atw - International Journal for Nuclear Power | 04.2019
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<strong>atw</strong> Vol. 64 (2019) | Issue 4 ı April<br />
EDITORIAL 184<br />
EPR – kein Abgesang<br />
Liebe Leserin, lieber Leser, zum Ende des vergangenen Jahres war der EPR schon einmal Thema dieses<br />
Editorials. Im Verlaufe des Jahres 2018 war der erste weltweit in Betrieb genommene EPR im chinesischen Taishan,<br />
ein weiterer baugleicher Block befindet sich vor seiner Fertigstellung, eines von fünf in Betrieb genommenen Kernkraftwerken<br />
der Generation III+. Generation III+ Reaktoren kombinieren die technisch ausgereiften erfolgreichen<br />
Konzepte der Leistungsreaktorentwicklungen der 1970er- bis 1990er-Jahre mit zusätzlichen Sicherheitsmerkmalen und<br />
wirtschaftlichen Verbesserungen.<br />
Der EPR, ursprünglich im Original als „European<br />
Pressurized Reactor“ bezeichnet, heute „Evolutionary<br />
<strong>Power</strong> Reactor“, ist das leistungsstärkste Kernkraftwerk<br />
und Kraftwerk überhaupt der Welt. Er ist das konsequente<br />
Ergebnis einer erfolgreichen Zusammenarbeit von<br />
tausenden Beschäftigten aus allen Bereichen der Naturwissenschaften<br />
und Technik und Unternehmen aus<br />
mehreren Ländern. Seine Ursprünge hat der EPR in den<br />
erfolgreichen Baulinien für Druckwasserreaktoren der –<br />
damaligen – französischen Framatome und deutschen<br />
Siemens/KWU. Beide Kernkraftwerkshersteller, inklusive<br />
Vorgängergesellschaften, hatten seit den 1960er-Jahren<br />
rund 100 Leichtwasserreaktoren errichtet und in Betrieb<br />
genommen. Aufseiten von Siemens/KWU sind dabei<br />
insbesondere die Konvoi-Anlagen, Emsland, Isar 2 und<br />
Neckarwestheim II, zu nennen, die von 1982 bis 1988/89<br />
errichtet wurden, teils sogar mit kürzerer Bauzeit<br />
als vorgesehen. Aufseiten von Framatome bildeten<br />
die N4- Anlagen in Civaux und Chooz mit 1561 MW<br />
elektrischer Bruttoleistung einen Eckpunkt der Reaktorentwicklung.<br />
Mitte der 1990er-Jahre, als aus Gründen der energiewirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen mit einer Sättigung<br />
des Erzeugungsmarktes und der gezielt beeinflussten<br />
öffentlichen Diskussionen durch politische Interessengruppen<br />
die Zubauprogramme für Kernkraftwerke in<br />
westlichen Ländern quasi vorerst abgeschlossen waren,<br />
nahm die Idee Gestalt an, in einer deutsch-französischen<br />
Kooperation ein Reaktorkonzept für das 21. Jahrhundert<br />
zu konzipieren. Framatome und Siemens als Hersteller<br />
sowie EDF und die deutschen Kernkraftwerke betreibenden<br />
Unternehmen vereinbarten dazu die Entwicklung<br />
des „Basic Designs“ für den EPR.<br />
Den erste Meilenstein erreichte der EPR in Finnland<br />
und Frankreich in den Jahren 2005 und 2007 mit dem<br />
Start der Projekte Olkiluoto 3 und Flamanville 3.<br />
Deutschland war mit Unterzeichnen der Atomkonsensvereinbarung<br />
von 2001 als Standort weggefallen. Es<br />
soll nicht übersehen werden, dass sich Projektrisiken und<br />
Kostensteigerungen für diese beiden Anlagen in den<br />
Genehmigungsphasen viel höher als erwartet herausgestellt<br />
haben. Inwieweit individuelle, standortabhängige<br />
Gründe dafür herangezogen werden müssen, lässt sich<br />
aktuell nicht abschätzen. Es soll ebenso wenig übersehen<br />
werden, dass das Projekt Taishan in China vier Jahre später<br />
in Angriff genommen wurde und jetzt, nach 9 Jahren<br />
Bauzeit in kommerziellem Betrieb ist, also noch vor den<br />
Anlagen in Olkiluoto und Flamanville. Erhebliche Bauzeitverzögerungen<br />
scheinen sich zu einem kulturellen<br />
Problem in westlichen Industrieländern zu entwickeln.<br />
weltweit Kernenergie nutzenden Staaten) und Vermeidung<br />
weiterer Emissionen über die Luft und das Wasser<br />
pp<br />
Versorgung von rund 3 Millionen Haushalten (mit dem<br />
Durchschnittsverbrauch der EU) mit Strom.<br />
pp<br />
Uranbedarf von rund 20 t angereichertem Kernbrennstoff<br />
pro Jahr. Bezogen auf den Natururanverbrauch liegt dieser<br />
rund 17 % niedriger als bei bisherigen anderen Kernbrennstoffstrategien.<br />
pp<br />
Flächenbedarf: Der Flächenbedarf für die gesamte Kraftwerksanlage<br />
liegt bei rund 1250 Quadratmeter pro Megawatt<br />
und damit z.B. um den Faktor 150 niedriger als bei<br />
Freiflächen-Photovoltaikanlagen.<br />
Technik<br />
pp<br />
Technisch projektierte Laufzeit: 60 Jahre, heute für bestehende<br />
Anlagen mit ursprünglich geplanten Laufzeiten<br />
von 30 bis 40 Jahren üblich, also mit Perspektive für einen<br />
darüber hinaus gehenden Betrieb.<br />
pp<br />
Der Reaktorkern umfasst ein Volumen von grob gerade<br />
einmal 50 Kubikmetern, vergleichbar mit dem Volumen<br />
eines 40-Fuß Seecontainers; anders ausgedrückt wird in<br />
rund 15 Kubikzentimetern Reaktorkern kontinuierlich der<br />
Strom für die Versorgung eines EU-Haushalts erzeugt.<br />
Sicherheit<br />
pp<br />
Vier unabhängige Systeme gewährleisten einen sicheren<br />
Betrieb und auch Schutz in Ausnahmesituationen wie<br />
Erdbeben und Überflutungen einschließlich auslegungsüberschreitender<br />
Ereignisse.<br />
pp<br />
Die Kernschadenshäufigkeit für den EPR liegt im Bereich<br />
von ca. 10 -7 und damit um mehr als eine Zehnerpotenz,<br />
also dem Faktor 10 niedriger, als der von der <strong>International</strong>en<br />
Atomenergie-Agentur (IAEA) für Neuanlagen<br />
empfohlen.<br />
pp<br />
Ein Core-Catcher gewährleistet zusätzlichen Schutz für<br />
das Fundament des Reaktorgebäudes und würde im Falle<br />
einer Kernschmelze diese im Reaktorgebäude stabilisieren.<br />
pp<br />
Ein internes Sprühsystem ist eine zusätzliche Maßnahme,<br />
um die langfristige Integrität des Reaktorgebäudes bei<br />
Unfällen sicher zu stellen.<br />
Ehre, wem Ehre gebührt: Der EPR, ein gemeinsames<br />
europäisches Entwicklungsprojekt auf dem Weg zu<br />
spätem, aber nicht zu spätem internationalen Erfolg –<br />
auch über das Jahr 2022 hinaus: nach aktueller Ankündigung<br />
des französischen Präsidenten Emmanuel Macron<br />
soll um das Jahr 2022 entschieden werden, ob in<br />
Frankreich weitere neue Kernkraftwerke auf Basis des<br />
EPR, der deutsch-französischen Kooperation, gebaut<br />
werden sollen.<br />
Einige Kennzahlen<br />
zum Konzept des EPR-Reaktors:<br />
Ressourcen<br />
pp<br />
Vermeidung von rund 10 Millionen Tonnen Kohlendioxidemissionen<br />
pro Jahr (Bezug auf den Strommix der<br />
Christopher Weßelmann<br />
– Chefredakteur –<br />
Editorial<br />
EPR – No Swan Song