Wenn Franz Keller von seinem Falkenhof im südhessischen Wispertal an den Kaiserstuhl fährt, um seinen Bruder Fritz zu besuchen, lässt er seinen Zuchtbullen Billy nur ungern allein. Franz gönnt Fritz, wie unser Titelbild zeigt, beim Vespern vom Einfachen das Beste, dafür schenkt Fritz seinem älteren Bruder an der Hotelbar im Oberbergener »Schwarzen Adler« vom Feinsten ein. ESSENZ DES LEBENS FRANZ <strong>UND</strong> FRITZ KELLER, DIE UNGLEICHEN BRÜDER, KÄMPFEN GEGEN DEN NIEDERGANG DER <strong>GENUSS</strong>KULTUR IN DEUTSCHLAND Von RAINER SCHÄFER Fotos RUI CAMILO Verborgen zwischen Hügeln und Wäldern liegt der Falkenhof im Wispertal bei der südhessischen Ortschaft Dickschied. Es ist ein Winkel unberührter Landschaft, in den sich selten jemand verirrt und wo das Navigationssystem auch mal den Dienst versagt. Manchem könnte es hier zu einsam werden, aber er lebe sehr gerne »am Arsch der Welt«, sagt Franz Keller, das Wispertal sei ein wunderbares Stück Natur. In den weiß getünchten, offenen Stallungen und auf den angrenzenden Weiden leben die Hauptdarsteller des Hofs, nach aktuellem Stand dreiundfünfzig Rinder und Kälber, einundzwanzig Bunte Bentheimer Freilandschweine, dazu kommen noch Gustl und Willi, die beiden Wildschweine, einige Kaninchen und Hühner. Der Falkenhof ist die vermutlich letzte Station im bewegten Leben des ehemaligen Sternekochs, der in einigen der besten Restaurants gearbeitet hat, bevor er beschloss, an die Ursprünge der Produktionskette zurückzugehen. Die artgerechte Haltung der Tiere, die Qualität seiner Grundprodukte ist für ihn zum alles bestimmenden Anliegen geworden. »Ich musste Bauer werden, um den perfekten Genuss zu finden«, sagt Franz Keller, der Tiere züchtet, weil er die gesuchte Qualität nicht mehr kaufen könne. Es ist eine Art Notwehr und Widerstand gegen ein aus dem Ruder gelaufenes System: »Wenn man die Lebensmittelindustrie anschaut, glaubt man nicht, dass wir in einer hochentwickelten Zivilisation leben.« Viele der Produkte seien eher »Sterbe- als Lebensmittel«. Der Siebenundsechzigjährige, unrasiert und im dunklen Kapuzenpulli, kämpft vom Falkenhof aus gegen einen »perversen Kreislauf der industrialisierten Landwirtschaft«, der Tiere quäle, Menschen krank mache und die Umwelt zerstöre. Im April erschien sein Buch »Vom Einfachsten das Beste«, in dem Franz Keller die Missstände anprangert. Es ist ein radikales Manifest, das aufrütteln soll. Er resigniere nicht, sagt er, »ich haue drauf. Das sollten viel mehr machen.« Franz Keller ist kein Maulheld, deshalb hat er im Kleinen angefangen, die Welt zu verändern. »Wir verhätscheln unsere Haustiere«, sagt er, »aber die Nutztiere, von denen wir leben, behandeln wir wie den letzten Dreck.« Er fordert »Respekt vor der Kreatur. Wer Fleisch isst, sollte Tiere lieben.« Franz Keller behandelt sie wie kleine Könige. Wenn er auf seinem Hof herumgeht, stellen sie erwartungsvoll die Köpfe auf, die Hühner stürmen zutraulich auf ihn zu, angeführt von einem dunklen Hahn, den er Berlusconi getauft hat. Auch einigen anderen seiner Mitbewohner hat er Namen gegeben, wie dem Bullen Olympus und dem Jungbullen Billy, »mit Familiennamen Sperminator«, der bald die Nachfolge in der Herde regeln soll. Es sind Kolosse, die ihn problemlos mit einer Kopfbewegung durch die Luft schleudern könnten. Aber Franz Keller weiß mit ihnen umzugehen. Manchmal setzt er sich mit einem Klappstuhl unter den Baum auf der Weide, nach wenigen Minuten liegen die Rinder um ihn herum wie Schoßhündchen. Es ist ein friedvolles Bild: Der Chef inmitten seiner Herde. Er glaube an die Magie der Langsamkeit, sagt Franz Keller, seine Schweine »müssen zwei Winter sehen«, erst dann hat ihr Fleisch die richtige Reife und Struktur entwickelt. Keller ist in seinem Element, wenn er mit den Gummistiefeln durch das matschige Gelände stapft, wo es kernig riecht, nach vitaler und unverdorbener Natur. Franz Kellers Weg vom hochdekorierten Gourmetkoch zum Aktivisten für gesunden Genuss ist auch eine Parabel auf den »Sterne- Zirkus«, der gewaltige Opfer von seinen Akteuren fordert. Franz Keller hat für Staatsmänner und die Queen gekocht, er war der erste Deutsche, der bei Paul Bocuse in Lyon in die Lehre gegangen ist, in einer Atmosphäre, die noch vom Krieg aufgeheizt war. Es schien immer nur vorwärts und nach oben zu gehen bei diesem »cleveren Bürschle«, wie ihn sein sieben Jahre jüngerer Bruder Fritz nennt. Ausgangspunkt seiner Karriere war der Schwarze Adler in Oberbergen am Kaiserstuhl: Die Kellers sind seit Generationen eine Dynastie, die den guten Geschmack beim Essen und Wein prägen wie kaum eine andere. Der Schwarze Adler ist auch mehr als eine kulinarische Institution, er war nach dem Zweiten Weltkrieg auch eine kulturelle Synapse zwischen Deutschland und Frankreich: Franz Keller Senior, Jahrgang 1927, der Vater des Sternekochs, importierte schon 1947 Wein aus Frankreich und begeisterte sich für die französische Hochküche. Während sich die beiden Länder spinnefeind waren, reiste er immer wieder ins Nach- 6 <strong>FINE</strong> 3 | 2018 <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>DAS</strong> <strong>MAGAZIN</strong> <strong>FÜR</strong> <strong>GENUSS</strong> <strong>UND</strong> <strong>LEBENSSTIL</strong> <strong>FINE</strong> 3 | 2018 7