physio-Journal I 1/2019
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Ausgabe 1 / <strong>2019</strong><br />
Bestell-Nr: dF31557 · € 5<br />
Facts –<br />
Dehnmethoden<br />
Workshop –<br />
Muskeldehnung<br />
des M. piriformis<br />
Tests und Assessments –<br />
VAS<br />
Diagnostik –<br />
Endoskopie<br />
Physiologiekarte –<br />
Grundlagen<br />
der Zell- und<br />
Neuro<strong>physio</strong>logie
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EDITORIAL<br />
LIEBE LESERINNEN<br />
UND LIEBE LESER!<br />
Es ist uns mal wieder eine große Freude, das neue pJ anzukündigen.<br />
Was damals, im September Anno 2012, als großes<br />
Experiment begann, nämlich die Herausgabe eines Magazin<br />
für in der Ausbildung befindliche PTs, hat sich heute etabliert.<br />
Das pJ hat sich beständig weiter entwickelt, nicht auch zuletzt<br />
durch eure Anmerkungen, Vorschläge und vor allem durch<br />
euren kontinuierlichen Input. Ihr habt uns motiviert, am Ball<br />
zu bleiben. Vielleicht wäre das pJ sonst schon Geschichte. Wir<br />
schreiben also die 18. (!) Auflage. Mit 18 ist man volljährig und<br />
so fühlt sich unser pJ für uns als Macher langsam an. Prozesse<br />
haben sich eingespielt und vieles ist einfacher geworden. Was<br />
sich aber permanent erneuert (Gott sei Dank!) ist der Inhalt. In<br />
dieser Ausgabe erfahren wir einiges (mal wieder ;-) ) über den<br />
Muskel. Und das ist auch gut so. Der Muskel ist ein subtiles<br />
Organ mit so vielen unterschiedlichen Funktionen, es ist einfach<br />
unglaublich. Es gibt ganze Bücher über einzelne Muskeln.<br />
Zum Beispiel über den M. piriformis; Ja, ein wichtiger Muskel –<br />
aber ein Buch darüber? Wie auch immer, wir fassen das elegant<br />
auf wenige Seiten zusammen. Spannend! Und dann haben<br />
wir wieder unsere Rubrik »Notfälle in der Praxis«. Diesmal:<br />
Der epileptische Anfall – Erkennen und Handeln! Hand auf’s<br />
Herz. Wer von euch/uns wüsste sofort, was man da macht?<br />
Aber auch das Thema »Healthy Food« hat Spannendes zu<br />
bieten: Ingwer! Eine unglaublich vielseitige Knolle. Kein Tag<br />
vergeht ohne eine Kanne Ingwertee. Ein fingerkuppengroßes<br />
Stück durch eine Knoblauchpresse direkt in die Thermoskanne<br />
jagen, kochendes Wasser drauf – fertig! Damit kann man sich<br />
jeden Teebeutel sparen. Gesund und man weiß, was drinnen<br />
ist. Wer mag, macht noch Zitrone und/oder Honig rein.<br />
Wer von euch die unglaubliche »Ruanda-Story« von Lea und<br />
Laura verfolgt hat, darf hier nicht den letzten Teil verpassen.<br />
Vielleicht hat der ein oder die andere Lust, sich in dieser Richtung<br />
zu engagieren. Hier gibt es die Tipps.<br />
Wer kennt nicht diese Situation:<br />
Patient am Telefon: Ich brauche ganz dringend einen Termin –<br />
ich kann jederzeit.<br />
PT: Ja, ich schau mal: Übermorgen um 10 kann ich Sie einschieben.<br />
Patient: Ah, nein. Da habe ich schon einen Termin beim Frisör.<br />
Geht es nicht morgen?<br />
PT: Hmm, wenn es sehr schlimm ist, kommen Sie morgen um<br />
17:30, aber stellen Sie sich auf etwas Wartezeit ein.<br />
Patient: Das geht leider nicht, da habe ich eine Verabredung<br />
zum Doppelkopf.<br />
Ohne Worte.<br />
Was macht man aber mit ungeduldigen Patienten, die direkt<br />
vor einem stehen? Die Antwort gibt es hier. (Und vieles mehr.)<br />
Wie immer viel Spaß mit dieser brandneuen Ausgabe wünschen<br />
euch<br />
Bernd und Benjamin<br />
PS So sind wir zu erreichen: bareiss@<strong>physio</strong>-journal.de kolster@<strong>physio</strong>-journal.de<br />
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2 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
INHALT<br />
Impressum<br />
<strong>physio</strong>-JOURNAL<br />
Verlag<br />
Die Fachwelt Verlags- und Handelsgesellschaft mbH<br />
Ifenpfad 2–4 · 12107 Berlin<br />
Geschäftsführer<br />
Benjamin Bareiss<br />
Herausgeber/Redaktion<br />
Dr. Bernard C. Kolster, Marburg<br />
Benjamin Bareiss, Berlin<br />
Wissenschaftlicher Beirat<br />
Verena Gesing M.Sc., Dortmund<br />
Dr. Bernard C. Kolster, Marburg<br />
Prof. Dr. Udo Wolf, Fulda<br />
Franz van den Berg, Straßwalchen<br />
Erscheinungsweise<br />
3 Ausgaben/Jahr<br />
Bestellung<br />
Online unter: www.dieFachwelt.de<br />
1–10 Ex.: € 5,– je Exemplar<br />
11–20 Ex.: € 3,20 je Exemplar<br />
ab 21 Ex.: € 1,60 je Exemplar<br />
Layout/Producing<br />
Lydia Kühn, Aix-en-Provence, Frankreich<br />
Druck<br />
PRINTERA GRUPA, Sveta Nedelja/Kroatien<br />
INHALT<br />
EDITORIAL<br />
TITELTHEMA<br />
FACTS: DEHNMETHODEN 4<br />
DEHNUNG IN MYOFASZIALEN KETTEN 7<br />
MUSKELSTIFFNESS 8<br />
WORKSHOP:<br />
MUSKELDEHNUNG DES M. PIRIFORMIS 11<br />
VORGESTELLT<br />
Erfahrungen in Ruanda – Teil 3 12<br />
Ostheopathie Kongress in Berlin 14<br />
Redaktionshinweise<br />
Wie jede Wissenschaft ist die Medizin/Physiotherapie<br />
ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und<br />
klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere<br />
was Behandlung und medikamentöse Therapie<br />
anbelangt. Soweit in diesem Werk eine Dosierung<br />
oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser darauf<br />
vertrauen, dass Autoren, Herausgeber und Verlag große<br />
Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angabe dem<br />
Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes entspricht. Für<br />
Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikationsformen<br />
kann vom Verlag jedoch keine Gewähr übernommen<br />
werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf<br />
eigene Gefahr des Benutzers. Autoren und Verlag appellieren<br />
an jeden Benutzer, ihm etwa auffallende Ungenauigkeiten<br />
dem Verlag mitzuteilen.<br />
Urheber- und Verlagsrecht<br />
Die Zeitschrift und alle in ihr enthaltenen einzelnen Beiträge<br />
und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt.<br />
Mit Annahme des Manuskripts gehen das Recht zur<br />
Veröffentlichung sowie die Rechte zur Übersetzung, zur<br />
Vergabe von Nachdruckrechten, zur elektronischen Speicherung<br />
in Datenbanken, zur Herstellung von Sonderdrucken,<br />
Fotokopien und Mikrokopien an den Verlag über.<br />
Jede Verwertung außerhalb der durch das Urheberrechtsgesetz<br />
festgelegten Grenzen ist ohne Zustimmung des<br />
Verlags unzulässig. In der unaufgeforderten Zusendung<br />
von Beiträgen und Informationen an den Verlag liegt das<br />
jederzeit widerrufliche Einverständnis, die zugesandten<br />
Beiträge bzw. Informationen in Datenbanken einzustellen,<br />
die vom Verlag oder von mit diesem kooperierenden<br />
Dritten geführt werden. Die Rechte für die Nutzung von<br />
Artikeln für elektronische Pressespiegel erhalten Sie über<br />
die PMG Presse-Monitor GmbH, Tel. (0 30) 2 84 93-0 oder<br />
www.presse-monitor.de.<br />
BRAINTUNING<br />
Anatomie zum Herausnehmen 15<br />
Physiologiekarte: Grundlagen der Zell- und Neuro<strong>physio</strong>logie 16<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
Bachelorarbeit: Physiotherapie bei Inkontinenz 17<br />
Tests und Assessments: VAS 21<br />
Sportcheck-UP 23<br />
Gewitter im Gehirn 25<br />
Healthy Food: Ingwer 27<br />
Workout: Mini Band Hip Prep 29<br />
Diagnostik: Endoskopie 31<br />
Ungeduldige Patienten 35<br />
MITMACHEN UND GEWINNEN<br />
Mach mit! Unsere Autoren 38<br />
Gebrauchsnamen<br />
Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen,<br />
Warenbezeichnungen und dgl. in dieser Zeitschrift berechtigt<br />
nicht zu der Annahme, dass solche Namen ohne Weiteres<br />
von Jedermann benutzt werden dürfen; oft handelt<br />
es sich um gesetzlich geschützte eingetragene Warenzeichen,<br />
auch wenn sie nicht als solche gekennzeichnet sind.<br />
VERANSTALTUNGEN UND TERMINE<br />
Veranstaltungskalender 39<br />
© Die Fachwelt Verlags- und Handelsgesellschaft mbH<br />
Ifenpfad 2–4 · 12107 Berlin<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 3
TITELTHEMA<br />
© Tasiania – stock.adobe.com<br />
DEHNMETHODEN<br />
Text: Kathrin Lindel<br />
L In der Fachliteratur wird eine sehr große<br />
Anzahl unterschiedlicher Dehnmethoden<br />
beschrieben. Variationen in den Bezeichnungen<br />
sowie Kombinationen einzelner<br />
Techniken untereinander erschweren den<br />
Überblick zusätzlich. Arbeitshypothesen<br />
fehlen oftmals oder sind nach dem heutigen<br />
Wissensstand nicht nachvollziehbar. Außerdem<br />
sind die Angaben zu Parametern wie<br />
Behandlungsintensität, Dauer, Anzahl von<br />
Wiederholungen und Häufigkeit fehlend<br />
und/oder uneinheitlich.<br />
Grundsätzlich lässt sich Eigendehnung von<br />
Fremddehnung abgrenzen:<br />
Eigendehnung (sog. Autostretching)<br />
Patient/Sportler führt die Technik selbstständig<br />
aus.<br />
Fremddehnung<br />
Die Technik wird durch einen Therapeut/<br />
Partner oder ein technisches Hilfsmittel<br />
ausgeführt. Wesentliche Voraussetzung<br />
für diese Art der Behandlung ist eine gute<br />
Kommunikation zwischen Patient und Therapeut,<br />
um Intensität und Dauer der Dehnung<br />
zu regulieren. Die nachfolgend aufgeführten<br />
Dehnmethoden können sowohl<br />
als Autostretching als auch als Fremddehnung<br />
durchgeführt werden. Ausnahmen<br />
stellen lediglich die Sonderformen dar, die<br />
aus Gründen der Durchführbarkeit in den<br />
meisten Fällen von einem Therapeut initiiert<br />
werden. Des Weiteren wird dynamisches<br />
und statisches Dehnen voneinander unterschieden.<br />
Dynamisches Dehnen<br />
Dynamisches Dehnen (auch ballistisches<br />
oder intermittierendes Dehnen) ist durch<br />
wiederholte, rhythmische Bewegungen<br />
oder wippendes Nachfedern am Bewegungsende<br />
gekennzeichnet. Vor einigen<br />
Jahren kontrovers diskutiert, erfährt es<br />
heute durchaus wieder seine Berechtigung.<br />
Der Vorwurf, dass Verletzungen provoziert<br />
werden und die Effektivität durch das Auslösen<br />
eines Dehnungsreflexes aufgehoben<br />
wird, konnte wissenschaftlich nicht belegt<br />
werden. Nachgewiesen sind auch für diese<br />
Methode der Dehnung Verbesserungen<br />
der Beweglichkeit [z. B. Wiemann u. Hahn<br />
1997, Wydra et al. 1991]. Bei strukturellen<br />
Verkürzungen ist jedoch vorstellbar, dass<br />
gerade die bindegewebigen Anteile nicht<br />
ausreichend lange einer Längenbeanspruchung<br />
ausgesetzt sind, um sich anpassen zu<br />
können. Insbesondere im Sportbereich ist<br />
diese Art der Dehnung entsprechend den<br />
spezifischen Belastungen oft sinnvoll, z. B.<br />
als Vorbereitung für schnellkraftorientierte<br />
Sportarten oder in Wurfdisziplinen. Befürworter<br />
unterstreichen das gleichzeitige Training<br />
der intermuskulären Koordination und<br />
die verbesserte Durchblutungssituation. Im<br />
therapeutischen Einsatz ist es allerdings oft<br />
schwierig, die richtige Dosierung zu finden,<br />
um Verletzungen zu vermeiden.<br />
4 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
TITELTHEMA<br />
Statisches Dehnen<br />
Passiv statisches Dehnen<br />
Der Muskel wird langsam und kontrolliert in<br />
eine maximale Dehnposition gebracht und<br />
in dieser Stellung längere Zeit gehalten. Die<br />
Angaben über die Dauer variieren zwischen<br />
fünf Sekunden und zwei Minuten, empfohlen<br />
werden 15–90 Sekunden. Ebenso ungenau<br />
sind die Aussagen über die Anzahl<br />
der Wiederholungen, die Angaben schwanken<br />
zwischen 3- und 10-mal. Beim passiv<br />
statischen Dehnen soll der Eigenreflex des<br />
gedehnten Muskels durch die Aktivierung<br />
der Golgi-Sehnenorgane gehemmt werden.<br />
Dieser Mechanismus wird autogene Hemmung<br />
genannt.<br />
Anspannungs-Entspannungs-Dehnen<br />
Diese Methode wird auch als Contract-Hold-Relax-Stretching<br />
(CHRS) oder<br />
Postisometrisches Relaxations-Dehnen (PIR)<br />
bezeichnet. Sie stellt eine weitere Variante<br />
der statischen Dehnung dar. Der Muskel<br />
wird mit geringer Kraft in die eingeschränkte<br />
Bewegungsrichtung geführt und<br />
vor seiner Verlängerung isometrisch aktiviert.<br />
Anschließend wird er entspannt und<br />
seine Ursprungs-Ansatz-Distanz vergrößert.<br />
Das Prozedere wird mehrfach wiederholt,<br />
bis eine maximale Verlängerung des Muskels<br />
erreicht ist. Über die Stärke der isometrischen<br />
Anspannung herrscht Uneinigkeit,<br />
sie wird als maximal bis mittel oder leicht<br />
beschrieben und kann mehrfach wiederholt<br />
werden. Auch zur Dauer werden uneinheitliche<br />
Angaben gemacht, diese bewegen sich<br />
in einem Zeitrahmen von zwei bis max. 30<br />
Sekunden.<br />
Die Dauer der isometrischen Kontraktion<br />
spielt für die Hemmung der Motoneuronen<br />
keine entscheidende Rolle. Wichtig ist die<br />
anschließende Entspannung. Um die für<br />
kurze Zeit auftretende verminderte Reflexkontrolle<br />
auszunutzen, sollte sich die Dehnphase<br />
zügig anschließen [u. a. Moore u. Kukulka<br />
1991]. Mehrere Autoren [z. B. Etnyre<br />
et al. 1990, Guissard et al. 1988, Hainaut<br />
u. Duchateau 1989] geben die Zeitspanne<br />
der maximalen Hemmung mit 0,1–1 Sekunde<br />
an, nach 10 bis max. 25 Sekunden<br />
sei sie vollständig beendet. Zusätzlich erfolgt<br />
durch die isometrische Vorspannung<br />
eine Spannungserhöhung in der Sehne, was<br />
zur autogenen Hemmung führt. Ab welcher<br />
Spannung diese einsetzt, ist nicht geklärt.<br />
Betrachtet man jedoch den Schwellenwert<br />
der Golgi-Rezeptoren, ist dafür wahrscheinlich<br />
eine starke oder maximale Kontraktion<br />
erforderlich.<br />
Des Weiteren soll die Empfindlichkeit<br />
der Muskelspindeln herab gesetzt werden,<br />
je stärker eine Kontraktion ist. Dies spricht<br />
ebenfalls für eine starke isometrische Anspannung.<br />
Kritiker [u. a. Brokmeier 1999,<br />
Freiwald 2000, Hutton 1994] konstatieren<br />
hingegen, dass die Zeitdauer der Hemmung<br />
zu kurz ist, um die limitierte Muskelaktivität<br />
für die Dehnung auszunutzen. Außerdem<br />
soll sie von einer erhöhten Erregbarkeit<br />
abgelöst werden. Dagegen spricht neben<br />
oben Genanntem, dass die zügig anschließende<br />
Dehnphase zusätzlich Ib-Afferenzen<br />
der Golgi-Organe auslöst und dadurch eine<br />
verminderte EMG-Aktivität i. S. der autogenen<br />
Hemmung zu erwarten ist.<br />
Im Unterschied zum AED erfolgt bei dieser<br />
Methode am Ende der Dehnung eine<br />
maximale, dynamische Anspannung der<br />
Antagonisten. Sie nutzt damit zusätzlich das<br />
Prinzip der reziproken Hemmung und kontrolliert<br />
zudem aktiv das durch die Dehnung<br />
gewonnene Bewegungsausmaß.<br />
Grundregeln Dehnung<br />
Nur ein aufgewärmter Muskel sollte gedehnt<br />
werden; das Aufwärmen kann durch applizierte<br />
Wärme, Training oder isometrische<br />
Kontraktionen geschehen.<br />
Die Muskeldehnung wird langsam und<br />
kontrolliert ausgeführt.<br />
dynamisch<br />
sog. intermittierendes oder ballistisches Dehnen<br />
Dehnmethoden<br />
statisch<br />
sog. »Stretching«<br />
Dehnungen sollen keine Schmerzen auslösen.<br />
Schmerzen verursachen eine erhöhte<br />
EMG-Aktivität des Muskels, dadurch besteht<br />
die Gefahr, während einer Dehnung Verletzungen<br />
der Sarkomere (v. a. im Bereich der<br />
Z-Linien) zu verursachen.<br />
passiv statisches<br />
Dehnen<br />
Anspannungs-<br />
Entspannungs-<br />
Dehnen (AED)<br />
= Contract-Hold-Relax-<br />
Stretching (CHRS)<br />
= Postisometrisches<br />
Relaxations-Dehnen (PIR)<br />
Anspannungs-<br />
Entspannungs-<br />
Dehnen (AED)<br />
mit anschließender<br />
Kontraktion der<br />
Antagonisten<br />
aktiv statisches<br />
Dehnen<br />
(bei gleichzeitiger<br />
Anspannung<br />
der Antagonisten)<br />
Aktiv statisches Dehnen (Dehnung bei gleichzeitiger Anspannung der Antagonisten)<br />
Das aktiv statische Dehnen wird nach Einnehmen<br />
der Dehnposition durch die Kontraktion<br />
der Antagonisten initiiert. Diese<br />
Methode bedient sich dadurch ebenfalls<br />
der reziproken Hemmung und zwar in der<br />
Dehnphase selbst. Fraglich ist jedoch, ob die<br />
Kraft der Antagonisten – gerade bei einer<br />
strukturellen Verkürzung des Agonisten –<br />
ausreichend ist und tatsächlich eine Dehnung<br />
bewirken kann. Diese Dehnungsart<br />
wird häufig mit der AED-Technik kombiniert.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 5
TITELTHEMA<br />
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Literatur<br />
Aus wissenschaftlicher Sicht gibt es keinen<br />
empirischen Beleg dafür, dass eine<br />
bestimmte Dehnmethode effektiver ist als<br />
eine andere. Für jede Dehnmethode existieren<br />
einerseits Studien, die sie favorisieren,<br />
und andererseits Untersuchungen, die das<br />
Gegenteil darlegen. In weiten Bereichen der<br />
MT wird die AED-Methode mit und ohne<br />
anschließender Kontraktion der angewendet,<br />
die sich sowohl bei hypertonen als auch<br />
bei strukturellen Verkürzungen bewährt<br />
hat. Verschiedene Autoren beschreiben bei<br />
dieser Methode die größte Zunahme der<br />
Beweglichkeit [z. B. van Coppenrolle u. Heyter<br />
1986 in Schomacher 2001, Wilkinson<br />
1992]. Auch Freiwald (2000) unterstreicht,<br />
dass sich im therapeutischen Bereich die<br />
AED-Technik besonders bewährt hat. Die<br />
Auswahl einer Dehnmethode sollte sich in<br />
jedem Fall primär an den individuellen Bedürfnissen<br />
des Sportlers/Patienten sowie<br />
natürlich auch den jeweiligen Fähig- und<br />
Fertigkeiten des Therapeuten orientieren.<br />
Zur Dehnintensität und -dauer existieren<br />
dabei sehr unterschiedliche Angaben. Dies<br />
lässt vermuten, dass es keinen optimalen<br />
Richtwert gibt. Betrachtet man die Empfehlungen<br />
bzw. Ergebnisse aus experimentellen<br />
Untersuchungen, kristallisiert sich eine<br />
Dauer von 15–30 s heraus. Die Dehnung<br />
wird mehrfach wiederholt, bis kein Längenzuwachs<br />
bzw. Nachgeben mehr spürbar ist.<br />
Eine maximale Dehnintensität scheint einer<br />
submaximalen hinsichtlich der Verbesserung<br />
des Bewegungsausmaßes deutlich überlegen<br />
zu sein [z. B. Marschall 1999]. Eine Verbesserung<br />
des ROM kann jedoch nur dauerhaft<br />
erhalten werden, wenn sie im Alltag<br />
genutzt wird. Das Aufdecken der Kausalität<br />
sowie regelmäßiges Dehnen und Kräftigen<br />
der Muskulatur ist deshalb solange unerlässlich,<br />
bis die Biomechanik <strong>physio</strong>logisch wieder<br />
hergestellt ist sowie auf automatisierte<br />
und ökonomische Haltungs- und Bewegungsmuster<br />
zurückgegriffen werden kann.<br />
Muskeldehnungen zugeschriebene Effekte<br />
sind:<br />
Vergrößerung der Beweglichkeit<br />
Vorbeugung von Verletzungen<br />
Steigerung der Muskelleistung<br />
Erhöhung der Flexibilität<br />
DEHNMETHODEN<br />
Herabsetzung des Muskeltonus<br />
Prophylaxe von Kontrakturen nach<br />
Krafttraining<br />
Verminderung von Muskelungleichgewichten<br />
Reduzierung von Muskelverkürzungen<br />
Vermeidung bzw. Beeinflussung<br />
von Muskelkater<br />
Regenerationsförderung nach dem<br />
Training<br />
Brokmeier, A. A. (1999): Sinn und Unsinn des Muskeldehnens und der postisometrischen Relaxation. Institut für Manuelle Therapie<br />
beim Berufsverband selbstständiger Physiotherapeuten. Monatszeitschrift des IFK 1.<br />
Etnyre, B. R.; Kinugasa, T.; Abraham, L. D. (1990): Post-contraction variations in motor pool excitability. Electromyogr Clin Neuro<strong>physio</strong>l<br />
30: 259–264.<br />
Freiwald, J. (2000): Dehnen im Sport und in der Therapie. Die Säule 4: 28–33.<br />
Guissard N.; Duchateau J.; Hainaut, K. (1988) : Muscle stretching and motoneuron excitability. European <strong>Journal</strong> of Applied<br />
Physiology 58: 47–52.<br />
Hainaut, K.; Duchateau, J. (1989): Muscle fatigue, effects of training and disuse. Muscle & Nerve 12: 660–669.<br />
Hutton, R. S. (1994): Neuromuskuläre Grundlagen des Stretchings. In: Komi, P. V. (Hrsg.): Kraft und Schnellkraft im Sport. Deutscher<br />
Ärzte Verlag, Köln: 41–50.<br />
Marschall, F. (1999): Wie beeinflussen unterschiedliche Dehnintensitäten kurzfristig die Veränderungen der Bewegungsreichweite?<br />
Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 1(50): 5–9.<br />
Moore, M. A.; Kukulka, C. G. (1991): Depression of Hoffmann reflexes following voluntary contraction and implications for proprioceptive<br />
neuromuscular facilitation therapy. Physical Therapy 71: 321–333.<br />
Schomacher, J. (2001): Diagnostik und Therapie des Bewegungsapparates in der Physiotherapie. Thieme, Stuttgart-New York.<br />
Wiemann, K.; Hahn, K. (1997): Influences of strength, stretching and circulatory exercises on flexibility parameters of the human<br />
hamstrings. Intern J Sports Med 18: 340–346.<br />
Wydra, G.; Bös, K.; Karisch G. (1991): Zur Effektivität verschiedener Dehntechniken. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin 9(42):<br />
386–400.<br />
Wilkinson, A. (1992): Stretching the truth. A review of the literature on muscle stretching. Australian Physiotherapy 4: 283–287.<br />
6 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
DEHNEN IN<br />
MYOFASZIALEN KETTEN<br />
TITELTHEMA<br />
Text: Klaas Stechmann<br />
DEHNÜBUNGEN SPIELEN NICHT NUR BEI DER MUSKULATUR<br />
EINE ROLLE, SONDERN HABEN AUCH IN DER BEHANDLUNG<br />
VON FASZIEN EINEN WICHTIGEN STELLENWERT.<br />
Grundlagen der Fasziedehnung<br />
Während der Dehnung kommt es zu einer Verlängerung der<br />
faszialen Fibroblasten, die durch die Aussendung von Botenstoffen<br />
Schmerzen und Entzündungen eindämmen können.<br />
Daher werden zur Schmerzbehandlung die Faszien der betroffenen<br />
Regionen und die damit in Verbindung stehenden<br />
Bereiche gezielt gedehnt. Dabei wird die ganzkörperliche Kontinuität<br />
einbezogen. Dies geschieht nicht durch einzelne Muskeldehnungen,<br />
sondern durch verschiedene Positionen, die<br />
den gesamten Körper fordern. Denn myofaszialen Ketten werden<br />
erst beansprucht, wenn die Bewegungen eines Bereichs<br />
ausgeschöpft sind. Hierbei ist etwas Fingerspitzengefühl gefragt,<br />
da jede kleine Gradänderung die Dehnung stärker oder<br />
schwächer werden lassen kann. Die für die ganzkörperlichen<br />
Dehnübungen eingenommenen Positionen können anfangs<br />
statisch gehalten werden und dann in fließende Bewegungen<br />
übergehen. Fühlt man sich sicher, geht man in endgradige,<br />
schaukelnde oder wippende Bewegungen über. Die Mechanosensoren,<br />
die in erster Linie für die Wahrnehmung von<br />
Dehnimpulsen verantwortlich sind, sprechen am besten auf<br />
abwechselnde Impulse an. Deshalb sollte man immer variantenreich<br />
dehnen.<br />
Stell dir vor, du steckst in einem hautengen Taucheranzug,<br />
in dem du dich durch unterschiedliche Bewegungen hineinmodellieren<br />
musst. Indem Bereiche gedehnt werden, die normalerweise<br />
wenig Bewegungs- und Dehnungsreize ausgesetzt<br />
sind, wird das Gewebe angeregt, sich von Verklebungen und<br />
Bewegungseinschränkungen zu benachbarten Strukturen zu<br />
befreien. Wir wissen inzwischen, dass es kaum möglich ist,<br />
Muskeln isoliert zu dehnen. Möchte man beispielsweise die<br />
hintere Oberschenkelmuskulatur dehnen, in dem man ein Bein<br />
anhebt, so kommt in anderen Muskelgruppen teilweise mehr<br />
Dehnung an als in der Zielmuskulatur. Während des gestreckten<br />
Beinhebens im Liegen kommt es in der Ober- und Unterschenkelaußenseite<br />
sowie in der Rückenfaszie zu einer deutlich<br />
größeren Belastung als in der eigentlich zu dehnenden Oberschenkelrückseite.<br />
Deswegen werden bei Dehnungen die myofaszialen<br />
Ketten miteinbezogen, d. h. zur Beindehnung wird der<br />
gesamte Körper miteinbezogen oder der gesamte Körper verdreht,<br />
um die spiralen myofaszialen Ketten zu beanspruchen.<br />
Nutzen<br />
Doch was bringt das Dehnen in myofaszialen Ketten?<br />
Anstelle von einzelnen Muskeln werden ganze Bewegungseinheiten<br />
gedehnt.<br />
Die gedehnten Bereiche erlangen mehr Bewegungsfreiheit<br />
und das Zusammenspiel der Körperabschnitte wird erleichtert.<br />
Die Dehnung kann Schmerzen und Endzündungsprozesse<br />
eindämmen.<br />
Die Wirksamkeit des Dehnens im Sport und in der Therapie<br />
sind in den letzten Jahren kontrovers diskutiert worden. Die<br />
Wirkung des Dehnens wird auf die mechanische Verlängerung<br />
des Gewebes, die vermehrte Versorgung mit Wasser, die<br />
Stimulation von Nervenzellen zur Koordination sowie auf die<br />
funktionellen Änderungen von Bindegewebszellen an sich zurückgeführt<br />
(Myers, Frederick 2012).<br />
1 2<br />
1: Dehnung der Beine und der frontalen myofaszialen Kette<br />
2: Dehnung der spiralen myofaszialen Kette<br />
Literatur<br />
Myers, T.; Frederick, C. (2012): Stretching and Fascia. In Schleip, R.; Findley TW;<br />
Chaitow, L. et al.: Fascia: The tensional network oft he human body. Edinburgh,<br />
New York: Churchill Livingstone/Elsevier.<br />
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 7
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 9
TITELTHEMA<br />
MUSKEL<br />
STIFFNESS<br />
EINFLUSSFAKTOREN<br />
Text: Verena Gesing<br />
© vrx123 – stock.adobe.com<br />
Der Begriff Muskel Stiffness wird im Zusammenhang mit Muskeldehnung häufig verwendet.<br />
Zunächst sollten grundlegende Begriffe definiert werden, die für das Verständnis notwendig sind.<br />
Definition<br />
Passive Stiffness der Muskel-Sehnen-Einheit ist ein Synonym<br />
für die Flexibilität des Muskels und bezieht sich vor allem auf<br />
die viskoelastischen Eigenschaften des Muskels. Viskoelastische<br />
Bestandteile des Muskels sind vor allem die nicht-kontraktilen<br />
bindegewebigen Anteile. Aber auch die aktiven<br />
Nicht-kontraktile Elemente des Muskels<br />
Sehnen<br />
Bindegewebe zwischen den Muskelzellen<br />
Sarkolemm<br />
Titin (ins Sarkomer eingebaut)<br />
Faszien<br />
Kontraktile Elemente des Muskels<br />
Aktin<br />
Myosin<br />
Bestandteile verhalten sich zu einem gewissen Anteil viskoelastisch.<br />
Ebenso ist auch der Muskeltonus für die Stiffness der<br />
Muskulatur verantwortlich.<br />
Man kann sowohl von der Stiffness des gesamten Muskels,<br />
als auch von der Stiffness der Sehne reden.<br />
Muskel Compliance (Muskel Konformität)<br />
Wenn wir über den Begriff der Muskel Stiffness reden, müssen<br />
wir auch die Muskel Compliance betrachten, die der Muskel<br />
Stiffness sehr ähnlich ist, aber in der Literatur trotzdem als<br />
zusätzlicher Begriff verwendet wird. Die Muskel Compliance<br />
hängt von den viskoelastischen Eigenschaften und von dem<br />
Kontraktionsstatus der motorischen Einheit (also auch von<br />
dem Muskeltonus) ab, der durch die elektrische Aktivität des<br />
motorischen Neuron hervorgerufen wird, welches für die Innervation<br />
des jeweiligen Muskels zuständig ist.<br />
Einfluss des Muskeltonus auf die Muskel Stiffness/Compliance<br />
Eine Aktivität des kontraktilen Anteils der Muskulatur führt zu<br />
einem Anstieg des Muskeltonus. Wie hoch der Muskeltonus<br />
aber ist, kann ganz unterschiedlich sein. Eine komplette Entspannung<br />
ist abhängig von dem zugehörigen Menschen, es<br />
konnte jedoch gezeigt werden, dass die elektrische Aktivität<br />
in Ruhe bei gesunden Muskeln nicht signifikant die Muskel<br />
Compliance beeinflusst [Maggnusson 1997].<br />
Muskeltonus und Stiffness<br />
Der Muskeltonus kann die Stiffness des Muskels beeinflussen.<br />
Im Folgenden soll kurz erklärt werden, wie z.B. ein Hypertonus<br />
bei Patienten zustande kommen kann. Ein weiterer Grund<br />
für einen Hypertonus kann die Einnahme von Ovulationshemmern,<br />
wie der Anti-Baby-Pille (ABP) sein. Eine aktuelle Studie<br />
untersuchte, welchen Einfluss die Einnahme von solchen Ovulationshemmern<br />
auf die Muskel Stiffness haben kann.<br />
10 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
TITELTHEMA<br />
Orale Kontrazeptiva und Muskel Stiffness<br />
[Morse et al. 2013]<br />
In einer Studie [Morse et al. 2013] wurde die Auswirkung von<br />
Ovulationshemmern auf die Muskel Stiffness untersucht. Der<br />
Gebrauch von Ovulationshemmern ist bei Frauen im mittleren<br />
Alter weit verbreitet. In der vorliegenden Studie wurden<br />
Einphasenpillen (EP) untersucht. Diese Pillen werden am häufigsten<br />
verschrieben und enthalten immer den gleichen Hormongehalt.<br />
Hingegen weisen Mehrphasenpillen während des<br />
Zyklus einen unterschiedlichen Hormongehalt von Tablette zu<br />
Tablette auf. Der Gebrauch von Ovulationshemmern führt zu<br />
einer signifikant niedrigeren endogenen Östrogenproduktion<br />
und somit auch Plasmaspiegel, während die endogene Östrogenproduktion<br />
bei Frauen, die keine ABP nehmen, wesentlich<br />
höher ist [Bryant et al. 2008]. In der vorliegenden Studie<br />
wurde untersucht, wie sich die Einnahme einer EP auf die passive<br />
Stiffness (In Vivo) auf die Muskel-Sehnen Einheit (MSE) des<br />
M. gastrocnemius auswirkt.<br />
Ablauf Es nahmen 24 gesunde Frauen an der Studie teil.<br />
Während 12 Probandinnen die EP seit 12 Monaten (Fallgruppe)<br />
einnahmen, hatte die 12 Probandinnen der Kontrollgruppe<br />
noch nie eine ABP eingenommen. Die Probandinnen wiesen<br />
einen normalen Menstruationszyklus (24–35 Tage) auf. Alle<br />
Probandinnen berichteten, nicht übermäßig sportlich aktiv zu<br />
sein (weniger als 1 Std. an moderatem Sport pro Woche) und<br />
hatten keine Verletzungen der unteren Extremitäten.<br />
Durchführung Bei der Untersuchung wurden verschiedene<br />
Messungen vorgenommen.<br />
Hypertonus wird als erhöhter Spannungszustand im<br />
Muskel definiert. Der Hypertonus kann z. B. durch immer<br />
wiederkehrende ungünstige Bewegungs- oder Haltungsmuster<br />
(periphere Auslösung) oder durch Stress (zentrale<br />
Auslösung) ausgelöst werden. Durch eine Aktivierung der<br />
Gamma-Motoneuronen wird der Muskelspindelreflex aktiviert<br />
und somit der Muskeltonus erhöht. Über den modulierenden<br />
Einfluss des limbischen Systems auf die Gamma-Motoneuronen<br />
haben Gefühle einen direkten Einfluss<br />
auf den Muskeltonus (zentrale Auslösung).<br />
schiebung des Muskelsehnenübergangs diente als Hinweis auf<br />
die Elastizität/Stiffness. Die passive Dorsalextension wurde mit<br />
Hilfe des Isokineten durch dosierte Widerstände von 2–20 Nm<br />
durchgeführt.<br />
Isokinetik Mit Hilfe des Isokinet und des EMG wurde die<br />
maximale isometrische Kontraktion (MVC) des M. Gastrocnemius<br />
gemessen.<br />
EMG Um den Grad der Muskelaktivität während der passiven<br />
Dehnung zu messen, wurde ein EMG angeschlossen. Die Messungen<br />
fanden während der passiven Dehnung und der isokinetischen<br />
MVC-Messung statt. Es wurden 2 Messungen an<br />
unterschiedlichen Tagen zur gleichen Tageszeit durchgeführt.<br />
Ergebnis Es wurde kein Unterschied bei der Messung des<br />
ROM zwischen beiden Gruppen festgestellt. Das heißt, die<br />
Gesamtlänge der MSE war nicht unterschiedlich. Die Probandinnen<br />
der Fallgruppe hatten eine signifikant größere distale<br />
Verschiebung des Muskelsehnenübergangs bei allen passiven<br />
Drehmomenten.<br />
Isokinetik/ROM/Ultrasonographie Der Muskelsehnenübergang<br />
(myotendinöse Verbindung) wurde während der<br />
passiven Dorsalextension per Ultrasonographie dargestellt<br />
und dessen Bewegung mittels Tapestreifen an der Haut markiert<br />
und somit gemessen. Die Bestimmung der distalen Ver-<br />
Fazit Die Nutzerinnen der EP hatten somit eine signifikant<br />
verringerte Verlängerung der Sehne. Folglich ist die Sehne<br />
weniger elastisch und somit deren Stiffness erhöht. Hingegen<br />
musste dafür aber der Muskel eine eher erniedrigte Muskel<br />
Stiffness haben.<br />
Faktoren zur Veränderung der Stiffness<br />
Durch die Gabe von Hormonen kommt es zu einer veränderten<br />
endogenen Hormonproduktion. Aber auch gegebene<br />
Hormone können einen Einfluss auf den Bewegungsapparat<br />
nehmen.<br />
Östrogen beeinflusst ebenfalls die Kollagen Synthese und Kollagen<br />
Degeneration. Die Reduzierung der Muskel Stiffness der<br />
EP-Nutzerinnen kommt wahrscheinlich reziprok durch die erhöhte<br />
Stiffness der Sehne zustande.<br />
Zusammenfassung<br />
Muskelstiffness kann von vielen unterschiedlichen Faktoren<br />
beeinflusst werden. So üben der Muskeltonus des Patienten<br />
aber auch dessen Hormonstatus einen Einfluss aus. In der vorliegenden<br />
Studie konnte z.B. gezeigt werden, dass Frauen, die<br />
eine ABP einnahmen, eine erhöhte Sehnen- und eine erniedrigte<br />
Muskel Stiffness zeigten. Allerdings sollte dabei auch beachtet<br />
werden, dass die verwendete Messmethode zunächst<br />
weiter validiert werden muss, um konkrete Aussagen zulassen<br />
zu können. Auch müssen Studien mit einer größeren Anzahl<br />
an Probandinnen durchgeführt werden.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 11
TITELTHEMA<br />
Fazit<br />
Therapeuten sollten im Hinterkopf behalten, dass die Einnahme<br />
von oralen Kontrazeptiva auch die Stiffness von Muskeln und<br />
Sehnen beeinflussen können und dies bei der Befundung abfragen<br />
und bei der Therapie dementsprechend berücksichtigen.<br />
Physiotherapeutische Ansätze zur Beeinflussung der Muskel Stiffness<br />
Die Muskel Stiffness kann therapeutisch beeinflusst werden,<br />
wenn es nötig ist. Neben der Muskeldehnung kommen hier<br />
viele weitere Methoden in Frage, die aber immer alle davon<br />
abhängen, was für Ziele verfolgt werden. Exemplarisch sollen<br />
hier Entspannungstechniken als Therapie der Wahl erwähnt<br />
werden. Da die Muskel Stiffness auch über den Muskeltonus<br />
und dieser wiederum über die Gamma-Motoneuronen und<br />
das limbische System beeinflusst wird, können hier Entspannungsverfahren<br />
gut Einfluss nehmen:<br />
Autogenes Training<br />
Körperreisen<br />
Postisometrische Relaxation nach Jacobson (hat auch vor<br />
allem über die vorherige Anspannung des Muskels Einfluss<br />
auf die Herabsetzung der Muskel Stiffness)<br />
Yoga<br />
Etc.<br />
Aber auch ganz klassisch können viele verschiedene Ansätze<br />
verfolgt werden. Letztendlich muss man als Therapeut immer<br />
herausfinden, warum der Patient eine erhöhte/herabgesetzte<br />
Stiffness aufweist. Weitere Ansätze zur Beeinflussung der<br />
Stiffness sind z. B. Haltungskorrekturen, Dehnungen, Kräftigungen<br />
und Sehnentraining.<br />
Literatur<br />
Magnusson, S. P.; Simonsen, E. B.; Aagaard, P.; Boesen, J.; Johannsen, F.; Kjaer, M. (1997): Determinants of musculoskeletal flexibility:<br />
viscoelastic properties, cross-sectional area, EMG and stretch tolerance. ScandJ Med Sci Sports 7: 195–202.<br />
Morse, C. I.; Spencer, J.; Hussain, A. W.; Onambele, G. L.: (2013): The effect of the oral contraceptive pill on the passive stiffness of the<br />
human gastrocnemius muscle in vivo. J Musculoskelet Neuronal Interact 13(1): 97–104.<br />
Bryant, A. L.; Clark, R. A.; Bartold, S.; Murphy, A.; Bennell, K. L.; Hohmann, E.; Marshall-Gradisnik, S.; Payne, C.; Crossley, K.M. (2008):<br />
Effects of estrogen on the mechanical behavior of the human Achilles tendon in vivo. J Appl Physiol 105:1035–43<br />
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12 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
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TITELTHEMA<br />
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Dehnung<br />
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Therapeuten eine isometrische Kontraktion in<br />
Richtung Abduktion und Außenrotation aus.<br />
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Am Ende der Dehnung bewegt der Patient<br />
seinen Oberschenkel gegen den Widerstand<br />
des Therapeuten, der an der Innenseite<br />
des Oberschenkels erfolgt, aktiv weiter<br />
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Literatur<br />
Wolf, U. (2012): Bildatlas der Manuellen Therapie.<br />
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ERFAHRUNGEN IN RUANDA – TEIL 4<br />
Text: Lea Schmidt<br />
und Laura Boller-Hoffecker<br />
L Nach unserem Examen im September<br />
2017 wollten wir zunächst einmal berufliche<br />
Erfahrungen im Ausland sammeln und nebenbei<br />
etwas von der Welt entdecken. Unsere<br />
Suche nach einem geeigneten Land mit<br />
einem spannenden Projekt führte uns nach<br />
Kabuga in Ruanda. Auch in dieser Ausgaben<br />
werden wir euch wieder einen Einblick<br />
in unsere Arbeit geben und euch an unseren<br />
Erfahrungen, die wir in dem sechswöchigen<br />
Einsatz vor Ort gesammelt haben, teilhaben<br />
lassen.<br />
RÜCKBLICK<br />
In unserem letzten Bericht wollen wir einen<br />
Ausblick darauf geben, wie es weitergehen<br />
soll und welche Herausforderungen es in<br />
Zukunft zu bewältigen gilt, um eine gute<br />
und langfristige Zusammenarbeit gewähren<br />
zu können. Fangen wir damit an, was wir<br />
bisher erreicht haben. Wie ihr bereits nachlesen<br />
konntet, haben wir in den vergangenen<br />
6 Wochen die Basis des existierenden<br />
Projektes HDVC-Kabuga, unter der Leitung<br />
von Christine Mukeshimana, um einiges<br />
vergrößern und vor allem aber beginnen<br />
können, diese zu stabilisieren. Das alles war<br />
nur durch die zahlreichen Spendeneingänge<br />
als Reaktion auf unseren Rundbrief ganz zu<br />
Beginn unserer Zeit hier in Ruanda möglich.<br />
Ein riesiges Dankeschön an dieser Stelle geht<br />
an alle Unterstützer! Wir haben damit begonnen,<br />
Struktur in den Behandlungstag<br />
zu bringen und Kontinuität bezüglich der<br />
Therapiebesuche. Insbesondere in unserer<br />
letzten Woche haben wir die Motivation<br />
der Kinder und Mütter erlebt, die uns voller<br />
Freude am Ende des Tages ihre neue Stempelkarte<br />
hinlegten, die sie kurz darauf sorgfältig<br />
und voller Stolz in die Tasche packten.<br />
Besonders berührt haben uns die Worte<br />
der Mütter und Großmütter, die bereits in<br />
der kurzen Zeit kleinere und größere Fortschritte<br />
der Entwicklung ihrer Kinder gesehen<br />
haben und sich schon vieles für den<br />
Alltag abschauen konnten. Auch Christines<br />
Motivation schien neu aufzublühen. Fast so,<br />
als würde sie durch die Anerkennung ihrer<br />
Arbeit nach so vielen Jahren und die Anteilnahme<br />
unserer Familien und Freunde in<br />
Deutschland erneut angetrieben und auch<br />
ermutigt werden, weiter zu machen. Wir<br />
fragten sie, was aus ihrer Sicht in den letzten<br />
Jahren die größten Herausforderungen waren<br />
und aktuell noch sind. An erster Stelle<br />
nennt sie natürlich die fehlenden finanziellen<br />
Mittel. Dabei meint sie vor allem die Armut<br />
ihrer Patienten, die aufgrund dessen die<br />
Wegkosten zu dem zuständigen Arzt oder<br />
Therapeut nicht bezahlen können. Ganz zu<br />
schweigen von den eigentlichen Kosten für<br />
die Konsultation und die folgenden medizinischen<br />
oder therapeutischen Maßnahmen.<br />
Da also keine frühzeitige Behandlung<br />
erfolgt, wachsen die Beschwerden stetig<br />
und die Therapiemöglichkeiten schrumpfen<br />
zeitgleich. Über dieses Kernproblem kann<br />
man lange diskutieren, es gilt aber jetzt, den<br />
Blick in die Zukunft zu richten und Lösungen<br />
kleinschrittig anzugehen.<br />
HERAUSFORDERUNGEN<br />
UND AUSBLICK<br />
Fest für uns steht, dass wir das Projekt persönlich<br />
weiterhin in dem uns zur Verfügung<br />
stehenden Rahmen unterstützen wollen.<br />
Dazu zählen wir zum einen den kontinuierlichen<br />
Austausch mit Christine über das aktuelle<br />
Geschehen im Zentrum. Zum anderen<br />
wollen wir den Kontakt an möglichst viele<br />
Stellen weitergegeben und die Idee des Projektes<br />
weiter verbreiten. Ein riesiger Erfolg<br />
wäre es für uns bereits, wenn der ein oder<br />
andere Freiwillige den Weg zum Zentrum<br />
findet, oder aber sogar nachhaltig regelmäßig<br />
einmal im Jahr freiwillige Physiotherapeuten<br />
(und auch Freiwillige jeglicher anderen<br />
Profession oder auch Schulabgänger)<br />
Christine für ein paar Monate in Kabuga<br />
unterstützen würden. Wir müssen die Absicherung<br />
des Projektes von unten her aufbauen<br />
und sind beide bisher noch absolut<br />
16 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
VORGESTELLT<br />
unerfahren. Es stehen unter anderem Überlegungen<br />
im Raum, einen eigenen gemeinnützigen<br />
Verein zu gründen oder aber auch<br />
Kooperationen mit beispielsweise unserer<br />
ehemaligen Schule für Physiotherapie oder<br />
auch anderen Institutionen zu schaffen.<br />
Dazu müssen wir uns mit den jeweiligen<br />
Ansprechpartnern zusammensetzen und<br />
die Ideen versuchen – hoffentlich gemeinsam<br />
– umzusetzen, sobald wir beide wieder<br />
in Deutschland sind.<br />
Als eine Herausforderung sehen wir an, die<br />
neu auflebende Struktur im Behandlungstag<br />
und auch die Kontinuität der Therapie<br />
von Christine und den Kindern mit ihren<br />
Müttern aufrecht zu erhalten. Dabei ist es<br />
aber wichtig, eine Balance zwischen der<br />
notwendigen Struktur und Disziplin und der<br />
hiesigen Kultur zu finden. Für das Gewinnen<br />
langfristiger Sponsoren ist es wichtig, eben<br />
diese vorweisen zu können, um auch Vertrauen<br />
in das Projekt zu gewährleisten. Wir<br />
müssen gleichzeitig aber auch die hiesige<br />
Kultur mit all ihren Eigenschaften respektieren<br />
und dürfen daher niemandem etwas<br />
aufzwingen. Eine solche Kooperation wird<br />
auf lange Sicht nicht funktionieren. Beide<br />
Seiten müssen sich aneinander anpassen.<br />
Notwendig sind beispielsweise Dokumentationen<br />
des Geschehenen oder Belege für<br />
Rechnungen. Gleichzeitig muss man sich<br />
aber auch dessen bewusst sein, das gewisse<br />
Dinge mehr Zeit in Anspruch nehmen als bei<br />
uns in Deutschland.<br />
Wie schon in den vorherigen Berichten erwähnt,<br />
kommt Christine selbst für die anfallenden<br />
Kosten auf. Aber natürlich sind<br />
auch ihre finanziellen Mittel begrenzt und<br />
ohne Spenden oder Zuschüsse ist es für sie<br />
immer wieder ein Kampf, das Zentrum als<br />
solches zu erhalten. Die dringend notwendigen<br />
Medikamente und Untersuchungen<br />
durch Fachärzte nicht mit einberechnet. Daher<br />
ist es uns ein großes Anliegen, langfristige<br />
Sponsoren für das Projekt zu begeistern<br />
und zu gewinnen, sodass das Zentrum auch<br />
zukünftig getragen werden kann.<br />
Was wir dabei als Herausforderung ansehen<br />
ist, dass die Spendengelder auch wirklich ihren<br />
Weg zu den besagten Spendengründen<br />
finden. Vor allem muss also für Transparenz<br />
des Geldflusses gesorgt werden. Belege<br />
werden hier auf Wunsch zwar ausgestellt,<br />
auf Grund der mangelnden Digitalisierung<br />
bisher meist aber nur handschriftlich und<br />
dazu auch nur in der Landessprache Kinyarwanda.<br />
Diesbezüglich haben wir bereits mit<br />
Christine ausgemacht, künftige Belege zumindest<br />
auf französisch oder englisch ausstellen<br />
zu lassen und diese, wenn möglich,<br />
auch digital zu erfassen. Der erste Schritt ist<br />
in den kommenden Monaten, alles bereits<br />
ordentlich in einem extra dafür angelegten<br />
Ordner abzuheften und uns eine Kopie zukommen<br />
zu lassen. Wir haben auch dazu<br />
schon einige Ideen, die es für Deutschland<br />
auszuarbeiten gilt.<br />
STUDIENERGEBNIS<br />
Wie wichtig die Präsenz des HDVC-Zentrums<br />
in Kabuga und die Arbeit von Christine und<br />
ihrem Team ist, verdeutlicht eine aktuelle<br />
Studie erstellt durch Physiotherapiestudenten<br />
der University of Ruanda von April 2017.<br />
Die darin erhobene erste Statistik bezüglich<br />
des Auftretens von Behinderung in der umliegenden<br />
Region bestärkt die Therapierelevanz<br />
und die Wichtigkeit des Zentrums.<br />
Sie besuchten dazu 180 Haushalte und<br />
interviewten 796 Menschen zu geistigen<br />
und körperlichen Beeinträchtigungen/ Einschränkungen.<br />
In diesem kleinen Bereich,<br />
hier wird es »Cell« genannt, leben 13 Kinder<br />
und 19 Erwachsene mit Einschränkungen –<br />
damit 4,02%.<br />
Auf Grund fehlender Strukturen unter anderem<br />
des Bildungssystems, können sich die<br />
Betroffenen auf dem Bildungs- und Arbeitsmarkt<br />
nicht durchsetzen. Dabei können sie<br />
nur in Zentren wie dem HDVC-Kabuga aufgefangen<br />
werden.<br />
BYE, BYE, RUANDA<br />
Die Studie soll in den kommenden Jahren in<br />
weiteren umliegenden »Cells« durchgeführt<br />
und auf die nächst größeren regionalen Einheiten,<br />
den Sektor Masaka und den District<br />
Kicukiro, ausgeweitet werden. Die Stadt<br />
Kigali ist eingeteilt in einzelne Distrikte, die<br />
wiederum untergliedert sind in Sektoren<br />
und Cells.<br />
WÜNSCHE<br />
Zu guter Letzt wollen wir an euch appellieren.<br />
Traut euch, eure eigenen Erfahrungen<br />
zu machen! Investiert Zeit in die Projektsuche<br />
und kontaktiert die Ansprechpartner<br />
persönlich. Lasst euch nichts einreden von<br />
jemandem, der selbst noch keinerlei Erfahrungen<br />
diesbezüglich gemacht hat oder das<br />
jeweilige Land noch nicht besucht hat. Wie<br />
oft mussten wir uns anhören, dass es für<br />
zwei weiße, blonde, junge Frauen viel zu<br />
gefährlich wäre, in ein schwarzafrikanisches<br />
Land zu reisen. Und doch haben wir uns in<br />
keiner Sekunde unsicher gefühlt. Vielmehr<br />
waren wir von der Herzlichkeit, Gastfreundschaft<br />
und Hilfsbereitschaft überwältigt.<br />
Bei Fragen zu unserem Projekt oder Ideen<br />
jeglicher Art freuen wir uns über eure Nachrichten<br />
an hilfsprojekt-hdvc@gmx.de.<br />
Wir hoffen, euch durch unsere Berichte<br />
einen Einblick in die Arbeit weit über die<br />
Grenzen der eigenen Komfortzone hinaus<br />
gegeben haben zu können.<br />
Vielen Dank für euer Interesse!<br />
Über weitere Spenden freuen wir uns sehr<br />
und auch in diesem Fall kontaktiert uns einfach<br />
per E-Mail.<br />
Herzlichst Eure<br />
Lea und Laura<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 17
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 19
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PRAKTISCHER<br />
OSTEOPATHIE KONGRESS<br />
ZUM THEMA FASZIEN<br />
L Wie bereits in den vergangenen Jahren fand im November<br />
2018 in Berlin ein internationaler Osteopathie Kongress der<br />
Osteopathie Schule Deutschland statt.<br />
Das diesjährige Thema war »fasziale Ansätze der Osteopathie<br />
im klinischen Kontext«. Damit reihte sich der Osteopathie<br />
Kongress zeitlich und inhaltlich nahtlos an den fünften internationalen<br />
Fascia Research Congress an, welcher im Vorfeld in<br />
den Räumlichkeiten der Urania Berlin stattfand.<br />
Durch die enge Vernetzung zwischen Osteopathie Kongress<br />
und Fascia Research Congress konnten auf beiden Veranstaltungen<br />
ähnlich hochkarätige Programmpunkte erstellt<br />
werden. So gab es ein Programm mit vielen internationalen<br />
Referenten, welches neben osteopathischen Themen auch<br />
Gebiete wie Neurobiologie, Narbenbehandlung, Bewegungstherapie<br />
und manuelle Behandlungsmethoden anderer Spektren<br />
berücksichtigte. Während auf dem Fascia Research Congress<br />
der theoretische Anteil sehr hoch und vielen Klinikern<br />
der Praxisbezug nicht ausreichend war, wurde auf dem Osteopathie<br />
Kongress mit vielen Workshops der praktische Nutzen<br />
in den Vordergrund gestellt. Während etwa anderthalb<br />
Tage für theoretische Vorträge im Plenum verwendet wurden,<br />
wurde die restliche Zeit mit vier frei wählbaren Workshops verbracht.<br />
Neben Themen der »klassischen« Osteopathie wurden<br />
auch hierzulande weniger verbreiteten Konzepten ein Raum<br />
geboten: die Lyno-Methode aus Südafrika, Dry Needling, Fasziale<br />
Manipulation bei Tieren oder Konzepte mit Verbindung<br />
zur Kinesiologie. Auch das Publikum bestand aus einer bunten<br />
Mischung. Insgesamt kamen über 1000 Teilnehmer aus aller<br />
Welt und unterschiedlichster Profession zusammen. Damit ist<br />
der Kongress der größte seiner Art.<br />
Neben dem Hauptprogramm gab es rund um das Thema Faszien<br />
diverse informative und teils künstlerische Ausstellungen<br />
zu besuchen. So stellte das Fascial Net Plastination Project aus<br />
Guben (bekannt durch die Ausstellung Körperwelten) mehrere<br />
Präparationen des faszialen Netzwerkes vor, im Großformat<br />
konnten künstlerische Fotoaufnahmen des neuen Anatomieatlas<br />
der Universität Leipzig (»Atlas of Human Fascial Topography«)<br />
begutachtet werden und schließlich wurde der neu erschienene<br />
Film »The Secret Life of Fascia« von Bruce Schonfeld<br />
aufgeführt. Dadurch wurde der gesamte Kongress in einen<br />
passenden Rahmen gebracht, dank guter Organisation gab es<br />
einen reibungslosen Ablauf.<br />
Auch dieses Jahr findet wieder ein Kongress der Osteopathie<br />
Schule Deutschland mit dem Thema »Kraniale Osteopathie<br />
– Neueste Erkenntnisse in Wissenschaft und Praxis« vom<br />
15.–17. November <strong>2019</strong> in Berlin statt.<br />
W<br />
OSTEOPATHIEKONGRESS.DE<br />
20 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
BRAINTUNING<br />
ANATOMIE ZUM SAMMELN<br />
M. supinator<br />
In der nächsten Ausgabe:<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong><br />
M. extensor carpi ulnaris<br />
.<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 21
BRAINTUNING<br />
.<br />
2<br />
Blut und Immunsystem Nr. 16<br />
Nennen Sie Aufgaben und Zusammensetzung des Blutes.<br />
© pathdoc - Fotolia.com<br />
Blut- und Immunsystem<br />
PHYSIOLOGIEKARTE<br />
Nr. 16<br />
PHYSIOLOGIEKARTE<br />
Blut- und Immunsystem<br />
Funktionen des Blutes:<br />
7 Transport von<br />
- Atemgasen<br />
- Nährstoffen, Vitaminen<br />
- Stoffwechselmetaboliten (Entgiftung)<br />
7 Pufferung<br />
7 Informationsaustausch (Hormone)<br />
7 Abwehr<br />
7 Wärmehaushalt<br />
7 Reparatur (Wundheilung)<br />
7 Wasser- und Elektrolythaushalt<br />
400 g Blut 200 g Plasma 16 g Plasmaproteine<br />
Das Blut besteht aus:<br />
7 Zellen:<br />
- rote Blutkörperchen = Erythrozyten<br />
- weiße Blutkörperchen = Leukozyten (unterteilt in Granulozyten, Monozyten und Lymphozyten)<br />
- Blutplättchen = Thrombozyten<br />
7 Plasma: Das Blutplasma enthält Gerinnungsfaktoren, Immunglobuline, Ionen, Glukose, Harnstoff, Kreatinin,<br />
Albumin sowie zahlreiche weitere Plasmaproteine.<br />
Merke! Blutserum entsteht aus Plasma, nachdem die Gerinnungsfaktoren durch eine aktivierte Gerinnung entfernt<br />
wurden.<br />
Plasma<br />
Thrombozyten<br />
Leukozyten<br />
Erythrozyten<br />
Proteine<br />
Elektrolyte<br />
Wasser<br />
Gerinnungseiweiße<br />
Immunglobuline<br />
β-Globuline<br />
α2-Globuline<br />
α1-Globuline<br />
Transferrin<br />
Albumin<br />
2<br />
.<br />
22 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
© Sergey Nivens – stock.adobe.com<br />
Text: Agnes Wand<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
B A C H E L O R A R B E I T<br />
DIE PHYSIOTHERAPEUTISCHE BEHANDLUNG<br />
BEI INKONTINENZ UND IHR EINFLUSS<br />
AUF DIE NEUROMUSKULÄRE AKTIVIERUNG<br />
DER BECKENBODENMUSKULATUR<br />
L Der Beckenboden ist ein Organ mit vielen<br />
Aufgaben. Als Boden des Rumpfes stützt er<br />
die Bauchorgane, arbeitet als Rumpfstabilisator<br />
und verschließt die Ausscheidungsorgane.<br />
Insuffizienz der Beckenbodenmuskeln<br />
hat verschiedene Folgen – unter anderem<br />
Inkontinenz (unkontrollierter Abgang von<br />
Harn und/oder Stuhl) [Pschyrembel 2017].<br />
Sowohl Harn-, als auch Stuhlinkontinenz<br />
stellen eine große Einschränkung in der Teilhabe<br />
am gesellschaftlichen Leben dar [Robert<br />
Koch Institut 2007]. Es stellt sich die<br />
Frage, welchen Einfluss Physiotherapeuten<br />
darauf nehmen können.<br />
HINTERGRUND<br />
Inkontinenz entsteht vor allem durch Verletzung<br />
der Beckenbodenmuskeln bei<br />
Operationen oder Geburten, aber auch<br />
durch alters- oder überlastungsbedingte<br />
Degeneration und Störung der nervalen<br />
Versorgung. Je nach Art der Funktionseinschränkung<br />
kommt es zu einer Insuffizienz<br />
der Verschlussmechanismen von Urethra<br />
und oder Rektum. Harninkontinenz kann<br />
sich durch Urinverlust und vermehrten imperativen<br />
Harndrang als sogenannte Dranginkontinenz<br />
äußern oder als Belastungsinkontinenz,<br />
dem Urinverlust bei erhöhten<br />
intraabdominellen Drücken (International<br />
Continence Society 2015). Frauen haben<br />
vor allem nach Schwangerschaft und Geburt<br />
ein höheres Risiko, Inkontinenzen zu<br />
entwickeln [Delancey et al. 2003]. Bei Männern<br />
tritt Inkontinenz meist nach operativen<br />
Eingriffen im pelvinen Bereich auf [Bø et al.<br />
2015]. Aufgrund der erhöhten Inzidenz von<br />
Harninkontinenz bei Frauen, gibt es mehr<br />
Nachweise für die Wirksamkeit von Physiotherapie<br />
bei weiblicher Inkontinenz. Vor allem<br />
belastungsinkontinente Frauen können<br />
laut aktueller Studienlage durch ein gezieltes<br />
Training des Beckenbodens ihre Symptome<br />
lindern oder beheben [Bø 2004, Gunnarsson<br />
et al. 1999, Lehmann et al. 2016, Moroni<br />
et al. 2016]. Männer die nach einer radikalen<br />
Prostatektomie von Harninkontinenz<br />
betroffen sind, profitieren ebenfalls von einer<br />
Rehabilitation der Beckenbodenmuskeln<br />
[MacDonald et al. 2007, Chang et al. 2016].<br />
Statistische Erhebungen aus den USA<br />
zeigen, dass Männer wie Frauen gleichermaßen<br />
von fäkaler Inkontinenz betroffen<br />
sind [Whitehead et al. 2009]. Zum Erfolg der<br />
<strong>physio</strong>therapeutischen Behandlung gibt es<br />
keine validen Nachweise, jedoch ist die Zahl<br />
der wissenschaftlichen Untersuchungen in<br />
diesem Bereich noch sehr gering und von<br />
unterschiedlicher Qualität. Aufgrund mangelnder<br />
Alternative an konservativen Therapiemethoden<br />
und guter Erfahrungswerte<br />
besteht die Therapie oftmals trotzdem aus<br />
einer <strong>physio</strong>therapeutischen Behandlung<br />
der Beckenbodenmuskeln (Norton 2008).<br />
Physiotherapie bei Inkontinenz<br />
Es gilt als erwiesen, dass zur Kontinenzverbesserung<br />
ein Übungsprogramm, bei welchem<br />
die Muskeln des Beckenbodens isoliert<br />
kontrahiert werden, am meisten Erfolg<br />
hat [Bø et al. 2013]. Somit liegt in der <strong>physio</strong>therapeutischen<br />
Behandlung der Fokus<br />
auf dem Erlernen der korrekten isolierten<br />
Kontraktion. Da Inkontinenz eine Problematik<br />
ist, welche vermehrt im Stehen, bei<br />
dynamischer Bewegung und erhöhten intraabdominellen<br />
Drücken auftritt, erfolgt eine<br />
Integration der Beckenbodenkontraktion in<br />
Ausgangsstellungen, die höhere Anforderungen<br />
an die posturale Kontrolle stellen<br />
[Haslam 2008].<br />
Die Anzahl an <strong>physio</strong>therapeutischen Behandlungen<br />
und die Zeit pro Behandlung sind<br />
im Heilmittelkatalog limitiert (Heilmittelkatalog<br />
2017). Pro Rezept finden sechs Termine<br />
mit jeweils 20–30 Minuten Behandlungszeit<br />
statt. In der Praxis reicht die Zeit oft nicht<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 23
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
aus, um unter <strong>physio</strong>therapeutischer Anleitung<br />
das Übungsspektrum auf posturale<br />
Kontrolle fordernde Übungen zu erweitern.<br />
Somit ist aus <strong>physio</strong>therapeutischer Sicht<br />
von besonderem Interesse, ob nach sechs<br />
Einheiten <strong>physio</strong>therapeutischer Behandlung<br />
die Fähigkeit zur isolierten Aktivierung des<br />
Beckenbodens verbessert werden kann und<br />
ob diese Verbesserung gleichermaßen in Rückenlage<br />
und im Stand stattfindet.<br />
Beckenbodenaktivität<br />
Zur Messung der Beckenbodenaktivität<br />
und somit zur Feststellung, ob die Fähigkeit<br />
zur willentlichen Ansteuerung vorhanden<br />
ist, gibt es verschiedene Möglichkeiten [Bø<br />
2015]. Manometrisch kann der vaginale<br />
oder rektale Verschlussdruck bestimmt werden,<br />
mittels Bildgebung eine Untersuchung<br />
erfolgen, digital kann die Anspannung beurteilt<br />
oder durch EMG die neuromuskuläre<br />
Aktivierung beurteilt werden.<br />
Die Synergisten der Beckenbodenmuskeln<br />
sind noch nicht vollständig erforscht.<br />
Dem aktuellen Stand zufolge gelten der<br />
M. obturatorius internus, der M. gluteaus<br />
maximus und die Mm adductores als Synergisten<br />
[Schulte-Frei 2007]. Weiterhin die<br />
Bauchmuskeln M. transversus abdominis,<br />
M. obliquus internus und M. obliquus externus.<br />
Es wird davon ausgegangen, dass<br />
eine willkürliche Beckenbodenkontraktion<br />
ohne Co-Kontraktion des M. transversus<br />
abdominis nicht möglich ist [Chmielewska<br />
et al. 2014, Hodges et al. 2007, Madill et al.<br />
2009, Neumann et al. 2002]. Zudem scheint<br />
die Co-Kontraktion des M. transversus abdominis<br />
und des M. obliquus internus eine<br />
direkte Auswirkung auf die Kontinenz zu<br />
haben (Madill et al. 2006, Sapsford et al.<br />
[2012]. Das Zwerchfell und die Mm. mulitfidii<br />
gelten ebenfalls als Synergisten [Hodges<br />
et al. 2007, Ptaszkowski et al. 2015].<br />
In Studien wurde die Aktivierung der Beckenbodenmuskeln<br />
und ihrer Synergisten im<br />
Vergleich von kontinenten und inkontinenten<br />
Probanden überprüft. Dabei konnten<br />
funktionelle Unterschiede des M. levator ani<br />
bei Frauen mit und ohne Inkontinenz festgestellt<br />
werden [Babic et al. 2003]. Devreese<br />
et al. [2007] stellten in einem Vergleich Unterschiede<br />
beim Kontraktionsverhalten der<br />
tiefen und oberflächlichen Beckenbodenmuskeln<br />
bei gesunden und bei inkontinenten<br />
Frauen fest. In anderen Untersuchungen<br />
wurde herausgefunden, dass Frauen mit<br />
Harninkontinenz eine verringerte neuromuskuläre<br />
Aktivität der Beckenbodenmuskeln<br />
aufweisen und vermehrt die Bauchmuskulatur,<br />
vor allem den M. rectus abdominis und<br />
den M. obliquus externus, einsetzen [Gunnarsson<br />
et al. 1999, Madill et al. 2009, Madill<br />
et al. 2010, Ptaszkowski et al. 2015].<br />
Beckenbodenaktivität und<br />
Körperposition<br />
Die Muskeln des Beckenbodens haben<br />
eine antigravitatorische Wirkung und müssen<br />
umso mehr arbeiten, je kleiner die Unterstützungsfläche<br />
des Körpers wird und<br />
desto mehr Anforderungen an die posturale<br />
Kontrolle gestellt werden [Hodges et<br />
al. 2007, Schulte-Frei 2007]. In verschiedenen<br />
Konzepten zur <strong>physio</strong>therapeutischen<br />
Behandlung des Beckenbodens wird eine<br />
Befunderhebung in Rückenlage und Stand<br />
empfohlen. Da es noch keine allgemein<br />
akzeptierte Expertenmeinung gibt, was<br />
für Befunde einer <strong>physio</strong>logischen Beckenbodenfunktion<br />
entsprächen, wurde eine<br />
Recherche zur aktuellen Studienlage bezüglich<br />
eines Vergleiches der willkürlichen<br />
Aktivierungsfähigkeit des Beckenbodens in<br />
Rückenlage und Stand durchgeführt. Betrachtet<br />
man die Untersuchungen zusammenfassend,<br />
scheint es bei intaktem Beckenboden<br />
und gesicherter Wahrnehmung<br />
für die Beckenbodenmuskulatur eine Tendenz<br />
zur gleichen Ansteuerungsfähigkeit in<br />
Rückenlage und Stand zu geben. Bei jenen<br />
Untersuchungen, welche im Stand geringere<br />
Werte erreichen, fällt auf, dass die Unterschiede<br />
bei gesunden Frauen sehr gering<br />
waren [Aukee et al. 2003], nur vier Probandinnen<br />
untersucht wurden [Neumann et al.<br />
2002] oder die Messmethode keine isolierte<br />
Betrachtung der Beckenbodenmuskulatur<br />
zulässt [Delancey et al. 2005]. Hingegen<br />
scheinen die Untersucher in den Studien,<br />
die gleiche Werte für Rückenlage und Stand<br />
erzielten, einen größeren Fokus auf eine<br />
möglichst optimale Beckenbodenfunktion<br />
gelegt zu haben. Vor Durchführung der Studien<br />
wurde die isolierte Beckenboden-Kontraktion<br />
geübt [Bø et al. 2003, Schulte-Frei<br />
2007]. Nur wenn die Probanden durch ihre<br />
Beckenboden-Kontraktion die Werte der<br />
EMG-Ableitung um ein Fünffaches steigern<br />
konnten, galt die Kontraktion als ausreichend<br />
gut. Chmielewska et al. [2014]<br />
fanden ebenfalls vergleichbare Ergebnisse<br />
in Rückenlage und Stand bei sehr jungen,<br />
nulliparen Probandinnen und hatten als<br />
Ausschlusskriterium einen Body Mass Index<br />
über 30 kg/m 2 . Es scheint also gerechtfertigt<br />
anzunehmen, dass bei gesunden Menschen<br />
die willkürliche Ansteuerungsfähigkeit des<br />
Beckenbodens in Rückenlage und Stand<br />
gleich ist. Der einzige Unterschied zwischen<br />
den Ausgangsstellungen ist die vermehrte<br />
synergistische Aktivierung des M. obliquus<br />
internus im Stehen [Schulte-Frei 2007, Capson<br />
et al. 2011, Chmielewska et al. 2014].<br />
Da bis dato keine Studie die Veränderung,<br />
durch die in einer Heilmittelverordnung<br />
stattfindenden sechs Behandlungseinheiten<br />
prüft, wurden Oberflächen-EMG-Daten von<br />
Patienten untersucht. Ziel der vorliegenden<br />
Arbeit war es, zu untersuchen, ob sechs<br />
<strong>physio</strong>therapeutische Behandlungen des<br />
Beckenbodens, die in einer Heilmittelverordnung<br />
enthalten sind, die neuromuskuläre<br />
Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur im<br />
Vergleich von Rückenlage und Stand verändern<br />
können.<br />
METHODE<br />
Die Patienten sollten erst in Rückenlage,<br />
mit einem Kissen unter dem Kopf und einer<br />
Rolle unter den Knien und dann in ihrer<br />
habituellen Haltung im Stehen, möglichst<br />
isolierte Kontraktionen der Beckenbodenmuskulatur<br />
ausführen. Es wurde ein sogenannter<br />
Multi Activity Test durchgeführt,<br />
indem erst die neuromuskuläre Aktivierung<br />
der Beckenbodenmuskeln in Ruhe erhoben<br />
wurde, dann sollten 5 kurze schnellkräftige<br />
Kontraktionen erfolgen und nach einer<br />
Pause 5 möglichst isolierte Kontraktionen,<br />
die 10 Sekunden gehalten werden sollten.<br />
Während der Durchführung des Tests erfolgte<br />
mittels Oberflächen-EMG eine Messung<br />
der Beckenbodenmuskeln, der Mm.<br />
adductores, des M. gluteaus maximus und<br />
des M. obliquus internus, dessen Ableitung<br />
ebenfalls Information über die neuromuskuläre<br />
Aktivierung des M. transversus abdo-<br />
24 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
minis liefert [Schulte-Frei u. Konrad 2005].<br />
Somit konnte überprüft werden, inwiefern<br />
eine neuromuskuläre Aktivierung der Zielmuskulatur<br />
stattfand, inwieweit eine synergistische<br />
Aktivierung des M. transversus<br />
abdominis vorhanden war und ob die Mm.<br />
adductores oder der M. gluteaus maximus<br />
kompensatorisch eingesetzt wurden.<br />
Zur elektromyographischen Ableitung der<br />
Muskeln wurden die Elektroden standardisiert<br />
auf die jeweiligen Muskelgruppen<br />
aufgeklebt. Die Elektroden zur Ableitung<br />
des Beckenbodens wurden dabei insbesondere<br />
perianal auf das Centrum Tendineum<br />
geklebt [Devreese et al. 2007]. Nach einer<br />
Befunderhebung entsprechend der International<br />
Classification of Functioning, Disability<br />
and Health (ICF) [WHO 2013] erfolgte<br />
eine Aufklärung über die Anatomie des<br />
Beckenbodens und es wurde die Körperwahrnehmung<br />
für eine möglichst isolierte<br />
Kontraktion des Beckenbodens erarbeitet.<br />
Zum zweiten und zum sechsten Behandlungstermin<br />
wurde der Multi Activity Test<br />
für den Beckenboden durchgeführt und ein<br />
Eigenübungsprogramm erarbeitet.<br />
Die Daten wurden mittels des Myotrace<br />
400 EMG-Gerätes des Herstellers Noraxon ®<br />
untersucht und die Signale mit Hilfe des<br />
PC-Interface, Modell 044 an einen Computer<br />
weitergeleitet. Das elektromyographische<br />
Signal wurde geglättet und korrigiert.<br />
Auf dem Computer war die Software von<br />
Noraxon ® MyoResearch XP 1.08 Master Clinical<br />
Application Protocols installiert und<br />
half bei der Darstellung und Auswertung<br />
der Werte.<br />
Die Software ermittelt für jede Kontraktionsart<br />
während des Multi Activity Tests<br />
einen Mittelwert. Die Differenz dieser Mittelwerte,<br />
jeweils abzüglich der Ruhewerte<br />
in Rückenlage und Stand, wurde mit Hilfe<br />
des Wilcoxon-Signed-Rank Tests auf statistische<br />
Signifikanz hin untersucht. Somit<br />
konnte eine Aussage getroffen werden,<br />
ob die Muskulatur des Beckenbodens im<br />
Vergleich von Rückenlage und Stand signifikant<br />
unterschiedlich stark neuromuskulär<br />
aktiviert werden konnte, ob der M. transversus<br />
abdominis, wie dies bei Gesunden<br />
der Fall ist, im Stand mehr synergistische<br />
Aktivierung zeigt als in Rückenlage und ob<br />
die Mm. adductores und der M. gluteaus<br />
maximus in den verschiedenen Positionen<br />
unterschiedlich stark co-aktiviert werden.<br />
Die Ergebnisse des ersten Messzeitpunktes<br />
wurden dann mit denen des zweiten Messzeitpunktes<br />
verglichen, um Aussagen über<br />
Veränderungen treffen zu können. Eine direkte<br />
Aussage, ob sich die absolute Höhe<br />
der neuromuskulären Aktivierung verändert<br />
hat, konnte mit dem vorliegenden Studiendesign<br />
nicht getroffen werden. Um solche<br />
Vergleiche zu ziehen, hätten die erhobenen<br />
EMG-Daten normalisiert werden müssen,<br />
da EMG-Daten die zu unterschiedlichen<br />
Zeitpunkten und von unterschiedlichen Personen<br />
erhoben wurden aus wissenschaftlicher<br />
Sicht nicht miteinander verglichen werden<br />
können [Cram et al 2011].<br />
ERGEBNISSE<br />
Es konnten insgesamt von 38 Patienten Daten<br />
erhoben werden. Dabei waren von 10<br />
Patienten die EMG-Daten von ausreichender<br />
Güte, um in eine Untersuchung mit eingeschlossen<br />
zu werden. Es wurden die Daten<br />
von drei Männern und sieben Frauen zwischen<br />
31 und 78 Jahren ausgewertet. Alle<br />
in die Messung eingeschlossenen Patienten<br />
litten an einer Form von Harninkontinenz.<br />
Die Daten von 28 Patienten konnten nicht<br />
in die Analyse eingeschlossen werden, da<br />
aufgrund von Zeitmangel die Messung nur<br />
in einer Position stattfand oder es zu technischen<br />
Problemen während der Messung<br />
kam.<br />
Es zeigte sich, dass zum ersten Messzeitpunkt<br />
bei den Beckenbodenmuskeln,<br />
den Mm adductores und dem M. gluteaus<br />
maximus eine vermehrte Ansteuerung im<br />
Stehen vorhanden war. Der M. obliquus internus<br />
wurde in Rückenlage und im Stehen<br />
gleichermaßen aktiviert. Die Fähigkeit zur<br />
Aktivierung der Beckenbodenmuskulatur<br />
war vor allem im Stand noch nicht isoliert<br />
möglich.<br />
Zum zweiten Messzeitpunkt erwies sich<br />
für alle Muskelgruppen die neuromuskuläre<br />
Aktivierung in Rückenlage und im Stand<br />
gleich. Es fand nach sechs Einheiten <strong>physio</strong>therapeutischer<br />
Behandlung eine messbar<br />
isoliertere Kontraktion der Beckenbo-<br />
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 25<br />
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FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
denmuskulatur statt. Jedoch konnte nicht<br />
festgestellt werden, dass die Patienten im<br />
Stehen vermehrt den M. obliquus internus<br />
einsetzten, wie dies bei Gesunden der Fall<br />
ist [Capson et al. 2011, Chmielewska et al.<br />
2014]. Das Kontraktionsmuster der Patienten<br />
entspricht also noch nicht dem von gesunden<br />
Probanden.<br />
DISKUSSION DER ERGEBNISSE<br />
Von ursprünglich 38 an der Studie beteiligten<br />
Patienten, konnten nur Daten von 10<br />
Patienten eingeschlossen werden, da es in<br />
der Phase der Datenerhebung immer wieder<br />
zu technischen Defekten an den Messgeräten<br />
kam. Die Datenerhebung erfolgte<br />
im laufenden Praxisbetrieb, so dass bei einer<br />
auftretenden Störung keine Zeit vorhanden<br />
war, die Messung zu wiederholen. In der Literatur<br />
gibt es Hinweise auf altersbedingte<br />
Unterschiede in der neuromuskulären Aktivierung<br />
der Beckenbodenmuskeln [Aukee<br />
et al. 2003]. Die in der vorliegenden Studie<br />
untersuchten Patienten waren zwischen 31<br />
und 78 Jahren alt und bilden somit eine sehr<br />
große Spannbreite des Alters, bei geringer<br />
Probandzahl. Obwohl die funktionelle Integration<br />
einen großen Stellenwert in der<br />
Physiotherapie besitzt und die Funktion der<br />
Beckenbodenmuskeln für die posturale Kontrolle<br />
wissenschaftlich mehrfach untersucht<br />
wurde, zeigt die aktuelle Studienlage auch,<br />
dass ein Training mit Fokus auf der isolierten<br />
Kontraktion des Beckenbodens den größten<br />
Erfolg zur Therapie von Inkontinenz hat (Bø<br />
2013). Abzuschätzen, ab welchem Zeitpunkt<br />
es möglich ist, die isolierte Kontraktion in<br />
funktionelle und höhere Ausgangsstellungen<br />
zu transferieren, ist nicht einfach. Da<br />
in der durchgeführten Studie die Patienten<br />
zum Teil von verschiedenen Therapeuten<br />
behandelt wurden, kann es sein, dass die<br />
Therapie nicht immer adäquat zu dem individuellen<br />
Fortschritt des motorischen Lernens<br />
der Patienten erfolgte. Um genauere<br />
Aussagen über die mögliche Verbesserung<br />
der neuromuskulären Aktivierung des Beckenbodens<br />
durch Physiotherapie treffen zu<br />
können, sollten in einer weiteren Studie die<br />
Messung nicht im Rahmen der Behandlungszeit<br />
stattfinden, die Probanden homogener<br />
ausgewählt, insgesamt mehr Datensätze untersucht<br />
und die Inhalte der <strong>physio</strong>therapeutischen<br />
Behandlung standardisiert werden.<br />
BEDEUTUNG FÜR DIE PRAXIS<br />
Für die <strong>physio</strong>therapeutische Praxis kann<br />
aus dieser Bachelorthesis abgeleitet werden,<br />
dass es sich lohnt, eine Befunderhebung<br />
der Beckenbodenmuskulatur, sowohl<br />
in Rückenlage als auch im Stehen, durchzuführen.<br />
Zeigen sich Unterschiede zwischen<br />
den Ausgangsstellungen, so sollten bereits<br />
im Rahmen der Wahrnehmungsschulung für<br />
die Beckenbodenmuskulatur, auch gezielt in<br />
höheren Ausgangsstellungen, Übungen erfolgen.<br />
Ebenso sollten im Therapieprozess<br />
immer wieder Assessments durchgeführt<br />
werden, um zu überprüfen, ob sich die Fähigkeit<br />
zur Aktivierung des Beckenbodens<br />
auch im Stehen verbessert und so eine<br />
zielgerichtete, funktionelle Integration und<br />
Kräftigung der Beckenbodenmuskulatur in<br />
höheren Ausgangsstellungen und bei dynamischer<br />
Bewegung erreicht werden kann.<br />
Weiterhin zeigt sich, dass nicht nur die alleinige<br />
Funktion der Beckenbodenmuskulatur<br />
überprüft werden sollte, sondern auch die<br />
synergistische Aktivierung, vor allem des<br />
M. transversus abdominis und des M. obliquus<br />
internus.<br />
Literatur<br />
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ja&uact=8&ved=0ahUKEwjy5_KQtrPSAhWCEywKHT-<br />
0dC6EQFggqMAE&url=http%3A%2F%2Fwww.ics.<br />
org%2Fpublic%2Ffactsheets&usg=AFQjCNGmbxtloVTfdbuo5e-<br />
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Neumann, P., Gill, V. (2002): »Pelvic Floor and Abdominal<br />
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Int Urogynecol J. 13: 125–132<br />
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J., Dymarek, R., Rosin´ czuk, J., Heimrath, J., Dembowski,<br />
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Robert Koch Institut, (2007): Themenheft Harninkontinenz,<br />
Zugriff am 22.02.2017: http://www.rki.de/DE/Content/Gesundheitsmonitoring/Gesundheitsberichterstattung/Themenhefte/harninkontinenz_inhalt.html?nn=2370692<br />
Schulte-Frei, B. (2007): »Sport- und Bewegungstherapie für<br />
den weiblichen Beckenboden Alltagsrelevanz, Analyse und<br />
Therapie unter besonderer Berücksichtigung der neuromuskulären<br />
Ansteuerung«. Institut für Rehabilitation und<br />
Behindertensport der Deutschen Sporthochschule Köln<br />
Schulte-Frei, B., Konrad, P. (2005): »EMG-Basiertes Evaluation-<br />
und Therapiekonzept für Beckenbodendysfunktionen«,<br />
Velamed Science in Motion. Zugriff am 29.01.2017: https://<br />
www.velamed.com/files/beckenboden-fibel.pdf<br />
WHO (2001) (aktualisiert 2013): International classification<br />
of functioning, disability and health: ICF, Geneva [online],<br />
Zugriff am 29.03.2017: http://www.who.int/classifications/<br />
drafticfpracticalmanual2.pdf<br />
Whitehead, W., E., Hill, Ch., Borrud, L., Goode, P., R., Meikle,<br />
S., Mueller, E., R., Tuteja, G., E., Wahlen, A., Weidner, Weinstein,<br />
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Epidemiology and Risk Factors«. Gastroenterology. 137(2):<br />
512–517<br />
26 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
© lessnik – stock.adobe.com<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
TESTS UND ASSESSMENTS<br />
VISUELLE ANALOGSKALA – SCHMERZ<br />
Text: Silke Wolf<br />
L Schmerz – »ein unangenehmes Sinnes- oder Gefühlserlebnis,<br />
das mit tatsächlicher oder potenzieller Gewebeschädigung<br />
einhergeht oder von betroffenen Personen so beschrieben<br />
wird, als wäre eine solche Gewebeschädigung die Ursache«<br />
[Internationale Gesellschaft zur Erforschung des Schmerzes,<br />
IASP, 1979].<br />
Schmerz ist ein Leitsymptom der meisten <strong>physio</strong>therapeutischen<br />
Behandlungen. Oft werden sogar Maßnahmen<br />
angewendet, mit denen Schmerzen bewusst provoziert werden<br />
– beispielsweise bei Triggerpunktbehandlungen oder<br />
Untersuchungen des Iliosakralgelenkes. Die Linderung akuter<br />
Schmerzen und die Prävention der Schmerz-Chronifizierung<br />
sind häufige Indikationen in der Physiotherapie.<br />
Das Schmerzerlebnis kann als multidimensional und komplex<br />
definiert werden und wird von jedem Individuum unterschiedlich<br />
wahrgenommen. Erfassungsinstrumente für<br />
Schmerz sollten diese Individualität dementsprechend berücksichtigen.<br />
Um das vielschichtige Phänomen Schmerz im Praxisalltag<br />
und in wissenschaftlichen Untersuchungen zu quantifizieren,<br />
werden standardisierte Messinstrumente, wie visuelle Analogskalen<br />
(VAS), genutzt.<br />
tensität oder Häufigkeit<br />
verschiedener Symptome,<br />
wie Schmerz, Angst oder<br />
Müdigkeit, zu messen.<br />
Neben der klassischen<br />
VAS ( Abbildung 1) können<br />
verschiedene weitere<br />
Typen von Ratingskalen<br />
unterschieden werden:<br />
grafische Ratingskalen<br />
(eine VAS mit beschreibenden<br />
Elementen wie »leicht<br />
– mittel – stark« oder Gesichtsausdrücken),<br />
numeri-<br />
Visiuelle Analogskala<br />
WAS IST DAS?<br />
Visuelle Analogskalen dienen als Messinstrumente zur Erfassung<br />
und Quantifizierung subjektiver Bewertungen und baren Zahlenwerte vorgegeben sind und angekreuzt werden<br />
sche Ratingskalen (eine metrische Skala, bei der die auswähl-<br />
kommen in unterschiedlichsten Themenfeldern zum Einsatz. müssen), »Box-Skalen« und verbale Ratingskalen (ein ordinal<br />
Beispielsweise um die In-<br />
skaliertes Instrument mit<br />
Kein Schmerz Schlimmster vorstellbarer Schmerz<br />
Nummerische Ratingskala<br />
0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10<br />
Kein Schmerz Schlimmster vorstellbarer Schmerz<br />
Abbildung 1: Visuelle Analogskala und Numerische Ratingskala<br />
ankreuzbaren Kästchen,<br />
beispielsweise mit zugehörigen<br />
Begriffen wie: »kein –<br />
mild – mäßig – stark – sehr<br />
stark«).<br />
Für die statistische Auswertung<br />
der erhobenen<br />
Daten ist das Skalenniveau<br />
( Infobox) ausschlaggebend.<br />
Es entscheidet darüber,<br />
welche mathematischen<br />
Verfahren für diese<br />
Variable zulässig sind.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 27
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
WIE GEHT DAS?<br />
Meist wird die VAS in Form einer horizontalen Linie (im besten<br />
Fall 10 cm lang, um eine spätere Umrechnung zu erleichtern)<br />
mit zwei klar definierten End- oder Ankerpunkten präsentiert.<br />
Zur Einschätzung der Schmerzintensität werden die Patienten<br />
aufgefordert, den aktuellen Schmerz zwischen den beiden<br />
Extremen »kein Schmerz« und »schlimmster vorstellbarer<br />
Schmerz« einzuordnen und auf der Linie zu markieren. Die<br />
Markierung kann dann ausgemessen und in einen Zahlenwert<br />
umgewandelt werden.<br />
Abweichend zur visuellen Analogskala werden häufig auch<br />
visuelle Skalen mit Gesichtsausdrücken eingesetzt. Die Darstellung<br />
der Schmerzintensitäten mittels verschiedener Gesichtsausdrücke<br />
und auch die Formulierung der Extrempunkte<br />
variieren häufig und können dem entsprechenden Setting angepasst<br />
werden.<br />
Allerdings muss beachtet werden, dass dann die Standardisierung<br />
des Instrumentes aufgehoben sein kann.<br />
Skalenniveaus<br />
Kategorial<br />
Skala Merkmal Beispiel<br />
Nominal<br />
Häufigkeit<br />
Haben Sie Schmerzen?<br />
Ja<br />
Nein<br />
Ordinal<br />
Häufigkeit und Reihenfolge<br />
Wie stark sind Sie durch Ihre Schmerzen<br />
im Alltag beeinträchtigt?<br />
0 = Gar nicht 2 = Stark<br />
1 = Etwas 3 = Sehr stark<br />
Metrisch<br />
Intervall<br />
Verhältnis/Ratio<br />
Häufigkeit, Reihenfolge und gleicher<br />
Abstand zwischen den Werten<br />
Häufigkeit, Reihenfolge, gleicher Abstand<br />
und natürlicher Nullpunkt<br />
Bei welcher Temperatur (in °C) sind Ihre<br />
Schmerzen am geringsten?<br />
Wie lange (in Jahren) haben Sie schon<br />
Schmerzen?<br />
Abbildung 2: Infobox – Skalenniveaus<br />
WARUM?<br />
ZUSAMMENFASSUNG<br />
VAS können als alleiniges Instrument oder in Kombination<br />
mit anderen Assessments, zum Beispiel Fragebögen zum Bewegungsverhalten<br />
oder zur Lebensqualität, eingesetzt werden.<br />
Neben der aktuellen Einschätzung des Schmerzes kann<br />
auch eine Überprüfung des Behandlungserfolges mittels VAS<br />
durchgeführt werden. Dabei haben die unterschiedlichen Arten<br />
der Schmerzskalen (visuelle Analogskala, numerische Ratingskala,<br />
»Smiley«-Skalen) verschiedene Vor- bzw. Nachteile.<br />
Die Auswahl sollte entsprechend der Fragestellung und des<br />
Behandlungssettings erfolgen – bspw. kommen »Smileys« bevorzugt<br />
in der Pädiatrie zum Einsatz.<br />
Literatur<br />
Bodian, C. A.; Freedman, G.; Hossain, S.; Eisenkraft, J. B.; Beilin, Y. (2001): The visual analog<br />
scale for pain: clinical significance in postoperative patients. Anesthesiology, 95(6), 1356–1361.<br />
Brosch, A. (2010): Boyfriend Doesn't Have Ebola. Probably. Abgerufen am 19.02.<strong>2019</strong> unter<br />
http://hyperboleandahalf.blogspot.com/2010/02/boyfriend-doesnt-have-ebola-probably.html<br />
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Hjermstad, M.J.; Fayers, P.M.; Haugen, D.F.; Caraceni, A.; Hanks, G.W.; Loge, J.H.; Fainsinger,<br />
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assessment of pain intensity in adults: a systematic literature review. <strong>Journal</strong> of Pain Symptom<br />
Management, 41(6), 1073–1093.<br />
Die Multidimensionalität des Schmerzes (also Auswirkungen<br />
auf somatischer, psychischer und sozialer Ebene) können alle<br />
hier vorgestellten eindimensionalen Skalen nicht abbilden,<br />
hierzu wird eine weiterführende Schmerzdiagnostik benötigt.<br />
Eine ausführliche Schmerzanamnese (insbesondere bei<br />
chronischen Schmerzen) wird nicht durch die Anwendung der<br />
Schmerzskalen ersetzt. Visuelle Analogskalen, Numerische<br />
Ratingskalen oder verbale Ratingskalen sind aber valide und<br />
reliable Instrumente, die ohne großen Zeitaufwand gut in der<br />
täglichen Praxis eingesetzt werden können. Es gibt aktuell<br />
noch keinen wissenschaftlichen Konsens über einen allgemeingültigen<br />
Standard zur Messung von Schmerz, vielmehr<br />
sollten das Einsatzgebiet und die Bedarfe der Patienten über<br />
das geeignete Instrument entscheiden.<br />
Merskey, H.; Bogduk, N. (2006): Description of chronic pain syndromes and definitions of<br />
pain terms. In: Merskey H, Bogduk N, editors. Classification of chronic pain. ed. Seattle: IASP<br />
Press; 534–554.<br />
Physiopedia.com. Abgerufen am 19.02.<strong>2019</strong> unter: https://www.<strong>physio</strong>-pedia.com/index.<br />
php?title=Visual_Analogue_Scale&oldid=178050<br />
Physiopedia contributors: Visual Analogue Scale. Physiopedia.<br />
Schmitter, M.; List, T.; Wirz, S. (2013): Erfassung der Schmerzintensität mit eindimensionalen<br />
Skalen. Zeitschrift für Evidenz, Fortbildung und Qualität im Gesundheitswesen, 107, 279–284.<br />
Schomacher, J. (2008): Gütekriterien der visuellen Analogskala zur Schmerzbewertung.<br />
Physioscience, 4,125–133.<br />
28 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
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FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
SPORTCHECK-UP<br />
Text: Patricia Frahm<br />
L Regelmäßiges Sporttreiben ist gut für die körperliche und geistige<br />
Gesundheit, heißt es immer wieder. Doch wie wirkt sich Sport<br />
auf den Körper aus? Wie oft ist regelmäßig eigentlich genau? Und<br />
was sagt unser Herz-Kreislaufsystem dazu? Regelmäßiger Sport<br />
bedeutet laut Martin Halle vom Zentrum für Prävention und Sportmedizin<br />
der TU München [Weber, 2014], täglich für 30 Minuten<br />
in einem moderaten Belastungsbereich aktiv zu werden. Am besten<br />
geeignet sind Ausdauersportarten wie Laufen, Schwimmen,<br />
Radfahren oder Rudern. Dabei sollte darauf geachtet werden, dass<br />
die körperliche Belastung an die persönliche Leistungsfähigkeit angepasst<br />
ist. Besonders Sportanfänger oder Wiedereinsteiger über<br />
35 Jahre sollten sich vor der Aufnahme von regelmäßigen Spor-<br />
teinheiten durchchecken lassen [Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin<br />
und Prävention e. V., 2012]. Hierzu bieten Kliniken, Rehabilitationszentren<br />
und andere sportmedizinische Einrichtungen<br />
Sporttauglichkeitsuntersuchungen und medizinische Check-Ups<br />
an. Das Ziel einer solchen Untersuchung ist es, das Herz- Kreislauf-<br />
System unter Belastung zu testen und dadurch sicherzustellen,<br />
dass regulatorische Mechanismen des Herzkreislaufsystems in<br />
Ruhe sowie unter sportlicher Belastung einwandfrei funktionieren.<br />
Neben der Erfassung der anthropometrischen Daten, wie Körpergewicht,<br />
Größe und Körperfettprozent, wird auch die elektrische<br />
Reizweiterleitung des Herzens in Ruhe und unter Belastung mittels<br />
eines Elektrokardiogramms (EKG) aufgezeichnet.<br />
EKG<br />
Das EKG ist eine einfache und schmerzlose<br />
Methode, um die elektrische Erregung des<br />
Herzmuskels und somit dessen Aktivität zu<br />
erfassen. Diese wird über Elektroden abgeleitet<br />
und in Form von Kurven aufgezeichnet.<br />
Anhand derer kann der Arzt beurteilen, ob<br />
das Herz störungsfrei funktioniert. Die Blutdruckmessung<br />
erfolgt ebenfalls in Ruhe und<br />
unter Belastung. Bei einem anschließenden<br />
Lungenfunktionstest werden die Lungenkapazität<br />
und vor allem die Atemgeschwindigkeit<br />
gemessen, um Lungenkrankheiten, wie<br />
Asthma oder COPD, auszuschließen. Durch<br />
regelmäßige Ausdauereinheiten ist es möglich,<br />
seine Atemtiefe zu erhöhen und die<br />
Atemfrequenz zu mindern. Eine effiziente<br />
Atemarbeit ist die Folge. Sportler können so<br />
Belastungen bei geringerem Atemaufwand<br />
absolvieren.<br />
SPIROERGOMETRIE<br />
Eine Grundvoraussetzung für sportliche Aktivität,<br />
ist die Energiegewinnung unter Verbrauch<br />
von Sauerstoff. Diese Form des Stoffwechsels<br />
wird aerobe Ausdauer genannt.<br />
Sie gilt als die Fähigkeit, seine Leistung über<br />
einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten<br />
und sich nach körperlicher Belastung schnell<br />
zu erholen (Lohmann et al., 2014). Voraussetzung<br />
dafür ist eine gute Zusammenarbeit verschiedener<br />
Systeme (Herz, Lunge und Gefäße)<br />
im menschlichen Körper. Um die Interaktion<br />
des Herz- Kreislauf- Systems, der Atmung<br />
und des Stoffwechsels während körperlicher<br />
Anstrengung zu analysieren, wird das diagnostische<br />
Verfahren der Spiroergometrie eingesetzt.<br />
Mithilfe einer speziellen Atemmaske<br />
werden unter anderem die Sauerstoffaufnahme,<br />
die Kohlendioxidabgabe und weitere<br />
Atemparameter gemessen. Nicht zuletzt<br />
durch den Mediziner und Physiologen Karlman<br />
Wasserman [Kroidl et al., 2007] wurde<br />
die Spiroergometrie in den 1960er Jahren<br />
zum Standardwerkzeug der Präventions- und<br />
Rehabilitationsmedizin. Neben der Risikoabschätzung<br />
einer zu behandelnden Krankheit,<br />
dient sie jedoch auch zur Leistungseinschätzung<br />
und Trainingsplanung in verschiedenen<br />
Sportarten. Die relative maximale<br />
Sauerstoffaufnahme gilt heutzutage als<br />
Index der Ausdauerleistungsfähigkeit eines<br />
Sportlers. Als leistungsdiagnostisches Verfahren<br />
untersucht die Spiroergometrie den<br />
Energiestoffwechsel des Körpers in verschiedenen<br />
Belastungsstufen. Hierbei kann in<br />
Verbindung mit der sogenannten ersten und<br />
zweiten ventilatorischen Schwelle festgelegt<br />
werden, in welchen Herzfrequenz- und Belastungsbereichen<br />
der Körper Energie aus<br />
Fett- oder Kohlenhydratreserven rekrutiert.<br />
Eine individuelle Einschätzung des Energiebedarfs<br />
unter körperlicher Belastung ist so für<br />
jeden Athleten und jede Sportart möglich.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 29
VORGESTELLT<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
LAKTATDIAGNOSTIK<br />
Eine leistungsdiagnostische Untersuchung<br />
dient zuerst zur Feststellung der aktuellen<br />
Sportgesundheit und Einschätzung der Leistungsfähigkeit<br />
eines Sportlers. Als Analyseverfahren<br />
wird, auch oftmals in Kombination<br />
mit der Spiroergometrie, die Laktatdiagnostik<br />
angewandt. Die Laktatdiagnostik gilt als<br />
fester Bestandteil im Leistungs- und Breitensport.<br />
Sie hilft Trainern und Coaches die<br />
aerobe und anaerobe Schwelle (ähnlich der<br />
ersten und zweiten ventilatorischen Schwelle)<br />
zu ermitteln, um im Anschluss einen individuell<br />
angepassten Trainingsplan auszuarbeiten.<br />
Laktat ist ein Salz der Milchsäure, das während<br />
der Energiebereitstellung in der Muskulatur<br />
anfällt. Die Konzentration des Laktats ist<br />
im Kapillarblut messbar. Dies geschieht meist<br />
aus dem Ohrläppchen oder – jedoch weniger<br />
praktisch – aus der Fingerkuppe. Für die<br />
Blutentnahme ist ein Stich von ca. 2 mm mit<br />
einer Sicherheitslanzette notwendig. Dieser<br />
ist allerdings schmerzfrei und kaum spürbar.<br />
Bei der Entnahme werden 20 Mikroliter in ein<br />
mit Hämolyse-Lösung vorbereitetes Reaktionsgefäß<br />
gegeben.<br />
Für jede leistungsdiagnostische Untersuchung<br />
ist ein sportartspezifisches und auf<br />
die Leistungsfähigkeit des Sportlers zugeschnittenes<br />
Belastungsprotokoll (z. B. Rampen-<br />
oder Stufenprotokoll) zu wählen. Ein<br />
sportmedizinischer Test kann zudem auf einem<br />
Fahrrad-, Laufband-, Ruder- oder Handkurbelergometer<br />
stattfinden und dauert ca.<br />
15–20 Minuten.<br />
FAZIT<br />
Wer sich also vor dem Triathlontraining oder einem sportlichen<br />
Wettkampf sicher sein will, dass sein Körper auch unter Belastung<br />
funktioniert, der bekommt durch eine sportmedizinische Untersuchung<br />
die Möglichkeit sein Herz-Kreislauf-System in Zusammenarbeit<br />
mit Sportwissenschaftlern und Fachärzten auf den Prüfstand<br />
zu stellen.<br />
Quellen<br />
Weber, N. (2014): Fitness und Herzgesundheit. Ärzte grübeln über beste Sport-Dosis. Zugriff<br />
am 19.02.<strong>2019</strong> unter: http://www.spiegel.de/gesundheit/ernaehrung/herz-und-fitness-wieviel-sport-ist-optimal-a-969356.html<br />
Deutsche Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (2012): 10 Tipps zum Sporttreiben.<br />
Zugriff am 19.02.<strong>2019</strong> unter: https://www.gesundheit.de/fitness/sport-bewegung/fitnesstipps/tipps-zum-sporttreiben<br />
Kroidl, R. F., Schwarz, S.; Lehnigk, B. (2007): Historische Aspekte zu Belastungsuntersuchungen,<br />
speziell zur Spiroergometrie. Historical Aspects on CPET (Cardio Pulmonary Exercise<br />
Testing). Pneumologie. 61. 291–294. Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York.<br />
Hohmann, A.; Lames, M.; Letzelter, M. (2014): Einführung in die Trainingswissenschaft.<br />
Limpert Verlag: Wiebelsheim. 50–64.<br />
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30 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
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GEWITTER IM GEHIRN<br />
Text: Leonie von Lochow<br />
FALLBEISPIEL<br />
Der Therapeut ist mit einem Jungen im Bewegungsraum. Sie<br />
spielen zusammen Ball und stehen dabei auf einem Bein auf<br />
der Weichbodenmatte. Doch plötzlich wird der Junge bleich<br />
und sackt in sich zusammen. Der Therapeut rennt sofort hin,<br />
ruft den Jungen und kniet nieder, um ihn zu schütteln. Doch<br />
bevor er ihn berühren kann, bewegt er sich! Ein Schütteln<br />
fährt durch den ganzen Körper: Immer stärker fängt er an zu<br />
zucken, die Glieder fahren in alle Richtungen.<br />
Sekunden fühlen sich an wie Minuten, wie Stunden. Und dann<br />
ist alles vorbei und der Junge liegt wie schlafend da.<br />
Beim Anruf des Rettungsdienstes hämmert dem Therapeuten<br />
nur eine Frage durch den Kopf: »Was ist gerade passiert???<br />
Das sah aus wie ein Gewitter! Als hätte sich der Körper einmal<br />
entladen.«<br />
ZEREBRALER KRAMPFANFALL<br />
In gewisser Weise ist genau das passiert. Es ist ein Gewitter<br />
durch den Kopf des Kindes gefahren. Oder: es hatte einen<br />
zerebralen Krampfanfall. Tritt ein solcher Anfall mehrfach im<br />
Laufe des Lebens auf, handelt es sich um die neurologische<br />
Erkrankung Epilepsie.<br />
Bei einem zerebralen Krampfanfall handelt es sich um eine<br />
exzessive Spontanentladung zentraler Neuronen [Runggaldier<br />
2017]. Es kommt zu einer pathologischen Erregung der<br />
Nervenzellen mit einer fehlenden Erregungsbegrenzung. Zentral<br />
liegt hier eine Fehlfunktion der Gamma-Ammino-Buttersäure-assoziierten<br />
Neurone (GABA-Neurone) vor, die zu den<br />
wichtigsten hemmenden Neurotransmittern gehören [NAEMT<br />
2013]. Da diese nicht ausreichend aktiv sind, findet keine Hemmung<br />
statt.<br />
Bei einer Epilepsie wird zwischen einer angeborenen, also<br />
genetisch bedingten, und einer symptomatischen Epilepsie,<br />
nämlich durch ein Ereignis, wie zum Beispiel einem Unfall oder<br />
einer Verletzung, ausgelösten Krampfanfall unterschieden.<br />
Leider sind außerdem über die Hälfte der Erkrankungen als<br />
idiopathische Epilepsien einzuordnen, bei denen die Ursache<br />
oder der Auslöser nicht ergründet werden können [Runggaldier<br />
2017].<br />
Weiterhin werden zerebrale Krampfanfälle nach Art und<br />
Muster unterteilt.<br />
Mit der Art der Krampfanfälle ist die Art der Muskelverspannung<br />
gemeint. Es wird zwischen tonischen oder klonischen<br />
Krämpfen unterschieden. Tonische Krämpfe sind<br />
Streckkrämpfe, bei denen alle Körperteile maximal gestreckt<br />
sind [Runggaldier 2017]. Klonische Krampfanfälle sind Beugekrämpfe,<br />
bei denen alle Körperteile in die maximale Gegenbewegung<br />
umschlagen, bzw. die sich durch heftiges Zucken<br />
äußern. Das Muster wiederum beschreibt die Abfolge und<br />
Ausbreitung über den Körper [Runggaldier 2017].<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 31
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
Globale Anfälle sind Spontanentladungen im gesamten Gehirn,<br />
welche sich über den gesamten Körper ausbreiten. Zu<br />
übersehen sind sie also nicht. Im Gegensatz dazu stehen<br />
die fokalen Geschehen. Hierbei ist nur ein begrenzter<br />
Bereich der Großhirnrinde betroffen<br />
[NAEMT 2013]. Meist bleibt der Patient dabei<br />
bei Bewusstsein.<br />
Häufig tritt jedoch ein Grand-Mal-Anfall<br />
auf. Er zählt zu den generalisierten Krampfanfällen<br />
und setzt sich aus verschiedenen<br />
Phasen zusammen: Meist beginnt er mit einer<br />
Aura und motorischer Unruhe. Langjährige Epileptiker<br />
können anhand dessen einen nahenden Anfall<br />
bemerken und entsprechende Vorkehrungen treffen.<br />
Der Unruhe folgt eine tonische Phase, bei der es zum Atemstillstand<br />
und gegebenenfalls einer Zyanose kommt [Runggaldier<br />
2017]. Erst danach stürzt der Patient zu Boden und es<br />
beginnt die klonische Phase mit gleichmäßigem Zucken am<br />
gesamten Körper [NAEMT 2013]. Eine sogenannte postiktale<br />
Phase schließt sich an. Hierbei handelt es sich um eine Nachschlafphase,<br />
die bis zu 24 Stunden anhalten kann, oder einer<br />
Phase der psychomotorischen Unruhe [NAEMT 2013]. Ein<br />
Krampfanfall dauert im Regelfall nicht länger als 2 Minuten<br />
[Luxem 2017].<br />
Im schlimmsten Fall kann ein solches Krampfereignis<br />
sogar über 5 Minuten anhalten. Dann handelt<br />
es sich um einen Status epilepticus [Runggaldier<br />
2017].<br />
Es gibt verschiedene Faktoren, die einen Anfall<br />
auslösen können. Sollte es sich um symptomatische<br />
Epilepsie handeln, gibt es natürlich<br />
den entsprechenden Grund dazu (Verletzung<br />
oder ähnliches). Bei der angeborenen Epilepsie<br />
kommt es darauf an, in welchem Hirnareal die Entladung<br />
stattfindet, bzw. welches Areal betroffen ist. Pathogene<br />
Epilepsie kann z. B. durch Diskolicht, Alleen oder ähnlich<br />
schnelle optische Reizwechsel ausgelöst werden. Auch durch<br />
sensible Hautreize oder Hyperventilation ist das Auslösen<br />
möglich. Hingegen wird die audiogene Epilepsie durch starke<br />
auditive Reize ausgelöst. Interessant ist auch die Lese-Epilepsie.<br />
Diese kann durch weiße Blätter und schwarze Schrift ausgelöst<br />
werden.<br />
MASSNAHMEN<br />
Doch was kann ich als Therapeut eigentlich unternehmen,<br />
sollte der Patient einen Krampfanfall erleiden? Natürlich muss<br />
man nicht tatenlos daneben stehen. Während des Anfalles<br />
selbst kann man leider nicht viel tun. Man sollte umstehende<br />
Gegenstände außer Reichweite räumen, sodass sich der Betroffene<br />
nicht noch mehr verletzen kann. Wenn möglich kann<br />
man auch ein Kissen unter den Kopf schieben, man sollte aber<br />
auf jeden Fall außerhalb der Reichweite bleiben um sich nicht<br />
selbst zu verletzen. Entgegen der früheren Lehrmeinung ist<br />
es heutzutage untersagt, einen Keil zwischen die Zähne zu<br />
schieben, um die Person vor einem Zungenbiss zu schützen.<br />
Die Gefahr des Verschluckens oder Zerbrechen der Zähne oder<br />
das Risiko, selbst gebissen zu werden, sind zu hoch!<br />
Sollte zu Anfallsende der Rettungsdienst noch nicht eingetroffen<br />
sein, muss die Person nach Möglichkeit so gelagert<br />
werden, dass die Atemwege frei sind: Also entweder mit<br />
überstrecktem Kopf oder in der stabilen Seitenlage. Wichtig<br />
zu wissen ist auch, dass die Anfallsschwelle nach einem<br />
Krampfanfall niedriger ist. Ein erneuter Krampf ist also viel<br />
leichter auszulösen. Die Person muss daher ständig überwacht<br />
werden.<br />
Sollte das Kind nach dem Anfall nur eine kurze Nachschlafphase<br />
durchleben und anschließend in psychomotorische<br />
Unruhe geraten, muss eine sichere Umgebung geschaffen<br />
werden. Halte das Kind nicht fest, aber wirke beruhigend auf<br />
es ein.<br />
Allerdings muss man sich auch keine übermäßigen Sorgen<br />
machen, denn das Risiko einen zerebralen Krampfanfalls im<br />
Laufe seines Lebens zu erleiden liegt bei unter 10 % und steigt<br />
erst ab einem Alter von 60 Jahren [Luxem 2017].<br />
Wie in jeder Notfallsituation gilt auch hier: nach Möglichkeit<br />
Ruhe und einen kühlen Kopf bewahren sowie Hilfe holen.<br />
Richtigstellung<br />
In der letzten Ausgabe dieser Reihe hat sich im Artikel<br />
zur Koronaren Herzkrankheit ein Fehler eingeschlichen:<br />
Die Koronararterien werden in der Diastole durchblutet<br />
und nicht in der Systole.<br />
© contrastwerkstatt – stock.adobe.com<br />
Literatur<br />
NAEMT (2013): Advanced Medical Life Support, Präklinisches und klinisches<br />
Notfallmanagement. Elsevier, Urban & Fischer, Amsterdam.<br />
Luxem, J.; Runggaldier, K.; Karutz, H. (2017): Notfallsanitäter heute.<br />
Elsevier, Urban & Fischer Verlag, Amsterdam.<br />
Runggaldier, K.; Luxem, J (2017): Rettungsdienst RS/RH.<br />
Elsevier, Urban & Fischer Verlag, Amsterdam.<br />
32 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
© Leonid Nyshko – stock.adobe.com<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
Text: Leonie von Lochow<br />
HEALTHY FOOD<br />
INGWER<br />
Gezielte Übungen und passive <strong>physio</strong>therapeutische Maßnahmen können bei vielen Beschwerdebildern<br />
eine Menge bewirken. Doch auch mit Tipps zu Lebensmitteln und Ernährungsverhalten können Physiotherapeuten<br />
ihre Patienten unterstützen. In dieser Kolumne bekommt ihr wichtige Hintergrundinfos darüber,<br />
mit welchen Lebensmitteln die <strong>physio</strong>therapeutische Wirkung verstärkt werden kann.<br />
L Wie schon bei Knoblauch handelt es sich bei Ingwer auch<br />
wieder um eine umstrittene Knolle, im lateinischen Amomum<br />
zingiber genannt. Die Familie der Zingiberaceae umfasst tatsächlich<br />
39 verschiedene Genres mit bis zu unfassbaren 1300<br />
verschiedenen Spezies. Diese Unterteilung bezieht sich auf die<br />
knollenartigen Auswüchse, sogenannte Rhizome [Coates et al.<br />
2005].<br />
Klein und Gelb, für manche ein Hochgenuss, für andere<br />
zum Schütteln und aus der asiatischen Küche überhaupt nicht<br />
wegzudenken. Auch in der allgemein bekannten Hausapotheke<br />
liegt die Knolle immer bereit für den nächsten Schnupfen.<br />
Doch was die Wurzel noch so kann ist weitgehend unbekannt.<br />
EINE KLEINE GESCHICHTE ALS BEISPIEL<br />
völlig überhöhter Geschwindigkeit und quietschenden Reifen<br />
um die Kurven. Dass im ganzen Auto leichte Panik herrschte,<br />
ob wir jemals lebend ankommen, kann man sich vorstellen.<br />
Schon nach ungefähr 30 Minuten Höllenritt meldeten sich die<br />
ersten Mitfahrer mit der vorsichtigen Nachfrage, ob es Plastiktüten<br />
gäbe. Weitere Minuten später brüllte besagter Mitfahrer<br />
schon er müsse dringend raus, es gab natürlich keine Tüten.<br />
Nachdem der Fahrer sich durch allgemeines Anbrüllen doch<br />
zum Anhalten überzeugen ließ, stolperten alle Gäste glücklich<br />
an die befreiende Luft. Nach ausgiebiger Pause sollte es weiter<br />
gehen. Wir wussten alle nicht, wie wir das meistern sollten.<br />
Doch da trat die gute Seele des Autos in Erscheinung. Sie verteilte<br />
etwa daumennagelgroße, frische Ingwerstücke an alle<br />
Reisenden. Und siehe da, nach intensivem Kauen und Gesicht<br />
verziehen wurde die Übelkeit schon geringer und der Magen<br />
fühlte sich ruhiger an.<br />
An einem Abend im April 2016 sollte die Reise von der berühmten<br />
Stätte Machu Picchu zurück nach Cusco gehen,<br />
der nächst gelegenen größeren Stadt. Als guter Backpacker<br />
ist man natürlich recht budgetgebunden unterwegs, also<br />
quetschten wir uns zu zehnt in einen Bus, der Größe VW T5.<br />
Und los ging die wilde Fahrt. Wer sich gerne beliest oder vielleicht<br />
sogar gerne selbst reist, weiß, dass die Fahrt über die<br />
Höhenstraßen mitten durch die Zentralkordillere Perus führt.<br />
Auf der einen Seite also Bergwand und auf der anderen Abhang.<br />
Nothaltebuchten oder Standstreifen Fehlanzeige! Und<br />
natürlich Serpentinen, die das Herz eines Ralley-Fahrers höher<br />
schlagen lassen würden. Unser Fahrer bretterte also mit<br />
WIRKUNGEN<br />
Somit sind wir bei einer anderen guten Eigenschaft des Ingwers<br />
angelangt. Denn in verschiedenen Studien wurde der<br />
Effekt von Ingwer auf Reiseübelkeit bestätigt. Es wurde herausgefunden,<br />
dass die Wurzel bei Reiseübelkeit, Krämpfen im<br />
Magen-Darm-Bereich, Blähungen, Störungen der Verdauung<br />
und sogar Schwindel hilft [Group 2002]. Doch wie wirkt das<br />
Ganze? Ingwer steigert die Beweglichkeit des Magens und<br />
senkt das Feedback vom gastrointestinalen Trakt an die zent-<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 33
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
ralen Chemorezeptoren, die wiederum für das Empfinden der<br />
Übelkeit oder des Unwohlseins verantwortlich sind. Mit anderen<br />
Worten: mehr Flexibilität, weniger Informationsaustausch,<br />
weniger Übelkeit.<br />
Von der Tehran University konnte in einer randomisierten<br />
Doppelblindstudie zudem nachgewiesen werden, dass Ingwer<br />
für eine deutliche Reduktion von Übelkeit und Erbrechen nach<br />
der Chemotherapie sorgt [Gesundheit 2017]. Immerhin zwei<br />
der häufigsten Nebenwirkungen bei einer Chemotherapie.<br />
Ebenso bei postoperativer Übelkeit. Rund 30 % der Patienten<br />
einer in 2018 durchgeführten Studie der University of Szeged<br />
litten nach einer Vollnarkose an weniger postoperativer Übelkeit<br />
[Gesundheit 2017].<br />
Im Jahr 1990 wurde sogar eine klinische Studie mit Schwangeren<br />
gemacht. Es handelte sich um eine Doppelblindstudie,<br />
bei der der Effekt auf Schwindel und schwindelbedingte Übelkeit<br />
getestet werden sollte, da bis zu 50 % aller Frauen an<br />
Schwindel und Übelkeit während der Schwangerschaft leiden<br />
[Coates et al. 2005]. 30 Frauen erhielten 4 Mal täglich entweder<br />
250 mg (Milligramm) getrockneten Ingwer oder ein<br />
Placebo über den Zeitraum von 4 Tagen [Coates et al. 2005].<br />
70,4 % der Frauen aus der Ingwer Gruppe konnten in diesem<br />
Zeitraum über verringerten Schwindel, weniger Übelkeit und<br />
Brechreiz berichten und es konnten keine Nebenwirkungen<br />
festgestellt werden [Coates et al. 2005].<br />
WIRKRISIKEN<br />
Doch, wie immer, gibt es auch Wirkrisiken zu beachten. Der<br />
Verzehr von hohen Dosen Ingwer kann sogar zum Gegenteil<br />
führen, nämlich Magenverstimmungen. Bei hohen Dosen<br />
sprechen wir in diesem Fall von Grammanzahlen. Laut<br />
der »Encyclopedia of Dietry Supplements« kann man täglich<br />
2–4 g (Gramm) frischen oder getrockneten Ingwer zu sich<br />
nehmen. Möchte man allerdings Flüssigextrakte verwenden,<br />
sollte eine Dosis von 0.25–1.0 Milliliter (ml) 3 Mal täglich nicht<br />
überschritten werden. Bei Dosen von 6 g oder mehr können<br />
nicht nur Magenverstimmungen auftreten, es zeigte sich sogar<br />
eine signifikante Abschälung des gastrointestinalen Oberflächenepithels<br />
[Duke 2002].<br />
Es heißt wenn man die ganze Pflanze verwendet und nicht<br />
nur das Rhizom, kann der Verzehr zu Leberschäden führen. In<br />
den dreißiger Jahren wurde Ingwer auf Jamaika einmal sogar<br />
zum Brauen von Alkohol verwendet. Doch dieser soll starke<br />
neurologische Symptome hervorrufen [Group 2000].<br />
Doch lieber zurück zu den guten Eigenschaften des Ingwers.<br />
EINSATZGEBIETE<br />
In der Ingwerwurzel konnten bislang mehr als 400 Inhaltsstoffe<br />
identifiziert werden [Gesundheit 2017]. Die Hauptwirkstoffe<br />
sind Gingerole und Shogaole, welche eine analgetische<br />
sowie eine antipyretische, eine antiprostaglandine, eine hepatoprotektive<br />
und eine hypotensive Wirkung aufzeigen [Duke<br />
2002]. So kann es bei Fieber oder Grippe gut eingesetzt werden.<br />
Sogar eine antiinflamatorische Wirkung wird Ingwer zugeschrieben.<br />
Beispielsweise wird es zur Symptomlinderung bei<br />
Osteoarthritis eingesetzt [Coates 2005]. Hierbei kann Ingwer<br />
auch äußerlich angewendet werden. Dabei wird ein ca. 2,5 cm<br />
dickes Stück in dünne Scheiben geschnitten und 10 Minuten<br />
in Wasser geköchelt. Nachdem die Flüssigkeit so lange abgekühlt<br />
ist, dass sie eine angenehme Temperatur aufweist, wird<br />
ein Lappen eingetaucht, auf die entzündete Stelle gelegt und<br />
für 10 Minuten dort belassen.<br />
Früher wurde Ingwer sogar dazu benutzt, Angstzustände<br />
oder Depressionen zu behandeln [Group 2000], was jedoch<br />
nicht weiter erforscht ist. Damit ist die Wurzel definitiv nicht<br />
nur für den nächsten Schnupfen geeignet.<br />
Übrigens, wer wie ich das Problem hat, eine Knolle Ingwer<br />
nicht schnell genug verputzen zu können: wenn man sie<br />
eng in ein Papierhandtuch einwickelt und anschließend mit<br />
Plastikfolie umwickelt, kann man Ingwer bis zu 2 Wochen im<br />
Kühlschrank lagern oder bis zu 6 Monate einfrieren.<br />
Literatur<br />
Group, D. W. (2000): Encyclopedia of Mind Enhancing Foods, Drugs aud Nutritional<br />
Substances, (McFarland & Company, Inc.) S. 9<br />
Duke, J. A.; Bogenschutz-Godwin M. J.; duCellier J.; Duke P. K. (2002): Handbook of<br />
Medicinal Herbs, Seconds Edition, (CRC Press LLC), S. 329 f.<br />
Coates, P. M.; Blackman M. R.; Cragg G. M.; Levine M.; Moss J.; White J. D. (2005):<br />
Encyclopedia of Dietry Supplements, (Marcel Dekker), S. 241–246<br />
Zentrum der Gesundheit (2017): Ingwer – Anwendung und Wirkung. Zugriff am<br />
28.01.<strong>2019</strong>: https://www.zentrum-der-gesundheit.de/ingwer-anwendung-und-wirkung-910107.html<br />
HEALTHY FOOD<br />
INGWER<br />
34 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
© Dmitry Lobanov - Fotolia.com<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
W·O·R·K·O·U·T<br />
MINI BAND<br />
HIP PREP<br />
HÜFTE UND KNIE<br />
OPTIMAL VORBEREITEN<br />
Ein zentraler Bestandteil der <strong>physio</strong>therapeutischen Behandlung ist die Durchführung von Kräftigungsübungen. In der Reihe »Workout«<br />
werden verschiedene Übungen vorgestellt, die vielleicht auch für deine Patienten interessant sind. Viel Spaß beim Lesen und Ausprobieren.<br />
Text: Jesper Schwarz<br />
L Wer die bisherigen Workout-Artikel verfolgt hat, ist nun<br />
schon mehrfach mit dem Begriff »Core« oder »Core-Workout«<br />
in Berührung gekommen. Vorgestellt wurden bereits in<br />
Form der Planke eine Übung für die ventrale Kette und mit<br />
der Glute Bridge eine Übung für die dorsale Kette. Der Core<br />
ist aber noch weitaus komplexer und umfasst den kompletten<br />
Bereich vom Zwerchfell bis zum Becken, darin inbegriffen sind<br />
alle skelettalen und muskulären Partien sowie deren beteiligten<br />
Bandstrukturen. In der heutigen Ausgabe steht die Hüfte<br />
mit ihren Muskeln im Mittelpunkt.<br />
Der Bewegungsapparat leidet unter dem veränderten Bewegungsverhalten<br />
der Menschen. Nicht umsonst wird das Sitzen<br />
häufig als das neue Rauchen bezeichnet [vgl. Buch: Sitzen<br />
ist das neue Rauchen von Kelly Starrett]. Während beim Rauchen<br />
vor allem die Lunge leidet, leidet durch das viele Sitzen<br />
die Hüfte.<br />
Menschen mit vorwiegend sitzenden Tätigkeiten klagen<br />
häufig über Rückenschmerzen, die überwiegend im Bereich<br />
der Lendenwirbelsäule auftreten. Hier stellt sich jedoch die<br />
Frage, ob der Rücken auch tatsächlich die Ursache der Schmerzen<br />
ist oder ob der Grund dafür nicht an anderer Stelle zu<br />
finden ist – nämlich an einem weiter unten liegenden Gelenk.<br />
Das viele Sitzen schadet nämlich auch der Hüftmuskulatur. Der<br />
Hüftbeuger ist in dauerhafter Flexion und erhöhter Spannung,<br />
die Gesäßmuskulatur ist inaktiv. Der kanadische Rückenspezialist<br />
Stuart McGill spricht von einer »Glutealen Amnesie«, bei<br />
der es aufgrund des inaktiven Lebensstils, des vielen Sitzens<br />
oder muskulärer Dysbalancen zu einer Beeinträchtigung der<br />
Muskelfunktionen der Hüfte kommt, so dass andere, umliegende<br />
Muskeln deren Aufgaben übernehmen müssen. Es<br />
kommt zu Überlastungen, Verletzungen und Schmerzen.<br />
Ein möglicher Korrekturansatz kann also die »Aktivierung<br />
bzw. Reaktivierung« und die Kräftigung der Hüftmuskulatur<br />
sein. Neben vielen guten Mobilisierungsübungen eignen sich<br />
dafür vor allem Übungen mit dem Mini Band.<br />
Mini Bänder sind kleine, geschlossene Bänder aus Latex<br />
bzw. mittlerweile auch aus weitaus reißfesterem Baumwoll-Material.<br />
Durch die verschiedenen Bandstärken kann die<br />
Belastung gesteuert werden. Je nach Alter und Leistungsstand<br />
sollte zunächst mit einem leichten Widerstand begonnen werden.<br />
Dabei ist es wichtig, die Übung technisch sauber zu erlernen.<br />
In der Therapie eignen sich die Mini Bänder aufgrund ihres<br />
relativ geringen Anschaffungspreises und der handlichen<br />
Größe auch optimal für die Heimarbeit bzw. für Hausaufgaben<br />
der Patienten. Im Folgenden wird eine einfache Übung<br />
mit dem Mini Band vorgestellt.<br />
INDIKATION FÜR DIESE ÜBUNG<br />
Häufiges Sitzen, abgeschwächte Gesäßmuskulatur, Spielsportarten<br />
mit vielen Side Cut-Bewegungen, LWS-Syndrom,<br />
Lumbago und weitere unspezifische Rückenschmerzen, Stabilisierung<br />
und Kräftigung der Bauch- und Rückenmuskulatur,<br />
ISG-Störung, Prävention Knievalgus, Knieverletzungen wie<br />
Kreuzbandruptur und viele weitere.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 35
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
TRAINIERTE MUSKULATUR<br />
Übungen mit dem Mini Band trainieren vor allem die Gesäßmuskulatur<br />
– insbesondere den M. gluteus minimus und<br />
M. gluteus medius. Je nach Übungsvariation können viele verschiedene<br />
Muskelgruppen hinzukommen.<br />
BESCHREIBUNG DER ÜBUNG<br />
Ausgangstellung<br />
Der Patient steht hüftbreit und hat das Mini Band kurz oberhalb<br />
der Knie angelegt. Je nach Leistungsstand und Sportart<br />
kann der Patient auch in eine tiefere Kniebeugen-Position (dynamic<br />
power position) gehen.<br />
Endstellung<br />
Der Patient lässt nun langsam sein linkes Knie nach innen<br />
fallen (Valgusposition), anschließend führt er das Knie in die<br />
Ausgangsstellung zurück. Während der gesamten Übungszeit<br />
wird die Spannung im Gesäß gehalten und der Rumpf stabilisiert.<br />
BESONDERE ASPEKTE, DIE BEACHTET<br />
WERDEN SOLLTEN<br />
Während der gesamten Bewegung sollten die Füße in Neutralstellung<br />
gehalten werden. Die Übung »Mini Band In and Out«<br />
eignet sich hervorragend in einem allgemeinen Warm-Up, um die<br />
wichtigste Haltemuskulatur des Rumpfes gezielt zu aktivieren und<br />
auf die folgenden Bewegungen bzw. Belastungen vorzubereiten.<br />
Gerade wenn einbeinige oder multidirektionale Bewegungsmuster<br />
durchgeführt werden sollen, eignet sich das Training der Hüftmuskulatur<br />
zur Vorbereitung von Knie und Hüfte optimal.<br />
VARIATIONEN<br />
Eine sinnvolle Progression könnte es sein, beide Knie gleichzeitig<br />
nach innen fallen zu lassen und kontrolliert wieder nach<br />
außen zu führen. Sollte diese Übung im Stand zu schwierig<br />
für einen Patienten sein, kann sie auch in Seitlage ausgeführt<br />
werden. Durch Walks – also Übungen bei denen sich der Patient<br />
in verschiedene Richtungen von der Stelle bewegt – kann<br />
die Dynamik kontinuierlich gesteigert werden.<br />
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FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
ENDOSKOPIE<br />
DIAGNOSTIK<br />
Text: Susanne Klotz<br />
Herzlich willkommen zum zweiten Teil des Artikels über die<br />
Endoskopie in der Diagnostik-Reihe. Im ersten Teil in der<br />
letzten Ausgabe haben wir einen Blick auf die Geschichte<br />
der Endoskopie geworfen, starre und flexible Endoskope<br />
näher betrachtet, den grundsätzlichen Ablauf der endoskopischen<br />
Untersuchung über natürliche Körperöffnungen<br />
kennengelernt und uns einen Überblick über die gängigsten<br />
Verfahren verschafft. In diesem Teil befassen wir uns<br />
näher mit einigen spezifischen endoskopischen Techniken,<br />
die diagnostischen oder auch therapeutischen Nutzen haben<br />
können. Wie bereits im ersten Teil erwähnt, ist das<br />
Einsatzgebiet der Endoskopien riesig und entwickelt sich<br />
ständig weiter. Daher können wir hier nur einen kleinen<br />
Ausschnitt zeigen und fokussieren uns im ersten Abschnitt<br />
des Artikels auf spezielle Verfahren im Bereich des Gastrointestinaltrakts<br />
und im zweiten Abschnitt dann mit den<br />
gängigsten Endoskopien über nicht-natürliche Körperöffnungen.<br />
Hier nun also exemplarisch einige Verfahren mit<br />
diagnostischem und/oder therapeutischem Nutzen im Verdauungssystem:<br />
DÜNNDARMENDOSKOPIE<br />
Lange Zeit war der Dünndarm eine schwer zu untersuchende<br />
Region, da er sowohl vom Magen als auch vom Dickdarm aus<br />
schlecht zu erreichen war. Mit Beginn der 2000er Jahre wurden<br />
zwei neue Technologien entwickelt, die es ermöglichen,<br />
den Dünndarm endoskopisch zu untersuchen.<br />
So kann der Dünndarm mit Hilfe der Kapselendoskopie betrachtet<br />
werden. Dazu verschluckt der Patient eine etwa 2,5<br />
cm lange Kapsel mit einem Durchmesser von etwa 1 cm. Neben<br />
einer Batterie mit einer Lebensdauer von ca. 12–15 Stunden<br />
und bis zu vier Kameras ist die Kapsel mit einer Lichtquelle<br />
zur Beleuchtung der Darmwand ausgestattet. Die Kapsel passiert<br />
den Magen-Darm-Trakt und wird auf natürlichem Wege<br />
wieder ausgeschieden. Die gesamte Reise der Kapsel dauert<br />
etwa 6 bis 8 Stunden. Um eine gute Sicht zu haben, sollte<br />
der Patient nüchtern sein und erst 2 Stunden nach Schlucken<br />
der Kapsel wieder klare Flüssigkeiten trinken. Nach vier Stunden<br />
darf er dann im Allgemeinen wieder kleine Mahlzeiten zu<br />
sich nehmen. Während ihrer Passage durch das Gastro-Intestinal-System<br />
sendet die Kapsel entweder per Radiofrequenzen<br />
oder per elektrischem Feld Bilder an ein Empfangsgerät,<br />
das der Patient bei sich trägt. Alternativ können auch Kapseln<br />
zum Einsatz kommen, welche die aufgenommenen Bilder auf<br />
einem eingebauten Datenspeicher ablegen. Dadurch braucht<br />
der Patient kein Empfangsgerät mehr mit sich tragen, allerdings<br />
muss die Kapsel nach erfolgreicher Darmpassage aufgefangen<br />
werden, um die Daten auslesen zu können. Insgesamt<br />
werden von der Kapsel etwa 50.000 bis 60.000 Fotos<br />
geschossen (ca. 2–6 Fotos pro Sekunde), die sich später am<br />
Computer zu einem Film zusammensetzen lassen.<br />
Wichtigste Indikation für eine Dünndarmendoskopie per<br />
Kapsel ist die Abklärung von obskuren gastrointestinalen Blutungen<br />
(der Begriff obskur kommt vom lateinischen obscurus<br />
[dunkel, bedeckt] und wurde zu der Zeit geprägt, als der<br />
mittlere Dünndarm noch schwierig zugänglich war und die<br />
Blutungsquelle sich weder durch eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie,<br />
noch durch eine Ileokoloskopie lokalisieren ließ).<br />
Stenosen stellen eine Kontraindikation dar, da die Gefahr des<br />
Kapselverhaltes besteht. Für Patienten ist die Kapselendoskopie<br />
im Vergleich zu den konventionellen Endoskopien deutlich<br />
angenehmer, allerdings hat sie den Nachteil, dass sie eine reine<br />
Bildgebung ist. Für gleichzeitige Biopsie-Entnahme oder auch<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 37
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
direkten therapeutischen Interventionen während der Endoskopie<br />
stellt die Ballon-Entoroskopie, im Englischen als device-assisted<br />
enteroscopy (DAE) bezeichnet, die bessere Alternative<br />
dar. Diese Technik gibt es seit 2001 als Doppel-Ballon-Enteroskopie<br />
(DBE) und seit 2008 als Single-Ballon-Enteroskopie<br />
(SBE). Neben der Abklärung von obskuren Blutungen und der<br />
Bergung von Fremdkörpern sind Diagnostik und Therapie von<br />
Stenosen eine typische Indikation für Ballon-Enteroskopien.<br />
Bei der DBE kommt ein Endoskop mit einem Übertubus<br />
zum Einsatz. Ein Übertubus ist ein dünner, röhrenartiger<br />
Schlauch, der über das Endoskop gezogen wird. An der Spitze<br />
des Endoskops und am distalen Ende des Übertubus befindet<br />
sich je ein Ballon. Durch das aufeinanderfolgende, zeitversetzte<br />
Aufblasen und Entleeren der beiden Ballons schiebt<br />
sich das Endoskop durch den Dünndarm und der Dünndarm<br />
wird sukzessive auf den Übertubus aufgefädelt (push-and-pull<br />
Technik). Hierfür wird zunächst der Ballon des Übertubus aufgeblasen<br />
und so an der Darmwand fixiert, das freie Endoskop<br />
wird im Übertubus einige Zentimeter nach vorne geschoben<br />
und anschließend der Ballon an der Spitze des Endoskops aufgeblasen.<br />
Dadurch ist nun das Endoskop an der Darmwand<br />
fixiert, die Luft im Ballon des Übertubus wird abgelassen, der<br />
Übertubus auf diese Weise deblockiert und bis zum Endoskop<br />
vorgeschoben. Nachdem der Ballon des Übertubus wieder<br />
an der neuen Position aufgeblasen wurde, werden Übertubus<br />
und Endoskop gemeinsam zurückgezogen, wodurch der<br />
vorher inspizierte Darmabschnitt wie eine Ziehharmonika auf<br />
dem Übertubus aufgefädelt wird. Anschließend wird bei dem<br />
Ballon an der Endoskopspitze wieder die Luft abgelassen, das<br />
Endoskop erneut um einige Zentimeter nach vorne geschoben<br />
und der gesamte Vorgang wiederholt. Auf diese Weise kann<br />
Stück für Stück der Dünndarm inspiziert werden. Im Idealfall<br />
kann so der gesamte Dünndarm untersucht werden, oft muss<br />
aber der obere Teil peroral (obere DBE) und der untere Teil<br />
peranal (untere DBE) untersucht werden. Um sicherzustellen,<br />
dass bei der zweiteiligen Untersuchung der gesamte Dünndarm<br />
erreicht wurde, wird am Ende der oberen DBE die tiefste<br />
Stelle mit Tusche markiert und dann die untere DBE bis zu der<br />
Markierung durchgeführt.<br />
Die SBE als Vereinfachung der DBE nutzt auch einen Übertubus<br />
mit aufblasbarem Ballon am distalen Ende, allerdings<br />
hat die Endoskopspitze keinen Ballon. Die Stabilität der Endoskopspitze<br />
beim Zurückziehen wird durch Ansaugen der<br />
Darmwand erreicht.<br />
ENDOSKOPISCHE RETROGRADE CHOLANGIOPANKREATIKOGRAFIE (ERCP)<br />
Dieses Verfahren kann im Rahmen einer Gastroskopie bzw.<br />
Duodenoskopie sowohl diagnostisch als auch therapeutisch<br />
zur Anwendung kommen, wobei die diagnostische Indikation<br />
nur noch eine untergeordnete Rolle spielt und weitgehend<br />
durch andere bildgebende Verfahren ersetzt worden ist. Bei<br />
der diagnostischen Anwendung der ERCP wird vom Duodenum<br />
aus Kontrastmittel retrograd in die Galle und in die<br />
Pankreas gespritzt und anschließend eine Röntgenaufnahme<br />
angefertigt um die Gallenwege und den Pankreasgang darstellen<br />
zu können.<br />
Therapeutisch kann eine ERCP u. a. zur Behandlung von<br />
Gangstrikturen, Beseitigung von Konkrementen (durch Ausfällung<br />
entstandene Festkörper) in den Gallengängen und in<br />
der Pankreas sowie zur palliativen Tumortherapie zum Einsatz<br />
kommen. Über den Arbeitskanal des Endoskops können entsprechende<br />
Instrumente vorgeschoben werden, z. B. können<br />
Gallensteine mit Hilfe eines Dormiakörbchens, einem aus<br />
Drahtschlingen bestehenden, faltbaren Körbchens, geborgen<br />
werden. Bei Bedarf wird eine Papillotomie, eine Erweiterung<br />
der Mündung des Gallenganges (Vatersche Papille) mittels einem<br />
speziellen Katheter (Papillotom), durchgeführt. So können<br />
Gallensteine entfernt oder der Abfluss der Galle wieder<br />
ermöglicht werden. Die Erweiterung der Mündung ermöglicht<br />
auch andere diagnostische Optionen. So können über den Arbeitskanal<br />
des Endoskops Instrumente bis in den Gallengang<br />
geschoben werden, so z. B. ein Cholangioskop, wodurch die<br />
Betrachtung des Gallenganges ermöglicht wird (mother and<br />
child technique) oder eine spezielle Ultraschallsonde um den<br />
Gallengang sonographisch zu untersuchen (intraduktaler Ultraschall).<br />
ENDOSONOGRAPHIE<br />
Die Endosonographie (endoskopischer Ultraschall, EUS) kombiniert<br />
die Endoskopie mit Ultraschall und erlaubt so verschiedene<br />
diagnostische und therapeutische Optionen, darunter<br />
die endosonographische Feinnadelpunktion, welches das Mittel<br />
der Wahl zur Materialgewinnung bei Raumforderungen<br />
des Gastrointestinaltrakts und dessen Umgebung ist. Bei den<br />
EUS-gesteuerten Verfahren kommen spezielle Echoendoskope<br />
zum Einsatz, bei denen neben der Ausstattung mit Videoprozessor,<br />
Lichtquelle, Spül-Absaugkanal und Instrumentenkanal<br />
(z. B. für die Biopsienadel bei der Feinnadelpunktion) ein Ultraschallkopf<br />
radial oder longitudinal an die Spitze des Endoskops<br />
montiert ist.<br />
Die Kombination erlaubt zum einen die Beurteilung der<br />
Oberfläche per Endoskop und zum anderen die Beurteilung<br />
des Wandaufbaus und der umliegenden Strukturen per Ultraschall.<br />
38 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
POLYPEKTOMIE<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
Bei Endoskopien im Gastrointestinaltrakt sind Polypektomien<br />
ein häufiges diagnostisches und zugleich therapeutisches Manöver.<br />
Da die meisten Polypen Adenome sind, ist oft eine Polypektomie<br />
nötig, bei anderen Polypen, z. B. Lipome, erfolgt<br />
eine Abtragung nur bei Vorliegen einer Indikation wie einer<br />
Ulzeration oder einer Blutung oder weil die Polypen ein Passagehindernis<br />
darstellen. Sämtliche benötigten Instrumente<br />
werden durch den Instrumentenkanal des Endoskops bis an<br />
die betreffende Stelle im Gastrointestinaltrakt vorgeschoben.<br />
Vor der eigentlichen Polypektomie muss eventuell eine Blutungsprophylaxe<br />
erfolgen, also die Blutzufuhr des Polypen<br />
unterbrochen werden, hierfür stehen verschiedene Möglich-<br />
keiten wie Ligaturen, Metallclips oder Injektionen zur Verfügung.<br />
Dann wird eine Polypektomieschlinge aus Draht um<br />
den Polypen gelegt und vorsichtig geschlossen. Der Draht<br />
ist mit einem Hochfrequenz-Generator verbunden und kann<br />
so als Elektrokauter genutzt werden, der den Polypen mittels<br />
Strom abtrennt und oft auch im gleichen Arbeitsschritt<br />
die Schnittstelle koaguliert. In der Regel wird der abgetrennte<br />
Polyp anschließend geborgen, um ihn histologisch abklären<br />
zu können. Dafür können Greifwerkzeuge, Bergenetze oder<br />
Polypenfallen (Auffangbehältnis, das zwischen Endoskop und<br />
Absaugung angebracht wird) eingesetzt werden.<br />
ENDOSKOPISCHE ERNÄHRUNGSTECHNIKEN<br />
Während einer Endoskopie des Gastrointestinaltrakts können<br />
über die Arbeitskanäle des Endoskops auch Ernährunssonden<br />
gelegt werden. Ernährungssonden können z. B. notwendig<br />
werden bei Aspirationsgefahr, bei unzureichender Zufuhr<br />
von Substraten unter Supplementgabe oder zur Überbrückung<br />
von frischen Anastomosen. Bei den endoskopisch zu<br />
legenden Sonden kann unterschieden werden in nasale und<br />
perkutane Sonden, wobei die perkutanen Sonden vor allem<br />
in der Langzeitbehandlung Anwendung finden. Für die nasojejunale<br />
Sonde, also die Sonde über die Nase bis in das Jejunum,<br />
können verschiedene Techniken zum Einsatz kommen:<br />
So kann bei einlumigen Sonden die Sonde durch das Gastroskop<br />
in das Jejunum eingebracht und abschließend nasooral<br />
umgeleitet werden (through the scope). Für mehrlumige Sonden<br />
mit größerem Durchmesser bietet sich an entweder über<br />
das Endoskop zuerst ein Führungsdraht zu legen, der nasal<br />
umgeleitet wird und die Sonde dann entlang des Drahtes zu<br />
platzieren (over the wire) oder die Sonde wird nasal eingeführt<br />
bis in den Magen, wo eine über den Arbeitskanal des Endoskops<br />
eingeführte Zange das distale Ende greift und bis in das<br />
Jejunum führt (beneath the scope). Auch bei den perkutanen<br />
Sondenanlagen stehen unterschiedliche Techniken zur Verfügung;<br />
prinzipiell kann die Sonde dabei entweder von außen<br />
nach innen direkt durch die Bauchwand in den Magen oder<br />
den Darm gebracht werden (Direktpunktionstechnik) oder<br />
mittels Führungsfaden durch Mund und Speiseröhre bis hin<br />
zur Bauchwand und dann von innen nach außen durch eine<br />
Führungshülse gezogen werden (Fadendurchzugsmethode).<br />
© TwilightArtPictures – stock.adobe.com<br />
ENDOSKOPIEN ÜBER KÜNSTLICH GESCHAFFENE ZUGÄNGE<br />
Kommen wir nun zu den Endoskopien über künstlich geschaffene<br />
Zugänge. Die drei bedeutendsten sind die Spiegelungen<br />
der Bauch- und Beckenhöhle (Laparoskopie), der Brusthöhle<br />
(Thorakoskopie) sowie von Gelenkhöhlen (Arthroskopie).<br />
Laparoskopie<br />
Bei der Laparoskopie wird das starre Endoskop über einen Zugang<br />
durch den Bauchnabel in die Bauchhöhle eingeführt. Zusätzlich<br />
werden noch ein bis zwei Zugänge mittels Einstiche in<br />
die Bauchdecke geschaffen, über diese die Instrumente (z. B.<br />
Saug-Spüleinheiten, Elektrokauter, Schere, Greifzange) in die<br />
Bauchhöhle eingebracht werden können. In der Regel werden<br />
die Zugänge in den Bauchraum über Trokare geschaffen. Diese<br />
sind Stifte aus Titan, chirurgischem Stahl oder Kunststoff, die<br />
in einem Tubus (Rohr) stecken. Nachdem der Trokar als Ganzes<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 39
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
durch die Bauchdecke geführt wurde, wird der innenliegende<br />
Stift rausgezogen und der Tubus verbleibt in der Bauchdecke.<br />
So kann der Zugang offengehalten werden. Für eine bessere<br />
Sicht und mehr Platz wird oft Kohlenstoffdioxid in die Bauchhöhle<br />
eingeleitet, wodurch sich die Bauchdecke hebt.<br />
Die Laparoskopie wird bei einer Reihe von diagnostischen<br />
und therapeutischen Indikationen durchgeführt, darunter z. B.<br />
Diagnostik gut-/bösartiger Neubildungen der gastro-intestinalen<br />
und uro-genitalen Organe; Biopsien; Beurteilung der<br />
Operabilität von Tumore; Beurteilung der Metastasierung<br />
Beurteilung der Funktion von Organen, z. B. Durchlässigkeit<br />
der Eileiter bei unerfülltem Kinderwunsch<br />
Cholezystektomie; Appendektomie<br />
Hernienoperation<br />
Sterilisation bei der Frau<br />
Kolonresektion<br />
Thorakoskopie<br />
Analog zur Spiegelung der Bauchhöhle kann auch die Brusthöhle<br />
endoskopisch untersucht und Pathologien im Bereich<br />
der Pleura und der pleuranahen Lunge wie z. B. Pleuraergüsse,<br />
periphere Lungenrundherde oder Tumore der Pleurahöhle<br />
therapiert werden. Wie bei der Laparoskopie beschrieben,<br />
werden auch bei der Thorakoskopie Trokare mit Tubus in die<br />
Brustwand eingebracht und anschließend das Thorakoskop<br />
und die Instrumente durch die Zugänge geführt. Das Eröffnen<br />
der Brusthöhle im Zuge der Thorakoskopie führt zu einem gewollten<br />
Pneumothorax, da der Unterdruck aufgehoben wird<br />
und die Lunge kollabiert. Somit ermöglicht der entstandene<br />
Raum eine gute Einsicht in das Operationsfeld. Nach Abschluss<br />
der Thorakoskopie kann eine Thoraxdrainage gelegt werden,<br />
die durch den Unterdruck im Pleuraspalt hilft, dass sich die<br />
Lunge wieder entfaltet. Die Thorakoskopie verdrängt zunehmend<br />
die offene Thorakotomie, wobei in der Regel während<br />
einer Thorakoskopie die Bereitschaft zur Thorakotomie bei<br />
Bedarf bestehen sollte. Häufig findet die Thorakoskopie als<br />
videoassistierte Thorakoskopie (VATS) mit Endoskopen mit Videoprozessor<br />
statt.<br />
Arthroskopie<br />
Der Anteil an rein diagnostische Arthroskopien ist heutzutage<br />
durch die Weiterentwicklung der Kernspintomografie selten<br />
geworden, so dass die Arthroskopie in der Regel therapeutisch<br />
angewandt wird. Ihr Einsatzgebiet ist hier vielfältig und<br />
auch vom betroffenen Gelenk abhängig, wobei die Arthroskopie<br />
bei immer mehr Gelenken inkl. Kiefergelenk zum Einsatz<br />
kommt. Das Grundprinzip aller Arthroskopien bleibt dabei<br />
gleich: Analog zu den Spiegelungen der Bauch- und der<br />
Brusthöhle werden auch bei der Spiegelung der Gelenkhöhle<br />
mit Hilfe von Trokaren Zugänge geschaffen und über diese das<br />
Endoskop und die unterschiedlichen Instrumente eingeführt.<br />
Zur besseren Sicht kann die Gelenkhöhle mit einer sterilen<br />
Flüssigkeit oder mit Kohlendioxid-Gas ausgefüllt werden. In<br />
manchen Fällen wird durch eine, vor der Arthroskopie angelegten,<br />
Manschette die Blutzufuhr kurzzeitig gedrosselt, wenn<br />
eine Blutung die Sicht auf das Operationsgebiet behindert.<br />
Zunehmend werden auch extraartikuläre Pathologien mit<br />
Hilfe endoskopischer Operationstechniken behandelt. Voraussetzung<br />
dafür ist das Vorhandensein eines Hohlraumes,<br />
der mit Gas oder Flüssigkeit aufgefüllt werden kann. Daher<br />
eignen sich prinzipiell auch peritendinöse Gleitschichten oder<br />
Schleimbeutel für eine Endoskopie. Ein Beispiel für eine solche<br />
extraartikuläre Endoskopie ist die Tendoskopie der Achillessehne,<br />
bei der das Paratenon (Sehnengleitgewebe) von der<br />
Sehne abgehoben wird und so einen Hohlraum für die Endoskopie<br />
entstehen lässt.<br />
ENDOSKOPIE<br />
DIAGNOSTIK<br />
Literatur<br />
Axt, S.; Bettin, J.; Kirschniak, A. (2017): Grundlagen der Laparoskopie. In: Kirschniak,<br />
A.; Granderath, F.A. (Hrsg.). Laparoskopie in der chirurgischen Weiterbildung.<br />
Grundtechniken und Standardeingriffe. Heidelberg: Springer, 1–17.<br />
Bergmann, T.; Bölükbas, S.; Beqiri, S.; Schirren, J. (2006): Diagnostische videoassistierte<br />
Thorakoskopie. Der Chirurg, (11):998–1006.<br />
Ching, H.L.; McAlindon, M.E.; Sidhu, R. (2017): An update on small bowel endoscopy.<br />
Curr Opin Gastroenterol, 33(3):181–188.<br />
Dorrmann, A. (2016): Endoskopische Ernährungstechniken. In: Kähler, G.; Götz, M.;<br />
Senninger, N. (Hrsg.). Therapeutische Endoskopie im Gastrointestinaltrakt. Heidelberg:<br />
Springer, 139–175.<br />
Ell, C.; May, A.; Nachbar, L.; Plum, N. (2006): Dünndarmendoskopie – Innovationen<br />
in Diagnostik und Therapie. Dtsch Ärztebl, 103(45):A3003–A3309.<br />
Kähler, G. (2016): Endoskopische Resektionsverfahren. In: Kähler, G.; Götz, M.; Senninger,<br />
N. (Hrsg.). Therapeutische Endoskopie im Gastrointestinaltrakt. Heidelberg:<br />
Springer, 1–24.<br />
Khanavkar, B.; Ewig, S.; Darwiche, K.; Hecker, E.; Volmerig, J.; Bollow, M. (2009):<br />
Indikationen. In: Nakhosteen, J.A.; Khanavkar, B.; Darwiche, K.; Scherff, A.; Hecker,<br />
E.; Ewig, S. (Hrsg.). Atlas und Lehrbuch der Thorakalen Endoskopie. 4. Auflage.<br />
Heidelberg: Springer, 91–156.<br />
Kriegelstein, S.; Altenberger, S.; Röser, A.; Walther. M. (2016): Tendoskopie der<br />
Achillessehne. Indikation, Technik und Ergebnisse. Unfallchirurg, 119(2): 120–124.<br />
Lucke, B.; Jenssen, C. (2011): Endosonografie mit Feinnadelpunktion. Endo-Praxis,<br />
27(2): 68–74.<br />
Meining, A.; Götz, M. (2016): Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie.<br />
In: Kähler, G.; Götz, M.; Senninger, N. (Hrsg.). Therapeutische Endoskopie im<br />
Gastrointestinaltrakt. Heidelberg: Springer, 67–95.<br />
Michelotti, B.F.; Chung, K.C. (2017): Diagnostic Wrist Arthroscopy. Hand Clin 33(4):<br />
571–583.<br />
40 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
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FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
UNGEDULDIGE PATIENTEN<br />
GEHT ES NICHT SCHNELLER?<br />
Text: Rolf Leicher<br />
Lieferzeiten verkürzen, Fahrzeiten verkürzen, Heilbehandlung verkürzen. Alles muss heute schneller gehen als früher, Tempo ist<br />
gefragt. Schnell wieder gesund und schmerzfrei sein, schnell beruflich einsatzfähig und wieder sportlich aktiv sein – der Wunsch<br />
vieler Patienten. Warten ist lästig. Ungeduld verursacht nicht nur Stress bei Patienten.<br />
DIE ERWARTUNGEN DER PATIENTEN<br />
»Das Gras wächst nicht schneller, wenn man daran zieht«,<br />
sagt ein chinesisches Sprichwort. Das wird überhört, der Patient<br />
will in den Urlaub und fit sein, er nimmt am liebsten den<br />
Therapeuten in die »Verantwortung«. Aus dem Internet informieren<br />
sich Patienten über die Dauer von Beschwerden, über<br />
den Zeitraum des Heilungsprozesses, dadurch entsteht eine<br />
Erwartungshaltung. Die gefühlte Wartezeit ist dreimal länger<br />
als die echte Zeit. Das Warten auf den Behandlungserfolg<br />
stellt nicht nur Patienten auf eine Geduldsprobe. Ungeduld<br />
zeigt sich nicht nur, wenn der Patient auf einen Behandlungstermin<br />
warten muss.<br />
BEISPIELE AUS DER PHYSIO-PRAXIS<br />
Der Patient:<br />
»Das dauert ja lange bis zur<br />
Heilung. Kann man das nicht<br />
irgendwie verkürzen?«<br />
Der Therapeut versteht:<br />
Der Patient ist unzufrieden,<br />
er beschwert sich.<br />
Er reagiert:<br />
»Da muss ich Sie enttäuschen,<br />
Sie müssen eben Geduld haben, Sie<br />
können nicht erwarten, dass …«<br />
Versteht der Physiotherapeut die Äußerung des Patienten als<br />
Kritik, hat er ihn missverstanden. Er fühlt sich kritisiert, obwohl<br />
der Patient nur fragt, ob es nicht schneller geht, ob man<br />
die Tage zwischen zwei Behandlungen nicht verkürzen kann.<br />
Das ist keine Kritik, sondern die versteckte Frage »Können Sie<br />
mir mal erklären, warum das so lange dauert, geht es nicht<br />
schneller?« Aussagen kann man auch als eine indirekte Frage<br />
verstehen.<br />
Kontraproduktiv sind Appelle wie »Sie dürfen jetzt aber nicht<br />
ungeduldig sein« oder »Sie müssen eben mehr Geduld haben.«<br />
Dadurch fühlt sich der Patient belehrt und abgewertet.<br />
Worte wie »müssen« oder »dürfen nicht« oder »Das geht<br />
nicht schneller« hören sich belehrend an, von oben herab und<br />
verschlechtern die Gesprächsatmosphäre. Negative Worte, sogenannte<br />
Killerformulierungen, werden von sensiblen Patienten<br />
auch als persönliche Kritik verstanden.<br />
E<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 41
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
GESPRÄCHSTECHNIKEN BEI UNGEDULDIGEN PATIENTEN<br />
Längere Behandlungen sind für den Patienten zeit- und kostenaufwendig<br />
und enttäuschen ihn. Enttäuschung ist ein Gefühl,<br />
auf das eine verstandsgemäße Antwort des Therapeuten<br />
nur bedingt passt. Gefühle des Patienten werden zunächst<br />
emotional mit der Anteilnahme beantwortet: »Ich kann mir<br />
vorstellen, dass Sie einen schnelleren Behandlungserfolg erwarten.«<br />
Nach einer Sekundenpause erklärt man ihm dann,<br />
warum das nicht möglich ist. Patienten dürfen nicht das Gefühl<br />
haben, dass man sie negativ bewertet, ihnen Ungeduld unterstellt.<br />
Wer hört schon gerne, dass er ungeduldig ist? Zweckmäßig<br />
ist es, dem Patienten zu vermitteln, dass er längst nicht<br />
der Einzige ist, der einen schnellen Erfolg sehen will. Weiß<br />
der Patient, dass es anderen auch so geht, fühlt er sich nicht<br />
isoliert.<br />
Checkliste »Anteilnahme an der Ungeduld«<br />
»Ich weiß, dass die Behandlungen für Sie sehr<br />
zeitaufwändig sind.«<br />
»Mir ist klar, dass Sie schnell wieder fit sein möchten.«<br />
»Ich kann gut nachempfinden, dass Sie schmerzfrei<br />
sein wollen.«<br />
»Ich habe Verständnis, wenn Sie die Termine am<br />
liebsten reduzieren würden.«<br />
Es hat sich auch bewährt, seine Gefühle vorwegnehmen (»Antizipation<br />
negativer Gefühle«). Damit versetzt man sich in die<br />
Situation des Patienten. Statt zu warten, bis der Patient seine<br />
Enttäuschung und Ungeduld zum Ausdruck bringt, formuliert<br />
man schon im Vorfeld etwa so »Ich weiß, dass Sie jetzt enttäuscht<br />
sind, wenn ich Ihnen sage, dass Sie noch mindestens<br />
vier Behandlungen brauchen, weil …«. Wer mit dem Kopf des<br />
Patienten denkt, sich auf seinen Stuhl setzt, kann sich schnell<br />
in seine Lage versetzen und reagiert dann zielgerichtet.<br />
Viele Physiotherapeuten haben auch Erfolg mit dem sogenannten<br />
»Perspektivenwechsel«. Dabei versetzt man sich<br />
selbst in die Situation des Patienten und berichtet über einen<br />
eigenen Fall: »Mir ging es kürzlich auch so. Ich musste mehrmals<br />
zum Zahnarzt und konnte auch nicht verstehen, warum<br />
die Behandlung solange ging. Da ist es mir auch schwer gefallen,<br />
geduldig zu sein«.<br />
Neu und etwas ungewöhnlich ist die sogenannte<br />
»Worst-Case-Methode«. Danach wird der Patient darauf<br />
hingewiesen, was schlimmstenfalls passieren kann, wenn er<br />
die Behandlung abbricht. Worst-Case heißt, den Teufel an<br />
die Wand zu malen. Bei »Worst-Case« vergleicht man auch<br />
die Beschwerden des Patienten mit anderen, ähnlichen Fällen,<br />
wo die Behandlung viel länger ging. Im vorliegenden Fall<br />
darf der Patient mit sich zufrieden sein, er ist viel besser dran<br />
als andere. Er ist ein sogenannter »Best Case«. Fühlt sich der<br />
anspruchsvolle Patient anerkannt, geschätzt und verstanden,<br />
nimmt er die Absage positiver und gelassener auf.<br />
Nur der detaillierte Erklärungshintergrund macht die Situation<br />
für den Patienten transparent. Kann er den Grund für<br />
weitere notwendige Behandlungen nachvollziehen, wird er<br />
mehr Verständnis aufbringen. Er muss so viele Informationen<br />
erhalten, dass es ihm rational und emotional unmöglich wird,<br />
weiterhin seinen Wunsch nach Verkürzung der Behandlungen<br />
oder engeren Terminen aufrecht zu erhalten. Das ist viel wirkungsvoller,<br />
als an sein Einsehen zu appellieren, (»Ich bitte um<br />
Verständnis, es macht keinen Sinn, morgen schon die Behandlung<br />
fortzusetzen«), was für den Patienten nicht überzeugend<br />
klingt. Man sollte den Patienten nicht um Verständnis bitten,<br />
sondern Verständnis für seine Situation haben. (»Ich verstehe<br />
Ihre Enttäuschung, wenn ich Ihnen morgen keinen Termin geben<br />
kann«).<br />
NEGATIVWÖRTER<br />
Ja, aber<br />
…<br />
Negative Worte des Patienten »Das dauert aber lange« werden<br />
allzu oft persönlich genommen und führen zur falschen<br />
Reaktion: »Das ist doch nicht lange« (negativ), Widerspruch<br />
ist immer eine negative Wertung der Situation. Das schadet<br />
der Gesprächsatmosphäre und wird als Unfreundlichkeit gesehen.<br />
Stattdessen erklärt der Therapeut, warum es länger<br />
geht. Je genauer man dem Patienten den Sachverhalt<br />
erklärt, desto schneller kommt die Einsicht, dass<br />
Geduld bei der Behandlung notwendig ist. Mit der<br />
»Ja, aber Taktik« haben Therapeuten auch Erfolg bei<br />
ungeduldigen Patienten (»Ja, das dauert tatsächlich länger als<br />
geplant, aber das liegt an folgendem …«). Bezieht sich der<br />
Patient auf Internet-Recherchen, darf man diese nicht bezweifeln<br />
oder abwerten, das wirkt wie Kritik. Das schlimmste, was<br />
passieren kann, ist der Abbruch der Behandlung und der Griff<br />
zu Tabletten, die langfristig auch nicht helfen.<br />
Da man keine Rückmeldung vom Patienten erhält, weiß<br />
man auch nicht, wie er die Appelle »Sie müssen eben mehr<br />
Geduld haben« auffasst, wie er sie versteht, bewertet und<br />
welche Konsequenzen er daraus zieht.<br />
Grundsätzlich sollte man nicht in der »Ich-Form«<br />
sprechen, sondern in der »Wir-Form«. Denn mit<br />
»Ich« drückt man eine Einzelmeinung aus, seine eigene<br />
Meinung. In der »Wir-Form« äußert man die Ansicht<br />
und Kompetenz des Teams, also mehrerer Personen und tritt<br />
damit wirkungsstärker auf.<br />
42 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
WIE PATIENTEN DIE PHYSIOTHERAPIE BEWERTEN<br />
FÜR DEN PRAXISALLTAG<br />
1<br />
2<br />
3<br />
4<br />
5<br />
6<br />
7<br />
very best case<br />
Der Patient bekommt einen schnellen Behandlungstermin,<br />
sein Terminwunsch kann meist berücksichtigt<br />
werden.<br />
Mitarbeiter nehmen Anteil an den Emotionen des ungeduldigen<br />
Patienten und geben ihm ein gutes Gefühl.<br />
Der Patient erhält nachvollziehbare Informationen,<br />
weshalb weitere Behandlungen nötig sind.<br />
Der Physiotherapeut versteht die Ungeduld des<br />
Patienten nicht als Kritik, sondern als Frage, ob es andere<br />
Möglichkeiten gibt.<br />
Auf die Meinung des Patienten wird nicht mit Widerspruch<br />
geantwortet, sondern mit der »Ja-aber-Methode«.<br />
Der ungeduldige Patient genießt auch die volle<br />
Aufmerksamkeit, der Therapeut lässt sich nicht von der<br />
Ungeduld beeinflussen.<br />
Mitarbeiter können schwierige Fragen kompetent<br />
beantworten.<br />
second best case<br />
Häufig dauert es mehrere Tage bis er einen freien<br />
Termin bekommt und muss dann einen für ihn<br />
ungünstigen Termin annehmen<br />
Sie reagieren kurz angebunden mit »Tut mir leid«<br />
und zeigen kein Verständnis, keine aktive Empathie.<br />
Man empfiehlt dem Patienten, ohne sich um eine Erklärung<br />
zu bemühen, seinen Arzt nochmal zu fragen.<br />
Der Physiotherapeut reagiert auf Ungeduld mit Appellen<br />
und belehrt den Patienten.<br />
Eine Meinung, die nicht stimmt wird gleich korrigiert<br />
und das Selbstwertgefühl des Patienten herabgesetzt.<br />
Ungeduldige Patienten werden mit Argwohn gesehen,<br />
man entzieht ihnen die Sympathie.<br />
Sie können nur Standardfragen beantworten und verweisen<br />
bei schwierigen Fragen gleich auf den Arzt.<br />
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<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 43
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Die Autoren dieser Ausgabe:<br />
Klaas Stechmann<br />
Verena Gesing<br />
Laura Boller-Hoffecker<br />
Lea Schmidt<br />
Agnes Wand<br />
Silke Wolf<br />
Patricia Frahm<br />
Leonie von Lochow<br />
Jesper Schwarz<br />
Susanne Klotz<br />
Hier könnte auch dein<br />
Bild zu sehen sein!<br />
Rolf Leicher<br />
Bernard C. Kolster<br />
Benjamin Bareiss<br />
46 <strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong>
VERANSTALTUNGEN & TERMINE<br />
Datum Veranstaltung Ort Internet<br />
APRIL <strong>2019</strong><br />
01.04.–04.04.<strong>2019</strong> Spring-School des Deutschen Netzwerks für Versorgungsforschung Bonn<br />
04.04.–07.04.<strong>2019</strong> FIBO – Messe für Fitness, Wellness und Gesundheit Köln www.fibo.de<br />
05.04.–06.04.<strong>2019</strong> 7. Interprofessioneller Gesundheitskongress <strong>2019</strong> Dresden<br />
15.04.–17.04.<strong>2019</strong><br />
MAI <strong>2019</strong><br />
28. Rehawissenschaftliches Kolloquium und 15th EFRR-Congress <strong>2019</strong> »Rehabilitation –<br />
Shaping healthcare for the future«<br />
02.05.–03.05.<strong>2019</strong> 2. Internationales Symposium Gesundheitskompetenz Bielefeld<br />
Berlin<br />
www.gesundheitskongresse.de/<br />
dresden/<strong>2019</strong>/<br />
04.05.<strong>2019</strong> 8. Berliner Lymphologisches Symposium Berlin<br />
04.05.–07.05.<strong>2019</strong> Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin e. V. Wiesbaden www.dgim<strong>2019</strong>.de<br />
10.05.–13.05.<strong>2019</strong> World Confederation for Physical Therapy Congress Genf (CH)<br />
https://www.wcpt.org/congress/<br />
wcpt<strong>2019</strong><br />
16.05.–18.05.<strong>2019</strong> Internationale Fachmesse Rehab Karlsruhe www.rehab-karlsruhe.com<br />
17.05.–18.05.<strong>2019</strong> 43. Fortbildungstagung der Vereinigung der Bobath-Therapeuten Deutschlands e. V. Karlsruhe www.bobath-vereinigung.de<br />
21.05.–23.05.<strong>2019</strong> Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit Berlin www.hauptstadtkongress.de<br />
22.05.–25.05.<strong>2019</strong> 32. Jahrestagung der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie e. V. Koblenz www.dmgp-kongress.de<br />
JUNI <strong>2019</strong><br />
05.06.–06.06.<strong>2019</strong><br />
JULI <strong>2019</strong><br />
Zi-Congress Versorgungsforschung<br />
(Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland)<br />
08.07.–19.07.<strong>2019</strong> Summer-School Utrecht: Rehabilitation of the Hand Utrecht (NL)<br />
SEPTEMBER <strong>2019</strong><br />
Berlin<br />
www.zi-congress-de<br />
06.09.–07.09.<strong>2019</strong> therapie on tour mit pt HOLIdays Bochum www.therapie-ontour.de<br />
07.09.<strong>2019</strong> NEURO <strong>2019</strong> Bremen<br />
12.09.–14.09.<strong>2019</strong> 124. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Physikalische Medizin und Rehabilitation München www.dgpmr-kongress.de<br />
25.09.–28.09.<strong>2019</strong> Jahrestagung der Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA) Frankfurt/Main www.gma<strong>2019</strong>.de<br />
27.09.–28.09.<strong>2019</strong> TheraPro Essen mit <strong>physio</strong>kongress West Essen<br />
OKTOBER <strong>2019</strong><br />
www.nap-gesundheitskompetenz.de/tagung/<br />
https://www.utrechtsummerschool.nl/courses/healthcare/rehabilitation-of-the-hand<br />
www.messe-stuttgart.de/therapro-essen<br />
03.10.–05.10.<strong>2019</strong> 43. Jahreskongress der »Deutsche Gesellschaft für Lymphologie e. V.« Bad Krozingen www.lymphologie-kongress.de<br />
09.10.–11.10.<strong>2019</strong> Deutscher Kongress für Versorgungsforschung Berlin http://dkvf<strong>2019</strong>.de<br />
22.10.–25.10.<strong>2019</strong> Deutscher Kongress für Orthopädie und Unfallchirurgie Berlin https://dkou.org<br />
25.10.–26.10.<strong>2019</strong> therapie Hamburg Hamburg www.therapiemesse-hamburg.de<br />
NOVEMBER <strong>2019</strong><br />
07.11.–08.11.<strong>2019</strong> Dreiländer-Tagung für Gesundheitsberufe Bochum<br />
18.11.–21.11.<strong>2019</strong> Medica Düsseldorf www.medica.de<br />
22.11.–23.11.<strong>2019</strong> 4. Forschungssymposium Physiotherapie Hildesheim<br />
DEZEMBER <strong>2019</strong><br />
04.12.–06.12.<strong>2019</strong> 19. Kongress der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin Hamburg www.divi<strong>2019</strong>.de<br />
05.12.–07.12.<strong>2019</strong> 26. Jahrestagung der Deutsche Gesellschaft für Neurorehabilitation Leipzig www.dgnr-tagung.de/<br />
Quellen Veranstaltungskalender<br />
• AWMF – Kongresskalender, AWMF online Das Portal der wissenschaftlichen Medizin, http://www.awmf.org/service/kongresskalender.html<br />
• Physio Deutschland Deutscher Verband für Physiotherapie (ZVK) e.V., https://www.<strong>physio</strong>-deutschland.de/fachkreise/veranstaltungen.html<br />
• PT – Portal für Physiotherapeuten, https://www.<strong>physio</strong>therapeuten.de/termines<br />
<strong>physio</strong>-<strong>Journal</strong> 47
AUSBLICK<br />
<strong>physio</strong><br />
<strong>Journal</strong><br />
DAS ERWARTET EUCH<br />
IN DER 19. AUSGABE<br />
TITELTHEMA: BEFUND<br />
Physiotherapeutischer Befund<br />
Wichtige Hintergrundinformationen zum Aufbau eines Befundbogens<br />
Evidenz in der Physiotherapie<br />
Die Bedeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse für den <strong>physio</strong>therapeutischen Befund<br />
Workshop Befundaufbau<br />
Beispiel eines MT-Befundbogens<br />
Healthy Food<br />
Mit Lebensmitteln die Therapie unterstützen<br />
Tests und Assessments<br />
Die Umfangsmessung<br />
Weiteres:<br />
Physiologiekarten<br />
Muskelplakat<br />
Assessments<br />
Veranstaltungskalender<br />
… und vieles mehr<br />
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