Information Albanien
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<strong>Information</strong><br />
<strong>Albanien</strong><br />
Aktuelle Lage<br />
Rechtsstaatlichkeit<br />
Menschenrechtslage<br />
Oktober 2015
3<br />
Urheberrechtsklausel<br />
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich<br />
geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich<br />
vom Urheberrecht zugelassen ist, insbesondere eine<br />
Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung<br />
und/oder eine Einspeicherung und Verarbeitung,<br />
auch auszugsweise, in elektronischen Systemen ist nur<br />
mit Quellenangabe und vorheriger Genehmigung des<br />
Bundesamtes gestattet.<br />
Die Inhalte dürfen ohne gesonderte Einwilligung lediglich<br />
für den privaten, nicht kommerziellen Gebrauch<br />
sowie ausschließlich amtsinternen Gebrauch abgerufen,<br />
heruntergeladen, gespeichert und ausgedruckt werden,<br />
wenn alle urheberrechtlichen und anderen geschützten<br />
Hinweise ohne Änderung beachtet werden.<br />
Copyright statement<br />
This report/information is subject to copyright rules/<br />
all rights reserved. Any kind of use of this report/information<br />
- in whole or in part - not expressly admitted by<br />
copyright laws requires approval by the Federal Office of<br />
Migration and Refugees (Bundesamt). Especially reproduction,<br />
adaptation, translating, microfilming, or uploading<br />
in electronic retrieval systems - is allowed only upon<br />
prior approval by the Bundesamt provided the source is<br />
acknowledged.<br />
Use of the report/information may be made for private,<br />
non commercial and internal use within an organisation<br />
without permission from the Bundesamt following copyright<br />
limitations.<br />
Disclaimer<br />
Die <strong>Information</strong> wurde gemäß der EASO COI Report<br />
Methodology (2012), den gemeinsamen EU-Leitlinien für<br />
die Bearbeitung von <strong>Information</strong>en über Herkunftsländer<br />
(2008) sowie den Qualitätsstandards des Bundesamtes<br />
für Migration und Flüchtlinge (2013) auf Grundlage<br />
sorgfältig ausgewählter und zuverlässiger <strong>Information</strong>en<br />
erstellt. Wurden <strong>Information</strong>en im Rahmen sogenannter<br />
Fact-Finding-Missions in den Herkunftsländern gewonnen,<br />
erfolgte dies unter Berücksichtigung der gemeinsamen<br />
EU-Leitlinien für (gemeinsame)Fact-Finding-Missions<br />
(2010). Alle zur Verfügung gestellten <strong>Information</strong>en<br />
wurden mit größter Sorgfalt recherchiert, bewertet und<br />
aufbereitet. Alle Quellen werden genannt und nach wissenschaftlichen<br />
Standards zitiert.<br />
Die vorliegende Ausarbeitung erhebt keinen Anspruch<br />
auf Vollständigkeit. Findet ein bestimmtes Ereignis, eine<br />
bestimmte Person oder Organisation keine Erwähnung,<br />
bedeutet dies nicht, dass ein solches Ereignis nicht stattgefunden<br />
hat oder die betreffende Person oder Organisation<br />
nicht existiert. Der Bericht/die <strong>Information</strong> erlaubt<br />
keine abschließende Bewertung darüber, ob ein individueller<br />
Antrag auf Asyl-, Flüchtlings- oder subsidiären<br />
Schutz berechtigt ist. Die benutzte Terminologie sollte<br />
nicht als Hinweis auf eine bestimmte Rechtauffassung<br />
verstanden werden. Die Prüfung des Antrags auf Schutzgewährung<br />
muss durch den für die Fallbearbeitung<br />
zuständigen Mitarbeiter erfolgen. Die Veröffentlichung<br />
stellt keine politische Stellungnahme des Bundesamtes<br />
für Migration und Flüchtlinge dar.<br />
Diese Ausarbeitung ist öffentlich.<br />
Disclaimer<br />
The information was written according to the „EASO COI<br />
Report Methodology“ (2012), the „Common EU guidelines<br />
for processing factual COI“ (2012) and the quality standards<br />
of the Federal Office for Migration and Refugees<br />
(Bundesamt) (2013). It was composed on the basis of carefully<br />
selected and reliable information. <strong>Information</strong> from<br />
so-called fact-finding missions in countries of origin is<br />
provided in accordance with EU directives for (common)<br />
fact-finding missions (2010). All information provided<br />
has been researched, evaluated and analyzed with utmost<br />
care within a limited time frame. All sources used are<br />
referenced and cited according to scientific standards.<br />
This document does not pretend to be exhaustive. If a<br />
certain event, person or organization is not mentioned,<br />
this does not mean that the event has not taken place or<br />
that the person or organization does not exist. This document<br />
is not conclusive as to the merit of any particular<br />
claim to international protection or asylum. Terminology<br />
used should not be regarded as indication of a particular<br />
legal position. The examination of an application for<br />
international protection has to be carried out by the responsible<br />
case worker. The information (and views) set
4<br />
out in this document does/do not necessarily reflect the<br />
official opinion of the Bundesamt and makes/make no<br />
political statement whatsoever.<br />
This document is public.<br />
Abstract<br />
Seit dem politischen Umbruch 1990/91 hat <strong>Albanien</strong><br />
enorme Fortschritte beim Demokratisierungsprozess<br />
gemacht. Der Übergang von der Diktatur zur Demokratie,<br />
vom Kommunismus zur Marktwirtschaft bleibt jedoch<br />
schwierig. Das demokratische System krankt immer noch<br />
an vielen Defiziten, die auf historische, politische und<br />
kulturelle Faktoren zurückzuführen sind. Wirtschaftlich<br />
gehört das Land noch immer zu einem der ärmsten Europas,<br />
ca. jeder Vierte der knapp drei Millionen Einwohner<br />
lebt unter dem Existenzminimum. Seit dem Wegfall der<br />
Visapflicht für albanische Staatsangehörige 2010 und der<br />
Wirtschaftskrise in Europa steigt der Migrationsdruck<br />
und damit auch die Zahl der albanischen Asylantragsteller<br />
in Europa wieder an. Waren zunächst Frankreich,<br />
Schweden und Belgien die Hauptzielländer für Asylmigration<br />
aus <strong>Albanien</strong>, haben seit Herbst 2013 auch in<br />
Deutschland die Zugangszahlen deutlich zugenommen.<br />
Seit Anfang des Jahres 2015 steigen die Zugangszahlen<br />
explosionsartig an und haben im ersten Halbjahr außerordentliche<br />
Dimensionen erreicht. Als Asylgrund werden<br />
neben wirtschaftlichen und sozialen Problemen Bedrohungen<br />
durch Dritte (Blutrache, Organisierte Kriminalität)<br />
und familiäre Konflikte oder Gewalt vorgetragen.<br />
Der vorliegende Bericht behandelt daher die allgemeine<br />
politische Lage und Entwicklung, die Rechtsstaatlichkeit<br />
und die Menschenrechtslage.<br />
Albanian asylum seekers increases in Europe again. First<br />
France, Sweden and Belgium were the main countries<br />
of destination for asylum migration from Albania. But<br />
since fall of 2013 in Germany the access numbers have<br />
increased clearly. They have risen explosively since the<br />
beginning of 2015 and finally reached exceptionally proportions<br />
in the first half of 2015. As grounds for asylum<br />
in addition to economic and social problems also threats<br />
by third parties (blood feud, organized crime) and family<br />
conflicts or violence are presented. This report deals<br />
therefore with the general political situation and development,<br />
the rule of law and the human rights situation.<br />
abstract<br />
Since the political change 1990/91 Albania has made<br />
enormous progress in the process of democratization,<br />
but the transition from dictatorship to democracy, from<br />
communism to market economy remains difficult. The<br />
democratic system suffers from many deficiencies, which<br />
are due to historical, political and cultural factors. In economic<br />
terms, the country is still one of the poorest in Europe,<br />
every fourth of the barely three million inhabitants<br />
live below the poverty line. Since the abolition of the visa<br />
regime for Albanian citizens 2010 and the economic crisis<br />
in Europe, the migration pressure and the number of
5<br />
Inhalt<br />
Vorbemerkung 7<br />
1<br />
2<br />
3<br />
Aktuelle Lage 8<br />
1.1 Außenpolitische Lage 8<br />
1.2 Innenpolitische Lage 10<br />
1.3 Sicherheitslage 11<br />
1.4 Wirtschaftliche und soziale Lage 11<br />
1.5 Gesellschaftliche Entwicklung 14<br />
1.6 Migration 15<br />
Demokratische Strukturen und Rechtsstaatlichkeit 17<br />
2.1 Demokratische Strukturen 17<br />
2.2 Mehrparteiensystem 18<br />
2.3 Freie Betätigungsmöglichkeit für die Opposition 19<br />
2.4 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit 19<br />
2.5 Meinungs- und Pressefreiheit 19<br />
2.6 Justiz und Polizei 19<br />
2.7 Korruption 21<br />
2.8 Organisierte Kriminalität 22<br />
2.9 Extremismus 22<br />
Menschenrechtslage 25<br />
3.1 Willkürliche und ungesetzliche Tötungen, „Verschwindenlassen“ 25<br />
3.2 Unmenschliche und erniedrigende Bestrafung, Haftbedingungen 25<br />
3.3 Unmenschliche und erniedrigende Behandlung, Folter 26<br />
3.4 Willkürliche Verhaftungen, lang andauernde Untersuchungshaft 27<br />
3.5 Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis allgemein 27<br />
3.6 Lage sexueller Minderheiten (LGBTI Gemeinschaften) 27<br />
3.7 Situation von Frauen und Kindern 28<br />
3.8 Menschenhandel 30<br />
3.9 Lage der Minderheiten 31<br />
3.10 Lage der Religionsgemeinschaften 33<br />
3.11 Lage von Rückkehrern / Reintegration 34<br />
3.12 Blutrache 34<br />
Schlussbemerkung 35<br />
Anhang 36<br />
1. Zeittafel 36<br />
2. Karte 38
7<br />
Vorbemerkung<br />
Nach vier Jahrhunderten osmanischer Herrschaft wurde<br />
<strong>Albanien</strong> am 28.11.1912 in den heutigen Grenzen gegründet<br />
und erstmals ein unabhängiger Staat. Fast die Hälfte<br />
der von Albanern besiedelten Gebiete fiel allerdings an<br />
die Nachbarstaaten (heute: Kosovo, Mazedonien, Serbien,<br />
Montenegro). Nach den Wirren der beiden Weltkriege<br />
übte von 1944 bis 1991 die kommunistische „Partei der<br />
Arbeit <strong>Albanien</strong>s“ unter Enver Hoxha (später Ramiz Alia)<br />
eine totalitäre Herrschaft aus. Vier Jahrzehnte beherrschte<br />
er das Land mit eiserner Hand. 60.000 Albaner wurden<br />
aus politischen Gründen verhaftet oder verbannt, an<br />
die 6.000 Hinrichtungen sollen stattgefunden haben.<br />
<strong>Albanien</strong> galt bis 1990 als letzte Bastion des Stalinismus<br />
in Europa. Das Land war vollkommen isoliert. Mit den<br />
Studentendemonstrationen 1990/91 setzte ein Wandlungsprozess<br />
ein. Anfänglich drohte das Land in Gewalt<br />
und Anarchie zu versinken. Besonders der Massenexodus<br />
und die Hungersnot von 1991/92 sowie die sog. Pyramiden-Krise<br />
von 1997 führten zu chaotischen Zuständen.<br />
Obwohl das Land nicht wie die ex-jugoslawischen Republiken<br />
in einen militärischen Konflikt hineingezogen<br />
wurde, war dieser Zusammenbruch eine traumatische<br />
Erfahrung.<br />
Fast 25 Jahre nach der Wende ist <strong>Albanien</strong> noch immer<br />
von einem grundlegenden Umbruch gekennzeichnet.<br />
Kein anderes Land der Region hatte eine schlechtere und<br />
kompliziertere politische wie wirtschaftliche Ausgangslage<br />
für den Demokratisierungsprozess als <strong>Albanien</strong>.<br />
Trotz erreichter Fortschritte wird die Entwicklung des<br />
Landes durch die starke politische Polarisierung der albanischen<br />
Gesellschaft, durch traditionelle und aus Zeiten<br />
des Totalitarismus übernommene Verhaltensweisen, die<br />
Schwäche des Staates und seiner Institutionen sowie die<br />
starke Durchsetzung der albanischen Gesellschaft mit<br />
Korruption und organisiertem Verbrechen gebremst. Ein<br />
generelles Problem <strong>Albanien</strong>s ist die noch immer vorherrschende<br />
Rückständigkeit großer Teile des Landes.<br />
Es bedarf weiterer politischer Stabilität und der Konsolidierung<br />
der Demokratie, damit das Land die Lösung<br />
seiner Hauptprobleme (Gewährleistung der uneingeschränkten<br />
Achtung der Menschen rechte; Bekämpfung<br />
von Betrug, Korruption, organisierter Kriminalität und<br />
illegalem Handel; Funktionieren von Polizei und Justiz<br />
etc.) angehen kann. <strong>Albanien</strong> ist nach wie vor eines der<br />
ärms ten Länder Europas. 7 % der Bevölkerung leben<br />
unter der extremen Armutsgrenze, 17,7 % sind offiziell<br />
arbeitslos. Die Sozialsysteme bieten keine angemessene<br />
Versorgung. Hinzukommt eine große Unzufrie denheit<br />
über die Staatsführung, Korruption und Vetternwirtschaft.<br />
Seit Beginn der Wirtschaftskrise 2009 haben<br />
tausende albanische Migranten ihre Arbeit in Italien und<br />
Griechenland verloren und waren gezwungen in ihre<br />
Heimat zurückzukehren. Nur wenige von den Rückkehrern<br />
konnten in <strong>Albanien</strong> wieder Fuß fassen. Seit Anfang<br />
des Jahres 2015 hat eine Emigrationswelle das Land erfasst.<br />
Allein in Deutschland haben dieses Jahr über 40.000<br />
Albaner Asyl beantragt. Als Asylgrund werden neben<br />
wirtschaftlichen und sozialen Problemen v. a. Bedrohungen<br />
durch Dritte (Blutrache, Organisierte Kriminalität)<br />
und familiäre Auseinandersetzungen oder Gewalt<br />
vorgetra gen. Der vorliegende Bericht behandelt daher die<br />
allgemeine politische Lage und Entwicklung, die Rechtsstaatlichkeit<br />
und die Menschenrechtslage.
8<br />
1<br />
Aktuelle Lage<br />
Staatsname<br />
Staatsform<br />
Republik <strong>Albanien</strong> (Republika e Shqipërisë)<br />
Parlamentarische Republik<br />
Staatsoberhaupt Bujar Nishani (seit 24.07. 2012)<br />
Premierminister Edi Rama (seit 10.09.2013)<br />
Fläche<br />
Bevölkerung<br />
Religion<br />
28.800 qkm<br />
2,8 Mio. (Zensus 2011 1 ): rund 83 % Albaner, 0,87 % Griechen, 0,2 % Mazedonier, 0,4 % Roma/Ägypter<br />
Ca. 60 % Muslime, 6,75 % Orthodoxe, ca. 10 % Katholiken<br />
Arbeitslosigkeit 17,7 %<br />
BIP/Kopf<br />
3.486 Euro<br />
1.1 Außenpolitische Lage<br />
Seit der Wende Anfang der 1990er Jahre sieht <strong>Albanien</strong><br />
seine Zukunft in Europa. Die zügige Westintegration wurde<br />
von Washington unterstützt. <strong>Albanien</strong> ist bisher als<br />
einziges Land des westlichen Balkans Mitglied der NATO.<br />
Außerdem ist es Mitglied der Vereinten Nationen (UN),<br />
der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in<br />
Europa (OSZE) und des Internationalen Währungsfonds<br />
(IWF). Mit der Unterzeichnung des Stabilisierungs- und<br />
Assoziierungsabkommens (SAA) im Juni 2006 mit der<br />
EU wurden die unternommenen Reformanstrengungen<br />
<strong>Albanien</strong>s, die stabile Wirtschaftslage und die konstruktive<br />
regionale Rolle des Landes gewürdigt. Im April 2009<br />
beantragte es die Aufnahme in die EU. Unter Berücksichtigung<br />
der bis dato erreichten Fortschritte wurde im<br />
November 2010 eine visumsfreie Regelung eingeführt.<br />
Auf den Kandidatenstatus hat das Land allerdings lange<br />
warten müssen. Dreimal hat die EU-Kommission den<br />
Antrag abgelehnt. Korruption, Vetternwirtschaft und<br />
organisierte Kriminalität belasteten den Prozess der Demokratisierung.<br />
Ein weiterer Grund des Wartens war die<br />
1 Republic Albania (2011): Population and Housing<br />
Census 2011; http://www.instat.gov.al/media/178070/rezultatet_kryesore_t__censusit_t__popullsis__dhe_banesave_2011_n__shqip_ri.pdf<br />
(Abruf<br />
am 05.10.2015)<br />
starke Polarisierung zwischen den zwei rivalisieren den<br />
Volksparteien, die in den letzten 23 Jahren im Wechsel<br />
regierten. Im Juni 2014 erfolgte endlich die Verleihung<br />
des EU-Kandidatenstatus, obwohl das Land weiterhin<br />
viele Probleme hat. Durch die reibungslos verlaufenen<br />
Parlamentswahlen im Juni 2103 habe das Land seine<br />
demokratische Reife unter Beweis gestellt, so die Begründung<br />
der Kommission. 2 Damit die Beitrittsverhandlungen<br />
tatsächlich beginnen können, fordert die EU weitere<br />
Anstrengungen. <strong>Albanien</strong> muss die Justiz und Verwaltung<br />
reformieren und sich auf die Einhaltung von Recht und<br />
Gesetz konzentrieren. Der Schutz von Minderheiten und<br />
der Kampf gegen Korruption und organisiertes Verbrechen<br />
müssen verstärkt werden. 3<br />
2 Deutsche Welle (27.06.2014): <strong>Albanien</strong> am Anfang<br />
eines langen Weges in die EU, http://www.dw.com/<br />
de/albanien-am-anfang-eines-langen-weges-indie-eu/a-17741553<br />
(Abruf am 31.08.2015)<br />
3 Deutscher Bundesrat (07.11.2014) Drucksache:<br />
551/14: Unterrichtung durch die Europäische<br />
Kommission: Erweiterungsstrategie<br />
und wichtigste Herausforderungen 2014-201;<br />
Http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2014/0501-0600/551-14.pdf?__<br />
blob=publicationFile&v=1 (Abruf am 19.08.2015)
9<br />
<strong>Albanien</strong>s Außenpolitik ist darauf gerichtet, zu den Nachbarstaaten<br />
solide Beziehungen aufzubauen und die Zusammenarbeit<br />
in der Region zu fördern. Dabei spielt das<br />
Land eine konstruktive Rolle im Aufbau gemeinsamer<br />
Sicherheits- und Wirtschaftsstrukturen in der Region,<br />
namentlich in Kosovo. Die Verbindungen nach Kosovo,<br />
das mehrheitlich von albanisch-stämmiger Bevölkerung<br />
bewohnt wird, sind eng. Die Unabhängigkeitserklärung<br />
Kosovos am 17.02.2008 wurde von der albanischen Regierung<br />
sehr begrüßt und von der Bevölkerung gefeiert.<br />
Dennoch sind Bestrebungen nach einem „Groß-<strong>Albanien</strong>“<br />
kein Element der offiziellen albanischen Außenpolitik.<br />
4<br />
Abbildung 1:<br />
Flagge „Großalbanien“<br />
Schwierig ist das Verhältnis <strong>Albanien</strong>s zu Serbien. In den<br />
vergangenen Jahrzehnten gab es praktisch keine Beziehungen<br />
zwischen den beiden Ländern. Weil <strong>Albanien</strong><br />
auch in kommunistischer Zeit komplett isoliert war, gab<br />
es auch lange keine Verbindungen zu Jugoslawien. 5 Der<br />
Konflikt zwi schen Serben und Albanern geht zurück bis<br />
zum Berliner Kongress 1878, als große Teile des albanischen<br />
Siedlungsgebietes unter serbische Kontrolle<br />
geriet. Dass nach den Balkankriegen 1912 ein albanischer<br />
Staat entstand, hat daran nichts geändert. Das schlechte<br />
Verhältnis spitzte sich mit der Vertreibung der kosovoalbanischen<br />
Bevölkerung Ende der 1990er Jahre und<br />
der Unabhängigkeit Kosovos 2008 zu. Inzwischen findet<br />
zwar auf politischer Ebene ein Normalisierungsprozess<br />
zwi schen Serbien, Kosovo und <strong>Albanien</strong> statt, den noch<br />
sind bei vielen Menschen Ressentiments gegenüber der<br />
anderen Volksgruppe geblieben. Die Ausschreitungen<br />
während des Qualifikationsspiels zur Fußball-Europameisterschaft<br />
zwischen Serbien und <strong>Albanien</strong> im Oktober<br />
2014 werfen ein Schlaglicht auf die Beziehungen der Länder.<br />
Das Spiel in Belgrad wurde wegen Ausschreitungen<br />
abgebrochen. Auslöser war die per Drohne manö vrierte<br />
Flagge eines „Großalbaniens“ (siehe Ab bildung 1).<br />
Dieses „Großalbanien“ umfasst neben <strong>Albanien</strong> und<br />
Kosovo auch das südserbische Presevotal, den Westen<br />
Mazedoniens sowie Teile Montenegros und Nordgriechenlands.<br />
In mehreren Städten Nord serbiens kam es zu<br />
Zerstörungen albanischer Bäckereien und Imbisse. Die<br />
serbische Sonderpolizei musste Lokale in Novi Sad schützen.<br />
Auch eine Moschee wurde zur Zielscheibe serbischer<br />
Natio nalisten. Der Vorfall sorgte auch für Unruhe in Kosovo<br />
und führte zu gewaltsamen Zusammenstö ßen zwischen<br />
Serben und Albanern in Wien. Der für den 22.10.14<br />
geplante erste Besuch des albani schen Staatspräsidenten<br />
seit 68 Jahren in Serbien wurde zunächst verschoben,<br />
fand dann aber im November statt. Im Mai 2015 folgte<br />
der Gegenbesuch in dem Bemü hen, Fortschritte im<br />
zwischen staatlichen Verhältnis zu erreichen. Schließlich<br />
haben Serbien und <strong>Albanien</strong> völlig unterschiedliche Haltungen<br />
gegenüber der Unabhängigkeit Kosovos. 6<br />
Auch das albanisch-griechische Verhältnis ist schwierig.<br />
Zum einen wegen des Engagements des griechischen<br />
4 Auswärtiges Amt (Mai 2015): Länderinfos <strong>Albanien</strong><br />
– Außenpolitik, http://www.auswaertiges-amt.de/<br />
DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />
Aussenpolitik_node.html<br />
5 derStandard (27.05.2015): Franzosen und Deutsche<br />
als Vorbilder für Serben und Albaner, http://derstandard.at/2000016473367/Franzosen-und-Deutscheals-Vorbild-fuer-Serben-und-Albaner<br />
(Abruf am<br />
19.08.2015)<br />
6 Deutsche Welle (26.05.2015) : Erster Staatsbesuch:<br />
Serbischer Premier in <strong>Albanien</strong>, http://www.<br />
dw.com/de/erster-staatsbesuch-serbischer-premierin-albanien/a-18476360
10<br />
Staates, der griechisch-orthodoxen Kirche und nationalistischer<br />
Verbände zugunsten der griechischen Minderheit,<br />
aber auch wegen der Entschädigungsforderungen<br />
seitens der Nachfah ren von albanischen Muslimen<br />
(Çamen), die nach dem Zweiten Weltkrieg als angebliche<br />
Kollabo rateure der Italiener aus Nordgriechenland<br />
vertrieben wurden. 7 Nach dem Abbruch des EM-Qualifikationsspiels<br />
zwischen Serbien und <strong>Albanien</strong> trugen 100<br />
Personen Transparente mit alba nisch-nationalistischen<br />
Botschaften und zerschmetterten Schaufenster von<br />
Läden und Automobile der griechischen Minderheit im<br />
Dorf Dervičan an der albanisch-griechischen Grenze. 8<br />
1.2 Innenpolitische Lage<br />
Die innenpolitische Lage wird seit Jahren vom Gegensatz<br />
zwischen der konservativen Demokrati schen Partei <strong>Albanien</strong>s<br />
(PD) und der sozialdemokratisch orientierten Sozialistischen<br />
Partei Albani ens (PS) geprägt. Beide stehen<br />
sich unversöhnlich gegenüber und haben eine Reihe von<br />
kleineren Parteien als (teils wechselnde) Bündnispartner<br />
um sich geschart. Ein wichtiger Akteur dabei ist die<br />
Demokratische Partei (PD) des ehemaligen Ministerpräsident<br />
Sali Berisha, in der sich die antikom munistische<br />
Opposition 1991 organisiert hat. Sali Berisha war in den<br />
letzten zwei Jahrzehnten der dominierende Politiker.<br />
Trotz Mitgliedschaft in der Demokratischen Partei zählt<br />
er eigentlich zur „alten Garde“. Seine Kritiker werfen ihm<br />
groß angelegte Korruption und Vetternwirtschaft vor.<br />
Auch offene Wahlfälschungen sollen auf sein Konto gehen.<br />
Gegenspieler ist die Sozialistische Par tei <strong>Albanien</strong>s<br />
(PS) unter Edi Rama (vorher unter Fato Nano), die aus<br />
der kommunistischen Partei der Arbeit <strong>Albanien</strong>s (PPSH)<br />
hervorgegangenen ist. Zwischen den beiden Partien gibt<br />
es seit 20 Jahren nicht nur Meinungsverschiedenheiten,<br />
sondern tiefgründige Abneigung und ritualisierten Streit.<br />
Die parlamentarischen Auseinandersetzungen waren und<br />
sind geprägt von permanentem Konflikt zwischen der PD<br />
und der PS: um ideologische Zuordnungen des Lagers,<br />
um Verbindungen zum früheren kommunistischen Re-<br />
7 Schmidt-Neke, Michael (2014): Handbuch Balkan:<br />
<strong>Albanien</strong> in Europa. Slavistische Studienbücher<br />
Wiesbaden<br />
8 Voice of Serbia (2014): Albanische Extremisten<br />
griffen griechische Minderheit an; http://www.ser-<br />
biennachrichten.com/index.php/gesellschaft/1101-<br />
schockierend-albanische-extremisten-griffen-griechische-minderheit-an<br />
gime, über inhaltliche Themen, um die Rechtsmäßigkeit<br />
der Wahlen und um die Besetzung von Richterpositionen.<br />
Das Parlament <strong>Albanien</strong>s funktionierte durch diesen<br />
Dauerstreit bisher nur sehr eingeschränkt, ein konstruktiver,<br />
politischer Dialog war nicht gegeben. Selbst Gewaltanwendung<br />
war nicht tabu. Im Parlament <strong>Albanien</strong>s<br />
gab es mehrfach tumultartige Auseinandersetzungen mit<br />
enormem Körpereinsatz. 9<br />
Seit dem Ende des Kommunismus gab es keine Parlamentswahl,<br />
deren Ergebnis die unterlegene Partei<br />
akzeptiert hätte. Nach dem Kopf-an-Kopf-Rennen bei<br />
der Wahl 2009 und dem erneuten knappen Sieg der PD<br />
unter Berisha, war die Enttäuschung der Opposition<br />
sehr groß. Das führte zu einem fast permanenten Boykott<br />
des Parlaments, zu Protesten auf der Straße und zu<br />
einem Hunger streik von Abgeordneten der PS. Im Jahr<br />
2011 kam es anlässlich einer Großdemonstration gegen<br />
die Regierung zu gewalttätigen Auseinandersetzungen<br />
zwischen den Protestierenden und der Polizei. Vier Menschen<br />
kamen ums Leben. Rund 120 Personen, darunter<br />
auch viele Polizisten, wurden verletzt. Oppositionsführer<br />
Edi Rama sprach von den Getöteten als Helden, die sich<br />
geopfert hätten. Berisha bezeichnete die Auseinandersetzungen<br />
als Versuch der Opposition, die Regierung durch<br />
einen Putsch zu stürzen. Die europäischen Botschaften<br />
und die EU mussten die Wogen glätten und verhandelten<br />
mit beiden Kontrahenten, um die Lage zu beruhigen. 10<br />
Erstmals nach der Wahl im Juni 2013 konnte die PS ein<br />
Sieg erringen und Sali Berisha räumte seine Wahlniederlage<br />
ein. Die Wahl selbst verlief laut OSCE weitgehend<br />
reibungslos. In Anerkennung des diesmal demokratisch<br />
und glatt verlaufenden Machtwechsels und der von der<br />
Regierung Rama eingeleiteten Reformpoli tik hat die EU<br />
<strong>Albanien</strong> im Juni 2014 den EU-Beitrittskandidatenstatus<br />
verliehen. 11<br />
9 Konrad-Adenauer-Stiftung (Februar 2011): Der<br />
Dauerstreit zwischen Regierung und Opposition<br />
eskaliert; http://www.kas.de/albanien/de/publications/21981/<br />
(Abruf am 05.08.2015)<br />
10 Konrad-Adenauer-Stiftung (Februar 2011): Der<br />
Dauerstreit zwischen Regierung und Opposition<br />
eskalierte; http://www.kas.de/albanien/de/publications/21981/<br />
(Abruf am 05.08.2015)<br />
11 Auswärtiges Amt (November 2014): Länderinformationen,<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/<br />
Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />
Innenpolitik_node.html (Abruf am 13.05.2015)
11<br />
Die aktuelle Regierungskoalition unter Premierminister<br />
Edi Rama 12 (PS) setzt sich aus folgenden Parteien und<br />
Fraktionen zusammen: der Sozialistischen Partei (PS,<br />
65 Sitze), der Sozialistischen Bewegung für Integration<br />
(LSI, 16 Sitze), der Menschenrechtspartei (PBDNJ, 1<br />
Sitz) und der Christdemokra tischen Partei (PKDSH, 1<br />
Sitz). In der Opposition befinden sich die Fraktion der<br />
Demokratischen Partei (PD, 50 Sitze), die Albanische<br />
Republikanische Partei (RP, 3 Sitze) und die Partei für<br />
Gerechtigkeit, Integration und Einheit (PDIU, 4 Sitze).<br />
Erklärte Hauptziele der seit Sep tember 2013 amtierenden<br />
Regierung unter Führung der Sozialistischen Partei von<br />
Premierminister Edi Rama sind die weitere Annäherung<br />
an die Europäische Union und die Durchsetzung der dazu<br />
notwendigen Reformen auf allen politischen Ebenen.<br />
Dazu gehören die effektive Bekämpfung der organisierten<br />
Kriminalität und der auf allen Ebenen grassierenden<br />
Korruption. Daneben sind die Verbesserung der rückständigen<br />
Infrastruktur sowie die Schaffung eines investitionsfreundlichen<br />
Wirtschaftsklimas die wichtigsten<br />
Aufgaben. Edi Rama hat entschlossene Reformschritte<br />
zur Stär kung der Rechtsstaatlichkeit eingeleitet und<br />
verzeichnet erste Erfolge im Kampf gegen Korruption<br />
und organisiertes Verbrechen. Im Jahr 2014 wurde die<br />
lang fällige Gebietsreform verabschiedet, die künftig die<br />
Staatsfläche in 61 Städte einteilt. 13<br />
Im Juni 2015 fanden Kommunalwahlen statt. Regierung<br />
und Opposition sahen diese als landeswei ten Stimmungstest,<br />
weshalb im Wahlkampf nationale Themen<br />
dominierten. Die Begleitung des Wahlkampfes durch<br />
internationale Beobachter war diesmal besonders stark.<br />
12 Edi Rama (geb. 04.07.1964 in Tirana) ist Kunstprofessor.<br />
Er beteiligte sich aktiv an der ersten Demokratiebewegungen<br />
in <strong>Albanien</strong> Anfang der 1990er<br />
Jahre. Er lebte als Künstler von 1995-97 in Paris. Seit<br />
Oktober 2005 ist er Vorsitzender der Sozialistischen<br />
Partei <strong>Albanien</strong>s (PS). Zwischen 2000 und 2011 war<br />
er Bürgermeister von Tirana. Als Bürgermeister<br />
organisierte er Studenten, um ganze Stadtviertel zu<br />
reinigen, Parks zu erneuern, Bäume zu pflanzen und<br />
Gehsteige instand zu setzen. Er wurde zum Weltbürgermeister<br />
2004 gewählt und stand auf der Time<br />
Magazine Liste der Europäischen Helden 2005. Seit<br />
dem 10.09.2013 ist er der 12. Ministerpräsident <strong>Albanien</strong>s<br />
(Wikipedia).<br />
13 Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung<br />
und Zusammenarbeit BMZ https://www.bmz.<br />
de/de/was_wir_machen/laender_regionen/Mittel-<br />
Ost-und-Suedosteuropa/albanien/zusammenarbeit/index.html<br />
Zum einen galten die Wahlen als Test für die demokratische<br />
Entwicklung des Landes, nachdem <strong>Albanien</strong> 2014<br />
den Status eines EU-Kandidaten zuerkannt bekommen<br />
hatte. Zum anderen waren Wahlen in den vergangen<br />
Jahren oft von Manipulationen bis hin zur Gewalt und<br />
überschattet gewesen. Als größtes Problem im Rahmen<br />
der Manipulationsversuche war auch diesmal wieder<br />
der mehr oder weniger offene Stimmenkauf. Dieser fand<br />
sowohl im Vorfeld statt als auch am Wahltag selbst. Die<br />
Vorwürfe der Opposition konnten in zahlreichen Fällen<br />
nachgewiesen und auch von internationalen Beobachtern<br />
weitestgehend bestätigt werden. Jedoch wurden<br />
sowohl von den internationalen als auch nationalen<br />
Wahlbeobachtern und schließlich der Zentralen Wahlkommission<br />
die Wahlen nicht beanstandet oder die<br />
Ergebnisse in Frage gestellt. Bei den Kommunalwahlen<br />
konnte sich die regierende Links koalition durchsetzen<br />
(sie gewann 46 der 61 Bürgermeisterämter und auch in<br />
allen wichtigen gro ßen Städten wie Tirana, Durres, Korca,<br />
Elbasan und Vlora). Die Opposition mit dem neuen PD-<br />
Vorsitzendem Luzim Basha (ehemals Bürgermeister von<br />
Tirana) musste eine herbe Niederlage hin nehmen. 14<br />
1.3 Sicherheitslage<br />
Die Sicherheitslage ist stabil. Während der Kosovo-Krise<br />
1999 erwies sich <strong>Albanien</strong> als Stabilitäts faktor in der<br />
Region. Die Regierung bekannte sich zur Haltung der<br />
internationalen Gemeinschaft gegenüber Jugoslawien<br />
und distanzierte sich von Extremisten in Kosovo. Auch<br />
von den gewalttäti gen Ausschreitungen der albanischstämmigen<br />
Mazedonier im Frühjahr und Sommer 2001<br />
distan zierte sich die albanische Regierung deutlich und<br />
umfassend. Beeinträchtigend für die allgemeine Sicherheitslage<br />
sind nur die relativ hohe Kriminalitätsrate, die<br />
in den letzen fünf Jahren wieder zu genommen hat sowie<br />
neue Bedrohungen durch radikale Islamisten (vgl. unter<br />
2.8. und 2.9).<br />
1.4 Wirtschaftliche und soziale Lage<br />
Im Jahr 1988 stufte der Entwicklungshilfeausschuss der<br />
Organisation für wirtschaftliche Zusam menarbeit und<br />
Entwicklung (OECD) <strong>Albanien</strong> als Entwicklungsland ein.<br />
14 Konrad-Adenauer Stiftung (26.07.2015): Kommunalwahlen<br />
in <strong>Albanien</strong>, http://www.kas.de/wf/doc/<br />
kas_42073-1522-1-30.pdf?150716154451
12<br />
<strong>Albanien</strong> war zu der Zeit das am wenigsten entwickelte<br />
Land Europas, mit einem Lebensstandard, der dem eines<br />
Dritten weltlandes entsprach. Das jähe Ende der Planwirtschaft<br />
und die Auflösung der landwirtschaftlichen<br />
Genossenschaften, verbunden mit der Entwertung des<br />
albanischen Lek, führten zu Massenarbeitslo sigkeit und<br />
Einkommen und Renten, die ein Überleben nicht ermöglichten.<br />
Die wichtigste Strategie der Bevölkerung dagegen<br />
war und ist (neben einer florierenden Schattenwirtschaft)<br />
die Arbeitsmigration. Die extrem liberale Wirtschaftspolitik<br />
der ersten Regierungen führte neben ernsthaften<br />
Investionen aber auch zu unseriösen Geschäftenspraktiken.<br />
Die als „Pyramidengesellschaften“ bekannten Anlagefonds<br />
kosteten Hundertausend Menschen ihre gesamten<br />
finanziellen Reserven, was 1997 zu einem neuerlichen<br />
Zusammenbruch der staatlichen Strukturen führte. Erst<br />
danach hat sich Albanies Wirtschaft konsolodiert. Mit<br />
Wachstumsraten von durchschnittlich 6 % ist <strong>Albanien</strong><br />
in den Jahren bis 2010 sogar aufgerückt in die Reihe der<br />
„Länder mittleren Einkommens“. Danach schwächte sich<br />
das Wachstum wieder stark ab. Im Zuge der euro päischen<br />
Schuldenkrise und regionaler Stagnation sank auch in<br />
<strong>Albanien</strong> das Wachstum von 6 % (im Durchschnitt der<br />
Jahre 2000-2010) auf 0,7 % im Jahr 2013. Nach knapp 2 %<br />
im Jahr 2014 wird für 2015 mit einem Wachstum von<br />
2,5 % gerechnet. 15<br />
Laut Bertelsmann Transformationsindex (BTI) 2014 gehört<br />
<strong>Albanien</strong> zu der Gruppe der Marktwirt schaften mit<br />
Funktionsdefiziten. Die Wirtschaft wurde 2014 schlechter<br />
bewertet als 2012, da es geringere Rücküberweisungen<br />
aus dem Ausland gab. 16 Noch heute gehört der landwirtschaftlich<br />
geprägte Staat im europäischen Vergleich<br />
zu den ärmsten Ländern. Auf dem Human Development<br />
Index rangiert <strong>Albanien</strong> auf Platz 70 von 187 Ländern. Die<br />
Arbeitslosenrate steigt seit 2012 (13,4 %) wieder an und<br />
liegt offiziell bei 17,7 %. 17 Allerdings handelt es sich hierbei<br />
nur um registrierte Arbeitslose. Man geht von einer<br />
verdeckten Arbeitslosigkeit von weiteren rund 15 % aus. 18<br />
Der Anteil der Schattenwirtschaft soll bei 40 - 60 % aller<br />
wirtschaftlichen Aktivitäten liegen. 19 Von Arbeitslosigkeit<br />
betroffen sind vor allem junge Menschen, Minderheiten<br />
und Rückkehrer. Die Jugendarbeistlosigkeit soll bis zu<br />
50 % betragen. Der Anteil der Jugendlichen, der weder in<br />
Arbeit noch in Ausbildung ist, beträgt 30 %. Ein „National<br />
Action Plan for Youth 2014-20“ (Ausbildung, Beschäftigung,<br />
Gesundheit) ist in Arbeit. 20<br />
<strong>Albanien</strong> ist ein typisches Importland. Das Handelsbilanzdefizit<br />
ist groß. Es gibt nur wenig industrielle<br />
Arbeitsplätze. Rund 60 % der Wertschöpfung entfällt<br />
auf den Dienstleistungssektor, der vor allem durch<br />
die Finanzwirtschaft, den Handel und den Tourismus<br />
gespeist wird. Knapp die Hälfte der Erwerbstätigen ist<br />
in der Landwirtschaft tätig, deren Großteil jedoch der<br />
Subsistenzwirtschaft, also dem Eigenbedarf dient. Die<br />
Produktivität in der Landwirtschaft ist auch heute noch<br />
sehr gering. Hauptprobleme sind der Mangel an Kapital<br />
für Investitionen, unzureichende Bewässerungssysteme,<br />
veraltete Produktionsmethoden und die starke Zerstückelung<br />
der Anbauflächen. Der Großteil des BIP wird in<br />
der Küstenregion erwirtschaftet, insbesondere im Raum<br />
Tirana/Durres. Dagegen ist in vielen unwegsamen Bergregionen<br />
eine soziale und ökonomische Entwicklung<br />
kaum spürbar. Es findet eine erhebliche Binnenwanderung<br />
aus strukturschwachen Gebieten in die Städte<br />
statt. 21 <strong>Albanien</strong> hat immer noch Probleme im Bereich<br />
der Infrastruktur, besonders in den ländlichen Regionen.<br />
In abgelegenen Bergregionen bleiben Haushalte mehrere<br />
Tage ohne Strom. Aber auch in den Städten sind Stromausfälle<br />
nicht selten.<br />
Der monatliche Durchschnittslohn beträgt 377 Euro. 22<br />
Die Schere zwischen dem oft sehr geringen Familieneinkommen<br />
aus Inlandsbezügen und den (zumindest in der<br />
Hauptstadt Tirana und den anderen größeren Städten)<br />
15 Auswärtiges Amt ( Mai 2015): <strong>Albanien</strong> Wirtschaft<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/Wirtschaft_<br />
node.html<br />
16 BTI 2014: Regionalbericht Ost-Mittel und Südosteuropa;<br />
http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_<br />
download/BTI_2014_Regionalbericht_Ostmittel-_<br />
und_Suedosteuropa.pdf (Abruf am 17.08.2015)<br />
17 Auswärtiges Amt, Länderinformationen a.a.O.<br />
18 Friedrich-Ebert-Stiftung (Juni 2015): <strong>Albanien</strong> vor<br />
den Kommunalwahlen http://library.fes.de/pdffiles/id-moe/11471.pdf,<br />
Abruf am 10.08.2015<br />
19 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
20 European Commission, Progress Report, Albania,<br />
October 2014<br />
21 Auswärtiges Amt, Länderinformationen <strong>Albanien</strong>,<br />
Mai 2015<br />
22 Auswärtiges Amt, ebd.
13<br />
hohen Lebenshaltungskosten wurde in vielen Fällen<br />
durch regelmäßige Zahlungen von ins Ausland (vor allem<br />
nach Italien und Griechenland) gegangenen Familienangehörigen<br />
geschlossen. 23 Aufgrund der Wirtschaftskrise<br />
und der damit einsetzenden Rückkehr, hat die albanische<br />
Diaspora im Ausland seit 2013 spürbar weniger Geld in<br />
die Heimat überwiesen als in den Jahren davor. Angaben<br />
der Zentralbank zufolge entsprach der Rückgang einem<br />
Minus von 26,5 % gegenüber dem Vorjahr. 24<br />
Bei der Armutsbekämpfung erzielte <strong>Albanien</strong> zunächst<br />
Erfolge. Von 2002 bis 2008 sank der Bevölkerungsanteil<br />
der Armen von 25,4 auf 12,4 %, der Anteil der in extremer<br />
Armut (weniger als 1 USD pro Tag) lebenden Personen<br />
fiel von 4,7 auf 1,2 %. Im Jahr 2012 betrug der Anteil der<br />
Armen aber wieder 14,3 %. 25 In absoluter Armut (weniger<br />
als 2,5 USD pro Tag) leben 4,3 %. 26<br />
Eine Vielzahl von lokalen und internationalen Nichtregierungsorganisationen<br />
engagiert sich im sozialen Bereich.<br />
Auch die UN unterstützt <strong>Albanien</strong> bei Reformen. 27<br />
Im Jahr 2012 nahm die Regierung einen zweiten Plan<br />
„Social Protection and Social Inclusion“ für den Zeitraum<br />
2013-2020 an. Dieser enthält neue wirtschaftliche Hilfen<br />
für arme Familien und Sozialunterstützungen für Kinder,<br />
Minderheiten, Behinderte, ältere Personen und Opfer<br />
von Menschenhandel. 28 Im Rahmen dieses Plans wird<br />
das Gesetz für Sozialhilfe überarbeitet, im Februar 2015<br />
wurde ein Kinderschutz-Protokoll verabschiedet. 29 Der<br />
albanische Staat gewährt bedürftigen Familien bei der<br />
Erfüllung bestimmter Kriterien eine geringe Sozialhilfe.<br />
Laut Zensus 2011 erhielten 9,4 % der Albaner und 53 %<br />
der Roma/Ägypter staatliche Beihilfen. 30 Grundnahrungsmittel,<br />
in erster Linie Brot, werden subventioniert.<br />
Insbesondere im ländlichen Bereich kommt der Großfamilie<br />
nach wie vor die Rolle zu, Familienmitglieder in<br />
Notlagen aufzufangen. 31<br />
Nach dem Systemwechsel sank die Zahl der Gesundheitseinrichtungen<br />
zunächst drastisch, sie stieg erst ab 2003<br />
durch die Einrichtung von Ambulanzen und dörflichen<br />
Gesundheitsstationen wieder an. 32 Im Jahr 2010 gab es 44<br />
Krankenhäuser, 2.079 Ambulanzen und 475 Gesundheitsstationen.<br />
Medizini sches Personal ist aber knapp, es gibt<br />
lediglich 1,1 Ärzte pro 1.000 Einwohner (1,9 in Bos nien,<br />
2,1 in Montenegro, 3,0 in Moldawien) und 3,9 Pflegekräfte<br />
und anderes Personal pro 1.000 Einwohner (Bosnien 5,6;<br />
Montenegro 5,4; Moldawien 6,5). 33<br />
Die medizinische Versorgung in staatlichen Krankenhäusern<br />
und Polikliniken ist grundsätzlich kostenlos. Da<br />
Ärzte und Pflegepersonal jedoch nur geringe Gehälter<br />
erhalten, müssen die Patienten in der Praxis erhebliche<br />
Zuzahlungen leisten. Das Gesundheitswesen ist hochgradig<br />
korruptionsbe lastet; Bestechungsgelder werden<br />
verlangt und gezahlt. Ärzte und Pflegepersonal sehen sich<br />
auch Bedrohungen und Übergriffen durch Angehörige<br />
von Patienten ausgesetzt, wenn der erwartete Heilungs-<br />
23 Munzinger Online/Länder - Internationales Handbuch,<br />
„<strong>Albanien</strong> - Soziales und Bildung“ (26.03.2013);<br />
http://www.munzinger.de/document/03000ALB040<br />
(Abruf am 11.8.2015)<br />
24 Germany Trade and Invest - GTAI (17.06.2014): <strong>Albanien</strong><br />
steuert auf ein Wirtschaftswachstum von<br />
knapp 2 % zu; http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/<br />
DE/Trade/Maerkte/suche,t=albanien-steuert-<br />
2014-auf-ein-wirtschaftswachstum-von-knapp-<br />
2-zu,did=1032718.html (Abruf am 11.08.2015)<br />
25 The Worldbank (2015): Data Albania, http://<br />
data.worldbank.org/country/albania (Abruf am<br />
11.08.2015)<br />
26 Auswärtiges Amt, a.a.O..<br />
27 Government of Albania and United Nations:<br />
Progress Report 2014, http://www.al.undp.org/<br />
content/dam/albania/docs/2014%20Progress%20<br />
Report_Albania_FINAL%20compressed.pdf (Abruf<br />
am 12.08.2015)<br />
28 European Commission, Albania 2013 Progress Report<br />
29 UNICEF – Albania: Social Care Reform; http://www.<br />
unicef.org/albania/children_24924.html<br />
30 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />
Egyptians in Albania:a socio-demographic and economic<br />
profile based on the 2011 census; http://www.<br />
al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%20<br />
2011%20Profile%20of%20Roma%20and%20Egyptians%20final.pdf<br />
(Abruf am 02.09.2015)<br />
31 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
32 List of Public Hospitals in Albania; http://www.<br />
euraxess.al/documents/PublicHospitals.pdf (Abruf<br />
am 12.08.2015)<br />
33 UNICEF (23.07.2015): Child Notice http://www.refworld.org/docid/55b0dda14.html
14<br />
erfolg nicht eintritt. 34 Ausstattung und Hygiene der staatlichen<br />
Krankenhäuser und Polikliniken lassen erheblich<br />
zu wünschen übrig. Die Ärzte sind zwar im Regelfall gut<br />
ausgebildet, beim Pflegepersonal sind jedoch Defizite zu<br />
verzeichnen. Kompliziertere Behandlungen können nur<br />
in Tirana und in anderen größeren Städten durchgeführt<br />
werden. Die Situation in psychiatrischen Kliniken ist<br />
erschreckend. Einige gut ausgestattete Privatkliniken<br />
bieten in den größeren Städten ihre Dienste an; sie sind<br />
jedoch für einen Großteil der Bevölkerung zu teuer. Die<br />
Versorgung mit Medikamenten stellt kein Problem dar.<br />
Die örtlichen Apotheken bieten ein relativ großes Sortiment<br />
von gängigen Medikamenten an, die zum großen<br />
Teil aus der EU importiert werden. Es besteht die Möglichkeit,<br />
weitere Medikamente aus dem Ausland zu beschaffen.<br />
Die staatliche Krankenversi cherung übernimmt<br />
in der Regel die Kosten für das billigste Generikum bei<br />
Standard-Medikamen ten. Teurere Medikamente oder<br />
solche für außergewöhnliche Krankheiten gehen zu Lasten<br />
des Pa tienten. 35<br />
Das Institut für Gesundheitsversicherungen (Health<br />
Insurance Institute) trägt die Kosten für primäre Gesundheitsversorgung<br />
und erstattet die Kosten für bestimmte<br />
Medikamente zurück. Vollständig versicherte Personengruppen<br />
sind Pensionierte, Arbeitslose, Studierende, Kinder<br />
und Jugendliche bis achtzehn Jahren. Ebenfalls abgedeckt<br />
sind Personen, die an bestimmten Krankheiten (wie<br />
z. B. Krebs, Tuberkulose) leiden oder eine Nierentransplantation<br />
benötigen. Die übrige Bevölkerung ist gesetzlich<br />
verpflichtet eine jährliche Versicherungsprämie zu<br />
zahlen und bekommt ein individuelles „Health Booklet“.<br />
Die Höhe der Prämie variiert je nach Wohnort. Nachteilig,<br />
insbesondere für so zial schwächere Personengruppen,<br />
wirkt sich dabei die hohe Korruptionsanfälligkeit aus. 36<br />
Beson ders in ländlichen Gebieten sind der Zugang und<br />
die Versorgung weiter schwierig. Es wurden Schritte<br />
34 European Commission, Albania 2014 Progress Report<br />
Munzinger Online/Länder - Internationales Handbuch,<br />
„<strong>Albanien</strong> - Soziales und Bildung“ (26.03.2013);<br />
http://www.munzinger.de/document/03000ALB040<br />
(Abruf am 11.8.2015)<br />
35 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
36 Schweizer Flüchtlingshilfe SFH (13.2.2013): Posttraumatische<br />
Belastungsstörungen, Blutrache<br />
unternommen, um auch dort den Zugang für Roma zu<br />
Gesundheitsversorgung durch Ge meindeschwestern<br />
und Hausbesuche zu verbessern. Ernährungsprogramme<br />
laufen weiter. Die Un terernährung von Kindern gibt nach<br />
wie vor Anlass zu ernster Sorge. 37<br />
1.5 Gesellschaftliche Entwicklung<br />
<strong>Albanien</strong> hat nach dem Fall des Kommunismus einen<br />
grundlegenden Umbruch erlebt. Plötzlich sollte die albanische<br />
Gesellschaft von einer hermetisch isolierten<br />
zu einer offenen Gesellschaft transformiert worden. Der<br />
neue Staat war „improvisiert“, ohne demokratische Tradition,<br />
der keine Verantwortung für die Bürger übernahm.<br />
Wirtschaftsliberalismus und ein sich rasch ausbreitender<br />
Kapitalismus trafen das Land unvorbereitet. Privatisierung<br />
führte zu großen sozialen Diskrepanzen und teilte<br />
die Bevölkerung in arm und reich. Korruption und Nepotismus<br />
waren die Folgen. Die albanische Gesellschaft<br />
leidet noch heute unter einem gebrochenen Verhältnis<br />
der Bürger zu Ge meinwesen und Staat. Deshalb werden<br />
Bestechung und Steuerhinterziehung nicht als unsoziale<br />
Handlungen verstanden. 38 Viele demokratische Gesetze,<br />
die seit der Öffnung des Landes implementiert wurden,<br />
finden keine Entsprechung in den gesellschaftlich verankerten<br />
Normen und Werten. 39<br />
Die staatliche Ordnung konnte sich vor allem im Norden<br />
<strong>Albanien</strong>s kaum etablieren, so dass die Menschen auf<br />
Grund des entstandenen Vakuums auf überlieferte Regeln<br />
zurückgriffen. Im Chaos des postkommunistischen<br />
<strong>Albanien</strong>s kam es zu einer Renaissance des Gewohnheitsrechts<br />
und der Blutrache (vgl. unter 3.12). Traditionelle<br />
Rollenteilung und Verhaltensregeln sind häufig noch eine<br />
Selbstverständlichkeit. In Teilen der albanischen Gesellschaft,<br />
vor allem in den ländlichen nördli chen Gebieten<br />
(v. a. in den Distrikten Shkoder, Lezha, Kukes, Diber)<br />
werden noch heute viele Be reiche des Alltagslebens,<br />
insbesondere die Regeln des Familienlebens auch von<br />
37 European Commission (10.2014): Albania Progress<br />
Report<br />
38 Iris Hescht (2007): Albanische Identitäten in der Veränderung;<br />
http://www.kakanien-revisited.at/beitr/<br />
emerg/IHerscht1.pdf<br />
39 Norma Osterberg-Kaufmann (2011): Erfolg und<br />
Scheitern von Demokratiserungsprozessen (S. 67),<br />
Wiesbaden VS Verlag für Sozialwissenschaften.
15<br />
den Normen und Regeln des Gewohnheitsrechts<br />
(des sog. Kanuns) bestimmt.<br />
Dieses ursprünglich ungeschriebene<br />
Rechtssystem bestimmte die wesentlichsten<br />
Aspekte des Sozialverhaltens in den<br />
abgelegenen und sonst gesetzlosen Gegenden<br />
Nordalbaniens. Der Kanun ist Strafrecht,<br />
Zivilrecht und öffentliches Recht<br />
in einem und Wurzel der traditionellen<br />
Wertemuster. Patriarchalität, patrilineare<br />
Abstam mung, Ehre und Waffen spielen<br />
in der albanischen Gesellschaft noch immer<br />
eine wesentliche Rolle. Zur Sühnung<br />
von Tötungen und Ehrverletzungen oder<br />
zur Beseitigung der Schande ist auch die<br />
Blutrache in <strong>Albanien</strong> weiterhin präsent.<br />
Das Gewohnheitsrecht steht in Konkurrenz,<br />
teilweise in Widerspruch zu den<br />
Bestimmungen des staatlichen Rechts. Auf<br />
welche Normenkategorie sich der Einzelne<br />
bezieht, hängt von verschiedenen Faktoren ab; so von<br />
der Akzeptanz staatlicher oder ge wohnheitsrechtlicher<br />
Normen, von „traditioneller“ oder „moderner“ Lebensführung,<br />
von strategi schen Vorteilen, vom sozialen Umfeld<br />
und ob staatliche Institutionen Recht durchsetzen<br />
können. 40<br />
Eine Zivilgesellschaft ist kaum verankert. Die erste Nichtregierungsorganisation<br />
wurde 1990 ge gründet. Kurz nach<br />
den Studentendemonstrationen hat eine Gruppe von<br />
Professoren und Journalis ten einen nicht-politischen<br />
Verein gegründet, das Albanische Helsinki Komitee (HAK<br />
- Komiteti Shqiptar i Helsinkut). Bis heute ist die Zivilgesellschaft<br />
relativ schwach und schlecht organisiert. Relevante<br />
soziale Interessen wie Frauenrechte oder soziale<br />
Gerechtigkeit sind unterrepräsentiert. Einzige Ausnahme<br />
ist die MJAFT („Genug“), die öffentlichkeitswirksam Missstände<br />
anprangert. 41<br />
Abbildung 2: Von 1990 bis 1992 haben Tausende das Land verlassen 43<br />
1.6 Migration<br />
Die albanische Migration gilt als welt weit einmalig aufgrund<br />
ihrer Intensität innerhalb einer kurzen Zeitspanne.<br />
Nachdem Auswanderung unter dem kommunistischen<br />
Regime fast ein hal bes Jahrhundert lang verboten war,<br />
kam es in den 1990er Jahren zu einer massi ven Abwanderung<br />
(vgl. Abbildung 2), die sich in der Folgezeit weiter<br />
intensi vierte. 42 Nach dem Zusammenbruch der Pyramidenspekulationen<br />
im Jahr 1997 gab es einen neuen<br />
Abwanderungsschub von ungefähr 70.000 Menschen<br />
in nur wenigen Monaten. 44 Bis zum Jahr 2010 sind rund<br />
1,4 Millionen Albaner ausgewandert (das entspricht der<br />
Hälfte der aktuell ca. 2,8 Millionen Einwohner) und lebt<br />
im Ausland (Europa, Nordamerika), während viele weitere<br />
Albaner innerhalb des Landes migrierten. Mittlerweile<br />
lebt mehr als die Hälfte der Bewohner in städtischen<br />
40 Vgl. BAMF, <strong>Information</strong>, <strong>Albanien</strong> Blutrache (April<br />
2014)<br />
41 Norma Osterberg-Kaufmann (2011: S.52).<br />
42 Bundeszentrale für politische Bildung (2013): <strong>Albanien</strong>;<br />
http://www.bpb.de/gesellschaft/migration/laenderprofile/159260/albanien<br />
(Abruf am 17.08.2015)<br />
43 European Stability Imitative; http://www.esiweb.<br />
org/index.php?lang=de&id=311&film_ID=3&slide_<br />
ID=27<br />
44 European Stability Initiative; Massenexodus; http://<br />
www.esiweb.org/index.php?lang=de&id=311&film_<br />
ID=3&slide_ID=27, (Abruf am 17.08.2015)
16<br />
Gegenden und nur noch 46 % leben auf dem Land. 45 Die<br />
Migration ist primär wirtschaftlich motiviert (schlechte<br />
Lebensbedingungen, hohe Arbeitslosigkeit, geringe Löhne).<br />
Ein Großteil der Bevölkerung ging nach Griechenland<br />
(rund 700.000) und Italien (500.000). Da diese beiden<br />
Länder in den vergangenen Jahren besonders stark von<br />
der Wirtschaftskrise getroffen wurden, sahen sich immer<br />
mehr Albaner gezwungen, diese Länder wieder zu verlassen.<br />
Nach An gaben der albanischen Statistikagentur<br />
sind von 2009 bis 2013 133.000 Arbeitsmigranten aus<br />
Grie chenland und Italien zurückgekehrt, von denen aber<br />
lediglich 8 % wieder Fuß fassen konnten. 46<br />
Seit dem Wegfall der Visapflicht für albanische Staatsangehörige<br />
2010 steigt auch die Zahl der al banischen<br />
Asylantragsteller in Europa wieder an. Waren zunächst<br />
Frankreich, Schweden und Bel gien die Hauptzielländer<br />
für Asylmigration aus <strong>Albanien</strong>, haben seit Herbst 2013<br />
auch in Deutsch land die Zugangszahlen deutlich zugenommen.<br />
Seit Jahresanfang sind die Zahlen explosionsartig<br />
angestiegen und erreichten eine ungeahnte Größe<br />
Mitte des Jahres.<br />
45 Population and Housing Census (12.2011); http://<br />
www.instat.gov.al/media/155863/instat_paraprake.<br />
pdf (Abruf am 26.08.2015)<br />
46 Balkan Insight (08.10.2014): Returned Albania Migrants<br />
Face Hardship, Study Shows, http://www.<br />
balkaninsight.com/en/article/returned-albaniamigrants-face-hardships-at-home,<br />
(Abruf am<br />
26.08.2015)
17<br />
2<br />
Demokratische Strukturen<br />
und Rechtsstaatlichkeit<br />
Die NGO Freedom House bezeichnet <strong>Albanien</strong> 2015<br />
als „partly free“ und vergibt auf der Punkte skala von<br />
1-7 eine 3.0. Vom Bertelsmann Transformationsindex<br />
(BTI) erhält das Land 6,55 Punkte von 10 und wird als<br />
„defekte Demokratie“ bezeichnet. Mängel existieren vor<br />
allem im Bereich der politischen Repräsentation und<br />
zivilgesellschaftlichen Selbstorganisation sowie bei der<br />
Rechtsstaat lichkeit und der Medienfreiheit. Polarisierung<br />
und Machtmonopolisierung beeinträchtigen die Demokratie.<br />
47<br />
2.1 Demokratische Strukturen<br />
Im Dezember 1990 wurde ein Mehrparteiensystem<br />
eingeführt, erste freie Wahlen fanden 1991 statt. Umfassende<br />
Reformen zur Gewährleistung der Menschenrechte<br />
wurden ab 1991/1992 eingeleitet. In einem ersten<br />
Verfassungsgesetz vom 29.04.1991 wurden wesentliche<br />
rechtsstaatliche Prinzipien wie parlamentarische Demokratie,<br />
Gewaltenteilung und die wichtigsten Grundrechte<br />
verankert. Im November 1998 wurde per Referendum die<br />
unter internationaler Mitwirkung erarbeitete Verfassung<br />
verabschiedet. 48 Die parlamentarische Republik <strong>Albanien</strong><br />
ist nach dieser Verfassung ein demokrati scher Rechtsstaat<br />
auf der Grundlage von Pluralismus und Gewaltenteilung,<br />
der die Grundrechte und -freiheiten sowie den Schutz<br />
der Minderheiten gewährleistet. Staatsoberhaupt ist der<br />
Staatspräsident (seit Juli 2012 Bujar Nishani). Der Premierminister<br />
(seit September 2013 Edi Rama - PS) führt die<br />
Regierung an, während der Präsident nur beschränkte<br />
ausführende Macht besitzt. <strong>Albanien</strong> verfügt über ein<br />
Ein kammerparlament mit 140 Abgeordneten.<br />
Seit 1991 wechselten sich die Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s<br />
(PD) und die Sozialistischen Partei (PS) mit der<br />
Regierungsbildung ab. 49 Bis zur Parlamentswahl 2013 gab<br />
es keine Wahlen, deren Ergebnis die unterlegene Partei<br />
akzeptiert hätte. Parlamentsboykott hatte Tradition.<br />
Kompromisse konnten dabei vielfach erst durch das Eingreifen<br />
internationaler Vermittler ausgehandelt werden.<br />
Auf Druck der EU hat das Land 2010 einen nationalen<br />
Aktionsplan beschlossen. Dieser beinhaltet unter anderem<br />
die Gewährleistung eines funktionierenden Parlaments<br />
und entsprechender parla mentarischer Verfahren<br />
sowie eine Reform des Wahlrechts, der öffentlichen<br />
Verwaltung, die Stär kung der Rechtstaatlichkeit sowie die<br />
Bekämpfung der Korruption und organisierten Kriminalität.<br />
50 Nur schleppend gelang es in den letzen Jahren<br />
Verwaltungs- und Regierungsstrukturen effizienter zu<br />
gestalten. Mangelnde Professionalität, niedrige Gehälter,<br />
Politisierung und Nepotismus beein trächtigen noch immer<br />
die Qualität der öffentlichen Verwaltung. Bis heute<br />
wird die Postenvergabe nach politischem Wohlverhalten<br />
und weniger nach Eignung vergeben. Dennoch konnten<br />
neben einer neuen Verfassung, eine Verwaltungsreform<br />
und zahlreiche weitere Reformen eingeleitet bzw. vollzogen<br />
werden.<br />
47 BTI 2014: Regionalbericht Ost-Mittel und Südosteuropa;<br />
http://www.bti-project.de/uploads/tx_itao_<br />
download/BTI_2014_Regionalbericht_Ostmittel-_<br />
und_Suedosteuropa.pdf (Abruf am 17.08.2015)<br />
48 Auswärtiges Amt (November 2014): Länderinformationen,<br />
http://www.auswaertiges-amt.de/DE/<br />
Aussenpolitik/Laender/Laenderinfos/<strong>Albanien</strong>/<br />
Innenpolitik_node.html (Abruf am 13.05.2015)<br />
Vgl. Zeittafel im Anhang<br />
49 Von 1992 bis 1997 und 2005 bis 2013 regierten die<br />
Demokraten; von 1997 bis 2005 und wieder ab 2013<br />
die Sozialisten.<br />
50 Treffpunkt Europa (17.07.2014): Und ewig lockt Europa:<br />
<strong>Albanien</strong> auf dem Weg zum EU-Beitritt, http://<br />
www.treffpunkteuropa.de/und-ewig-lockt-europaalbanien-auf-dem-weg-zum-eu-beitritt
18<br />
2.2 Mehrparteiensystem<br />
Während der sozialistischen Herrschaft hat es in <strong>Albanien</strong><br />
keinen politischen Pluralismus gegeben. Die Partei der<br />
Arbeit (PPSH) war das zentrale Verfassungsorgan. Unabhängige<br />
politische Parteien wurden erst 1990 zugelassen.<br />
Die Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (PD) war die die erste<br />
Oppositi onspartei, die sich gründete. Die Sozialistische<br />
Partei (PS) ist die Nachfolgepartei der PPSH. Seit dem hat<br />
sich ein zwei Lager-System gebildet, angeführt von der<br />
PD und der PS. Diese Parteien sind bis heute stark hierarchisch,<br />
personalisiert und klientelistisch. So wurde die<br />
PD von 1991 bis 2013 von Sali Berisha angeführt. Auch<br />
die PS wurde seit 1991 von ihrem Vorsitzenden Fato<br />
Nano domi niert und erst 2005 von Edi Rama abgelöst<br />
(vgl. 1.2). Neben der PD und der PS hat nur noch die vom<br />
Parlamentspräsidenten Ilir Meta geführte Sozialistische<br />
Bewegung für Integration (LSI) ein größeres Gewicht. Im<br />
Vorfeld der Parlamentswahlen 2013 verließ Ilir Meta und<br />
dessen Partei die seit 2009 gebildete Koalition mit den<br />
Demokraten, um zu den Sozialisten überzuwechseln. Seit<br />
September 2013 bilden sie zusammen die Regierung.<br />
In <strong>Albanien</strong> haben die Parteien weder Grundsatzprogramme<br />
noch ideologisch festgelegte Profile. Sie orientieren<br />
sich stattdessen vorrangig an ihren Vorsitzenden und<br />
deren Interessen. Das Parteien system ist sowohl auf nationaler<br />
wie auf kommunaler Ebene verkrustet. Die jeweiligen<br />
Wahlgewin ner verteilen die Arbeitsplätze (bis hin zu<br />
den Pförtnerposten) in der öffentlichen Verwaltung und<br />
anderen öffentlichen Institutionen an ihre Anhänger. Es<br />
geht bei Wahlen stets auch um den Erhalt von Arbeitsplätzen,<br />
die Parteien der jeweiligen Opposition versprechen<br />
ihrer Klientel, ihnen Be schäftigung zu verschaffen.<br />
Angesichts der extrem hohen Arbeitslosenzahl sind die<br />
Parteien somit zu den größten „Arbeitsagenturen“ aufgestiegen.<br />
51<br />
Bei der letzten Wahl 2013 sind 66 Parteien und zwei<br />
Bündnisse angetreten, die<br />
Linke Koalition:<br />
Die „Allianz für ein europäisches <strong>Albanien</strong>“ (Aleanca për<br />
Shqipërinë Europiane) besteht aus insgesamt 35 Oppositionsparteien.<br />
Angeführt von Edi Rama (PS) erhielt sie<br />
58 % der Stimmen und 84 Sitze:<br />
• Sozialistische Partei (Socialiste Partia e Shqipërisë /<br />
PS)<br />
• Sozialistische Bewegung für Integration (Lëvizja<br />
Socialiste për Intigrim / LSI),<br />
• Union Partei für Menschenrechte (Partia Bashkimi<br />
Per Te Drejtat e Njeriut / PUB),<br />
• Christlich-Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (Partia<br />
Kristian Demokrate e Shqipërisë / PKDSh ).<br />
Rechte Koalition:<br />
Die „Allianz für Arbeit, Wohlstand und Integration“<br />
(Aleanca për Punësim, Mirëqenie dhe Integrim) bestehend<br />
aus 25 Parteien. Angeführt von Sali Berisha (PD)<br />
bekam sie 39 % der Stimmen und 56 Sitze:<br />
• Demokratische Partei (Partia Demokratike e<br />
Shqipërisë / PD),<br />
• Republikanische Partei (Partia Republikane e<br />
Shqipërisë / PR),<br />
• Partei für Gerechtigkeit, Integration und Einheit<br />
(Partia për Drejtësi, Integrim dhe Unitet / PDIU). 52<br />
Darüber hinaus sind im Parlament vertreten:<br />
• Vereinigung für die Menschenrechte (PBDNJ)<br />
(für die griechische Minderheit)<br />
• Christlich-Demokratische Partei <strong>Albanien</strong>s (PKD).<br />
Nicht im Parlament vertreten, aber mit einer gewissen<br />
politischen Bedeutung sind:<br />
• Neuer Demokratischer Wind (FRD),<br />
• Agrar- und Umweltpartei (PAA),<br />
• Christdemokratische Partei (PDK),<br />
• Demokratische Allianz (AD),<br />
• Partei Soziale Demokratie (PDS) und<br />
• Sozialdemokratische Partei (PSD). 53<br />
51 Friedrich-Ebert-Stiftung (Juni 2015): <strong>Albanien</strong> vor<br />
den Kommunalwahlen; http://library.fes.de/pdffiles/id-moe/11471.pdf<br />
(Abruf am 05.08.2015)<br />
52 Konrad-Adenauer-Stiftung (24.06.2013); Die Parlamentswahlen<br />
in der Republik <strong>Albanien</strong>; http://www.<br />
kas.de/albanien/de/publications/34809/<br />
53 Das politische System in <strong>Albanien</strong>; http://www.<br />
albanien-dafg.de/das-politische-system-in-albanien/<br />
(Abruf am 04.08.2015)
19<br />
2.3 Freie Betätigungsmöglichkeit für<br />
die Opposition<br />
Es gibt eine Vielzahl offiziell registrierter Parteien verschiedener<br />
Ausrichtungen. Die Opposition kann sich<br />
frei betätigen. Im Jahr 2014 organisierte die Opposition<br />
mehrere Proteste gegen die Regierung, die alle friedlich<br />
blieben. Insbesondere in den Anfangsjahren der Republik<br />
kam es zu Behinderungen der politischen Opposition.<br />
Im Krisenjahr 1997 war die Verfolgung oppositioneller<br />
Politiker alltäglich. 54 Bei allen vergangenen Wahlen waren<br />
gewaltsame Übergriffe und Auseinandersetzungen<br />
zu verzeichnen. Erstmals 2013 wurde der Machtwechsel<br />
relativ friedlich vollzogen, aber auch 2013 wurde ein<br />
Politiker bei einer Schießerei getötet und zwei weitere<br />
Personen schwer verletzt. 55 Das politische Klima ist inzwischen<br />
zwar gemäßigter aber immer noch geprägt<br />
von Klientelwirtschaft und Korruption. Parteipolitische<br />
Zugehörigkeit bzw. Abhängigkeiten wirken weit in alle<br />
Aspekte des gesellschaftlichen Lebens hinein.<br />
2.4 Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit<br />
Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit wird im<br />
Allgemeinen respektiert. Demonstrationen sind möglich<br />
und verlaufen seit 2011 friedlich. NGOs können ohne<br />
Einschränkungen arbeiten, ha ben aber nur geringen<br />
politischen Einfluss. 56<br />
2.5 Meinungs- und Pressefreiheit<br />
Nach Einführung der Pressefreiheit 1991 war der Zeitungsmarkt<br />
überwiegend von Organen der Parteien und<br />
Verbände dominiert. Heute ist das Fernsehen das wichtigste<br />
Medium. Zeitungen erscheinen nur in geringen<br />
Auflagen und spielen vor allem auf dem Land kaum eine<br />
Rolle. Außerdem nutzt die Bevölkerung auch Radio- und<br />
54 Norma Osterberg-Kaufmann, VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />
Wiesbaden 2011; Erfolg und Scheitern<br />
von Demokratisierungsprozessen (S. 51)<br />
55 Konrad-Adenauer-Stiftung ( 24.06.2013): Die Parlamentswahlen<br />
in <strong>Albanien</strong><br />
56 Freedom House (2015): Freedom of the World - Albania,<br />
https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2015/albania#.Ve7h3dIViUk<br />
Fernsehprogramme aus Italien und Griechenland. 57 Die<br />
Medien sind Sprachrohre von Wirtschaftsinteressen,<br />
die eng mit politischen Parteien verwoben sind. Viele<br />
Rundfunkanstalten sind im Besitz einflussreicher Unternehmer,<br />
die eine deutliche politische Linie vorgeben. Die<br />
durch Verfassung gewährleistete Meinungs- und Pressefreiheit<br />
wird im Allge meinen respektiert. Es gibt jedoch<br />
Berichte, wonach Regierung und Wirtschaft die Medien<br />
in unan gemessener Weise – bis hin zur Bedrohung von<br />
Journalisten – beeinflussen. 58 Obwohl körperliche Attacken<br />
gegen Journalisten selten sind, ist die Androhung<br />
von Gewalt nicht unüblich. Vor allem, wenn es um Themen<br />
wie organisierte Kriminalität oder Korruption geht.<br />
Häufig kommt es zu Kla gen gegen Journalisten wegen<br />
Verleumdung. 59 Nach Jahren einer überwiegend negativen<br />
oder stagnierenden Entwicklung gibt es nun spürbare<br />
Fortschritte bei der Pressefreiheit. Nach der Rang liste<br />
von „Reporter ohne Grenzen“ aus 2015 rückte <strong>Albanien</strong><br />
von Rang 102 (2013) auf Platz 82 von 180 Ländern vor. Im<br />
September 2014 wurde ein <strong>Information</strong>sfreiheitsgesetz<br />
verabschiedet, um dem Zugang der Medien zu staatlichen<br />
<strong>Information</strong>en zu verbessern. 60<br />
2.6 Justiz und Polizei<br />
Die Verfassung sieht eine unabhängige Justiz vor. Tatsächlich<br />
ist sie noch immer stark politisiert, wenig professionell<br />
und korruptionsanfällig. Daneben verhindern<br />
beschränkte Mittel, dass die Justiz unabhängig und<br />
effizient arbeitet. Derzeit ist noch immer eine Kultur<br />
der Straflosigkeit und fehlen der Implementierung von<br />
Regelwerken festzustellen. Nepotismus ist aufgrund der<br />
clanbasierten Gesellschaftsstrukturen und der geringen<br />
Größe des Landes allgegenwärtig. Administrative Kapazitäten<br />
sind gering ausgeprägt. Aufgrund der Schwäche<br />
der Institutionen des Staates werden viele Rechtsverstöße<br />
57 Reporter ohne Grenzen: <strong>Albanien</strong> https://www.<br />
reporter-ohne-grenzen.de/albanien/ (Abruf am<br />
19.08.2015)<br />
58 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
59 Konrad-Adenauer-Stiftung (2015): Media Freedom<br />
in Albania, http://www.kas.de/wf/en/71.13549/ (Abruf<br />
am 19.08.2015)<br />
60 Freedom House (2015): Freedom of the World - Albania,<br />
https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2015/albania#.Ve7h3dIViUk
20<br />
entweder gar nicht oder nicht in ausreichendem Maße<br />
verfolgt. Untersuchungshäft linge müssen teilweise sehr<br />
lange auf den Beginn ihrer Prozesse warten. Verfahren<br />
können mitunter mehrere Jahre in Anspruch nehmen.<br />
Mangelnde Qualifikation und Anfälligkeit der Richter<br />
für Kor ruption führen zu rechtsstaatlich zweifelhaften<br />
Ergebnissen. 61<br />
Die Justizreform gehört (neben der Bekämpfung von<br />
Korruption und organisiertem Verbrechen) deshalb<br />
zu den Schlüsselbedingungen für den Prozess der EU-<br />
Annäherung. Die neue Regierung ist entschlossen, glaubwürdige<br />
Fortschritte zu erzielen. Seit Herbst 2014 ist eine<br />
Rechtsberatungsmis sion der EU (EURALIUS) tätig, die<br />
der Regierung helfen soll, die richtigen Reformschritte<br />
zu identifizieren und umzusetzen. Die komfortable<br />
Mehrheit der Regierungskoalition lässt nun auch Verfassungsänderungen<br />
zu. Entscheidend für den Erfolg und<br />
die Glaubwürdigkeit der Reform wird sein, ob korrupte<br />
Richter aus ihren Ämtern entfernt werden. Eine Justizkommission<br />
wurde im No vember 2014 gegründet. Sie soll<br />
einen Gesetzesentwurf für die Reform des Justizwesens<br />
ausarbei ten. Ihre ersten Vorschläge umfassen die Entpolitisierung<br />
des Justizwesens. 62<br />
Im Juni 2015 hat eine vom Parlament eingesetzte Kommission<br />
ihren offiziellen Bericht zu den Zu ständen im<br />
albanischen Justizsystem veröffentlicht. 63 Die Spezialisten<br />
beschreiben korrupte Prakti ken als endemisches<br />
Problem auf allen Ebenen. Transparency International<br />
untersucht dabei die Anfälligkeit für unlauteres Verhalten<br />
in der öffentlichen Verwaltung. 100.000 bis 300.000<br />
USD soll etwa der Preis für einen Richterposten betragen.<br />
Damit wird direkt beim Hohen Justizrat interve niert, der<br />
für die Besetzung der Richterposten verantwortlich ist.<br />
Solche Summen werden demnach aber auch bezahlt, um<br />
die Versetzung von dörflichen Gerichten in die Städte zu<br />
erwirken oder zu beschleunigen – dorthin, wo mehr Bestechungsgelder<br />
zu erwarten sind. Polizisten können mit<br />
Geldzuwendungen veranlasst werden, Beweise zu unterschlagen,<br />
Staatsanwälte, um Verfahren fal len zu lassen<br />
und Richter, um diese unnötig in die Länge zu ziehen. 64<br />
Menschenrechtsorganisationen kritisieren insbesondere,<br />
dass es zu Verletzungen der Rechte von Angeklagten<br />
im Rahmen des Gerichtsprozesses komme. Viele Bürger<br />
hätten Schwierigkeiten beim Zugang zum Justizsystem.<br />
Dieser scheitere oft aus finanziellen Gründen. Ein<br />
Prozesskosten hilfe-Gesetz wurde zwar schon 2008 verabschiedet<br />
und eine Legal Aid Kommission gegründet. Allerdings<br />
habe sich das Gesetz in der Praxis nicht bewährt.<br />
Die Legal Aid Kommission arbeite ineffizient und wenig<br />
transparent. Prozesskostenhilfe in Zivilsachen würde<br />
vielen verweigert, vor allem Randgruppen wie den Roma.<br />
Am häufigsten werde Prozesskostenhilfe von NGOs zur<br />
Verfü gung gestellt. Pflichtverteidiger seien schlecht bezahlt<br />
und wenig professionell. Problematisch sei auch die<br />
Nicht-Vollstreckung von Gerichtsentscheidungen sowie<br />
lange Verfahrensdauern.<br />
Im Jahr 2014 entschied der Europäische Gerichtshof für<br />
Menschenrechte (EGMR), dass <strong>Albanien</strong> die Menschenrechte<br />
in vier Fällen verletzt hat: eine Entscheidung über<br />
das Recht auf ein faires Ver fahren, eine Entscheidung<br />
über die Dauer der Verfahren und zwei weitere Entscheidungen<br />
über die Nicht-Durchsetzung der Rechte. 65<br />
61 U.S. Department of State (25.06. 5.2015): Human<br />
Rights Report Albania for 2014<br />
Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB;<br />
US Department of State (05.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
62 Wirtschaftsblatt (10.06.2015): Korruption: 300.000<br />
US-$ Schmiergeld für einen Richterposten; http://<br />
wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/europa_<br />
cee/4751559/Korruption_300000-US-Schmiergeldfur-einen-Richterposten<br />
(Abruf am 20.08.2015)<br />
63 Balkan Insight (09.06.2015): Albanian Justice System<br />
Slammed as Totally Corrupt, http://www.balkanin-<br />
sight.com/en/article/judges-in-albania-pays-up-to-<br />
300-000-for-their-positions-report-says (Abruf am<br />
20.08.2015)<br />
64 Wirtschaftsblatt (10.06.2015): Korruption: 300.000<br />
US-$ Schmiergeld für einen Richterposten<br />
65 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />
in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />
country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />
am 31.08.2015)<br />
http://www.civilrightsdefenders.org/country-reports/human-rights-in-albania/
21<br />
Die albanische Staatspolizei ist gegliedert in fünf Abteilungen,<br />
12 Polizeidirektionen auf regionaler Ebene, 43<br />
Kommissariate und sieben regionalen Grenz- und Migrationsdirektionen.<br />
66<br />
Kennzeichnend für die albanische Polizei ist ihre stark<br />
hierarchische Ausrichtung und Abhängigkeit von politischen<br />
Steuerungsmechanismen. Polizeiliche Aktivitäten<br />
werden oft von der jeweiligen politischen Interessenlage<br />
beeinflusst. Die Regierung arbeitet aber an einer Professionalisierung<br />
der Po lizei und unternimmt Anstrengungen,<br />
durch verstärkt Kontrollmaßnahmen, Lehrgänge zur<br />
Be rufsethik, Verbesserung der Besoldung und drastische<br />
Maßnahmen im Falle des Verstoßes gegen Dienstvorschriften<br />
die Korruptionsanfälligkeit zu reduzieren. Auch<br />
wenn sich das Bild der Polizei in der Bevölkerung durchaus<br />
zum Positiven entwickelt, steht Minderheitenschutz,<br />
z. B. bei Roma oder Migranten, noch nicht im Fokus.<br />
Dank personeller Umbesetzungen, Umstrukturierung<br />
und Lohnerhöhungen hat sich der Ruf der Polizei verbessert.<br />
67<br />
Laut dem jüngsten Menschenrechtsbericht des US Department<br />
of State ist Polizeigewalt und Korrup tion weiterhin<br />
ein Problem. Polizeibeamte vollziehen das Gesetz<br />
nicht immer in gleicher Weise. Verflechtungen zwischen<br />
Politik und Kriminalität, schlechte Infrastruktur, mangelhafte<br />
Ausrüstung, inadäquate Beaufsichtigung, mangelhafte<br />
Führung und geringe Motivation beeinflussen<br />
oft die Vollstreckung des Gesetzes. Ein internes Kontrollorgan<br />
(Internal Control Service) untersucht und ahndet<br />
Amtsvergehen. Auch der Ombudsmann bearbeitet Beschwerden<br />
gegen Polizeibeamte v. a. wegen Problemen<br />
bei Festnahmen und Verhaftungen. Laut Ombudsmann<br />
gibt es eine bessere Zu sammenarbeit der Sicherheitskräfte<br />
bzgl. der Untersuchungen, sowie eine vermehrte<br />
Umsetzung seiner Empfehlungen im Bereich Misshandlungen.<br />
Im Jahr 2014 wurden die Gehälter der Polizeibeamten<br />
erhöht. Im August 2014 wurden 400 weibliche<br />
66 SAPC Programme: Survey on Local Safety Management<br />
System, Final Report June 2015 ;<br />
http://www.cp-project.al/wp-content/uploads/2015/06/narrative-report-2015.pdf<br />
(Abruf am<br />
28.08.2015)<br />
67 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
Beamte eingestellt. 68 Außerdem wurde ein Reihe von<br />
Gesetzesinitiativen im Hinblick auf Polizeireformen und<br />
zur Einrichtung eines Nationa len Untersuchungsbüros<br />
(National Bureau of Investigation) vorgenommen und die<br />
internationale Zusammenarbeit durch die Implementierung<br />
von Auslieferungsabkommen erhöht. 69<br />
2.7 Korruption<br />
Korruption tritt in <strong>Albanien</strong> in einer sehr hohen Intensität<br />
auf. Laut Transparency International er reichte<br />
<strong>Albanien</strong> in der Wertung für das Jahr 2014 nur 33 von 100<br />
möglichen Punkten und liegt damit auf Platz 110 von<br />
175. 70 Korruption ist in allen Bereichen der Regierung<br />
und öffentlichen Verwaltung verbreitet, besonders aber<br />
in der Justiz und im Gesundheitsbereich. 71<br />
Zur Korruptionsbekämpfung wurde 2012 die Verfassung<br />
hinsichtlich der Bestimmungen über die Immunität der<br />
Parlamentarier und Staatsfunktionäre geändert. Insgesamt<br />
waren bislang die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung<br />
aber noch wenig erfolgreich. Sie sind deshalb<br />
auch eine der Schlüsselbedingungen für den Prozess der<br />
EU-Annäherung. Die im Juni 2013 neu gewählte Regierung<br />
hat die Bekämpfung der Korruption im Rahmen ihres<br />
Programms zur Priorität erklärt. Schon im November<br />
2013 wurde ein nationaler Anti-Korruptions-Koordinator<br />
installiert und eine neu strukturierte Einheit eingerichtet,<br />
die sich nur auf interne Verwaltungskontrolle konzentriert.<br />
Im April 2014 wurde eine Anti-Korruptionsstrategie<br />
entwickelt. 72 2014 wurde der Strafrahmen erhöht. Allein<br />
die geltenden Bestimmungen werden nicht effizient<br />
umgesetzt und korrupte Beamten werden häufig nicht<br />
68 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
69 European Commission (10.2014): Albania Progress<br />
Report<br />
70 Transparency International : Corruption Index 2014;<br />
https://www.transparency.org/cpi2014/results (Abruf<br />
am 20.08.2015)<br />
71 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
72 European Commission (04.06.2014) : Report on<br />
Albania’s Progress in the Fight Against Corruption<br />
and Organized Crime and in the Judicial Reform,<br />
http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2014/al_report_june_2014.pdf<br />
(Abruf am<br />
20.08.2015)
22<br />
bestraft. Von Januar bis Juni 2014 führten die acht Untersuchungseinheiten<br />
(Joint Investigate Unit - JUI) Untersuchungen<br />
in 762 Fällen von Korruption durch. Es kam zu<br />
131 Ankla gen, 129 Fälle wurden abgeschlossen und 183<br />
Angeklagte wurden verurteilt. 73<br />
2.8 Organisierte Kriminalität<br />
Teile der albanischen Gesellschaft sind von einem hohen<br />
Gewaltniveau geprägt (Wiederaufleben der Blutrachetradition,<br />
hohe Verbreitung von Schusswaffen, organisierte<br />
Kriminalität). Im Vergleich zu anderen europäischen<br />
Ländern hat <strong>Albanien</strong> eine relativ hohe Kriminalitätsrate.<br />
2012 betrug die Rate an Mordfällen pro Jahr vier pro<br />
100.000 Einwohner (Deutschland 0,8; Serbien 1,2). 74 Laut<br />
dem „Crime and Safety Report“ des State Department hat<br />
sich die Kriminalitätsrate in den letzten fünf Jahren erhöht.<br />
Im Jahr 2014 wurden 72 Bombenanschläge in Autos<br />
und Privatwohnungen gezählt, die mit internen Disputen<br />
über geschäftliche, politische oder kriminelle Aktivitäten<br />
in Verbindung standen. Im Norden des Landes spielen<br />
mächtige Familienclans eine wesentliche Rolle. Diese<br />
nutzten die Wirren nach dem Zusammenbruch des<br />
Kommunismus, mafiöse Strukturen aufzubauen und<br />
sich Machtpositionen in Wirtschaft und Verwaltung zu<br />
sichern. Die Öffnung <strong>Albanien</strong>s zum Westen ermöglichte<br />
der Mafia in der Folge die Internationalisierung ihrer<br />
kriminellen Machenschaften, die alle lukrativen Bereiche<br />
wie Menschenhandel, Rauschgifthandel und Schutzgelderpressung<br />
umfassen. Polizei- und Sicherheitskräfte<br />
konnten in jüngster Zeit zwar gewisse Erfolge bei der<br />
Bekämpfung des illegalen Waffen- und Drogenhandels<br />
erzielen, organisierte Kriminalität ist jedoch weiterhin<br />
präsent. 75<br />
Die neue Regierung hat angekündigt, verstärkt gegen<br />
organisierte Kriminalität vorzugehen und kann auch<br />
erste Erfolge vorweisen. Im Juni 2014 gelang ein Schlag<br />
gegen die Drogenmafia. In dem Ort Lazarate wurden<br />
Hunderttausend Marihuana-Stauden zerstört. Marihuana<br />
73 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
74 Homicide Monitor; http://homicide.igarape.org.br/<br />
(Abruf am 28.05.2015)<br />
75 U.S. Department of State (OSAC) (08.05.2015): Albania<br />
2015 Crime and Safety Report https://www.osac.<br />
gov/pages/ContentReportDetails.aspx?cid=17616<br />
(Abruf am 24.08.2015)<br />
zählt zu den einträglichsten Exportartikeln des Landes. 76<br />
Im Februar 2015 wurden ein Auftragskiller und mehrere<br />
Personen, die dem organisierten Verbrechen zugeordnet<br />
werden, verhaftet. Im Jahr 2014 wurden die Anzahl der<br />
Beamten und die Gehälter um 10 % erhöht. Ein Team<br />
für den Kampf gegen Wirtschaftskriminalität und Korruption<br />
hat verbesserte Ermittlungsmethoden in Gang<br />
gebracht. Dadurch hat sich die Zahl der Ermittlungen<br />
und Anklagen erhöht. Auch die Zahl der Verurteilungen<br />
wegen Korruption und Geldwäsche ist gestiegen, ebenso<br />
die Ermittlungen im Zusammenhang mit dem Menschen-<br />
und Drogenhandel. Ein nationales Ermittlungsbüro<br />
(National Bureau of Investigation) wurde eingerichtet,<br />
die internationale Zusammenarbeit weiter intensiviert. 77<br />
Dabei kann nicht übersehen werden, dass Politik und<br />
Justiz tief in kriminelle Machenschaften ver strickt sind.<br />
Trotz Warnungen des amerikanischen Botschafters und<br />
einiger Botschafter der EU-Mitgliedstaaten setzte Ministerpräsident<br />
Rama zu den Lokalwahlen im Juni 2015<br />
Kandidaten auf die Listen, die unter dem Verdacht standen,<br />
Verbrechen begangen zu haben. Die Demokratische<br />
Partei zog einen ihrer Kandidaten, der wegen Drogenhandels<br />
verurteilt wurde, zurück. Die Sozia listen zogen<br />
ihrerseits keine Konsequenzen. In Kruja und in Kavaja,<br />
zwei kleinen Städten in Mittel albanien, wurden sozialistische<br />
Kandidaten als Bürgermeister gewählt, die schon<br />
einmal wegen Drogenhandels verhaftet worden waren. 78<br />
2.9 Extremismus<br />
Radikaler Islam<br />
(vgl. 3.10 Lage der Religionsgemeinschaften)<br />
Schätzungen zufolge bekennen sich rund 60 % der 2,8<br />
Millionen Albaner zum sunnitischen Islam. Grundsätzlich<br />
bestimmt religiöse Toleranz den Alltag der Albaner,<br />
die stolz sind auf die Harmonie, die zwischen den Anhän-<br />
76 FAZ (26.08.2015): In <strong>Albanien</strong> gedeiht das organisierte<br />
Verbrechen, http://www.faz.net/aktuell/politik/<br />
ausland/europa/in-albanien-gedeiht-das-organisierte-verbrechen-13765129.html<br />
77 European Commission (04(06.2014): Report on<br />
Albania’s Progress in the Fight Against Corruption<br />
and Organized Crime and in the Judicial Reform;<br />
http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2014/al_report_june_2014.pdf<br />
78 FAZ (26.08.2015): In <strong>Albanien</strong> gedeiht das organisierte<br />
Verbrechen,
23<br />
gern der Religionen besteht. Die Geschichte <strong>Albanien</strong>s<br />
kennt keinen religi ösen Extremismus. Nach der Wende<br />
haben sich aber auch in <strong>Albanien</strong> rund 20 arabischislamische<br />
Organisationen niedergelassen, die Moscheen<br />
finanzierten und Bildungsstipendien an Tausende<br />
formbare junge Muslime vergaben. Viele dieser jungen<br />
Männer kehrten als religiöse Eiferer zurück. Im Jahr 1998<br />
wurden vier Personen in den Räumen der „Revival of<br />
Islamic Heriatge Society“ ver haftet, die Verbindungen<br />
zum „Egyptian Islamic Jiahd“ hatten und die ein Bombenattentat<br />
auf die amerikanische Botschaft in Tirana<br />
planten. 79 Auch wenn in jüngster Zeit der Einfluss von<br />
Islamisten zunimmt, zeichnen sich die beiden dominierenden<br />
Richtungen des Islams (Sunniten und Bektaschi)<br />
durch große Toleranz gegenüber Andersgläubigen aus.<br />
Bislang haben radikale Islamisten in <strong>Albanien</strong> noch wenig<br />
Zulauf. Meldungen zufolge, versuchen islamistische<br />
Kreise aber zunehmend auch in <strong>Albanien</strong> Nachwuchs zu<br />
rekrutieren. Man geht von rund 140 aktiven Kämpfern<br />
aus <strong>Albanien</strong> aus, die sich dem IS angeschlossen haben<br />
sollen. 80 Offiziell verurteilt die Muslimische Gemeinschaft<br />
<strong>Albanien</strong>s (MCA) den radikalen Islam, dennoch gibt es<br />
mehrere Moscheen, in denen die radikale „Takfiri“ Vision<br />
des Islams verbreitet wird. 81<br />
Im Rahmen des Strategie- und Aktionsplans für die<br />
Bekämpfung des Terrorismus wurden im Juli 2014 das<br />
Strafgesetzbuch und die Strafprozessordnung geändert.<br />
Danach können nun Strafen bis zu 15 Jahren für die<br />
Beteiligung an einem oder die Rekrutierung für einen<br />
bewaffneten Konflikt außerhalb <strong>Albanien</strong>s verhängt<br />
werden. Im Oktober 2013 wurde ein neues Gesetz gegen<br />
Terrorismusfinanzierung verabschiedet. Im Jahr 2014<br />
wurden 13 Personen verhaftet, die in einer Moschee<br />
am Stadtrand von Tirana 70 Personen rekrutiert haben<br />
sollen. 82 Neun Personen wurden wegen Terrorismus an-<br />
79 Combating Terrorism Center (April 2015): Ethnic<br />
Albanian foreign fighters in Iraq and Syria;<br />
https://www.ctc.usma.edu/posts/ethnic-albanianforeign-fighters-in-iraq-and-syria<br />
80 Süddeutsche Zeitung (05.10.2014): Rekruten für<br />
die Terrorarmee; www.sueddeutsche.de/politik/<br />
kampf-gegen-den-is-rekruten-fuer-die-terrorarmee-1.2159100s-rekruten-fuer-die-terrorarmee-1.2159100<br />
81 Jamestown Foundation (15.05.2015): Ethnic Albanian<br />
Foreign Fighters and the Islamic State, www.ecoi.<br />
net<br />
82 Ebd.<br />
geklagt, zwei davon waren Imame (u. a. Bujar Hysa, Imam<br />
der Moschee Unaza e Re). 83<br />
Nationalismus<br />
Der albanische Nationalismus, die sog. „Rilindja“ (nationale<br />
Wiedergeburt) bzw. die „Albanische Frage“, entstand<br />
nach dem Berliner Kongress 1878 als große Teile des albanischen<br />
Siedlungsgebietes unter serbische und bulgarische<br />
Kontrolle gerieten. Dies ist bis heute als historische<br />
Ungerechtigkeit tief im nationalen Gedächtnis verbucht.<br />
Auch nach der Proklamation des albanischen Staates<br />
1912 blieb für <strong>Albanien</strong> ein Territorium übrig, das wesentlich<br />
kleiner war als die albanischen Siedlungsgebiete<br />
es gewesen sind. Demzufolge lebt noch heute ca. ein Drittel<br />
der albanischen Bevölkerung in Kosovo, Mazedonien,<br />
Serbien und Montenegro. Die aus dieser Zeit stammende<br />
Idee eines Zusammenschlusses aller Albaner in einem<br />
gemeinsamen Staat (Großalbanien) übt auf viele auch<br />
heute eine große Faszination aus.<br />
Diese nationalistische Grundstimmung ließ sich u. a. anlässlich<br />
der Feiern zum hundertjährigen Bestehen <strong>Albanien</strong>s<br />
2012 erkennen. Der frühere Premier Berisha rief die<br />
Nation auf, „jede Minute, jede Stunde und jeden Tag“ zur<br />
Verwirklichung der nationalen Vereinigung der Albaner<br />
beizutragen. In den albanischen Medien entspann sich<br />
eine intensive Diskussion über die Zukunftsperspektiven<br />
eines <strong>Albanien</strong>s in seinen „natürlichen“ (sprich: ethnischen)<br />
Grenzen. 84 Im Zuge des Wahlkampfes 2013 agierten<br />
zwei Parteien mit nationalistischen Aussagen und der<br />
Forderung nach einer Vereinigung aller Albaner in einem<br />
Staat: die AK (Allianz Rot-Schwarz) und die PDIU (Partei<br />
für Recht, Integration und Einheit). Die Ende 2012 gegründete<br />
„Allianz Rot-Schwarz“, die primär junge Wähler<br />
anzieht, macht keinen Hehl aus ihrer großalbanischen<br />
Ideologie. Dennoch scheiterten die Bemühungen, sich als<br />
dritte Kraft neben der Demokratischen Partei (PD) und<br />
der Sozialistischen Partei (PS) zu etablieren - die Partei<br />
schaffte nicht den Sprung ins Parlament. Anders die 2005<br />
gegründete PDIU, die in erster Linie die Interessen der<br />
Çamen vertritt, der Nachkommen albanischer Vertriebe-<br />
83 U.S. Department of State (25 June 2015): Country<br />
Report on Terrorism 2014, http://www.refworld.org/<br />
docid/5587c75d9.html<br />
84 Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP)<br />
(03.07.2013): Die albanische Frage nach der Wende;<br />
http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurzgesagt/die-albanische-frage-nach-der-wende-intirana.html
24<br />
ner aus dem Zweiten Weltkrieg, die in der Region Epirus<br />
im Nordwesten Griechenlands ansässig waren. Die PDIU<br />
fordert nicht nur die Vereinigung aller Albaner aus <strong>Albanien</strong>,<br />
Kosovo, Mazedonien, Montenegro und dem südserbischen<br />
Presevo-Tal. Sie verlangt auch, dass Griechenland<br />
den Çamen die enteigneten Grundstücke zurückgibt oder<br />
sie entschädigt. Mit solchen Forderungen war die PDIU<br />
bei den Parlamentswahlen 2013 mit 2,6 % der Stimmen<br />
relativ erfolgreich. 85 Auch Ministerpräsident Edi Rama<br />
spielt in dem Bewusstsein, dass die internationale Gemeinschaft<br />
neue Grenzziehung auf dem Balkan fürchtet,<br />
die nationalistische Karte und drohte jüngst, ein isoliertes<br />
<strong>Albanien</strong> ohne europäische Perspektive könne sich mit<br />
Kosovo vereinen. Experten vertreten die Ansicht, dass die<br />
Forderung nach einem Großalbanien als Ablenkungsmanöver<br />
von realen Problemen, wie Armut und Korruption<br />
benutzt werde. Der albanische Nationalismus stelle keine<br />
konkrete Bedrohung im Sinne einer Bereitschaft zum<br />
Krieg gegen die Nachbarn dar. Allerdings sei die schlechte<br />
wirtschaftliche Lage <strong>Albanien</strong>s eine Gefahr, die das nationalistische<br />
Gedankengut forcieren könne. 86<br />
85 Deutsche Welle (DW) (11.07.2013): Albanischer Nationalismus<br />
eine Gefahr? http://www.dw.com/de/<br />
albanischer-nationalismus-eine-gefahr-f%C3%BCrdie-region/a-16936236<br />
86 Ebd.
25<br />
3<br />
Menschenrechtslage<br />
Der Schutz der zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und<br />
politischen Rechte und das Verbot jeglicher diskriminierender<br />
Behandlung der Minderheitengruppen sind in der<br />
Verfassung garantiert. Die Europäische Menschenrechtskonvention<br />
sowie das Europäische Übereinkommen zur<br />
Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender<br />
Behandlung oder Strafe wurden von <strong>Albanien</strong><br />
ratifiziert, ebenso die Mehrzahl der UN-Übereinkommen<br />
zu den Menschenrechten. Politische Verfolgung, Folter,<br />
Zensur oder staatliche Repression gegenüber bestimmten<br />
Personen oder Personengruppen wegen ihrer Nationalität,<br />
politischen Überzeugung, Rasse oder Zugehörigkeit<br />
zu einer Religionsgemeinschaft oder sozialen Gruppe<br />
finden nicht statt. Neben mangelnder Rechtsstaatlichkeit<br />
gibt es aber ernste Menschenrechtsprobleme wie häusliche<br />
Gewalt, Diskriminierung von Minderheiten und<br />
Frauen, Polizeigewalt sowie unzulängliche Gefängnisbedingungen.<br />
Die albanische Regierung hat einen Ombudsmann eingesetzt,<br />
den die Bürger bei Menschenrechtsverletzungen<br />
anrufen können. Er untersucht entsprechende Missstände<br />
und kann gerichtliche Verfahren einleiten. Er veröffentlicht<br />
jährliche Empfehlungen und Berichte zur Situation<br />
der Menschenrechte. 87 Auch das albanische Helsinki<br />
Komitee berichtet regelmäßig über Entwicklungen und<br />
Probleme im Menschenrechtsbereich. 88<br />
3.1 Willkürliche und ungesetzliche<br />
Tötungen, „Verschwindenlassen“<br />
Es gibt keine Berichte über willkürliche oder ungesetzliche<br />
Tötungen durch die Regierung, auch nicht über politisch<br />
motiviertes „Verschwindenlassen“.<br />
3.2 Unmenschliche und erniedrigende<br />
Bestrafung, Haftbedingungen<br />
Die Todesstrafe ist abgeschafft. Fälle von unmenschlicher<br />
oder erniedrigender Bestrafung sind nicht bekannt.<br />
Die Haftbedingungen in vielen albanischen Gefängnissen<br />
und in den Einrichtungen für Untersuchungshäftlinge<br />
entsprechen nicht westeuropäischen Standards. Die<br />
Situation verbessert sich mit internationaler Finanzhilfe,<br />
insbesondere der EU-Kommission, langsam. Eine<br />
zunehmend bedeutende Rolle spielt die Institution des<br />
Ombudsmannes, der unangemeldete Kontrollvisiten in<br />
Polizeikommissariaten und Einrichtungen des Strafvollzugs<br />
tätigt und Missstände beim albanischen Innenministerium<br />
anhängig macht. 89<br />
Laut dem Bericht des US Department of State variieren<br />
die Haftbedingungen in den Gefängnissen je nach Einrichtung.<br />
Nach und nach werden ältere Einrichtungen<br />
geschlossen. Anstalten die nach 1991 erbaut wurden<br />
erfüllen in der Regel die internationalen Standards. Die<br />
Bedingungen in den Frauengefängnissen sind generell<br />
besser als bei den Männern. Insbesondere die Bedingungen<br />
im Gefängnis Jordan Misja in Tirana ist nicht mehr<br />
zumutbar für Häftlinge. Völlig unzureichend sind die<br />
87 Offizielle Website - Avokati I popullit: http://www.<br />
avokatipopullit.gov.al/en;<br />
Vgl. auch: UN (05.09.2014) <strong>Information</strong> presented<br />
by the Albanian People’s Advocate: (Ombudsman)<br />
report on the human rights situation in Albania,<br />
https://www.ecoi.net/file_upload/1930_1411473638_<br />
g1415655.pdf (Abruf am 25.08.2015)<br />
88 Albanian Helsinki Committee: Human Rights<br />
Report 2014; http://ahc.org.al/web/images/publikime/en/Humane_Rights_Report_2014.pdf<br />
(Abruf<br />
27.08.2015)<br />
89 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB
26<br />
Bedingungen auf den Polizeistationen und temporären<br />
Haftzentren, mit Ausnahme der Regionalpolizeidirektion<br />
und dem Haftzentrum in Tirana, das die Regierung im<br />
Laufe des Jahres 2014 wieder aufgebaut hat. 90 Bauliche<br />
Mängel, unzureichende Sanitäreinrichtungen, schlechtes<br />
und knapp bemessenes Essen, fehlende Heizung,<br />
Ungezieferbefall, Beengtheit und Überbelegung sind die<br />
Kritikpunkte. Es fehlt an einer angemessenen ärztlichen<br />
Versorgung; insbesondere psychisch kranke Gefängnisinsassen<br />
erhalten häufig nicht die erforderliche Fürsorge<br />
und Behandlung. Eine regelmäßige Versorgung mit Zeitungen<br />
und Zeitschriften bzw. Ausbildungs- oder Freizeitangebote<br />
besteht nicht. In einigen Gefängnissen sind<br />
Hofgang oder Außenaktivitäten nicht erlaubt. Besuch<br />
kann eingeschränkt empfangen werden, jedoch oft nur<br />
sehr kurz und nach Gutdünken des Gefängnispersonals.<br />
Bedenklich ist, dass der Zugang zu einem Rechtsanwalt<br />
vielfach erschwert ist oder sogar gänzlich verhindert<br />
wird. Problematisch ist insbesondere auch die Situation<br />
jugendlicher Straftäter. Es gibt Berichte über Misshandlungen<br />
durch Gefängnispersonal und es fehlt zudem an<br />
jugendstrafrechtlicher Gerichtsbarkeit und Rehabilitationsprogrammen,<br />
die auf die Bedürfnisse Jugendlicher<br />
zugeschnitten sind. 91<br />
Die Regierung erlaubt lokalen und internationalen Menschenrechtsgruppen,<br />
den Medien und dem Internationale<br />
Komitee des Roten Kreuzes sowie internationalen<br />
Organisationen wie dem Europarat-Ausschuss zur Verhütung<br />
von Folter, die Haftbedingungen zu überwachen.<br />
Im April 2015 verabschiedete das Parlament ein Gesetz,<br />
das die Rechte von Häftlingen und Standards für ihre<br />
Behandlung, einschließlich angemessener medizinischer<br />
Behandlung festschreibt. Beschwerden von Gefangenen<br />
können unter Verschluss an den Ombudsmann oder an<br />
die Gerichts- bzw. Verwaltungsbehörden gerichtet werden.<br />
Der Ombudsmann erhielt bis August 2014 103 Beschwerden.<br />
Davon waren 30 gerechtfertigt. Der Ombudsmann<br />
und NGOs berichten, dass sich die Bedingungen in<br />
den meisten Gefängnissen gebessert hätten, wenngleich<br />
es weiterhin ernste Probleme in einigen Einrichtungen<br />
gibt. 92 Auch das albanische Helsinki Komitee berichtet<br />
ausführlich über zahlreiche Missstände in den Haftanstalten,<br />
es wird aber auch positiv vermerkt, dass 2014<br />
neue Einrichtungen in Berat, Skoder und Tropoje eröffnet<br />
wurden und die Einrichtung in Kukes geschlossen<br />
werden konnte. 93<br />
3.3 Unmenschliche und erniedrigende<br />
Behandlung, Folter<br />
<strong>Albanien</strong> hat die Konvention der Vereinten Nationen<br />
gegen Folter und andere grausame unmenschliche oder<br />
herabwürdigende Bestrafungen samt Fakultativprotokoll<br />
ebenso wie das Europäische Übereinkommen zur<br />
Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender<br />
Behandlung oder Strafe ratifiziert. Art. 25 der<br />
Verfassung verbietet explizit Folter und jegliche grausame,<br />
unmenschliche oder erniedrigende Behandlung<br />
oder Bestrafung. Die im albanischen Strafgesetzbuch<br />
vorgesehenen Strafen orientieren sich auch hinsichtlich<br />
des Strafmaßes an europäischen Standards. Es gibt keine<br />
unmenschlichen oder erniedrigenden Strafen. Das Strafgesetzbuch<br />
wird kontinuierlich überarbeitet, um westlichen<br />
Standards zu entsprechen.<br />
Nach übereinstimmenden Erkenntnissen nationaler und<br />
internationaler Menschenrechtsorganisationen gibt es<br />
noch immer Fälle von Gewalt und teilweise schweren<br />
Misshandlungen seitens oder im Verantwortungsbereich<br />
der Polizei, vorrangig während sich Personen in<br />
Polizeigewahrsam befinden, jedoch auch in Untersuchungs-<br />
und Vollstreckungshaft. Es wird jedoch nicht<br />
auf staatliche Anweisung gefoltert. Im Jahr 2013 führte<br />
der Ombudsmann 27 Untersuchungen durch. Er erhielt<br />
29 Beschwerden, von denen 15 zur Zufriedenheit der<br />
Kläger gelöst wurden. Gegen 13 Polizeibeamte wurde<br />
Strafverfolgung beantragt, in zwei Fällen handelte es sich<br />
um Folter. Dies bedeutet einen Rückgang der Folterfälle<br />
von 60 % im Vergleich zum Jahr 2012 und einen Anstieg<br />
der Rechtsverfolgung um mehr als 60 %. 94 Die Anti-Folter<br />
Kommission des Europarates besuchte im Februar 2014<br />
diverse Haftanstalten und stellte Verbesserungen seit<br />
90 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
91 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
92 U.S. Department of State (06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
93 Albanian Helsinki Committee: Human Rights<br />
Report 2014; http://ahc.org.al/web/images/publikime/en/Humane_Rights_Report_2014.pdf<br />
(Abruf<br />
27.08.2015)<br />
94 European Commission (08.10.2014): Albania Progress<br />
Report 2014
27<br />
dem letzten Besuch 2010 fest. 95 Laut dem Jahresbericht<br />
2015 von Amnesty International herrscht aber nach wie<br />
vor weitgehend Straflosigkeit in Fällen mutmaßlicher<br />
Misshandlungen durch Sicherheitskräfte. Im Mai 2014<br />
richtete das Parlament eine neue Institution für interne<br />
Angelegenheiten und Beschwerden ein, um gegen Polizeikorruption<br />
und Menschenrechtsverletzungen vorzugehen.<br />
Im August 2014 wurde der Leiter des Bereichs<br />
Öffentliche Ordnung der Staatspolizei in Kukës wegen<br />
Amtsmissbrauchs und unrechtmäßigem Freiheitsentzug<br />
angeklagt, nachdem er einen Häftling misshandelt hatte.<br />
96<br />
3.4 Willkürliche Verhaftungen, lang<br />
andauernde Untersuchungshaft<br />
Laut Gesetz muss die Polizei die Verfolgungsbehörden<br />
sofort von einer Verhaftung informieren. Es gab keine<br />
Berichte von geheimen Verhaftungen, aber über Festnahmen,<br />
die nicht im Einklang mit dem albanischen<br />
Recht erfolgten. Außerdem gibt es gelegentlich Fälle, in<br />
denen die Polizei Personen zwecks Befragung für außerordentliche<br />
Zeitspannen festnahm, ohne sie formell zu<br />
verhaften. 97<br />
Untersuchungshäftlinge müssen teilweise sehr lange auf<br />
den Beginn ihrer Prozesse warten. Verfahren können mitunter<br />
mehrere Jahre in Anspruch nehmen. Der Europarat<br />
bemängelt u. a. die oft unverhältnismäßig lange Untersuchungshaft<br />
bis zur Eröffnung eines Gerichtsverfahrens,<br />
insbesondere bei Jugendlichen. 98<br />
3.5 Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis<br />
allgemein<br />
Aufgrund der Schwäche der Institutionen des Staates<br />
werden viele Rechtsverstöße entweder gar nicht oder<br />
nicht in ausreichendem Maße verfolgt. Insbesondere<br />
die Strafverfolgung und Verurteilung von Beamten, die<br />
Missbräuche begangen haben, ist sporadisch und widersprüchlich,<br />
auch wenn die Regierung ihre Bemühungen<br />
verstärkt hat. Mangelnde Qualifikation und Anfälligkeit<br />
der Richter für Korruption führen zu rechtsstaatlich<br />
zweifelhaften Ergebnissen. 99 (vgl. auch unter 2.6 Justiz<br />
und 2.7 Korruption)<br />
3.6 Lage sexueller Minderheiten<br />
(LGBTI Gemeinschaften)<br />
Homosexualität ist seit 1995 nicht mehr strafbar. 2010<br />
wurde ein Antidiskriminierungsgesetz inklusive des<br />
Merkmals „sexuelle Orientierung“ eingeführt. Im Mai<br />
2013 wurde das Strafgesetzbuch reformiert und Schutzvorschriften<br />
gegen Hassverbrechen und Hassreden<br />
auch im Hinblick auf die sexuelle Orientierung und der<br />
Geschlechtsidentität eingefügt. 100 In Tirana wurden „shelters“<br />
errichtet, in den auch LGBT 101 Personen um Schutz<br />
nachsuchen können. 102 Albanische NGOs, die sich für deren<br />
Akzeptanz einsetzen, sind „pink embassy“, „Pro LGBT“<br />
und „Aleanca LGBT“. Es gibt Initiativen der Regierung in<br />
Zusammenarbeit mit NGOs homophobe Einstellungen<br />
zu bekämpfen. Auch die Polizei kooperiert mit NGOs,<br />
um bei Bedarf Schutz zu gewährleisten. 103 Im Jahr 2014<br />
95 Council of Europe (18.02.2014): Anti-torture Committee<br />
visits Albania, http://www.cpt.coe.int/documents/alb/2014-02-18-eng.htm<br />
96 Amnesty International, Amnesty Report 2015 <strong>Albanien</strong>,<br />
http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />
albanien?destination=node%2F668 (Abruf am<br />
10.09.2015)<br />
97 U.S. Department of State (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania for 2014<br />
98 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
99 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
100 Freedom House (2014): Albania- Freedom in the<br />
World; https://freedomhouse.org/report/freedomworld/2014/albania#.VeQdl9IViUk<br />
101 LGBTTI = Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual,<br />
Transgender, Intersexual<br />
102 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />
in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />
country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />
am 31.08.2015)<br />
103 UK Home Office: Country <strong>Information</strong> and<br />
Guidance Albania: Sexual orientation and gender<br />
identity, 13.10.2014, https://www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/attachment_data/<br />
file/363355/CIG_Albania_Sexual_orientation_and_<br />
gender_identity_2014_10_13.pdf
28<br />
wurde die Polizei mit einem Preis „LGBT-Verbündeter<br />
des Jahres“ („LGBT Ally of Year“) ausgezeichnet. Der Antidiskriminierungsbeauftragte<br />
registrierte aber weiterhin<br />
Beschwerden von LGBT-Personen und Organisationen. 104<br />
Auch gibt es Fälle, in denen Offizielle abfällige homophobe<br />
Aussagen machen und Fälle, in denen die Polizei keine<br />
geeigneten Schutzmaßnahmen ergriffen hat. 105<br />
Nach wie vor ist in der albanischen Gesellschaft die<br />
Akzeptanz von Homosexuellen, Transvestiten oder<br />
transsexuellen Personen sehr gering. Bekennende Homosexuelle<br />
werden von ihren Familien oft ausgegrenzt<br />
oder schikaniert. 106 Familiäre Strukturen bestimmen<br />
das gesellschaftliche Leben, nichts ist wichtiger als die<br />
öffentliche Wahrnehmung. Homosexualität wird tot<br />
geschwiegen. Es gibt selbst in Tirana keine öffentlichen<br />
Orte (Clubs, Bars etc.), wo sich LGBT-Personen treffen<br />
könnten. Verabredungen werden in Chatrooms getroffen<br />
und finden dann unter höchster Geheimhaltung statt.<br />
Mit dem Aufkommen von Facebook entwickeln sich<br />
langsam neue Möglichkeiten. Es gibt eine geschlossene<br />
Gruppe „LGBTs in Tirana“, wo sich Gleichgesinnte treffen<br />
können. 107 Eine 2012 erstmals geplante Gay-Pride-Parade<br />
musste kurzfristig abgesagt werden, nachdem auch von<br />
Regierungsvertretern massive Drohungen ausgesprochen<br />
worden waren. Einige wenige Aktivisten veranstalteten<br />
stattdessen einen Tag vor dem geplanten Umzug eine<br />
Fahrrad-Demonstration, bei der die Materie erstmals<br />
öffentlich thematisiert wurde. Im Mai 2014 fand in Tirana<br />
schließlich eine Gay-Pride-Parade statt. Diesmal wurden<br />
keine Zwischenfälle registriert.<br />
3.7 Situation von Frauen und Kindern<br />
Frauen und Männer sind rechtlich gleichgestellt. Viele<br />
Familienverhältnisse sind jedoch weiterhin patriarchal<br />
geprägt. Besonders im Nordosten des Landes sind Frauen<br />
(und Kinder) vielfältigen Formen von Diskriminierung<br />
und Gewalt ausgesetzt, da sie im patriarchalischen Verständnis<br />
als untergeordnet angesehen werden. Dies führt<br />
dazu, dass sie oft früh die Schule verlassen, eine wesentlich<br />
höhere Arbeitslosenquote als Männer aufweisen, erschwerten<br />
Zugang zu Land und Grundstücken und wenig<br />
politisches Mitspracherecht haben sowie in wichtigen<br />
Funktionen kaum repräsentiert sind. Vielfach besteht die<br />
Gleichheit von Mann und Frau bezüglich des Erbrechts<br />
und des Eigentums nur de jure. 108 In streng patriarchalisch<br />
geprägten Familien hängt die Ehre auch vom Verhalten<br />
der weiblichen Familienmitglieder ab. Wird eine<br />
Ehrverletzung durch die Frau begangen (Untreue, uneheliches<br />
Kind, Ungehorsam etc.) kann es zu „Ehrenmorden“<br />
kommen oder die Frau wird aus dem Familienverband<br />
ausgestoßen. Verheiratung minderjähriger bzw. auch<br />
schon volljähriger Töchter gegen ihren Willen (mit ggf.<br />
älteren Männern) kommt vor, und zwar in erster Linie<br />
in ländlichen Gebieten und bei der Roma-Bevölkerung.<br />
Jede zehnte Frau wird laut UNICEF-Statistiken vor ihrem<br />
18. Geburtstag verheiratet, 31 % der Roma-Mädchen<br />
im Alter von 13-17 Jahren. 109 Etwa jede dritte Frau wird<br />
Opfer häuslicher Gewalt. Laut UNICEF sind 13,3 % der<br />
schulpflichtigen Kinder Opfer sexuellen Missbrauchs.<br />
Bei Frauen aus ländlichen Gegenden erleiden bis zu 60 %<br />
häusliche Gewalt, davon rund 8 % sexuelle Gewalt. 110<br />
104 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />
105 UK Home Office (13.10.2014): Country <strong>Information</strong><br />
and Guidance: Sexual orientation and gender<br />
identity, https://www.gov.uk/government/uploads/<br />
system/uploads/attachment_data/file/363355/<br />
CIG_Albania_Sexual_orientation_and_gender_identity_2014_10_13.pdf<br />
106 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />
in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />
country-reports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />
am 31.08.2015)<br />
107 Der Tagesspiegel (07.08.2015): Schwul in <strong>Albanien</strong>,<br />
http://www.tagesspiegel.de/berlin/queerspiegel/<br />
schwul-in-albanien-der-erste-der-das-schweigenbricht/12101170.html<br />
Bis 2003 existierte keine rechtliche Definition von häuslicher<br />
Gewalt. Erst dann trat ein Familiengesetz in Kraft,<br />
in dem die Rechte in häuslichen Gewaltfällen gestärkt<br />
wurden. Seitdem hat <strong>Albanien</strong> weitere wichtige Maßnahmen<br />
ergriffen. Ein Gesetz zur Prävention und zum Schutz<br />
vor häusliche Gewalt (Domestic Violence Law) ist Mitte<br />
108 Norma Osterberg-Kaufmann, VS Verlag für Sozialwissenschaften,<br />
Wiesbaden 2011; Erfolg und Scheitern<br />
von Demokratisierungsprozessen (S. 68)<br />
109 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 – Albania;<br />
SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (13.2.2013):<br />
<strong>Albanien</strong>: Posttraumatische Belastungsstörung;<br />
Blutrache<br />
110 Civil Rights Defenders (13.08.2015): Human Rights<br />
in Albania, http://www.civilrightsdefenders.org/<br />
country-areports/human-rights-in-albania/ (Abruf<br />
am 31.08.2015)
29<br />
2007 in Kraft getreten. Im Jahr 2007 hat die Regierung<br />
eine erste nationale Strategie gegen häusliche Gewalt und<br />
für Gleichberechtigung ausgearbeitet. Im November 2008<br />
richtete die Polizei von Tirana eine Sondereinheit für die<br />
Bekämpfung der familiären Gewalt ein. Nach Einführung<br />
des Gesetzes war die Zahl der gemeldeten Fälle von 274<br />
im Jahr 2007 auf 990 in den ersten neun Monaten des<br />
Jahres 2009 gestiegen. Offiziellen Angaben zufolge behandelten<br />
die Gerichte 640 Anträge von Opfern auf Schutzanordnungen.<br />
111 Ein Kooperationsabkommen zwischen<br />
der Polizei und zwei NGOs in Tirana soll sicherstellen,<br />
dass Frauen Unterstützung bei der Erwirkung einer<br />
Schutzanordnung erhalten. Auch in anderen Ballungsgebieten<br />
und Polizeidistrikten wurden bis Ende 2008 Sondereinheiten<br />
bei der Polizei für Fälle häuslicher Gewalt<br />
und zum Schutz der Kinder eingerichtet. 112 Am 19.12.2011<br />
unterzeichnete <strong>Albanien</strong> die Konvention des Europarates<br />
zur Prävention und Bekämpfung von Gewalt gegen<br />
Frauen. 113 Im Jahr 2012 wurden 2.526 Fälle familiärer<br />
Gewalt gemeldet, 345 mehr als im Vorjahr. Auch die Zahl<br />
der beantragten Schutzanordnungen von Gewaltopfern<br />
nahm zu. Eine Änderung des Strafgesetzbuches, durch<br />
die familiäre Gewalt als Straftatbestand mit bis zu fünf<br />
Jahren Haft geahndet werden kann, trat im April 2012 in<br />
Kraft. 2012 erfolgten Änderungen der Strafprozessordnung<br />
in Bezug auf häusliche Gewalt. 114<br />
Schon 1994 entstand in Tirana das erste Frauenzentrum,<br />
1996 das erste Frauenhaus. Inzwischen gibt es ein Netz<br />
von Beratungsstellen an verschiedenen Orten, auch in<br />
ländlichen Gegenden. 115 Die Regierung eröffnete im April<br />
2011 ein neues Frauenhaus in Tirana, das allerdings Frau-<br />
en nur mit einer richterlichen Anordnung aufnimmt 116<br />
In und außerhalb Tiranas gibt es mehrere von NGOs<br />
geführte „shelters“, z. B. in Berat, Korca, Elbasan, Vlora. 117<br />
Regierung und etliche NGOs haben rund um die Uhr<br />
geschaltete kostenfreie Notrufnummern für Opfer von<br />
Menschenhandel, häuslicher Gewalt sowie Kinder- und<br />
Jugendlichen-Seelsorge eingerichtet.<br />
Vergewaltigung, einschließlich Vergewaltigung in der<br />
Ehe, ist zwar strafbar, allerdings fehlt es noch immer an<br />
einer wirksamen Umsetzung des Gesetzes. Insbesondere<br />
Vergewaltigung in der Ehe wird von der Öffentlichkeit<br />
und den Behörden nicht als ein Verbrechen betrachtet.<br />
Nur wenige Opfer stellen Strafanzeigen deswegen,<br />
nur selten kommt es zu Verurteilungen. 118 Im Juni 2014<br />
veröffentlichte der Hohe Justizrat einen Bericht zur Verhandlung<br />
von Fällen familiärer Gewalt vor 38 Gerichten<br />
und empfahl Änderungen in Recht und Rechtsprechung.<br />
Dem Bericht zufolge waren die Strafverfahren langwierig,<br />
und die Gerichte verstießen gegen Verfahrensfristen<br />
für die Prüfung von Schutzanordnungen und den Erlass<br />
von Beschlüssen. Bis Ende September 2014 wurden der<br />
Polizei 3.094 Fälle familiärer Gewalt gemeldet. Nur gut<br />
ein Drittel (1.292) der Anzeigen zog eine strafrechtliche<br />
Verfolgung nach sich. Ende September hatten 1.882 Frauen<br />
in Zivilverfahren um eine Schutzanordnung ersucht.<br />
Allerdings zogen beispielsweise vor dem zuständigen<br />
Gericht in Tirana über zwei Drittel der Betroffenen ihren<br />
Antrag auf eine Schutzanordnung wieder zurück oder<br />
verfolgten ihn nicht weiter. In den Fällen, in denen tatsächlich<br />
Schutzanordnungen erlassen worden waren,<br />
wurden sie häufig nicht durchgesetzt. 119<br />
111 Amnesty International, Annual Report <strong>Albanien</strong><br />
2010, http://www.amnestyusa.org/research/reports/<br />
annual-report-albania-2010 (Abruf am 31.08.2015)<br />
112 Amnesty International, Häusliche Gewalt in<br />
<strong>Albanien</strong> 2010, http://www.amnesty.de/files/<br />
EUR110012010_HaeuslicheGewalt_Broschuere.pdf.<br />
(Abruf am 31.08.2015)<br />
113 Amnesty International, Public Statement, 19 December<br />
2011, AI Index: EUR 11/002/2011, https://<br />
www.amnesty.org/.../eur110022011en.pd (Abruf am<br />
02.09.2015)<br />
114 Europäische Kommission, Schlussfolgerungen 2012;<br />
http://ec.europa.eu/enlargement/pdf/key_documents/2012/package/al_conclusions_2012_de.pdf.<br />
115 Amnesty International, Familiäre Gewalt in <strong>Albanien</strong>,<br />
http://www.amnesty-frauen.de/pdf-rtf/albanien/Hintergrund.pdf.<br />
116 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />
117 IRB - Immigration and Refugee Board of Canada:<br />
Albania: Domestic violence, including legislation,<br />
state protection and support services available to<br />
victims (2011-April 2014) [ALB104859.E], 30. April<br />
2014 (www.ecoi.net).<br />
118 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />
119 Amnesty International ; Amnesty Report Albania<br />
2015 http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />
albanien?destination=node%2F668 (Abruf am<br />
10.09.2015)
30<br />
Kinder: Die albanische Verfassung und andere Rechtsvorschriften<br />
enthalten umfassende Schutzvorschriften<br />
für Kinder und Jugendliche. Im Jahr 2010 wurde das<br />
Gesetz zum Schutz der Rechte der Kinder verabschiedet,<br />
das neue institutionelle Strukturen etabliert. So wurden<br />
weitere Kinderschutz-Center gegründet, <strong>Information</strong>sund<br />
Aufklärungskampagnen organisiert sowie Gesetzesvorschläge<br />
für ein umfassendes Minderjährigenschutzgesetz<br />
(inkl. Kinderarbeit als Straftatbestand) gemacht.<br />
Außerdem unterschrieb die Regierung ein Memorandum<br />
of Understanding mit der International Labour Organization<br />
(ILO) zur Abschaffung von Kinderarbeit. 120 Die<br />
Grundbildung ist kostenlos, es besteht eine neunjährige<br />
Schulpflicht. Allerdings müssen Transport und Bücher<br />
selbst bezahlt werden. Die Gesundheitsversorgung für<br />
Kinder und Jugendliche bis achtzehn Jahren ist kostenlos.<br />
Die Sozialämter unterhalten neun Wohneinrichtungen<br />
für Kinder; in diesen arbeiten insgesamt 200 Mitarbeiter.<br />
121<br />
Rund 30 % der albanischen Bevölkerung sind zwischen<br />
0-19 Jahre. Viele Kinder und Jugendliche sind die Leidtragenden<br />
von Armut und Arbeitslosigkeit und häufig einer<br />
großen Vernachlässigung und Verwahrlosung ausgesetzt.<br />
Vielfach werden Kinder aufgrund der Armut ihrer Familien<br />
in Waisenhäuser abgegeben. Diese sind oftmals sehr<br />
schlecht ausgestattet. Berichten zufolge werden Kinder<br />
dort häufig Opfer sexueller Gewalt oder zum Betteln<br />
gezwungen. Im Mai 2014 veröffentlichte die albanische<br />
Regierung einen nationalen Report über Straßenkinder.<br />
Danach gibt es mehr als 2.500 Kinder, die auf der Straße<br />
Betteln oder sonstige Arbeiten (Müllsammeln, Autoscheiben<br />
putzen) verrichten, 75 % davon sind Roma-Kinder. 122<br />
Die Kindersterblichkeitsrate unter fünf Jahren beträgt<br />
14,9 pro 100.000 Kinder. Sie liegt damit deutlich höher als<br />
in den Nachbarländern Bosnien und Herzegowina, Mazedonien<br />
(6,6) und Montenegro (5,3) und etwas niedriger<br />
als in der Republik Moldau (15,4). Eine Erhebung aus dem<br />
Jahr 2010 ergab, dass 19 % der Kinder an Unterernährung<br />
leiden. Laut UNICEF werden 77 % Opfer von häuslicher<br />
Gewalt. Wobei Gewalt gegen Kinder in Familien und<br />
120 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
121 UNICEF (July 2015): Child Notice, http://www.<br />
refworld.org/docid/55b0dda14.html (Abruf am<br />
18.09.2015)<br />
122 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 - Albania<br />
Schulen üblich ist und sogar von den Kindern selbst als<br />
normal bzw. sogar als richtig betrachtet wird. Daher werden<br />
solche Vorfälle oft nicht gemeldet oder aufgezeichnet.<br />
3.8 Menschenhandel<br />
<strong>Albanien</strong> ist Ausgangsland für den Handel mit Männern,<br />
Frauen und Kindern zum Zweck sexueller Ausbeutung<br />
und Zwangsarbeit, einschließlich erzwungener Bettelei.<br />
Opfer sind überwiegend Mädchen und Frauen zwischen<br />
15 und 25 Jahren aus ländlichen Gegenden. Die Hälfte der<br />
Opfer ist unter 18 Jahren, 90 % der Opfer sind Albanerinnen.<br />
Roma-Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von<br />
Zwangsarbeit (Betteln) zu werden.<br />
Die Regierung unternimmt erhebliche Anstrengungen<br />
zur Bekämpfung des Menschenhandels. Seit Februar 2005<br />
verpflichtet die nationale Strategie (National Strategy<br />
of Fight against Trafficking in Human Beings) mehrere<br />
Ministerien zur Zusammenarbeit und stellt auch sicher,<br />
dass relevante nichtstaatliche Organisationen einbezogen<br />
werden. Seit November 2005 gibt es das Büro des Nationalen<br />
Koordinators für den Kampf gegen Menschenhandel.<br />
Eine kurz darauf im Innenministerium eingerichtete<br />
Arbeitsgruppe gegen Menschenhandel unterstützt das<br />
Büro. Im Februar 2007 ratifizierte <strong>Albanien</strong> die Konvention<br />
des Europarats gegen Menschenhandel. Im Februar<br />
2011 billigte die Regierung eine nationale Anti-Trafficking-Strategie<br />
2011-2013. Eine weitere Strategie 2014<br />
-2016 wurde verabschiedet. Erstmals erhält das Büro des<br />
Nationalen Koordinator ein eigenes Budget. Es wurden<br />
drei mobile Einheiten in Tirana, Vlora und Elbasan gegründet,<br />
was zu einer erhöhten Identifikation von Opfern<br />
und potenziellen Opfern führte. 123<br />
Menschenhandel zum Zweck der Zwangsprostitution<br />
kann mit Strafe von fünf bis 15 Jahren Haft geahndet<br />
werden. Sind Kinder Opfer, erhöht sich das Strafmaß.<br />
Das Strafgesetzbuch wurde um eine Klausel in Bezug auf<br />
Zwangsarbeit von Kindern erweitert. Auch im Hinblick<br />
auf die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität<br />
wurden die notwendigen gesetzlichen Grundlagen geschaffen<br />
und die Strafprozessordnung entsprechend<br />
angepasst. Polizeibeamte werden routinemäßig in der<br />
123 European Commission, Progress Report Albania ,<br />
October 2014
31<br />
Bekämpfung des Menschenhandels geschult und ausgebildet,<br />
ebenso Richter und Sozialarbeiter. Im Jahr 2006<br />
wurden Anlaufstrukturen für Menschenhandelsopfer<br />
auf nationaler und lokaler Ebene geschaffen. Außerdem<br />
wurden durch verstärkte Prävention und Schulung der<br />
Mitarbeiter sozialer Einrichtungen die Identifizierung<br />
und der Schutz potentieller Opfer verbessert. Eine landesweite<br />
gebührenfreie Telefon-Hotline wurde eingerichtet.<br />
Im Jahr 2008 wurden 20 speziell geschulte Beamtinnen<br />
auf verschiedene Polizeieinheiten des Landes verteilt. Im<br />
Jahr 2012 wurden 114 Richter, Staatsanwälte und Beamte<br />
geschult. 124<br />
Strafrechtliche Verfolgung findet insgesamt selten statt,<br />
weil viele Opfer Vergeltungsmaßnahmen befürchten und<br />
ihre Familien Druck ausüben, keine Anzeigen zu stellen<br />
oder Anzeigen wieder zurückzuziehen. Auch die Zahl der<br />
Verurteilungen ist noch sehr gering. Im Jahr 2010 kam es<br />
zu 11 Verurteilungen wegen Menschenhandels; 2012 kam<br />
es zu zwei Verurteilungen. 2013 wurden 24 Fälle untersucht,<br />
93 Opfer wurden identifiziert und in Schutzhäuser<br />
untergebracht. 125 Für die Opferbetreuung erhöhte die<br />
Regierung im Jahr 2008 ihren Etat um 16 % auf 262.000<br />
USD. Mittlerweile gibt es zwei Aufnahmeeinrichtungen<br />
(reception centers) für Frauen, die Opfer des Menschenhandels<br />
geworden sind, eines in staatlicher Trägerschaft<br />
und eines, das von einer Nichtregierungsorganisation<br />
geführt wird. Die Regierung eröffnete im April 2011 ein<br />
neues Frauenhaus in Tirana, das allerdings Frauen nur<br />
mit einer richterlichen Anordnung aufnimmt. NGOs<br />
betreiben vier „shelters“. 126<br />
3.9 Lage der Minderheiten<br />
In <strong>Albanien</strong> leben laut letzter Volkszählung von 2011 2,8<br />
Millionen Menschen, davon sind rund 83 % Albaner. Es<br />
gibt drei nationale Minderheiten (Griechen, Mazedonier<br />
und Serben/Montenegriner) und zwei ethno-linguistische<br />
Gruppierungen (Aromunen/Vlachen und Roma).<br />
124 U.S. State Department, Albania Trafficking in Persons<br />
Report 2009, 2010, 2013, 2014<br />
125 U.S. State Department, Albania Trafficking in Persons<br />
Report 2009, 2010, 2013, 2014<br />
126 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
14 % haben keine Ethnie angegeben. Die Anzahl von<br />
Bulgaren, Türken u. a. Minderheiten ist unbekannt. Die<br />
Minderheiten sind weitgehend integriert und vertreten<br />
ihre Interessen in Vereinigungen, z. T. auch mit starker<br />
Unterstützung ihrer Mutterländer. Lediglich die Gruppe<br />
der Roma stößt in der Bevölkerung teilweise auf eine<br />
ablehnende Haltung. 127<br />
Der Schutz der zivilen, wirtschaftlichen, sozialen und<br />
politischen Rechte und das Verbot jeglicher diskriminierender<br />
Behandlung der Minderheitengruppen sind<br />
in der Verfassung garantiert. Im Jahr 2004 wurde ein<br />
staatliches Komitee für Minderheiten eingerichtet, in<br />
dem Repräsentanten der drei anerkannten nationalen<br />
Minderheiten und der Aromunen und Roma vertreten<br />
sind. Seit 2010 existiert ein Antidiskriminierungsgesetz;<br />
als Kontrollinstitutionen agieren das „State Committee<br />
on Minorities“, der seit Mai 2010 tätige Antidiskriminierungsbeauftragte<br />
und der Ombudsmann. 128 Ein umfassendes<br />
Regelungskonzept zum Minderheitenschutz ist<br />
bislang noch nicht verwirklicht. 129<br />
Die Gruppe der Roma lebt seit 600 Jahren in <strong>Albanien</strong>,<br />
es gibt vier Stämme: Herli, Meckar, Kurtof und Cergar,<br />
die die gleiche Sprache sprechen und eine gemeinsame<br />
Kultur haben. 130 Daneben gibt es die Albanisch sprechenden<br />
Balkan-Ägypter. 131 Bei der letzten Volkszählung 2011<br />
gaben von den 2,8 Millionen Menschen lediglich 0,4 %<br />
(11.669 Personen) an, Roma (8.301) bzw. Balkan-Ägypter<br />
127 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
128 UK Home Office (11.2014): Country <strong>Information</strong> and<br />
Guidance Albania: Minority ethnic groups, https://<br />
www.gov.uk/government/uploads/system/uploads/<br />
attachment_data/file/375421/CIG_Albania_Minority_ethnic_groups.pdf<br />
(Abruf am 08.09.2015)<br />
129 ouncil of Europe (10.01.2011), Third report submitted<br />
by Albania pursuant to Art. 25 of the Framework<br />
Convention for the protection of national minorities,<br />
http://www.unhcr.org/refworld/<br />
pdfid/4d2ec61b2.pdf<br />
130 European Commission, Analytical Report Albania,<br />
November 2010<br />
131 Balkan-Ägypter betrachten sich selbst als Nachfahren<br />
der Ägypter. Sie bilden eine mehrheitlich<br />
albanischsprachige Teilminderheit der südosteuropäischen<br />
Roma. Nebsen dem Hauptsiedlungsgebiet<br />
in Kosovo finden sich kleinere Gruppen auch in<br />
anderen Gebieten des Balkans, so zum Beispiel in<br />
<strong>Albanien</strong>.
32<br />
(3.368) zu sein. Schätzungen zufolge soll es aber zwischen<br />
80.000 und 100.000 Roma/Ägypter in <strong>Albanien</strong> geben. 132<br />
Laut UNHCR gab es 2011 7.443 staatenlose Personen, von<br />
denen die meisten Roma-Kinder seien. Gründe für Staatenlosigkeit<br />
sind u. a. eine grenzüberschrei tende Migration<br />
und das Versäumnis der Eltern, ihre Kinder bei der<br />
Geburt zu registrieren. 133 Schon 2009 wurde das Gesetz<br />
geändert, wodurch 7.000 neue Registrierungen ermöglicht<br />
wur den. 134 Dennoch werden zu Hause geborene<br />
Kinder häufig nicht angemeldet, weil hierfür ein offizieller<br />
Wohnsitz Voraussetzung ist. 135<br />
Die Minderheit, die seit Jahrhunderten in <strong>Albanien</strong> lebt,<br />
ist großteils schwierigen Lebensbedingun gen und Diskriminierungen<br />
ausgesetzt. Roma stoßen vielfach auf Ablehnung<br />
und leben meist am Rande der Gesellschaft. Laut<br />
offiziellen Statistiken gibt es jedoch kaum gewalttätige<br />
Auseinandersetzungen zwischen Albanern und Roma,<br />
da es wenig Berührungspunkte zwischen den Volksgruppen<br />
gibt. Dennoch kommt es hin und wieder zu<br />
Übergriffen. Ethnisch motivierte Gewaltakte gegenüber<br />
Roma sind aber nicht in größerer Zahl dokumentiert. Die<br />
Lebensbedingungen der Roma/Ägypter sind deutlich<br />
schlechter als die der Albaner. Trotz einiger Fortschritte<br />
ist der Zugang zu Arbeitsmarkt, Schule und Gesundheitsversorgung<br />
aufgrund von Armut, Unkenntnis oder<br />
mangelnder Registrierung erschwert. Sie leben häufig<br />
am Rande der Städte in teils illegalen Siedlungen bzw.<br />
Slums (36 %). Größere Konzentrationen gibt es in Tirana,<br />
Elbasan, Korçë, Lushnjë, Fier Fushë-Krujë and Berat. Etwa<br />
15 % der Roma wohnen in Baracken, Zelten, Hütten oder<br />
in anderen prekären Behausungen, teils ohne fließendes<br />
Wasser oder Strom. Viele der illegalen Siedlungen sind<br />
von Zwangsräumungen bedroht. Im April 2014 forderten<br />
einige der von Räumung bedrohten 100 Roma-Familien<br />
aus Selita (Region Tirana) auf einer Demonstration Er-<br />
132 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />
Egyptians in Albania: a socio-demographic and economic<br />
profile based on the 2011 census, http://www.<br />
al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%20<br />
2011%20Profile%20of%20Roma%20and%20Egyptians%20final.pdf<br />
(Abruf am 02.09.2015)<br />
133 U.S. State Department (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania 2014<br />
134 UNDP, Albania, 22.02.2011, Partners discuss the<br />
status of civil registration in the Roma and Egyptian<br />
Communities in Albania, http://www.undp.org.al/<br />
index.php?page=detail&id=168<br />
135 U.S. State Department (25.06.2015): Human Rights<br />
Report Albania 2014<br />
satzwohnraum. Im Mai lehnte die Regierung einen Änderungsvorschlag<br />
für das Gesetz zur Legalisierung illegaler<br />
Gebäude ab. Die Gesetzesänderung war Gegenstand einer<br />
von 6.000 Roma und Ägyptern unterzeichneten Petition<br />
gewesen, in der verfahrensrechtliche Schutzmaßnahmen<br />
gegen rechtswidrige Zwangsräumungen sowie angemessene<br />
alternative Unterbringungen gefordert wurden. Im<br />
Juli 2014 erließ der UN-Menschenrechtsausschuss eine<br />
vorläufige Schutzmaßnahme, um den Abriss der Häuser<br />
von sieben Roma-Familien in der Stadt Elbasan auszusetzen,<br />
solange ihre Klageanhörung und Schadensersatzforderungen<br />
noch anhängig waren. Das Ministerium<br />
für Stadtentwicklung und Tourismus und die staatliche<br />
Wohnungsbehörde beabsichtigten, den Bestand an Sozialwohnungen<br />
zu erhöhen und ein Anrecht für Personen<br />
aus mangelhaften Wohnverhältnissen zu gewähren. Im<br />
Februar 2014 verkündete das Ministerium eine neue<br />
Wohnraumstrategie, durch die Roma und Ägypter stärker<br />
einbezogen, die Legalisierung informeller Siedlungen gefördert<br />
und der Zugang zu Wasser und Sanitäreinrichtungen<br />
verbessert werden sollen. Laut Amnesty International<br />
seien bisher jedoch kaum Fortschritte zu verzeichnen. 136<br />
Etwa 78 % der Roma leben in Armut. Über 50 % waren<br />
2011 laut Zensus „ohne Beschäftigung“. Ca. 96 % der beschäftigten<br />
Roma haben keinen Arbeitsvertrag, rund 93 %<br />
zahlen keine Sozialversicherungsbeiträge und 40 % sind<br />
Analphabeten. 137 45 % der Roma-Kinder im Alter von 6-9<br />
Jahren und knapp 7 % der Ägypter besuchen keine Schule<br />
(Albaner: rd. 3 %). Von den ca. 2.500 Kindern, die auf der<br />
Straße Betteln oder sonstige Arbeiten (Müllsammeln,<br />
Autoscheiben waschen) verrichten, sind 75 % Roma. 138<br />
Bedingt durch Armut und prekäre Wohnbedingungen ist<br />
der Gesundheitszustand der Roma-Bevölkerung deutlich<br />
schlechter als der der Albaner. Sie haben eine höhere<br />
Belastung durch Asthma, chronische Bronchitis, Arthritis<br />
und Depressionen. Zahlen zur Lebenserwartung/Sterberate<br />
liegen nicht vor. Man geht aber davon aus, dass die<br />
136 Amnesty International, Amnesty Report 2015 <strong>Albanien</strong>,<br />
http://www.amnesty.de/jahresbericht/2015/<br />
albanien?destination=node%2F668<br />
137 European Center for Minority Issues (ECMI-Working<br />
Paper 84- February 2015): Accessible Justice<br />
System for All: The Case of Roma Minority in Albania,<br />
http://www.ecmi.de/uploads/tx_lfpubdb/<br />
ECMI_Working_Paper_84.pdf (Abruf am 02.09.2015)<br />
138 U.S. Department of State (25.06. 2015): Country Report<br />
on Human Rights Practices 2014 - Albania
33<br />
Lebenserwartung geringer und die Säuglingssterblichkeit<br />
höher ist als die der albanischen Bevölkerung. 139<br />
<strong>Albanien</strong> hat in den letzten Jahren formal einige Anstrengungen<br />
zur Integration von Roma unternommen.<br />
Das Land nimmt mit einem eigenen Aktionsplan an der<br />
Initiative „Dekade zur Inklusion von Roma“ teil und hat<br />
Leitlinien für die Roma-Politik formuliert. Zentrales<br />
Ziel ist die Verbesserung der Lebensbedingungen und<br />
die gesellschaftliche Inklusion. <strong>Albanien</strong> verabschiedete<br />
schon 2003 die „Nationale Strategie für die Verbesserung<br />
der Lebensbedingungen der Roma 2003-2015“, die durch<br />
die „Strategie für soziale Integration 2007-2013“ ergänzt<br />
wurde. 2008 wurde eine Registrierungskampagne durchgeführt.<br />
Im März 2009 wurde eine interministerielle Arbeitsgruppe<br />
für die Umsetzung der nationalen Strategie<br />
gegründet. Hierbei wurden einige Schritte unternommen,<br />
um Wohnraum und Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
zu verbessern. Das Ministerium für Bildung und Wissenschaft<br />
erließ eine Anweisung, die Roma-Kindern den<br />
Schulbesuch auch ohne Registrierung ermöglicht. 140 Im<br />
Oktober 2010 wurde ein nationaler Aktionsplan für 2010-<br />
2015 verabschiedet, das Budget betrug ca. 23 Millionen<br />
USD. 141 Eine Quote für Roma in Bachelor und Master-<br />
Studiengängen wurde implementiert. Kampagnen zur<br />
Registrierung und Veranstaltungen, die die Problematik<br />
ins Bewusstsein der Bevölkerung bringen sollen, finden<br />
statt. Verstärkt werden Konferenzen und Diskussionsforen<br />
sowie <strong>Information</strong>s- und Integrationskampagnen<br />
von den in <strong>Albanien</strong> tätigen Roma-NGOs sowie vor allem<br />
von internationalen Partnern (EU, UNDP, Weltbank etc.)<br />
initiiert. 142 Noch ist die Umsetzung der Politik zur Einbeziehung<br />
der Roma und zur Verbesserung ihres Zugangs<br />
zu sozialem Schutz und sozialen Diensten aber unzureichend.<br />
143<br />
139 United Nations Albania (April 2015): Roma and<br />
Egyptians in Albania:a socio-demographic and<br />
economic profile based on the 2011 census; http://<br />
www.al.undp.org/content/dam/albania/docs/Census%202011%20Profile%20of%20Roma%20and%20<br />
Egyptians%20final.pdf (Abruf am 02.09.2015)<br />
140 European Commission: Albania Progress Report,<br />
Oct. 2009).<br />
141 U. S. State Department, Human Rights Report, Albania,<br />
April 2011<br />
142 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
143 European Commission, Progress Report Albania,<br />
08.10.2014<br />
3.10 Lage der Religionsgemeinschaften<br />
Im Jahr 1967 war ein Religionsverbot erlassen worden,<br />
erst 1990 wurde die Religionsfreiheit wieder hergestellt.<br />
Schätzungen zufolge bekennen sich heute rund 57 % der<br />
2,8 Millionen Albaner zum sunnitischen Islam. Etwa zwei<br />
Prozent sind Bektashi, eine dem islamischen Sufismus<br />
nahestehende Glaubensrichtung. Die Zahl der orthodoxen<br />
Christen liegt bei ca. 6,75 %, die der Katholiken bei<br />
10 %. Die meisten Katholiken leben im Norden, Orthodoxe<br />
eher im Süden, während die Muslime über das ganze<br />
Land verteilt sind.<br />
<strong>Albanien</strong> ist ein säkularer Staat. Die Verfassung garantiert<br />
die freie Religionsausübung. Staatliche Repression wegen<br />
Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft findet<br />
nicht statt. Keine Religionsgemeinschaft wird durch<br />
staatliche Maßnahmen bevorzugt oder diskriminiert. Die<br />
wichtigsten religiösen Gruppen leben in bemerkenswerter<br />
Toleranz zusammen. 144<br />
<strong>Albanien</strong> wird oft als ein multikonfessioneller Staat der<br />
besonderen Art bezeichnet. Religion spielt in der Geschichte<br />
der Albaner grundsätzlich keine große Rolle.<br />
Es gab und gibt kaum religiöse Konflikte. Die beiden<br />
dominierenden Richtungen des Islams (Sunniten und<br />
Bektashi) zeichnen sich grundsätzlich durch große Toleranz<br />
gegenüber Andersgläubigen aus. Bis zum Jahr 395<br />
n. Chr. lag das Gebiet des heutigen <strong>Albanien</strong> im Zentrum<br />
des Römischen Reiches und gehörte zu den Illyrischen<br />
Provinzen. Mit Übernahme des Christentums zur römischen<br />
Staatsreligion wurde vor allem die nordalbanische<br />
Region christianisiert. Unter osmanischer Herrschaft<br />
(ab dem 16. Jhd.) traten viele Christen aus gesellschaftlichen<br />
und wirtschaftlichen Gründen zum Islam über. Oft<br />
konvertierte zunächst nur das Familienoberhaupt; seine<br />
Angehörigen blieben aber Christen. Es bildeten sich Formen<br />
eines islamisch-christlichen Synkretismus heraus.<br />
Im 19. Jahrhundert erstarkte der Nationalgedanke und es<br />
entwickelte sich der Spruch: Die Religion der Albaner ist<br />
das Albanertum. Das Albanertum galt als das verbindende<br />
Element der unterschiedlichen Konfessionen. Auch<br />
die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung während der<br />
kommunistischen Ära bewirkt bis heute, dass sich (katholische<br />
und orthodoxe) Christen und Muslime mit viel<br />
gegenseitigem Respekt begegnen. Aufgrund der Situation<br />
144 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB
34<br />
in kommunistischer Zeit sind interreligiöse Heiraten in<br />
<strong>Albanien</strong> heute keine Seltenheit, während dies in den<br />
anderen Balkanländern mit muslimischem Bevölkerungsanteil<br />
kaum der Fall ist. In der nachkommunistischen<br />
Zeit wurde der Islam von einem Teil der Bevölkerung,<br />
allen voran von der Jugend, als „altmodisch“ und<br />
wenig zukunftsweisend betrachtet. Dagegen wirkten das<br />
Christentum, und im Besonderen die katholische Kirche<br />
mit ihren Kontakten ins westliche Ausland, wesentlich<br />
attraktiver. Das römisch-katholische Christentum wurde<br />
als Symbol für Europa angesehen. Allerdings ist es seitdem<br />
erstmals zu Spannungen zwischen radikalen Muslimen<br />
und Christen gekommen. 145 Noch haben radikale<br />
Islamisten in <strong>Albanien</strong> wenig Zulauf. Meldungen zufolge,<br />
versuchen islamistische Kreise aber zunehmend auch in<br />
<strong>Albanien</strong> Nachwuchs zu rekrutieren. Man geht von rund<br />
140 aktiven Kämpfern aus <strong>Albanien</strong> aus, die sich dem IS<br />
angeschlossen haben sollen (vgl. unter 2.9 Extremismus).<br />
3.11 Lage von Rückkehrern / Reintegration<br />
Die Regierung kooperierte mit dem UNHCR und anderen<br />
humanitären Organisationen in Bezug auf Schutz<br />
und Beistand für Flüchtlinge, rückkehrende Flüchtlinge,<br />
Asylbewerber, Staatenlose und anderen betroffenen Personen.<br />
146<br />
Ein Rückübernahmeabkommen mit der EU trat am<br />
01. Mai 2006 in Kraft. <strong>Albanien</strong> kommt seinen darin kodifizierten<br />
Verpflichtungen nach. Rückgeführte Staatsangehörige<br />
unterliegen keiner Diskriminierung und haben<br />
nicht mit staatlichen Maßnahmen zu rechnen. 147 Die<br />
albanische Regierung hat am 06.06.2010 die „Strategie für<br />
die Reintegration der rückkehrenden albanischen Staatsbürger<br />
2010-2015“ und den entsprechenden Aktionsplan<br />
dazu bewilligt. Im Zuge dessen hat das Arbeitsministerium<br />
in mehreren Städten „Migration Counters“ geöffnet.<br />
Rückkehrer erhalten hier <strong>Information</strong>en über Unterkunft,<br />
Beschäftigung und soziale Hilfen, berufliche Ausund<br />
Weiterbildung und Programme von NGOs. 148<br />
3.12 Blutrache<br />
Blutrache ist in <strong>Albanien</strong> ein nach dem Gewohnheitsrecht<br />
(Kanun) geregeltes Prinzip zur Sühnung von Tötungen<br />
und Ehrverletzungen. Die schwierige Transformation,<br />
die <strong>Albanien</strong> nach dem Ende der kommunistischen<br />
Herrschaft durchlief, führte zu einem Wiederaufleben der<br />
archaischen Tradition der Blutrache. Der Mangel an verlässlichen<br />
Daten macht es schwierig, den tatsächlichen<br />
Umfang des Problems zu erkennen. Sicher ist aber, dass<br />
es nach wie vor Blutrachefälle, vor allem in Nordalbanien<br />
gibt, wo das Gewohnheitsrecht noch im Bewusstsein der<br />
Bevölkerung verankert ist.<br />
Nur vorangegangene (vorsätzliche) Tötungen oder<br />
schwerwiegende Ehrverletzungen können eine Blutrache<br />
im Sinne des Kanuns nach sich ziehen. Das Opfer bzw.<br />
dessen Familie hat das Recht und die Pflicht, die „Ehre“<br />
wiederherzustellen, auch wenn es Jahre dauert. Ehrverletzungen<br />
können nur durch Vermittlung vergeben<br />
oder mit Blut abgewaschen werden. Dieser Unausweichlichkeit<br />
können sich die Betroffenen nur durch Flucht<br />
oder Isolierung entziehen. Heute werden die Regeln des<br />
Kanuns jedoch nicht immer eingehalten. Der Staat lehnt<br />
die Blutrache ab und bekämpft sie. Allerdings behindern<br />
Schwäche und Korruption des albanischen Staates sowie<br />
das teilweise nicht vorhandene Vertrauen der Bevölkerung<br />
in die Justiz die Bekämpfung des Phänomens. 149<br />
145 Hofmann (2009): Die Rolle der römisch-katholischen<br />
Kirche im multi konfessionellen Staat <strong>Albanien</strong>,<br />
Univ. Wien 2009, http://othes.univie.ac.at/5098/<br />
(Abruf am 20.08.205); Katholische Nachrichten:<br />
27.07.2012, Islam in <strong>Albanien</strong>: Besorgniserregender<br />
Trend, http://www.kath.net/news/37516 (Abruf am<br />
20.08.2015)<br />
146 U. S. State Department (27.02.2014): Human Rights<br />
Report Albania<br />
147 Auswärtiges Amt: Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante<br />
Lage in der Republik <strong>Albanien</strong><br />
vom 10.06.2015 (Stand: Mai 2015), 508-516.80/3 ALB<br />
148 vgl. Republic of Albania, Strategy on Reintegration<br />
of Albanian Citizens, 2010-2015, June 2010; http://<br />
www.esiweb.org/pdf/schengen_whitelist_project_<br />
Strategy%20on%20Reintegration%20of%20Returned%20Albanian%20Citizens%202010-2015.pdf<br />
149 Vgl. BAMF, <strong>Information</strong>, <strong>Albanien</strong> Blutrache (April<br />
2014); OSCE, Report on Blood Feud 2014
35<br />
Schlussbemerkung<br />
Die Republik <strong>Albanien</strong> ist ein demokratischer Rechtsstaat<br />
auf der Grundlage von Pluralismus und Gewaltenteilung,<br />
der die Grundrechte und -freiheiten sowie den Schutz<br />
der Minderheiten gewährleistet. Ab 1992 hat <strong>Albanien</strong><br />
umfassende Reformen eingeleitet. Nach anfänglich chaotischen<br />
Zuständen hat das Land mittlerweile wichtige<br />
Fortschritte in der Konsolidierung von Demokratie und<br />
Marktwirtschaft erzielt. Ein rechtlicher und institutioneller<br />
Rahmen auf dem Gebiet der Menschenrechte ist<br />
weitgehend vorhanden und entspricht im Wesentlichen<br />
europäischen Standards. Eine gezielte und systematische<br />
Verfolgung bestimmter Gruppen wegen ihrer ethnischen<br />
Zugehörigkeit, Religion, Nationalität oder politischen<br />
Überzeugung findet grundsätzlich nicht statt. Folter und<br />
grausame, unmenschliche oder entwürdigende Behandlung<br />
sind gesetzlich verboten. Die Opposition kann sich<br />
frei betätigen. Die Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit<br />
sowie die Meinungs- und Pressefreiheit sind im Allgemeinen<br />
gewahrt. Die Sicherheitslage ist stabil. <strong>Albanien</strong><br />
hat keine ethnischen Konflikte oder Probleme mit seinen<br />
Nachbarn.<br />
Wenig erfolgreich waren bisher die Bemühungen organisierte<br />
Kriminalität und Korruption einzudämmen. Trotz<br />
der Klassifizierung als „defekte“ Demokratie und zahlreichen<br />
Problemen bei der Rechtsstaatlichkeit besteht aber<br />
keine substantielle Bedrohung der Demokratie und politischen<br />
Stabilität. Seit Januar 2011 kam es zu keinen größeren<br />
Demonstrationen oder Ausschreitungen mehr. Die<br />
innenpolitische Lage hat sich seit der Parlamentswahl<br />
2013, die problemlos verlief und zu einem geordneten<br />
Regierungswechsel führte, relativ beruhigt. Das politische<br />
Klima ist inzwischen gemäßigter; alle Akteure bekennen<br />
sich zu den europäischen Werten. Trotz vorhandener<br />
Mängel in der Rechtsstaatlichkeit hat die EU-Kommission<br />
in Anerkennung der durchgeführten Reformen im<br />
Juni 2014 <strong>Albanien</strong> den Status eines EU-Beitrittskandidaten<br />
verliehen. Verbunden mit der Forderung weiterhin<br />
durchgreifende Reformen durchzuführen, die Rechtsstaatlichkeit<br />
zu stärken und den Menschrechtsschutz zu<br />
verbessern.<br />
Die neue Regierung unternimmt erhebliche Anstrengungen<br />
Missstände abzubauen. Es wurden wichtige Maßnahmen<br />
zur Reform des Justizwesens und der öffentlichen<br />
Verwaltung eingeleitet und weitere Schritte zur Bekämpfung<br />
von Korruption und organisierter Kriminalität sowie<br />
in Bezug auf Menschenrechtsfragen ergriffen.
36<br />
Anhang<br />
1. Zeittafel 150<br />
ca. 800-168 v. Chr.<br />
Stadt- und Flächenstaaten der Illyrer<br />
168 v.-395 n. Chr. Teil des Römischen Reiches; im 3. und 4. Jahrhundert herrschen mehrere illyrische<br />
Provinziale als Kaiser<br />
395-11. Jh. Teil des Byzantinischen Reiches; Besiedlung durch slawische Stämme, vor allem im Norden<br />
6./7. Jh.); zeitweise Teil des Bulgarischen Reiches bzw. Besetzung durch Normannen<br />
1272 Karl von Anjou proklamiert das Königreich <strong>Albanien</strong><br />
ca. 1345-1355<br />
Teil des serbischen Zarenreiches von Stefan Dušan<br />
1389 (28.6) Sieg der Osmanen auf dem Amselfeld (Kosovo Polje)<br />
1502 <strong>Albanien</strong> vollständig unter osmanischer Herrschaft; Beginn der Islamisierung<br />
um 1830-1912<br />
Nationale Wiedergeburt (Rilindja); zunächst kulturelle, dann politische Selbständigkeitsbewegung<br />
1878-1881 (Berliner Kongress) Liga von Prizren kämpft gegen Abtretung albanischer Siedlungsgebiete<br />
an Serbien und Montenegro, später auch gegen die osmani sche Regierung<br />
1912 (28.11.) Unabhängigkeitsproklamation; Regierung unter Ismail Qemal Bej Vlora<br />
1913 (März) Londoner Botschafterkonferenz legt die Grenzen fest: Kosovo und Alba nisch-Mazedonien<br />
bleiben bei Serbien und Montenegro, der Großteil der südalbanischen Cameria bleibt als<br />
„Epirus“ bei Griechenland<br />
1924-1939 Diktatur unter Ahmet Bej Zogu<br />
1939 (7.4.) Besetzung durch Italien; Viktor Emanuel III. von Italien wird in Personal union König von <strong>Albanien</strong><br />
1941 (8.11.) Gründung der Kommunistischen Partei <strong>Albanien</strong>s (PKSH, später PPSH)<br />
1943 (8.9.) Kapitulation Italiens; Deutschland neue Besatzungsmacht<br />
1944 -1991 I. Antifaschistischer Kongress der Nationalen Befreiung <strong>Albanien</strong>s: eine Provisorische Regierung<br />
unter Enver Hoxha (gest. 1985) wird bestellt. Im Januar 1946 wird <strong>Albanien</strong> Volksrepublik. Ab 1976<br />
Sozialistische Volksre publik unter Hoxa und später Ramiz Alia (Partei der Arbeit <strong>Albanien</strong>s/PPSH)<br />
Über 5.000 Menschen wurden zwischen 1944 und 1990 hingerichtet oder kamen im Gefängnis um;<br />
die Zahl der Verfolgten dürfte sechsstellig sein.<br />
Dezember 1989 erste regierungsfeindliche Demonstration in Shkoder, An fang Juli 1990 Flucht<br />
Tausender in die westlichen Botschaften, im Dezember 1990 setzte eine Studentenbewegung die<br />
Legalisierung von Oppositionspar teien durch (Zulassung der Demokratischen Partei <strong>Albanien</strong>s - PD)<br />
150 Deutsch-Albanische Freundschaftsgesellschaft (DAFG): Zeittafel; http://www.albanien-dafg.de/zeittafel/ (Abruf<br />
am 05.10.2015)
37<br />
1991 (31.3.) Erste demokratische Wahlen<br />
1991 (29.4.) Übergangsverfassung; neuer Staatsname Republik <strong>Albanien</strong><br />
1992 Sali Berisha (PD) wird Präsident<br />
1995 (10.7.) Aufnahme in den Europarat<br />
1997 Staatskrise: Zusammenbruch der öffentlichen Ordnung nach dem Kollaps<br />
betrügerischer Anlagefonds („Pyramidengesellschaften“)<br />
Neuwahlen: Sieg der PS - Sozialistische Partei (Nachfolgepartei der PPSH)<br />
1998 Neue Verfassung tritt in Kraft<br />
2005 Sieg der PD bei den Neuwahlen unter Berisha<br />
2006 Unterzeichnung Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen (SAA) mit der EU<br />
2009 (1.4) NATO-Mitgliedschaft, SAA tritt in Kraft<br />
2009 (28.4) Antrag auf EU-Beitritt<br />
2013 (10.9) Edi Rama (PS) wird neuer Ministerpräsident<br />
2014 (Juni) EU-Kandidatenstatus
38<br />
2. Karte<br />
Quelle:UNHCR
Impressum<br />
Herausgeber<br />
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF)<br />
Referat 225a - Länderanalysen<br />
90343 Nürnberg<br />
Bezugsquelle/Ansprechpartner<br />
Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
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90343 Nürnberg<br />
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Download über https://milo@bamf.de<br />
Stand<br />
Oktober 2015<br />
Druck<br />
BAMF, Zentraler Service<br />
Gestaltung<br />
BAMF, Zentraler Service, Publikationen, Veranstaltungsmanagement, Besucherdienst,<br />
Gertraude Wichtrey<br />
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Verfasser<br />
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