atw 2018-07
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<strong>atw</strong> Vol. 63 (<strong>2018</strong>) | Issue 6/7 ı June/July<br />
378<br />
Neubauprojekte im Ausland – eine Herausforderung<br />
für die Regulierung<br />
Christian Raetzke<br />
SPOTLIGHT ON NUCLEAR LAW<br />
Weltweit sind gegenwärtig 57 Reaktoren in 16 Ländern in Bau; 154 Reaktoren befinden sich in 24 Ländern in – mehr<br />
oder weniger – konkreter Planung (Zahlen nach World Nuclear Association, www.world-nuclear.org). Ähnlich große<br />
Zahlen gab es ja schon einmal vor einigen Jahrzehnten, als das Gros der heute laufenden Anlagen errichtet wurde. Die<br />
Lage ist trotzdem heute anders, auch in juristischer und genehmigungstechnischer Hinsicht. Aufgrund der Vielfalt<br />
der für die Projekte in den verschiedenen Ländern verwendeten strukturellen Ansätze ist es zunehmend schwerer,<br />
bewährte Modelle von Regelsetzung, Genehmigung und Aufsicht (alles zusammen kann im Englischen ja mit dem<br />
Begriff „Regulation“ bezeichnet werden) weiterzuführen.<br />
Wie war es früher? Länder, die sich für die Kernenergie<br />
entschieden, bauten eine Infrastruktur auf; sie entwickelten<br />
eine eigene Technologie oder übernahmen sie<br />
von woanders (z.B. aus den USA), entwickelten sie dann<br />
aber oft eigenständig weiter (wie Deutschland und<br />
Frankreich). Erst wurden Versuchsreaktoren gebaut, dann<br />
kamen kleine kommerzielle Kernkraftwerke, dann große.<br />
Das nationale Atomrecht wuchs mit bzw. war immer einen<br />
Schritt voraus; dasselbe galt für die Behörden und ggf.<br />
Gutachterorganisationen, die sich in Größe und Erfahrung<br />
organisch entwickelten.<br />
Für viele Neubauländer trifft dieses Modell nicht mehr<br />
zu. China und Indien haben vielleicht einen grob vergleichbaren<br />
Weg gewählt; in anderen Ländern gibt es aber ganz<br />
andere Szenarien.<br />
Eines der interessantesten und bislang erfolgreichsten<br />
Beispiele liefern sicherlich die Vereinigten Arabischen<br />
Emirate mit dem Barakah-Projekt. Für viel Geld wurden<br />
Experten aus zahlreichen Ländern an den Golf geholt. Sie<br />
haben in kurzer Zeit Bemerkenswertes geleistet; allerdings<br />
fügten sich die unterschiedlichen Kulturen auch nicht<br />
immer bruchlos zusammen. Der Unterschied zu einem<br />
organisch gewachsenen Nuklearprogramm ist deutlich<br />
erkennbar bei der noch lückenhaft vorhandenen lokalen<br />
fachlichen Kompetenz, sowohl beim Betreiber als auch bei<br />
den Behörden.<br />
In rechtlicher Hinsicht wurde ein nationaler regulatorischer<br />
Rahmen geschaffen, der sich an den Leitlinien<br />
der Internationalen Atomenergieorganisation (IAEO) orientiert,<br />
aber auch Elemente aus Ländern übernimmt, die den<br />
jeweiligen Entwurfsverfassern (meist externe Berater)<br />
vertraut waren oder mit denen eine Zusammenarbeit<br />
besteht. Das hat, soweit man das überblicken kann, in den<br />
Emiraten gut funktioniert. Allgemein ergibt sich jedoch in<br />
solchen Konstellationen durchaus die Gefahr, dass IAEO-<br />
Texte mehr oder weniger mit „copy-and-paste“ übernommen<br />
und mit Versatzstücken aus den Gesetzen und<br />
Regelwerken anderer Länder ergänzt werden, ohne dass<br />
die Adressaten notwendigerweise die Texte vollständig<br />
durchdringen; auch besteht die Gefahr von Wider sprüchen<br />
und Redundanzen und einer mangelnden Ankopplung an<br />
das vorhandene nationale Recht. Und was ist, wenn die<br />
(juristischen) Berater wieder abziehen? Gibt es dann<br />
eine fundierte Kompetenz in Ministerien und Behörden,<br />
mit den Atomrechtsinstrumenten umzugehen? Die<br />
Ertüchtigung lokaler Kräfte ist auch hier ein langwieriger,<br />
aber unumgänglicher Prozess.<br />
Ein ganz anderes Modell kann am Beispiel des Projekts<br />
Akkuyu in der Türkei angesprochen werden. Hier bauen<br />
die Russen nicht nur das Kraftwerk, sondern sie finanzieren<br />
es auch (abgesichert durch einen Langzeit-<br />
Stromliefervertrag) und werden es auch betreiben. Man<br />
spricht hier von einem BOO(build-own-operate)-Modell.<br />
Das ist neuartig in der Kerntechnik und die Herausforderung<br />
ist nicht zu übersehen, dass das „Gastland“<br />
möglicherweise gar nicht so sehr daran interessiert ist,<br />
eine regulatorische Infrastruktur „in voller Schönheit“<br />
aufzubauen. In der Türkei stellt sich diese Frage letztlich<br />
nicht ernsthaft, da ja weitere Kernkraftwerke mit anderen<br />
Technologien und Betreibern geplant sind und daher ein<br />
vollständiger regulatorischer Rahmen unentbehrlich ist.<br />
Dessen Aufbau hat sich jedoch bislang als schleppend<br />
erwiesen. Und gerade für Akkuyu ist auch keinesfalls<br />
geklärt, was passiert, wenn die Genehmigungsbehörde<br />
z.B. die Erteilung einer Genehmigung verweigert, wenn<br />
aus ihrer Sicht die Voraussetzungen nicht vorliegen, die<br />
russischen Vertragspartner aber auf die zwischenstaatlichen<br />
Vereinbarungen pochen und Erfüllung verlangen.<br />
Solche Konstellationen werden noch deutlicher werden<br />
in Ländern, die nur ein Kernkraftwerk mit einem Lieferanten<br />
(der gleichzeitig oft das Geld mitbringt) planen.<br />
Eine ganz parallele Herausforderung stellt die<br />
möglicherweise bevorstehende internationale Verbreitung<br />
von SMR (Small Modular Reactors) dar. Die meisten<br />
Modelle und Konzepte hierfür haben den Ansatz<br />
gemeinsam, dass die Anlagen insgesamt oder in Modulen<br />
in Fabriken montiert und zum Einsatzort gebracht werden;<br />
idealerweise werden sie dort nur „hingestellt“ oder<br />
„ zusammengebaut“ und mit dem Stromnetz verbunden<br />
(„plug-and-play“) und womöglich samt abgebrannten<br />
Brennelementen irgendwann wieder abgeholt und ins<br />
Ursprungsland zurückgebracht. Ist es realistisch, vom<br />
„Gastland“ zu erwarten, dass es eigens hierfür eine<br />
vollständige regulatorische Infrastruktur mit eigener<br />
Expertise aufbaut? Andererseits kann ein Reaktor in einem<br />
Land ohne ein vollständiges Atomgesetz und eine fachlich<br />
gut besetzte Behörde wohl kaum betrieben werden. Hier<br />
sind Konflikte vorprogrammiert, aber auch hoffentlich<br />
gute Lösungen zu erwarten.<br />
Für die regulatorische Bewältigung dieser Herausforderungen<br />
gilt wie so oft: neue, komplexe Ent wicklungen<br />
fordern teils neue Lösungen. In der Kerntechnik aber gilt<br />
ebenso, dass man auf Bewährtem aufbauen muss und<br />
neue Lösungen – nicht nur technische, sondern auch<br />
regulatorische – nicht einfach mal „ausprobiert“ werden<br />
können, sondern der sehr sorgfältigen Rechtfertigung<br />
bedürfen, dass sie die erforderliche Sicherheit gewährleisten.<br />
Author<br />
Rechtsanwalt Dr. Christian Raetzke<br />
CONLAR Consulting on Nuclear Law and Regulation<br />
Beethovenstr. 19<br />
041<strong>07</strong> Leipzig, Germany<br />
Spotlight on Nuclear Law<br />
New Build Projects Abroad – A Challenge for Regulation ı Christian Raetzke