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atw 2018-10

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<strong>atw</strong> Vol. 63 (<strong>2018</strong>) | Issue <strong>10</strong> ı October<br />

ENVIRONMENT AND SAFETY 530<br />

| | Abb. 2.<br />

Sieden im Deckel des Reaktors. Das Volumen des Dampfes verdrängt Kühlmittel in den Druckhalter.<br />

Foto: W. Debus.<br />

Ingenieure, die sich auf ihre Tätigkeit<br />

als Schichtleiter vorbereiteten, wurden<br />

Anfang der 1980er-Jahre mit den<br />

Erkenntnissen aus dem TMI-Störfall<br />

konfrontiert, und bei ihren Bemühungen,<br />

die Auswirkungen einer Zweiphasigkeit<br />

(Abbildung 2) im Primärkreis<br />

auf die auf der Warte zu verfolgenden<br />

Parameter mit den Reaktorfahrern<br />

und Meistern zu diskutieren,<br />

scheint ein geradezu babylonisches Begriffs-<br />

und Vorstellungsgewirr geherrscht<br />

zu haben. Etwa zu dieser Zeit<br />

wurden auch Integralversuche an der<br />

PKL-Anlage (PKL: Primärkreislauf) in<br />

Erlangen durch geführt, um einen<br />

zweiphasigen Natur umlauf und den<br />

Reflux-Condenser- Betrieb zu verifizieren.<br />

Hier verwundert eigentlich nur<br />

der Zeitpunkt der Untersuchungen,<br />

denn immerhin wurden Druckwasserreaktoren<br />

in Deutschland seit den<br />

1960er-Jahren betrieben. Es scheint,<br />

dass auch Ingenieure und Entwickler<br />

hier Neuland betraten.<br />

Manchmal machen einzelne Persönlichkeiten<br />

in der Krise den Unterschied:<br />

die Kraftwerksleitung im<br />

RWE-Kernkraftwerk Biblis entschied,<br />

ein Glasmodell zu bauen. Vorbild<br />

waren sicherlich kleinere Modelle, die<br />

in der Schweiz und bei den amerikanischen<br />

Herstellern zu Demonstrationszwecken<br />

betrieben wurden. In dieser<br />

Größe und Anschaulichkeit ist es aber<br />

einmalig. Da seinerzeit die Kommunikation<br />

noch zu wesent lichen Teilen in<br />

Papierform oder mündlich erfolgte,<br />

lassen sich viele Vorstellungen und<br />

Entscheidungsprozesse nicht mehr<br />

zuverlässig verfolgen. Ungeklärt<br />

bleibt dabei, welche Vorstellung von<br />

der Nutzbarkeit die Planer hatten.<br />

Wollten sie einen thermohydraulischen<br />

Simulator schaffen, eine Art<br />

PKL-Anlage im kleineren Maßstab,<br />

aber durch das Glas anschaulich<br />

gemacht? Der Thermo hydrau liker<br />

wird sofort auf die Ähnlichkeitstheorie<br />

verweisen, die Übertragbarkeit der<br />

Turbulenz, die andere Dichte, Temperaturen<br />

und Drücke, Wärmekapazität,<br />

Zähigkeit, die anderen geodätischen<br />

Verhält nisse, die Wärmeverluste, das<br />

Glas der U-Rohre, den Siedeverzug<br />

und die vielen kleinen konstruktiven<br />

Abweichungen, die dem Glas und der<br />

Anschauung geschuldet sind: nein,<br />

ein „Simulator“ für integrale Transienten<br />

ist es nicht. Dafür gibt es die<br />

PKL-Anlage und leistungsstarke<br />

Simulationsmodelle, die z.B. an den<br />

Simulatoren des Zentrums im Einsatz<br />

sind.<br />

Aus der Sicht des Teams, welches<br />

heute das Glasmodell am Standort<br />

des Simulatorzentrums betreibt, lässt<br />

sich das Glasmodell folgendermaßen<br />

charakterisieren:<br />

Am Glasmodell können thermohydraulische<br />

Effekte visualisiert<br />

werden, die im Normalbetrieb, bei<br />

Störungen und Störfällen in Druckwasserreaktoren<br />

auftreten. Das<br />

visuelle Wahrnehmen des Phänomens<br />

bereitet den Boden für die notwendige<br />

lebendige Anschauung von den<br />

Begriffen, wie es Kant fordert.<br />

Die physikalischen Randbedingungen,<br />

unter denen diese Effekte<br />

auftreten, können unter anderem mit<br />

| | Abb. 3.<br />

Momentaufnahme zur Form von Dampfblasen. Foto: W. Debus.<br />

Hilfe der umfangreichen Instrumentierung<br />

und mit den Mitteln der eingesetzten<br />

Leittechnik PCS7 nachvollzogen<br />

werden. Das gestattet in der<br />

Diskussion der jeweiligen Übung die<br />

Übertragung auf die Bedingungen,<br />

unter denen diese Effekte in den<br />

Anlagen auftreten. Hier werden die<br />

„Begriffe“, um wieder auf Kant zu verweisen,<br />

in der Anwendung trainiert.<br />

Und in dieser Diskussion verschränken<br />

sich nun die Begriffe und die<br />

Anschauung, können Inhalte und<br />

Methoden verbunden werden.<br />

Die Verbindung der physikalischen<br />

Effekte mit den begleitenden Randbedingungen<br />

ist natürlich nicht auf<br />

den Druckwasserreaktor der KWU-<br />

Linie beschränkt. Thermohydraulik,<br />

mit einphasigen und zweiphasigen<br />

Strömungsphänomenen, ist in jedem<br />

Wasser-Dampf-Kreislauf relevant,<br />

auch in Siedewasserreaktoren oder<br />

konventionellen Kraftwerken. Die<br />

Schulung zur Entstehung und Vermeidung<br />

von Druckstößen z.B. enthält<br />

Glasmodellsequenzen, die z.B.<br />

die Verdampfung (Abbildung 3) in<br />

aufgehängten Wassersäulen, Kondensationseffekte<br />

in Kaltwasservorlagen,<br />

das Blockieren eines Anwärmvorgangs<br />

durch eingeschlossene nichtkondensierbare<br />

Gase, die unterschiedliche<br />

Strömungsgeschwindigkeit<br />

von Gas oder Dampf und Wasser<br />

sowie den Wellenschlag in horizontalen,<br />

halb gefüllten Leitungen zeigen –<br />

alles Phänomene, die genauso auch in<br />

konventionellen Systemen eine Rolle<br />

spielen.<br />

Als beschlossen wurde, das Glasmodell<br />

zu Beginn der 2000er-Jahre<br />

aus Biblis in das Simulatorzentrum<br />

zu verlegen, stand der Wert dieses<br />

Gerätes für die Unterstützung der<br />

kerntechnischen Ausbildung außer<br />

Frage. So war es nun möglich, für<br />

halbe oder ganze Tage während einer<br />

Fachkundewoche am kraftwerksspezifischen<br />

Simulator auch die in<br />

Environment and Safety<br />

Training and More on the Reactor-glass Model of the Simulator Center ı Frieder Hecker

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