atw 2017-12
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<strong>atw</strong> Vol. 62 (<strong>2017</strong>) | Issue <strong>12</strong> ı December<br />
RESEARCH AND INNOVATION 730<br />
2) An diese drei<br />
Beispiele erinnerte<br />
Gerhard Hosemann<br />
in seinem Begleitschreiben<br />
zum Buch<br />
„Energie und Klima<br />
– Ein Blick in die<br />
Zukunft“ [2].<br />
3) Angela Merkel auf<br />
die Frage nach ihrer<br />
mutigsten Entscheidung:<br />
„Meine<br />
mutigste politische<br />
Entscheidung war<br />
der Ausstieg aus<br />
der Atomenergie.<br />
Das war eine Zäsur.“<br />
FAZ-Ausgabe vom<br />
29. Juni <strong>2017</strong>.<br />
Klima- und insbesondere zum Energieaktionismus<br />
der politischen Eliten<br />
in Deutschland.<br />
In der abrupten Art, in der die<br />
Bundes regierung Deutschlands den<br />
Ausstieg aus der Kernenergie („Atomausstieg“)<br />
im Jahr 2011 nach dem<br />
durch einen Tsunami ausgelösten<br />
Reaktorunfall von Fukushima ausgerufen<br />
hat, stellt er einen riskanten<br />
Eingriff für die Stromversorgung dar.<br />
Mitte 2011 wurden 7,4 GW von 20 GW<br />
an Kernkraftwerksleistung durch<br />
Bundestagsbeschluss vom Netz genommen.<br />
Diese Aktion steht im<br />
Wider spruch zur vorsichtigen und<br />
umsichtigen Art, in der früher technische<br />
Entscheidungen von breiter<br />
Auswirkung getroffen wurden. So<br />
wurde vor Einführung der 400-kV<br />
Hochspannung im deutschen Verbund<br />
netz ein Versuchsfeld in Mannheim-Dossenwald<br />
eingerichtet; hochgespannter<br />
Gleichstrom wurde in<br />
einem Versuchsfeld in Mannheim<br />
Rheinau getestet; für den Test der<br />
Betriebsfrequenz der Bundesbahn von<br />
16 2/3 Hertz wurde eine eigene Gebirgsstrecke<br />
(Höllental) eingerichtet<br />
[2] 2 . Es ist nicht verwunderlich, dass<br />
die deutsche Bundeskanzlerin gerade<br />
die Entscheidung zum Ausstieg aus<br />
der Kernenergie für mutig hält 3 .<br />
Die Energiewende und das Ziel<br />
der Dekarbonisierung basieren weitgehend<br />
auf dem Auf- und Ausbau von<br />
erneuerbaren Energien. Diese sind<br />
aufzuteilen in skalierbare Techniken<br />
und solche, die in ihrem Nutzungsumfang<br />
in Deutschland beschränkt<br />
sind. Skalierbar sind in Deutschland<br />
Strom aus Windkraft und Photovoltaik<br />
(PV); beschränkt sind die<br />
Nutzung von Biomasse und Wasserkraft.<br />
Geothermie und Solarthermik<br />
werden aus geologischen und<br />
klima tischen Gründen keine nennenswerten<br />
Beiträge zur Energieversorgung<br />
leisten können.<br />
Eine Versorgung vornehmlich mit<br />
Windkraft und PV hat drei gravierende<br />
Nachteile:<br />
• die Leistungsdichten sind gering,<br />
und die Energiegewinnung ist<br />
deshalb mit hohen Kosten und<br />
großem Flächenbedarf verbunden;<br />
• die Stromproduktion ist starken<br />
Schwankungen unterworfen, sie<br />
ist intermittierend;<br />
• die Verfügbarkeit von Strom ist nur<br />
eingeschränkt vorhersagbar und<br />
das bisherige Versorgungs konzept<br />
– Produktion folgt dem Verbrauch<br />
– verliert seine Gültigkeit.<br />
Auf der Basis dieser Eigenschaften<br />
intermittierender erneuerbarer Energien<br />
(iEE) versuchen wir eine Charakterisierung<br />
zunächst der zukünftigen<br />
Stromversorgung für Deutschland<br />
und diskutieren anschließend die<br />
Konsequenzen bei der Deckung<br />
anderer Verbrauchsformen und<br />
-sektoren: Wärme, Mobilität, Industrie,<br />
Gewerbe, Handel und Dienstleistungen<br />
(GHD) sowie Haushalte.<br />
Die Analyse basiert auf Daten des<br />
Verbrauchs sowie der Strom produktion<br />
aus Windkraft und PV der Jahre<br />
2010, 20<strong>12</strong>, 2013, 2015 und 2016; die<br />
wesentlichen Ergebnisse der detaillierten<br />
Untersuchungen sind in [3 bis<br />
5] veröffentlicht. Eine Analoge Studie<br />
mit Daten des Jahres 2014 und mit<br />
Wichtung ökonomischer Gesichtspunkte<br />
ist in [6] publiziert. Eine<br />
detaillierte Analyse speziell der Windproduktion<br />
in Deutschland im Zeitraum<br />
von 2010 bis 2016 findet sich in<br />
[7].<br />
2 Methodik und Annahmen<br />
für die Analyse zukünftiger<br />
Energiebilanzen<br />
Abbildung 1a zeigt den Verlauf des<br />
Strombedarfs (Last) und der Produktion<br />
aus Onshore- und Offshore-Windkraft<br />
sowie PV im Dezember 2016<br />
und verdeutlicht die intermittierende<br />
Natur dieser Versorgungstechnologien.<br />
In diesem Monat mit einem<br />
Strombedarf von 42 TWh wechselten<br />
sich Flaute- und Starkwindperioden<br />
ab. Mit 10 TWh trugen Windkraft und<br />
PV bei. Den Löwenanteil erbrachten<br />
thermische Kraftwerke.<br />
Der Nettostromverbrauch Deutschlands<br />
beträgt im Mittel der Jahre 1991<br />
bis 2015 etwa 510 TWh. Davon trug<br />
Wasserkraft im Mittel der Jahre von<br />
1990 bis 2016 mit 20 TWh bei. Da der<br />
Strom verbrauch über diese Jahre<br />
hinweg anstieg, nehmen wir als<br />
zukünftigen Verbrauchswert für die<br />
reine Stromversorgung 520 TWh an,<br />
zu dem Wasserkraft 20 TWh beisteuert<br />
sowie Windkraft und PV somit<br />
500 TWh beitragen sollen. In der<br />
Hochrechnung ergibt sich dann für<br />
Witterungsbedingungen, wie sie im<br />
Dezember 2016 vorlagen, die Werte<br />
für Verbrauch und Produktion, wie in<br />
Abbildung 1b dargestellt.<br />
Der Vergleich beider Abbildungen<br />
verdeutlicht die Vorgehensweise in<br />
dieser Arbeit. Ausgehend von den<br />
tatsächlichen Gegebenheiten eines<br />
Jahres werden Windkraft und PV hochskaliert,<br />
so dass ihre Jahresproduktion<br />
in der Summe den Zielwert von<br />
500 TWh (100-%-Fall) ergibt. Dieser<br />
Wert entspricht der um den Beitrag der<br />
Wasserkraft reduzierten Last. Eine<br />
Beschreibung der Methodik sowie die<br />
Herkunft der Datenquellen finden sich<br />
in der zitierten Literatur [3 bis 5].<br />
Folgende Annahmen werden für<br />
die Hochrechnungen getroffen:<br />
• PV trägt etwa 20 % zur gesamten<br />
iEE-Produktion, also etwa 100 TWh<br />
bei, was dem „optimalen Mix“ [3]<br />
entspricht. OffshoreWindkraft<br />
trägt mit einem Drittel zur Windproduktion<br />
bei [3];<br />
• Kernenergie entfällt;<br />
• Import und Export werden nicht<br />
betrachtet;<br />
• zunächst werden keine Verluste<br />
angenommen;<br />
• Biomasse entfällt für die Stromerzeugung<br />
mit der Vorstellung,<br />
dass sie zukünftig ausschließlich<br />
der Mobilität in den Bereichen<br />
Schifffahrt, Flug- und Schwerlastverkehr<br />
dient.<br />
| | Abb. 1.<br />
Für die Periode 1. – 31. Dezember 2016 sind in (a) Ganglinien der Last sowie der Leistungswerte der drei betrachteten iEE-<br />
Versorgungstechniken aufgetragen. In (b) sind dieselben Werte auf den Fall extrapoliert, dass der Jahresbedarf von 500 TWh Strom<br />
durch Windkraft und PV (iEE) erzeugt wird. Dennoch müssen vielfach Backup-Systeme zur Sicherung der Strombilanz eingreifen.<br />
3 Stromversorgung<br />
Ende 2016 verfügte Deutschland über<br />
50,0 GW Windkraft und 41,3 GW<br />
installierter PV-Leistung. Diese produzierten<br />
77 TWh bzw. 38.2 TWh<br />
Strom. Abbildung 2 zeigt den Verlauf<br />
der in Deutschland installierten<br />
iEE-Leistung P inst in der Summe der<br />
drei Anteile und für fünf ausgewählte<br />
Jahre, die in dieser Arbeit näher<br />
Research and Innovation<br />
Consequences for a Completely Decarbonised Energy Supply for Germany ı Friedrich Wagner