atw Vol. 60 (2015) | Issue 1 ı January
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 26
| | Transport von Kernmaterial
(sog. mehrpoliges Rechtsverhältnis). Beispiele hierfür sind
umwelt- und atomrechtliche Genehmigungen, die den Genehmigungsinhaber
begünstigen und Nachbarn in ihren
Rechten beeinträchtigen können.
Eine Beeinträchtigung subjektiver Rechte kann allerdings
nur dann bestehen, wenn ein durch die Genehmigung
potenziell beeinträchtigter Dritter sich auf eine
Rechtsnorm berufen kann – deren Verletzung er rügt – die
nicht nur dem allgemeinen Interesse dient, sondern auch
seinen Individualinteressen zu dienen bestimmt ist.
Wann eine Rechtsnorm auch Individualinteressen
dient, ist durch Auslegung der Norm zu ermitteln. Dabei
ist insbesondere zu bewerten, ob die Norm individualisierende
Tatbestandsmerkmale enthält,
d.h. neben der Allgemeinheit
auch den Schutz eines bestimmten
abgrenzbaren Personenkreises intendiert
(sog. Schutznormtheorie). Die
Schutznormtheorie wird zunehmend
durch europarechtliche Einflüsse
und Vorgaben zurückgedrängt.
So haben inzwischen bestimmte anerkannte
Vereinigungen Klagebefugnis
bei wichtigen umweltrechtlichen
Großvorhaben, ohne die Verletzung
eigener Rechte geltend machen zu
müssen (Umweltrechtsbehelfsgesetz
vom 07.12.2006 in der Fassung vom
07.08.2013 http://www.gesetze-iminternet.de/umwrg/).
Die Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts,
an die das OVG Lüneburg
gebunden ist, bedeuten allerdings
keine Abkehr von der Schutznormtheorie.
Das Bundesverwaltungsgericht
hat vielmehr den Drittschutz
wegen der Wortgleichheit der o.g. Genehmigungsvoraussetzungen
auch auf die Beförderung von Kernbrennstoffen
ausgedehnt und den Individualrechtsschutz
aus der übergeordneten Schutzzweckbestimmung des § 1
Abs. 1 Nr. 2 AtG abgeleitet. Nach dieser Bestimmung bezieht
sich der Schutzzweck des Atomgesetzes auch auf den
Schutz des Lebens, der Gesundheit und von Sachgütern
vor den Gefahren der Kernenergie. Dieser Schutzzweck
schließt das Beförderungsrecht ein. Allerdings ist bei Beförderungsvorgängen,
anders als bei ortsfesten Anlagen
und Einrichtungen, der abgrenzbare geschützte Personenkreis
nur schwer zu bestimmen. Dies gilt erst recht dann,
wenn die Beförderungsstrecke, wie im Regelfall, nicht in
der Genehmigungsentscheidung festgelegt ist. Denn für
die Abgrenzung vom geschützten zum nicht geschützten
Personenkreis ist wesentliches Kriterium die räumliche Beziehung.
Für die Anerkennung des Drittschutzes ausschlaggebend
ist aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts im konkreten
Fall, dass ein Kläger in der näheren Umgebung der
stationären Verladestelle in Dannenberg zum notwendigen
Umschlag der Transportbehälter von der Schiene auf
die Straße und der andere Kläger in einer „nahezu zwangsläufig
zu benutzenden Strecke“ wohnt; damit verenge sich
die Vielzahl möglicher Transportwege „nach Art eines Flaschenhalses“.
Mit anderen Worten ist bei Beförderungen
im Hinblick auf den Drittschutz zwischen potenziellen Anliegern
einer bescheidmäßig nicht festgelegten Beförderungsstrecke,
bei denen das Transportgut „in einem mehr
oder weniger flüchtigen Beförderungsvorgang vorbeigeführt
wird“ und Anliegern an Transportstrecken zu unterscheiden,
auf die der Transportvorgang angewiesen ist.
Auch ist zu berücksichtigen, dass beim Umschlag in Dannenberg
die Verweildauer nicht unerheblich ist.
Damit ist der Drittschutz bei nuklearen Beförderungsvorgängen
nur unter engen Voraussetzungen anerkannt.
Im Regelfall werden derartige Zwangspunkte nicht bestehen,
insbesondere wenn verschiedene Streckenführungen
denkbar sind. Entscheidend ist danach der jeweilige
Einzelfall.
Da das Standortauswahlgesetz (vom 23. Juli 2013 BGBl
I S. 2553) durch Einführung des § 9a Abs. 2a AtG die Rückführung
von Glaskokillen aus der Wiederaufarbeitung von
abgebrannten Brennelementen zum Transportbehälterlager
Gorleben ausschließt, wird die Entscheidung des OVG
Lüneburg für diesen Standort nur noch für gegenwärtige
nicht absehbare Transporte vom Transportbehälterlager
Gorleben in ein Endlager Relevanz haben können. Ob damit
das für eine Feststellungsklage erforderliche Feststellungsinteresse,
in concreto Wiederholungsgefahr bejaht
werden kann, steht auf einem anderen Blatt.
Author
Hanns Näser
GNS Gesellschaft für Nuklear-Service mbH
Frohnhauser Straße 67
45127 Essen/Germany
Spotlight on Nuclear Law
Paradigm Shift in Transport Legislation or Rather at the “Bottleneck” ı Hanns Näser