atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2019
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<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue 4 ı April<br />
ENERGY POLICY, ECONOMY AND LAW 208<br />
Das 15. Deutsche Atomrechtssymposium:<br />
Eine Standortbestimmung<br />
Ulrike Feldmann<br />
Vom 12. bis 13. November 2018 fand in Berlin auf Einladung des Bundesumweltministeriums das 15. Deutsche<br />
Atomrechtssymposium (DARS) statt. Die wissenschaftliche Leitung der mit ca. 170 Teilnehmern gut besuchten<br />
Veranstaltung oblag wie bereits beim 14. DARS erneut Prof. Dr. Martin Burgi, LMU München.<br />
Das Symposium war 4 Themenblöcken<br />
gewidmet, u.z.:<br />
1) den juristischen Perspektiven nach<br />
dem Ausstiegsurteil des Bundesverfassungsgerichts<br />
(BVerfG),<br />
2) den aktuellen Rechtsfragen der<br />
nuklearen Sicherheit,<br />
3) dem Strahlenschutzrecht sowie<br />
4) Fragen des Standortauswahlverfahrens.<br />
Den Einführungsvortrag zum aktuellen<br />
Atom- und Strahlenschutzrecht<br />
hielt Jochen Flasbarth, Staatssekretär<br />
im Bundesumweltministerium (BMU).<br />
Einen großen Schwerpunkt seines<br />
Vortrages betraf die Frage einer rechtssicheren<br />
Stilllegung der Anreicherungsanlage<br />
in Gronau sowie der<br />
Brennelementfabrik in Lingen und<br />
eines Exportverbots für Brennelemente.<br />
Flasbarth machte keinen Hehl<br />
aus seiner Überzeugung, dass er<br />
sowohl die Stilllegung der beiden<br />
Anlagen als auch das Exportverbot für<br />
notwendig hält, und bedauerte, dass<br />
nicht alle Bundesressorts diese Auffassung<br />
teilen. Allerdings müsse man<br />
der Bevölkerung ehrlich sagen, dass<br />
auch bei Stilllegung der kerntechnischen<br />
Anlagen in Gronau und Lingen<br />
die ausländischen Kernkraftwerke<br />
(KKW) weiter laufen würden. Einer<br />
Laufzeitverlängerung für ausländische<br />
KKW stehe das BMU im Übrigen<br />
kritisch gegenüber. Flasbarth <strong>for</strong>derte<br />
für diese Fälle eine grenzüberschreitende<br />
UVP. Ferner kritisierte<br />
Flasbarth, dass die EVU über ihre<br />
gemeinsame Tochtergesellschaft, die<br />
Gesellschaft für Nuklear-Service mbH<br />
(GNS), mit der Abfallentsorgung<br />
„auch noch Geld verdient haben“. Im<br />
Auditorium konnte sich mancher Teilnehmer<br />
des Eindrucks nicht erwehren,<br />
dass hier der regulatorische und<br />
moralisierende Staat wieder einmal<br />
grüßen ließ.<br />
Nach dieser unmissverständlichen<br />
Standortbestimmung des Gastgebers<br />
eröffnete Burgi die 1. Fachsitzung<br />
und fragte in seinem Vortrag nach<br />
„Ver änderte(n) Maßstäbe(n) für<br />
Gesetzgebung und Verwaltungsvollzug<br />
im Atomrecht“ und danach,<br />
ob das Atomrecht als Referenzrecht<br />
für andere Rechtsgebiete dienen<br />
könne. Den Grund für veränderte<br />
Maß stäbe sah Burgi in einer Änderung<br />
der Sicherheitsphilosophie. In<br />
Bezug auf den atomrechtlichen Verwaltungsvollzug,<br />
bei dem, wie vielen<br />
Lesern noch in Erinnerung sein wird,<br />
der ehemalige Präsident des Bundesver<br />
waltungs gerichts Prof. Dr. Horst<br />
Sendler in einem Vortrag 1991 bereits<br />
den „ausstiegsorientierten Gesetzesvollzug“<br />
ausgemacht hatte, stellte<br />
Burgi nun diesem Begriff noch einen<br />
„Zwillingsbruder“ zur Seite, den<br />
„ausstiegs beschleunigenden Gesetzesvollzug“,<br />
den er mit den Worten<br />
beschrieb: „Piesacken, bis der Betreiber<br />
aufgibt“. Einer Umsetzung der geänderten<br />
Sicherheitsphilosophie mit<br />
Hilfe reiner Verwaltungsmaßnahmen<br />
erteilte Burgi – weil verfassungswidrig<br />
– eine klare Absage. Für gesetzgeberische<br />
Maßnahmen wiederum, z.B.<br />
zur Beschleunigung des „Kohleausstiegs“,<br />
gebe das Urteil des BVerfVG<br />
vom 6.12.2016 „keinen Rückenwind“.<br />
Ein gesetzlich fixierter fester Abschalttermin<br />
wirke wie eine Übergangsregelung<br />
mit Bestandsschutz. Ein ausstiegsbeschleunigender<br />
Gesetzesvollzug<br />
kurze Zeit nach Festsetzung des<br />
Abschalttermins sei unverhältnismäßig,<br />
also verfassungswidrig, und<br />
könne nicht durch Ausgleichsmaßnahmen<br />
geregelt werden.<br />
Im letzten Teil seines Vortrags<br />
wandte Burgi sich der verfassungsrechtlichen<br />
Beurteilung einer Beendigung<br />
der Brennelementfertigung und<br />
der Urananreicherung in Deutschland<br />
zu. Er wies darauf hin, dass es hier<br />
nicht wie bei Kernkraft- und Kohlekraftwerken<br />
eine vorfindliche Rechtslage<br />
gibt, sondern diese Anlagen über<br />
unbefristete Genehmigungen verfügen.<br />
Das Ziel, die Beendigung des<br />
Betriebs dieser Anlagen, hielt Burgi<br />
dagegen für legitim. Es handele sich<br />
um Hochrisikotechnologieanlagen,<br />
auch wenn Eintrittswahrscheinlichkeit<br />
und Schadenshöhe als geringer<br />
einzustufen seien als bei Kernkraftwerken<br />
(KKW).<br />
Als Ergebnis der verfassungsrechtlichen<br />
Prüfung stellte Burgi fest, dass<br />
bei einer Beendigung von Urananreicherung<br />
und Brennelementfertigung<br />
auf jeden Fall höhere Laufzeiten und<br />
ein deutlich höherer Ausgleich als bei<br />
der 13. AtG-Novelle er<strong>for</strong>derlich<br />
seien. Insgesamt sei festzuhalten, dass<br />
die Relevanz des Urteils des BVerfG<br />
vom 6.12.2016 für jeden Fall gesondert<br />
zu betrachten sei.<br />
Prof. Dr. Thomas Schomerus,<br />
Universität Lüneburg und Dr. Ulrich<br />
Karpenstein, Redeker Sellner Dahs<br />
Rechtsanwälte PartG mbB, befassten<br />
sich in ihren nachfolgenden Beiträgen<br />
ebenfalls mit der Frage der „Konsequenzen<br />
für den Umgang mit<br />
anderen Technologien“.<br />
Schomerus untersuchte die Frage<br />
„Kohleausstieg nach dem Muster<br />
des Atomgesetzes?“. Er nannte als<br />
Parallelen bei der Umsetzung des<br />
Kohleausstiegs die grundsätzliche<br />
Vereinbarkeit mit EU-Recht sowie die<br />
Qualifizierung von Stilllegungsregelungen<br />
nicht als Enteignung,<br />
sondern als Inhalts- und Schrankenbestimmung<br />
gemäß Art. 14 Abs. 1 S. 1<br />
GG und empfahl zur rechtlichen<br />
Umsetzung ein Ausstiegsgesetz, das<br />
insbesondere Laufzeitbefristungen<br />
und zur Vermeidung einer Ausgleichspflicht<br />
Übergangs- und Härtefallregelungen<br />
enthalten solle. Für<br />
empfehlenswert hielt Schomerus<br />
ebenfalls einen „Kohlekonsens“ ähnlich<br />
dem „Atomkonsens“.<br />
Karpenstein stellte eingangs seines<br />
Referates fest, dass auch Hochrisikotechnologien<br />
grundrechtlichen<br />
Schutz beanspruchen können. Dies<br />
gelte erst recht für Unternehmen<br />
ohne Hochrisikotechnologie bzw. für<br />
Betriebe mit geringerem Risiko. Zwar<br />
sei es richtig, dass der Gesetzgeber<br />
frühzeitig Gefahren Rechnung tragen<br />
solle, Grundrechtseingriffe bedürften<br />
aber gleichwohl der Legitimierung.<br />
Karpenstein betonte, der Rekurs auf<br />
die Akzeptanz der Bevölkerung müsse<br />
die absolute Ausnahme bleiben. So<br />
habe es auch das Bundesverfassungsgericht<br />
gesehen: Wo es nicht um<br />
Hochrisikotechnologie gehe, dürfe die<br />
Akzeptanz keine Rolle spielen. Das<br />
Urteil vom 6.12.2016 zeige außerdem,<br />
Energy Policy, Economy and Law<br />
The 15 th Deutsche Atomrechtssymposium: An Determination of the Curent Situation ı Ulrike Feldmann