen Balkanländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil<br />

kaum der Fall ist. In der nachkommunistischen<br />

Zeit wurde der Islam von einem Teil der Bevölkerung,<br />

allen voran von der Jugend, als „altmodisch“ und<br />

wenig zukunftsweisend betrachtet. Dagegen wirkten das<br />

Christentum, und im Besonderen die katholische Kirche<br />

mit ihren Kontakten ins westliche Ausland, wesentlich<br />

attraktiver. Das römisch-katholische Christentum wurde<br />

als Symbol für Europa angesehen. Allerdings ist es seitdem<br />

erstmals zu Spannungen zwischen radikalen Muslimen<br />

und Christen gekommen. 145 Noch haben radikale<br />

Islamisten in <strong>Albanien</strong> wenig Zulauf. Meldungen zufolge,<br />

versuchen islamistische Kreise aber zunehmend auch in<br />

<strong>Albanien</strong> Nachwuchs zu rekrutieren. Man geht von rund<br />

140 aktiven Kämpfern aus <strong>Albanien</strong> aus, die sich dem IS<br />

angeschlossen haben sollen (vgl. unter 2.9 Extremismus).<br />

3.11 Lage von Rückkehrern / Reintegration<br />

Die Regierung kooperierte mit dem UNHCR und anderen<br />

humanitären Organisationen in Bezug auf Schutz<br />

und Beistand für Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge,<br />

Asylbewerber, Staatenlose und anderen betroffenen Personen.<br />

146<br />

Ein Rückübernahmeabkommen mit der EU trat am<br />

01. Mai 2006 in Kraft. <strong>Albanien</strong> kommt seinen darin kodifizierten<br />

Verpflichtungen nach. Rückgeführte Staatsangehörige<br />

unterliegen keiner Diskriminierung und haben<br />

nicht mit staatlichen Maßnahmen zu rechnen. 147 Die<br />

albanische Regierung hat am 06.06.2010 die „Strategie für<br />

die Reintegration der rückkehrenden albanischen Staatsbürger<br />

2010-2015“ und den entsprechenden Aktionsplan<br />

dazu bewilligt. Im Zuge dessen hat das Arbeitsministerium<br />

in mehreren Städten „Migration Counters“ geöffnet.<br />

Rückkehrer erhalten hier <strong>Information</strong>en über Unterkunft,<br />

Beschäftigung und soziale Hilfen, berufliche Ausund<br />

Weiterbildung und Programme von NGOs. 148<br />

3.12 Blutrache<br />

Blutrache ist in <strong>Albanien</strong> ein nach dem Gewohnheitsrecht<br />

(Kanun) geregeltes Prinzip zur Sühnung von Tötungen<br />

und Ehrverletzungen. Die schwierige Transformation,<br />

die <strong>Albanien</strong> nach dem Ende der kommunistischen<br />

Herrschaft durchlief, führte zu einem Wiederaufleben der<br />

archaischen Tradition der Blutrache. Der Mangel an verlässlichen<br />

Daten macht es schwierig, den tatsächlichen<br />

Umfang des Problems zu erkennen. Sicher ist aber, dass<br />

es nach wie vor Blutrachefälle, vor allem in Nordalbanien<br />

gibt, wo das Gewohnheitsrecht noch im Bewusstsein der<br />

Bevölkerung verankert ist.<br />

Nur vorangegangene (vorsätzliche) Tötungen oder<br />

schwerwiegende Ehrverletzungen können eine Blutrache<br />

im Sinne des Kanuns nach sich ziehen. Das Opfer bzw.<br />

dessen Familie hat das Recht und die Pflicht, die „Ehre“<br />

wiederherzustellen, auch wenn es Jahre dauert. Ehrverletzungen<br />

können nur durch Vermittlung vergeben<br />

oder mit Blut abgewaschen werden. Dieser Unausweichlichkeit<br />

können sich die Betroffenen nur durch Flucht<br />

oder Isolierung entziehen. Heute werden die Regeln des<br />

Kanuns jedoch nicht immer eingehalten. Der Staat lehnt<br />

die Blutrache ab und bekämpft sie. Allerdings behindern<br />

Schwäche und Korruption des albanischen Staates sowie<br />

das teilweise nicht vorhandene Vertrauen der Bevölkerung<br />

in die Justiz die Bekämpfung des Phänomens. 149<br />

145 Hofmann (2009): Die Rolle der römisch-katholischen<br />

Kirche im multi konfessionellen Staat <strong>Albanien</strong>,<br />

Univ. Wien 2009, http://othes.univie.ac.at/5098/<br />

(Abruf am 20.08.205); Katholische Nachrichten:<br />

27.07.2012, Islam in <strong>Albanien</strong>: Besorgniserregender<br />

Trend, http://www.kath.net/news/37516 (Abruf am<br />

20.08.2015)<br />

146 U. S. State Department (27.02.2014): Human Rights<br />

Report Albania<br />

147 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />

Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />

vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />

148 vgl. Republic of Albania, Strategy on Reintegration<br />

of Albanian Citizens, 2010-2015, June 2010; http://<br />

www.esiweb.org/pdf/schengen_whitelist_project_<br />

Strategy%20on%20Reintegration%20of%20Returned%20Albanian%20Citizens%202010-2015.pdf<br />

149 Vgl. BAMF, <strong>Information</strong>, <strong>Albanien</strong> Blutrache (April<br />

2014); OSCE, Report on Blood Feud 2014


35<br />

Schlussbemerkung<br />

Die Republik <strong>Albanien</strong> ist ein demokratischer Rechtsstaat<br />

auf der Grundlage von Pluralismus und Gewaltenteilung,<br />

der die Grundrechte und -freiheiten sowie den Schutz<br />

der Minderheiten gewährleistet. Ab 1992 hat <strong>Albanien</strong><br />

umfassende Reformen eingeleitet. Nach anfänglich chaotischen<br />

Zuständen hat das Land mittlerweile wichtige<br />

Fortschritte in der Konsolidierung von Demokratie und<br />

Marktwirtschaft erzielt. Ein rechtlicher und institutioneller<br />

Rahmen auf dem Gebiet der Menschenrechte ist<br />

weitgehend vorhanden und entspricht im Wesentlichen<br />

europäischen Standards. Eine gezielte und systematische<br />

Verfolgung bestimmter Gruppen wegen ihrer ethnischen<br />

Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder politischen<br />

Überzeugung findet grundsätzlich nicht statt. Folter und<br />

grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung<br />

sind gesetzlich verboten. Die Opposition kann sich<br />

frei betätigen. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit<br />

sowie die Meinungs- und Pressefreiheit sind im Allgemeinen<br />

gewahrt. Die Sicherheitslage ist stabil. <strong>Albanien</strong><br />

hat keine ethnischen Konflikte oder Probleme mit seinen<br />

Nachbarn.<br />

Wenig erfolgreich waren bisher die Bemühungen organisierte<br />

Kriminalität und Korruption einzudämmen. Trotz<br />

der Klassifizierung als „defekte“ Demokratie und zahlreichen<br />

Problemen bei der Rechtsstaatlichkeit besteht aber<br />

keine substantielle Bedrohung der Demokratie und politischen<br />

Stabilität. Seit Januar 2011 kam es zu keinen größeren<br />

Demonstrationen oder Ausschreitungen mehr. Die<br />

innenpolitische Lage hat sich seit der Parlamentswahl<br />

2013, die problemlos verlief und zu einem geordneten<br />

Regierungswechsel führte, relativ beruhigt. Das politische<br />

Klima ist inzwischen gemäßigter; alle Akteure bekennen<br />

sich zu den europäischen Werten. Trotz vorhandener<br />

Mängel in der Rechtsstaatlichkeit hat die EU-Kommission<br />

in Anerkennung der durchgeführten Reformen im<br />

Juni 2014 <strong>Albanien</strong> den Status eines EU-Beitrittskandidaten<br />

verliehen. Verbunden mit der Forderung weiterhin<br />

durchgreifende Reformen durchzuführen, die Rechtsstaatlichkeit<br />

zu stärken und den Menschrechtsschutz zu<br />

verbessern.<br />

Die neue Regierung unternimmt erhebliche Anstrengungen<br />

Missstände abzubauen. Es wurden wichtige Maßnahmen<br />

zur Reform des Justizwesens und der öffentlichen<br />

Verwaltung eingeleitet und weitere Schritte zur Bekämpfung<br />

von Korruption und organisierter Kriminalität sowie<br />

in Bezug auf Menschenrechtsfragen ergriffen.


36<br />

Anhang<br />

1. Zeittafel 150<br />

ca. 800-168 v. Chr.<br />

Stadt- und Flächenstaaten der Illyrer<br />

168 v.-395 n. Chr. Teil des Römischen Reiches; im 3. und 4. Jahrhundert herrschen mehrere illyrische<br />

Provinziale als Kaiser<br />

395-11. Jh. Teil des Byzantinischen Reiches; Besiedlung durch slawische Stämme, vor allem im Norden<br />

6./7. Jh.); zeitweise Teil des Bulgarischen Reiches bzw. Besetzung durch Normannen<br />

1272 Karl von Anjou proklamiert das Königreich <strong>Albanien</strong><br />

ca. 1345-1355<br />

Teil des serbischen Zarenreiches von Stefan Dušan<br />

1389 (28.6) Sieg der Osmanen auf dem Amselfeld (Kosovo Polje)<br />

1502 <strong>Albanien</strong> vollständig unter osmanischer Herrschaft; Beginn der Islamisierung<br />

um 1830-1912<br />

Nationale Wiedergeburt (Rilindja); zunächst kulturelle, dann politische Selbständigkeitsbewegung<br />

1878-1881 (Berliner Kongress) Liga von Prizren kämpft gegen Abtretung albanischer Siedlungsgebiete<br />

an Serbien und Montenegro, später auch gegen die osmani sche Regierung<br />

1912 (28.11.) Unabhängigkeitsproklamation; Regierung unter Ismail Qemal Bej Vlora<br />

1913 (März) Londoner Botschafterkonferenz legt die Grenzen fest: Kosovo und Alba nisch-Mazedonien<br />

bleiben bei Serbien und Montenegro, der Großteil der südalbanischen Cameria bleibt als<br />

„Epirus“ bei Griechenland<br />

1924-1939 Diktatur unter Ahmet Bej Zogu<br />

1939 (7.4.) Besetzung durch Italien; Viktor Emanuel III. von Italien wird in Personal union König von <strong>Albanien</strong><br />

1941 (8.11.) Gründung der Kommunistischen Partei <strong>Albanien</strong>s (PKSH, später PPSH)<br />

1943 (8.9.) Kapitulation Italiens; Deutschland neue Besatzungsmacht<br />

1944 -1991 I. Antifaschistischer Kongress der Nationalen Befreiung <strong>Albanien</strong>s: eine Provisorische Regierung<br />

unter Enver Hoxha (gest. 1985) wird bestellt. Im Januar 1946 wird <strong>Albanien</strong> Volksrepublik. Ab 1976<br />

Sozialistische Volksre publik unter Hoxa und später Ramiz Alia (Partei der Arbeit <strong>Albanien</strong>s/PPSH)<br />

Über 5.000 Menschen wurden zwischen 1944 und 1990 hingerichtet oder kamen im Gefängnis um;<br />

die Zahl der Verfolgten dürfte sechsstellig sein.<br />

Dezember 1989 erste regierungsfeindliche Demonstration in Shkoder, An fang Juli 1990 Flucht<br />

Tausender in die westlichen Botschaften, im Dezember 1990 setzte eine Studentenbewegung die<br />

Legalisierung von Oppositionspar teien durch (Zulassung der Demokratischen Partei <strong>Albanien</strong>s - PD)<br />

150 Deutsch-Albanische Freundschaftsgesellschaft (DAFG): Zeittafel; http://www.albanien-dafg.de/zeittafel/ (Abruf<br />

am 05.10.2015)


37<br />

1991 (31.3.) Erste demokratische Wahlen<br />

1991 (29.4.) Übergangsverfassung; neuer Staatsname Republik <strong>Albanien</strong><br />

1992 Sali Berisha (PD) wird Präsident<br />

1995 (10.7.) Aufnahme in den Europarat<br />

1997 Staatskrise: Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nach dem Kollaps<br />

betrügerischer Anlagefonds („Pyramidengesellschaften“)<br />

Neuwahlen: Sieg der PS - Sozialistische Partei (Nachfolgepartei der PPSH)<br />

1998 Neue Verfassung tritt in Kraft<br />

2005 Sieg der PD bei den Neuwahlen unter Berisha<br />

2006 Unterzeichnung Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU<br />

2009 (1.4) NATO-Mitgliedschaft, SAA tritt in Kraft<br />

2009 (28.4) Antrag auf EU-Beitritt<br />

2013 (10.9) Edi Rama (PS) wird neuer Ministerpräsident<br />

2014 (Juni) EU-Kandidatenstatus


38<br />

2. Karte<br />

Quelle:UNHCR


Impressum<br />

Herausgeber<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)<br />

Referat 225a - Länderanalysen<br />

90343 Nürnberg<br />

Bezugsquelle/Ansprechpartner<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

Referat 224 - Rechtsprechungsanalysen<br />

90343 Nürnberg<br />

ivs-anfragen@bamf.bund.de<br />

Download über https://milo@bamf.de<br />

Stand<br />

Oktober 2015<br />

Druck<br />

BAMF, Zentraler Service<br />

Gestaltung<br />

BAMF, Zentraler Service, Publikationen, Veranstaltungsmanagement, Besucherdienst,<br />

Gertraude Wichtrey<br />

Bildnachweis<br />

iStock: Titel<br />

Verfasser<br />

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

Referat 225a - Länderanalysen<br />

Tel.: +49 911 943 7201<br />

Fax: +49 911 943 7299

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