atw Vol. 63 (2018) | Issue 5 ı May
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW 298
Die Erfahrungen beispielsweise aus Sachsen zeigen
jedoch, dass die vielfältigen vertrauensbildenden Maßnahmen
und das Bemühen um Transparenz ins Leere
gehen, da sich die ortsansässigen Bürger nach wie vor gegen
die Deponierung freigegebener Abfälle wenden und
überwiegend an Informationen und Kontrollmessungen
nicht interessiert sind. In Sachsen lehnen soweit ersichtlich
daher von ehemals 5 Deponien inzwischen min destens
3 die Einlagerung freigegebener Abfälle ab.
Freigabe mit Nebenbestimmungen:
Eine Lösung des Problems?
Aufgrund der steigenden Schwierigkeiten bei der
Deponierung wurde im Rahmen der Umsetzung der RL
2013/59 im Länderausschuss für Atomkernenergie eine
Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Freigabe“ eingesetzt, um die
„Rücknahmemöglichkeit“ einer erteilten Freigabe zu prüfen.
Im Ergebnis wird vorgeschlagen, die Ausge staltung des
Freigabeverfahrens dergestalt zu ändern, dass über die
Möglichkeiten des § 17 Abs. 1 S. 2-4 AtG hinaus die Freigabe
mit einer Bedingung, einem Vorbehalt des Widerrufs oder
einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme, Änderung
oder Ergänzung einer Auflage erlassen werden kann.
§ 36 Abs. 1 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG)
erlaubt grundsätzlich derartige Nebenbestimmungen
zum Verwaltungsakt, wenn sie durch Rechtsvorschrift
zugelassen sind oder wenn sie sicherstellen sollen, dass die
gesetzlichen Voraussetzungen des Verwaltungsakts erfüllt
werden. Nach § 36 Abs. 2 VwVfG muss die Verbindung
eines Verwaltungsakts mit einer Befristung, einer
Bedingung, einem Vorbehalt des Widerrufs, einer Auflage
oder einem Vorbehalt der nachträglichen Aufnahme,
Änderung oder Ergänzung einer Auflage nach pflichtgemäßem
Ermessen erfolgen. Nach § 36 Abs. 3 VwVfG
darf eine Nebenbestimmung dem Zweck des Verwaltungsaktes
nicht zuwiderlaufen.
Bei der hier in Rede stehenden Deponierung freigemessener
Abfälle soll mit Hilfe von Nebenbestimmungen
– zu denken wird hier in erster Linie an eine (auflösende)
Bedingung oder einen Widerrufsvorbehalt (Unterfall der
auflösenden Bedingung) sein – sichergestellt werden,
dass, wenn die Deponierung nicht erfolgreich war, die
freigemessenen Abfälle wieder dem Atom- und Strahlenschutzrecht
unterfallen.
Diese neue Ausgestaltung der Freigabe erscheint jedoch
nicht frei von Bedenken.
Zwar sollen Nebenbestimmungen in der neuen
Strahlen schutzverordnung zugelassen sein. Insoweit
wären sie nach § 36 Abs. 1 VwVfG erlaubt. Es fragt sich
aber, ob eine auflösende Bedingung oder ein Widerrufsvorbehalt
dem Zweck des Verwaltungsaktes nicht
zuwiderlaufen. (§ 36 Abs. 3 VwVfG).
Zweck der Freigabe (siehe Definition der Freigabe in § 3
Abs. 2 Nr.15 StrlSchV) ist es, die Entlassung radioaktiver
Stoffe sowie beweglicher Gegenstände, von Gebäuden,
Bodenflächen ... aus dem Regelungsbereich des Atomgesetzes
und darauf beruhender Rechtsverordnungen
sowie verwaltungsbehördlicher Entscheidungen zur
Verwendung, Verwertung, Beseitigung, Innehabung oder
zu deren Weitergabe an Dritte als nicht-radioaktive Stoffe
zu bewirken. An der Definition der Freigabe in der
geltenden StrlSchV soll sich auch zukünftig nichts Wesentliches
ändern. Bei den zur Deponierung freigegebenen
Abfällen darf man annehmen, dass in der Regel die
Freimessung ordnungsgemäß erfolgt ist, die freige gebenen
Stoffe also die Dosis im Bereich von 10 Mikrosievert
nicht überschreiten. Die rechtlichen Voraussetzungen des
Inhalts des Verwaltungsaktes “Freigabe“ sind damit im
Regelfall erfüllt. Eine Bedingung dergestalt, dass die
Freigabe nur wirksam wird, wenn der Einbau in der
Deponie erfolgreich war, oder ein Widerrufsvorbehalt
dergestalt, dass bei nicht erfolgreicher Deponierung die
Freigabe widerrufen werden kann (z.B. weil wegen einer
Demonstration vor den Toren der Deponie die Abfälle
nicht auf das Deponiegelände verbracht werden können),
widerspricht dem Zweck der Freigabe, die Entlassung der
freigemessenen Stoffe aus dem Regime des Atom- und
Strahlenschutzrechts zu bewirken, und führt dazu, diese
Stoffe in diesem Regime zu belassen, obwohl sie die
Voraussetzungen der Freigabe erfüllen. Die Pflicht der
Behörde bzw. des Staates ist es sicherzustellen, dass
ordnungsgemäß freigegebene und im Rechtssinne
nicht-radioaktive Stoffe auch nach dem Kreislauf wirtschafts
recht in eine geeignete Deponie verbracht werden
können. Eine Neben bestimmung hier einzuführen, um
die im Rechtssinne nicht radioaktiven Stoffe dauerhaft zu
radioaktiven Stoffen zu machen, ist eine juristische
Krücke, die verdeckt, dass der Rechtsstaat sich offenbar
nicht in der Lage sieht, das von ihm gesetzte Recht (Recht
wie auch die Pflicht der Abfallablieferer, bestimmte freigemessene
Abfälle an eine Deponie abzuliefern) auch
durchzusetzen. Im Übrigen muss der Ablieferer auf den
der Behörde festgestellten Status seiner freigemessenen
Abfälle als im Rechtssinne nicht-radioaktive Stoffe
vertrauen dürfen.
Auch unter eher praktischen Gesichtspunkten bestehen
Bedenken gegen den Erlass von Nebenbestimmungen.
Wenn bei gescheiterter Deponierung die im Rechtssinne
nicht-radioaktiven Stoffe dauerhaft zu im Rechtssinne
radioaktiven Stoffen werden, wird dies zum einen in
der Öffentlichkeit nicht als eine vertrauensbildende
Maßnahme verstanden werden, sondern ohnehin besorgte
Bürger in ihrer Besorgnis bestätigen. An Deponiestandorten
dürfte dieses negative Signal zukünftig
als „Einladung“ verstanden werden, die Deponierung
scheitern zu lassen.
Zum anderen wird mit einer Bedingung oder einem
Widerrufsvorbehalt das Problem der Zwischen- und Endlagerung
der freigemessenen Abfälle nicht gelöst, sondern
nur auf die Ebene der im Rechtssinne radioaktiven Stoffe
verschoben (wohin diese Abfälle eigentlich gar nicht
gehören), wodurch – man darf annehmen – zulasten
der Abfall ablieferer die Menge der zwischen- bzw. endzulagernden
radioaktiven Abfälle erhöht wird.
Fazit
Das neue Strahlenschutzrecht wird weiterhin von den
Grundsätzen des Strahlenschutzes – Rechtfertigung,
Dosis begrenzung und Optimierung – geprägt sein und
auch im Übrigen viel Bewährtes aus dem bisherigen Recht
übernehmen. Zahlreiche Änderungen und Ergänzungen
sind gleichwohl im Strahlenschutzgesetz enthalten. Mit
den meisten wird man sich vermutlich anfreunden können.
Welche Neuerungen die künftige Strahlenschutzverordnung
neben der verwaltungsverfahrensrechtlichen
Änderung bei der Freigabe im Einzelnen bereithält, wird
sich vielleicht im Mai zeigen, sollte dann die Verbändeanhörung
eingeleitet werden.
Author
Ulrike Feldmann
Berlin, Germany
Spotlight on Nuclear Law
The New Radiation Protection Law and the Approval: May Makes Everything New? ı Ulrike Feldmann