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Leseprobe-Casting-Fever2

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Das Bewerbungsgespräch<br />

Mit zittrigen Händen klopfte Merle an die Tür mit dem<br />

Namensschild »Diana Kuehn«, über dem ein neongelber<br />

Post-it prangte. Darauf stand mit schwarzem Edding<br />

geschrieben: »Bewerbungsgespräche – bitte nicht<br />

stören!«<br />

»Herein.«<br />

Merle strich noch einmal ihre Hose glatt und blieb an<br />

einer Stecknadel hängen, die sie halb aus dem Stoff riss.<br />

Keine Zeit mehr, die Sache zu richten. Sie atmete einmal<br />

tief durch und öffnete die Tür.<br />

Der Raum wirkte elegant und kühl. Genau wie die<br />

Empfangshalle. Die Chefredakteurin saß auf einem<br />

weißen Drehstuhl hinter einem ebenfalls weißen<br />

Lacktisch. Neben ihr hatte ein sonnengebräunter Mann<br />

Platz genommen, dessen lässige Pose ihre kerzengerade<br />

Haltung noch betonte. Hinter dem ungleichen Paar<br />

befand sich ein Sideboard mit alten Ausgaben der<br />

YOUNG LADY. Fein säuberlich nach Jahr und Monat<br />

sortiert. Es gab nur noch ein weiteres Möbelstück. Den<br />

Besucherstuhl. Er stand dem Schreibtisch gegenüber<br />

genau in der Mitte des Zimmers. Merle schluckte. Darauf<br />

würde sie wie auf einem Präsentierteller sitzen.<br />

Mit klopfendem Herzen steuerte Merle auf den Stuhl zu<br />

und blieb dann unschlüssig stehen. Diana Kuehn reichte<br />

ihr die Hand, stand aber nicht auf. Dafür ging der Mann<br />

um den Schreibtisch herum, um sie zu begrüßen. Aus


der Nähe erkannte Merle das feine Netz aus<br />

Lachfältchen um seine Augen. Sie mochte ihn auf<br />

Anhieb. »Herzlich willkommen! Setz dich doch. Ich bin<br />

Sascha, TV-Redakteur bei den Norddeutschen News.<br />

Und wer Diana ist, weißt du ja bestimmt. Ich darf doch<br />

du sagen? Wir sind hier nicht so förmlich.«<br />

»Natürlich.« Merle ahnte, dass sie mit dem Hosenanzug<br />

ihrer Mutter und der Konfirmationsbluse keine<br />

Pluspunkte sammelte. Im Vergleich zu Dianas<br />

babyblauem Jumpsuit und Saschas weißem Leinenanzug<br />

kam sie sich reichlich altbacken vor. »Mein Name ist<br />

Merle. Merle Blum. Ich habe ein paar Unterlagen<br />

mitgebracht.«<br />

Sollte sie ihren in Klarsichtfolie verpackten Lebenslauf<br />

Diana oder Sascha geben? Um keinen Fehler zu machen,<br />

legte sie ihn genau zwischen die beiden auf die<br />

Tischplatte. Daneben platzierte sie die vorletzte Ausgabe<br />

des TINTENKLECKS mit ihrem bisher besten Artikel.<br />

Zumindest hatte Finn das behauptet. Der Gedanke an<br />

ihn versetzte ihr einen Stich. »Das ist unsere<br />

Schülerzeitung. Ich habe einen Text über Mobbing<br />

geschrieben.«<br />

Hatte ihre Stimme eben leicht gezittert? Hoffentlich<br />

nicht! Merles Beine fühlten sich an wie aus Gummi. Zum<br />

Glück konnte sie sich jetzt hinsetzen. Erleichtert nahm<br />

sie platz. Und unterdrückte einen Schmerzenslaut. Etwas<br />

stach in ihr rechtes Bein. Das musste die lockere<br />

Stecknadel sein. Möglichst unauffällig fingerte sie nach


ihrem Peiniger und behielt dabei die Chefredakteurin im<br />

Auge.<br />

Diana überflog Merles Lebenslauf und schob ihn dann zu<br />

Sascha hinüber. »Du bist also siebzehn und gehst noch<br />

zur Schule?«<br />

»Ja. Ich mache nächstes Jahr mein Abi.«<br />

Und damit bin ich wohl aus dem Rennen. Noch bevor es<br />

richtig angefangen hat…<br />

»Da gibt es just a little problem. Bei Minderjährigen<br />

brauchen wir die Erlaubnis der Eltern. Besonders für die<br />

Filmaufnahmen.« Dianas prüfender Blick machte sie<br />

nervös. Hegte die Chefredakteurin den Verdacht, dass<br />

Merles Mutter nichts von der Bewerbung ahnte? Dianas<br />

journalistischer Spürsinn galt als legendär. Ihm<br />

verdankte das Magazin zahlreiche seiner exklusiven<br />

Titelstorys. Sie kann es nicht wissen. Lass dir bloß nichts<br />

anmerken!<br />

Sascha schaltete sich ein: »Ich begleite die Praktikanten<br />

mit der Kamera. Aus dem Material schneiden wir eine<br />

Doku für die NDN. Ein neues Format. Es heißt GET THE<br />

JOB! Battle of 3. Wie der Name schon sagt, kämpfen drei<br />

Praktikanten um einen Job. In diesem Fall um das<br />

Volontariat bei der YOUNG LADY.«<br />

Endlich gelang es Merle, die Nadel aus dem Stoff zu<br />

ziehen. Doch wohin damit? Sie fallen zu lassen, wagte sie<br />

nicht. Also hielt sie das störende Objekt zwischen


Daumen und Zeigefinger fest. Ihre Hand zitterte.<br />

Hoffentlich stach sie sich nicht noch in den Finger.<br />

Diana blätterte durch den TINTENKLECKS, doch sie<br />

wirkte dabei abwesend. »Falls wir dich auswählen und<br />

du gewinnst…“, sie legte die Zeitung beiseite und<br />

musterte Merle eindringlich: »…how would you decide?<br />

Brichst du dann die Schule ab und nimmst das<br />

Volontariat an? Und was sagen deine Eltern dazu?«<br />

Diese Frau hatte ein Talent dafür, gleich auf den wunden<br />

Punkt zu kommen. Merles Magen verkrampfte sich. Laut<br />

Hanna besaß sie null Talent zum Lügen. Aber die<br />

Wahrheit zu sagen, kam ebenfalls nicht infrage. Hier half<br />

nur ein Ablenkungsmanöver: «Mein Vater lebt leider<br />

nicht mehr. Er war Fotograf und hätte mich auf jeden<br />

Fall unterstützt.«<br />

Diana und Sascha machten betretene Gesichter. Merle<br />

schämte sich beinahe.<br />

Die Chefredakteurin räusperte sich: »Erzähl doch mal ein<br />

bisschen von dir. Was machst du so? Und was sind deine<br />

Hobbys?«<br />

Endlich mal eine Frage, die sie guten Gewissens<br />

beantworten konnte. »Ich fotografiere gern. Ich mache<br />

auch die meisten Bilder für unsere Schülerzeitung. Und<br />

ich lese viel. Am liebsten Liebesromane. Aber auch<br />

Krimis, Fantasy und natürlich die Zeitung. Mir ist es<br />

wichtig, zu wissen, was in der Welt vor sich geht.«<br />

Während Merle erzählte, wurde Dianas Blick immer


glasiger. Langweilte sie sich? Hatte sie Merle als<br />

Bewerberin längst abgehakt, oder war sie nach 38<br />

Gesprächen einfach nur erschöpft? »Und ich glaube,<br />

dass ich als Journalistin etwas bewegen kann. Die Welt<br />

verändern…« Sie stockte.<br />

»Hast du je für eine richtige Zeitung geschrieben?«,<br />

fragte Diana. Sie nahm einen Kugelschreiber in die Hand.<br />

Doch Merle konnte nirgends einen Notizblock oder auch<br />

nur ein Blatt Papier entdecken.<br />

»Nein, leider nicht.«<br />

»Und wenn du heute die Chance hättest, einen Artikel<br />

für YOUNG LADY zu schreiben. Welches Thema würdest<br />

du wählen?« Klick klack. Die Chefredakteurin begann,<br />

die Mine ihres Kugelschreibers auf und zu zu klicken.<br />

Merle schluckte. »Ich würde über Flüchtlinge schreiben.<br />

Es sind ja auch viele Jugendliche dabei, die ohne ihre<br />

Familien nach Deutschland kommen und hier<br />

niemanden haben. Ich möchte sie nach ihren Träumen<br />

und Wünschen fragen.«<br />

»Also ein politisches Thema?« Klick klack.<br />

Merle fiel ein, dass sie in der YOUNG LADY noch nie<br />

einen politischen Artikel gesehen hatte. Schon wieder<br />

daneben. Wie viele Fehler durfte sie sich in so einem<br />

Gespräch erlauben, bevor sie draußen war? Wie viele<br />

hatten die 38 Mädchen vor ihr gemacht?


Klick klack.<br />

»Keine schlechte Idee!«, bemerkte Sascha. Er studierte<br />

Merles Lebenslauf. »Das würde dem Magazin doch mal<br />

etwas Tiefe verleihen. Findest du nicht, Diana?«<br />

Die Chefredakteurin zog ihre schmalen Schultern hoch,<br />

verzog aber keine Miene.<br />

»Dein Vater war also Andreas Blum?», fragte Sascha.<br />

»Der Andreas Blum, der in Sierra Leone…«<br />

Merle nickte. Das Thema war ihr unangenehm. Dabei<br />

hatte sie die Toter-Vater-Karte doch vorhin selbst<br />

ausgespielt.<br />

»Ich kannte ihn.« Sascha legte das Blatt beiseite. »Ein<br />

großartiger Mann. Ich hab ihm viel zu verdanken.« Er<br />

wandte sich an Diana. »Einer Tochter von Andreas<br />

müssen wir einfach eine Chance geben!«<br />

»Really?« Diana spitzte die Lippen. »Sie kommt mir recht<br />

jung und unerfahren vor. Aber so magst du sie ja am<br />

liebsten, nicht wahr?«<br />

Saschas Wangen färbten sich rot. »Ich tu dir hier einen<br />

Gefallen. Also reiß dich bitte zusammen!« Dann schien<br />

er sich wieder an Merle zu erinnern. »Und du willst also<br />

in die Fußstapfen von Andreas treten? Finde ich klasse!«<br />

Er reichte ihr seine Visitenkarte. »Falls das hier nichts<br />

werden sollte und du mal Hilfe brauchst, ruf mich an. Ich<br />

kenne eine Menge Leute.«


»Danke!« Merle griff die Karte mit links, weil sie in der<br />

Rechten immer noch die Stecknadel hielt. Vorsichtig ließ<br />

sie das lästige Ding zu Boden fallen.<br />

Dieser Sascha kannte also ihren Vater. Interessant.<br />

Leider konnte sie ihre Mutter nicht nach ihm fragen,<br />

ohne sich zu verraten. Aber sie würde ihn googeln.<br />

Irgendwann mal, wenn die Erinnerung an diesen Tag<br />

nicht mehr so weh tat.<br />

»Wir melden uns bis Ende nächster Woche bei dir.«<br />

Diana legte den Kugelschreiber auf die Tischplatte und<br />

streckte ihr zum Abschied die Hand hin. Merle schämte<br />

sich für ihre feuchte Hand, bemühte sich aber<br />

wenigstens um einen festen Händedruck.<br />

Sie hatte es überstanden, aber freuen konnte sie sich<br />

nicht. Dafür war es zu schlecht gelaufen. Vermutlich<br />

legte die Chefredakteurin ihre Unterlagen gleich auf den<br />

Stapel mit den Absagen.<br />

Hanna würde sie trösten und ihr sagen, dass sie<br />

wertvolle Erfahrungen gesammelt hatte. Aber Merle<br />

konnte ihren Optimismus nicht teilen. Das Beste an der<br />

irrsinnigen Aktion war, dass sie einen Schultag verpasst<br />

hatte. Kein Niko. Kein Finn.<br />

Während Merle noch darüber grübelte, was alles<br />

schiefgelaufen war, brachte Sascha sie zur Tür. Er schien<br />

ihren Kummer zu spüren, denn er lächelte sie<br />

aufmunternd an. »Lass den Kopf nicht hängen! Ich<br />

glaube, sie mag dich.«

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