atw Vol. 63 (2018) | Issue 5 ı May
§ 90 StrlSchG, s. auch Begründung zu § 90 StrlSchG in
Bundesrats-Drucksache 86/17, S. 401) und zur Stärkung
der Rolle des Medizinphysik-Experten (s. § 14 StrlSchG).
Neu ist ebenfalls, dass der Dosisgrenzwert für Einzelpersonen
der Bevölkerung (1 mSv/a) sich nunmehr auf
die Summe aller Tätigkeiten mit Genehmigung und
Anzeige bezieht (§ 80 Abs. 1 Nr. 1 StrlSchG). Der Dosisgrenzwert
für die Augenlinse wurde für beruflich strahlenexponierte
Personen von 150 mSv/a auf 20 mSv/a (§ 78
Abs. 12 Nr. 1 StrlSchG) deutlich abgesenkt. Für Einzelpersonen
der Bevölkerung wurde der Wert auf 15 mSv/a
(§ 80 Abs. 2 Nr. 1 StrlSchG) festgelegt. Im Übrigen bleiben
die bisherigen Dosisgrenzwerte bestehen.
Erfreulicherweise hat die in der RL 2013/59 angelegte
behördliche Vorabkontrolle nicht, wie noch in Bezug auf
die ersten Entwurfsfassungen der Richtlinie befürchtet,
dazu geführt, dass die bewährte deutsche Anzeigen- und
Genehmigungsstruktur durch die Richtlinie verkompliziert
worden ist. Die Umsetzung gab jedoch Gelegenheit,
die Anforderungen an die Genehmigungen für Betrieb und
Umgang teilweise zu vereinheitlichen (s. § 12 StrlSchG).
Die neue(n) Strahlenschutzverordnung(en)
Da das StrlSchG sich in vielen Bereichen auf eher strukturelle
Regelungen beschränkt, bedarf es zur Vollzugstauglichkeit
eines konkretisierenden untergesetz lichen Regelwerks.
Die Frist zur Umsetzung der RL 2013/59 lief bereits
am 6.02.2018 ab. Daher arbeitet das BMU derzeit mit
Hochdruck an Strahlenschutzregelungen auf Verordnungsebene.
Wie zu hören ist, soll es eine Artikelverordnung
werden, deren Herzstück die eigentliche neue Strahlenschutzverordnung
(StrlSchV neu) sein wird. Daneben soll
es eine Verordnung im Bereich der Notfallschutzmaßnahmen,
eine Verordnung zur Entsorgung radioaktiver
Abfälle sowie eine Verordnung zum Schutz vor schäd lichen
Wirkungen nichtionisierender Strahlung bei der Anwendung
am Menschen geben. Im Übrigen wird es in einer
Reihe von Gesetzen Anpassungen an das neue Strahlenschutzrecht
geben müssen, nicht zuletzt im Atomgesetz.
Freigabe: Was bleibt – was ändert sich?
Zwar ist noch kein Referentenentwurf zur neuen Strahlenschutzverordnung
bekannt. Aber über ein Thema wird
bereits seit mehreren Jahren diskutiert, das sowohl von
juristischem wie gleichermaßen von praktischem Interesse
ist, nämlich die Regelung zur Freigabe (§ 68 StrlSchG), die
zukünftig eine Änderung erfahren soll. Viel mehr als die
Ermächtigungsgrundlage für eine entsprechende Verordnung
enthält § 68 StrlSchG zwar nicht. Jedoch findet sich
in § 68 Abs. 1 S. 2 StrlSchG ein Hinweis auf eine zukünftige
Änderung bei der rechtlichen Behandlung der Freigabe.
In § 68 Abs. 1 S.2 StrlSchG heißt es: „In der Rechtsverordnung
können auch das Verfahren und die Mitteilungspflichten
für alle Fälle geregelt werden, in denen
die Voraussetzungen für die Freigabe nicht mehr
bestehen“.
Bisher können gemäß § 29 StrlSchV (im naturwissenschaftlichen
Sinne) radioaktive Stoffe bei entsprechender
Unterschreitung von näher festgelegten Grenzen als im
Rechtssinne nicht-radioaktive Stoffe verwendet werden,
wenn die Behörde die Freigabe für diese Stoffe erteilt und
die Übereinstimmung mit den im Freigabebescheid
festgelegten Anforderungen festgestellt hat. Die mit der
Novellierung der Strahlenschutzverordnung 2001
eingeführte Freigabe ist definiert als „Verwaltungsakt, der
die Entlassung radioaktiver Stoffe sowie beweglicher
Gegenstände, von Gebäuden, Bodenflächen ..., die
aktiviert oder mit radioaktiven Stoffen kontaminiert sind
und ..., aus dem Regelungsbereich
a) des Atomgesetzes und
b) darauf beruhender Rechtsverordnungen sowie
verwaltungsbehördlicher Entscheidungen
zur Verwendung, Verwertung, Beseitigung, Innehabung
oder zu deren Weitergabe an Dritte als nicht radioaktive
Stoffe bewirkt“.
An der Definition der Freigabe soll sich auch in Zukunft
nichts ändern. Wenn also die Behörde die Freigabe
(schriftlich) erteilt und die Übereinstimmung mit den
vorgeschriebenen Anforderungen festgestellt hat (keine
Überschreitung der effektiven Dosis im Bereich der
„Bagatell grenze“ von 10 Mikrosievert/a für Einzelpersonen
der Bevölkerung, § 29 Abs. 2 S.1 StrlSchV), ist
der betreffende Stoff aus dem Regelungsbereich des Atomgesetzes
und den einschlägigen Verordnungen entlassen
und unterfällt dem konventionellen Abfallrecht (Kreislaufwirtschaftsgesetz).
Dem Freigabeverfahren liegt wie
bisher das De-minimis-Konzept zugrunde: „de minimis
non curat lex“. Wie bisher auch sind im Gegensatz zur
uneingeschränkten Freigabe bei der zweckgerichteten
Freigabe Einschränkungen hinsichtlich der Verwertung
oder Verwendung zu beachten. Eine Möglichkeit der
zweckgerichteten Freigabe ist die Deponierung, die vor
dem Hintergrund des zunehmenden Abrisses von Kernkraftwerken
als Entsorgungsweg z.B. für freigegebene
Baustoffe an Bedeutung gewinnt. Beispielsweise könnten
also freigegeben Baustoffe aus dem Abriss von Kernkraftwerken
in Deponien für konventionellen Anfall eingebracht
werden.
Deponierung: Ein zunehmend problematischer
Entsorgungsweg
Hiergegen wenden sich jedoch immer häufiger am Standort
der jeweiligen Deponien ansässige Bürger und Bürgerinitiativen,
die Bedenken gegen die gefahrlose Einlagerung
freigegebener (geringfügig radioaktiver) Stoffe geltend
machen, obwohl die Genehmigungs behörden, wie Brigitte
Röller (Staatsministerium für Umwelt und Landwirtschaft
Sachsen) anlässlich der 15. Tagung der Deutschen Landesgruppe
der International Nuclear Law Association anschaulich
darstellte, große Anstrengungen unternehmen,
um über die Gering fügigkeit der Radioaktivität in freigegebenen
Stoffen zu informieren, und zusätzliche Kontrollmessungen
der angelieferten freigegebenen Stoffe in
Anwesenheit der Öffentlichkeit durchführen sowie Vergleichsmessungen
mit von Bürgern mitgebrachten Produkten
(z.B. Garten erde) anbieten. Da sich der Widerstand
gegen die Deponierung freigegebener Stoffe bereits seit
einigen Jahren formiert hat und Betreiber privatrechtlich
organisierter Deponien begannen, ihr Interesse an der
Annahme freigegebener Abfälle zu verlieren, wurde 2015
in Baden Württemberg federführend durch den Landkreistag
und den Städtetag unter Mitwirkung des Umweltministeriums
eine Handlungsanleitung entwickelt. Diese
Handlungs anleitung sieht zwecks größtmöglicher Transparenz
und Vertrauensbildung in der Öffentlichkeit über
das übliche Freigabeverfahren hinaus Maßnahmen vor, die
die Strahlenexposition noch weiter reduzieren sollen (z.B.
Schutz vor Staubentwicklung bei der Anlieferung,
Konzentration der Anlieferung von Abfalltransporten, statt
Stichprobenmessungen hundertprozentige Nach messung
durch den von der Behörde zugezogenen Sachverständigen,
außerdem Möglichkeit von Stichprobenmessung
durch den vom Deponiebetreiber zugezogenen
Sachverständigen.)
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 297
Spotlight on Nuclear Law
The New Radiation Protection Law and the Approval: May Makes Everything New? ı Ulrike Feldmann