atw Vol. 63 (2018) | Issue 4 ı April
Informationsbedarf versus Geheimhaltungspflichten –
Erweiterung des In-camera-Verfahrens geplant
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Tobias Leidinger
Dem berechtigten Anspruch der Öffentlichkeit auf detaillierte Informationen über ein atomrechtlich genehmigungsbedürftiges
Vorhaben steht das staatliche Interesse an einem effektiven Geheimnisschutz sensibler Daten
gegenüber. Dieser Konflikt tritt regelmäßig im Genehmigungsverfahren aber auch vor Gericht zu Tage. Die differenzierten
Gesetzesbestimmungen, die den Ausgleich dieser widerstreitenden Interessen regeln, sollen nun durch eine
weitere Facette ergänzt werden: Ein erweitertes In-camera-Verfahren bei Gericht. Nach dem Koalitionsvertrag vom
12. März 2018 soll die Regelung in der schon laufenden 18. Legislaturperiode erfolgen.
I Grundkonflikt Informationsbedarf vs.
Geheimhaltungspflicht
In atomrechtlichen Genehmigungsverfahren zeigt sich
regelmäßig ein Grundkonflikt: Dem Interesse der Öffentlichkeit
an möglichst vertieften Informationen über
alle sicherheits- und sicherungsrelevanten Aspekte des
Vorhabens steht das Erfordernis eines effektiven Geheimnisschutzes
in Bezug auf sensible Daten gegenüber.
Genauer betrachtet lassen sich für beide Pole Grundrechtspositionen
anführen: Einerseits ist Information Voraussetzung
für Transparenz und Teilhabe der Öffentlichkeit
am Genehmigungsverfahren. Das Verfahren dient der
Gewährleistung materieller Schutzansprüche Dritter.
Ohne Information ist Kontrolle gegenüber der Verwaltung
kaum realisierbar. Information ist die Grundlage für
Partizipation und Teilhabe der Öffentlichkeit an einem
Verfahren. Das BVerfG bringt dies mit der Formel „Grundrechtsschutz
durch Verfahren und Teilhabe an Information“
auf den Punkt.
Für die andere Seite, dem Interesse an Geheimhaltung
sensibler Daten, lassen sich aber nicht minder gewichtige
Grundrechtsinteressen anführen: Die Geheimhaltung
dient ebenfalls zum Schutz der Grundrechtsträger: Ist der
Staat zum Schutz der Grundrechte („Leben, Gesundheit“)
seiner Bürger verpflichtet, bedarf es des Geheimnisschutzes
in Bezug auf sensible Daten, damit eine effektive
Terrorabwehr – gerade zum Schutz der Bürger – gewährleistet
bleibt. Die Nicht-Preisgabe sicherheits- und
sicherungsrelevanter Informationen ist mithin nicht
minder essentielle Voraussetzung für einen effektiven
Grundrechtsschutz der Bürger.
II Interessenausgleich durch differenzierte
Gesetzesregelungen
Der Gesetzgeber trägt zur Lösung dieser widerstreitenden
Interessen im atomrechtlichen Genehmigungsverfahren
bereits heute durch eine ganze Reihe differenzierter
Regelungen bei. Nach § 6 der Atomrechtlichen Verfahrensordnung
(AtVfV) sind nicht nur der Antrag, der Sicherheitsbericht
und eine Kurzbeschreibung des jeweils zu
genehmigenden Vorhabens für die Öffentlichkeit auszulegen,
sondern es besteht nach § 6a Abs. 2 Satz 1 und
Abs. 3 AtVfV die Möglichkeit, in Bezug auf das Vorhaben –
im Interesse der Sicherheit und Sicherung – geheimhaltungsbedürftige
Informationen durch eine Beschreibung
oder Inhaltsdarstellung zu ersetzen. Anstelle einer
„Schwärzung“ von Unterlagen – die letztlich eine „Verweigerung“
von Information bedeutete –, tritt so die
Möglichkeit, geheimhaltungsbedürftige Informationen zu
umschreiben, so dass der Dritte in der Lage bleibt, seine
Betroffenheit durch das Vorhaben gleichwohl erkennen
und beurteilen zu können.
Eine Einschränkung von Informationsansprüchen ist
auch jenseits dieser Regelung möglich: Während eines
atomrechtlichen Verfahrens besteht der Anspruch auf
Akteneinsicht gemäß § 6 Abs. 4 AtVfV i.V.m. § 29 Abs. 1
S. 3, Abs. 2 und 3 des Verwaltungsverfahrensgesetzes
(VwVfG) nur nach Ermessen der Behörde (also nicht
„ unbedingt“). Informationen, die sicherheits- oder
sicherungsrelevant sind, weil sie den Ansatz für die Ausschaltung
von Sicherheits- und Sicherungsmaßnahmen
oder für die Identifizierung/Lokalisierung von Schwachstellen
eröffnen könnten, können – soweit durch ihre
Preisgabe ein „Nachteil zum Wohl des Bundes oder
Landes“ zu befürchten ist – von der Offenlegung ausgeschlossen
werden. Spezialgesetzlich ist die Geheimhaltung
von sensiblen Informationen im Sicherheitsüberprüfungsgesetz
(SÜG) geregelt. Besteht danach die Gefahr
eines „Nachteils“ oder wäre die Preisgabe der Information
sogar „schädlich“ für Bund oder Land, kann sie
nach Maßgabe der Verschlusssachen-Anweisung (VS-
Anweisung) durch den Geheimschutzbeauftragten der
Behörde als „Verschlusssache – Nur für den Dienstgebrauch“
oder sogar als „Verschlusssache – Vertraulich“
eingestuft und ihre Offenlegung verweigert werden. Was
nach Maßgabe des SÜG i.V.m. VS-Anweisung geheim zu
halten ist, darf auch nicht in anderem Zusammenhang
preisgegeben werden: So bestehen – auch außerhalb eines
atomrechtlichen Verfahrens – Informationsansprüche
Dritter, z.B. auf Herausgabe von umweltrelevanten
Informationen gegen die Genehmigungsbehörde nach
Umweltinformationsgesetz (UIG) oder – soweit die
Informationen nicht umweltrelevant sind – nach Maßgabe
des Informationsfreiheitsgesetzes (IFG). Pressevertreter
können sich darüber hinaus auch auf das jeweilige
Landes-Pressegesetz stützen. In all diesen Fällen besteht
indes die Möglichkeit – mit oder ohne ausdrücklichen
Bezug auf das SÜG –, dass sicherheits- und sicherungsrelevante
Informationen im Ergebnis nicht offenbart
werden müssen, wenn die materiellen Schutzvoraussetzungen
nach SÜG i.V.m. der VS-Anweisung vorliegen.
III In-camera-Verfahren de lege lata und
de lege ferenda
Verweigert die atomrechtliche Genehmigungsbehörde die
Herausgabe sensibler Informationen unter Verweis auf
den Geheimschutz auch im Gerichtsverfahren, – in dem
z.B. über die Rechtmäßigkeit einer atomrechtlichen
Genehmigung gestritten wird – so sieht die bislang
existierende Gesetzesregelung zum sog. In-camera-
Verfahren in § 99 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO)
vor, dass über die Frage der Geheimhaltungsbedürftigkeit
ein speziell besetzter Fachsenat vorab entscheidet. Ihm
sind ausschließlich die geheimhaltungsbedürftigen Akten
vorzulegen („in camera“), um zu prüfen, ob die Einstufung
als „geheim“ zurecht erfolgt ist und daher die Verweigerung
der Aktenvorlage durch die Behörde Bestand hat
oder nicht. Nur wenn die Geheimhaltungsbedürftigkeit
verneint wird, ist die vorenthaltene Information dem
Verwaltungsgericht zugänglich zu machen. Nur dann
kann es darauf zugreifen und seine Entscheidung darauf
stützen.
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW
Spotlight on Nuclear Law
Information Requirements Versus Confidentiality Obligations – Extension of the In-Camera Procedure Planned ı Tobias Leidinger